War die Sprachbewegung in Ost-Pakistan eine soziale Bewegung?

Nr. 25 War die Sprachbewegung in Ost-Pakistan eine soziale Bewegung? Jeannette Rieth 1 Heidelberg Student Papers South Asian Series Editorial Sta...
Author: Alexandra Wolf
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Nr. 25

War die Sprachbewegung in Ost-Pakistan eine soziale Bewegung? Jeannette Rieth

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Heidelberg Student Papers South Asian Series

Editorial Staff

Senior (Executiv) Editor Siegfried O. Wolf, M.A. Editor Siegfried O. Wolf, M.A. Deputy Editor Jivanta Schöttli, M. Phil. Editorial Board Bashir Ahmed, MSS. Nasrullah M. Mirza, M. Phil. Malte Pehl, M.A. Editorial Advisary Board Prof. Subrata K. Mitra, PhD (Rochester) Dr. Clemens Spieß

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Bibliographical Information of the German Library: The German library holds this publication in the German national-bibliography; detailed bibliographical data is available on http://dnb.ddb.de.

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Veröffentlicht im Ortner Verlag, Dresden, Juni 2007 Copyright © 2007 by Ortner Verlag, Dresden, Heidelberg Alle Rechte Vorbehalten www.ortner-verlag.com Druck und Bindung: Alinea, Dresden Printed in Germany ISBN 978-3-86801-046-6 (PDF) ISBN 978-3-86801-064-0 (Broschur)

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Über Heidelberg Student Papers Die Serien der HSP bieten eine einzigartige Plattform für Studenten, um diese zum schreiben anzuregen, ihnen die Möglichkeit zu bieten ihre Erfahrungen mit den Bereichen Herausgeben und Publizieren zu erweitern und Bestätigung für das erarbeitete zu erhalten.

Über die Serie Südasien Studien Heidelberg Student Papers (HSP) - Südasien ist eine Serie von Arbeiten im Bereich der Südasien Studien, die primär von Studenten der Universität Heidelberg und Akademischen Institutionen, welche in Kooperation mit dem Südasien Institut stehen, angefertigt wurden. Es handelt sich hierbei um ein verifiziertes Journal, welches unter der Aufsicht der Abteilung der Politischen Wissenschaft am Südasien Institut, sowie der des redaktionellen Ausschusses der Heidelberg Papers in South Asian and Comparative Politics (HPSACP), unter der Aufsicht von Professor Subrata K. Mitra, PhD (Rochester) stehen. Die HSP – Südasien Serie zielt darauf ab die besten Arbeiten von Studenten in den Bereichen Politik, Ökonomie, Geschichte, Sprachen, Kultur, Religion und Sozialen Angelegenheiten mit Bezug zur Region Südasien hervorzuheben. Die Einbringung aller disziplinären Perspektiven wird begrüßt. Die in den Serien dargestellten Meinungen sind ausschließlich die der Autoren und müssen nicht mit der Meinung der Universität oder der Redaktion übereinstimmen, es sei denn dieses ist ausdrücklich vermerkt.

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About Heidelberg Student Papers The HSP series offers a unique platform for students to promote their work. It will, at the same time, encourage them in their writing, give them recognition and the chance to gain experience in the process of editing and publishing. Authors from different levels, beginners as well as advanced students, will be selected by the Editorial Board, based on their academic performance.

About the Series “South Asian Studies” Heidelberg Student Papers (HSP) is a working paper series in South Asian Studies by students primarily at the University of Heidelberg and academic institutions associated with the South Asia Institute (SAI). It is a verified journal, under the responsibility of the department of Political Science at the South Asia Institute as well as the editorial board of the Heidelberg Papers in South Asian and Comparative Politics (HPSACP) under the patronage of Professor Subrata K. Mitra, PhD (Rochester). The HSP - South Asian Series aims to highlight the very best work by students in the fields of politics, economics, history, language, culture, religious and social issues within the region. Submissions from all disciplinary perspectives are welcomed. The opinions expressed in the series are those of the authors of the articles concerned, and do not represent the views of the university or the editorial staff unless otherwise indicated.

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Jeannette Rieth [email protected] Der Autor studiert an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Moderne und Klassische Indologie und Politische Wissenschaft Südasiens. The author is studying Modern time and classic Indologie and Political Science of South Asia at the Ruprecht-Karls-Universität of Heidelberg.

