Veranstaltungen im Sommersemester 2015

Prof. Dr. Bernhard Stier Veranstaltungen im Sommersemester 2015 Vorlesung (M 5.1, 9.2, 19.1) Der Nationalsozialismus − aktuelle Themen, Forschungser...
Author: Gabriel Richter
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Prof. Dr. Bernhard Stier

Veranstaltungen im Sommersemester 2015

Vorlesung (M 5.1, 9.2, 19.1) Der Nationalsozialismus − aktuelle Themen, Forschungsergebnisse und Kontroversen Di 12 Uhr, K 101

Proseminar (M 4.2, 19.2; begrenzte Zahl von Plätzen 12.1, 12.2) Konflikte in der ständischen Gesellschaft Di 16 − 18, F 522; Mi 16 − 18, F 522 (bitte jeweils 2 Stunden einplanen, da auch das Tutorium gelegentlich 2stündig stattfindet)

Übung (M 1.2, 16.2) Historisches Denken und historische Methode: Richtungen der Geschichtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert Di 14 − 16, F 312

Übung (M 5.3, 9.3, 11.3, 12.1, 12.2, 19.3, 21.3) Eine europäische Krisenregion: Der Balkan im 19. Jahrhundert Mi 14 − 16, F 522

Vorlesung (M 5.1, 9.2, 19.1) Der Nationalsozialismus − aktuelle Themen, Forschungsergebnisse und Kontroversen Di 12 Uhr, K 101

‚Kein Ende absehbar’ − so läßt sich die gegenwärtige Situation charakterisieren, was die historische Forschung zum Nationalsozialismus angeht. Das wissenschaftliche Interesse an diesem Gegenstand nahm gerade in den letzten Jahren immer weiter zu. Neue Themen, Fragestellungen und Forschungsergebnisse − insbesondere zur NS-Ideologie, zur deutschen Gesellschaft im Nationalsozialismus und zur charismatischen Herrschaft Hitlers sowie zur Judenpolitik und zum Holocaust −, daneben auch die Daueraufgabe einer Gesamtinterpretation dieser verhängnisvollsten Epoche der neueren deutschen Geschichte lassen die Zahl Veröffentlichungen immer weiter anschwellen. Gleichzeitig haben die Unterhaltungsmedien den Nationalsozialismus als Quotenbringer entdeckt und prägen mit einschlägigen Sendungen das Bild dieser Zeit bei Jugendlichen und Erwachsenen. Die Vorlesung gibt einen Überblick über die Epoche des Nationalsozialismus − die „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ (Ernst Nolte) − und zieht eine Bilanz der neueren Forschung. Sie versucht, das beinahe unüberschaubare Gebiet im Spiegel der wichtigsten Themen, Forschungsschwerpunkte und -ergebnisse der letzten Jahrzehnte zu strukturieren und so in überschaubare Problemstränge zu zerlegen. Dabei werden sowohl grundlegende Ergebnisse der älteren Forschung als auch aktuelle Gesamtinterpretationen sowie die Spezialforschung und ihre Ergebnisse zu einzelnen Teilgebieten vorgestellt und diskutiert. Überblicksliteratur zur Einführung: Bauer, Kurt: Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, Wien u. a. 2008; Broszat, Martin/Frei Norbert (Hg.): Das Dritte Reich im Überblick. Chronik, Ereignisse, Zusammenhänge, München 2007; Burleigh, Michael: Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung, Frankfurt am Main 2000; Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 5. Aufl., Stuttgart 2007; Evans, Richard: Das Dritte Reich. 3 Bde., München 2005 – 2009; von Hehl, Ulrich: Nationalsozialistische Herrschaft. 2. Aufl., München 2001 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 39); Grüttner, Michael: Das Dritte Reich 1933 − 1939, Stuttgart 2014 (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. 10. Aufl., Bd. 19); Hildebrand, Klaus: Das Dritte Reich. 7. Aufl., München 2009 (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte. Bd. 17); Kershaw, Ian: Hitler. 3 Bde., Stuttgart 1998 − 2001; Kershaw, Ian: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. 4. Aufl., Hamburg 2009; Müller, Rolf-Dieter: Der Zweite Weltkrieg 1939 − 1945, Stuttgart 2011 (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. 10. Aufl., Bd. 21); Thamer, Hans-Ulrich (Hg.): Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen, Dresden 2010; Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914 − 1949, München 2008 [Abschnitt über den Nationalsozialismus auch separat erschienen u.d.T.: Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen 1919 − 1945, München 2009]; Wildt, Michael: Geschichte des Nationalsozialismus, Göttingen 2008. Literatur zu einzelnen Teilbereichen wird in der Vorlesung genannt.

