AKUTER HERZINFARKT

Was neu und wichtig ist

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Der frühzeitige Einsatz von interventionellen Reperfusionsverfahren mit potenten Thrombozytenhemmern verbessert die Prognose von Patienten mit akutem Myokardinfarkt (STEMI).

ie Prognose der Patienten mit akutem Herzinfarkt hat sich über die letzten Jahrzehnte in Deutschland kontinuierlich verbessert. Die Krankenhaussterblichkeit des ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkts (STEMI) liegt aber weiterhin bei sieben bis acht Prozent und damit deutlich über der des Nicht-ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkts (NSTEMI) (1). Wie eine Reihe von Untersuchungen zeigt, verbessert die konsequente Einhaltung der in den Leitlinien empfohlenen Strategien und Therapien die Prognose der Patienten mit STEMI. Nachfolgend werden Neuerungen der aktualisierten Leitlinien zum STEMI (2, 3) beschrieben und wichtige Studien zusammengefasst.

D

Diagnosestellung des STEMI Die wichtigste diagnostische Maßnahme bei Patienten mit akuten Thoraxschmerzen ist die sofortige AbTABELLE 1 Ausmaß der am J-Punkt gemessenen ST-Hebungen zur Diagnose des STEMI. Es werden ST-Hebungen in mindestens zwei Ableitungen gefordert.

12

Männer < 40 Jahre

V2-V3 Andere Ableitungen

> 0,25 mV > 0,10 mV

Männer > 40 Jahre

V2-V3 Andere Ableitungen

> 0,20 mV > 0,10 mV

Frauen

V2-V3 Andere Ableitungen

> 0,15 mV > 0,10 mV

leitung eines 12-Kanal-EGKs, um einen STStrecken-Hebungsinfarkt zu diagnostizieren beziehungsweise auszuschließen. Neu ist ● das altersabhängig unterschiedliche Ausmaß der ST-Hebungen bei Männern und ● das unterschiedliche Ausmaß bei Frauen und Männern, das zur Diagnosestellung des STEMI herangezogen wird (Tabelle 1).

Prähospitale Versorgung Von entscheidender Bedeutung für die Prognose der Patienten mit STEMI ist die frühestmögliche Einleitung einer Reperfusionstherapie, bevorzugt mittels primärer perkutaner Koronarinterventionen (PCI). Die Leitlinien fordern eine Regionalisierung der Infarkttherapie mit möglichst klar definierten Behandlungsprotokollen (2, 3). Kernpunkte sind insbesondere die Kenntnisse und Einhaltungen der Zeitvorgaben durch alle an der STEMI-Versorgung teilnehmenden Ärzte, Krankenhäuser und Rettungssysteme: Danach sind folgende Qualitätsziele dauerhaft zu erreichen: ● Erster medizinischer Kontakt bis Erst-EKG ≤ 10 Minuten ● Erstkontakt bis Beginn der Reperfusionstherapie: – Fibrinolyse ≤ 30 Minuten, – primäre PCI ≤ 90 Minuten (≤ 60 Minuten, wenn der Patient sich innerhalb von 120 Minuten präsentiert oder sich direkt bei dem PCI-Zentrum vorstellt) Perspektiven | Deutsches Ärzteblatt | 11. April 2014

Ein wichtiger Punkt ist die direkte Anmeldung und Einlieferung des Patienten in das Herzkatheterlabor, die zu einer deutlichen Reduktion der Zeit zwischen Aufnahme und Ballon führt.

Initiale medikamentöse Therapie Wichtige Neuerungen zu den Allgemeinmaßnahmen beim STEMI gibt es nicht. Als Erstmaßnahme ist die Schaffung eines venösen Zugangs mittels Verweil-Kanüle notwendig. Zusätzlich zu einer Monitorüberwachung sind zu empfehlen: ● O2 über Nasensonde/Maske (4–8 l/min), ● Glyceroltrinitrat 0,4–0,8 mg s.l., (I-C), ● eventuell (cave: RR < 90 mm Hg) Morphin 3–5 mg i.v., gegebenenfalls wiederholt bis Schmerzfreiheit, ● bei vagaler Reaktion Atropin 0,5 mg i.v. gegebenenfalls wiederholt, ● bei Übelkeit/Erbrechen Antiemetika (zum Beispiel Metoclopramid), ● bei Tachykardie (trotz Schmerzfreiheit und fehlenden Zeichen der Linksherzinsuffizienz) langwirksamer Beta-Blocker (zum Beispiel Metoprolol 5 mg langsam i.v.). Der positive Effekt einer frühen intravenösen Beta-Blocker-Gabe vor geplanter primärer

