Vergangene Zukunft Was man schon zu wissen glaubte

Manuskript radioWissen Vergangene Zukunft – Was man schon zu wissen glaubte AUTOR: Klaus Uhrig REDAKTION: Thomas Morawetz OT 01 Guten Morgen, Es is...
Author: Dieter Schmidt
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Manuskript radioWissen

Vergangene Zukunft – Was man schon zu wissen glaubte

AUTOR: Klaus Uhrig REDAKTION: Thomas Morawetz

OT 01 Guten Morgen, Es ist 7:30. Sie wollten geweckt werden! Heute ist Montag, der 25. Oktober 2000 OT 02 Herr B erwacht gut ausgeruht in seinem klimatisierten, schalldichten Schlafraum. Auf einem tragbaren Schaltpult drückt er einige Knöpfe und bringt damit Leben in seine von der Elektronik beherrschte Wohnung. Herr B ist 45 Jahre alt, parteilos und Junggeselle. Er hat seit 5 Jahren eine feste Freundin und seit zwei Jahren ein künstliches Herz, das ebenfalls absolut zufriedenstellend funktioniert. Herr B ist im Großen und Ganzen mit seinem Leben zufrieden, vor allem da es seit zehn Jahren Optimum 10, ein schnell wirkendes Medikament gegen Depressionen aller Art existiert. Während er sich rasiert – noch immer hat die Wissenschaft kein Mittel gegen Schnupfen oder Bartwuchs entwickelt – wird in der vollautomatischen Küche das vorgefertigt angelieferte Normfrühstück FS10-23 im Hochfrequenzofen zusammen mit dem Kaffee zubereitet. Erzähler: Ausschnitt aus: Richtung 2000 – Vorschau auf die Welt von Morgen. Zweites Deutsches Fernsehen, 1972. Erzählerin: In diesem Film entwerfen die Autoren Arno Schmuckler und Peter Kerstan eine erstaunlich brave Zukunftsvision. Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist im Wesentlichen der Gleiche, wie in den 70er-Jahren. Mit kleinen Unterschieden: Das Essen kommt aus der Mikrowelle und sieht aus, wie Flugzeugnahrung, Economy Class. Die Arbeitszeit beträgt nur noch 25 Stunden die Woche und die Arbeit besteht hauptsächlich darin, zu überprüfen, dass der Computer alles richtig macht. Der Mensch der Zukunft, so diese Vision, hat vor allem ein Problem: Er geht mit 50 in Rente, und dann langweilt er sich noch ein paar Jahrzehnte. Erzähler: Wenn es um das Leben im 21. Jahrhundert ging, hatte das 20. Jahrhundert sehr unterschiedliche Vorstellungen. Fliegende Autos – vielleicht. Atomgetriebene Haushaltsgeräte – möglicherweise. Internet – eher nicht.

