Predigt Rüsselsheim, 8. Februar 1998

Was ist ein Mensch wert? Was ist ein Mensch wert? Diese Frage ist leicht zu beantworten. Der Körper eines Menschen enthält genügend Eisen für ein halbes Dutzend Nägel Phosphor, aus dem man immerhin 800.000 Zündholzköpfe herstellen kann die Menge Glyzerin, die man braucht, um 15 kg Dynamit zu produzieren 20 Eßlöffel Salz genügend Kalk für einen Zimmeranstrich und soviel Graphit, daß man daraus 1.000 Bleistifte machen kann Das ergibt einen Materialwert von DM 72.- Diese Angaben sind nicht gerade taufrisch, so daß der Wert inzwischen inflationsbedingt wesentlich höher liegen kann - soviel zu unserer Ermutigung. „Was ist ein Mensch wert?” Es wird mir wohl niemand widersprechen wollen, wenn ich sage, daß man den Wert eines Menschen nicht an der Verwertbarkeit der in seinem Körper enthaltenen Chemikalien messen kann. Einig sind wir uns sicherlich auch darin, daß wir Menschen ganz dringend das brauchen, was man heute das „Selbstwertgefühl” nennt, d.h. die Überzeugung, wertvoll zu sein. Die Frage ist nur, wie man diesen Wert mißt bzw. woran man sein Selbstwertgefühl festmacht. Ich möchte in den nächsten Minuten vier verschiedene Vorschläge dazu darstellen und zu bewerten versuchen, wobei für uns als bewußte Christen neben dem gesunden Menschenverstand immer von höchster Bedeutung ist, was die Bibel, Gottes Wort, dazu sagt. 1) 2) 3) 4)

Besitz Leistung Charakter Wertschätzung Anderer

1) Besitz „Haste was, dann biste was!” In unserer Gesellschaft verschafft Geld nicht nur Luxus und ein angenehmes Leben, nicht nur Einfluß und Macht, sondern auch Ansehen und Anerkennung. Viel zu viele Menschen lassen sich immer noch blenden von Nobelkarossen, Luxusvillen und Designer-Kleidung, ohne darüber nachzudenken, ob die überhaupt bezahlt sind und woher dieser Reichtum kommt: selbst verdient, im Lotto gewonnen, geerbt oder auf unrechtmäßige Weise erworben? Egal, wie verwerflich, menschenverachtend und hinterträchtig eine Sache ist - wenn damit viel Geld zu verdienen ist, wird es immer Leute geben, die es tun. Während des ersten Golfkrieges beispielsweise haben deutsche Geschäftsleute Material für Skud-Raketen an den Irak geliefert, die gegen Israel eingesetzt wurden. Die Rechtfertigung lautet dann meistens: „Wenn ich es nicht tue, dann macht’s jemand anders.”

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Predigt Rüsselsheim, 8. Februar 1998 Manche Wohlhabenden tun viel Gutes mit ihrem Reichtum wie z.B. der gläubige Schuhfabirkant Horst Deichmann. Andere dagegen sind große Egoisten. Viele Millionäre zahlen keinen Pfennig Steuern, teils durch Steuerhinterziehung, teils durch Ausnutzung von Schlupflöchern im Gesetz. Ausgerechnet das Finanzamt Bad Homburg leistet mehr Rückzahlungen und Erstattungen, als daß es einnimmt.1 Der Wert eines Menschen läßt sich nicht von seinem Kontoauszug ablesen! Die Bibel verurteilt Reichtum als solchen nicht, aber sie warnt ausdrücklich vor einer hohen Meinung von Menschen nur wegen deren Wohlstand. Jak. 2, 2 - 4a. 6b („Hoffnung für Alle“) Stellt euch einmal vor, in eure Gemeinde kommt ein vornehm gekleideter Mann mit dicken, goldenen Ringen an den Fingern. Zur selben Zeit kommt einer, der arm und schäbig gekleidet ist. Wie würdet ihr euch verhalten? Ihr würdet euch von dem Reichen beeindrucken lassen und ihm eilfertig anbieten: „Hier ist noch ein guter Platz für Sie!” Aber zu dem Armen würdet ihr sicherlich sagen: „Bleib stehen oder setze dich da hinten auf den Fußboden.” Dürft ihr als Christen solche Unterschiede machen? Habt ihr denn noch nicht gemerkt, daß es gerade die Reichen sind, die euch unterdrücken und vor die Gerichte schleppen? Was ist ein Mensch wert? Sein Besitz hat damit nichts zu tun!

