Was ist das Wichtigste beim Lernen? Folgerungen aus der Hattie-Studie, Teil 1: Die Lehrperson im Zentrum der Betrachtungen 1

1 Ulrich Steffens & Dieter Höfer Institut für Qualitätsentwicklung Walter-Hallstein-Str. 5-7, 65197 Wiesbaden Fon: 0611 / 5827-320; E-Mail: ulrich.ste...
Author: Oldwig Buchholz
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1 Ulrich Steffens & Dieter Höfer Institut für Qualitätsentwicklung Walter-Hallstein-Str. 5-7, 65197 Wiesbaden Fon: 0611 / 5827-320; E-Mail: [email protected]

20. August 2012

Was ist das Wichtigste beim Lernen? Folgerungen aus der Hattie-Studie, Teil 1: Die Lehrperson im Zentrum der Betrachtungen1 Vor ca. drei Jahren wurde eine Studie veröffentlicht, die inzwischen eine Popularität erreicht hat, die die großen internationalen und nationalen Vergleichsuntersuchungen (wie PISA, TIMSS oder IGLU) in den Schatten stellen könnte. Es handelt sich dabei um eine Forschungsbilanz von John A. C. Hattie zur Wirksamkeit von Lehren und Lernen. Sie trägt den Titel „Visible Learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement“ und ist 2009 in englischer Sprache bei Routledge (London & New York) erschienen. Zentrale Ergebnisse dieser Studie wurden von den Autoren bereits vorgestellt (siehe dazu Steffens & Höfer 2011 a und 2011 b). Vor diesem Hintergrund sollen nunmehr einige Handlungsperspektiven in loser Folge in mehreren Beiträgen aufgezeigt und zur Diskussion gestellt werden. Wir beginnen diese Serie mit einem ersten Beitrag, in dem die Lehrperson im Zentrum der Betrachtungen steht. Aufgrund der Komplexität der Studie mit ihren umfangreichen Ergebnissen liefert sie zahlreiche Hinweise und Ansatzpunkte für praktische Konsequenzen. Natürlich ist es erst einmal so, dass sich aus den Daten selbst keine direkten Schlussfolgerungen ableiten lassen, zumal sich, durch die Untersuchungsmethode der „Metaanalyse“ bedingt, keine Ursache-WirkungsZusammenhänge darstellen lassen. Aber wenn beispielsweise „metakognitive Strategien“ oder „Problemlösen“ hochwirksame unterrichtliche Vorgehensweisen sind (vgl. dazu unseren Beitrag in Heft 10/2011), dann ist es schon naheliegend, sie für die weitere Unterrichtsentwicklung zu empfehlen. Darüber hinaus bieten sich zahlreiche Konsequenzen an, sei es durch die Schlussfolgerungen, die Hattie selbst auf der Grundlage der Ergebnisse vornimmt oder sei es durch eine Einbettung der Ergebnisse in den jeweiligen Forschungsstand der einzelnen Untersuchungsbereiche und den damit verbundenen Erkenntnissen. Ohne eine solche Einordnung der einzelnen Befunde in den jeweiligen Erkenntniszusammenhang ist die Gefahr der Fehldeutungen allerdings groß. So würde sicherlich niemand auf die Idee kommen, beispielsweise auf ein problemorientiertes Vorgehen oder auf außerschulisches Lernen gänzlich verzichten zu wollen, nur weil die entsprechenden Kennwerte in Hatties Forschungssynopse keine Effekte bei den Fachleistungen anzeigen (d = .15 und .09), zumal es gute pädagogische Gründe für solche Lernansätze gibt. Ähnliches lässt sich beispielsweise für konfessionelle Schulen sagen, die im Hinblick auf Fachleistungen nur geringfügige Wirkungen zeigen (d = .23).2 Die drei Beispiele sollen deutlich machen, dass bei der Konsequenzenplanung das Zielkriterium mitbedacht werden muss. Die drei Beispiele machen deutlich, dass bei der Planung von Maßnahmen immer auch die jeweilige spezifische Zielsetzung gesehen werden muss. Eine messbare Verbesserung von Schülerleistungen ist dabei sicher eine wichtige, aber eben keineswegs die einzige sinnvolle Zielsetzung. 1