2 Erzählerin: Doch in einem waren sich fast alle Voraussagen einig: Der Mensch des 21. Jahrhunderts wird in einem riesigen Hochhaus wohnen, inmitten einer riesigen Stadt, und seine Freizeit weitgehend vor einem riesigen Fernsehgerät verbringen. OT 03 Herrn B’s Wohnung liegt in einem riesigen Wohnturm mit 2000 Appartements. Sie ist nicht nur voll klimatisiert, sondern hat auch Anschluss an das internationale Fernsehsatellitennetz (…) man kann rund um die Uhr fernsehen. Als diese Einrichtung neu war, liefen Millionen Menschen ständig unausgeschlafen herum. Inzwischen hat die Sache den Reiz der Neuheit verloren Erzähler: Wie wird die Welt der Zukunft aussehen? Diese Frage hat nicht nur Science-FictionAutoren immer wieder beschäftigt, sondern auch Historiker, Sozialwissenschaftler und Ingenieure. Wie werden wir leben? Was werden wir essen? Welche Staatsform wird sich durchsetzen – totalitäre Diktatur oder freiheitliches Utopia? O-Ton Seefried In die Zukunft zu schauen ist dem Menschen sicher inhärent. Das ist eine grundsätzliche menschliche Orientierung. Die Suche nach Sicherheit, indem man in die Zukunft schaut. Auch bestimmte Ängste zu bannen, bestimme Handlungen auch vorzubereiten. Das lässt sich in jeder Phase der Geschichte finden. Erzählerin: Die Geschichts-Professorin Elke Seefried von der Uni Augsburg. Sie ist Expertin für die Geschichte der Zukunftsforschung. Erzähler: Die erste Boomphase der Zukunftsträumerei ist die Zeit der Hochindustrialisierung. Das ist durchaus naheliegend: Denn selten wird der technische Fortschritt als so rasant empfunden, wie in dieser Epoche. Eisenbahn. Automobil. Elektrizität. Die Naturwissenschaften liefern fast im Wochentakt neue, spektakuläre Erkenntnisse. OT 05 Und um 1900 gibt es dann erste Überlegungen, dass man auch die Zukunft wissenschaftlich erforschen könne. Das zielte zunächst vor allem auf technische Entwicklungen - also wie wird sich die Technik weiterentwickeln? Erzählerin: Bis zu diesem Zeitpunkt waren Zukunftsvisionen ausschließlich von Romanautoren verfasst worden – wobei einige von ihnen erstaunliche Vorhersagekräfte bewiesen hatten. Der Franzose Jules Verne beispielsweise, in dessen Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“ bereits im Jahr 1869 ein elektrisch angetriebenes U-Boot auftaucht. Erzähler: Oder der Deutsche Kurd Laßwitz, der 1897 in seinem Buch „Auf zwei Planeten“ ein paar ausgesprochen fortschrittliche Marsianer auf der Erde landen lässt. Die Marsbewohner sind nicht nur erstaunlich demokratisch gesinnt, sondern kritisieren auch schon zu diesem Zeitpunkt die fortschreitende Umweltzerstörung auf der Erde. Als Alternative zur Kohleverbrennung schlagen sie tatsächlich Solarenergie vor. Erzählerin: Die ersten Versuche, sich „ernsthaft“ oder gar „wissenschaftlich“ mit der Zukunft zu beschäftigen, funktionieren eigentlich ganz ähnlich wie in der Science-Fiction. Man

3 nimmt einen bestehenden Trend und versucht, ihn in die Zukunft hinein weiterzudenken. Extrapolation nennt man das. Elke Seefried: OT 06 Es gibt zum Beispiel ein Buch von H.G. Wells, der eigentlich Science-Fiction-Autor ist, aber der zugleich auch versuchte, (…) wissenschaftlich angelegt über die Zukunft nachzudenken. Und er hat in so Ausblicken auch über die wissenschaftlich-technische Entwicklung prognostiziert, dass das Auto sich durchsetzen werde, zum entscheidenden neuen Fortbewegungsmittel werde und einfach auch bestimmte Entwicklungen weitergedacht. Erzähler: Eines der erstaunlichsten Zeugnisse dieser frühen Zukunftsforschung ist das Buch „Die Welt in 100 Jahren“ aus dem Jahr 1910. Darin stellt der Journalist Arthur Bremer nicht etwa eine zusammenhängende Zukunftsvision vor, sondern versammelt einzelne Aufsätze von ganz verschiedenen Autoren. Erzählerin: So darf etwa der der rassistische Kolonialpolitiker Carl Peters über „Die Kolonien in 100 Jahren“ schwadronieren. Er stellt sich das so vor, dass die europäischen "Herrenmenschen" in Afrika künftig in schwebenden Ballon-Häusern residieren würden, um der drückenden Hitze am Boden zu entkommen. Erzähler: Und der Schriftsteller Herrmann Bahr prognostiziert in seinem Aufsatz das weitgehende Ende der Literatur – dem Wohlstand sei Dank: Schließlich werde es im Jahr 2010 allen Menschen materiell so gut gehen, dass niemand mehr Romane veröffentlichen müsse, um damit Geld zu verdienen. Zitator Bahr: Es muss dann niemand mehr dichten, bloß um nicht zu verhungern, weil jedem ein anständiger Erwerb zugesichert sein wird. (…) Ist dann also das bewegende Grundmotiv der heutigen Literatur ausgeschaltet, so wird es zunächst fraglich, ob nicht alle Literatur überhaupt stillstehen wird. Erzähler: „Die Welt vor hundert Jahren“ könnte ein reines Kuriosum sein, mit seinen ZeppelinLuftschlachten, seinen Marskolonien und der Voraussage, der Mensch des 21. Jahrhunderts werde sich so weit anpassen, dass er irgendwann Röntgenstrahlen mit bloßem Auge erkennen könne. Doch manche anderen Voraussagen sind von einer geradezu frappierenden Treffsicherheit. Erzählerin: Neben riesigen Erdbeeren und dem Zeitalter des Luftschiffs wird in diesem Buch nämlich auch schon das Smartphone imaginiert. Mit Vibrationsalarm und Börsen-App. Zitator Brehmer: „Die Bürger der drahtlosen Zeit werden überall mit ihrem „Empfänger“ herumgehen. Einerlei, wo er auch sein wird, er wird bloß den Stimm-Zeiger auf die betreffende Nummer einzustellen brauchen, die er zu sprechen wünscht und der Gerufene wird sofort seinen Hörer vibrieren oder das Signal geben können – wobei es in seinem Belieben stehen wird, ob er hören, oder die Verbindung abbrechen will.“ Erzählerin: Nur zur Erinnerung: Dieser Text stammt tatsächlich aus dem Jahr 1910.

