Konzeptionelle Ausdifferenzierung oder Profilverlust? Wann ist ein Frauenhaus ein Frauenhaus ?
Prof. Dr. Barbara Kavemann Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin
Was sind Kriterien für das Profil von Frauenhäusern? Die spezifische Aufgabe?
Ein anonymer Schutzraum für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder Ein Ort der Information und Beratung für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder
Der Bedarf?
Bedarfe sind vielfältig und unterschiedlich Kann und will ein Frauenhaus für alle Bedarfe da sein? Wie viel Spezialisierung ist erforderlich? Wie viel ist verträglich?
Gewinnen oder verlieren Frauenhäuser an Profil durch....... ....Übernahme jeglicher Anforderungen? ....Konzentration auf die Kernaufgaben Schutz und Beratung als anonyme stationäre Einrichtung für von Gewalt bedrohte Frauen und ihre Kinder? ....Spezialisierung auf ausgewählte Zielgruppen bzw. Problemlagen?
Es gibt unterschiedliche Modelle von Frauenhäusern Das „klassische“ Frauenhaus: ein Ort für alle Das Frauenhaus
mit angegliederter, ambulanter Beratungsstelle mit Interventionsstellenfunktion mit Wohngruppen, „second-stage“ Projekten
Das Frauenhaus mit spezifischem Schwerpunkt
für Migrantinnen für drogenabhängige und psychisch kranke Frauen
Zufluchtswohnungen Kontakt und Beratungsstellen mit geschütztem Wohnen Frauenhaus als Einrichtungsverbund für differenziertem Bedarf
Beispiel für einen Verbund spezifischer Angebote: BORA, Berlin Angebote für mehrere Zielgruppen unter einem Dach: Frauenhaus Wohnprojekt für psychisch kranke Frauen Ambulante Beratungsstelle „Second Stage“ Wohngemeinschaften Ambulante Hilfen für Kinder und Jugendliche
Multiple Problemlagen Multiple Problemlagen sind bei den Frauen die Regel
Krisen und psychische Belastungen sind Alltag
rechtliche Probleme Sprachprobleme Essstörungen
Armut Î schränkt Mobilität und Hilfesuche ein
Îintensiver Beratungsbedarf
Krise Î verweist zurück auf bestehende Beziehungen und Existenzsicherung
Spezifische Belastungen Schwierig ist die Versorgung von Frauen mit spezifischen Belastungen wie
Alkohol- und Drogenabhängigkeit manifeste psychische Störung oder Erkrankung
Nicht spezialisierte Einrichtungen müssen hier auf Verträglichkeit achten Spezifische Belastungen bleiben oft unerkannt, die Frauen sind dann nicht gut versorgt
Stärken von Frauenhäusern Der stationäre Bereich ermöglicht Einblicke, die sonst nicht gegeben sind.
Weitergehender Unterstützungsbedarf der Frauen wird sichtbar: komplexe Problemlagen, mehr als eine Form der Gewalt, ökonomische und rechtliche Probleme Verdeckte zusätzliche Probleme und Versorgungsbedarf werden sichtbar: multiple Belastungen z.B. durch Alkoholprobleme, psychische Belastungen, PTSB Unterstützungsbedarf im Bereich Erziehung wird deutlich: „parenting under a microscope“ Belastungen der Kinder werden deutlich: Doppelungen von Gewalterleben, unerfüllte Entwicklungsbedürfnisse
Grenzen von Frauenhäusern Eine stationäre Schutzeinrichtung muss festlegen, wer aufgenommen wird. Das bedeutet Ausschlusskriterien:
Alkohol- und andere Drogenabhängigkeit psychische Erkrankung, schwerwiegende Störungen Söhne über der Altersgrenze Bedrohung durch organisierte Kriminalität anhaltende Verletzung der Sicherheitsregeln
Ausschlusskriterien durch Finanzierungsart:
Kein gesicherter Aufenthaltsstatus
Wer schützt und unterstützt Frauen, die nicht in ein Frauenhaus passen?
1.
Möglichkeit: Eine auf das Problem spezialisierte Einrichtung übernimmt Kann sie schützen?
2. Das Frauenhaus macht ein zusätzliches
Angebot Fachliche Kompetenz zum Problem vorhanden? Finanzierung möglich? Was halten die anderen Einrichtungen davon?
