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Peter Probst, Berlin*

Öffentliche Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenkassen – Ausschreibungspflicht! (Hans & Christopherus Oymanns-GbR 쐧 AOK Rheinland/Hamburg, EuGH (Vierte Kammer), Urteil vom 11. Juni 2009, C-300/07)

Der EuGH (Gerichtshof) klärte mit seinem Urteil in der Rechtssache Oymanns in begrüssenswerter Eindeutigkeit, dass gesetzliche Krankenkassen öffentliche Auftraggeber im Sinne des Gemeinschaftsvergaberechts sind und damit den Regeln des Vergaberechts unterliegen. Darüber hinaus äusserte er sich zur praxisrelevanten Abgrenzung von öffentlichen Aufträgen, die sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Die in Rede stehende Vereinbarung zwischen einer gesetzlichen Krankenkasse und einem Wirtschaftsteilnehmer ordnet er abschliessend zutreffend als Rahmenvereinbarung ein. Der Gerichtshof entschied damit einige bedeutsame Fragestellungen, die zukünftig in der Praxis der Auftragsvergabe Beachtung finden müssen.

Der Orthopädie-Schuhmacher-Betrieb Hans & Christopherus Oymanns («Oymanns») reichte bei der AOK Rheinland/Hamburg ein Angebot ein

• Erstens ging es darum, ob die deutschen gesetzlichen Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber im Sinne der Vorschriften der Richtlinie 2004/18/EG anzusehen sind, • zweitens, ob die aufgrund einer Vereinbarung mit den gesetzlichen Krankenkassen zu erfolgende Zurverfügungstellung individuell nach den Bedürfnissen der Patienten hergestellter und angepasster orthopädischer Schuhe durch spezialisierte Schuhtechniker in Verbindung mit einer ausführlichen Beratung der Patienten vor und nach dieser Zurverfügungstellung als ein Lieferauftrag oder als ein Dienstleistungsauftrag anzusehen ist und • drittens, ob für den Fall, dass diese Zurverfügungstellung orthopädischer Schuhe als Dienstleistung anzusehen sein sollte, sie dann als nicht dem Vergaberechtsregime unterliegende Dienstleistungskonzession oder als ausschreibungspflichtige Rahmenvereinbarung im Sinne der Vorschriften der Richtlinie 2004/18/EG einzuordnen ist.

Vergaberecht

(1) Sachverhalt Das Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf1 erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Hans & Christopherus Oymanns-GbR, Orthopädie Schuhtechnik und der AOK Rheinland/Hamburg. Durch eine im Juni 2006 in einer Fachzeitschrift veröffentlichte Anzeige forderte die AOK Rheinland/Hamburg, eine gesetzliche Krankenkasse, mehrere Orthopädie-Schuhtechniker zur Abgabe von Angeboten über die Anfertigung und Lieferung von Schuhwerk zur integrierten Versorgung im Sinne der §§ 140a ff. Sozialgesetzbuch V (SGB V) auf. Betroffene Patienten sollten sich mit einer Krankenversicherungskarte und einer ärztlichen Verordnung unmittelbar bei dem entsprechenden Orthopädie-Schuhtechniker-Meister melden. Dessen Aufgabe bestand in der Anfertigung und Kontrolle eines individuell angepassten orthopädischen Schuhs, wobei vor und nach Auslieferung jeweils ausführliche Beratungen stattzufinden hatten. Die Zahlungen sollten unmittelbar durch die gesetzliche Krankenkasse erfolgen.

und rügte zwei Tage später Verstösse gegen gemeinschaftliches und deutsches Vergaberecht. Diese Beanstandungen wurden von der gesetzlichen Krankenkasse mit der Begründung zurückgewiesen, die vergaberechtlichen Vorschriften seien im vorliegenden Falle nicht einschlägig. Da Oymanns mit dem Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung in erster Instanz erfolglos blieb, wandte sich das Unternehmen an den Vergabesenat des OLG Düsseldorf. Das OLG Düsseldorf prüfte die Sach- und Rechtslage und legte dem Gerichtshof im Ergebnis im Wesentlichen drei Fragen zur Entscheidung vor:

(2) Urteil In dem Vorabentscheidungsersuchen befasste sich der Gerichtshof mit diesen drei rechtlich nicht miteinander im engeren Zusammenhang stehenden Fragen. Da für die Praxis sämtliche Antworten von besonderer Bedeutung sind, werden diese nachfolgend nacheinander dargestellt und behandelt.

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(a) Öffentliche Auftraggebereigenschaften von gesetzlichen Krankenkassen Zur Beantwortung dieser Frage befasste sich der Gerichtshof zunächst mit der Vorfrage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden gesetzlichen Krankenkassen schon allein deswegen, weil sie in Anhang III der Richtlinie 2004/18/EG erwähnt sind, als Einrichtung des öffentlichen Rechts und somit als öffentliche Auftraggeber anzusehen sind. Dieses lehnte der Gerichtshof ab. Aus Artikel 234 Absatz 1 lit. b EG geht nämlich hervor, dass ein nationales Gericht jederzeit dem Gerichtshof eine Frage nach der Gültigkeit einer Handlung der Organe der Europäischen Gemeinschaften unterbreiten kann, wenn es eine Entscheidung des Gerichtshofs darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält. Es ist dann Sache des Gemeinschaftsrichters, sich zu vergewissern, dass die fragliche Gemeinschaftshandlung kohärent ist. D.h. im konkreten Fall indem er prüft, ob die Nennung einer bestimmten Einrichtung in dem genannten Verzeichnis eine zutreffende Anwendung der in den genannten Bestimmungen festgelegten materiellen Kriterien erkennen lässt.2 Sodann befasst sich der Gerichtshof mit der Frage, ob es sich bei der in Rede stehenden gesetzlichen Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg um eine dem Gemeinschaftsvergaberecht (Richtlinie 2004/18/EG) unterfallende öffentliche Einrichtung handelt. Ohne weitere Umschweife bejaht der Gerichtshof zunächst, dass es sich bei den fraglichen gesetzlichen Krankenkassen um eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt, die durch Gesetz zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, um im Allgemeininteresse liegende Aufgaben im Zusammenhang mit der Gesundheit der Bevölkerung zu erfüllen. Diese Aufgaben, so der Gerichtshof weiter, sind auch nicht gewerblicher Art, da die genannten Kassen ihre Leistungen nicht aus Gewinnerzielungsabsicht erbringen. Nach dieser Feststellung prüfte der Gerichtshof, ob weiter zumindest eine der alternativen Voraussetzungen, die in den drei in Artikel 1 Abs. 9 Unterabsatz 2 lit. c dieser Richtlinie wiedergegebenen Fallvarianten vorgesehen sind, erfüllt ist. Dabei brauchte sich der Gerichtshof ausschliesslich mit dem Tatbestandsmerkmal der überwiegenden Finanzierung durch den Staat befassen, was er im Ergebnis bejahte. In Bezug auf dieses Tatbestandsmerkmal stellte der Gerichtshof zunächst heraus, dass der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, wie aus dem fraglichen nationalen System hervorgeht,3 eine 344