Das vorliegende Manuskript ist zwischenzeitlich erschienen in: SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz, 17 (2012), Heft 11, S. 290-292. 2 Was die Effektmaße anbelangt, so sei hier daran erinnert, dass ab dem Wert d ≥ .20 von kleinen Effekten, ab d ≥ .40 von moderaten und ab d ≥ .60 von großen Effekten gesprochen wird. Um eine Vorstellung über die praktische Bedeutsamkeit zu bekommen, sei darauf verwiesen, dass – je nach Lernbereich bzw. Lerngegenstand – Effektmaße von d = .30 bis .40 einen Lernunterschied von einem Schuljahr anzeigen (für eine ausführlichere Beschreibung der Effektmaße siehe unseren Beitrag in Heft 10/2011 dieser Zeitschrift).

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In der vorliegenden Forschungsbilanz von Hattie standen Lernleistungen von Schülerinnen und Schülern im Mittelpunkt, vorrangig fachliche Leistungen, wie sie in klassischen Wissenstests, im Regelfall für die Hauptfächer, erfasst wurden. Trotz dieser recht eingegrenzten Erfassung des Leistungsspektrums von Schulen ist überraschend, welche pädagogisch ‚fruchtbare’ und weitreichende Folgerungen impliziert sein können. Kaum vorzustellen, welcher Erkenntnisgewinn möglich wäre, gäbe es eine breitere schulische Wirkungsforschung. Die hier zur Diskussion gestellten Handlungsperspektiven befassen sich zunächst nur mit Folgerungen, die Hattie selbst anspricht.

Hatties Forschungsbilanz in eigener Absicht Hatties Buch „Visible Learning …“ ist in seiner Darstellung zwiespältig angelegt: Einerseits ist es gekennzeichnet durch eine recht objektive, geradezu ‚nüchterne’ Beschreibung der Ergebnisse zu den 138 untersuchten Einflussgrößen, so dass es dem Leser nicht immer leicht fällt, dem ‚trockenen’ Text zu folgen. So wird ein Forschungsdetail ans nächste geknüpft und noch eine Metaanalyse zitiert und auf ein weiteres Ergebnismuster verwiesen, so dass der Leser bzw. die Leserin den Eindruck hat, die Ergebnisse aus über 50.000 Studien bzw. 815 Metaanalysen so objektiv wie möglich referiert zu bekommen. Andererseits ist Hatties Buch immer dann, wenn es um praktische Konsequenzen geht, geprägt durch klare Botschaften und durch eine emphatisch vorgetragene normative pädagogische Ausrichtung. Dies wirkt eindringlich und überzeugend, wenngleich die Leserin bzw. der Leser um den Eindruck nicht umhin kommt wahrzunehmen, dass Hattie, sobald es um seine Erziehungslehre geht, sich teilweise mehr durch sein eigenes Anliegen leiten lässt als durch seine zusammengetragenen empirischen Befunde. Insbesondere lässt sich das an seiner Kritik an konstruktivistischen Ansätzen zu Lehren und Lehren (siehe dazu z. B. S. 243f.3) sowie an seinem Plädoyer für eine Lehrperson als „activator“ in Abgrenzung zu einer Lehrperson als „facilitator“ (siehe dazu nachstehenden entsprechenden Teil) ablesen. „Visible Learning“ – Die Wirkungen des Lehrerhandelns in den Blick nehmen Der Titel des Buches „Visible Learning“ ist für Hattie Programm. Mit „visible“ meint Hattie alles, was dazu beiträgt, die Wirksamkeit von Lernprozessen sichtbar zu machen, und zwar sichtbar im Sinne von erkennbar, belegbar, einsehbar, aber auch thematisierbar und verhandelbar. Dementsprechend ist auch seine programmatische Aussage zu verstehen: „Feedback to teachers helps make learing visible“ (S. 173). Das Sichtbarmachen von Lehr- und Lernprozessen („visible“) mit dem Ziel verbesserter Schülerleistungen bedeutet in einer praktischen Perspektive, Wirksamkeit von Unterricht aufzuzeigen. Insofern findet Hatties Idee des „Visible teaching and learning“ eine Entsprechung in Leitbegriffen wie „empirische Wende“ oder „Outputorientierung“, von denen sich die aktuelle Bildungsplanung beeinflusst sieht. „Visible teaching and visible learning“ bedeutet zunächst einmal „sichtbares Lehren und Lernen“, aber auch „erkennbares, erfahrbares Lehren und Lernen“. Ein solches „visible teaching and learning“ findet statt, wenn beispielsweise Lehrende darauf achten, wo Schülerinnen und Schüler in ihren Lernprozessen stehen und sich vor Augen führen, wie sie lernen, wenn beispielsweise Lehrpersonen erkennen können, über welche Kompetenzen die Schülerinnen und 3

Im Folgenden beziehen sich Seitenangaben ohne Autorennennung immer auf Hattie 2009.

