Wege zueinander: Wer viel liebt, dem wird viel vergeben

Hartmut Weyel Predigt am 13.10.2002 Wege zueinander: “Wer viel liebt, dem wird viel vergeben” (Lukas 7,36-50) Einleitung: Die Personen der Szene Gan...
Author: Rosa Seidel
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Hartmut Weyel Predigt am 13.10.2002

Wege zueinander: “Wer viel liebt, dem wird viel vergeben” (Lukas 7,36-50)

Einleitung: Die Personen der Szene Ganz schön gegensätzlich gemischt sind die Personen in dieser Geschichte. Sozusagen die beiden äußersten Flügel der damaligen jüdischen Gesellschaft werden hier zusammengemischt und Jesus ist mitten drin. Wie von zwei gegensätzlichen Polen kommend, treffen der Pharisäer mit Namen Simon und die Frau, die als stadtbekannte Sünderin gilt (was immer damit gemeint ist), aufeinander. Aber es sind ja nicht nur die Personen, sondern hier treffen zwei Welten aufeinander, zwei tief geschiedene Lebenshaltungen, nämlich die von gut und böse. Es ist wie wenn heutzutage George W. Busch und Saddam Hussein oder Sharon und Arafat aufeinander träfen. Da ist auf der einen Seite ein Mann, der die Rolle des Gastgebers spielt: Er ist eine angesehene Persönlichkeit. Viele blicken anerkennend zu ihm auf. Er ist bewandert in der Schrift und Tradition Israels. Als Pharisäer gehört er zu denen, die gerade in unruhigen Zeiten am Bewährten festhalten und eine ordnende, feste Hand bewahren. Gewiss lebt er in der Zucht der Gebote und bildet damit für viele einen wichtigen Rückhalt in moralisch schwankenden Zeiten. Er ist zweifellos das, was man einen ‘guten Mann’ nennt. Um so erstaunlicher ist, dass er einen Mann zum Essen und zur Tischgemeinschaft einlädt, der nicht lange zuvor mit Menschen von der gegensätzlichen Seite der Gesellschaft, nämlich mit ‘Zöllnern und Sündern’, wie es heißt, zum großen Festmahl eingeladen worden war und offensichtlich ohne Bedenken daran teilgenommen hatte. Gerade deswegen war dieser Mann, nämlich Jesus von Nazareth, von Pharisäern und Schriftgelehrten scharf getadelt worden (Lk. 5,27-31). Es ist vorstellbar, dass die Pharisäer daraufhin Jesus boykottierten. Erstaunlich also, dass dieser Pharisäer mit Namen Simon den Boykott gegen Jesus bricht und ihn sogar in sein Haus einlädt. Was mag den Mann dazu bewogen haben? Vielleicht ähnliche Gründe wie diesen anderen Pharisäer mit Namen Nikodemus, der in der Nacht Jesus aufsuchte, um Klarheit über dessen Person und Auftrag zu bekommen? Jesus jedenfalls nimmt die Einladung an. Warum auch nicht? Wieso soll er nicht an einem Menschen Freude haben, der überaus seriös und moralisch unanfechtbar ist, dessen berühmte ‘weiße Weste’ über jeden Zweifel erhaben ist? Das ist doch schließlich das Ziel der Gebote Gottes, möglichst mit weißer Weste durch’s Leben zu kommen, oder nicht? Daraufhin läuft doch das ganze Christentum hinaus, oder nicht? Wie auch immer. Obwohl Jesus einmal gesagt hatte: “Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Krnaken”, kehrt er in das Haus des offenbar gesunden Simon ein und legt sich zu Tisch. So weit, so gut. Alles scheint seinen gewohnten Gang zu nehmen. Jesus ist Gast. Simon ist Hausherr und Gastgeber. Aber dann taucht diese Frau auf. Woher sie kommt und wie sie hereingekommen ist, weiß man nicht. Die ganz andere Welt, aus der sie kommt, stößt sich hart mit der Welt und Ordnung, in der Simon, der Pharisäer, lebt. Ob sie in der berüchtigten Halbwelt

