Uwe Helm Petersen 1 6 Zeit und Tempus. Uwe Helm Petersen. 6 Zeit und Tempus

Uwe Helm Petersen 1 6 Zeit und Tempus Uwe Helm Petersen 6 Zeit und Tempus Wir unterscheiden zwischen Tempus und Zeit, wobei die Tempora als Formen...
Author: Steffen Richter
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6 Zeit und Tempus

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6 Zeit und Tempus Wir unterscheiden zwischen Tempus und Zeit, wobei die Tempora als Formen zu betrachten sind, da sie flexivisch am finiten Verb des Prädikats zum Ausdruck kommen, während die Zeiten (auch Zeitlichkeit oder Temporalität genannt) semantische Funktionen, also Bedeutungen sind, die den finiten Satz zeitlich einordnen. D.h. sie machen zeitliche Aussagen über den ganzen Satz, weshalb man auch von der Zeitlichkeit des Satzes spricht. Vgl. dazu: FUNKTION ZEIT wie - VERGANGENHEIT - GEGENWART - ZUKUNFT im Satz

Form Tempus wie - prät … - präs … - fut I … nur am Prädikat: vf/ vgf

Die Tempora sind an sich polysem (mehrdeutig): Ihre zeitliche Monosemierung erfolgt erst (i) durch den (sprachlichen) Kotext in der zeitlichen Interaktion mit anderen nicht-verbalen Ausdrucksformen (vgl. unten) und/oder (ii) durch den (nicht-sprachlichen) Situations-Kontext. Die zeitliche Interpretation einer Tempusform ist m.a.W. ohne Ko- und Kontext kaum durchführbar, denn die Bedeutung (= Funktion) der Tempora wird erst im konkreten Satz festgelegt.

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6 Zeit und Tempus

1 System der Zeitlichkeiten Die Zeitlichkeiten bilden folgendes System: nicht gestuft:

ZEIT

ALLZEIT oder NULL-ZEIT

absolut: VERG > GGW > ZUK gestuft relativ: VORZ > GLEICHZ > NACHZ

Die nicht-gestufte Zeitlichkeit, die sogenannte ALLZEIT, ist zeitlich neutral. Sie gilt zu jeder Zeit und ist somit eigentlich eine Null-Zeit. Die drei absoluten Zeitlichkeiten, Vergangenheit [VERG], Gegenwart [GGW] und Zukunft [ZUK], haben ihren Funktionsbereich innerhalb des Satzes, indem sie den Satzinhalt zeitlich einordnen. Die Zeitlichkeiten sind als mentale Zeit-Räume zu verstehen, innerhalb derer sich das Satzgeschehen abspielt. Die Zeitlichkeiten orientieren sich nach dem Hier und Jetzt des Sprechzeitpunkts: So liegt der Zeitpunkt des Sprechens in der Gegenwart: Du, ich habe im Moment keine Zeit, ein Geschehen in der Vergangenheit vor dem Sprechzeitpunkt: Gestern hatte ich auch keine Zeit und ein Geschehen in der Zukunft nach dem Sprechzeitpunkt: Aber morgen werde ich bestimmt wieder Zeit haben. Während die Gegenwart in die beiden anderen Zeitlichkeiten überlappen kann, also diesen gegenüber expansiv ist, bildet die Vergangenheit einen geschlossenen zeitlichen Raum ohne jeden Anschluss an die Gegenwart, geschweige denn Zukunft. Die Zukunft hat eine große Affinität mit der Modalität Vermutung. Die absoluten Zeiten werden der experientiellen Metafunktion zugeordnet. Die relativen Zeiten, Vorzeitigkeit [VORZ], Gleichzeitigkeit [GLEICHZ] und Nachzeitigkeit [NACHZ], operieren funktional zwischen Sätzen, indem sie den Nebensatz zeitlich zum Hauptsatz relatieren, ausführlicher dazu weiter unten in Abschnitt 7. Die relativen Zeiten werden der logischen Metafunktion zugeordnet.