3 Schüler bereits verfügen und auf welcher Stufe der Kompetenzentwicklung diese stehen: „Wer in Kompetenzstufen denkt und während des Unterrichts gezielt beobachtet, wird nicht starr, sondern flexibel. Er kann schneller und sicherer umsteuern, wenn er erkennt, dass einzelne Schülerinnen und Schüler das bei der Planung zugrunde gelegte Kompetenzniveau noch nicht erreicht oder schon lange überschritten haben.“ (Bauch et al. 2011)

Feedback in den Mittelpunkt rücken „Sichtbar“ werden Lehr- und Lernprozesse für Hattie dann, wenn Schülerinnen und Schüler ihren Lehrpersonen ein Feedback geben, aber auch umgekehrt. Feedback ist also in doppelter Weise zu verstehen: Einerseits erhalten die Lernenden vom Lehrenden ein Feedback über ihren Lernstand, andererseits geben sie als Lernende dem Lehrenden ein entsprechendes Feedback über seinen Unterricht bzw. sein unterrichtliches Verhalten. Auch „formative ‚Evaluation“ bietet die Möglichkeit, Lehrprozesse sichtbar zu machen. Unter formativer Evaluation verstehen wir eine systematische Nutzung aller zugänglicher Informationen, die Auskunft über Lernmöglichkeiten, Lernstand, Lernprozesse und Lernerträge der Schülerinnen und Schüler liefern. Das können ganz kleine Informationsbestandteile sein, z. B. hinsichtlich noch bestehender Schwächen und Stärken in einer Lernsequenz, oder Ergebnisse aus Lernstandsgesprächen mit Kindern und Jugendlichen, kleine Leistungstests oder Klassenarbeiten, aber auch systematisch generierte Daten im Rahmen standardisierter Lernstandserhebungen im Sinne von Vera 3 oder Vera 8. Folgende Fragentrias ist dabei für Hattie konstitutiv: „Were are you going?“ „How are you going?“ und „Where to next?“ Dabei hat Hattie die Empirie auf seiner Seite: „Formative Evaluation“ steht an erster Stelle der beeinflussbaren Faktoren (das Effektmaß beträgt d = .90). Auch „Feedback“ nimmt (mit dem Effektmaß d = .74) einen herausgehobenen Platz ein. Entsprechend den drei Leitfragen, geht es um ein Feedback zur Aufgabe („Was ist mein Ziel?“), um ein Feedback zum Lernprozess („Wie erreiche ich mein Ziel?“) und um ein Feedback zur Steuerung des eigenen Arbeitsprozesses („Was kommt als nächstes?“).

Unterrichtsgestaltung mit den Augen der Lernenden Hattie erwartet von Lehrerinnen und Lehrern, Unterricht mit den Augen der Lernenden zu gestalten. Damit meint er, dass Lehrpersonen sich darüber im Klaren sind, was einzelne Schülerinnen und Schüler denken und wissen (S. 36) und dass Lehrpersonen sich in die Lernprozesse hineinversetzen und diese in der Perspektive der Schülerinnen und Schüler wahrnehmen können sollen, um vor diesem Hintergrund Lernprozesse aktiv gestalten zu können: „If the teacher’s lens can be changed to seeing learning through the eyes of students, this would be an excellent beginning.“ (S. 252) Auf diese Weise werden nach Hattie die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler für die Lehrenden „sichtbar“. Für Hattie ist es demzufolge wichtig, dass Lehrpersonen die Wirkungen ihres Tuns in den Blick nehmen. Dazu führt er aus: Solche Lehrer, die sich als Lernende ihrer eigenen Wirkungen verstehen, sind hinsichtlich der Lernprozesse und Lernerfolge von Schülerinnen und Schüler die einflussreichsten (S. 24). Diese evaluative Orientierung – die beständige Beobachtung des eigenen Handelns im Sinne einer Selbstwirksamkeitsprüfung – scheint der zentrale Eingangsschlüssel zu Hatties ‚Haus der Pädagogik‘ zu sein. Ein entsprechendes Vorgehen ist nicht voraussetzungsreich. Hattie rät Lehrerinnen und Lehrern: „Fangen Sie an, sich Rückmeldung über ihre eigene Wirksamkeit geben zu lassen. Sagen

