Wechselwirkungen von Genen und Umwelt als Grundlage von

Jahrbuch 2012/2013 | Schmidt, Mathias V. | W echselw irkungen von Genen und Umw elt als Grundlage von Depression Wechselwirkungen von Genen und Umwel...
Author: Frank Kranz
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Jahrbuch 2012/2013 | Schmidt, Mathias V. | W echselw irkungen von Genen und Umw elt als Grundlage von Depression

Wechselwirkungen von Genen und Umwelt als Grundlage von Depression Gene by environment interaction as basis of depression Schmidt, Mathias V. Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected]

Zusammenfassung Depression ist eine komplexe psychiatrische Erkrankung, die durch ein Zusammenspiel von genetischer Veranlagung und w idrigen Umw elteinflüssen entsteht. Eine große Bedeutung im Krankheitsbild der Depression kommt der Fehlregulation des Stresshormonsystems zu. Das FKBP5, ein Ko-Chaperon des StresshormonRezeptors, ist dabei ein mögliches Schlüsselgen, da Sequenzveränderungen in dem FKBP5-Gen das Depressionsrisiko beeinflussen. Die Untersuchungen am MPI für Psychiatrie w eisen den Weg zu neuen Medikamenten gegen Depression.

Summary Depression is a complex psychiatric disorder that is thought to develop due to a combination of genetic risk factors w ith exposure to aversive environments. FKBP5, a co-chaperone of stress hormone receptors, seems to be a key mediator of depression, as polymorphisms in the gene encoding FKBP5 can increase the likelihood to develop this disease. By investigating the molecular, structural, physiological and behavioral function of FKBP5 w e can support the central role of this co-chaperone in stress and depression, and pave the w ay for the development of novel antidepressant treatment strategies.

Depression und Gen-Umwelt-Interaktion Das menschliche Gehirn ist eine der komplexesten Strukturen in unserem Universum. Schätzungen zufolge sind im Gehirn des Menschen etw a 100 Milliarden Nervenzellen miteinander vernetzt. Da jede dieser Nervenzellen im Schnitt etw a 10.000 Verbindungen zu w eiteren Nervenzellen eingeht, ist das Gehirn im Ganzen unvorstellbar kompliziert. Bei einer solch hohen Komplexität ist es nicht verw underlich, dass es in diesem System auch zu Fehlfunktionen kommen kann, w elche ab einem gew issen Grad als psychiatrische oder neurologische Erkrankung w ahrgenommen w erden. Von allen psychischen Störungen, zu denen unter anderem auch Demenz, Psychosen oder Sucht gehören, kommen sog. affektive Störungen am häufigsten vor, und hier vor allem Angsterkrankungen und Depression. Die affektiven Störungen zeichnen sich durch eine klinisch bedeutsame Veränderung der Stimmungslage aus.

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Jahrbuch 2012/2013 | Schmidt, Mathias V. | W echselw irkungen von Genen und Umw elt als Grundlage von Depression Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass der Depression sehr komplizierte Mechanismen zu Grunde liegen, die sow ohl genetische als auch umw eltbedingte Ursachen haben. Es w urde nachgew iesen, dass Stress einen der Haupt-Risikofaktoren für affektive Erkrankungen darstellt. Der Begriff Stress beschreibt einen Zustand, der durch interne oder externe Stimuli ausgelöst w ird, die das Gleichgew icht des Organismus (Homöostase) aus der Balance bringen. Dies führt zur Aktivierung von physiologischen Systemen, die für die geeignete Reaktion des Körpers in Bezug auf Stress verantw ortlich sind und dafür sorgen, dass der Organismus für die Anforderungen seiner Umgebung optimal gew appnet ist. Das Stresssystem ist daher in erster Linie adaptiv und hilfreich, kann aber durch Überaktivierung auf Grund von lang andauernden Stressperioden auch Krankheiten w ie die Depression fördern [1]. Chronischer oder traumatischer Stress führt aber nicht bei allen Personen unw eigerlich zu einer Depression, da die genetische Veranlagung für eine erhöhte

Stressanfälligkeit hierbei eine

große

Rolle

spielt. FKBP5 ist eines

der vielversprechendsten

Kandidatengene, das sow ohl die Funktion des Stresshormonsystems beeinflusst als auch in genetischen Studien als assoziiert mit Stress und affektiven Störungen gefunden w urde.