zu Hause ist oder gar aus der am Rand der Kriminalität lebenden Unterwelt stammt oder nur durch die Schuld ihres Mannes mitbelastet ist, wir wissen es nicht. Simon, der Pharisäer, jedenfalls kennt sie und bezeichnet sie als ‘Sünderin’. In der Vorstellung ihrer wohlgesitteten Mitbürger ist sie mit dem Etikett ‘böse’ oder ‘schlecht’ versehen. Ganz offensichtlich haben sie damit nicht ganz Unrecht, denn auch Jesus spricht von Schuld, die ihr erlassen und von Sünde, die ihr vergeben wird (V. 42 u. 48). Weder der Erzähler der Geschichte noch Jesus selbst ebnen den Unterschied von gut und böse einfach ein. Die Sünde und die Schuld der Frau, welche immer es auch sind, werden nicht durch irgendwelches Mitgefühl und Mitleid wegretuschiert. Und trotzdem erscheint am Ende diese Frau als die Gesunde und der Pharisäer als der Kranke, dem das Entscheidende fehlt. Wie, fragt man sich, fehlt diesem Mann denn etwas? Das kann doch nicht sein! Was soll ihm denn fehlen? Simon, dem Pharisäer, fehlt es nicht an Schriftkenntnis. Ihm fehlt es nicht an Theologie. Ihm fehlt es nicht an Wissen und Worten. Ihm fehlt es auch nicht an Moral, an Anstand, an Ansehen, an Seriosität und Ordentlichkeit. Ihm fehlt es nicht an Tradition. Er kann danken wie jener andere Pharisäer, der im Tempel Gott dafür anbetet, dass er nicht schlecht ist wie dieser Zöllner. Und er kann sich glücklich schätzen, dass er Jesus zu Gast in seinem Haus hat. Was will man mehr! Diesem Mann fehlt doch nichts, oder? Doch! Diesem Mann fehlt es an Liebe! Simon, dem Pharisäer, fehlt es an Liebe! “Simon, siehst du diese Frau?”, fragt Jesus ihn. “Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben, sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet. Du hast mir zur Begrüßung keinen Kuss gegeben, sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst. Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt, sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat. Wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig” (V. 44-47). Damit ist ein Schlüsselwort und ein Schlüsselsatz, nicht nur dieser Geschichte, sondern der Bibel und des Christseins, gefallen: “Liebe” heißt das Schlüsselwort. Und “Wer viel liebt, dem wird viel vergeben” heißt der Schlüsselsatz. Jetzt werden möglicherweise manche von uns schlucken und fragen: Stimmt das denn so? Ist nicht das Schlüsselwort der Bibel “Glaube”? Und lautet nicht ein Schlüsselsatz der Bibel: “Ohne Glauben ist es unmöglich Gott zu gefallen”? (Hebr. 11,6). Und kann man wirklich sagen, dass dem, der viel liebt, auch viel vergeben wird? Ist das theologisch haltbar? Sätze der Bibel, wie die folgenden, bestätigen offensichtlich das, was Jesus gesagt hat: • “Hass weckt Streit, Liebe deckt alle Vergehen zu” (Spr. 10,12) • “Vor allem haltet fest an der Liebe zueinander, denn die Liebe deckt viele Sünden zu” (1.Petr. 4,8)



“Wenn einer bei euch von der Wahrheit abirrt, dann sollt ihr wissen: Wer einen Sünder, der auf Irrwegen ist, zur Umkehr bewegt, der rettet ihn vor dem Tod und deckt viele Sünden zu” (Jak. 5,19f).

Klar werden sich jedem, der nachdenkt, Fragen über Fragen stellen:

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Wenn der Schlüsselsatz stimmt, dass dem, der viel liebt, viel vergeben wird, bedeutet das dann, dass Liebe Vergebung bewirkt? Kann Sünde durch Liebe wieder gutgemacht werden? Kann Schuld durch Liebe kompensiert werden? Wenn ja, dann wäre Vergebung nicht Gnade, sondern Verdienst! Wenn etwas aus Liebe geschieht, ist dann die an sich böse oder falsche Tat gut zu nennen? Z.B. aus Liebe lügen, aus Liebe etwas verschweigen, aus Liebe aktive Sterbehilfe leisten? Muss man viel lieben, um viel sündigen zu können und umgekehrt?