der Grundaufgaben des Staates ist und dass die gesetzlichen Krankenkassen in den Staat eingegliedert sind und der Sache nach Aufgaben im mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen. Dabei nahm der Gerichtshof Bezug auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die das Gesundheitssystem zutreffend wie folgt beschreiben: In seinem Beschluss vom 9. Juni 20044 stellte das Bundesverfassungsgericht Folgendes fest: «Das Sozialrecht ist eines der wichtigsten Instrumente staatlicher Sozialpolitik. Der Schutz in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine der Grundaufgaben des Staats. Ihr ist der Gesetzgeber nachgekommen, in dem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Grossteils der Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat. […] Die Hauptaufgabe der gesetzlichen Krankenkasse steht im Vollzug einer zwecks Erfüllung dieser staatlichen Grundaufgabe geschaffenen detaillierten Sozialgesetzgebung». Schliesslich entschied das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 31. Januar 2008, dass Krankenkassen eingegliederte Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, die der Sache nach Aufgaben in mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen.5 Sodann wies der Gerichtshof darauf hin, dass der Wortlaut der genannten Vorschrift keine näheren Angaben zu der Art und Weise enthält, nach der die Finanzierung, um die es in dieser Vorschrift geht, zu erfolgen hat. So verlangt diese Vorschrift insbesondere nicht, dass die Tätigkeit der fraglichen Einrichtungen direkt vom Staat oder an einer anderen Stelle des öffentlichen Rechts finanziert wird, damit die betreffende Voraussetzung erfüllt ist. Eine Art der indirekten Finanzierung reicht somit hierfür aus.6 Der Gerichtshof bejahte daher im Ergebnis eine überwiegende Finanzierung durch den Staat und führt zur Begründung im Wesentlichen fünf Aspekte aus: Erstens ist festzustellen, dass die Finanzierung der in Rede stehenden gesetzlichen Krankenkassen nach der massgeblichen nationalen Regelung durch die Beiträge der Mitglieder, unmittelbare Zahlungen der Bundesbehörden sowie Ausgleichszahlungen dieser Kassen untereinander sichergestellt wird, die sich aus dem System des Risikostrukturausgleichs zwischen ihnen ergeben. Die Krankenkassen werden daher weit überwiegend durch die Pflichtbeiträge der Versicherten finanziert.7

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Zweitens ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Beiträge der Versicherten ohne spezifische Gegenleistung im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs gezahlt werden.8 Diese Zahlungen sind nämlich nicht mit einer konkreten vertraglichen Gegenleistung verbunden, da weder die Beitragspflicht noch die Beitragshöhe das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und ihren Mitgliedern ist; diese sind Kraft Gesetzes zur Zahlung der Beiträge allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft verpflichtet, die auch gesetzlich vorgeschrieben ist. Drittens stellt das vorlegende OLG Düsseldorf fest, dass der Beitragssatz nicht durch die Träger der öffentlichen Gewalt, sondern durch die gesetzlichen Krankenkassen selbst festgelegt wird. Das OLG Düsseldorf weist allerdings – wie der Gerichtshof klarstellt – zu Recht darauf hin, dass der Spielraum dieser gesetzlichen Krankenkassen hier äusserst begrenzt ist, da ihr Auftrag darin besteht, die Leistungen sicherzustellen, die die Regelungen auf dem Gebiet der Sozialversicherung vorsehen. Somit ist der Beitragssatz, da die Leistung der mit diesem verbundenen Ausgaben gesetzlich vorgesehen ist und die genannten Kassen ihre Aufgaben nicht mit Gewinnerzielungsabsicht wahrnehmen, so festzusetzen, dass die sich daraus ergebenen Einnahmen die Ausgaben nicht unterschreiten oder übersteigen. Viertens ist zu betonen, dass die Festsetzung des Beitragssatzes durch die gesetzlichen Krankenversicherungen in jedem Fall der Genehmigung durch die staatlichen Aufsichtsbehörden der jeweiligen Krankenkasse bedarf. Der genannte Satz ist somit in gewissem Umfang rechtlich vorgegeben. Was schliesslich die übrigen Einnahmequellen dieser Kassen betrifft, so sind die unmittelbaren Zahlungen der Bundesbehörden, wie wohl an sich von geringerer Bedeutung, unbestreitbar eine unmittelbare Finanzierung durch den Staat. Was schliesslich die Art und Weise der Erhebung der Beiträge betrifft, ergibt sich aus der Vorlageentscheidung fünftens, dass in der Praxis der Arbeitgeber den Beitragsanteil des Versicherten von dessen Gehalt einbehält und ihn zusammen mit seinem Anteil an die zuständige gesetzliche Krankenkasse zahlt. Die Erhebung der Beiträge erfolgt somit ohne Interventionsmöglichkeit des Versicherten. Der Gerichtshof betont, dass das vorlegende OLG Düsseldorf in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass die Beiträge aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zwangsweise eingezogen werden.

