VINTAGE PHOTOGRAPHIEN AUS DEN SECHZIGER JAHREN

VINTAGE PHOTOGRAPHIEN AUS DEN SECHZIGER JAHREN DENNIS HOPPER THE LOST ALBUM V I N TA G E P H O T O G R A P H I E N A U S D E N S EC H Z I G E R J A...
Author: Helmuth Waltz
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VINTAGE PHOTOGRAPHIEN AUS DEN SECHZIGER JAHREN

DENNIS HOPPER THE LOST ALBUM

V I N TA G E P H O T O G R A P H I E N A U S D E N S EC H Z I G E R J A H R E N

PE T R A G I LOY- H I R T Z

M I T T E X T E N VO N DE N N I S H O P PE R U N D BRO O K E HAY WARD I N ZU S A M M E N A RBE I T M I T T H E DE N N I S H O P P E R A R T T RU S T

P restel |

M Ü N C H E N · L ondon · N ew Y ork

DANK

Die Retrospektive von Dennis Hoppers Werk im Museum of Contemporary Art (MOCA), Los Angeles, wenige Wochen nach seinem Tod am 29. Mai 2010, war der Auslöser für dieses Projekt. Julian Schnabel danke ich die Begegnung mit Marin Hopper, der Tochter des Künstlers, im März 2011 in Venice. Marin und der Dennis Hopper Art Trust haben die Idee einer Ausstellung und Publikation der Photographien von Anfang an unterstützt. So durfte ich im April 2011 im Dennis Hopper Studio arbeiten – da wurden die Kisten mit den Vintage Prints wiederentdeckt – und noch einmal im Februar 2012. Taylor Livingston, Art Administrator des Dennis Hopper Art Trust, half in den folgenden Monaten unermüdlich in allen Fragen. Dem Martin-Gropius-Bau, Berlin, an erster Stelle seinem Direktor Gereon Sievernich, Sabine Hollburg, Leiterin des Ausstellungsmanagements, und Christian Axt, dem Architekten der Ausstellung, ist die europäische Premiere von Hoppers Lost Album zu danken. Der Prestel Verlag – insbesondere Katharina Haderer, Anja Besserer und Cilly Klotz – verwirklichte die Publikation in wunderbarer Zusammenarbeit mit Engagement und großer Sachkunde. Lea Stepken, New York City, hat mit ästhetischem Feingefühl und großer Hingabe dieses schöne Buch gestaltet. Brooke Hayward darf ich danken für ihre so persönlichen Einblicke in das Leben des Photographen Dennis Hopper. Marin Hopper hat durch ihr Vertrauen und ihre Begeisterung dieses Projekt ermöglicht. Ihr sei herzlich gedankt.