Heidelberg Student Papers (HSP) begrüßt das Einbringen von Arbeiten jedes Fachbereiches mit Bezug auf die verschiedenen Serien von HSP. Alle Arbeiten werden vom redaktionellen Ausschuß geprüft. Der Autor ist dazu verpflichtet seine Arbeit vor der Veröffentlichung selbstständig auf Fehler und Vollständigkeit zu überprüfen. Der Herausgeber behält sich das Recht vor Arbeiten abzulehnen. Heidelberg Student Papers (HSP) welcomes submissions of papers in all fields related to the different series of HSP. All papers will be verified by the editorial board. The author is obliged to review his paper and to ensure its completeness and authenticity before publication. The editor reserves himself the right to reject papers. [email protected] www.heidelberg-papers.com

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War die Sprachbewegung in Ost-Pakistan eine soziale Bewegung?

Jeannette Rieth

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...................................................................................................9 2 Rahmenbedingungen einer sozialen Bewegung ........................................9 3 Die acht Kriterien einer sozialen Bewegung nach Raschke ....................10 3.1 Mobilisierung .................................................................................11 3.1 Kollektiver Akteur..........................................................................12 3.3 Gewisse Kontinuität .......................................................................12 3.4 Hohe symbolische Integration........................................................13 3.5 Geringe Rollenspezifikation...........................................................14 3.6 Variable Organisations- & Aktionsformen ....................................14 3.7 Ziele einer sozialen Bewegung.......................................................16 3.8 Sozialer Wandel..............................................................................17 4 Ende der Bewegung .................................................................................17 5 Fazit ..........................................................................................................18 6 Literaturverzeichnis..................................................................................20

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1 Einleitung Bangladesch ist seit dem 26. März 1971 ein unabhängiger Staat. Doch das war nicht immer so. Nach der Spaltung Indiens 1947 in einen muslimischen und einen hinduistischen Teil, entstanden zwei neue Staaten, Pakistan und Indien. Die überwiegend muslimische Provinz Ost-Bengalen wurde dabei Pakistan zugehörig, obwohl die Region über 1200 km vom übrigen Pakistan getrennt liegt. Die Diskussion um die Staatssprache des neu gestalteten Pakistans begann schon vor der Unabhängigkeit. Der Konflikt brach allerdings erst aus, als die Regierung nach der Unabhängigkeit eine oder mehrere Sprachen zur Staatssprache auswählen musste. Die derzeit regierende Muslim League verkündete bald, dass Urdu die alleinige Nationalsprache für beide Landesteile werden sollte. Daraufhin formierte sich Widerstand im östlichen Teil Pakistans, dem ehemaligen Bengalen, da die Einwohner dort zwar an den Islam glaubten, jedoch kein Urdu verstanden. Zahlen belegen, dass Bengali die Muttersprache von 93% der Studenten war und nur 35% von ihnen fähig waren, Urdu zu sprechen, zu schreiben oder zu lesen.1 Viele der Intellektuellen sahen darin eine Diskriminierung des bengalischen Volks und formierten sich zu einer Protestbewegung, die heute als „Sprachbewegung“ bekannt ist. Innerhalb meiner Arbeit möchte ich untersuchen, in wie weit die Sprachbewegung im östlichen Teil Pakistans eine soziale Bewegung war und als solche handelte. Dazu werde ich zu Beginn die Rahmenbedingungen einer sozialen Bewegung vorstellen, danach Kriterien einer sozialen Bewegung näher erläutern und mit der Sprachbewegung in Ost-Pakistan abgleichen. Als historische Ergänzung wird das Ende der Sprachbewegung eingeschoben. Im Fazit werde ich im Fazit die Ergebnisse nochmals zusammenfassen und eine Antwort auf die schon oben genannte Frage geben, ob die Sprachbewegung in OstPakistan eine soziale Bewegung war. Ich werde mich bei der theoretischen Untersuchung auf den Politikwissenschaftler Joachim Raschke stützen, da er ein Buch speziell über „soziale Bewegungen“ verfasst hat.

2 Rahmenbedingungen einer sozialen Bewegung Rahmenbedingungen sind die gesellschaftlichen Voraussetzungen einer sozialen Bewegung, die bei wissenschaftlichen Untersuchungen nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Die wichtigste Dimension für die Entfaltung einer sozialen Bewegung stellt die soziale 1

Vgl. Zaheer, H.: The Separation of East Pakistan. Karachi, Oxford University Press, 194, S. 24