Eine Finanzierung eines öffentlichen Krankenversicherungssystems wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die durch einen staatlichen Akt herbeigeführt worden ist, in der Praxis durch die Träger der öffentlichen Gewalt garantiert wird und durch eine öffentlich-rechtliche Vorschrift unterliegende Art der Erhebung der sich hierauf beziehenden Beiträge sichergestellt wird, erfüllt demnach die Voraussetzung der überwiegenden Finanzierung durch den Staat für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge. Der Gerichtshof beantwortete die Vorlagefrage daher dahingehend, dass gesetzliche Krankenkassen, wie die AOK Rheinland Pfalz/Hamburg, als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Gemeinschaftsvergaberechts anzusehen sind. (b) Einordnung gemischter öffentlicher Aufträge Im Hinblick auf die Einordnung gemischter öffentlicher Aufträge stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass die Richtlinie 2004/18/EG für den Fall, dass ein Auftrag sowohl die Lieferung von Waren als auch die Erbringung von Dienstleistungen umfasst, in ihrem Artikel 1 Absatz 2 lit. d Unterabsatz 2 eine Sonderregelung enthält; diese beinhaltet als Abgrenzungskriterium zur Einstufung des fraglichen Auftrags als Lieferauftrag oder als Dienstleistungsauftrag den jeweiligen Wert der in diesem Auftrag einbezogenen Waren und Dienstleistungen. Dieses Kriterium hat quantitativen Charakter, das heisst, es stellt konkret auf den Wert der Gegenleistung ab, die als Vergütung für den Bestandteil Waren und den Bestandteil Dienstleistung geschuldet wird, die in den fraglichen Auftrag einbezogen sind. Sodann wies der Gerichtshof zusätzlich darauf hin, dass der Begriff «öffentliche Lieferaufträge» in Artikel 1 Absatz 2 lit. c Unterabsatz 1 der Richtlinie 2004/18/EG nicht danach unterscheidet, ob die fraglichen Waren standardmässig oder für den Einzelfall, das heisst, nach den konkreten Wünschen und Bedürfnissen des Kunden, hergestellt wurden. Der Warenbegriff, auf den diese Vorschrift allgemein abstellt, schliesst folglich auch ein individuelles Anfertigungsverfahren ein, unabhängig davon, ob die betreffende Ware den Verbrauchern bereits im fertigen Zustand zur Verfügung gestellt oder nach deren Anforderung hergestellt worden ist. Diese Betrachtungsweise wird durch Artikel 1 Abs. 4 der Richtlinie 1999/44/EG bestätigt, die als «Kaufverträge» allgemein und ohne Unterscheidung «Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter» einstuft. 345

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Somit antwortete der Gerichtshof auf die zweite Vorlagefrage, dass, wenn ein gemischter öffentlicher Auftrag sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand hat, das anzuwendende Abgrenzungskriterium der jeweilige Wert der in diesem Auftrag einbezogenen Waren und Dienstleistung ist. Bei der Zurverfügungstellung von Waren, die individuell nach den Bedürfnissen des jeweiligen Kunden hergestellt und angepasst werden und über deren Nutzung dieser individuell zu beraten ist, ist die Anfertigung der genannten Waren dem Auftragsteil der «Lieferung» für die Berechnung des Wertes des jeweiligen Bestandteils zuzuordnen. (c) Dienstleistungskonzession oder öffentlicher Auftrag Die dritte Vorlagefrage zielt im Wesentlichen darauf ab, ob die fragliche Auftragsvergabe zwischen einer gesetzlichen Krankenkasse und einem Orthopädie-Schuhtechniker im Hinblick auf die in der Vorlageentscheidung des OLG Düsseldorf dargelegten Merkmale als Dienstleistungskonzession im Sinne des Artikel 1 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG oder als Rahmenvereinbarung im Sinne von Artikel 1 Absatz 5 der genannten Richtlinie einzustufen ist. Eine Dienstleistungskonzession ist ein Vertrag, der von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung ausschliesslich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. Die Rahmenvereinbarung wird dagegen als Vereinbarung zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern definiert, die zum Ziel hat, die Bedingungen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge für die Aufträge, festzulegen, die im Lauf eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen. Zunächst stellt der Gerichtshof klar, dass die betreffenden Begriffe recht ähnliche Merkmale aufweisen, so dass «eine deutliche Unterscheidung zwischen ihnen von vorne herein nicht einfach ist».9 Auf jeden Fall ergibt sich aus der oben angeführten Definition der Dienstleistungskonzession aber, dass für diese eine Lage kennzeichnend ist, in der ein Auftraggeber ein Recht zur Nutzung einer bestimmten Dienstleistung an einen Konzessionär überträgt. Dabei verfügt letzterer im Rahmen des geschlossenen Vertrages über eine bestimmte wirtschaftliche Freiheit, um die Bedingungen zur Nutzung dieses Rechts zu bestimmen, und ist somit parallel dazu weitgehend den mit die346

