Unser Hauskalender Das Jahrbuch der Deutschen aus Ungarn

Unser Hauskalender Das Jahrbuch der Deutschen aus Ungarn 2016 68. Jahrgang Schwabenverlag uphauskal2016_umbruch.indd 1 16.09.15 07:35 Der Umschl...
Author: Heike Fried
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Unser Hauskalender Das Jahrbuch der Deutschen aus Ungarn

2016 68. Jahrgang

Schwabenverlag

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Der Umschlag ist in den Farben Blau und Weiß, den Farben der Ungarndeutschen gehalten. Das Wappen wurde von dem akademischen Maler Josef de Ponte für die Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn entworfen. Dr. Paul Ginder beschreibt es wie folgt: »Das Wappen besteht aus zwei Teilen. Im oberen Teil gibt es uns das altehrwürdige Wappen der alten deutschen Stadt Ofen, der späteren ungarischen Hauptstadt wieder. Rechts leuchtet die Sonne, links ist der abnehmende Halbmond sichtbar als Zeichen des Sieges der abendländischen Christenheit über den östlichen ottomanischen Halbmond der Türkenmacht. In diesem Zeichen wanderten vor 250 Jahren im Rahmen der großen Schwabenzüge die deutschen Kolonisten nach Ungarn ein. Sie schufen anstelle der Wildnis ein blühendes Land, die Puszta verwandelten sie zur Kornkammer Europas. Auf diese geschichtliche Leistung weisen im unteren Wappenteil Pflug und Kreuz hin. Beide sind sinnvolle Zeichen des deutschen Fleißes im Donauraum. Beide Wappenteile verbindet die Streifen des Donauflusses.« Die Fotos auf dem Umschlag zeigen Motive aus Wikitsch (Bácsbokod) im Süden Ungarns. Die Fotos stammen von József Gaugesz Das Bild auf Seite 1 zeigt die Kapelle der freiwilligen Feuerwehr in Almasch (Bácsalmás) mit dem Kapellmeister Steinfeld in der Zwischenkriegszeit (Foto: Ungarndeutsches Heimatmuseum Backnang)

Schwabenverlag Unser Hauskalender Gegründet von Dr. Ludwig Leber †, fortgeführt von Georg Tafferner † 68. Jahrgang – Preis € 13,50 zuzüglich Porto und Verpackung Redaktion: Klaus J. Loderer Layout und Gestaltung: Klaus J. Loderer Umschlagentwurf: Klaus J. Loderer unter Verwendung des Wappens der Deutschen aus Ungarn, gezeichnet von Josef de Ponte † Herstellung: Schwabenverlag Media der Schwabenverlag AG Senefelderstraße 12, D-73760 Ostfildern Vertrieb: Unsere Post, Petra Härtel, Pf. 4280, 73745 Ostfildern Tei. 0711/5506-140, Fax 0711/4406-138 www.unsere-post.de, E-Mail: [email protected] ISBN: 978-3-7966-1692-1 2015

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Inhaltsverzeichnis Krottendorfer daheim und in Deutschland . . . . . . . . . . . . . .

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Dreschmaschinen in Kaltenstein (Levél) . . . . . . . . . . . . . . . 109 von Andreas Ormos

Vor 70 Jahren Vertreibung aus Boglar (Vértesboglár) und Neuanfang . . . . . . Von Marianne Elisabeth Moser

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Vor 70 Jahre begann die Vertreibung der Ungarndeutschen aus Pomáz. . . . . von Anton Plank

Hanf, das »weiße Gold« der Batschka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 von Johannes Ottenthal

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Aufstellen des Maibaums in MariaGahling (Máriakálnok). . . . . . . . . . . . 115 Von Josef Vecsey †

Erinnerungen an den 2. Mai 1946 . . . von Cornelius Mayer 70 Jahre Krivojrog – Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Deportation nach Russland. . . von Joschi Ament

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Bilder aus Maratz (Morágy) . . . . . . . . 118 In der Heimat ihrer Ahnen . . . . . . . . . 119 von Josef Schwing 37

Vertreibung aus Bátaszék und Ankunft im Erzgebirge . . . . . . . . . . . . von Adam Frey

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Aus der Karriere eines Ungarndeutschen in der Deutschen Demokratischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 von Heinrich Oppermann

Bilder aus Elek . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Alsónána . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 von Heinrich Wink

Erinnerungssplitter – eine Kindheit in Mecsekszabolcs und Dortmund . . . von Johann Güth mit Zeichnungen des Autors