2) Leistung Neue Meinungsumfragen in den USA bzgl. Präsident Clinton haben ergeben, daß mehr als die Hälfte der Bewohner glaubt, daß der Sex-Skandal auf Tatsachen beruht. Dennoch ist die überwiegende Mehrheit äußerst zufrieden mit ihm. Der Grund ist die Wirtschaftslage: niedrige Arbeitslosenzahlen und gerade jetzt erstmals ein ausgeglichener Staatshaushalt (voraussichtlich gibt es einen Überschuß im neuen Haushaltsjahr).2 Was zählt, ist Leistung. Das ist auch ein wesentlich besserer Wertmaßstab als Besitz! Im Lotto gewinnen ist Glücksache; eine Million selber erwirtschaften durch ehrliche Arbeit, das ist schon eine Leistung. Das Problem ist, daß in unserer Gesellschaft ziemlich einseitig die spektakulären, plakativen, einfach meßbaren Leistungen wahrgenommen, anerkannt und bewundert werden. Ich kann das oft nicht so ganz nachvollziehen. Otto Rehhagel hat es geschafft, daß der 1. FCK nicht nur wieder aufgestiegen ist in die erste Bundesliga, sondern sogar Deutscher Meister geworden ist. Das ist eine tolle Leistung. Aber wenn eine Frau seit Jahren ihren Mann pflegt, der infolge eines Schlaganfalls schwer pflegebedürftig ist, per Magensonde ernährt werden muß und nicht sprechen kann oder sich sonst mitteilen - das ist m.E. eine viel größere Leistung. Nur wird das in der Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen. Manche Männer prahlen damit, mit mit wieviel Frauen sie schon sexuelle Beziehungen gehabt haben, und sie werden von anderen Männern dafür bewundert. Dabei ist es eine viel größere Leistung, wenn ein Mann von seiner Hochzeit bis zu seinem Tod seiner Frau treu bleibt, sie wirklich liebhat und zu ihr hält „in guten wie in bösen Tagen”. Was ist ein Mensch wert? Welche Maßstäbe gibt es dafür? Leistung ist ein besseres Kriterium als Besitz; aber sie wird oft sehr einseitig bemessen. Ein weiteres Problem: Je älter man wird, desto mehr nehmen die körperlichen und gesundheitlichen und oft auch psychischen Kräfte ab und damit auch die Leistungsfähigkeit. 1

In Bad Homburg wohnen viele wohlhabende Banker und andere, die in Frankfurt sehr viel Geld verdienen.

2

Zeitung „Mainspitze“ vom 03.03.98, S. 3

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Predigt Rüsselsheim, 8. Februar 1998 Aber in einer leistungsorientierten Gesellschaft wird die Jugend vergöttert, und alte, behinderte oder schwerkranke Menschen werden verachtet und nur als Belastung betrachtet. Das ist für den Einzelnen kein Problem, solange man jung, gesund und unversehrt ist. Aber jeden Menschen kann jederzeit ein schwerer Unfall oder eine schlimme, unheilbare Krankheit treffen. Und das Alter kommt viel, viel schneller, als man denkt. In Ländern der „Dritten Welt“ ist die Bezeichnung „Greis” dagegen oft ein ehrerbietiger Ausdruck! Die Vergötterung der Jugend und Verachtung des Alters sind Degenerationserscheinungen der westlichen (Un-)kultur! Auch die Leistung ist also ein untauglicher Maßstab für den Wert eines Menschen. Die Bibel fordert Leistung im Beruf und im selbstlosen Einsatz für andere Menschen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst = tue, wenn nötig, das für andere Menschen, was du auch für dich selbst tust. Aber sie macht auch deutlich: Gott kann uns nicht aufgrund unserer Leistungen akzeptieren, denn alle unsere guten Taten machen nicht eine unserer bösen Gedanken, Worte und Handlungen ungeschehen.