ser Nutzung verbundenen Risiken ausgesetzt. Dem gegenüber ist eine Rahmenvereinbarung dadurch gekennzeichnet, dass der Tätigkeit des Wirtschaftsteilnehmers, der Vertragspartner der Vereinbarung ist, insoweit Grenzen gesetzt sind, als sämtliche im Lauf eines bestimmten Zeitraums an ihn zu vergebenen Aufträge die in dieser Vereinbarung vorgesehenen Bedingungen einhalten müssen.10 Dieses Unterscheidungsmerkmal findet in der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Bestätigung, der zufolge eine Dienstleistungskonzession dann vorliegt, wenn die vereinbarte Art der Vergütung im Recht des Dienstleistungserbringers zur Verwertung seiner eigenen Leistung besteht und impliziert, dass er das mit den fraglichen Dienstleistungen verbundene Betriebsrisiko übernimmt.11 Im vorliegenden Fall ist der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Auftrag ein sogenannter «Vertrag über die integrierte Versorgung», der in den §§ 140a bis 140e SGB V vorgesehen ist und zwischen einer gesetzlichen Krankenkasse und einem Wirtschaftsteilnehmer geschlossen wird. Nach diesem Vertrag übernimmt der Wirtschaftsteilnehmer die Verpflichtung zur Versorgung der Versicherten, die sich an ihn wenden. Zugleich werden in dem genannten Vertrag die Preise für die unterschiedlichen Leistungsformen und die Vertragsdauer bestimmt. Mengenmässig werden die verschiedenen Leistungen nicht festgelegt, doch verlangt der Begriff der Dienstleistungskonzession eine derartige Regelung nicht. Die gesetzliche Krankenkasse ist die alleinige Schuldnerin des Vergütungsanspruchs des Leistungserbringers. Es zeigt sich somit, dass die Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeiten des Wirtschaftsteilnehmers in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrag definiert werden, so dass der genannte Wirtschaftsteilnehmer nicht über den Grad wirtschaftlicher Freiheit verfügt, der für die Situation einer Dienstleistungskonzession Kennzeichen ist, und auch nicht einem beträchtlichen, mit der Nutzung seiner Leistungen verbundenen Risiko ausgesetzt ist. Folglich wird das mit der Auslegung der fraglichen Tätigkeiten verbundene Risiko – ein Aspekt, der für die Lage eines Konzessionärs im Rahmen einer Dienstleistungskonzession kennzeichnend ist – im vorliegenden Fall nicht überwiegend von den Wirtschaftsteilnehmer getragen.12 Insofern beantwortet der Gerichtshof die Frage dahingehend, dass der Vertrag über die integrierte Versorgung eine Rahmenvereinbarung im Sinne der Richtlinie 2004/18/EG darstellt.

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(3) Kommentar Der Gerichtshof hat mit seiner Entscheidung unter mehreren Aspekten für mehr Rechtsicherheit gesorgt; im Hinblick auf die mitunter schwierige Abgrenzung von vergabepflichtigen öffentlichen Aufträgen und dem Vergaberecht nicht unterliegenden Dienstleistungskonzessionen wurden einige klärende Hinweise gegeben. (a) Öffentliche Auftraggebereigenschaft von gesetzlichen Krankenkassen Die Einordnung von gesetzlichen Krankenkassen als integraler Bestandteil des deutschen Gesundheitssystems als Einrichtung des öffentlichen Rechts und damit als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts nach Art. 1 Abs. 9 Richtlinie 2004/18/EG bzw. § 98 Nr. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist zutreffend und war nach der Entscheidung des Gerichtshofs zur öffentlichen Auftraggebereigenschaft öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten Bayerischer Rundfunk u.a.13 zu erwarten. Rundfunkanstalten sind deshalb öffentliche Auftraggeber im Sinne der Richtlinie 2008/18/EG, weil die Geldmittel konkret und überwiegend durch Gebühren der Benutzer aufgebracht werden. Damit hat der Gerichtshof auch die in der Vorlageentscheidung an den Gerichtshof zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf bestätigt.14 National wurde diese zuvor umstrittene Rechtsfrage15 in der Zwischenzeit im Zusammenhang mit sog. Rabattverträgen gemäss § 130 SGB V ohne grösseren Argumentationsaufwand gegen die Ortkrankenkassen als öffentliche Auftraggeber von den Nachprüfungsinstanzen entschieden.16 Im Hinblick auf die Auftraggebereigenschaft besteht daher sowohl gemeinschaftsrechtlich als auch national jetzt eine eindeutige Rechtslage. Die zunächst im Hinblick auf den zulässigen Rechtsweg bestehende Rechtsunsicherheit wurde in Deutschland mittlerweile vom Gesetzgeber durch das Gesetz zur Verbesserung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung Ende 2008 beseitigt. Die Nachprüfungsverfahren verlaufen nun zunächst eingleisig bei der nach §§ 112 ff. GWB und § 69 Absatz 2 Satz 1 SGB V zuständigen Vergabekammer. Im Beschwerdeverfahren werden sie in Fällen klassischer öffentlicher Auftraggeber wie bisher vom Oberlandesgericht, §§ 116 ff. GWB, oder nach § 29 Absatz 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei gesetzlichen Krankenkassen vom Landessozialgericht entschieden. Auch über Divergenzvorlagen wird nicht von einer Instanz entschieden, sondern entweder vom Bundesgerichts-

hof oder vom Bundessozialgericht. Ob und inwieweit diese Rechtswegspaltung ein tragfähiger Kompromiss ist, bleibt abzuwarten. Viel spricht aus Praktikersicht dafür, dass – wie üblich bei Kompromissen – Licht und Schatten sich die Waage halten werden. Materiellrechtlich sind die Vergabevorschriften für klassische öffentliche Auftraggeber in Deutschland teilweise auf die gesetzlichen Krankenkassen erstreckt worden, soweit es sich nicht um Verträge handelt, zu deren Abschluss die Kassen bzw. deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind, § 69 Absatz 2 SGB V. Ein Vorbehalt schränkt die Geltung des Vergaberechts allerdings dahingehend ein, da es für die Krankenkassen nur mit der Massgabe gelten soll, «dass der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen besonders zu berücksichtigen ist» (§ 69 Absatz 2 Satz 3 SGB V).17 Insofern steht fest, dass die Krankenkassen das materielle Vergaberecht, wenn auch mit Einschränkungen, anwenden müssen. Weitere Streitigkeiten sind allerdings vorprogrammiert. Denn eine Vielzahl von weiteren Vertragsleistungen, die vom materiellen Vergaberecht erfasst werden könnten, sind noch nicht einer umfassenden Regelung zugeführt worden.18 Unklar wird zunächst in jedem Fall bleiben, wie im Vergabeverfahren «der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen besonders zu berücksichtigen» sein wird. Die Sicherung der medizinisch notwendigen und wirtschaftlichen Versorgung kann vergaberechtlichen Zwängen zuwiderlaufen. Dies kann sowohl bei der Einhaltung von Fristen, aber auch bei der Ausgestaltung der Leistungsbeschreibung oder im Zusammenhang mit dem Rechtsschutz der Fall sein. Vor diesem Hintergrund ist das Spannungsverhältnis zwischen dem wettbewerblich geprägten Vergaberecht und dem Sozialrecht in Deutschland noch keiner eindeutigen Klärung zugeführt worden.19 (b) Einordnung von gemischten Aufträgen Die Einordnung von individuell nach den Bedürfnissen des jeweiligen Kunden hergestellter Waren nicht als Dienstleistung sondern als Lieferleistung20 durch den Gerichthof ist auch bei Anlegung eines nationalen Massstabs zutreffend. Nach § 99 Abs. 7 S. 1 GWB gilt ein öffentlicher Auftrag als Dienstleistungsauftrag, der sowohl den Einkauf von Waren als auch die Beschaffung von Dienstleistungen zum Gegenstand hat, wenn der Wert der Dienstleistungen den Wert der Waren übersteigt. Dieses Kriterium hat – wie der Gerichtshof wiederholt – quantitativen Charakter, d.h. es stellt konkret auf den Wert der Gegenleistung ab, 347