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Die Adam-Ahn’l in Atscha (Vértesacsa) 65 von Anton Blaumann Die Evakuierung Soroksárs 1944 . . . . von Johann Wachtelschneider Das kurze Leben des Pfarrers Anton Wenczel aus Leinwar (Leányvár). . . . . von Anna Ranger Weingärtner in Hajosch (Hajós) . . . . . von József Gaugesz

Späte Anerkennung für hervorragenden Gartenarchitekten . . . . . . . . 133 von Clara-Liselotte Basica Die Marienkapelle Pründl (Máriakönnye, Vodica) bei Baja . . . . . 136 von József Gaugesz

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Renovierung der Lourdes-Madonna in Ragendorf (Rajka). . . . . . . . . . . . . . 137 von Erzsébet Sándorné Hönigmayer

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Eine unfreiwillige Reise . . . . . . . . . . . 139 von Maria Eppel

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Vor zehn Jahren starb der Künstler Josef de Ponte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 von Johannes Weissbarth

»In jenem betrübten hier gar nahrungslosen Jahr« oder warum Gerolzhöfer nach Elek auswanderten . . . . . . . . . . . 97 von Joschi Ament Das 7. k.u.k. Husarenregiment . . . . . . 103 von Mathias Schmausser

Vor zehn Jahren starb Georg Tafferner, Schriftleiter der Heimatzeitung Unsere Post 1959–1984. . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 von Friedrich A. Zimmermann

Eine Reise nach Burgund . . . . . . . . . . 107 Von Johanna Haidler geb. Malárik

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Das Jahr 2016 auf einen Blick Jahreszeiten 2016 Frühlingsbeginn 20. März 22. September Herbstbeginn

Sommeranfang Winteranfang

Gregorianischer Kalender Das Jahr 2016 ist ein Schaltjahr mit 366 Tagen Goldene Zahl 3 Sonntagsbuchstabe xxi Epaktentafel Epakte Aschermittwoch 10. Februar Fronleichnam Karfreitag 25. März Herz Jesu Ostersonntag 27. März Erntedanktag Christi Himmelfahrt 5. Mai Buß- und Bettag Pfingstsonntag 15. Mai Totensonntag Trinitatis 22. Mai 1.Advent

21. Juni 21. Dezember

cb 29 26. Mai 3. Juni 2. Oktober 16. November 20. November 27. November

Finsternisse 2016

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Totale Sonnenfinsternis am 9. März 2016 (im Pazifik sichtbar) Halbschattenfinsternis des Monds am 23. März 2016 (im Pazifik sichtbar) Ringförmige Sonnenfinsternis am 1. September 2016 (sichtbar in Zentralafrika) Halbschattenmondfinsternis am 16. September 2016 (in Mitteleuropa sichtbar) 2016 ist das Jahr 6729 nach dem Julianischen Kalender 5776/5777nach dem jüdischen Kalender 2792 nach den ersten olympischen Spielen (776 v. Chr.) 2769 nach der Gründung Roms (753 v. Chr.) 2016 nach Christi Geburt 1437/38nach dem islamischen Kalender 1269 seit der Einführung des Christentums in Deutschland durch Bonifatius (748) 1061 seit der Ungarnschlacht auf dem Lechfeld (955) 1016 seit der Krönung Stephans I. zum ersten ungarischen König (1000) 571 seit der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg (1445) 524 seit der Entdeckung Amerikas (1492) 333 seit der Befreiung Wiens von der türkischen Belagerung (1683) 330 seit der Befreiung Ofens von der türkischen Besatzung (1686) 102 seit Beginn des Ersten Weltkriegs (1914) 77 seit Beginn des Zweiten Weltkriegs (1939) 70 seit Beginn der Vertreibung der Deutschen aus Ungarn (1946) 66 seit der Charta der Deutschen Heimatvertriebenen (1950) 60 seit der ungarischen Revolution 1956 47 seit der ersten Mondlandung (1969) 27 seit der friedlichen Revolution in Ostmittel- und Osteuropa (1989)

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Vorwort zum 68. Jahrgang Liebe Leserinnen und Leser! uch in diesem Jahr hat die Redaktion A wieder versucht einen interessanten und abwechslungsreichen Kalender zusammen-