4 Sie: ‚Ich will herausfinden, wie gut ich unterrichte.‘ Wer hat was gelernt, was nicht, worüber; ist es wirksam; wohin geht es als nächstes. … Dies ist ein hervorragender Ausgangspunkt (…).“ (Berger 2012) Entsprechende Rückmeldemöglichkeiten werden inzwischen in einigen Bundesländern von den Landesinstituten angeboten. Beispielsweise hat das Institut für Qualitätsentwicklung in Wiesbaden ein Instrumentarium auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse aus der LehrLernforschung und in Orientierung am „Hessischen Referenzrahmen Schulqualität“ entwickelt (siehe dazu Steffens et al. 2011), mit dem sich Lehrerinnen und Lehrer ein Feedback von ihren Schülerinnen und Schülern über ihren Unterricht geben lassen können. Das Instrumentarium „Fragebögen zur Unterrichtsqualität“ sowie ein einfaches Auswertungsprogramm und Hinweise zum Einsatz der Fragebögen (einschließlich Anregungen zu einem gemeinsamen Auswertungsgespräch mit den Schülerinnen und Schülern) können von der Homepage des Instituts heruntergeladen werden (www.iq.hessen.de, zu finden unter Referenrahmen, interne Evaluation). So wichtig dabei die Ergebnisse der Klasse bzw. Lerngruppe sind, das Entscheidende dabei ist es, mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen, um Verbesserungsmöglichkeiten diskutieren und verabreden zu können. Man könnte mit Hattie argumentieren, dass bei formativer Evaluation nicht so sehr die Daten selbst entscheidend sind, sondern „die Geschichte, die den Daten zugrunde liegt“. (Berger 2012) Unter dem Strich geht es Hattie darum: „Wenn Lehrkräfte mehr Feedback über die eigene Wirksamkeit erhalten, dann sind die Schüler die größten Nutznießer.“ (Berger 2012). Feedback darf allerdings nicht mit Lob und Tadel verwechselt werden. Denn Lob und Tadel sind demgegenüber weitgehend wirkungslos. Entscheidend ist nach Hattie, dass Feedback Informationen zu den nächsten Lernschritten enthalten muss, ansonsten neigen Schülerinnen und Schüler dazu, Feedback nicht zu nutzen (siehe Berger 2012).

Die Lehrperson als aktive Gestalterin oder als Begleiterin von Lernprozesen? Hatties Primat der „Direkten Instruktion“ Für Hattie steht außer Zweifel, dass die Forschungssynopse auf einen erfolgreichen Unterricht verweist, bei dem die Lehrperson im Zentrum des Geschehens steht und diese die Lernsequenzen initiiert und situiert. Ganz allgemein gesprochen, sorgen die Lehrenden für eine effektive und störungsarme Klassenführung, für ein anregungsreiches Lernklima und für kognitiv aktivierende Lernaufträge, Aufgabenstellungen und Erklärungen. Dabei kommt es vor allem auf angeleitete Lernprozesse an, und zwar in Form von gut strukturierten Erklärungen, anschließenden Verdeutlichungen und Lösungsbeispielen sowie Übungen – angepasst an das Vorwissen der Lernenden. Ein solcher Unterricht wird mit „Direkter Instruktion“ umschrieben und ist – wie den Ergebnissen der Hattie-Studie zu entnehmen – offenen Lernmethoden wie entdeckendes, problemorientiertes, induktives, außerschulisches, forschendes oder experimentierendes Lernen im Hinblick auf Fachleistungen überlegen. Die Ergebnisse zeigen, so Hattie (S. 243), dass aktiver und von Lehrpersonen gelenkter Unterricht effektiver ist als ein Unterricht, bei dem die Lehrenden als Lernbegleiter und Lernunterstützer nur indirekt in das Geschehen eingreifen: „(…) only minimal guidance (…) does not work“. Mit dieser pointierten Folgerung bezieht Hattie eine klare Position zum Verhältnis von „Direkter Instruktion“ und offenen Lernarrangements. „Direkte Instruktion“ besser als ihr Ruf