Manche dieser Fragen werden sich durch Nachprüfen der biblischen Zusammenhänge relativ schnell beantworten lassen. Andere sind schwieriger zu lösen. Wenn dem Menschen, der viel liebt, viel vergeben wird und die Liebe viele Sünden zudeckt, so kann damit nach dem Gesamtzeugnis der Bibel weder ein Verdienstgedanke oder gar Werkgerechtigkeit noch ein Kompensationsgeschäft gemeint sein. So etwa in dem Sinn: Wenn ich viel liebe, dann verdiene ich mir damit die Vergebung für meine Sünden auf anderen Gebieten (z.B. ich spende eine hohe Summe von dem Geld, das ich schwarz verdient habe, dann wird mir das vergeben oder zumindest positiv angerechnet). Nei, das würde den zentralen Aussagen der Bibel widersprechen. Gnade, Vergebung, Erlösung haben wir nicht in unserer Hand und wenn wir noch so viel lieben würden. Gott allein entscheidet in seiner Souveränität, wem er gnädig ist oder nicht. Allerdings hat Gott sich durch das Opfer von Jesus Christus am Kreuz dazu entschieden, jedem Menschen, der das in Anspruch nimmt, gnädig zu sein. Dafür hat er sich aus Liebe entschieden und dabei bleibt er. So sehr das stimmt, gibt es bei Gott aber offensichtlich doch eine Wechselwirkung zwischen Liebe und Vergebung. Das Beispiel dieser Frau zeigt es: Wer sich so mit großer Liebe Jesus zugewendet, wer so mit aller Sehnsucht die Nähe von Jesus sucht, wer sich so mit einer liebevollen Hingabe an Jesus ausliefert, ungeachtet was andere dazu sagen, dem wird Vergebung seiner Sünden zugesagt. “Deine Sünden sind dir vergeben”, versichert Jesus dieser Frau. Die Bibel weiß davon zu berichten, dass Gott Sünde aufdeckt und zudeckt. Und Gott beteiligt uns daran. Dabei sind wir im Aufdecken von Sünde meist fit. Aber um es gut zu machen, brauchen wir Liebe. Sonst endet die Sache im Desaster. Wieviel mehr Liebe brauchen wir zum Zudecken von Sünde. Dabei geht es nicht darum, dass unbewältigte und unvergebene Schuld verdrängt oder mit dem berühmten ‘Mantel der Liebe’ einfach überdeckt wird. Aber doch so, dass sie mit Liebe ‘chemisch’ gereinigt wird. Wo viel geliebt wird, sagt Jesus, wird viel vergeben. Und noch spitzer: “Wer viel liebt, dem wird viel vergeben” Wer so aufeinander sieht und Wege zueinander geht, stochert nicht in den Fehlern und Schwächen und Verfehlungen der anderen – und der eigenen – herum. Der zerrt sie nicht schadenfroh ans Tageslicht und ergießt sich

darüber mit Klatsch und Tratsch. Sondern die Liebe deckt viele Sünden zu. Sie schließt die Sünden luftdicht ab, damit sie ersticken. Zum Vergeben gehört deshalb auch das Vergessen. Wer viel liebt, wird auch viel vergessen. Durch Liebe wird vergessen und vergeben, beides, und das betrifft sowohl fremde wie auch eigene Schuld, auch hier beides! Der Rückschluss gilt allerdings auch: Zurückgehaltene Liebe, nicht gewährte Liebe, entzogene Liebe entzieht auch die Vergebung. “Wer das Gute zu tun weiß und tun kann, und es nicht tut, der sündigt”, heißt es im Jakobusbrief. Um zum Schluss deutlich zu machen, dass das alles nicht an dem anderen Schlüsselbegriff der Bibel, nämlich dem Glauben, vorbei geht, sondern das Grundlegende ist, sagt Jesus der Frau am Ende der Szene: “Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!” (V. 50). Also, die Liebe ist das Größte (“Wer viel liebt, dem wird viel vergeben”), aber ohne Glauben ist auch die Liebe nicht das, was sie sein soll. Uns rettet letztlich nicht die Liebe, wie groß sie auch sei, sondern nur der Glaube an Jesus Christus. Aber der Glaube ohne Liebe ist tot. Und dann rettet er auch nicht.

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