Foto: Ungarndeutsches Heimatmuseum Backnang

zustellen. Die Kalenderbilder zeigen in diesem Jahr Kirchengebäude aus Gemeinden und Städten Ungarns. Viele dieser Kirche begleiteten die ungarndeutschen Generationen durch die Geschichte. Da vor 70 Jahren die Vertreibung der Ungarndeutschen aus Ungarn begann, ist diesem Thema ein kleiner Schwerpunkt gewidmet. Sie können Aufsätze zu geschichtlichen Themen aber auch heitere Geschichten, unterhaltsame Erzählungen und besinnliche Gedichte finden. Natürlich ist der neue Hauskalender wieder mit zahlreichen historischen Fotos aus

dem alten Ungarn illustriert, die unsere Leserinnen und Leser in ihren Familienalben fanden und zum Abdruck zur Verfügung stellten. In diesen alten Fotos, sei es in den Bildern aus dem Alltag in den Dörfern oder in den vom Fotografen arrangierten Portraits, wird das vergangene Leben der Ungarndeutschen wieder lebendig. Allen Einsenderinnen und Einsendern von Texten und Bildern gilt der herzliche Dank für die Mitarbeit. Sie werden es der Redaktion verzeihen, dass aus der Vielzahl von Einsendungen eine Auswahl getroffen werden musste, dass nicht alle Bilder abgedruckt werden konnten und dass an den Texten »herumkorrigiert« und manchmal gekürzt wurde. Klaus J. Loderer

Verschleppte Ungarndeutsche aus Almasch (Bácsalmás) bei der Zwangsarbeit in der Sowjetunion

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29 TAGE 1 2 3 4 5 6 7

Mo Di Mi Do Fr Sa So

8 Mo 9 Di 10 Mi 11 12 13 14

Do Fr Sa So

15 16 17 18 19 20 21

Mo Di Mi Do Fr Sa So

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Mo Di Mi Do Fr Sa So

29 Mo

KATHOLISCHER KALENDER

EVANGELISCHER KALENDER

Brigitte von Kildare Darstellung des Herrn (Lichtmess) Blasius, Ansgar (Oskar) Rabanus Maurus, Veronika Agatha, Adelheid Paul Miki und Gefährten 5. Sonntag im Jahreskreis Richard von Wessex Rosenmontag Hieronymus, Josefina Bakita Apollonia, Anna Katharina Emmerich Aschermittwoch Scholastika, Wilhelm, Bruno Maria in Lourdes, Gregor II., Benedikt v. Aniane Kastor, Irmhild, Ekkehard 1. Fastensonntag Cyrill und Methodius, Valentin Sigfrid (Sigurd), Claude de la Colombière Juliana 7 Gründer des Servitenordens Simon, Konstantia, Katharina Comensoli Irmgard v. Aspel, Hadwig Eleutherius, Falko 2. Fastensonntag Petrus Damiani, Germanus Kathedra Petri Polykarp, Willigis v. Mainz Matthias (Apostel), Ethelbert Walburga, Adeltrud, Adelhelm Mechthild, Dionysius v. Augsburg Leander, Markward 3. Fastensonntag Roman und Lupizin, Silvana Oswald, Antonia

Klaus Harms 1855 Darstellung des Herrn Ansgar 865, Matthias Desubas 1746 Hrabanus Maurus 856 Philipp Jakob Spener 1705 Amandus 679 Estomihi (Quinquagesimä) Adolf Stoecker 1909 Georg Wagner 1527 John Hopper 1555 Friedrich Christoph Oettinger 1782 Hugo von St. Victor 1141 Valentin Ernst Löscher 1749 Christian Friedrich Schwarz 1798 Invokavit Cyrillus und Methodius 869/885 Georg Maus 1945 Wilhelm Schmidt 1924 Johann Heermann 1647 Martin Luther 1546 Peter Brullius 1545 Friedrich Weißler 1937 Reminiszere Lars Levi Laestadius 1861 Bartholomäus Ziegenbalg 1719 Polycarpus 155 Apostel Matthias, J. C. Blumhardt 1880 Walburga 779 Mechthild v. Magdeburg um 1285 Patrick Hamilton 1528 Okuli Martin Bucer 1551 Suitbert 713

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Einsender: Eduard Fühl, Heilbronn

Die katholische Kirche in Boglar (Vértesboglar)

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Krottendorfer daheim und in Deutschland

Einsender: Eduard Fühl, Heilbronn

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Die Mannschaft des FC Békásmegyer

Die ehemaligen Krottendorfer auf Wallfahrt in der neuen Heimat nach Deggingen zur Ave Maria Kirche

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Vor 70 Jahren Vertreibung aus Boglar (Vértesboglár) und Neuanfang Von Marianne Elisabeth Moser

sind die zuverlässigsten QuelZmehreitzeugen len der Vergangenheit. Es wird sie nicht lange geben. In dieser Gewissheit wird dieser Beitrag für die nachfolgenden Generationen geschrieben. Am  14.  Mai 1946 begann für meine Heimat Vértesboglár die Vertreibung. Innerhalb von zwei Tagen mussten wir reisefertig sein. 100 kg Gepäck pro Person durften mitgenommen werden Was hat wohl jetzt den Vorrang? So fragte man sich. Wir wurden mit unserem Gepäck zum Boglarer Bahnhof gebracht. Dann gingen Soldaten durch die Reihen um zu kontrollieren.