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Mobilisierung dar.2 Es gibt hierbei verschiedene Indikatoren, wie die Alphabetisierung oder die Selbstorganisation einer Gesellschaft. Im Falle der sozialen Bewegung in Ost-Pakistan war die Alphabetisierung sehr wichtig, da sich die Bewegung auf die Sprache konzentrierte. In Ost-Bengalen belief sich selbst 1951 noch die Zahl der Menschen, die ihre Muttersprache lesen und schreiben konnten, auf 21,1 %.3 Diese Zahl ist erschreckend niedrig in Anbetracht des großen Erfolges der Sprachbewegung. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass die Sprachbewegung hauptsächlich von gebildeten Studenten getragen wurde. Damit sich eine Bewegung „selbst organisiert“ nennen darf, muss sie zeigen, dass sie ihre Interessen und Ideologie eigenständig definieren kann.4 Darin hat sich die Sprachbewegung profiliert, wie im Folgenden noch erklärt wird. Als weitere Rahmenbedingung kann die politische Modernisierung genannt werden. Politischer Umbruch stellt oft den Nährboden für die Entstehung sozialer Bewegungen dar, wie man im damals neugegründeten Pakistan sehen kann. Die Regierenden erarbeiteten die Verfassung erst nach und nach, so dass die Diskussionen im Staat immens waren. Gerade hinsichtlich der Sprachenfrage breitete sich große Unzufriedenheit im östlichen Teil Pakistans aus.

3 Die acht Kriterien einer sozialen Bewegung nach Raschke Anhand der Kriterien, die der Politikwissenschaftler Joachim Raschke in seiner Definition einer sozialen Bewegung festlegt, wird im nun die Vorgehensweise der Sprachbewegung analysiert. Die Definition von Raschke soll zeigen, was eine soziale Bewegung ausmacht: „Soziale Bewegung ist ein mobilisierender kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations- & Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen“5. Jedes der acht Kriterien wird einzeln erklärt und der Bewegung gegenübergestellt. In dessen Verlauf befindet sich jeweils ein historischer Abriss, der zur Erklärung der Bewegung dient. 2

Vgl. Raschke, J.: Soziale Bewegungen. Frankfurt/New York, Campus Verlag, 1988, S. 85 Vgl. Bhowmik, Satya N.: Die Sprachenpolitik der Muslim-League-Regierung und die Entstehung der BengaliSprachbewegung in Ost-Bengalen 1947-1956. Stuttgart, Steiner, 1993, S. 367 4 Vgl. Raschke, J.: Soziale Bewegungen. Frankfurt/New York, Campus Verlag, 1988, S. 87 5 Raschke, J.: Soziale Bewegungen. Frankfurt/New York, Campus Verlag, 1988, S. 77 3

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3.1 Mobilisierung Unterstützung von Seiten der Bevölkerung ist die Grundlage einer jeden sozialen Bewegung. Darüber hinaus sind die Gründer ständig auf der Suche nach neuen Anhängern. Mobilisierung charakterisiert sich anhand der Rekrutierung von neuen Mitgliedern und den materiellen Anreizen, die den Teilnehmern geboten werden. Wie die Gründer der Sprachbewegung zu Anhängern gelangt sind, wird im Folgenden näher erläutert. Anfangs beschränkte sich die Diskussion um die Sprachenfrage nur auf einen kleinen Kreis Intellektueller. Erst als einige Dozenten der Universität Dhaka, die Tamuddan Majlish, eine „Kultur-Organisation“6 gründeten, rückte sie auch ins Interesse der Studenten und anderen Dozenten, da diese als erste von der Entscheidung der Regierung, die Unterrichtssprache in Urdu umzustellen, betroffen sein würden. Es war zu Beginn sehr schwer für die Intellektuellen einen Großteil der Bevölkerung für die Staatssprachenfrage zu interessieren7, da ihm nicht bewusst war, was die Entscheidung für Urdu an Folgen mit sich bringen würde. Spätestens als während der „Februar-Bewegung“ 1952 die Massenproteste in den Städten stattfanden, begann auch das Volk, sich mit dem Thema auseinander zusetzen. Die Schusswaffenbenutzung der Polizei, die mehrere Menschenleben forderte, schreckte das bengalische Volk keinesfalls ab, sondern ließ es noch enger zusammenrücken und schürte die Wut gegen den Staatsapparat noch mehr. Der Protest endete in einem landesweiten Streik, der mehrere Tage andauerte. Am wichtigsten für eine Bewegung sind Menschen, die sie aktiv und mit viel Engagement unterstützen. Die Studenten haben das bengalische Volk anfangs nur durch öffentliche Informationsveranstaltungen erreicht. Später hat die Bewegung durch Demonstrationen und Kundgebungen auf sich aufmerksam gemacht. Flugblätter, die zum Streik aufriefen, wurden unter dem Volk verteilt. Einige Anhänger verkauften sogar Flaggen mit dem Aufdruck „Bengalisch zur Staatssprache“. Diese Öffentlichkeitsarbeit hat einen großen Beitrag zur Rekrutierung der Bevölkerung geleistet. Über die konkrete Finanzierung der Sprachbewegung ist nichts bekannt. Trotzdem ist anzunehmen, dass die Organisatoren Geld für die Propaganda erhielten. Bei der Analyse der Mobilisierung in diesem historischen Fall ist auffallend, dass sich die Bewegung aus Interesse heraus gründete und keinerlei materielle Anreize benötigt hatte, um 6