Petra Giloy-Hirtz

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München, im Juli 2012

VORWORT

Photograph und Schauspieler, Regisseur, bildender Künstler und Autor, all dies war Dennis Hopper. Das Roadmovie Easy Rider, im Mai 1969 offizieller Beitrag der USA auf dem Filmfestival in Cannes, wurde in Amerika einer der erfolgreichsten Filme jener Zeit. Unter der Regie von Dennis Hopper, der eine der Rollen selbst spielte, agierten der später weltberühmte Jack Nicholson und Peter Fonda. Das Drehbuch schrieb Hopper, damals 33 Jahre alt, gemeinsam mit Fonda und Terry Southern. Während der Film entstand, wurde im Juni 1968 Robert Kennedy in Los Angeles ermordet. Sein Bruder John, Präsident der USA, war nur wenige Jahre zuvor in Dallas einem Attentat zum Opfer gefallen. Born to be wild von Steppenwolf ist der Titelsong des Films. Die Band hatte sich nach dem Roman Der Steppenwolf von Hermann Hesse benannt, der 1927 im S. Fischer Verlag in Berlin erschienen war. Kaum ein anderer Roman hat in den Sechzigern die amerikanische Jugend mehr beeinflusst. Kaum ein anderer Film jener Zeit vermochte es, Traum und Wirklichkeit Amerikas so präzise und emotional zu schildern. In diesen unruhigen Jahren photographierte Dennis Hopper. 1970 fand seine erste Ausstellung mit über 400 Photographien statt. Alle Aufnahmen waren in der Zeit von 1961 bis 1967 entstanden. Photos dokumentieren, wie Hopper im Fort Worth Art Center Museum in Texas seine Ausstellung einrichtet. Die Originale eben dieser Ausstellung wurden nach Hoppers Tod 2010 im Nachlass aufgefunden – vollständig erhalten. Noch nie wurde diese Ausstellung in Europa gezeigt: kleine Tafeln mit kurzen Notizen von Hopper, aufgezogen auf Karton, ohne Rahmen, ohne Glas, mit Holzleisten direkt auf die Wand montiert. Der Martin-Gropius-Bau behält diese Installationsweise bei und versucht, die Ausstellung des Fort Worth Art Center Museum so vollständig wie möglich zu rekonstruieren. Die Photographien sind legendär, spontan und intim. Sie dokumentieren eine aufregende Epoche und ihre Protagonisten, sind Zeugnisse der dynamischen kulturellen Szene im Amerika der Sechziger. Viele dieser Photographien sind heute Ikonen: die Porträts von Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Paul Newman oder Jane Fonda, die Bilder des ›street life‹ in Harlem, der Friedhöfe in Mexiko, von Stierkämpfen von Tijuana. Hopper begleitete damals auch Martin Luther King Jr. auf den berühmten Märschen der Bürgerrechtsbewegung in Alabama. Die Ausstellung Dennis Hopper – The Lost Album hat ihre erste europäische Station im Berliner Martin-Gropius-Bau. Wir danken Marin Hopper, der Tochter von Dennis Hopper, für ihre großzügige Unterstützung und ihr Einverständnis. Petra Giloy-Hirtz hat mit großer Umsicht und in Abstimmung mit dem Dennis Hopper Art Trust die Ausstellung kuratiert und den Katalog betreut. Ihr gilt ebenfalls unser großer Dank.

Thomas Oberender Berliner Festspiele, Intendant

Gereon Sievernich Martin-Gropius-Bau, Direktor

Brooke Hayward (with Crown), 1961 

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EIN GESPR ÄCH MIT BROOKE HAY WARD