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die als Vergütung für den Bestandteil «Waren» und den Bestandteil «Dienstleistungen» geschuldet wird.21 Dabei entzieht sich die rechtliche Einordnung allerdings einer generalisierenden Betrachtungsweise. Vielmehr sind die den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden rechtlichen und wirtschaftlichen Merkmale und Umstände massgeblich.22 Der Gerichtshof betont allerdings zutreffend, dass dabei ohne Bedeutung ist, was den Hauptgegenstand des fraglichen Auftrags ausmacht. Denn dieses Kriterium dient nur der Abgrenzung von gemischten Aufträgen, die sich auf Bau- und Lieferleistungen beziehen. Eine Übertragung dieses Kriteriums auf die vorliegende Abgrenzungsfrage verbietet sich.23 Dabei herrscht in dieser häufig aufkommenden Frage nunmehr ein erhöhter Grad an Rechtssicherheit, wenngleich die Abgrenzung von Liefer- und Dienstleistungsauftrag im Einzelfall, insbesondere bei erheblichem Beratungs- und Aufklärungsbedarf des Auftragnehmers (wie vorliegend), schwierig sein kann. (c) Dienstleistungskonzession versus Rahmenvereinbarung Die interessantesten Aussagen trifft der Gerichtshof im Hinblick auf die Abgrenzung von einer Dienstleistungskonzession zu einem öffentlichen Auftrag, hier in Gestalt eines Rahmenvertrages. Diese Abgrenzungsfrage ist deshalb von besonderer praktischer Bedeutung, weil vielfältige Konstellationen unter den Begriff einer Dienstleistungskonzession subsumiert werden könne. Dazu zählen u.a. beispielsweise die Verpachtung gastronomischer Einrichtungen, der Betrieb eines Hallenbades, einer Saunalandschaft oder auch eines Freibades nebst Gastronomie, der Betrieb einer gebührenpflichtigen öffentlichen Parkplatzes, ein Verlagsvertrag bezüglich bibliografischer Verzeichnisse, die Vergabe des Rechts zur Entsorgung von Altpapier oder auch der Betrieb eines Kabelfernsehnetzes sowie diverse Vertraggestaltungen betreffend Leistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Das in der vorliegenden Konstellation mit dem Fall befasste OLG Düsseldorf tendierte richtigerweise dazu, eine Dienstleistungskonzession deshalb abzulehnen, weil es an einem «Recht zur Nutzung der Dienstleistung» fehle. Im Ergebnis hat sich der Gerichtshof dem angeschlossen, dabei aber zutreffend vor allem auch auf die (fehlende) Übernahme erheblicher wirtschaftlicher Risiken sowie den (hier ebenfalls zu verneinenden) erforderlichen ausreichenden Grad wirtschaftlicher Freiheit abgestellt.24 348

(aa) Abgrenzung nach Massgabe des Gemeinschaftsrechts In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Definition eines öffentlichen Auftrags in den Bereich des Gemeinschaftsrechts fällt. Ob ein Vertrag als Dienstleistungskonzession einzustufen ist, ist daher ausschliesslich anhand des Gemeinschaftsrechts zu beurteilen.25 Nach Artikel 1 Absatz 4 der EU-Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG sind Dienstleistungskonzessionen Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschliesslich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. Die Art der Gegenleistung unterscheidet damit beide Rechtsinstitute ganz massgeblich voneinander. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshof ist die Dienstleistungskonzession ein Vertrag eines öffentlichen Auftraggeber mit einem Unternehmen, die als Leistungen einerseits eine Gestattung des Konzessionsgebers und andererseits das Recht des verpflichteten Konzessionärs zur Erbringung der Dienstleistung gegen Entgelt, das die Nutzer der Leistungen erbringen, zum Gegenstand hat.26 Der Sache nach handelt es sich bei der Dienstleistungskonzession daher um eine Verwertungshandlung des öffentlichen Auftraggebers als Konzessionsgeber und nicht um einen entgeltlichen Beschaffungsauftrag der öffentlichen Hand. Der öffentliche Auftraggeber erbringt keine Gegenleistung; vielmehr wird die Dienstleistung vom Auftragnehmer kommerziell genutzt.27 Dies war bei dem vorliegend in Rede stehenden Vertrag über die integrierte Versorgung – wie der Gerichtshof zutreffend erkannte – nicht der Fall. Denn Kennzeichen einer Konzession ist, dass sie die Übertragung eines Rechts zur Verwertung einer bestimmten Leistung umfasst und dass der Konzessionär – ganz oder jedenfalls zum überwiegenden Teil – das wirtschaftliche Nutzungsrisiko trägt.28 Bei dem in Rede stehenden Vertrag verfügt der Wirtschaftsteilnehmer nicht über den Grad wirtschaftlicher Freiheit, der für diese Situation einer Dienstleistungskonzession kennzeichnend ist und ist auch nicht an das beträchtliche, mit der Nutzung seiner Leistung verbundene Risiko ausgesetzt. Das vorliegend unstreitbar bestehende Risiko, dass seine Waren und Dienstleistungen von dem Versicherten möglicherweise nicht in Anspruch genommen werden, ist zu gering, um den Gesamtvorgang dem Charakter eines Dienstleistungskonzessionsvertrages