Bhowmik, Satya N.: Die Sprachenpolitik der Muslim-League-Regierung und die Entstehung der BengaliSprachbewegung in Ost-Bengalen 1947-1956. Stuttgart, Steiner, 1993, S. 44 7 Vgl. Ebena S.59

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Anhänger zu gewinnen. Die Bengalis haben sich durch die Streiks eher noch selbst wirtschaftliche Schäden zugefügt.

3.1 Kollektiver Akteur Ein kollektiver Akteur ist „in der Politik eine an politischen Entscheidungen handelnd beteiligte [...] Organisation“8. Ein Akteur greift aktiv in den politischen Entscheidungsprozess ein, um Einfluss darauf zu bekommen. Er bindet viele Individuen in den kollektiven Handlungszusammenhang ein. Intellektuelle Ost-Pakistans ergriffen nach der Unabhängigkeit Pakistans die Initiative, Bengali zu einer der Staatssprachen zu machen. Die Sprachen-Diskussion fand zunächst nur unter Studenten, Dozenten und Intellektuellen an der Universität Dhaka statt. Um die Diskussion auf die breite Bevölkerung auszuweiten, wurde am 1. September 1947 die Tamuddan Majlish (T.M.) gegründet.9 Das State Language Committee of Action wurde Ende 1947 von Mitgliedern der TM geschaffen, um als Dachorganisation zu fungieren. Die erste Studentenorganisation, die aus der selben Motivation heraus gegründet wurde, war die East Pakistan Student League. Sie wurde Anfang 1948 von Sheikh Mujibur Rahman ins Leben gerufen. Gemeinsam mit Vertretern aus Politik und Medien wurde 1948 das erste Joint State Language Committee of Action (JSLCA) gegründet. 1950 entstand das Dacca University State Language Committee of Action (DUSLCA). Kurz darauf wurde bei einer Versammlung aller Parteien, Verbände und Studentenorganisationen das All Party State Language Commitee of Action (APSLCA) ins Leben gerufen. Ein kollektiver Akteur ist hierbei nicht eindeutig zu nennen, da sich im Laufe der Zeit verschiedene Komitees und Organisationen gebildet, erweitert und auch wieder zerschlagen haben. Trotzdem gab es das Kollektiv, das im Sinne der Sprachbewegung agierte. Es waren meist die gleichen Personen, Parteien und Organisationen, die sich engagierten.

3.3 Gewisse Kontinuität Eine soziale Bewegung muss eine gewisse Dauer haben, um eine Veränderung zu bewirken. Mit einer bestimmten Dauer zeigt sich auch die Festigkeit einer Bewegung. Das Staatssprachenproblem in Ost-Pakistan begann am 14. August 1947 mit der Unabhängigkeit 8 9

Schubert, K.: „Akteur“, in: Lexikon der Politikwissenschaft, 2005, S.8 Vgl. Bhowmik, Satya N.: Die Sprachenpolitik der Muslim-League-Regierung und die Entstehung der BengaliSprachbewegung in Ost-Bengalen 1947-1956. Stuttgart, Steiner, 1993, S. 44

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Pakistans von Indien. Schon zwei Wochen später, am 1. September 1947, wurde die erste Bewegung gegründet, die sich der Sprachenfrage annahm. Bereits im folgenden Jahr zeigten sich erste Erfolge. Doch schon bald nach der „März-Bewegung“ und dem Besuch Jinnahs im März 1948 flaute das Interesse an der Staatssprachenfrage für einige Zeit ab und rückte erst wieder in den Blickwinkel des Volkes, als 1950 ein erster Verfassungsentwurf veröffentlicht wurde. In diesem wurde Urdu als alleinige Staatssprache vorgeschlagen. Den Höhepunkt erreichte die Sprachbewegung in den Tagen der Februar-Bewegung 1952, als mehrere Protestanten von der Polizei erschossen wurden. Die Sprachbewegung lässt sich somit in zwei Phasen einteilen. Die erste Phase zeigt ihre Erfolge während der März-Bewegung, die zweite hat ihren Höhepunkt zur Zeit der FebruarBewegung. Dazwischen kamen die Aktionen aus verschiedenen Gründen teilweise zum Erliegen. Das Ende der Bewegung, das im Idealfall die Erreichung des Ziels mit sich bringt, folgte 1956, als in der ersten Verfassung Pakistans Bengali als eine der beiden Staatssprachen festgeschrieben wurde.