Brooke Hayward, Schauspielerin und Autorin, war mit Dennis Hopper von 1961 bis 1969 verheiratet. Durch die freundliche Vermittlung von Marin Hopper, ihrer Tochter, war die Autorin zu einem Gespräch eingeladen, das am 2. April 2012 als Telefonat zwischen New York City und Connecticut, wo Brooke Hayward teilweise lebt, stattfand. »Brooke unterstützte Dennis’ Werk sehr, sie war ein großer Fan von Easy Rider und beharrte trotz aller skeptischen Stimmen darauf, dass The Last Movie ein Meisterwerk sei«, schreibt Buck Henry in seiner Einleitung zur zweiten Auflage von Brooke Haywards Autobiographie Haywire (New York 2011, 1. Auflage 1977). Sie haben Dennis die Kamera geschenkt! Das stimmt. War das sein Wunsch, hat er sich die Kamera zum Geburtstag gewünscht? Nein, nein! Das war, bevor wir geheiratet haben. Wir waren in New York und haben dort ein Stück mit dem Titel Mandingo gemacht. Das war wahrscheinlich 1961, im Frühjahr 1961 – eines Tages standen wir irgendwo in New York auf dem Gehsteig und er sagte: »Ah, ich will jetzt, dass du … Ich werde jetzt meine Hände nehmen, und ich werde ein Viereck machen, und ich möchte, dass du da durchschaust, genau auf das, worauf ich mit dem Viereck hindeute, denn das wäre ein großartiges Photo.« Und er zeigte auf etwas, das er auf dem Gehsteig sah. So schaute ich durch das Viereck, um zu sehen, was es wäre – und es war ein interessantes Photo. Deshalb sagte ich: »Vielleicht solltest du Photograph werden.« Und er sagte: »Ich habe aber nicht genug Geld, um mir eine Kamera zu kaufen.« Ich wusste, dass er im Mai Geburtstag hatte, am 17. Mai oder so, und daher ging ich zu meinem Vater, Leland Hayward, der ein großer Photograph war, und sagte: »Vater, ich möchte eine Kamera kaufen. Welche würdest du mir empfehlen?« Und er sagte: »Eine Nikon … und kauf sie da und da.« Und natürlich hab ich ihm nicht gesagt, dass sie für diesen Schauspieler namens Dennis Hopper war. Ich ging also zu dem Händler, den er empfohlen hatte, in einen Laden Ecke Lexington und 47th Street, und ich kaufte die Nikon, ich glaube für dreihundert Dollar einundsechzig oder so. Danach hatte ich nur noch ungefähr fünfzig Dollar auf dem Konto. Aber ich schenkte sie Dennis zum Geburtstag. 1961, da muss er, mal sehen …, zwanzig gewesen sein, ich glaube er wurde 1936 geboren, er war also etwa vier- oder fünfundzwanzig, und er hat sie nie mehr, nie mehr solange ich mit ihm zusammen war – wir heirateten und ließen uns dann 1968 oder 1969 scheiden – abgelegt. Er warf sie sich um den Hals und machte unaufhörlich Photos. Und als er viele, viele Jahre als Schauspieler nicht arbeiten konnte – denn als Schauspieler war er eine schwierige Person –, wurde er Photograph und machte jede Menge Photos für verschiedene Organisationen, für viele Galerien und Künstler. Soweit ich mich erinnere, hat er, zumindest bis zu unserer Trennung, während der Entstehung von Easy Rider, Ende der sechziger Jahre, diese Kamera nie wieder abgelegt. Ständig trug er sie an einem Band um den Hals, Tag und Nacht.

Ihre Kamera hat also sein Leben verändert! Ja, sie mag sein Leben verändert haben, aber er hatte auch eine natürliche Fähigkeit, zu erkennen, was Kunst ist. Ich meine, wir haben schon sehr früh begonnen, Kunst zu sammeln, denn er hatte dieses phantastische Auge. Als Sammler wie als Künstler. Hatten Sie das Gefühl, dass er sich als Künstler ganz der Photographie verschrieben hatte? Nun, ich habe niemals jemanden gekannt, der ein größeres Talent für das Visuelle hatte. Verstand Dennis, der ja Martin Luther King Jr. mit der Kamera begleitete, sich als Chronist seiner Zeit? Ja, er war sehr mit Politik befasst, definitiv. Was fühlen Sie heute, wenn Sie diese Photographien anschauen, erwecken sie Ihre Vergangenheit zum Leben? Das ist ein bisschen komplizierter, denn es waren nicht nur seine Bilder, die hier eine Rolle spielen. Er war auch ein großer Sammler, und wir haben gleich von Anfang an richtig bedeutende Gemälde gesammelt, Maler, die gerade erst berühmt wurden oder bevor sie berühmt wurden, wie Andy Warhol, Roy Lichtenstein und andere. Dennis war wirklich ein großartiger Sammler. Und ein großartiger Künstler, weil er ein gutes Auge hatte, ein verblüffend visuelles Talent. Sie beide waren mittendrin in der aufstrebenden Kunstszene von L. A.! Ja, keine Frage, wir hatten großes Glück, in dieser Zeit zusammen zu sein. Ich glaube nicht, dass einer von uns Sammler geworden wäre, und ich weiß nicht, ob Dennis Photograph geworden wäre, denn wo hätte er das Geld für die Kamera hernehmen sollen? Ich weiß es nicht. Das Feuer in Bel Air … Ach ja, das Feuer in Bel Air – das zerstörte … Wir waren gerade erst ein paar Wochen verheiratet, und Dennis und ich waren in dieses Haus in der Stone Canyon Road über dem Bel Air Hotel gezogen. Ich hatte meine beiden Kinder und das Kindermädchen und den ganzen Besitz meiner Mutter und meiner Schwester dorthin geholt, da beide im Jahr zuvor gestorben waren. Ich würde sagen, wir waren erst zwei Wochen in dem Haus gewesen, als es abbrannte. Es war das erste Haus, das den Flammen zum Opfer fiel, und alles darin wurde zerstört. Doch wir schafften es, die beiden Kinder und das Kindermädchen rauszuholen, und Dennis und ich überlebten. Aber wir mussten bei Freunden von mir wohnen – nicht bei meinem Vater –, denn sonst war nirgendwo Platz, vierhundert Häuser oder so waren bei diesem Feuer abgebrannt. Alle suchten nach des Rätsels Lösung. Und schließlich brauchten wir sechs Monate, bis wir