Der Zug mit den Viehwaggons fuhr am Bahnhof ein. Dreißig Personen mit Gepäck mussten in einen Waggon. Zunächst ging es ca. 20 km bis Bicske. Dort stand der Zug zwei Tage lang. Plötzlich und ohne Bekanntgabe fuhr der Zug los. Es ging dann über Wien bis Piding in den amerikanische Zone. Wir bekamen hier zum ersten Mal gutes Essen. Hier war auch die Station zum Entlausen. Im Zug waren die Läuse ein großes Problem gewesen. Unser Zug rollte dann weiter nach Schwabach in Mittelfranken. Wir kamen hier in ein Barackenlager für zwei Tage. Unser Dorf wurde dann aufgeteilt auf die Landkreise Schwabach, Dinkelsbühl und Gunzenhau-

Feierabend in der Wohnstube in Boglar (Vértesboglár)

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Bei der Ernte in Boglár (Vértesboglár)

sen. Meine Familie kam mit weiteren zehn Familien in Eckersmühlen im damaligen Landkreis Schwabach am Bahnhof an. Im Dorf wurde ausgerufen, wer sich am Bahnhof Flüchtlinge abholen wolle. Ungarndeutsche Familien, in denen Arbeitskräfte vorhanden waren, bekamen rasch einen Platz, Kinder und alte Leute blieben übrig. Diese kamen in die Gaststätte Gugel in einen alten Tanzsaal – in jede Ecke eine Familie. Dann kam die Kirchweih. Der Saal musste geräumt werden. Weiter ging es in eine Holzbaracke im Dorf. An verschiedenen Stellen regnete es herein. Kisten und Säcke wurden nicht ausgepackt, weil wir hofften, jeden Tag kommt die Nachricht, wir dürfen wieder heim, in die

Heimat zurück. Es schaltete sich dann das Wohnungsamt ein und wir bekamen eine bescheidene Wohnung. Die Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat erlosch. Kinder und Jugendliche wurden eingeschult. Die Erwachsenen sucht nach Arbeit. Ein Neuanfang musste gemacht werden und wurde gewagt. Den Spott auf »die ungarischen Zigeuner« bekamen wir nicht selten zu hören  – er verstummte jedoch bald. Die Ungarndeutschen wurden als ehrliche, strebsame und fleißige Menschen erkannt und geschätzt. Dies ereignete sich vor 70 Jahren im Mai/ Juni 1946. Die Verfasserin dieser Zeilen ist Jahrgang 1934.

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Erinnerungssplitter – eine Kindheit in Mecsekszabolcs und Dortmund Geschichten aus der frühen Kindheit eines deutschungarischen Jungen vor und während des 2. Weltkriegs von Johann Güth mit Zeichnungen des Autors

werden Sie meine ErinnerungsSdieicher splitter mehr interessieren, wenn Sie sich Mü he machen sich in mein ganz Schicksal vertiefen und eine wahre außergewöhnliche, Geschichte kennenlernen. Ich weiß, dass andere Leute ähnliche abenteuerliche Episoden erzählen können, aber ich empfinde es als meine Pflicht den Lebenslauf unserer Familie zu schreiben, weil ich es sonst meinen Vorfahren und meinen Verwandten, meiner Nationalität und schließlich auch mir selbst schuldig bleibe sonst werden diese dramatischen Erlebnisse in Vergessenheit geraten. Selbstverständlich habe ich nachgeforscht von welchem Ort unsere Familie, als ungarndeutsche Schwaben stammt. Alte Schriftstücke und Unterlagen beweisen, dass meine Großund Urgroßeltern von der Seite meines Vaters in Gödre lebten, von der Seite meiner Großmutter in Lashetting (Lovaszheteny). Die Großeltern hatten acht Kinder. Mein Vater war das fünfte. Er hieß Stefan Güth und wurde 1898 geboren. Schon mit 14 Jahren hat mein Vater in Mecsekszabolcs in der Kohlengrube gearbeitet. Er war sein halbes Leben, genau 45 Jahre, als Bergmann unter der Erde. In Mecsekszabolcs hat mein Vater seine spätere Frau, Elisabeth Brecht, kennen gelernt. Sie war die einzige Tochter der Familie Brecht und im Jahre 1920 bat er um ihre Hand. Er hat uns immer erzählt, dass er dies in einem Weingarten tat, als die Familie mit der anstrengenden Landarbeit beschäftigt war. Ein besonderer Lebenslauf begann als sie heirateten. Während den