Themenplan

Teil 1: Einführung (ca. 3 Sitzungen) 1.1. Aktuelle Themen und Tendenzen der NS-Forschung 1.2. Neue Handbücher und Gesamtdarstellungen zum Nationalsozialismus

Teil 2: Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft (3) 2.1. Die Entstehung der NS-Ideologie − Inhalte und ideengeschichtliche Kontinuitätslinien 2.2. Kontroversen um Persönlichkeit und Rolle Hitlers 2.3. „Volksgemeinschaft“ und charismatische Herrschaft: „Führermythos“ und der Erfolg der NS-Bewegung

Teil 3: Antisemitismus, Judenpolitik und Holocaust (3) 3.1. Der Antisemitismus in der NS-Ideologie; das Problem des Antisemitismus in der NSForschung 3.2. Entscheidungen und Wege der sog. „Endlösung“: Ergebnisse, Kontroversen und offene Fragen 3.3. Die Deutschen und der Holocaust: (Mit-)Täter und Mitwisser

Teil 4: Kontroversen (4) 4.1. Faschismus- und Totalitarismustheorien; die NS-Ideologie und das 20. Jahrhundert 4.2. Plan oder Praxis? Intentionalismus und Funktionalismus als Erklärungen des Nationalsozialismus 4.3. Moralische Entrüstung oder sachbezogene Empirie? Kontroversen um die Historisierung des Nationalsozialismus 4.4. Der Historikerstreit und das Problem der Vergleichbarkeit von Nationalsozialismus und Bolschewismus 4.5. Nationalsozialismus und Modernisierung 4.6. Die Goldhagen-Debatte: ein wesensbedingter „eliminatorischer Antisemitismus“ der Deutschen? 4.7. „Immer sauber geblieben“? Die Wehrmacht und der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion 4.8. Die (Geistes-)Wissenschaften im Nationalsozialismus 4.9. Den Opfern eine Stimme geben? Saul Friedländer und Martin Broszat über die Geschichtsschreibung des Holocaust 4.10. weitere Kontroversen (u.a. Präventivkrieg 1941?; Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterentschädigung; Arisierung; Geschichtspolitik und Erinnerungskultur)