4 Zitator Brehmer: Wenn dieser Apparat erst so vervollkommnet ist, dass auch der gewöhnliche Sterbliche sich seiner wird bedienen können, dann werden dessen Lebensgewohnheiten dadurch noch weit mehr beeinflusst werden: Auf seinem Wege von und ins Geschäft wird er seine Augen nicht mehr durch Zeitunglesen anzustrengen brauchen, denn er wird sich in der Untergrundbahn, oder auf der Stadtbahn, oder im Omnibus und wenn er geht auf der Straße nur mit der „gesprochenen Zeitung“ in Verbindung zu setzen brauchen, und er wird alle Tagesneuigkeiten, alle politischen Ereignisse und alle Kurse erfahren, nach denen er verlangt. Erzähler: Weniger hellsichtig waren die Autoren, was die Kriegsführung der Zukunft anging. In einem Kapitel werden riesige Luftschiff-Schlachten der Europäer gegen die Chinesen beschrieben, während mehrere andere Autoren davon ausgingen, Krieg werde in Zukunft unmöglich sein. Und zwar weil beide Seiten so schreckliche Waffen in der Hand haben würden, dass niemand mehr wagen werde, sie einzusetzen. Erzählerin: Immerhin: Dieses „Gleichgewicht des Schreckens“ ist während der Zeit des kalten Krieges eingetreten. Auf das in diesem Zusammenhang prophezeite „Zeitalter des Friedens“ warten wir leider immer noch. Erzähler: Die folgenden Jahrzehnte sind keine gute Zeit für Zukunftsvisionen. Nach der großen Fortschritts-Begeisterung folgt die große Ernüchterung: Zwei Weltkriege, Wirtschaftskrise, Totalitarismus. Erzählerin: In der Literatur sind die 30er und 40er die Zeit der großen Dystopien oder AntiUtopien. 1932 entsteht „Schöne Neue Welt“ von Aldous Huxley, eine Schreckensvision einer Welt ohne freien Willen, in der jeder bereits vor der Geburt seinen Platz zugewiesen bekommt. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erscheint George Orwells „1984“, das Portrait des ultimativen Überwachungsstaates. Erzähler: Die Zukunft ist düster geworden. Erzählerin: Eine erfreuliche Ausnahme bildet die New Yorker Weltausstellung des Jahres 1939. Während in Europa der Zweite Weltkrieg unmittelbar bevorsteht, feiert die amerikanische Industrie ihre Zukunftsvisionen mit einer riesigen Messe unter dem Motto „Building The World Of Tomorrow“ OT 08 It’s here – the new city. Ready to serve a better age for you and your children – the choice is yours. VO: Hier ist sie – die neue Stadt! Bereit für eine bessere Zukunft. Für Sie und ihre Kinder. Sie haben die Wahl! Erzähler: Es gibt aufwändige Exponate: Riesige Abbilder zukünftiger Städte, eine bewegte Modelllandschaft namens „Futurama“, die das Amerika der Zukunft zeigen soll.