30er Jahren wohnten wir in einem ganz kleinen Ort nahe von Mecsekszabolcs, in dem fast n ur Bergleute wohnten. Der Ort hieß Stadtwald oder Luftkolonie. Hier erlebte ich meine schönsten und glücklichsten Kinderjahre, zusammen mit meiner Schwester Grete, meinem Bruder Stefan und meinen Eltern. Ich glaube, in diesem Tal waren auch meine Eltern sehr glücklich. Damals dachten wir nicht daran welches abenteuerliche Leben in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird. Die Kinderzeit Im Stadtwald waren die Dienstwohnungen der Bergleute, sie waren den Bedürfnissen der Menschen der damaligen Zeit angepasst. Von 1935 bis 1939 genoss ich hier das sorglose und frohe Leben eines kleinen Kindes. Um uns war eine ungestörte Natur mit Wiesen, Wälder, Hügel; es war einfach wunderbar! Mein Bruder war viel älter als ich und musste schon arbeiten, er arbeitete in der Grube in Pécsbánya. Aber am wichtigsten war, dass unsere liebe Mutter immer da war und sich mit uns beschäftigte. Nur manchmal fuhr sie nach Fünfkirchen (Pécs) um etwas einzukaufen. Dann warteten wir ungeduldig vor dem Haus auf sie und hatten eine riesige Freude wenn wir sie auf dem schmalen Bergweg erblickten. Kurz muss ich aber noch drauf eingehen, welches schreckliche und tragische Erlebnis unsere Eltern in tiefe Traurigkeit stürzten. Am 18. August 1933, als mein Va49

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ter gerade in die Schicht gegangen war, sind meine kaum sechsjährige Schwester und mein 12jähriger Bruder mit anderen Kindern zusammen zum spielen gelaufen. Aber wohin? Oh weh! Sie waren in Cassian, in der Sandgrube. Und dort geschah eine alptraumhafte Tragödie. Die Kinder dort amüsierten sich sehr, sie waren lustig und vergaßen um sich alles in dem angenehmen warmen Sand. Da krachte plötzlich eine ganze Sandgrubenwand ab. Meine kleine, goldige, sehr gescheite und hübsche kleine Schwester Margarete wurde unter dem Sand begraben und konnte sich nicht mehr heraus kämpfen. Mein Bruder Stefan wollte sie herausholen und retten  – aber es war schon zu spät! Die Kleine erstickte unter der ungnädig dicken Sanddecke. Die ganze Ortschaft trauerte, Kinder und Erwachsene ließen ihren Tränen freien Lauf. Welche Grausamkeit war es für meine Eltern, so etwas Schreckliches erleben zu müssen. Als mein Vater die schlimme Nachricht erhielt wurde ihm schlecht und meine Mutter, die im sechsten Monat schwanger war, reagierte verzweifelt auf den Verlust ihres geliebten Kindes. Vielleicht war diese dramatische Geschichte auch der Grund dafür, dass mein Vater danach sein Glück in einem fremden Land gesucht hat (den Reisepass meines

Sorgloses Leben in Mecsekszabolcz

Vaters habe ich bis zum heutigen Tage aufbewahrt) und es wurde mir erzählt, dass er versuchte seiner Familie ein besseres Lebensniveau zu sichern. In den Jahren 1926 bis 1932 war er schon in mehreren westlichen Staaten als Bergmann tätig. Er arbeitete in Belgien, Frankreich, Deutschland, in den Niederlanden und in Luxemburg. Ein bunter Keramik-Teller mit der Aufschrift »Staatsmynen in Limburg 1902  – 1927« erinnert an diese Zeit, vermutlich wurde dieser Teller zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum der Mine hergestellt und als Andenken weitergegeben. Ich möchte auch noch einige Eindrücke wiedergeben, die sehr tief in meiner Erinnerung verankert sind. In der Luftkolonie war vor unserem Haus ein Feldweg und gegenüber lag der Garten, der von meiner Mutter immer sehr sorgfältig gepflegt wurde. Es wuchsen dort wunderschöne Blumen. Daneben breitete sich der Hühnerhof aus. Darin gab es nicht nur Hühner, sondern auch Enten und Gänse. Eine Gans wollte uns Kinder immer zwicken und deshalb hatten wir keinen Mut, in den Hühnerhof hinein zu gehen. Aber ein kleiner schwarz-weißer Hund war immer sehr freundlich zu uns. Manchmal, im Sommer wenn wir noch schlafen wollten, die Türe aber schon offen war, kam der kleine Hund herein und leckte mich im Gesicht. Natürlich war ich dann sofort wach und hüpfte aus dem Bett. Unsere Mutter hatte uns so verwöhnt, dass nicht nur die Sonnund Feiertage, sondern auch die Werktage so fröhlich und abwechslungsreich für uns waren. Etwas ganz besonderes war es, wenn mein Vater das Akkordeon und mein Bruder die Geige hervor geholt haben und die ganze Gegend von der lustigen schwäbischen Musik erfüllt war.