PCI wurde kürzlich in einer randomisierten Studie bestätigt (4). Die antithrombotische Therapie umfasst sowohl die Gabe von Thrombozytenhemmern als auch eines intravenösen Antikoagulans. Die Notwendigkeit der prähospitalen Behandlung von Patienten mit STEMI mit gerinnungshemmenden Medikamenten ist weder TABELLE 2 Initiale Thrombozytenhemmung beim STEMI Empfehlung

Klasse

Grad

ASS oral oder intravenös wird empfohlen

I

B

Ein ADP-Rezeptor-Antagonist wird zusätzlich zu ASS empfohlen. Dabei gibt es folgende Möglichkeiten:

I

A

– Prasugrel bei Patienten ohne Clopidogrel-Vortherapie, bei Patienten ohne Z.n. Stroke/TIA, Alter < 75 Jahre, Gewicht > 60 kg

I

B

– Ticagrelor

I

B

– Clopidogrel, falls Prasugrel oder Ticagrelor kontraindiziert oder nicht verfügbar sind

I

C

AntithrombozytäreTherapie

für Thrombozytenaggregationshemmer noch für Antikoagulanzien wirklich belegt. Es wird jedoch in Analogie zu den Prinzipien der stationären Infarktbehandlung und auch aus pathophysiologischen Überlegungen heraus (sofortige Blockierung der Plättchenaggregation und der Thrombeninaktivität) gefordert, die Behandlung mit Acetylsalicylsäure, einem ADP-Rezeptor-Antagonisten beziehungsweise Antithrombinen so früh wie möglich zu beginnen. Insgesamt empfiehlt es sich, die Therapie mit dem PCI-Zentrum abzusprechen (Tabelle 2). Neu ist die klare Präferenz für die neuen Substanzen Prasugrel und Ticagrelor (beides P2Y12-Rezeptorantagonisten). Clopidogrel wird nur noch bei Kontraindikationen gegen diese beide Substanzen empfohlen. Es gibt gute Belege dafür, beim STEMI ADP-Rezeptor-Antagonisten bereits vor der Angiografie und der Entscheidung zur primären PCI zu geben, da auch bei den neueren Substanzen zwei bis drei Stunden bis zum Wirkeintritt vergehen (5). Das in Deutschland am häufigsten eingesetzte Antikoagulans ist unfraktioniertes Heparin. Nach den Ergebnissen der ATOLL1-Studie ist allerdings Enoxaparin zu bevorzugen (6). Die intravenöse Bolus-Gabe von 0,5 mg/kg Enoxaparin führt zu einer besser vorhersagbaren und stabileren Antikoagulation und zu einer Reduktion ischämischer Ereignisse im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin. Aufgrund der Ergebnisse der HORIZONS2-Studie gibt es die höchste Leitlinienempfehlung für das Bivalirudin. Zwischenzeitlich sind die Ergebnisse der EUROMAX3-Studie publiziert worden (7), in der die prähospitale Gabe von Bivalirudin mit dem Einsatz von Heparin mit zusätzlicher optionaler Gabe eines GP IIb/IIIa-Antagonisten verglichen wurde. Diese bestätigen die Befunde von HORIZONS mit der Reduktion des kombinierten Endpunktes aus Mortalität und Blutung durch Bivalirudin. Allerdings zeigte sich eine erhöhte Rate früher Stentthrombosen mit Bivalirudin. Um diese zu verringern, ist eine Verlängerung der Infusion von Bivalirudin bis zu vier Stunden nach PCI TABELLE 3 Empfehlungen zur Antikoagulation bei primärer PCI Empfehlung

Klasse

Grad

Ein intravenöses Antikoagulans muss bei primärer PC verwendet werden

I

C

Bivalirudin (mit einem auf Bail-out-Situationen beschränkten Gebrauch von GP-IIb/IIIa-Inhibitoren) wird als Therapie der ersten Wahl empfohlen vor dem Einsatz von unfraktioniertem Heparin und GP-IIb/IIIa-Inhibitoren

I

B

IIb

B

Unfraktioniertes Heparin mit oder ohne routinemäßigen Einsatz von GP-IIb/IIIa-Inhibitoren nur bei Patienten, die weder mit Bivalirudin oder noch mit Enoxaparin behandelt werden

I

C

Fondaparinux wird für die primäre PCI nicht empfohlen

III

B

Enoxaparin (mit oder ohne routinemäßigen Einsatz von GP-IIb/IIIa-Inhibitoren ist dem unfraktionierten Heparin vorzuziehen

