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Was das Christentum nicht ist

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Salzburger Briefe

Liebe Sidonia, lieber Honorius Vorige Woche, beim abendlichen Tafelspitz, begannen wir spontan über das Christentum zu reden, weil es im Augenblick wieder ein Thema geworden ist. Sidonia hat uns dabei mit dem Vorschlag überrascht, wir sollten bei dieser Gelegenheit ein besonderes Sprachspiel ausprobieren: nur in Nein- und Nicht-Sätzen sprechen. Sie meinte, die Religionen provozierten in ihrem Pathos so ausschließlich positive Redeformen, das Gespräche häufig dann veröden. ,,Wenn man sich an lauter Ja-Sätzen überfressen hat, ist esc', sagte sie, „erfrischend, für einige Stunden zum Nein hinüberzuwechseln." Wir haben uns in diesem Experiment gut unterhalten. Sidonias Vermutung ließ sich in der kurzen Zeit nicht zu hundert Prozent verifizieren, aber allein die neue Aufmerksamkeit auf die Formulierungen hat uns aufgeweckt und unsere Debatte würziger, ungewöhnlicher gemacht. Es hat sich einige Male gezeigt, dass sich ja und nein in den Sätzen nicht glatt und restlos austauschen lassen. Damit unser Sprachspiel nicht gleich wieder in den Winkeln unseres Bewusstseins verschwindet, habe ich Einiges aufgeschrieben, eine Melange aus meinen nachträglichen Einfallen und aus dem, was bei unserem Essen ausdrücklich zur Sprache kam. Am Anfang und am Ende steht ein ausführlicher Text, und dazwischen hineinverpackt findet ihr die nackten Verneinungen. Ich grüße Euch mit der Beteuerung, dass die Bewirtung, die Sidonia aufgetischt hat, nur der reinen Bejahung wert war.

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Was das Christentum nicht ist

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Das Christentum setzt nicht alles auf die Gesundheit Das Christentum versteht sich nicht als Tragödie

Das Christentum ist kein Feldzug Jesus hat sich den gewaltsamen Aktionsprogrammen verweigert, er kommt nicht als General, auch nicht als gemeiner Soldat. Die göttliche Macht, der Vater genannt, wird nicht militärisch repräsentiert, und an diesem Nein brechen sich die plausiblen Wünsche, die Gottheit möge ihre Interventionsgewalt situationsgerecht einsetzen. Die Theologien des Heiligen Krieges, wie sie Bernhard von Clairvaux entworfen hat, sind als Deformation des Christlichen erkannt worden. Das Christentum legitimiert nicht das Tun seiner Zeugen nach dem Maß der Heftigkeit ihres Handelns als sei je lauter der Ton umso wahrer die Sache. Die Gläubigen des Evangeliums sind nicht ermächtigt, ihre Identität und die Ehre der Icultgestalten mit allen auch ans Leben gehenden Mitteln durchzusetzen. Es ist dem Christentum verwehrt, seine geschichthche Fehlbarkeit zu übersehen, nicht wahrzunehmen, dass die Zeugen der Erlösung der Erlösung bedürfen, eben in dem, was sie tun. Dazu Immanuel I