3.4 Hohe symbolische Integration Integration bedeutet, „im allgemeinsten Sinne die Entstehung oder Herstellung einer Einheit [...] den Zusammenhalt der einzelnen Elemente auf der Basis gemeinsam geteilter Werte und Normen aufrechtzuerhalten“10. In einer sozialen Bewegung wird der innere Zusammenhalt durch die Abgrenzung von ihren Gegnern gestärkt. Schon sehr früh entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Bengalis. Zuerst unter den Studenten, später auch innerhalb der breiten Bevölkerung. Die Einheit war in Bengalen relativ einfach zu erreichen, da es sich um eine Volksgruppe handelte, die in einer gemeinsamen Sprache kommunizierte, eine gemeinsame Vergangenheit hatte und in einer gemeinsamen Kultur aufgewachsen war. Die Bengalis grenzten sich daher seit der Sprachendiskussion sehr stark von der Urdu-Bewegung West-Pakistans und den UrduSprechenden Einwanderern aus West-Pakistan ab. Doch ihr größter Gegner war die Muslim League Regierung.

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Nohlen, D., „Integration“, in: Lexikon der Politikwissenschaft, 2005, S. 388

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3.5 Geringe Rollenspezifikation In einer sozialen Bewegung sind die Führungsrollen meist nicht auf eine bestimmte Person festgeschrieben. Die Mitgliedschaft sowie die Führerschaft kann ständig wechseln, da sie nirgendwo schriftlich festgehalten ist. Es kann also jeder aktiv teilnehmen oder den Aktionen fern bleiben ohne formelle Beitritts- oder Ausrittserklärungen. Es gibt keinen alleinigen Gründer der Sprachbewegung. Die TM11 wurde von mehreren Dozenten der Universität Dhaka gegründet. In den State Language Commitees of Action überließ man weitestgehend den Studenten die Führung. Es treten in der gesamten Geschichte der Sprachbewegung nur vereinzelt Namen von Aktivisten auf. Diese Aktivisten sind nur ins öffentliche Licht gerückt, weil sie sich in bestimmten Aktionen profiliert haben, wie zum Beispiel als Märtyrer in der Februar-Bewegung. Trotz der relativ unbekannten Führungspersönlichkeiten ist es wichtig eine dauerhafte Führung zu haben, die bestimmte Programme formuliert und Aktionen initiiert. Wichtig ist auch, dass die Aufgaben auf mehrere Personen verteilt sind. Es sollte nie nur eine Person über einer Bewegung stehen, da dabei ein Charakter in den Mittelpunkt rückt und somit das eigentliche Ziel oder die Ideologie leicht aus den Augen verloren gehen kann. Eine Bewegung wäre dann mit dem Ausscheiden seiner Führungsperson am Ende angelangt, ohne ihr Ziel zu erreichen. Die Sprachbewegung konnte man nie mit einer bestimmten Person oder einem bestimmten Gesicht identifizieren.

3.6 Variable Organisations- & Aktionsformen In jeder sozialen Bewegung variieren die Formen von Organisation und Aktion. Sie können unterschiedlich stark oder schwach ausgeprägt sein. Jedoch sollte eine Bewegung ein Minimum an Organisation aufbringen. Raschke unterscheidet bei den politischen Aktionsformen zwischen intermediärer, direkter bzw. koerziver und demonstrativer Aktion.12 Diese werden später noch näher erläutert. Im speziellen Fall der Sprachbewegung wurde durch Proteste bzw. Generalstreiks versucht, bestimmte Forderungen durchzusetzen. Man setzte auch das Mittel der Unterschriftenaktion ein, um mehr Macht zu demonstrieren.