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zu geben.29 Denn der Wirtschaftsteilnehmer ist mit der Beitreibung seiner Vergütung und der Insolvenz seines einzelnen Vertragspartners verbundenen Risikos enthoben, da die gesetzliche Krankenkasse von Rechtswegen die alleinige Schuldnerin seiner Vergütung ist. Ausserdem muss er, obwohl er für seine Leistungen über eine hinreichende Ausstattung verfügen muss, im Vorfeld gerade keine beträchtlichen Aufwendungen tätigen, bevor er einen Einzelvertrag mit einem Versicherten schliesst. Folglich hat der Gerichtshof aufgrund der zu geringen Übernahme des vermeintlichen Risikos die Annahme eines Dienstleistungskonzessionsvertrages zu Recht abgelehnt. (bb) Anforderungen an die Konzessionsvergabe Obgleich nach Artikel 17 der Richtlinie 2004/18/EG diese nicht für Dienstleistungskonzessionen gilt, ist auch bei Vergabe einer Dienstleistungskonzession ein gemeinschaftsrechtskonformes wettbewerblich geprägtes Auswahlverfahren durchzuführen. Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung Teleaustria deutlich gemacht, dass bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen die Grundregeln des EG-Vertrages im Allgemeinen und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sowie das damit einhergehende Transparenzgebot im Besonderen zu beachten sind.30 Der Auftraggeber einer Dienstleistungskonzession ist daher zugunsten potentieller Bieter verpflichtet, einen angemessen Grad an Öffentlichkeit herzustellen, die den Dienstleistungsmarkt dem Wettbewerb öffnet und eine Nachprüfung dahingehend ermöglicht, ob die Vergabe unparteiisch durchgeführt wurde. Aus Artikel 86 Absatz 1 EG folgt ausserdem, dass die Mitgliedstaaten keine nationalen Rechtsvorschriften fortgelten lassen dürfen, die die Vergabe öffentlicher Dienstleistungskonzessionen ohne Ausschreibung ermöglichen, da eine solche Vergabe gegen die Artikel 43 EG oder 49 EG oder gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz verstösst.31 Der öffentliche Auftraggeber muss die beabsichtigte Vergabe einer Dienstleistungskonzession deshalb öffentlich bekannt machen. Auch Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten müssen angemessenen Zugang zu Informationen über die beabsichtigte Konzessionsvergabe haben, um ihr Interesse am Erhalt der Konzession bekunden zu können.32 Zwischen mehreren eingehenden Angeboten muss er zudem in einer Weise auswählen, die dem Gleichheits-, Nichtdiskriminierungsund Transparenzgrundsatz entspricht. Auch wenn der Auftraggeber nicht an die strengen Regeln des

nationalen wie gemeinschaftlichen Vergaberechts gebunden ist, muss er mithin ein Bieterauswahlverfahren durchführen. In der Praxis wird sich daher häufig eine Anlehnung an ein vergaberechtliches Verhandlungsverfahren – mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb – nach Art. 1 Abs. 11 lit. d) der Richtlinie 2004/18/EG anbieten. Zum einen existiert bei der Verfahrensausgestaltung im Lichte der Grundfreiheiten des EG-Vertrages hier aufgrund einer umfassenden Judikatur ein hohes Mass an Rechtssicherheit,33 zum anderen gewährleistet diese Art des Verfahrens im Regelfall auch eine ordnungsgemässe Konzessionsvergabe. Denn Sinn und Zweck dieses Verfahrens ist es, dem Auftraggeber die Möglichkeit zu eröffnen, mit den Bietern über deren (Eingangs-) Angebote und die Vertragspreise zu verhandeln, um – ggf. durch Anpassung und Fortschreibung bereits abgegebener Angebote34 – das entsprechend den Anforderungen der Vergabeunterlagen wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln.35 Dadurch wird bei der Konzessionsvergabe zugleich das auch hier einschlägige haushaltsrechtliche Prinzip der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel gewahrt. Eine Anwendung der Artt. 12, 43 und 49 EG sowie der vorgenannten allgemeinen Grundsätze ist nur dann ausgeschlossen, wenn die konzessionserteilende öffentliche Stelle – der Konzessionsgeber – über den Konzessionär eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Einrichtung zugleich die Tätigkeit im Wesentlichen für die Stelle verrichtet, die ihre Anteile innehat.36 Die Rechtssprechung des Gerichtshofs für In-house-Geschäfte wird damit auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionsverträgen übertragen.37 (cc) Rechtsschutz der (Bieter)Unternehmen Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss den Interessenten an einer Dienstleistungskonzession effektiver Rechtsschutz zur Seite stehen. Die konkrete Ausgestaltung des Rechtsschutzes ist dabei den Mitgliedstaaten vorbehalten. In Deutschland ist Einiges noch im Fluss und ein effektiver Rechtsschutz bisher kaum verankert. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf, wonach weder Primärrechtsschutz noch ein Rechtsschutz nach den Vorschriften des Vergaberechts (Nachprüfungsverfahren nach den §§ 102 ff. GWB) gegeben ist,38 hält insofern einer gemeinschaftsrechtlichen Prüfung nicht Stand. Richtig ist zwar, dass Primärrechtsschutz anhand der Regeln des Kartellvergaberechts nicht verlangt werden kann, weil dieser sich eindeutig nur auf die Vergabe öffentlicher Aufträge bezieht.39 Auch der natio349

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nale Rechtsweg zu den Zivilgerichten ist entgegen einer weit verbreiteten Ansicht40 nicht gegeben. Dies gilt beispielsweise auch im Gegensatz zu dem Rechtsschutz bei der Vergabe im Unterschwellenwertbereich. In Anbetracht des vorstehend unter (bb) dargestellten Rechtsrahmens ist dagegen richtig und überzeugend, die Kontrolle der Einhaltung der Mindeststandards bei Dienstleistungskonzessionsvergaben den Verwaltungsgerichten als Teil des Öffentlichen Rechts vorzubehalten.41 Die Verwaltungsgerichte haben dann effektiven Primärrechtsschutz zu gewährleisten.42 Das subjektive Recht eines interessierten Unternehmens auf Einhaltung des bei der Vergabe zu beachtenden Transparenzgebots kann beispielweise durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO gesichert werden.43 Da die Einzelheiten des Primärrechtsschutzes im Einzelnen noch nicht geklärt sind, bleibt zu hoffen, dass dies kurzfristig geschieht. Andernfalls drohen gemeinschaftsrechtlich bedenkliche Zustände, aus denen nicht überschaubare Risiken, insbesondere für öffentliche Auftraggeber, erwachsen können.