5 Erzählerin: Diese Vision fällt allerdings vergleichsweise harmlos aus. Sie blickt auch nicht 100 Jahre in die Zukunft, sondern lediglich 20. Diese Zukunft hat keine riesigen Zeppelinflotten. Stattdessen hat sie ziemlich viele Autobahnkreuze. Erzähler: Die Konzentration auf den Autoverkehr ist kein Zufall. Schließlich wird dieses „Futurama“ vom Fahrzeughersteller General Motors bezahlt. Erzählerin: Trotz dieses eher pragmatischen Ansatzes gibt es auch in dieser Vision Ideen, die bis heute als zukunftsweisend diskutiert werden. So zeigt „Futurama“ bereits eine automatische Abstandskontrolle für jedes Auto, um Unfälle zu vermeiden. Erzähler: Andere Ideen dieser Weltausstellung sind vorsichtig gesagt, eher zeittypisch. Zum Beispiel ein riesiger goldener Roboter namens „Elektro“, der ein bisschen durch die Gegend läuft, mit Hilfe eines eingebauten Schellackplattenspielers ein wenig reden kann, vor allem aber über eine Fähigkeit verfügt: Elektro kann Zigaretten rauchen. Erzählerin: Insgesamt aber sind die 20er-, 30er- und 40er-Jahre eine schlechte Zeit für Zukunftsvisionen. Die große Fortschritt-Euphorie ist vorbei. Holocaust und Atombombe haben gezeigt, wohin die technische Entwicklung auch führen kann: Die Perfektionierung des Tötens. Erzähler: Da verstummt sogar der große Prognostiker und Science-Fiction-Autor H.G. Wells. 1945 schreibt er in seinem letzten Buch einen Satz, den man von ihm am allerwenigsten erwartet hätte: „Es gibt kein Muster dessen, was kommen wird“. Erzählerin: Doch während Wells in England vom „Ende der Geschichte der Menschheit“ schreibt, bildet sich in den USA bereits eine neue Generation von Zukunftsvisionären heraus. Erzähler: Sie sind die Speerspitze einer neuen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Zukunft, die nicht mehr nur bestehende Trends weiterdenkt, sondern ihre Vorhersagen auch mit empirischen Daten unterfüttert. Für die Historikerin Elke Seefried ist dies der Beginn der professionellen modernen Zukunftsforschung OT 10 Nach 1945 entstand in den USA eine neue Prognostik, die auch auf die sogenannte "Großforschung" zurückging. Also diese Big Science, da entstehen neue Forschungszentren, da entstehen Think Tanks wie die Rand Corporation, die sehr viel Geld zur Verfügung haben, also auch vom amerikanischen Staat sehr viel Aufträge erhalten und hier zunächst auch so strategisch-militärische Entwicklungen anstellen. Erzähler: Diese Rand Corporation wird zunächst vom amerikanischen Luftfahrt- und Rüstungskonzern Douglas finanziert, ab dem Jahr 1948 ist sie eine unabhängige Institution. Erzählerin: Um Zukunftsforschung geht es dabei zunächst nur am Rande. Vor allem entwickelt dieser erste Think Tank Strategien für einen möglichen Atomkrieg.