FKBP5 als Kandidatengen für Depression Das FKBP5-Gen kodiert für ein Protein, an w elches das aus Bakterien gew onnene, immunsuppressiv w irkende Molekül FK506 (Tracolimus) bindet. Es gehört zur Familie der Immunophiline und fungiert unter anderem als Ko-Chaperon in Stresshormonrezeptor-Komplexen. In diesem Komplex bew irkt FKBP5 eine Verminderung der Affinität des Steroidrezeptors für das Stresshormon (Kortisol bei Menschen, Kortikosteron bei der Maus) und w irkt daher als funktioneller Antagonist, das heißt es mindert die biologische W irkung des durch Kortisol aktivierten Stresshormonrezeptors (Abb. 1). Dadurch w ird letztlich die Kontrolle des Stresshormonsystems blockiert, w as zu einer überschießenden Stressantw ort führt. In vielen humangenetischen Studien konnte gezeigt w erden, dass Polymorphismen des FKBP5-Gens nicht nur die Expression von FKBP5 beeinflussen, sondern auch das Risiko der Probanden, an einer Depression zu erkranken [2]. Besonders interessant ist dabei, dass frühkindliche Stresserlebnisse das Erkrankungsrisiko modulieren und vor allem in Kombination mit bestimmten DNA-Sequenzvarianten eine starke Erhöhung des Erkrankungsrisikos verursachen. [3].

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A bb. 1: Da s Stre sshorm onsyste m wird durch die Stim ula tion von Hirnre gione n wie de m Hippok a m pus ode r de m Hypotha la m us a k tivie rt und führt übe r e ine horm one lle Ka sk a de le tzte ndlich zu e ine r ve rm e hrte n Ausschüttung de s Stre sshorm ons Kortisol a us de r Ne be nnie re nrinde . Die Effe k te von Kortisol we rde n übe r Stre sshorm onre ze ptore n, wie z. B. de n Gluk ok ortik oidre ze ptor (GR ), ve rm itte lt. FKBP 51, k odie rt vom FKBP 5-Ge n, ist e in Ko-C ha pe ron de s GR und fungie rt hie rbe i a ls funk tione lle r Anta gonist. © m odifizie rt na ch [4]

FKBP5 korreliert mit Stressanfälligkeit Basierend auf den beschriebenen klinischen Befunden haben W issenschaftlerinnen und W issenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München nun begonnen, die molekularen Grundlagen der Interaktion zw ischen Stress, FKBP5 und Depression zu entschlüsseln. Am Anfang stand die Frage, ob die Aktivität des FKBP5-Gens im Gehirn von Mäusen durch akuten oder chronischen Stress beeinflusst w erden kann. Es konnte gezeigt w erden, dass akuter Stress zu einer Erhöhung der FKBP5-Expression in einer Reihe von Hirnarealen führt, die bekanntermaßen für die Regulation des Stresssystems und für psychiatrische Erkrankungen bedeutend

sind

[5].

Auch

nach

chronischem sozialen

Stress,

einem Tiermodell,

das

menschlichen

Stresssituationen sehr nahe kommt, konnte eine vermehrte FKBP5-Expression beobachtet w erden (Abb. 2AC)[6].

Das

Ausmaß

der

FKBP5-Regulation

korreliert

dabei

in

verhaltensbiologischen und neuroendokrinen Parametern (Abb. 2D

den

gestressten

Tieren

mit

deren

und 2E). Tiere mit besonders hohen

FKBP5-Expressionsw erten zeigten auch die höchsten Werte an passivem Verhalten in einer ausw eglosen Stresssituation – ein Verhaltensmuster, das häufig mit Depression assoziiert w ird. Auch die Ausschüttung der Stresshormone als Reaktion auf einen akuten Stress w ar direkt mit dem FKBP5-Expressionsniveau im Gehirn der Tiere verknüpft.