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* Peter Probst, M.B.L.-HSG, ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner in der internationalen Wirtschaftskanzlei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH; ab dem 1. Januar 2010 ist er Partner bei der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte, Berlin. 1 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Mai 2007, Az. Verg. 50/06, VergabeR 2007, 622. 2 Urteil, Rn. 45. 3 Eine ausführliche Darstellung des hier in Rede stehenden Gesundheitssystems findet sich in dem Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf sowie auch in der Entscheidung des Gerichtshofs; siehe beispielsweise NZBau 2009, 520, 521 f. 4 BVerfG, NVwZ 2005, 572. 5 BVerfG, NVwZ 2008, 671. 6 In diesem Sinne EuGH, Slg. 2007, I-11173 = NZBau 2008, 130, 132 ff. Bayerischer Rundfunk u.a. 쐧 GEWA – Gesellschaft für Gebäudereinigung und Wartung mbH, Rn. 34 u. 49. 7 Urteil, Rn. 52. 8 In diesem Sinne EuGH, Slg. 2000, I-8035 = NZBau 2001, 218, 220 The Queen 쐧 H.M. Treasury, ex parte The University of Cambridge, Rn. 23 bis 25. 9 Urteil, Rn. 70. 10 Urteil, Rn. 71. 11 EuGH, Slg. 2007, I-6657 = VergabeR 2007, 604 Kommission 쐧 Italien, Rn. 34. 12 Urteil, Rn. 75. 13 EuGH, Slg. 2007, I-11173 = NZBau 2008, 130 Bayerischer Rundfunk u.a. 쐧 GEWA – Gesellschaft für Gebäudereinigung und Wartung mbH. 14 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Mai 2007, Az. VII Verg. 50/06 Orthopädie Schuhtechnik, VergabeR 2007, 622 ff. 15 Vgl. u.a. die Nachweis bei Goodarzi/Schmidt, NZS 2008, 518, 521; zur Begriff des öffentlichen Auftrags und der Tä350

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tigkeit der gesetzlichen Krankenkassen vgl. Dreher/ Hoffmann, NZBau 2009, 273. VK Düsseldorf, Beschluss vom 31. Oktober 2007, Az. VK31/2007-L; VK Bund, Beschluss vom 15. November 2007, Az. VK 2-102/07 und VK 2-105/07; vgl. auch LSG BadenWürttemberg, Beschluss vom 23. Januar 2009 – Az. L 11 WB 5971/08. Zutreffend auch Schabel, Vergaberecht 2009, 754, 756 in seiner Urteilsanmerkung. Siehe dazu Goodarzi/Schmidt, NZS 2008, 518; Schabel, Vergaberecht 2009, 754, 756 m.w.N. Ebenso schon Schabel, Vergaberecht 2009, 754, 756. Zur Bedeutung dieser Abgrenzung siehe OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Mai 2007, VII Verg 50/06 Orthopädie Schuhtechnik, VergabeR 2007, 622, 627. Urteil, Rn. 61; vgl. Eschenbruch, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. (2009), § 99 Rn. 245. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Mai 2007, Az. Verg. 50/06, NZBau 2007, 525; VK Münster, Beschluss vom 26. September 2007, Az. VK 17/07. Urteil, Rn. 62, 63. Urteil, Rn. 73, 75. EuGH, Slg. 2007, I-6657 = VergabeR 2007, 604 Kommission 쐧 Italien, Rn. 30 f.; OLG München, Beschluss vom 21. Mai 2008, Az. Verg. 5/08. EuGH vom 13. November 2008, C-324/07 Coditel Brabant SA 쐧 Commune d’Uccle und Région de Bruxelles-Capitale, Rn. 24 f.; EuGH Slg. 2007, I-6657 = VergabeR 2007, 604 Kommission 쐧 Italien, Rn. 34; EuGH Slg. 2005, I-8585 Parking Brixen GmbH 쐧 Gemeinde Brixen und Stadtwerke Brixen AG, Rn. 40 f.; vgl. Wurzel/Probst in: Ossola-Haring, Die GmbH mit kommunaler Beteiligung und die gemeinnützige GmbH, 3. Aufl. (2009), S. 318. EuGH vom 13. November 2008, C-324/07 Coditel Brabant SA 쐧 Commune d’Uccle und Région de Bruxelles-Capitale, Rn. 24 f.; EuGH Slg. 2005, I-8585 Parking Brixen GmbH 쐧 Gemeinde Brixen und Stadtwerke Brixen AG, Rn. 40 f. EuGH vom 13. November 2008, C-324/07 Coditel Brabant SA 쐧 Commune d’Uccle und Région de Bruxelles-Capitale, Rn. 24 f.; EuGH Slg. 2007, I-6657 = VergabeR 2007, 604 Kommission 쐧 Italien, Rn. 34; vgl. Eschenbruch in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. (2009), § 99 Rn. 224. Urteil, Rn. 74. EuGH, Slg. 2000, I-10745 Telaustria Verlags GmbH und Telefonadress GmbH 쐧 Telekom Austria AG, Rn. 60; vgl. Eschenbruch in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWBVergaberecht, 2. Aufl. (2009), § 99 Rn. 219. EuGH, Slg. 2006, I-3303 Associazione Nazionale Autotrasporto Viaggiatori (ANAV) 쐧 Comune di Bari und AMTAB Servizio SpA; EuGH Slg. 2005, I-7287 Consorzio Aziende Metano (Coname) 쐧 Comune di Cingia de’ Botti; VG Köln, Urteil vom 16. Oktober 2008, Az. 1 K 4507/08. EuGH, Slg. 2005, I-7287 Consorzio Aziende Metano (Coname) 쐧 Comune di Cingia de’ Botti, Rn. 21, 28; EuGH vom 13. November 2008, C-324/07 Coditel Brabant SA 쐧 Commune d’Uccle und Région de Bruxelles-Capitale, Rn. 25. Siehe schon Probst in: Baudenbacher, Aktuelle Entwicklungen des Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrechts, Band 6 (2004), S. 311, 345 f. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Juli 2006, Az. Verg. 21/06. BGH, Urteil vom 10. September 2009, Az. VII ZR 255/08; vgl. OLG Frankfurt, VergabeR 2001, 299; OLG Celle, VergabeR 2002, 299, 301. EuGH vom 13. November 2008, C-324/07 Coditel Brabant SA 쐧 Commune d’Uccle und Région de Bruxelles-Capitale; Eschenbruch in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWBVergaberecht, 2. Aufl. (2009), § 99 Rn. 219.