3) Charakter Wer keinen Charakter hat, ist kein Mensch, sondern eine Sache. 3 Spr. 11, 22 Ein goldener Ring im Rüssel einer Sau, ist eine Frau, die schön, aber ohne Feingefühl ist. Das ist ein besserer Maßstab für den Wert eines Menschen als Besitz und Leistung, weil Charakter nicht abhängig ist von Lebensalter, Gesundheit und Kraft. Wie zeigt sich das? Ich denke da an einen Mann, der eigentlich gegen einen Weihnachtsbaum im Gemeindehaus ist. Nun hat die Gemeinde aber sich im vergangenen Jahr anders entschieden, und so hat er einen geeigneten Baum gefällt, antransportiert und aufgestellt. Das nenne ich Charakter! Oder ich denke an einen anderen Mann, der in der Nazizeit aufgewachsen ist und jeden Morgen seinen Lehrer, der ein strammer Nazi war, mit „Guten Tag“ begrüßte statt mit „Heil Hitler“ und dafür jeden Morgen eine Tracht Prügel von ihm bezog. Solche Charakterzüge sind viel bewundernswerter als der größte Besitz und die imposantesten Leistungen. Und dennoch sind auch sie nicht der ideale Wertmaßstab. Das liegt daran, daß jeder von ihnen seine gute und seine schlechte Seite hat:

Positive und negative Aspekte von Charakterzügen

3

+

-

großzügig

nachlässig

willensstark

starrsinnig, stur

anpassungsfähig

zu leicht beeinflußbar

begeisterungsfähig

flatterhaft, unbeständig

entschlußfreudig

voreilig, unbedacht

Chamfort, Maximen IV, zit. nach Eberhard Puntsch, Zitate-Handbuch S. 103

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Predigt Rüsselsheim, 8. Februar 1998 ruhig, ausgeglichen

zu phlegmatisch

kontaktfreudig

oberflächlich

Was sagt die Bibel dazu? Wie wir anhand des drastischen Bibelwortes von der Sau gesehen haben, räumt sie einem guten Charakter einen hohen Stellenwert ein. Andererseits: Der heilige Gott ist vollkommen, fehlerlos und absolut ohne jede Charakterschwäche. Dinge wie Bosheit, Hinterlist, Unaufrichtigkeit oder Untreue sind Ihm unmöglich, weil sie unvereinbar sind mit Seinem Wesen. Darum sieht Er auch den besten menschlichen Charakter negativ: Mat. 15, 19 Aus dem Herzen kommen böse Gedanken, die dann zu Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, Lüge und Verleumdung führen. Röm. 3, 23 Denn darin sind alle Menschen gleich: Alle sind Sünder und haben nichts aufzuweisen, was Gott gefallen könnte. Was ist ein Mensch wert? Auch der Charakter ist kein wirklich guter Wertmaßstab.