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Die Evakuierung Soroksárs 1944 Soroksár in der Schlacht um Budapest am Ende des Zweiten Weltkriegs von Johann Wachtelschneider

m November 1944 hatte sich die militäriIBudapest sche Lage um die ungarische Hauptstadt dramatisch verändert. Die aus verschiedenen Richtungen vorrückende Rote Armee stand kurz vor Budapest und war im Begriff, um die Hauptstadt einen Belagerungsring aufzubauen, der sich dann später zum Kessel verdichten sollte. Unsere Großgemeinde Soroksár war das südliche Einfallstor in die Innenstadt von Budapest, denn hier trafen sich die beiden wichtigsten Straßen, die aus Südungarn in die Metropole führten.

Aus Szeged im Südosten und aus dem Süden, der Donau entlang aus Richtung Belgrad rückten verschiedene Armee-Einheiten der Sowjets nach Budapest vor. In der Stadt und in den Außenbezirken hatten sich Einheiten der deutschen Wehrmacht und der ungarischen Honvéd daran gemacht, einen Verteidigungsgürtel auf- und auszubauen. Im Vorfeld der zu erwartenden Kämpfe musste unsere Gemeinde ab November 1944 geräumt und evakuiert werden. Überwacht wurde die ganze Aktion von deut-

Das heutige Rathaus von Soroksár

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schen und ungarischen Militärs. Als dieser Räumungsbefehl gegeben wurde, herrschte in der Gemeinde große Aufregung. Allen Bewohnern wurde nun deutlich bewusst, dass der Krieg jetzt auch unseren Ort erreicht hatte und die Sache nun ernst werden würde. Die Evakuierung erfolgte hauptsächlich nach Pesterzsébet und nach Budapest. Jede Familie musste sich nach einem Unterschlupf umsehen. Da unsere Familie ein Kühleisgeschäft von Soroksár aus in der Franzstadt (Ferencváros) betrieb, hatten wir viele Bekannte in diesem Stadtbezirk. Dadurch war die Suche nach einer Bleibe relativ kurz. Andere Haushalte hatten dabei enorme Probleme; waren doch in der Hauptstadt tausende von Menschen unterzu- bringen. Schnell wurde in den Häusern alles Wichtige, vor allem Schlaf-Möbel und Lebensmittel zusammengepackt und auf Bauernwagen geladen, Haus und Hof abgeschlossen und die Fahrt nach Budapest aufgenommen. Bei uns übernahmen diese Arbeit Großvater, Vater und Onkel mit zwei Pferden und zwei Eiswagen. Eine lange Kette von Pferdefuhrwerken bewegte sich aus unserer Gemeinde in Richtung Hauptstadt, denn aus unserm Dorfe mussten etwa 18 00 Bewohner eine Unterkunft in der Großstadt finden. Dieser Weg war für unsere Menschen eine der größten Prüfungen in ihrer bis dahin 200 –jährigen Geschichte in Ungarn. Vor allem die absolute Ungewissheit machten unseren meist einfachen Menschen viel zu schaffen. Ungewiss war zunächst, wo man in der Stadt unterkommen würde. Ungewiss war die Zeit, wie lange diese Phase wohl andauern würde. Vor allem der Ausgang der Kesselschlacht um Budapest und das »Danach« bewegte die Menschen. Manche hatten aus eigener Anschauung in der Sowjetunion erlebt, was Krieg bedeutet, und sie ahnten, was wohl passieren würde, wenn die Rote Armee die Stadt erobern würde. Niemand glaubte hier noch an den im Deutschen Reich immer noch propagierten »Endsieg«. In dieser gespannten Situation machten wir uns mit den Großeltern auf den Weg