5 In einer Gegenüberstellung von aktivierendem und ermöglichendem Lehrerverhalten („teacher as activator“ und „teacher as faciliator“; S. 243) versucht Hattie die Überlegenheit der „Direkten Instruktion“ zu untermauern. Allerdings ist seine Zuordnung der Konzepte nicht immer nachvollziehbar, wie der Tabelle auf S. 243 zu entnehmen ist. Einige der wirkungsmächtigen Faktoren, die Hattie dem Lehrertypus des „activators“ zurechnet, könnten genauso gut dem Lehrertypus des „facilitators“ zugerechnet werden. Beispielsweise enthalten die Konzepte „Reciprocal Teaching“, „Meta-cognition strategies“ und „Mastery learning“ auch typische Komponenten eines lernbegleitenden Unterrichtskonzepts. Um seine Sichtweise zu untermauern, geht Hattie hier recht freizügig mit den empirischen Daten um. Zugleich wird bei Hatties Gegenüberstellung deutlich, dass eine pauschale Bilanzierung zu Fehldeutungen führen kann und dass eine differenziertere Betrachtungsweise erforderlich ist als jene, die Hattie im vorliegenden Sachverhalt einnimmt. Demgegenüber ist Hattie unbedingt zuzustimmen, wenn er meint, dass die „Direkte Instruktion“ zu Unrecht einen schlechten Ruf hat. Denn alle Forschungsbefunde zeigen, wie wirksam sie ist (vgl. hierzu auch Wellenreuther 2010, S. 331 ff.). Ein Wesenszug der Direkten Instruktion ist die lehrerzentrierte Lenkung des Unterrichtsgeschehens. Die Lehrperson ist in allen Lernprozessen präsent; man könnte auch sagen, dass sie die Klasse und den Unterricht im Griff hat. Ein solcher Unterricht darf nicht mit einem fragengeleiteten Frontalunterricht verwechselt werden. Er ist vielmehr sehr anspruchsvoll und eröffnet den Schülerinnen und Schülern vielfältige Lerngelegenheiten, über deren Nutzung und Nutzen die Lehrperson ‚wacht’. Sie übernimmt sozusagen Verantwortung dafür, dass und wie gelernt wird. Die „Direkte Instruktion“ besteht nach Hattie aus sieben Schritten (S. 205 f.), und zwar aus (1) (2) (3) (4)

(5) (6)

(7)

klaren Zielsetzungen und Erfolgskriterien, die für die Lernenden transparent sind; der aktiven Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler in die Lernprozesse; einem genauen Verständnis der Lehrperson, wie die Lerninhalte zu vermitteln und zu erklären sind; einer permanenten Überprüfung im Unterrichtsprozess, ob die Kinder bzw. Jugendliche das Gelernte richtig verstanden haben, bevor im Lernprozess weiter vorangegangen wird; einem angeleiteten Üben unter der Aufsicht der Lehrperson; einer Bilanzierung des Gelernten auf eine für die Lernenden verständliche Weise, bei der die wesentlichen Gedanken bzw. Schlüsselbegriffe in einem größeren Zusammenhang eingebunden werden; einer wiederkehrenden praktischen Anwendung des Gelernten in verschiedenen Kontexten.

Aus diesen Schritten lässt sich ein Unterrichtsarrangement herauslesen, das durch Strukturierung, Regelklarheit und Klassenführung, durch eine kognitive Aktivierung mit Blick auf die „Tiefenstrukturen“ beim Lernen sowie durch evaluative Lehr- und Lernhaltungen gekennzeichnet ist. Lernen in diesem Sinne ist dann erfolgreich, wenn es dem Lernenden gelingt, über die Ebene neuer Wissensinformationen (Oberflächenstruktur: „surface“) hinauszukommen und ein Verständnis zugrunde liegender Zusammenhänge (Tiefenstruktur: „deep“) zu erreichen, das seinerseits in bereits vorhandene Theoriekonzepte (Weltbildstruktur: „conceptual“) sinnvoll integriert werden kann. Die dargestellten Schritte folgen einer Art Regelablauf unterrichtlicher Prozesse, wie er auch in reformpädagogischen Konzeptualisierungen vorzufinden ist, beispielsweise in dem „Pro-

6 zessmodell“ des Amts für Lehrerbildung (AfL), das sich an dem „Förderkreislauf“ des Schweizer Lehrerfortbildners und Schulberaters Fritz Zaugg orientiert (Bauch et al. 2011).