Proseminar (M 4.2, 19.2; begrenzte Zahl von Plätzen 12.1, 12.2) Konflikte in der ständischen Gesellschaft Di 16 − 18, F 522; Mi 16 − 18, F 522 (bitte jeweils 2 Stunden einplanen, da auch das Tutorium gelegentlich 2stündig stattfindet) Das zentrale Strukturelement der frühneuzeitlichen Gesellschaftsordnung bildeten die Stände. Die entsprechend der Geburt vorgenommene Zuordnung jedes Menschen zu einem Stand mit bestimmten Rechten und Pflichten sowie einer standesspezifischen „Ehre“ sollte das soziale Miteinander und die Verteilung von Ressourcen regeln, Konflikte entschärfen bzw. vermeiden, das politische Herrschaftssystem legitimieren und ein gottgefälliges Dasein garantieren. Dieser religiös begründeten und damit unantastbaren Norm steht jedoch eine von Widersprüchen und Widerstand, von Interessenkonflikten und teilweise auch Protest geprägte Wirklichkeit der Ständegesellschaft gegenüber. Im Proseminar werden die Grundlagen und Grundprobleme der ständischen Gesellschaftsordnung erarbeitet und einzelne Konfliktfelder (Bauernaufstände und Gesellenproteste, Zunft- und Verfassungskämpfe, politischer Aufruhr, religiöse ‚Abweichler’, Hungerkrawalle, Außenseitertum und abweichendes Verhalten/Kriminalität) vom Bauernkrieg 1525 bis zur Französischen Revolution und den letzten Hungerunruhen 1816 und 1846/47 untersucht sowie die Mittel und Strategien der Konfliktregulierung analysiert und systematisch betrachtet. Dadurch werden grundlegende Einsichten in Funktionsweise und Problematik der traditionalen Gesellschaft vermittelt sowie wesentliche Unterschiede zur Moderne aufgezeigt. Das Proseminar dient auch dazu, in grundlegende Arbeitsweisen und Methoden der Geschichtswissenschaft einzuführen: die Auseinandersetzung mit der Forschung und Diskussion unterschiedlicher wissenschaftlicher Positionen, das Erarbeiten von eigenen Themen und Fragestellungen, die Ermittlung von Fakten und Erarbeitung von Überblicks- wie Detailwissen, die Analyse und Interpretation von Quellen, die Benutzung von Hilfsmitteln und Nachschlagewerken, schließlich das Halten von Vorträgen und Verfassen von Hausarbeiten. Einmalige Teilnahme an der Führung durch das Bundesarchiv im Rahmen der Proseminare M 4. und M 5.2 ist Pflicht. Allgemeine und einführende Literatur zur Frühen Neuzeit: van Dülmen, Richard: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. 3 Bde., München 1990 – 1994; von Friedeburg, Robert: Europa in der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 2012; Münch, Paul: Lebensformen in der Frühen Neuzeit 1500 – 1800, Berlin 1998; Pelizaeus, Ludolf: Geschichte der frühen Neuzeit 1492 − 1789, Wiesbaden 2014; Schmidt, Georg: Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert, München 2009; Schorn-Schütte, Luise: Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit. Studienhandbuch 1500 – 1789. 2. Aufl., Paderborn u. a. 2013; VölkerRasor, Anette (Hg.): Oldenbourg Lehrbuch Geschichte. Frühe Neuzeit. 3. Aufl., München 2010; Vogler, Günter: Absolutistische Herrschaft und ständische Gesellschaft. Reich und Territorien von 1648 bis 1790, Stuttgart 1996; Wichtige Nachschlagewerke: Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. 10. Aufl., Bde. 9 – 12, Stuttgart 2001ff.; Jäger, Friedrich (Hg.): Enzyklopädie der Neuzeit. 16 Bde., Stuttgart 2005 − 2012; Lexikon des Mittelalters. 10 Bde., Darmstadt 2009 (auch als CDROM sowie Datenbankzugang über die UB oder RLB); sowie einschlägige Bände der EdG. Literatur zu einzelnen Teilbereichen wird in der Veranstaltung genannt.

Proseminar „Konflikte in der Ständegesellschaft“ SS 2015 Themenplan

1. Einführung und Grundlagen (14.4., 21.4., 28.4.) Aufbau, Funktion und Begründung der ständischen Gesellschaftsordnung; ökonomische Grundlagen; Normen; Religion/Mentalität; die ständische Gesellschaft und ihre Konflikte in der Theorie; moderne Konflikttheorien; Konfliktfelder der ständischen Gesellschaft

2. Konflikte I (5.5., 12.5., 19.5.) Protest, Aufruhr, Revolte; Stadt und Land; Bauernaufstände, Konflikte in der ländlichen Gesellschaft/Dorfgemeinde; städtische Zunft- und Verfassungskämpfe; Gesellen- und Lohnstreiks, Hungerunruhen/Brotkrawalle

3. Konflikte II (2.6., 9.6., 16.6.) Unterständische, Ehrlosigkeit; Randgruppen und Außenseiter; abweichendes Verhalten, Kriminalität als sozialer Protest, Lebenswelt der Außenseiter als Gegengesellschaft?

4. Theoretische Konzepte/Forschung (23.6., 30.6.) „Herrschaft als soziale Praxis“ – Normdurchsetzung in der Frühen Neuzeit; „Kommunalismus“ (Blickle); „Moral Economy“ (Thompson); Absolutismus und Sozialdisziplinierung, neuere Absolutismus-Forschung; „Disziplinieren und Überwachen“ (Foucault); Mikrogeschichte

5. Konfliktregulierung in der Praxis (7.7., 14.7.) Policey und Policeyordnungen; Strafrecht und Kriminalitätsbekämpfung

6. Zusammenfassung/Ausblick (21.7.) Ständeordnung und frühneuzeitliche Gesellschaft zwischen Norm und Wirklichkeit; Auflösung der Ständegesellschaft/Modernisierung, Wandel der ideologischen Grundlagen/neue Konflikte

Interessenten für Referate werden gebeten, sich bis zur ersten Sitzung über ihre Wunschthemen zu informieren.