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E u ro p e a n L a w R e p o r t e r

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Zu den Voraussetzungen einer vergabefreien In-house-Vergabe siehe Probst/Wurzel, ELR 2007, 257, 260 f., sowie Dabringhausen, NZBau 2009, 616. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Mai 2006, Az. Verg. 12/06. Zutreffend auch OLG Jena, Beschluss vom 8. Mai 2008, Az. 9 Verg 2/08; Eschenbruch in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. (2009), § 99 Rn. 237.

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LG Mannheim, Urteil vom 11. Februar 2005, Az. 22 O 73/04 Kart; OLG Brandenburg, Beschluss vom 13. Juli 2001, Az. Verg. 3/01. Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Mai 2006, Az. 15 E 453/06; VG Köln, Urteil vom 16. Oktober 2008, Az. 1 K 4507/08; Burgi, NZBau 2005, 610 f. Vgl. Ruhland, VergabeR 2006, 731, 736. VG Münster, Beschluss vom 9. März 2007, Az. 1 L 64/07.

Reinhard Huter, Feldkirch*

Nun liegt eine weitere Entscheidung des EuGH zur Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 («Brüssel II neu»)1 vor, in welcher der Gerichtshof festhält, dass die Zuständigkeitsbestimmungen von deren Art. 3 keine Rangordnung oder Hierarchie aufweisen, sondern die einzelnen Zuständigkeiten nebeneinander zur Anwendung kommen können. Weiters verdeutlicht der EuGH, dass die VO keine Kollisionsnormen enthält, und dass im Falle mehrfacher Staatsangehörigkeiten der Eheleute auch die Gerichte mehrerer Staaten für die Ehescheidung nach Art. 3 Abs. 1 lit. b international zuständig sein können. (1) Sachverhalt Beide Streitteile des Anlass gebenden Verfahrens sind in Frankreich aufhältig, haben aber die ungarische und die französische Staatsangehörigkeit. Der Ehemann begehrte im Februar 2002 die Ehescheidung vor einem ungarischen Gericht. Am 4. Mai 2004 (somit nur wenige Tage nach dem EU-Beitritt Ungarns per 1. Mai 2004) schied dieses Gericht die Ehe der Streitteile (rechtskräftig). Die Ehefrau brachte ihrerseits im Februar 2003 – d.h. noch während des in Ungarn anhängigen Scheidungsverfahrens, aber noch vor dessen Erledigung – in Frankreich eine Scheidungsklage ein. Mit Beschluss vom 8. November 2005 erklärte das französische Erstgericht diesen Antrag für unzulässig. Das von der Frau angerufene französische Rechtsmittelgericht hob diese erstgerichtliche Entscheidung mit der Begründung auf, dass das Scheidungsurteil des ungarischen Gerichts in Frankreich nicht anerkannt

werden könne und folglich das Scheidungsbegehren der Frau in Frankreich zulässig sei. Dagegen rief wiederum der Mann die Cour de Cassation an, der dem Gerichtshof mehrere Fragen im Zusammenhang mit Art. 3 und insbesondere zur internationalen Zuständigkeit für die Scheidung von Parteien mit doppelter Staatsangehörigkeit zur Vorabentscheidung vorlegte. (2) Urteil Der EuGH misst den herangetragenen Sachverhalt an Art. 3, beleuchtet diesen vor allem aber vor dem Hintergrund der Übergangsvorschriften der VO (insb. Art. 64 Abs. 4), denn schliesslich liegt mit dem ungarischen Scheidungsurteil vom 4.5.2004 eine gerichtliche Entscheidung eines Staates vor, der erst während des gerichtlichen Verfahrens (nämlich per 1.5.2004) EU-Mitgliedstaat wurde. Der Gerichtshof betont, dass Art. 24 grundsätzlich ein Verbot der Nachprüfung der Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats vorsehe. Allerdings unterliege der vorliegende Sachverhalt den Übergangsbestimmungen der VO für die Anerkennung von Entscheidungen. In Art. 64 Abs. 4 sei sehr wohl eine Überprüfung der Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats (Ursprungsmitgliedstaat) durch das Gericht des Anerkennungsmitgliedstaats vorgesehen. Wenn nun ein Gericht des Anerkennungsstaates nach Art. 64 Abs. 4 zu prüfen habe, ob das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats für eine gerichtliche Entscheidung gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. b zuständig gewesen wäre, dann verwehre es Art. 3 dem Gericht des Anerken-

Europäisches Zivilprozessrecht

Zur internationalen Zuständigkeit des Scheidungsgerichts bei doppelter Staatsangehörigkeit der Ehegatten (Laszlo Hadadi (Hadady) 쐧 Csilla Marta Mesko, verheiratete Hadadi (Hadady), EuGH (Dritte Kammer), Urteil vom 16. Juli 2009, C-168/08)

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