6 OT 11 Das hat auch mit dem Kalten Krieg zu tun, deshalb wird hier auch die militärische Komponente sehr stark gemacht. Es geht aber auch sehr stark um technologische Entwicklungen. Erzähler: Besonders die Atomenergie hat es den Zukunftsforschern in den Think Tanks und staatlichen Institutionen der 50er und 60er Jahre angetan. Bis heute berüchtigt ist das sogenannte „Orion-Projekt“ der amerikanischen Regierung. Darin untersuchen führende Atomwissenschaftler die Möglichkeit einer nukleargetriebenen WeltraumRakete. Erzählerin: Wobei „nukleargetrieben“ vielleicht ein etwas zu harmloser Begriff ist, denn tatsächlich gab es die Idee, eine Rakete mit Unmengen von Atombomben-Explosionen blitzschnell durchs Weltall zu katapultieren. Erzähler: Einer der interessantesten Protagonisten des heraufdämmernden Atomzeitalters ist sicherlich Herman Kahn. Der Physiker ist nicht nur an der Entwicklung der Wasserstoffbombe beteiligt, sondern auch einer der führenden Atomkriegs-Strategen seiner Zeit – und: einer der Begründer der neuen Zukunftsforschung Erzählerin: Eine schillernde Figur. In seinem Buch „On Thermonuclear War“ – also „Über den thermonuklearen Krieg“ – entwickelt er beängstigend detaillierte Planspiele für den dritten Weltkrieg, inklusive selbst erfundener Fachbegriffe wie „Megatote“ – für eine Million Todesopfer. Berühmt wurde vor allem sein Gedankenexperiment einer atomaren „Weltvernichtungsmaschine“, die ultimative Eskalation des „Gleichgewichts des Schreckens“. Immerhin rät er der US-Regierung am Ende davon ab, so eine Monsterwaffe zu bauen. Erzähler: Kahn ist eine Art Superstar des Schreckens-Szenarios. Als der Regisseur Stanley Kubrick 1964 seine Atomkriegs-Satire „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben“ in die Kinos bringt, ist Herman Kahn eine der Hauptinspirationsquellen für den namensgebenden irren Wissenschaftler. Erzählerin: Doch Kahn ist auch einer der wichtigsten Zukunftsforscher seiner Zeit. Er und seine Kollegen entwickeln großangelegte Planspiele und erstellen die ersten Rechenmodelle, anhand derer bestimmte Entwicklungen für die Zukunft vorausgesagt werden sollen. OT 13 Diese Denkfabriken haben in den 50er Jahren auch schon Großrechner zur Verfügung, was ja ansonsten in Unternehmen oft gar nicht der Fall ist oder auch in staatlichen Institutionen eben noch nicht. Erzähler: 1968 kommt die moderne Zukunftsforschung schließlich in Deutschland an. Genauer gesagt: In West-Berlin. Das „Zentrum Berlin für Zukunftsforschung“ wird gegründet. Ebenfalls mit Hilfe eines Großrechners wollen die Berliner Forscher ein Simulationsmodell für die Zukunft der gesamten Stadtpolitik erstellen Erzählerin: Die beteiligten Wissenschaftler sehen die Berlin-Simulation als eine Art FrühwarnSystem. Schließlich ist Westberlin zu diesem Zeitpunkt komplett von der DDR