Übung (M 1.2, 16.2) Historisches Denken und historische Methode: Richtungen der Geschichtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert Di 14 − 16, F 312

Aus der Geschichtsschreibung als literarische Gattung entstand im frühen 19. Jahrhundert der moderne Historismus. Er zeichnete sich durch theoretische und methodische Reflexion, empirische Forschung und Quellenkritik aus. Diese Standards bestimmen bis heute die Arbeit des Historikers. Dabei bildeten sich im Lauf der Zeit immer wieder unterschiedliche Richtungen, Teilgebiete und Schulen mit eigener theoretisch-methodischer Prägung und inhaltlicher Schwerpunktsetzung heraus. Zugleich unterlag die Geschichtswissenschaft auch den gesellschaftlich-kulturellen Einflüssen ihrer jeweiligen Epoche und war deshalb stets auch eine politische Wissenschaft. Als Teil des Einführungsmoduls gibt die Übung einen Überblick über die Entwicklung der Geschichtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert und macht dabei die Studierenden mit den Aufgaben und Grundbegriffen, den Theorien und Methoden des Fachs Geschichte vertraut. Ziel ist es, grundlegende Denkweisen und Arbeitstechniken zu vermitteln sowie das Bewußtsein für die Eigenart und die Probleme der Geschichtswissenschaft zu schärfen.

Einführende Literatur: 1. Grundprobleme, Theorie und Methode: Lorenz, Chris: Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie, Köln u. a. 1997; Sellin, Volker: Einführung in die Geschichtswissenschaft. Erweiterte Neuausgabe. 2. Aufl., Göttingen 2008. 2. zur Geschichte der Geschichtswissenschaft: Baberowski, Jörg: Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault, München 2005; vom Bruch, Rüdiger/Müller, Rainer A. (Hg.): Historikerlexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. 2. Aufl., München 2002; Jäger, Friedrich/Rüsen, Jörn: Geschichte des Historismus, München 1992; Iggers, Georg: Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart. 2. Aufl., Wien u. a. 1997; Maurer, Michael (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften. Bd. 5: Mündliche Überlieferung und Geschichtsschreibung, Stuttgart 2003; Muhlack, Ulrich: Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991; Raphael, Lutz (Hg.): Klassiker der Geschichtswissenschaft. 2 Bde., München 2006; Raphael, Lutz: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003; Reinhardt, Volker (Hg.): Hauptwerke der Geschichtsschreibung, Stuttgart 1997. Vgl. auch die Bibliographie zur Vorlesung „Einführung in die Geschichtswissenschaft“ (wird in der Übung verteilt) sowie die Titel im Semesterapparat „Einführung in die Geschichtswissenschaft“ (Präsenzbestand der UB).

Themenplan: 1. Grundcharakteristika und Grundprobleme der Geschichtswissenschaft (2 Sitzungen) 2. Entwicklung der Geschichtsschreibung (Antike, Mittelalter, Renaissance) und ihre Auffassung über das Wesen der Geschichte wie über die Aufgaben des Historikers (1) 3. Entstehung der modernen Geschichtswissenschaft (= Historismus) im frühen 19. Jahrhundert; Grundprinzipien und Arbeitsweisen anhand zentraler Programmtexte sowie exemplarischer historischer Werke (u. a. von Niebuhr, Ranke, Droysen) (2) 4. Weiterentwicklung der Geschichtswissenschaft und ihre Politisierung im 19. Jahrhundert („preußische Schule“, Neo-Rankeaner); die erkenntnistheoretisch-methodische Debatte um 1900 (u.a. Hermeneutik) (2) 5. Geschichtswissenschaft in Deutschland und Europa 1900 − 1960 (Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Annales-Schule, deutsche Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus, Späthistorismus) (2) 6. Modernisierung und Pluralisierung der deutschen Geschichtswissenschaft seit den 1960er Jahren (Fischer-Kontroverse, Gesellschaftsgeschichte, Alltagsgeschichte, Sozialgeschichte in der Erweiterung, neokonservative Wende) (2) 7. Postmoderne in der Geschichtswissenschaft, transnationale Geschichte, Globalisierung 1990 − 2010 (2)