nach Budapest. Großmutter hatte in der Franzstadt (Ferenc város) in der Nähe des Boráros tér einige gute Kunden, die sie seit Jahren mit Kühleis belieferte. So fanden auch wir, Vater, Mutter und ich in der Ipár utca ein kleines leeres Zimmer, in dem wir unsere Habe verstauen konnten. Die Wohnung gehörte einem HonvédOffizier, welcher noch im Krieg war. Seine Frau hatte die Möbel in zwei Räumen der Wohnung zusammengestapelt, bevor sie sich mit ihrem Kind zu Verwandten in die Provinz absetzte. Dadurch war »unser« Zimmer frei geworden. Es befand sich in einem typischen vierstöckigen Budapester Mietshaus mit Blick in den von Balkonen (Galerien) umgebenen Innenhof. Großvater S. mit Großmutter, meiner Tante und meinem halbjährigen Cousin Anton konnten in der Nähe eine Kellerwohnung beziehen. Auch das noch verbliebene Pferd Großvaters, Bandi, konnte in der Nähe untergebracht werden und wurde dort von Großvater versorgt. Meine Wachtelschneider-Großeltern waren auch in unserer Nähe notdürftig untergekommen. Auch hier musste vorerst ein Pferd betreut werden. Mein Vater wurde von dieser Notwohnung aus zu einer militärischen Einheit in der Nähe unseres jetzigen Stadtbezirkes eingezogen. Er konnte aber nach dem jeweiligen Dienstschluss bei uns in der Wohnung sein und auch übernachten. Morgens oder abends musste er sich jeweils bei seiner Dienststelle melden und seinen Dienst antreten. Dieser bestand in erster Linie aus Sicherungsaufgaben, Aufräumungsarbeiten und Hilfsleistungen für die Zivilbevölkerung; es war also kein Dienst bei einer Kampfeinheit. Organisierte Hilfe und Ordnungsaufgaben im Chaos der »Fluchtburg« Budapest waren wesentliche Aspekte, um das Leben in der Stadt doch noch einigermaßen steuern zu können. Die Sowjets hatten die Lufthoheit über der Stadt erlangt und bombardierten bzw. beschossen die Stadt pausenlos. Die Front mit den direkten Kampflinien befand sich jedoch noch außerhalb der Stadt. An der Peripherie wurde fieberhaft versucht, den Be-

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festigungsgürtel zu verstärken. Kurz vor unserer Evakuierung beobachtete ich noch selbst das Ausheben von tiefen PanzerSperr- Gräben in der Nähe unseres Elternhauses im Süden Soroksárs. Die Luft in der Stadt war erfüllt von Geschützdonner, Bombendetonationen und Maschinengewehr- und Granatwerferfeuer. Einmotorige MIGs lärmten im Tiefflug über der Stadt. Für mich waren diese ungewohnten Eindrücke einerseits beängstigend andererseits aber auch in einer gewissen Weise faszinierend, war mir doch die Gefährlichkeit diese Szenariums nicht wirklich bewusst, und ich wunderte mich oft über die verängstigten Erwachsenen, die sich laufend auf dem Wege in die Keller oder aus den Kellern befanden. Dies geschah täglich mehrfach. An den Fliegeralarm (Riado) hatte ich mich schon gewöhnt. Immer, wenn er gegeben wurde, ging es mit Mutter in den großen Hauskeller. Aber nicht nur die Sowjets waren über der Stadt. Vor allem die Royal Airforce flog aus Richtung Südosten mit ihren Bombergeschwadern die Stadt an und lud ihre tödlichen Frachten ab. Ganze Straßenzüge wurden so Opfer der Zerstörung. Erinnern kann ich mich auch noch an die gewaltigen Brände, die nach den Angriffen in der Stadt wüteten. Von unserem Zimmer im obersten Stockwerk beobachtete ich immer wieder das »Schauspiel« in der näheren Umgebung. Wurde es aber besonders gefährlich, kam Mutter mit dem Notgepäck und wir suchten schleunigst Schutz im Keller. Vater ging, auch wenn er frei hatte, da nie mit, denn so hatte er es bereits in Soroksár in den letzten Tagen vor der Evakuierung gehalten, denn er hielt nichts von der Schutzfunktion eines Kellers. Vor allem meine Großeltern, seine Schwiegereltern, konnten dies nicht verstehen und bekamen in solchen Situationen immer Streit mit meinem Vater. Er hatte natürlich seine Gründe für sein Verhalten. Besonders betonte er dabei immer das mögliche Problem der Verschüttung. Im Übrigen erklärte er, dass er in seinen vier Einsätzen in der Ukraine ganz