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A bb. 2: (A-C ) W e rde n m ä nnliche Mä use chronische m Stre ss a usge se tzt, e rhöht sich de re n FKBP 5-Ex pre ssion in spe zifische n R e gione n de s dorsa le n Hippok a m pus (C A1, De nta te Gyrus (DG)). Eine zusä tzliche Be ha ndlung de r Tie re m it de m Antide pre ssivum P a rox e tin ha t da ra uf k e ine n Einfluss. (D-E) Die Stä rk e de r FKBP 5-Ak tivie rung k orre lie rt signifik a nt m it de m stre ssinduzie rte n Ve rha lte n sowie de r ne uroe ndok rine n R e gula tion de s Stre sssyste m s. a .E: a rbiträ re Einhe ite n. © m odifizie rt na ch [6]

FKBP5-Knockout-Mäuse sind stressresistent Die bisherigen Befunde legen den Schluss nahe, dass die Reduktion der FKBP5-Expression oder -Reaktivität im Gehirn

zu

einer

sensitiveren

Regulation

des

Stresshormonsystems

und

damit

zu

einer

erhöhten

Stressresistenz führt. Um diese Hypothese zu prüfen, w urden Mäuse mit einer Deletion des FKBP5-Gens (FKBP5-KO-Mäuse) chronischem sozialen Stress ausgesetzt [7]. Die resultierenden Ergebnisse konnten die Hypothese stützen. Vor allem hinsichtlich neuroendokriner Parameter zeigten FKBP5-KO Mäuse eine deutlich abgeschw ächte Reaktion auf Stress (Abb. 3), w as w ahrscheinlich auf einer effektiveren Feedback-Kontrolle des Stresssystems dieser Tiere beruht. Was passiert nun, w enn man den molekularen Gegenspieler des FKBP5, das FKBP4 ausschaltet? Da FKBP4 ein funktioneller Agonist des Glukokortikoid-Rezeptors ist, müsste man hier eine erhöhte Stressempfindlichkeit vermuten. Tatsächlich zeigten FKBP4-KO-Mäuse ein erhöhtes Angstverhalten sow ie eine stärkere Stresshormonaktivierung nach einem akuten Stressfaktor [8]. Weiterhin konnte auch eine verminderte Stress-Sensitivität festgestellt w erden, w as darauf hinw eist, dass diese KoChaperone eine differenzierte biologische Funktion ausüben, spezifisch für jew eilige Hirnareale.

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A bb. 3: (A-C ) Mä use m it e ine r De le tion de s FKBP 5-Ge ns ze ige n na ch chronische m Stre ss e ine signifik a nt ge ringe re Kortik oste ron-Ausschüttung unte r Ba sa lbe dingunge n (A) sowie na ch e ine m zusä tzliche n a k ute n Stre ssfa k tor (B und C ). * signifik a nt unte rschie dlich zu W ildtyp, # signifik a nt unte rschie dlich zur Kontrollgruppe . © m odifizie rt na ch [7]

FKBP5 als neues Target für potenzielle Antidepressiva Die Befunde zur Funktion von FKBP5 aus der Grundlagenforschung schaffen zusammen mit den klinischen Studien eine gute Ausgangsposition für die Entw icklung von pharmakologischen Substanzen, die FKBP5 direkt modulieren. Es ist zu erw arten, dass FKBP5-Antagonisten als Medikamente eingesetzt w erden können – speziell bei Patienten mit einer genetischen Veranlagung für eine erhöhte FKBP5-Expression und vor allem in Zusammenhang mit Stress- oder Trauma-Erlebnissen w ährend der Kindheit. Im Max-Planck-Institut für Psychiatrie konnten bereits mehrere geeignete Moleküle entw ickelt w erden, deren W irkung darin besteht, die stressinduzierten Effekte von FKBP5 zu unterdrücken. Solche Medikamente können sow ohl nach einem traumatischen Erlebnis als auch zur Behandlung vielschichtiger stressinduzierter Erkrankungen eingesetzt w erden. Die konzertierte Forschung hinsichtlich der Funktion von FKBP5 auf molekularer, struktureller, physiologischer

und

verhaltensbiologischer

Ebene

w ird

letztendlich

zum

Erfolg

dieser

neuartigen

Behandlungsstrategien beitragen.