Kein Entweder-oder Bei den gegenüberstellenden Vergleichen entsteht der Eindruck, als ob es um ein Entwederoder verschiedener Unterrichtsmethoden geht. Ein solcher ausschließender Vergleich ist allenfalls von allgemeinem Erkenntnisinteresse, aber letztendlich ohne praktische Konsequenzen, weil angeleitete und offene Unterrichtsarrangements im Schulalltag nie in ‚Reinform’ den Unterrichtsalltag bestimmen. Insofern geht es nicht darum, die verschiedenen Unterrichtsformen gegeneinander auszuspielen, weil sie – je nach Zielsetzung – ihre jeweilige Berechtigung haben. Worauf es vielmehr ankommt, ist ihr angemessenes Verhältnis zueinander. Darauf macht auch Hattie in seinem Konzept des sichtbaren Lernens aufmerksam, in dem lehrerzentrierte und schülerzentrierte Phasen kombiniert werden. Hattie kritisiert auch, dass zu häufig die Methoden einer direkten Instruktion und die eines konstruktivistisch angelegten Unterrichtens als einander ausschließend gegenübergestellt und als positiv (konstruktivistisches Unterrichten) bzw. negativ (Direkte Instruktion) charakterisiert werden. Die hierbei zugrundeliegende Ausschließlichkeit und Einseitigkeit widerspricht jedoch klar dem von Hattie propagierten Konzept des sichtbaren Lernens (S. 26). Insofern geht es bei der Steigerung von Unterrichtsqualität nicht um ein Entweder-oder der verschiedenen Methoden, sondern um ein Sowohl-als auch und um eine angemessene Balance, einschließlich der reformpädagogischen Konzepte.

Ausblick Es ist geplant, die Folgerungen aus der Hattie-Studie fortzuführen. Im nächsten Beitrag werden die „Basisdimensionen“ des Unterrichtens in den Blick genommen.4 Weitere Beiträge werden sich mit aktuellen bildungspolitischen Maßnahmen befassen und Hatties Forschungsbilanz hinsichtlich oft in der Bildungsplanung und Schulentwicklung ausgeklammerter Themen diskutiert werden. Literatur Bauch, Werner; Maitzen, Christopher & Katzenbach, Michael (2011): Auf dem Weg zum kompetenzorientierten Unterricht – Lehr- und Lernprozesse gestalten. Ein Prozessmodell zur Unterstützung der Unterrichtsentwicklung. Frankfurt/M.: Amt für Lehrerbildung (AfL). Berger, Regine (2012): John Hattie im Interview zu Visible Learning: „Schüler wollen Feedback“. In: www.visiblelearning.de; Stand: 2. Mai 2012. Steffens, Ulrich & Höfer, Dieter (2011 a): Zentrale Befunde aus der Schul- und Unterrichtsforschung. Eine Bilanz aus über 50.000 Studien. In: In: SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz, 16, Heft 10, S. 267-271. Steffens, Ulrich & Höfer, Dieter (2011 b): Was ist das Wichtigste beim Lernen? Die pädagogisch-konzeptionellen Grundlinien der Hattieschen Forschungsbilanz aus über 50.000 Studien. In: SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz, 16, Heft 11, S. 294-298. Steffens, Ulrich; Diel, Eva; Brömer, Bärbel; Höfer, Dieter; Höhn, Manfred; Hussmann, Eva-Maria unter Mitarbeit von Benisch, Ellen; Knab, Joachim & Schreder, Gabriele (2011): Hessischer Referenzrahmen Schulqualität. Qualitätsbereiche, Qualitätsdimensionen und Qualitätskriterien. Wiesbaden: Institut für Qualitätsentwicklung. Wellenreuther, Martin (2010): Lehren und Lernen – aber wie? Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Siehe dazu das Manuskript von Ulrich Steffens & Dieter Höfer vom 20. August 2012 „Was ist das Wichtigste beim Lernen? Folgerungen aus der Hattie-Studie, Teil 2: ‚Basisdimensionen‘ des Unterrichtens“ auf der Homepage des Instituts für Qualitätsentwicklung. Der Beitrag ist zwischenzeitlich erschienen in: SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz 17 (2012), Heft 12, S. 322-324. 4