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ZEIT IST . . . LEBEN Alle an der STEMI-Versorgung teilnehmenden Ärzte, Krankenhäuser und Rettungssysteme sollen die Zeiten der Behandlungskette erfassen und analysieren und Anstrengungen unternehmen, folgende Qualitätsziele dauerhaft zu erreichen: ● Erster medizinischer Kontakt bis Erst-EKG ≤ 10 min ● Erstkontakt bis Beginn der Reperfusionstherapie: – Fibrinolyse ≤ 30 min, – primäre PCI ≤ 90 min (≤ 60 min, wenn der Patient sich innerhalb von 120 Minuten präsentiert oder sich direkt bei dem PCI-Zentrum vorstellt)

zu empfehlen. Insgesamt erscheint aber der NettoNutzen von Bivalirudin von den zur Verfügung stehenden Antikoagulationen am größten und es ist daher die zu bevorzugende Substanz (Tabelle 3). Die Fibrinolyse ist in Erwägung zu ziehen bei Patienten mit kurzer Ischämiezeit und absehbarer Verzögerung bis zur primären PCI von mehr als zwei Stunden. Nach den Ergebnissen der STREAM4-Studie ist eine Strategie von Fibrinolyse mit routinemäßiger Rescue-PCI oder elektiver PCI sechs bis 24 Stunden nach erfolgreicher Lyse der primären PCI gleichwertig, aber nicht überlegen (8).

Aspekte der primären PCI Die Leitlinien empfehlen die Implantation eines Medikamenten freisetzenden Stents (DES) bei der primären PCI, um die Notwendigkeit erneuter Revaskularisationen zu reduzieren. Ausnahmen sind Patienten, bei denen voraussehbar Probleme bei der Gabe der dualen Thrombozytenhemmung auftreten könnten: zum Beispiel Patienten mit der Indikation zur oralen Antikoagulation, hohem Blutungsrisiko oder mangelnder Compliance. Eine routinemäßige manuelle Thrombektomie sollte erwogen werden. Die kürzlich publizierte TASTE5-Studie ergab allerdings keine Senkung der Sterblichkeit durch eine routinemäßige Anwendung der Thrombektomie (9). Diese Maßnahme sollte daher bei hoher Thrombuslast zum Einsatz kommen. Bei Patienten mit koronarer Mehrgefäßerkrankung ist die akute alleinige PCI des Infarktgefäßes mit zweizeitiger späterer Intervention der Nicht-Infarktgefäße nach Ischämienachweis oder fraktionierter Flussreserve die empfohlene Strategie. Die zwischenzeitlich publizierte PRAMI6-Studie berichtete allerdings einen klinischen Vorteil einer sofortigen PCI aller Stenosen > 50 Prozent im Vergleich zur konservativen Therapie (10). Diese Ergebnisse haben eine Reihe von Limitationen. Zum einen ist die Gruppe mit rein konservativer Therapie entgegen den Leitlinien und der oben erwähnten klinischen Routine versorgt worden. Weiter ist der Unterschied in der Ereignisrate unerwartet hoch, was mit dem vorzeitigen Abbruch der Studie zusammenhängt und den statistischen Wert der Studie einschränkt. Die ErPerspektiven | Deutsches Ärzteblatt | 11. April 2014

gebnisse widersprechen auch den Resultaten der viel größeren COURAGE7-Studie, in der eine konservative Therapie einer präventiven PCI ebenbürtig war. Eindeutiger sind die Ergebnisse bezüglich der Bevorzugung des radialen Zugangs bei der primären PCI. Eine Reihe von Untersuchungen zeigt den Vorteil dieses Zugangswegs gegenüber dem femoralen Zugang, im Wesentlichen bedingt durch eine Reduktion von Blutungskomplikationen. Die höchste Sterblichkeit haben immer noch Patienten mit kardiogenem Schock, trotz des Einsatzes der frühen Revaskularisation. Eine Maßnahme zur mechanischen Kreislaufunterstützung ist die intraaortale Ballonpumpe (IABP). Ihr routinemäßiger Einsatz führte in der randomisierten IABP-Shock (Intraaortale Ballonpumpe)-Studie allerdings nicht zu einer Reduktion der Sterblichkeit (12). Daher sollte bei Patienten mit andauernder hämodynamischer Instabilität trotz erfolgreicher PCI neben der Katecholamingabe der Einsatz von effektiveren Kreislaufunterstützungssystemen wie der Impella und der perkutanen Herzlungenmaschine erwogen werden.