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2 System der Tempora im Indikativ Die Tempora des Präsenssystems im Indikativ haben das Präsens als Basistempus FUTUR II, INDIKATIV [fut II, indik]

FUTUR I, INDIKATIV [fut I, indik]

er wird es getan haben er wird dorthin gegangen sein

er wird es tun er wird dorthin gehen

PERFEKT, INDIKATIV [perf, indik]

PRÄSENS, INDIKATIV [präs, indik]

er hat es getan er ist dorthin gegangen

er tut es er geht dorthin Basis

Die Tempora des Präteritumsystems im Indikativ haben das Präteritum als Basistempus, wobei die meisten Grammatiken nicht mit den beiden Futurformen im indikativischen Präteritumsystem (Futurum präteriti I und II) rechnen, wahrscheinlich weil sie mit dem Konditionalis I und II im konjunktivischen Präteritumsystem zusammenfallen. Sie kommen praktisch auch nur in der sogenannten erlebten Rede vor, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie nur durch das indikativische Präteritumsystem realisiert wird.

FUTURUM PRÄTERITI II, INDIKATIV [fut.prät I, indik]

FUTURUM PRÄTERITI I, INDIKATIV [fut.prät I, indik]

er würde es getan haben er würde dorthin gegangen sein

er würde es tun er würde dorthin gehen

PLUSQUAMPERFEKT, INDIKATIV [plusq, indik]

PRÄTERITUM, INDIKATIV [prät, indik]

er hatte es getan er war dorthin gegangen

er tat es er ging dorthin Basis

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3 Zeitlichkeiten und die indikativischen Tempora er schlief

er schläft

er wird schlafen

prät

präs

fut I

VERG

GGW

ZUK

plusq

perf

fut II

er hatte geschlafen

er hat geschlafen

er wird geschlafen haben

ablaufend

vollzogen

wobei die waagerechte Achse die absoluten Zeitlichkeiten auf der Zeitgeraden abbildet, und die senkrechte Achse die grammatische Aspektachse, ablaufend – vollzogen, darstellt, d.h. prät = ablaufende Vergangenheit, plusq = vollzogene Vergangenheit usw.

4 Ausdrucksformen der Zeitlichkeiten Die absoluten und relativen Zeitlichkeiten kommen durch folgende grammatischen Formen zum Ausdruck:

P: vf/vgf A: pp (= wann?)

A: sbga (= wie lange?) A: part/ partg

A: adj A: sf 3

ATT: pp ATT: part ATT: adj

Sprogbeskrivelse

Im Satz als Satzglieder durch die verschiedenen Tempora: präs, perf, fut I u. II; prät, plusq Das schaffe ich vielleicht nach Ostern. Wir sehen uns am 1. April um 10 Uhr. Im Moment habe ich keine Zeit. Ab wann sehen wir uns wieder? Er hat den ganzen Tag gearbeitet. Gestern gingen wir ins Kino, aber heute müssen wir arbeiten. Jetzt gibt es bald eine Überraschung. Das habe ich immer wieder gesagt. Wie lange bleibst du? Wann sehen wir uns wieder? Er war plötzlich verschwunden. Während sie im Kino war, saß er in der Kneipe. Nachdem er die Prüfung bestanden hat, wird er Urlaub machen. Sie bringt das Kind zur Schule, bevor sie einkaufen geht. In der Gruppe als Gruppenglieder Die Sitzung am nächsten Montag (wird lange dauern.) …die Sitzung morgen… … die morgige Sitzung…, …die künftigen Studenten…

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5 Zeit à Tempus Zeitlichkeit

ALLZEIT

Tempus im Indikativ präs

Beispiele

Der Löwe ist ein Raubtier. Das Präsens ist eine Tempusform. GEGENWART ablaufende GGW präs Er schläft. GGW, modal fut I Jetzt wird er bestimmt schlafen. vollzogene GGW perf Jetzt hat er es geschafft. ZUKUNFT ablaufende ZUK fut I Er wird morgen kommen. präs Er kommt morgen. vollzogene ZUK, modal fut II Das wird er bis morgen geschafft haben. ZUK perf Das hat er bis morgen geschafft. VERGANGENHEIT ablaufende VERG ohne jeden prät Als Kind wohnte er in Hamburg. GGW-Bezug hist. präs …, und dann kommt er vor ungefähr einem Monat in Paris an und verliebt sich sofort in die Wirtin. Das war ein Skandal. vollzogene VERG plusq Daran hatte er nicht gedacht. VERG perf Wir haben gestern das Museum besichtigt