4) Wertschätzung Anderer Eine Mutter fragte ihren vierzehnjährigen Sohn: „Was gefällt deiner Freundin eigentlich so an dir?” „Sie findet, daß ich gut aussehe, ein netter Kerl bin und gut tanzen kann.” „Und was gefällt dir an ihr?” „Daß sie so über mich denkt.” Das Beste, was einem Menschen passieren kann, ist, von anderen bedingungslos angenommen und geliebt zu werden. Die Menschen, die wir liebhaben, sind für uns wertvoll und kostbar, so daß es uns nicht schwerfällt, für sie (wenn nötig) zu verzichten und Opfer zu bringen. Und umgekehrt: Für Menschen, die uns liebhaben, sind wir wertvoll und kostbar. Ich finde, das ist der beste Wertmaßstab. Das gibt uns ein gesundes, stabiles Selbstwertgefühl und Selbstbewußtsein, zu wissen, daß wir von anderen Menschen bedingungslos und vorbehaltlos angenommen und geliebt werden, und zwar nicht wegen unseres Besitzes, nicht wegen unserer Leistungen, nicht wegen unseres Charakters, sondern um unserer selbst willen. Das wird auch von der Bibel bestätigt: Gott liebt uns ohne Vorbedingungen und vorbehaltlos. Seine Liebe zu uns ist unveränderlich, unerschöpflich und unermeßlich groß und tief. Jes. 43, 4 Weil du teuer bist in meinen Augen und wertvoll bist und ich dich liebhabe ... Es gibt Menschen, die ein paar Tausend DM bezahlen für einen Steiff-Teddy, der ein paar Jahrzehnte alt und schon etwas unansehnlich ist. Das nennt man „Liebhaberpreise”: Die Sache ist jemandem so wertvoll, daß er bereit ist, ein Vielfaches vom objektiven Wert zu zahlen.

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Predigt Rüsselsheim, 8. Februar 1998 Das ist die Botschaft der Bibel: Wir Menschen haben in Gottes Augen eigentlich nichts Sympathisches, Anziehendes oder Wertvolles. Im Gegenteil: Daß wir täglich Seine guten Gebote übertreten, sei es absichtlich oder unabsichtlich, macht uns für den heiligen Gott, der die Sünde haßt, eigentlich äußerst abstoßend. Und dennoch hat Er uns so sehr lieb, daß wir für Ihn unendlich wertvoll und kostbar sind. Deshalb hat Er einen ganz enorm hohen Liebhaberpreis für uns gezahlt: Joh. 3,16 Denn so hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Um uns die verdiente Strafe für unsere Schuld zu ersparen, die wir immer wieder neu auf uns laden, hat Er Seinen Sohn an unserer Stelle bestraft, der nie auch nur eine einzige Sünde begangen hat. Er hat zugelassen und gewollt, daß Jesus Christus einen qualvollen, schändlichen und jämmerlichen Tod als unschuldiger Schwerverbrecher am Kreuz gestorben ist, um so unsere Schuld zu sühnen. Auf dieser Grundlage kann Gott uns vergeben und uns annehmen. Jeder Mensch hat einen unvorstellbar hohen Wert, weil Gott ihn liebhat und weil er in Gottes Augen kostbar ist. Du hast vielleicht nur ein Durchschnittseinkommen (oder weniger?). Du wirst nie ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen werden mit deinen Leistungen. Du bist keine Mutter Teresa und kein Albert Schweitzer. Du hast vielleicht keinen Menschen, der dich bedingungslos annimmt und liebhat. Und dennoch darfst Du wissen: Du bist ungeheuer wertvoll, weil Gott dich unendlich liebhat. Er nimmt dich an so, wie du bist, ohne Vorbedingungen. Er hat nur einen Wunsch: Daß Du das Geschenk Seiner Liebe und Vergebung persönlich annimmst. Das kannst Du ganz einfach tun, indem Du Ihm dafür im Gebet dankst und es für Dich in Anspruch nimmst.

Was ist ein Mensch wert? Wir müssen nicht nach Besitz streben. Wir müssen nicht versuchen, großartige Leistungen zu vollbringen. Wir müssen nicht uns bemühen, unseren Charakter zu verbessern, um wertvoll zu sein. Der allmächtige und heilige Gott, der Schöpfer und Herrscher des ganzen Universums, betrachtet jeden einzelnen Menschen als so wertvoll, daß Er Seinem einzigen und geliebten Sohn Jesus Christus zugemutet hat, an unserer Stelle zur Sühnung unserer Schuld am Kreuz zu sterben. Wer dieses Geschenk bewußt annimmt, der bekommt die Gewißheit, daß seine Schuld vergeben ist und daß diese Liebe Gottes auch ihm persönlich gilt. Was machst du mit diesem kostbaren Geschenk?

Detlev Fleischhammel

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