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ein Haus in Hollywood mieten konnten. Ein paar Monate später kaufte Dennis für fünfzig Dollar unser erstes Bild, eine ›tomato soup can‹ von Andy Warhol. So fing das Ganze an. Es gibt da diese Photographien von Ihrem phantastischen Haus am Crecent Heights Boulevard mit all den Kunstwerken und Antiquitäten … Ja, ja. Damals konnte man für fast kein Geld fabelhafte Antiquitäten kaufen! Das ist heute so wohl nicht mehr möglich … Dennis’ Gemälde wurden in diesem Feuer zerstört … Dennis’ Gemälde fand ich nie richtig berauschend. Es gab da im Haus nicht viele Bilder – wenn es überhaupt welche gab. Ich erinnere mich an keine. Aber die Photographien wurden gerettet … Die Photographien … Er hat vor dem Feuer keine Photographien gemacht. Es war für Dennis wichtig, seine Photographien auszustellen … Aber das war lange nach dem Feuer. Dennis hat seine Photographien und Negative immer gesammelt. Aber Sie haben die Photographien, die Ihre Tochter Marin gefunden und veröffentlicht hat, früher nie gesehen? Doch, ich habe sie alle gesehen! Sie haben sie gesehen! Ja, denn Dennis hat mir alle seine Negative gezeigt. Nachdem er sie abgezogen hatte, musste ich sie mir anschauen und ihm sagen, mit welchen er weitermachen sollte. Als wir uns trennten, wanderte das alles in Kisten, und er nahm sie überall mit, wohin er auch ging. Und daher war es erst – in welchem Jahr ist das Buch erschienen? –, ich glaube, 2001, als Marin diese Kisten gefunden hat, in die Dennis nie wieder reingeschaut hatte – seit ’68, ’78, ’88, ’98 … Er hatte die Photos etwa dreißig Jahre lang nicht mehr gesehen, sie waren alle in Kisten verstaut, und ich nehme an, sie fand sie irgendwo bei ihm im Keller und beschloss, das Buch zu machen. Und was für ein schönes Buch! Und jetzt sind auch noch die Kisten von der Ausstellung im Fort Worth Museum ans Tageslicht gekommen. Sie sind wahre Schatztruhen. Genau so ist es!