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Siehe S. 5 Vgl. Raschke, J.: Soziale Bewegungen. Frankfurt/New York, Campus Verlag, 1988, S. 277 - 281

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Die erste größere Aktion fand im März 1948 statt. Die JSLCA13 rief zu einem landesweiten Generalstreik auf.14 Dieser war auf den 11. März angesetzt und wurde von den Studenten sehr sorgfältig geplant und organisiert. So wurden vor allen wichtigen Gebäuden und auf den zentralen Plätzen Dhakas Streikposten aufgestellt. Am Morgen fand eine Kundgebung statt, dem eine Demonstration folgte. Der Streik an den Bildungseinrichtungen wurde noch bis zum 15. März erfolgreich durchgeführt. Auch in anderen Städten Ostpakistans wurde dem Aufruf der JSLCA gefolgt und gestreikt. Man ernannte den 11. März daraufhin zum „Tag der Staatssprache“. Nach der März-Bewegung und dem Besuch Jinnahs gab es für etwa drei Jahre keine größeren Aktionen. Erst 1951 fanden wieder Kundgebungen statt. Die DUSLCA15 rief zu einem Boykott aller Bildungseinrichtungen am 11. März auf. Im September wurde auch eine größere Kundgebung abgehalten, die durch Flugblätter angekündigt wurde. Für den 29. Januar 1952 organisierten die Studenten eine weitere Kundgebung mit anschließendem Protestmarsch. Ein Streik am darauffolgenden Tag schloss sich an. Der Höhepunkt aller Aktionen wurde im Februar 1952 erreicht. Die später als FebruarBewegung bekannt gewordene Aktion wurde hauptsächlich von den Aktivisten der DUSLCA und der APSLCA16 organisiert. Schon lange zuvor ist in geheimen Treffen über den geplanten Streik diskutiert worden. Nach einer erfolgreichen Abstimmung für einen Streik wurde das Datum auf den 21. Februar festgelegt. Daraufhin wurde geplant und organisiert. Trotz dem verhängten Demonstrations- und Versammlungsverbot traten am Morgen des 21. Februars 1952 zahlreiche Studenten zusammen, um der Versammlung beizuwohnen.17 Später marschierten sie in kleinen Gruppen Richtung Parlament. Viele Demonstranten wurden dabei festgenommen, vier sogar von der Polizei erschossen.18 Daraus wird deutlich, dass eine soziale Bewegung sehr oft zum „Objekt gezielter Gewalt“19 werden kann. Die Gewalt geht meist vom Staatsapparat aus, der sich gegen den wachsenden Feind wehren will. Wütend auf die Reaktion der Polizei, gingen am folgenden Tag noch mehr Menschen auf die Straße. Zuerst fand eine Trauerfeier für die Ermordeten statt, dann wurde erneut demonstriert. Auch die folgenden drei Tage waren von spontanen Hartals20 geprägt. Wie schon bei der März13

Siehe S. 5 f. Vgl. Bhowmik, Satya N.: Die Sprachenpolitik der Muslim-League-Regierung und die Entstehung der BengaliSprachbewegung in Ost-Bengalen 1947-1956. Stuttgart, Steiner, 1993, S. 82 15 Siehe S. 6 16 Siehe S. 6 17 Bhowmik, Satya N.: Die Sprachenpolitik der Muslim-League-Regierung und die Entstehung der BengaliSprachbewegung in Ost-Bengalen 1947-1956. Stuttgart, Steiner, 1993, S. 207 18 Vgl. Ebenda S. 209 19 Raschke, J.: Soziale Bewegungen. Frankfurt/New York, Campus Verlag, 1988, S. 282 20 etwa: Generalstreik 14

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Bewegung 1948 wurde auch jetzt in einigen größeren Städten Ostpakistans dem Aufruf gefolgt und gestreikt. Die APSLCA versuchte mit der Ernennung des 5. Dezembers zum „Tag der Freilassung der politischen Gefangenen“ alle diejenigen zu befreien, die im Zusammenhang der Februar-Bewegung inhaftiert wurden. Für diesen Zweck wurden von vielen Unterschriften gesammelt. Zum ersten Jahrestag der Februar-Bewegung 1953 wurde der 21. Februar zum „Shahid-Dibash“21 („Tag der Märtyrer“) ernannt. Man rief am selben Tag noch zu einem Generalstreik auf, dem ein Kulturprogramm am Abend folgte. Bei erneuten Studentenunruhen wurden alle Vorlesungen vom 15. bis 17. April 1953 boykottiert.22 Nach genauer Analyse der historischen Ereignisse kommt man zu dem Schluss, dass hier eine direkte Aktion vorliegt. Diese Form richtet sich direkt gegen die Kontrollinstanzen - in diesem Fall also gegen die Regierung Pakistans. Eine direkte Aktion kann, muss aber nicht unbedingt gewaltsam sein. Die Sprachbewegung hat von ihrer Seite aus immer gewaltlos gehandelt. Die Toten der Februar-Bewegung waren ohne Zweifel die Folge des Schusswaffengebrauchs der pakistanischen Polizei.

