Ursachen der Schizophrenie

Ursachen der Schizophrenie Anti-Stigma-Aktion München und Bayerische Anti-Stigma-Aktion (BASTA) In Kooperation mit der World Psychiatric Association ...
Author: Benjamin Fried
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Ursachen der Schizophrenie

Anti-Stigma-Aktion München und Bayerische Anti-Stigma-Aktion (BASTA) In Kooperation mit der World Psychiatric Association (WPA)

Ursachen schizophrener Erkrankungen

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Besorgnis und Schuldgefühle Wohl alle Betroffene, Familienangehörige, Bekannte und Freunde stellen besorgt die Frage, woher Schizophrenie kommt. Sie fragen sich, ob eine andere Lebensweise den Ausbruch verhindert hätte, wer schuld an der Krankheit ist. Insbesondere das Suchen und Fragen nach der Schuld hat in den vergangenen Jahrzehnten das Zusammenleben vieler Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, mit ihren Familien belastet. Bis heute weiß niemand genau, wie Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis entstehen. Es gibt jedoch eine Reihe von Vorstellungen, Theorien und Befunden. Die monokausale, d. h. die auf eine einzige Ursache bezogene Erklärung der Schizophrenie ist nach heutigem Wissensstand nicht möglich. Man geht vielmehr von einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge aus biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren aus. Die weitere Erforschung dieser Einflußgrößen ist von großer Bedeutung, denn je besser man versteht, wo Schizophrenie herkommt, desto gezielter können zuverlässige Behandlung und Rückfallvorbeugung verbessert werden.

Besorgnis und Ängste: wer ist schuld?

viele Faktoren spielen zusammen

Mögliche Einflußgrößen Psychologische Faktoren Lange Zeit wurde fälschlicherweise von den sogenannten „schizophrenogenen Müttern“ gesprochen: sie seien der „kalte, dominante und konfliktauslösende Elternteil“, der dem Kind keinen anderen Ausweg lasse, als schizophren zu werden. Es ist leicht nachvollziehbar, wieviel Leid dieser Erklärungsansatz über die Familien der Betroffenen brachte. Inzwischen wurde er wissenschaftlich widerlegt und daher völlig verworfen. Es wurde auch die Behauptung aufgestellt, daß sich die Familien Schizophrener in mancherlei Hinsicht von

falsch: die „schizophrenogenen Mütter“

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Ursachen schizophrener Erkrankungen

familiäre Kommunikationsstörungen

kritische Haltung und übermäßige Fürsorglichkeit

belastende Lebensereignisse

normalen Familien unterscheiden, z.B. dadurch, daß sie sehr unbestimmte Formen der Kommunikation pflegen und zahlreiche Konflikte haben. Kommunikationsstörungen in Familien sind jedoch weit verbreitet und kein Spezifikum für Familien, in denen ein Mitglied an einer Schizophrenie erkrankt ist. In einigen Untersuchungen wurden auch die Zeiten des Zusammenseins mit den Angehörigen und die Art dabei erkennbarer allzu intensiver Gefühlsbeziehungen (insbesondere eine kritische Haltung und übermäßige Fürsorglichkeit) ermittelt. Hierbei wurde eine Beziehung zwischen hoch emotionalen Familien und der Rückfallquote des erkrankten Familienmitglieds festgestellt: zu intensive und zu stark geäußerte Gefühlsbeziehungen können für den Erkrankten so streßvoll sein, daß sich sein Rückfallrisiko erhöhe. Die emotionale Familienatmosphäre spielt jedoch eine wichtigere Rolle für den Verlauf der Schizophrenie als für ihre Entstehung. Verlaufsuntersuchungen haben gezeigt, daß Ausbruch und Verlauf schizophrener Psychosen von psychosozialen Bedingungen mitbestimmt werden: Belastende Lebenssituationen, die sog. life events, sind vor schizophrenen Erkrankungen überzufällig häufig. Es handelt sich dabei vor allem um zwischenmenschliche Konflikte: Einerseits sind es Mangel an Zuwendung und Verlust menschlicher Verbindungen, andererseits können zu viel Nähe und zu große Intimität Schizophrene überfordern. Genetische Faktoren Eine genetische Disposition gilt heute als gesichert: Ergebnisse zahlreicher Studien weisen darauf hin, daß die Häufigkeit der Erkrankung in der Verwandtschaft schizophrener Patienten höher ist als in der Gesamtbevölkerung.