Untitled (Self-Portrait in Headlamp), 1961–1967 

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DENNIS HOPPER ÜBER SEINE PHOTOGR APHIE I N T E R V I E WS 19 8 6 BI S 2 0 0 8

Ich habe mit diesen Photos keinen Cent verdient. Sie haben mich Geld gekostet, aber auch am Leben erhalten. Das sind meine Photos. Mit achtzehn hab ich angefangen, zu photographieren. Mit einundreißig hab ich aufgehört. Jetzt bin ich fünfzig. Diese hier repräsentieren die Jahre von fünfundzwanzig bis einundreißig, 1961 bis 1967. Ich habe meine Photos nicht beschnitten. Es sind mit natürlichem Licht aufgenommene Vollformat-Tri-X-Bilder. Mit achtzehn stand ich bei Warner Brothers unter Vertrag. Ich führte mit einunddreißig Regie bei Easy Rider. Ich heiratete Brooke mit fünfundzwanzig, bekam eine gute Kamera und konnte es mir leisten, Bilder zu machen und sie abzuziehen. Sie waren der einzige kreative Output, den ich in diesen Jahren hatte, bis zu Easy Rider. Danach hatte ich nie wieder eine Kamera dabei. Dallas/Texas, 31. Mai 1986 1 Ab 1961 hatte ich meine Kamera überall dabei. Alle meine Freunde verspotteten mich als Touristen. 1967, als ich begann, für Easy Rider das Drehbuch zu schreiben und Regie zu führen, legte ich die Nikon weg. 17. Mai 1994 2 Von Natur aus bin ich abstrakter Expressionist und Action Painter, aus freien Stücken ein duchampscher »Fingerzeiger«. Duchamp sagte: »Der Künstler der Zukunft wird einfach mit seinem Finger auf etwas zeigen und sagen, das ist Kunst, und es wird Kunst sein.« Das sind alles komplett mit Negativfilm aufgenommene, unbeschnittene Bilder, die bei natürlichem Licht photographiert wurden ... Sie wurden mit einer Nikon-Kamera mit einem 28-mm-Objektiv gemacht. Zugleich sind sie Zeittafeln, unendlich und hoffentlich ein Weg, beglückt das Leben in einem neuen Licht zu betrachten und zu sehen, dass Kunst überall ist, in jeder Ecke, die man ins Bild rückt, statt sie einfach zu ignorieren und daran vorbeizugehen. Venedig, 7. Juli 1998 3 Ich habe nicht viel gelesen, aber die Idee des entscheidenden Augenblicks (›decisive moment‹), die Idee, etwas in einem bestimmten Augenblick festzuhalten, hat mich sehr interessiert. Meine ersten Photographien, von denen es nicht so viele gibt, zeigen daher Leute in New York auf der Straße, so eine Art West-Side-Story-Bilder von Leuten, die herumspringen und Bälle fangen. Aber dann begann mich die Fläche anzuziehen, was in Wirklichkeit wahrscheinlich Aaron Siskinds Sache war. Aber ich habe Siskind erst danach gesehen. Ich fing an, die Idee attraktiv zu finden, die Perspektive auszuschließen und zu versuchen, flach draufzuhalten, sodass das Bild keine Schärfentiefe hat; es wird wie die Oberfläche eines Gemäldes. … die einzigen Menschen, die sich wirklich gerne photographieren ließen, waren die Künstler. Sie baten mich, sie zu photographieren. Sie ließen sich gerne photographieren. Sie wollten photographiert werden. Und das war cool.