6 Tempus à Zeit Tempus präs

Zeitlichkeit ALLZEIT ablaufende GGW ablaufende ZUK hist. präs ablaufende VERG perf

fut I fut II

prät plusq

vollzogene VERG vollzogene GGW vollzogene ZUK ablaufende GGW, vermutet ablaufende ZUK vollzogene VERG, vermutet vollzogene VERG mit GGWBezug, vermutet vollzogene ZUK ablaufende VERG vollzogene VERG

Sprogbeskrivelse

Beispiel Der Mond ist rund. Heute geht es mir gut, In einem Monat machen wir Ferien. Als junger Mensch geht er nach Leipzig, um zu studieren, findet aber dabei keine Genugtuung. Wir haben gestern das Museum besichtigt Die Gäste sind soeben angekommen. Das haben wir bis Montag geschafft. Wer klingelt? Das werden sicher die Gäste sein. Die Gäste werden morgen kommen. Er wird (gestern) die Stadt besichtigt haben. Peter wird vor einigen Stunden eingeschlafen sein. Morgen werden wir es geschafft haben. Voriges Jahr waren es nur 50 Gäste. Er war damals noch nicht nach Amerika ausgewandert.

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7 Die drei Punkte der Zeitachse (ergänzend zu Helbig &Buscha 1.7.3) S = Sprechzeit, i.e. der Zeitpunkt, wo der Satz geäußert wird (talende stund). A = Aktzeit, i.e. der Zeitpunkt, wo das Satzgeschehen, also der Prozess, abläuft. B = Betrachtzeit, i.e. die zeitliche Perspektive, von der aus das Satzgeschehen, der Prozess betrachtet wird: Wird die Aktzeit aus der Gegenwarts-, der Vergangenheits oder der Zukunfstperspektive betrachtet?

1. Ablaufende Gegenwart: präs (1) , ÷ Mod, +/÷ Atemp VERG

GGW

ZUK

S=B x A Das Kind spielt im Wohnzimmer. Er sucht (gerade/ in diesem Augenblick) seinen Bleistift.

2. Ablaufende Zukunft: präs (2), ÷ Mod, +/- Atemp VERG

GGW

ZUK

S x

B ½ A

In einem Monat haben die Kinder Ferien. Die Gäste kommen (bald) zurück. Ich schliebe die Arbeit (morgen) ab.

3. Ablaufende Vergangenheit: präs (3), ÷ Mod, + Atemp VERG

GGW

B ½ A

S x

ZUK

1914 beginnt der Erste Weltkrieg. Neulich treffe ich einen alten Schulkameraden.

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4. Allzeit: präs (4), ÷ Mod, ÷ Atemp VERG

GGW

ZUK

A

S=B x A

A

Die Erde bewegt sich um die Sonne. Silber ist ein Edelmetall. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

5. Ablaufende Vergangenheit: prät, ÷ Mod, +/÷ Atemp VERG

GGW

B ½ A

S x

ZUK

Er arbeitete (gestern) den ganzen Tag an seinem Aufsatz. Er gab mir (neulich) die Bücher zurück. Er kam (vor fünf Wochen) aus dem Ausland. 6. Vollzogene Vergangenheit: perf (1), ÷ Mod, +/÷ Atemp VERG

GGW

B ½ A

S x

ZUK

Wir haben (gestern) die Stadt besichtigt. Seine Tochter hat (in den vergangenen Jahren) in Dresden gewohnt. Sie sind (neulich) im Gebirge viel gewandert.

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7. Vollzogen in der Gegenwart: perf (2), ÷ Mod, +/÷ Atemp VERG ½ A

GGW

ZUK

S=B x

Peter ist (vor einigen Stunden) eingeschlafen, (d.h. er schläft jetzt). Der Besuch ist (gestern) angekommen, (d.h. er ist jetzt da). Jetzt hat er es geschafft.

8. Vollzogen in der Zukunft: perf (3), ÷Mod, + Atemp VERG

GGW

ZUK

S x

B ½ A

Bis zum nächsten Jahr hat er seine Dissertation abgeschlossen. Bald hat er es geschafft. 9. Vollzogen in der Vergangenheit: plusq (1 & 2), ÷ Mod, +/÷ Atemp VERG B ½ A

GGW

ZUK

S x

Bei meiner Ankunft hatte er die Arbeit schon beendet. Vorige Woche hatte er ihn im Krankenhaus besucht. 10. Ablaufende Gegenwart: fut I (1), + Mod, +/÷ Atemp VERG

GGW

ZUK

S=B x A Er wird (jetz) im Büro sein. (=Han er nok på kontoret) Sie wird sich (gerade) auf die Prüfung vorbereiten.