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Beziehung zum Probanden

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genetische ErkrankungsÜbereinstimmung risiko

Ehepartner Enkel Nichten/Neffen Kinder Geschwister zweieiige Zwillinge eineiige Zwillinge

0% 25 % 25 % 50 % 50 % 50 % 100 %

1% 2% 2% 9% 7% 12% 44%

Daß die Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen nur bei etwa 44% liegt, zeigt jedoch, daß neben Erbfaktoren noch andere Einflüsse für die Krankheitsentstehung bedeutsam sein müssen, denn bei vollständiger Erbbedingtheit müßte die Konkordanzrate genauso hoch sein wie die genetische Übereinstimmung, nämlich 100%, d.h. beide Zwillingsgeschwister müßten an Schizophrenie erkranken.

Erkrankungsrisiken für Verwandte von schizophrenen Patienten

Erbanlagen sind nicht der einzige Faktor

Biochemische Faktoren Eine Reihe von Befunden sprechen dafür, daß Auffälligkeiten im System der Botenstoffe, den sog. Neurotransmittern, im Gehirn der Betroffenen vorliegen. Die Hauptvermutung bezieht sich dabei auf den Neurotransmitter Dopamin: Untersuchungen ergaben, daß ein übermäßiges Vorkommen von Dopamin im Gehirn vorliegt, einem Stoff, der die Sensibilität der Gehirnzellen für Reize steigert. Für gewöhnlich ist dieses gesteigerte Bewußtsein nützlich bei Streß oder Gefahr. Für eine Person mit Schizophrenie kann jedoch ein solcher Effekt einen hyperaktiven Zustand des Gehirns verursachen und damit eine Psychose auslösen.

Auffälligkeiten im Botenstoffsystem des Gehirns

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Ein Zusammenspiel von Einflußgrößen kein Faktor ist alleine verantwortlich psychische Robustheit

Schlüsselwort: Verletzlichkeit

niemand ist daran schuld

Keiner der aufgezählten Faktoren löst für sich alleine gesehen eine schizophrene Erkrankung aus. Nach heutigem Stand der Wissenschaft handelt es sich vielmehr um ein multifaktorielles System, das sog. „Diathese-Streß-Modell“. Es besagt, daß viele Menschen eine Disposition, also eine genetisch bedingte Veranlagung zur Schizophrenie haben, es jedoch von der „psychischen Robustheit“ der Person sowie den äußeren Lebensumständen abhängt, ob die Schizophrenie zutage treten wird oder nicht. Die Menschen, die schizophren erkranken, sind hingegen empfindsamer gegenüber Innen- und Außenreizen als andere. Streßsituationen können bei ihnen, zusammen mit fehlenden Möglichkeiten, die Belastung anderweitig zu verarbeiten, eine schizophrene Psychose auslösen. Vulnerabilität, also Verletzlichkeit, ist das Schlüsselwort. Weniger robust zu sein als andere Menschen ist weder Schande noch Schwäche: Empfindsamkeit im Umgang mit Menschen und Dingen ist eine Chance zu vertieftem Erleben, intensiven Beziehungen und kreativer Lebensgestaltung. Es gibt niemanden, der daran schuld ist.

Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung: Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Leitung: Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller Dr. med. Ronald Bottlender Dr. med. Peter Dobmeier Nußbaumstraße 7 D-80336 München Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller Tel.: 089/5160-5501 Fax: 089/5160-4749 Email: [email protected] Dr. med. Ronald Bottlender Tel.: 089/5160-5751 Fax: 089/5160-5875 Email: [email protected] Dr. med. Peter Dobmeier Email: [email protected] MA Psych. Petra Decker Tel.: 089/5160-5780 Fax: 089/5160-5875 Email: [email protected] Weitere Infos unter: http://www.openthedoors.com http://www.openthedoors.de Verfaßt von der Anti-Stigma-Arbeitsgruppe der LMU im Zusammenhang mit BASTA, der Bayerischen Anti-Stigma-Aktion.