Literaturhinweise [1] De Kloet, E. R.; Joels, M.; Holsboer, F. Stress and the brain: from adaptation to disease Nature Review s Neurosciences 6, 463-475 (2005) [2] Binder, E. B.; Salyakina, D.; Lichtner, P.; Wochnik, G. M.; Ising, M.; Putz, B.; Papiol, S.; Seaman, S.; Lucae, S.; Kohli, M. A.; Nickel, T.; Kunzel, H. E.; Fuchs, B.; Majer, M.; Pfennig, A.; Kern, N.; Brunner, J.; Modell, S.; Baghai, T.; Deiml, T.; Zill, P.; Bondy, B.; Rupprecht, R.; Messer, T.; Kohnlein, O.; Dabitz, H.; Bruckl, T.; Muller, N.; Pfister, H.; Lieb, R.; Mueller, J. C.; Lohmussaar, E.; Strom, T. M.; Bettecken, T.; Meitinger, T.; Uhr, M.; Rein, T.; Holsboer, F.; Muller-Myhsok, B. Polymorphisms in FKBP5 are associated with increased recurrence of depressive episodes and rapid response to antidepressant treatment Nature Genetics 36, 1319-1325 (2004)

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Jahrbuch 2012/2013 | Schmidt, Mathias V. | W echselw irkungen von Genen und Umw elt als Grundlage von Depression [3] Zimmermann, P.; Brückl, T.; Nocon, A.; Pfister, H.; Binder, E. B.; Uhr, M.; Lieb, R.; Moffitt, T. E.; Caspi, A.; Holsboer, F.; Irsing, M. Interaction of FKBP5 gene variants and adverse life events in predicting depression onset: results from a 10-Y ear prospective community study The American Journal of Psychiatry 168, 1107-1116 (2011) [4] Schmidt, M. V.; Paez-Pereda, M.; Holsboer, F.; Hausch, F. The prospect of FKBP51 as a drug target ChemMedChem 7, 1351-1359 (2012) [5] Scharf, S. H.; Liebl, C.; Binder, E. B.; Schmidt, M. V.; Müller, M. B. Expression and regulation of the Fkbp5 gene in the adult mouse brain PLoS ONE 6, e16883 (2011) [6] Wagner, K. V.; Marinescu, D.; Hartmann, J.; Wang, X. D.; Labermaier, C.; Scharf, S. H.; Liebl, C.; Uhr, M.; Holsboer, F.; Müller, M. B.; Schmidt, M. V. Differences in FKBP51 regulation following chronic social defeat stress correlate with individual stress sensitivity: Influence of paroxetine treatment Neuropsychopharmacology 37, 2797-2808 (2012) [7] Hartmann, J.; Wagner, K. V.; Liebl, C.; Scharf, S. H.; Wang, X. D.; Wolf, M.; Hausch, F.; Rein, T.; Schnmidt, U.; Touma, C.; Cheung-Flynn, J.; Cox, M. B.; Smith, D. F.; Holsboer, F.; Müller, M. B.; Schmidt, M. V. The involvement of FK506-binding protein 51 (FKBP5) in the behavioral and neuroendocrine effects of chronic social defeat stress Neuropharmacology 62, 332-339 (2012) [8] Hartmann, J.; Wagner, K. V.; Dedic, N.; Marinescu, D.; Scharf, S. H.; Wang, X. D.; Deussing, J. M.; Hausch, F.; Rein, T.; Schmidt, U.; Holsboer, F.; Müller-Myhsok, B.; Schmidt, M. V. Fkbp52 heterozygosity alters behavioral, endocrine and neurogenetic parameters under basal and chronic stress conditions in mice Psychoneuroendocrinology 37, 2009-2021 (2012)

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