Nach der Krankenhausentlassung Die duale Anti-Plättchen-Therapie mit Acetylsalicylsäure und einem oralen Plättchenaggregationshemmer soll bis zu zwölf Monate fortgesetzt werden. Beta-Blocker müssen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr allen Patienten gegeben werden, sind aber angezeigt, wenn der Patient infolge seines Infarkts eine Herzinsuffizienz oder Dysfunktion der linken Herzkammer davongetragen hat. Nach einem STEMI wird die Gabe von hochdosierten Statinen bei allen Patienten schon vor der Cholesterinbestimmung empfohlen. In der Nachbehandlung wird eine intensive Therapie mit Senkung des LDLCholesterins unter 70 mg/dl gefordert. ACE-Hemmer (oder Sartane) sind großzügig einzusetzen und indiziert, wenn eine Herzinsuffizienz, linksventrikuläre systolische Dysfunktion, Diabetes oder ein Vorderwandinfarkt vorliegen. Aldosteron-antagonisten sollen zum Einsatz kommen, wenn die Auswurffraktion weniger als 40 Prozent beträgt, eine Herzinsuffizienz oder ein Diabetes mellitus vorhanden sind und der Patient nicht ▄ unter Nierenversagen oder Hyperkaliämie leidet. Prof. Dr. med. Uwe Zeymer Klinikum Ludwigshafen und Institut für Herzinfarktforschung Ludwigshafen

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Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit1514

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ATOLL = Acute STEMI Treated with primary PCI and intravenous enoxaparin Or UFH to Lower ischemic and bleeding events at short and Long-term follow-up 2 HORIZONS = Health Outcomes and Reduced Incidence With Zoledronic Acid Once Yearly 3 EUROMAX = European Ambulance Acute Coronary Syndrome Angiography 4 STREAM = Strategic Reperfusion Early after Myocardial Infarction 5 TASTE = Thrombus Aspiration in ST-Elevation Myocardial Infarction in Scandinavia 6 PRAMI = PReventive Angioplasty in Myocardial Infarction 7 COURAGE = Clinical Outcomes Utilizing Revascularization and Aggressive Drug Evaluation

Perspektiven | Deutsches Ärzteblatt

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AKUTER HERZINFARKT

Was neu und wichtig ist Der frühzeitige Einsatz von interventionellen Reperfusionsverfahren mit potenten Thrombozytenhemmern verbessert die Prognose von Patienten mit akutem Myokardinfarkt (STEMI).

LITERATUR 1. Zeymer U, et al.: Therapie des akuten ST-StreckenhebungsMyokardinfarkts in Krankenhäusern mit und ohne Herzkatheterlabor Ergebnisse des Deutschen Herzinfarkt-Registers (DHR). Deutsche Medizinische Wochenzeitschrift 2013; 138: 1935–40. 2. Steg G, James SK, Atar D, et al.: ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. European Heart Journal 2012; 33: 2569–619. 3. Zeymer U, Kastrati A, Rassaf T, et al.: Kommentar zu den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie zur Therapie des akuten Herzinfarktes bei Patienten mit ST-Hebung. Kardiologie 2013; 7: 410–22. 4. Ibanez B, et al.: Effect of early metoprolol on infarct size in STsegment-elevation myocardial infarction patients undergoing primary percutaneous coronary intervention. The effect of metoprolol in cardioprotection during an acute myocardial infarction (METOCARD-CNIC) Trial. Circulation 2013; 128: 1495–503. 5. Parodi G, et al.: Comparison of prasugrel and ticagrelor loading doses in ST-segment elevation myocardial infarction patients. J Am Coll Cardiol 2013, 61: 1601–6. 6. Montalescott G, Zeymer U, Silvain J, et al.: Intravenous enoxaparin or unfractionated heparin in primary percutaneous coronary intervention for ST-elevation myocardial infarction: the international randomised open-label ATOLL trial. Lancet 2011; 378: 693–703. 7. Steg PG, van t’Hoff, Hamm C, et al.: Bivalirudin started during emergency transport for primary PCI. NEJM 2013; 369: 2207–17. 8. Armstrong P, Gershlick A, Goldstein P, et al.: Fibrinolysis of primary PCI in ST-Segment elevation myocardial infarction. NEJM 2013; 368: 1379–87. 9. Fröbert O, et al.: Thrombusaspiration during ST-elevation myocardial infarction. NEJM 2013: doi: 10.1056/NEJMoa1308789 10. Wald D, et al.: Randomized trial of preventive angioplasty in myocardial infarction. NEJM 2013, 369: 1115–23. 11. Mehta SR, Jolly SS, Kerns J, et al.: Effects of radial versus femoral artery access in patients with acute coronary syndromes with or without ST-segment elevation. J Am Coll Cardiol 2012; 60: 2490–9. 12. Thiele H, Zeymer U, Neuman FJ, et al.: Intra-aortic balloon counterpulsation in acute myocardial infarction complicated by cardiogenic shock (IABP-SHOCK II): Final 12 month of a randomised, open-label trial. Lancet 2013; 382: 1638–45.

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