andere Dinge erlebt habe, so dass er dem Tode ins Auge blicken könne! Als Honvéd-Soldat war er im Mittelabschnitt zwischen Kiew und Charkow hauptsächlich zur Partisanenbekämpfung im Einsatz. In seinen Erzählungen aus den Wäldern um Neshin und Priluki war immer die absolute Unsicherheit und Gefahr spürbar, die beim Kampfe gegen einen unbekannten und vor allem oft unsichtbaren Gegner permanent vorhanden war. Hier musste er auch erleben, dass einige Kameraden aus seiner Einheit, darunter auch ein junger Bursche aus unserem Ort, den Tod fanden. So erschien ihm seine neue Rolle als »Ordnungs- und Sicherheitspolizist« wie er sich nicht ohne Ironie nannte, nicht allzu gefährlich. Im Nachhinein glaube ich auch, dass ein gewisser Leichtsinn bei seiner schweren Verwundung eine Rolle spielte, obwohl er dies zeitlebens nie zugeben mochte. An jenem Morgen machte er sich wie immer auf den Weg zu seiner Meldestelle, die sich auf dem Ferenc-körút befand. Von unserem »Zimmer« waren dies etwa 1000 Meter. Die Stadt lag an diesem Morgen unter starkem Granatwerferfeuer, war doch die »Rote Armee« auf dem Vormarsch in das Stadtzentrum. Die verteidigenden Truppen, Deutsche und Ungarn, mussten Straßenzug um Straßenzug aufgeben. Die Vororte, darunter auch Soroksár, waren bereits von der Sowjetarmee erobert und besetzt. Vater kam nicht bis zu seinem Meldeort, seiner Dienststelle. Als er von einer Seitenstraße in die große Ringstraße einbiegen wollte, traf ihn ein Granatsplitter unterhalb seines rechten Ohrs und trat durch das rechte Auge wieder aus seinem Kopf. Passanten brachten den Schwerverletzten in den nahe gelegenen Keller des Kunstgewerbemuseums an der Ullöi-út, in dem ein Notlazarett eingerichtet war. Hier wurde er zunächst notdürftig versorgt. Obwohl wir nur rund einen Kilometer von diesem Notlazarett wohnten, wussten wir zwei volle Tage nichts von seinem Schicksal. Meine Mutter und die beiden Großelternpaare waren sehr bestürzt über das Verschwinden meines Vaters und rech69

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Repräsentative Straßenecke mit Kuppel in Soroksár

neten bereit mit dem Schlimmsten. Besonders dramatisch wurde die Lage dadurch, weil die »Rote Armee« im Begriffe war, die gesamte Franzstadt (Ferencváros) zu überrennen, was dann am nächsten Tage auch geschah. Mutter und ich hatten die entscheidende Phase der Eroberung unseres Stadtbezirks mit unseren Mitbewohnern, wohl an die 50 Personen, im Keller unseres Hauses verbracht. Verblieben sind diese Erinnerungen bis heute und einzelne Szenen erscheinen wie auf einem Bildschirm, wenn ich daran denke. Im Keller war kein Licht. Kinder, aber auch einige Frauen weinten. Von oben, von der Straße her hörte man Maschinengewehrfeuer, Schreie, Anweisungen laute Kommandos und immer wieder die Salven aus Maschinengewehren. Dann wurde es plötzlich ganz still. Im Schutzraum begann ein Aufatmen. Doch niemand wagte es zunächst nach oben zu gehen, hatte man doch gehört, was die Rus-

sen so alles mit der Zivilbevölkerung machen. Der Rat der Kellerinsassen hatte noch nicht beschlossen, dass wir nach oben gehen sollen, als schwere Schläge gegen die Kellertüre pochten, unterbrochen von russischen Lauten. Das Klopfen wuchs proportional zur Unruhe und Angst im Kellerraum. Endlich gab die Kellertüre nach, und im Lichte des Hofes sah man einige Sowjetsoldaten. Mit ihren Maschinengewehren im Anschlag näherten sie sich vorsichtig dem Kellereingang, riefen einige Kommandos, und dann wagte es der erste Soldat, die Treppe hinab zu steigen. Die anderen folgten zögern und sichernd. Als sie unten angekommen waren, kam der Befehl an die Kellerleute, die Hände hoch zu halten. Zunächst wurde nach versteckten Waffen und gegnerischen Soldaten gesucht. Lesen Siebald den Artikel Doch schon warkompletten den Soldaten klar, dass sowie Beiträge hier wohlviele für sieweitere keine Gefahr drohte.im Also untersucht man die Menschen nach anderen neuen Hauskalender 2016. Gegenständen und nahm sie ihnen einfach

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