Übung (M 5.3, 9.3, 11.3, 12.1, 12.2, 19.3, 21.3) Eine europäische Krisenregion: Der Balkan im 19. Jahrhundert Mi 14 − 16, F 522

Seit dem frühen 19. Jahrhundert entwickelte sich der Balkan zu der europäischen Krisenregion: Die Vermischung unterschiedlicher Nationalitäten, Sprachen, Kulturen und Religionen, die Emanzipationsbewegungen der kleineren Völker gegen die multinationalen Großreiche Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich mit ihren territorialen Ansprüchen, aber auch die nationalistische Konkurrenz der kleineren Ethnien untereinander und nicht zuletzt die Interessen der drei Großmächte Habsburg, Osmanisches Reich und Rußland ließen einen „Alptraum an Komplikationen“ (I. Geiss) entstehen, der − das beweisen die andauernden Konflikte in und zwischen den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien − bis heute nicht enden will. Das europäische ‚Normalmodell’ des Nationalstaats, so scheint es, eignet sich nicht als Ordnungskonzept für diese Großregion. In der Veranstaltung werden die gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen sowie die politischen Entwicklungen in dieser Region untersucht und Grundprobleme der Geschichte des Balkans seit dem frühen 19. Jahrhundert beleuchtet. Behandelt werden vor allem die schubweise Herauslösung einzelner Gebiete aus dem Osmanischen Reich, dessen allmählicher Rückzug aus der Region in Wechselwirkung mit seinem inneren Verfall, das Vordringen Österreich-Ungarns und die Konflikte mit den entstehenden kleineren Nationalstaaten, die Rolle Rußlands als expansiver Hegemonialmacht und Führer des Panslawismus sowie das Balkanproblem in der internationalen bzw. gesamteuropäischen Politik bis 1914.

Themenplan: 1. Einführung: das Balkanproblem als Nationalitätenkonflikt − historische und aktuelle Perspektiven; Staaten und Nationalitäten auf dem Balkan um 1800 (2 Sitzungen) 2. Ethnie und Staat im „vornationalen“ Zeitalter − die multi-ethnischen Großreiche Habsburger Monarchie und Osmanisches Reich (2) 3. Der moderne Nationalismus − Entstehung und Spielarten; Joh. Gottfried Herder, die Slawen und das sprachlich-kulturelle Nationalbewußtsein (2) 4. Nationalbewegungen und Nationalstaatsgründungen auf dem Balkan − Stufen der Entwicklung (2) 5. Mittelbar und unmittelbar beteiligte Großmächte: Osmanisches Reich, Habsburgermonarchie, Rußland − Deutschland, Frankreich, Großbritannien (2) 6. Eine europäische Peripherie: ökonomische und soziale Entwicklung auf dem Balkan. Der historische Vergleich als Methode (1) 7. Der großserbische Nationalismus (1) 8. Auf dem Weg zum Ersten Weltkrieg: der Balkan und die große europäische Politik um 1900; Zusammenfassung (2)