3. Ein gemeinsames Angebot wird in
Verbindung mehrerer Fachlichkeiten entwickelt
Zusammenhänge zwischen den Problemen erkennen Verlusterfahrungen Rechtlicher Status/ Rassismus Zahl und Belastungen der Kinder
Suchtmittelmissbrauch und -abhängigkeit
Alter
Psychische Störungen und Erkrankungen Gewalterleben und Trauma
Realistische Optionen Dauer und Intensität der Gewalt
Haftstrafen Armut Sexuelle Orientierung Behinderung
Zugang zu Wohnung und Gesundheitsversorgung Resilienz/ Ressourcen
Soziales Netz
Hintergrund: Aktivitäten der Politik zu Schutz und Unterstützung
1. Beispiel für spezifische Problemballungen: Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen Eine Gruppe mit spezifischen – vor allem rechtlichen – Problemen Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung Diskriminierungserfahrungen auch in Frauenhäusern Teilweise besondere Bedrohungsszenarien oder Traumatisierungen Teilweise spezifische Schwierigkeiten der Lösung aus der Beziehung
1. Beispiel für Spezialisierung: Das interkulturelle Frauenhaus Berlin Diskriminierung entgegenwirken durch
Beschäftigung von Migrantinnen
Mitarbeiterinnen mit soliden Rechtskenntnissen
Muttersprachliche Beratung
Entlastung anderer Einrichtungen durch spezialisiertes Angebot Interkulturelle Öffnung aber für alle Frauenhäuser erforderlich Migrantinnen „landen“ in der Endversorgung, ambulante und präventive Angebote im Vorfeld greifen kaum
2. Beispiel für spezifische Problemballungen: Frauen mit Alkohol- und Drogenabhängigkeit Befragung von Frauen in britischen Frauenhäusern:
51% sagten, sie und/oder ihr Partner hätten in den letzten 5 Jahren ein Problem mit Alkohol, Drogen oder verschreibungspflichtigen Medikamenten gehabt Frauen, die vom Partner misshandelt werden, haben ein 15-fach höheres Risiko für Alkoholmissbrauch und ein 9-fach höheres Risiko für Drogenmissbrauch
Es können nicht alle alles können Einrichtungen der Drogenhilfe und Wohnungslosenarbeit bzw. Psychiatrie verfügen in der Regel nicht über ausreichende Kompetenzen und Möglichkeiten, Frauen vor Gewalt zu schützen. Frauenhäuser verfügen in der Regel nicht über die erforderliche Kompetenzen und Möglichkeiten Frauen mit Alkohol- und Drogenabhängigkeit bzw. psychischen Erkrankungen zu versorgen
Warum sollten Frauenhäuser mit Drogeneinrichtungen kooperieren? Screening von Frauen in Londoner Drogeneinrichtungen:
80% berichten von Gewalt durch Partner 30% sagten, sie werden von aktuellen Partner körperlich misshandelt
Alkohol- und Drogenmissbrauch sind sehr oft eine Reaktion zur Bewältigung der Gewalt Doppelte Belastung der Kinder verschärft Konflikte
2. Beispiel für Spezialisierung: Das Frauenhaus ohne Ausschlusskriterien „Chamlong House“, London Southwark (1) Ausgangsthese: Verankerung im Menschenrechtsdiskurs Frauen mit Alkohol- und Drogenproblemen bzw. manifesten psychischen Störungen
haben das gleiche Recht auf Schutz und Unterstützung bei Gewalt sind in allen Frauenhäusern, aber verbergen ihre Probleme und sind deshalb nicht gut versorgt
Das Frauenhaus ohne Ausschlusskriterien „Chamlong House“, London Southwark (2) Arbeitsprinzip: Erfüllen der Kernaufgabe bei gleichzeitiger Versorgung spezifischer Bedarfe Keine „No tolerance policy“
Es ist schwer, die Beziehung zu beenden Es ist schwer, die Droge aufzugeben Beides gleichzeitig ist eine Überforderung
Nicht verurteilender, akzeptierender Zugang Frauen wollen den Schutz und die Unterstützung des Frauenhauses, aber den Kontakt zu ihrer Drogenberatung nicht verlieren
Das Frauenhaus ohne Ausschlusskriterien „Chamlong House“, London Southwark (3) Ausstattung: 24-Stunden Dienst 24-Stunden Aufnahme Bis zu 8 Familien im Haus Bis zu 16 Wochen Aufenthalt Druckraum und sterile Spritzen im Haus Drogenkonsum im Haus muss behördlich genehmigt werden Unterhaltskosten des Hauses dreifach so hoch wie übliche Frauenhauskosten
Das Frauenhaus ohne Ausschlusskriterien „Chamlong House“, London Southwark (4) Öffnung des Frauenhauses erforderlich
Drogenberaterinnen kommen bei Bedarf ins Frauenhaus zu ihren Klientinnen Psychiatrische Fachkräfte kommen ins Frauenhaus Fachkräfte für die Kinder kommen ins Frauenhaus
Outreach erforderlich:
Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser gehen in Gefängnisse zur Beratung von Frauen, die wegen Drogendelikten inhaftiert sind
Allround-Modell oder Spezialisierung? Überlastung von Mitarbeiterinnen und Bewohnerinnen Î Konzentration auf die Kernaufgaben Î Befürchtung von Bedeutungsverlust Diskussion kann nicht grundsätzlich, sondern nur bezogen auf Region und Infrastruktur geführt werden Individuelle Lösungen für die Region
Was bedeutet Spezialisierung für von Gewalt betroffene Frauen? Spezialisierung der Angebote ermöglicht
bedarfsgerechte Unterstützung, Erreichen von Zielgruppen, die bislang das Frauenhaus nicht nutzen konnten, Versorgung gesellschaftlich marginalisierter Gruppen, Versorgung unterversorgter Gruppen.
Was bedeutet Spezialisierung für die Mitarbeiterinnen? Spezialisierungen im Bereich der Frauenhausarbeit
schaffen neue Arbeitsfelder im Bereich Frauenhaus, erfordern neue Kompetenzen, ermöglichen Spezialisierung von Mitarbeiterinnen, wirken Burn-out und „compassion fatigue“ entgegen, bringen neue Bewegung in die Diskussion
Auch partielle Schwerpunktsetzungen können unterschiedliche Profile von Frauenhäusern fördern
Nur Mut!