Ich wollte etwas festhalten. Ich wollte etwas hinterlassen, ich dachte, gewissermaßen als Aufzeichnung, sei es von Martin Luther King, den Hippies oder einem Künstler. Ich traf meine Auswahl, traf meine Entscheidungen, und ich habe nicht jeden photographiert. Mich hat damals Rock ’n’ Roll beeinflusst. Obwohl ich eigentlich vom Jazz her komme. Ich komme vom Abstrakten Expressionismus und vom Jazz her. Ich fahre so viel in L. A. herum, und ich bin ein solcher Augenmensch, ich sammele sozusagen Dinge, die ich tun will, die ich machen will. Ich bin ein sehr nervöser Photograph. Meine Probeabzüge sind das reinste Chaos. Ich photographiere eine Menge Sachen einfach deshalb, weil ich die Kamera habe. Und daher photographiere ich eine Menge Mist. Und dann konzentriere ich mich auf etwas und sehe etwas, das für mich ein Bild ist, und ich versuche es aufzunehmen, ohne es zu stören oder zu verändern. Oder ich geh mit den Leuten irgendwohin und trinke mit ihnen, bis sie sich photographieren lassen. Ich gehe mit ihnen zu irgendeiner Stelle oder an einen bestimmten Ort, denn grundsätzlich finde ich, dass, selbst wenn es eine schlechte Photographie der Person ist, der Ort interessant aussieht und so auch die Person besser. Aber damit hat es sich auch schon. Es ist schwierig. Ich bin ein schüchterner Mensch, und viele Jahre lang war die Kamera für mich ein großartiges Mittel, mir die Leute vom Leib zu halten. Ich war damit beschäftigt, ein Bild zu machen, und musste mich deshalb nicht mit ihnen befassen. Es war also teilweise das und teilweise, dass ich die Leute nicht stören wollte; ich habe mich mit meiner Kamera also nie irgendjemandem aufgedrängt und dadurch viele Bilder, die ich im Kopf hatte, verloren. Bilder, die ich wirklich hätte machen sollen. Wenn ich etwas also wirklich festhalten wollte, dann habe ich dafür gesorgt, dass alle sehr entspannt waren, oder ich habe es einfach nur dokumentiert. Das ist im Grunde alles. Die formalen photographischen Aspekte der Photographie in meinen Kompositionen sind mir sehr wichtig. Ich will meine Linien zusammenhalten. Ich mag es sehr formal und sehr direkt. Ein Schnappschuss interessiert mich überhaupt nicht, wirklich nicht, und wird mich auch nie interessieren. Wien, 2. Juni 2000 4 Das dringende Bedürfnis, diese Photographien und Gemälde zu machen, kommt von einem realen Ort, einem Ort der Verzweiflung und Einsamkeit, in der Hoffnung, dass man eines Tages sehen würde, dass diese Objekte, Gemälde und Photographien die Leere füllen, die ich fühlte. Das ist die Geschichte eines Mannes (oder Kindes), der beschloss, seine fünf Sinne zu entwickeln und zu leben und etwas zu erleben, statt einfach nur zu lesen. Wenn man weiß, was man mit seinen Ohren hört und seinen Augen sieht, dann werden einem all die geheimen Wunder der Welt offenbart. Nur: Lüge nicht, und mache nichts, was du hasst, denn dem Himmel bleibt nichts verborgen … Um Neues zu schaffen, leere deinen Kopf, lösche die alten Bänder, finde deine Spannungsfelder, entspann dich, denke an nichts, lass zu, dass dein Geruchs-, Geschmacks-, Tast-, Hör- und Sehsinn die Antwort auf die Anregungen geben, attackiere die Leinwand