Literatur zum Thema Nationalismus: Alter, Peter: Nationalismus. 4. Aufl., Frankfurt am Main 1993; Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. 2. Aufl., Frankfurt am Main/New York 2005; Hobsbawm, Eric J.: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. 3. Aufl., Frankfurt am Main/New York 2005; Hroch, Miroslav: Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich, Göttingen 2005; Kunze, Rolf-Ulrich: Nation und Nationalismus, Darmstadt 2005; Weichlein, Siegfried: Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa. 2. Aufl., Darmstadt 2012. Region insgesamt: Atlas der Donauländer, Wien 1970 − 1989; Bernath, Mathias/Nehring, Karl (Hg.): Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. 4 Bde., München 1974 − 1981; Clewing, Konrad/Schmitt, Oliver Jens: Geschichte Südosteuropas. Vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 2011; Elvert, Jürgen (Hg.): Der Balkan. Eine europäische Krisenregion in Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1997; Geiss, Immanuel/Intemann, Gabriele: Der Jugoslawienkrieg. 2. Aufl., Frankfurt am Main 1995; Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. 5. Aufl., München 2008; Jelavic, Barbara: History of the Balkans. Bd. 1: Eighteenth and Nineteenth Centuries, Cambridge u. a. 1983; Jelavic, Charles/Jelavic, Barbara: The establishment of the Balkan national states 1804 − 1920, Seattle/London 1997; Kaser, Karl: Handbuch der Regierungen Südosteuropas (1833 − 1980). 3 Bde., Graz 1981 − 1984; Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, Wien u.a. 2004; Razumovsky, Dorothea: Der Balkan. Geschichte und Politik seit Alexander dem Großen, München/Zürich 1999; Studienhandbuch Östliches Europa. Bd. 1: Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas. 2. Aufl., Köln u. a. 2009; Todorova, Maria: Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil, Darmstadt 1999; Weithmann, Michael W.: Balkan-Chronik. 2000 Jahre zwischen Orient und Okzident. 3. Aufl., Regensburg u. a. 2000; Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens, Klagenfurt u. a. 2001ff. [Sigle: WEEO; auf ca. 20 Bände angelegtes Handbuch zu Osteuropa, Südosteuropa und dem Balkan]. Habsburgermonarchie: von Bogyay, Thomas: Grundzüge der Geschichte Ungarns. 4. Aufl., Darmstadt 1990; Fischer, Holger/Gündisch, Konrad: Eine kleine Geschichte Ungarns, Frankfurt am Main 1999; Die Habsburgermonarchie 1848 − 1918. 11 Bde., Wien 1973ff. [umfangreiches Handbuch, greift auch auf den Zeitraum vor 1848 zurück]; Hoensch, Jörg K.: Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis ins 20. Jahrhundert. 4. Aufl., München 2013; Kann, Robert A.: Das Nationalitätenproblem in der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918. 2 Bde., 2. Aufl., Graz/Köln 1964; Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatszerfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997 [Geschichte Österreichs 1804 − 1914]; Steindorff, Ludwig: Kroatien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2. Aufl., Regensburg 2007; Sundhaussen, Holm: Der Einfluß der Herderschen Ideen auf die Nationsbildung bei den Völkern der Habsburger Monarchie, München 1973; Zöllner, Erich: Geschichte Österreichs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 8. Aufl., Wien/München 1990. Osmanisches Reich: Kreiser, Klaus/ Neumann Christoph K.: Kleine Geschichte der Türkei. 2. Aufl., Stuttgart 2009; Kreiser, Klaus: Der osmanische Staat 1300 − 1922. 2. Aufl., München 2008 (= OGG 30); Matuz, Josef: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte. 7. Aufl., Darmstadt 2012.

Andere Balkanländer: Bartl, Peter: Albanien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 1995.; Clogg, Richard: Geschichte Griechenlands im 19. und 20. Jahrhundert. Ein Abriß, Köln 1997; Härtel, Hans-Joachim/Schönfeld, Roland: Bulgarien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 1998; Hösler, Joachim: Slowenien. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Regensburg 2006; Jäger, Friedrich: Bosniaken, Kroaten, Serben. Ein Leitfaden ihrer Geschichte, Frankfurt am Main u. a. 2001; Malcolm, Noel: Geschichte Bosniens, Frankfurt am Main 1996; Schmitt, Oliver Jens: Kosovo. Kurze Geschichte einer zentralbalkanischen Landschaft, Stuttgart 2008; Schmitt, Oliver Jens: Die Albaner. Eine Geschichte zwischen Orient und Okzident, München 2012; Sundhaussen, Holm: Geschichte Serbiens. 19. – 21. Jahrhundert, Wien u. a. 2007; Völkl, Ekkehard: Rumänien. Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Regensburg 1995; Weithmann, Michael W.: Griechenland. Vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 1994. Handbücher zur europäischen Geschichte der Epoche: Handbuch der europäischen Geschichte. Bde. 5 und 6, Stuttgart 1968 und 1981; Handbuch der europäischen Wirtschaftsund Sozialgeschichte. Bde. 4 und 5, Stuttgart 1985 und 1993; Propyläen Geschichte Europas. Bde. 4 und 5, Berlin 1977 und 1978; Handbuch der Geschichte Europas. Bde. 7 und 8, Stuttgart 2002 und 2012. Atlanten: Knaurs Historischer Weltatlas. 6. Aufl., Augsburg 2002; Putzger, [Friedrich Wilhelm]: Historischer Weltatlas. Hg. v. Ernst Bruckmüller und Peter Claus Hartmann. 104. Aufl., Berlin 2011.