3.7 Ziele einer sozialen Bewegung Ein Ziel zu erreichen ist der übliche Beweggrund, um eine Bewegung ins Leben zu rufen. Die Ziele sollten klar definiert sein und über längere Zeit unverändert bleiben. Das Ziel der Sprachbewegung war klar: Die Studenten wollten Bengali als eine der Staatssprachen Pakistans anerkannt haben. Hierbei handelt es sich um eine langfristige Forderung.23 Die Forderungen, die im Laufe der Sprachbewegung erhoben wurden, drehten sich alle mehr oder weniger um das eine Hauptziel und wurden nur in Details verändert. Die TM hatte als erste Organisation gefordert, Bengali soll Unterrichtssprache, Gerichtssprache und Amtssprache Ostpakistans sein.24 Des weiteren sollten Urdu und Bengali landesweite Staatssprachen werden. Die JSLCA erhob wiederum die Zusatzforderung Bengali auch als Parlamentssprache zuzulassen.25 Nach der März-Bewegung 1948 entwarf das selbe Komitee einen „7-Punkte-Katalog“, der einige neue Forderungen wie z.B. die Freilassung der politischen Gefangenen beinhaltete und stellte ihn dem Minister vor.26 Vermehrt in den letzten

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Bhowmik, Satya N.: Die Sprachenpolitik der Muslim-League-Regierung und die Entstehung der BengaliSprachbewegung in Ost-Bengalen 1947-1956. Stuttgart, Steiner, 1993, S. 286 22 Vgl. Ebenda S. 290 23 Vgl. Raschke, J.: Soziale Bewegungen. Frankfurt/New York: Campus Verlag, 1988, S. 165 24 Vgl. Bhowmik, Satya N.: Die Sprachenpolitik der Muslim-League-Regierung und die Entstehung der BengaliSprachbewegung in Ost-Bengalen 1947-1956. Stuttgart, Steiner, 1993, S. 45 25 Vgl. Ebenda S. 81 26 Vgl. Ebenda S.97

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Jahr der Bewegung wurden auch verschiedene Memoranden erstellt und dem Parlament vorgelegt. Die Sprachbewegung hat über ihre gesamte Aktionsdauer an ihrem Ziel festgehalten und es nie grundlegend verändert. Es kamen im Laufe der Zeit nur noch einige kleinere Zusatzforderungen dazu, die allerdings dem Hauptziel gegenüber irrelevant waren. Letzten Endes haben die bengalischen Studenten ihr Ziel erreicht und mussten dafür keineswegs eine Kompromisslösung eingehen.

3.8 Sozialer Wandel Als sozialen Wandel bezeichnet man „die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse und Strukturen“27 sowie die Veränderung zwischenmenschlicher Beziehungen. Im Bezug auf die Sprachbewegung in Ost-Pakistan kann man nicht genau sagen, ob sie eine gesellschaftliche Veränderung herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen wollte. Allein schon durch die Unabhängigkeit Pakistans wurde ein sozialer Wandel herbeigeführt. Bei der notwendigen Formulierung einer Verfassung wurde etwas komplett neues geschaffen. Durch die verschiedenen ethnischen Gruppen im neuen Pakistan gestaltete es sich äußerst schwer eine für alle zufriedenstellende Verfassung auszuarbeiten. Der Beginn der Sprachbewegung lag also in der Unzufriedenheit der bengalischen Bevölkerung mit der geplanten Verfassung. Hauptsächlich die Intellektuellen wollten nicht, dass eine Sprache, die den Bengalis total fremd ist, zur alleinigen Staatssprache werden sollte. Es sollte von bengalischer Seite aus eine gesellschaftliche Veränderung verhindert werden. Die Bengalis hätten somit ihre komplette kulturelle Vergangenheit vergessen müssen.