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wie beim Action Painting oder den stillen Moment eines vergessenen Winkels, gefangen in einer Photographie. Ich habe die Künstler der sechziger Jahre photographiert, die etwas verändert haben. Ihre Werke werden eine Metapher für die Kunst der Zukunft sein. 20015 Zunächst einmal möchte ich sagen, dass der Mythos, ich hätte begonnen, Photograph und Maler zu sein, bevor ich Schauspieler wurde, unzutreffend ist. Ich habe alles gleichzeitig gemacht. Es war also nicht entweder das eine oder das andere. Ich war achtzehn, als ich von Warner Brothers unter Vertrag genommen wurde, sodass ich mein erstes Geld mit der Schauspielerei verdiente, nicht mit der Malerei oder der Photographie. Sobald ich zu einem Filmset kam, war mir klar, dass das Filmemachen die größte Kunstform des 20. Jahrhunderts ist. Keine andere Kunstform beinhaltet Photographie, Schriftstellerei, Schauspielkunst, Bühnenbildnerei, Architektur, Musik, Literatur … das Filmemachen war alles auf einmal. Für mich war das Wichtigste, eine Methode zu finden, um die künstlerische Suche zu einem Teil der Filmindustrie von Hollywood zu machen, als Schauspieler wie als Regisseur. Los Angeles, November 2007 6 Ich dachte, diese Photographien seien womöglich das Einzige, was von mir übrig bliebe. ... Mich haben die formalen Aspekte der Photographie immer sehr beschäftigt. Ich fühlte mich wirklich davon angezogen, möglichst flache Bilder ohne Schärfentiefe zu machen. (Das Bild) wurde wie eine Wand, es wurde wie die Oberfläche eines Gemäldes. Außerdem fühlte ich mich, weil ich meistens in Los Angeles wohnte, sehr von Mauern und Graffiti angezogen, denn die Dinge, die es hier zu sehen gibt, sind überschaubar. Offenkundig wird hier alles Historische abgerissen, um Raum für neue Parkplätze zu schaffen. Die Sache sieht ziemlich düster aus, es sei denn, man hat wirklich eine tiefe Zuneigung zu Palmen! Und man ist ewig unterwegs, sodass die Wände und die Art, wie sie sich verändern, immer faszinierend bleiben. Walter (Hopps) sagte, für ihn seien sie (die Photographien) wie kleine Filme. Ich habe sie nie so gesehen, aber für ihn waren sie das. 4. April 2008 7

1 Dennis Hopper. Out of the Sixties, Texte von Dennis Hopper, Michael McClure und Walter Hopps, Pasadena/Kalifornien 1986, 2. Aufl. 1988. 2 Dennis Hopper. A Tourist, Chihiro Narumi (Hrsg.), Kioto 1994. 3 Dennis Hopper. Abstract Reality, Tokio 1998. 4 Dennis Hopper, Henry T. Hopkins, »The Seductive Sixties«, in: Dennis Hopper. A System of Moments (Ausstellungskatalog Wien, MAK – Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst), Ostfildern-Ruit 2001, S. 24, 25, 31, 32, 34 f.

5 Dennis Hopper, »Invitation to the Void: A System of Moments«, in: Dennis Hopper. A System of Moments, siehe Anm. 4, S. 16. 6 Dennis Hopper, interviewt von Matthieu Orléan, in: Dennis Hopper and the New Hollywood (Ausstellungskatalog Paris, La Cinémathèque Française), englische Ausgabe, Paris 2009, S. 125. 7 Dennis Hopper, interviewt von Alexandra Schwartz, in: Alexandra Schwartz, Ed Ruscha’s Los Angeles, Cambridge/Massachusetts 2010, S. 79, 80.

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Petra Giloy-Hirtz, Dennis Hopper, Brooke Hayward Dennis Hopper. The Lost Album Vintage Photographien aus den sechziger Jahren. The Lost Album Gebundenes Buch, Leinen, 244 Seiten, 25x30 583 s/w Abbildungen

ISBN: 978-3-7913-5246-6 Prestel Erscheinungstermin: September 2012

Dennis Hopper als Fotokünstler – seine persönliche Werkauswahl von 1969 Dennis Hopper, als Schauspieler, Autor und Regisseur eine der Ikonen Hollywoods, war als Fotograf ein unermüdlicher Chronist seines Umfelds. Von 1961 bis 1967 hat er unzählige Fotografien aufgenommen. 400 davon wählte er für seine erste große Fotoausstellung 1969/70 im Fort Worth Art Museum, Texas, aus. Diese Vintage-Prints, in Kisten verpackt und für Jahrzehnte vergessen, wurden nach seinem Tod wiederentdeckt und sind jetzt erstmals in Europa zu sehen. Die Originalvorlagen wurden digitalisiert, wobei Gebrauchsund Alterungsspuren sichtbar blieben, wie auch Notizen und Anmerkungen des Künstlers. Dies verleiht der Kollektion eine einmalige Aura des Persönlichen und Unmittelbaren. Es sind legendäre Bilder, spontan, intim und poetisch, dabei auch dezidiert politisch und scharf beobachtend.