7 eingeschlossen. Politische oder wirtschaftliche Verwerfungen können hier sehr schnell zu einer handfesten Krise führen. OT 14 Das Modell wurde schon in der Pilotphase gestoppt, weil relativ schnell erkennbar war (...) das Modell ist zu unterkomplex, es ist auch gar nicht anwendbar. Das lag auch daran, dass die Zukunftsforscher sich für alle möglichen Bereiche für zuständig erklärten... sie können Verkehrsmodelle erstellen, Außenpolitikmodelle, Forschungspläne.. Erzähler: Überhaupt hebt die Zukunftsforschung in Deutschland nie so richtig ab. Vielleicht ist man in Europa bei aller Atom-Euphorie insgesamt doch etwas skeptischer, was die Zukunft angeht, als in den USA. Erzählerin: Dort veröffentlicht Ober-Futurologe Herman Kahn 1967 zusammen mit einigen Kollegen die spekulative Studie „Das Jahr 2000“. Darin trifft er zahlreiche Voraussagen, mit welchen 100 technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts „sehr wahrscheinlich“ noch zu rechnen sei. Erzähler: Die Trefferquote ist eher so mittel. Erzählerin: Klar, die Anti-Baby-Pille, Handys, 3D-Kinos und Satellitenfernsehen sind tatsächlich Realität geworden. Erzähler: Dagegen warten wir bis heute auf: Menschlichen Winterschlaf, programmierbare Träume, Saufen ohne Kater, Flüge zu anderen Planeten und einen funktionierenden Langzeit-Wetterbericht. Erzählerin: Fast könnte man meinen, die ganzen Daten, Computermodelle und Planspiele wären genau so wenig aussagekräftig, wie die Fantastereien der Jahrhundertwende. Und in Sachen visionäre Technik stimmt das vielleicht sogar. Wirklich sinnvoll sind die neuen Methoden dagegen in Bereichen, in denen tatsächlich große Datenmengen zur Verfügung stehen. Elke Seefried: OT 15 So ein typisches Beispiel ist die Studie "Die Grenzen des Wachstums" von 1972, erstellt im Auftrag des Club Of Rome (…), das ja auch ein Computer-basiertes Modell war und eben ermittelte, wie sich die Welt bis zum Jahr 2100 entwickeln werde. Man hat ja auch bestimmte Variablen eingespeist: Die Nahrungsmittelproduktion, die Rohstoffvorkommen, die Bevölkerungsentwicklung, die industrielle Produktion, aber auch die Umweltverschmutzung, das war neu, Anfang der 1970er Jahre, und man kam ja dann zu dem Ergebnis, dass angesichts der wachsenden Umweltverschmutzung, auch der abnehmenden Ressourcen und Rohstoffe, die Welt bis zum Jahr 2100 untergehen werde. Erzähler: Nie zuvor war eine futurologische Studie so eingeschlagen wie „Die Grenzen des Wachstums“: In der Folge entsteht eine weltweite Umweltbewegung. Zahlreiche Staaten legen Umweltprogramme auf.

8 Erzählerin: Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die politisch bis heute einflussreichste Zukunftsvision eine Vision vom Ende unserer Zivilisation ist. Jahrzehntelang hatten die Zukunftsforscher strahlende Zukünfte vorausgesagt, voll Wohlstand, Frieden und fliegenden Autos. Doch wirklich politisch relevant werden sie erst, als sie eine Zukunft vorhersagen, von der jeder hoffen muss, dass sie niemals eintritt. OT 16 Das ist ja diese sogenannte Self-Destroying-Prophecy: Es wird eine Krise an die Wand gemalt, eine Krise prognostiziert. Dann reagieren die Menschen und dann trifft die Krise nicht ein, oder zumindest nicht in dieser Form ein. Damit ist nicht das ganze Modell an sich sinnlos, sondern die Prognose hat im Grunde ihr Ziel erreicht. Erzähler: Es ist ein Erfolg, von dem sich die Zukunftsforschung nie mehr erholen wird. Erzählerin: Spätestens Mitte der 70er Jahre hat die Zukunft ihre Unschuld verloren. Eine kindliche Technikbegeisterung wie in den 60er Jahren wird in Zeiten von Ölkrise und Waldsterben zunehmend als gefährlich und naiv angesehen. Dann, 1986, gibt die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl auch noch dem Atomzeitalter den Rest. Erzählerin: Die Methoden der Futurologie sind geblieben. Noch heute werden sie für militärische Planspiele genauso eingesetzt, oder für ökonomischen Prognosen. Doch allen Ernstes Jahrzehnte weit in die Zukunft sehen zu wollen, maßt sich heute niemand mehr an. Politik und Wissenschaft scheinen es mit Helmut Schmidt zu halten: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Erzähler: Wie werden wohl die Menschen zukünftiger Jahrhunderte auf unseren Mangel an Vorstellungskraft zurückblicken? Erzählerin: Wahrscheinlich werden sie uns, diese Prognose sei erlaubt, für ziemliche Langweiler halten. stopp