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11. Ablaufende Zukunft: fut I (2), +/÷ Mod, +/÷ Atemp VERG

GGW

ZUK

S x

B ½ A

Wir werden (bald) das Resultat erfahren. Er wird (im nächsten Jahr) wieder als Ingenieur arbeiten. Sie werden (morgen) ins Theater gehen. 12. Vermutet in der Vergangenheit: fut II (1), + Mod, +/÷ Atemp VERG B ½ A

GGW

ZUK

S x

Er wird (gestern) die Stadt besichtigt haben. Seine Tochter wird (in den vergangenen Jahren) in Hamburg gewohnt haben.

13. Vermutete Vergangenheit mit Gegenwartsbezug: fut II (1), + Mod, +/÷ Atemp VERG

GGW

ZUK

S=B x

½ A

Peter wird (vor einigen Stunden) eingeschlafen sein, (d.h. jetzt schläft er). Der Reisende wird sich (in der vergangenen Woche) einen neuen Koffer gekauft haben, (d.h. er hat jetzt einen neuen Koffer).

14. Vollzogene Zukunft: fut II (3), +/÷ Mod, + Atemp VERG

GGW S x

ZUK B ½ A

Morgen wird er die Arbeit beendet haben. Bald wird er es geschafft haben.

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7 Relative Zeitlichkeit (< logische Metafunktion) Die relativen Zeitlichkeiten (auch relativer Gebrauch, bzw. relative Funktion der Tempora) kommen zustande durch die zeitliche Abhängigkeit mehrerer Sachverhalte, die in einem Satzgefüge aus übergeordnetem Satz (sf 1) und untergeordnetem Satz (sf 3) zueinander in Beziehung gesetzt werden. Es handelt sich dabei in der Regel um die zeitliche Abhängigkeit der im übergeordneten Satz (sf 1) und im untergeordneten Satz (sf 3) versprachlichten Sachverhalte. Diese Abhängigkeit kann auf drei verschiedene Beziehungen zurückgeführt werden: auf die Gleichzeitigkeit, die Vorzeitigkeit und die Nachzeitigkeit. Gleichzeitigkeit in der übergeordneten Satzform 1 und der untergeordneten Satzform 3: Die Tempora müssen in beiden Sätzen die gleiche Zeitlichkeit ausdrücken: sf 1 | sf 3 und haben in der Regel auch die gleiche Tempusform: GLEICHZ in der GGW: GLEICHZ in der VERG: GLEICHZ in der ZUK:

Wenn es schlechtes Wetter ist, bleiben wir zu Hause. Während sie im Bett krank lag, ging er in die Kneipe. Wenn er morgen nicht kommt, werden wir ins Kino gehen.

Vorzeitigkeit: untergeordnete Satzform 3 zeitlich vor übergeordneter Satzform 1: Von zwei Geschehen ist das eine vor Eintreten des anderen abgeschlossen, d.h. sf 1 sf 3

GGW/ ZUK: VERG:

sf 3 perf plusq

zeitlich vor

sf 1 präs prät

(a) (b)

(a) Nachdem wir die Arbeit beendet haben, fahren wir nach Hause. (b) Nachdem wir die Arbeit beendet hatten, fuhren wir nach Hause.

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Nachzeitigkeit: untergeordnete Satzform 3 zeitlich nach übergeordneter Satzform 1

sf 1 sf 3

Wenn das Geschehen in der untergeordneten Satzform 3 nach dem Geschenen in der übergeordneten Satzform 1verläuft, werden die Tempora entweder (c) wie bei der Gleichzeitigkeit oder (b) umgekehrt wie bei der Vorzeitigkeit gebraucht: GGW/ ZUK: VERG:

sf 3 präs prät

zeitlich nach sf 1 perf/präs plusq/prät

(c) (d)

(c.1) Die Bauern haben die Arbeit beendet, ehe die Sonne untergeht. (c.2) Sie bringt das Kind in den Kindergarten, bevor sie zur Arbeit geht. (d.1) Er hatten sich bereits entschlossen, als er das neue Angebot bekam. Ehe die Sonne unterging, hatten die Bauern die Arbeit beendet. (d.2) Er blieb in Hamburg, bis er mit seinem Studium fertig war. Bevor sie zur Arbeit ging, brachte sie das Kind in den Kindergarten.

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