4 Ende der Bewegung Es gibt bei einer sozialen Bewegung meist kein konkretes Ende, das die Auflösung einer Gruppe datiert. Man kann lediglich feststellen, ob eine Bewegung erfolgreich war oder versagte. Die Sprachbewegung nahm ihren weiteren Verlauf nach der Februar-Bewegung auf politischer Ebene. Die Awami League, die 1949 als Partei gegründet wurde, um die Interessen der Bengalis im Parlament zu vertreten, griff die Forderung, Bengali zu einer der Staatssprachen zu machen, auf und gewann dadurch die Provinz-Wahlen 1954 in Ost27

Thibaut, „Sozialer Wandel“, in: Lexikon der Politikwissenschaft, 2005, S. 912

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Pakistan.28 Als starker Teil der Zentralregierung konnte die Awami League schließlich eine Einigung zwischen der Regierung und dem bengalischen Volk hervorbringen, die Urdu und Bengali zu gleichberechtigten Sprachen in der Verfassung festschrieb. Im Jahre 1971 schaffte es Bangladesch mit Hilfe der Awami League von Pakistan unabhängig zu werden. Da sich die Sprachbewegung schon sehr früh gegen die in West-Pakistan sitzende Regierung wendete, sehen darin heute viele die „Keimzelle der Unabhängigkeitsbewegung“.29

5 Fazit Nach der Gegenüberstellung der Sprachbewegung mit den acht Kriterien, die Raschke für eine soziale Bewegung notwendig befindet, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Sprachbewegung Ost-Pakistans ohne Zweifel eine soziale Bewegung ist. Lediglich bei den Rahmenbedingungen kann man einen Punkt für unerfüllt erklären. Raschke nennt die Alphabetisierung einer Gesellschaft als Bedingung für eine soziale Bewegung. OstBengalen war derzeit allerdings nur sehr gering literat. Der Erfolg der Sprachbewegung wurde deshalb durch eine sehr aktive und engagierte Bildungsschicht erreicht. Zum Schluss möchte ich die einzelnen Kriterien noch einmal kurz erwähnen und zusammenfassen. Einen mobilisierenden aktiven Akteur findet man in den Studenten, die zu Protesten und Streiks aufgerufen haben. Eine gewisse Kontinuität kann die Sprachbewegung auch aufweisen, obwohl sie von Wissenschaftlern oft in zwei Phasen geteilt wird. Innerhalb der Bewegung gab es ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl, was auch zu einer Abgrenzung gegenüber der westlichen Hälfte Pakistans führte. Aus diesem Grund kann man hier von einer hohen symbolischen Integration sprechen. In den verschiedenen Organisationen gabt es keine auf bestimmte Personen festgelegte Rollen. Deshalb kann man im Zusammenhang mit der Sprachbewegung auch keine Namen von Führungspersönlichkeiten nennen. Die Organisations- und Aktionsformen, die als Kriterium sehr offen formuliert sind, wurden mit Kundgebungen, Protesten und Streiks ausgefüllt. Das Ziel, Bengali zu einer der Staatssprachen zu machen, wurde relativ konstant bis zum Ende hin verfolgt und auch

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Vgl. Mola, Gyasuddin: The Awami League: From Charismatic Leadership to Political Party, in: Mitra/Enskat/Spieß: Political Parties in South Asia. London, Praeger, 2004, S. 336 f.

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Auswärtiges Amt, Länderinfos Online im Internet, http:// www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Laender/Bangladesch.html, 24. Mai 2006

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erreicht. Die Akteure der Sprachbewegung verhinderten einen sozialen Wandel und führten zuletzt eine gesellschaftliche Veränderung herbei. Zusammenfassend ist die Sprachbewegung ein sehr gutes Beispiel für eine funktionierende und gewaltfrei handelnde Gruppe gleichgesinnt Bürger, die ihr Ziel erreicht hat. Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass ich diese Arbeit historisch auf nicht sehr viele Quellen stützen konnte, da erst wenig in diese Richtung geforscht wurde.

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6 Literaturverzeichnis

Auswärtiges Amt: Länderinfos, Online im Internet, http:// www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Laender/Bangladesch.html, 24. Mai 2006

Bhowmik, Satya N.: Die Sprachenpolitik der Muslim-League-Regierung und die Entstehung der Bengali-Sprachbewegung in Ost-Bengalen 1947-1956. Stuttgart, Steiner, 1993

Islam, Syed Manzoorul (Hrsg.): Essays on Ekushey. The Language Movement 1952. Dhaka, Bangla Academy, 1994

Molla, Gyasuddin: The Awami League: From Charismatic Leadership to Political Party, in: Mitra/Enskat/Spieß: Political Parties in South Asia. London, Praeger, 2004, S. 336 - 364

Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft. München, Beck, 2005

Raschke,

Joachim:

Soziale

Bewegungen.

Ein

historisch-systematischer

Grundriss.

Frankfurt/Main, New York, Campus Verlag, 1988

Zaheer, Hasan: The Separation of East Pakistan. The Rise and Realization Bengali Muslim Nationalism. Karachi, Oxford University Press, 1994, S. 21 – 27

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