Universität für angewandte Kunst Wien Institut für Bildende und Mediale Kunst Betreut von Univ.-Prof. Thomas Zipp Sommersemester 2014

Universität für angewandte Kunst Wien Institut für Bildende und Mediale Kunst Betreut von Univ.-Prof. Thomas Zipp Sommersemester 2014 Begehrtes Wasse...
Author: Maya Becker
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Universität für angewandte Kunst Wien Institut für Bildende und Mediale Kunst Betreut von Univ.-Prof. Thomas Zipp Sommersemester 2014

Begehrtes Wasser Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit von Stefanie Treml über Trudi Bloom

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung

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2. Das Bedürfnis  2.1 Trinkwasser - Ein physiologisches Bedürfnis  2.2 Maslow und Plato 

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3. Vom Bedürfnis zum Begehren 3.1 Virtuelles Wasser nach Tony Allan  3.2 Das Begehren nach J. Lacan  3.3 Interpretationsraum 

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4. Form und Kontext: Begehrtes Wasser  4.1 Das Waschbecken  4.2 Die Umkehr von Abwesenheit in Anwesenheit  4.3 Der Traum von Wohlstand und Freiheit  4.4 Ähnliche Künstlerpositionen

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5. Vom Gedanken bis zum Gemälde  5.1 Entstehungsprozess 5.2 Der Malakt  5.2.1 Auswirkungen äußerer Umstände 5.2.2 Innere Konstellation 5.2.3 Wann ist ein Bild fertig

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6. Schlusswort

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7. Literaturverzeichnis

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8. Abbildungsverzeichnis

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1. Einleitung Ich schreibe in diesem schriftlichen Teil der künstlerischen Diplomarbeit über die Malerei von Trudi Bloom. In der Diplomausstellung werden zwei Bilder unter dem Titel „Begehrtes Wasser“ präsentiert. Der Arbeitstitel „Begehrtes Wasser“ verweist sowohl auf elementare Gedanken der Philosophie und Psychoanalyse als auch auf eine globale Situation im Kampf um die Ressource Wasser. Im Rahmen dieser Diplomarbeit fertigte Trudi Bloom inhaltlich zusammenhängende, größere Malereien auf Papier und Hartfaserplatten an, die auf einander Bezug nehmen. Ich möchte dem Betrachter auf den folgenden Seiten die wichtigsten Eckpunkte näher bringen. Ausgehend von einer Dreiecksbeziehung zwischen Trinkwasser, der Ressource und dem „Virtuellen Wasser“ nach Tony Allan behandelt „Begehrtes Wasser“ inhaltlich die Weiterentwicklung vom physiologischen Bedürfnis zum Begehren einer konsumorientierten Gesellschaft. Der Begriff des Begehrens nach J. Lacan wird kurz hinsichtlich seiner Bedeutung im Entwicklungsprozess von Wasser als Grundbedürfnis zu Wasser als profitabler Ressource beleuchtet. Anhand diverser Künstlerpositionen, welche die Ausarbeitung der Arbeit inspiriert haben, werden Ähnlichkeiten und wesentliche Unterschiede im Hinblick auf die Entstehung von „Begehrtes Wasser“ erörtert. Im Zentrum der Arbeit steht der Malakt und das Ergebnis in Form von Malerei. Die Frage nach ihrer Aufgabe und ihren Möglichkeiten für die Künstlerin stellt einen wesentlichen Bestandteil dar. Wann ist ein Bild überhaupt fertig? Die Arbeit untersucht Möglichkeiten, die das Medium der Malerei bietet. Diesbezüglich wird auf die individuelle Bedeutung der Sinne Hören, Sehen und Fühlen eingegangen. Die schrittweise Umkehr von Abwesenheit in Anwesenheit des Unbewussten durch den Malakt ist eine bedeutende Beobachtung der Arbeit. Es wird gezeigt, wie sehr sich emotionale wie physische Befindlichkeiten sowie äußere Umstände während des Malaktes auf das Resultat auswirken.

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2. Das Bedürfnis

Für das Verständnis der Arbeit „Begehrtes Wasser“ ist es essentiel, sich auf zwei unterschiedliche Blickwinkel einzulassen. Einerseits muss man die Arbeit vor dem Hintergrund ihrer Entstehung sehen, damit sind die äußeren und inneren Umstände während des Schaffensprozesses gemeint. Außerdem tritt in Anbetracht der inhaltlichen Ebene, die Wechselbeziehung zwischen Trinkwasser, der Ressource und dem „Virtuellen Wasser“, das narrative Element der Malerei in den Vordergrund. Zunächst möchte ich jedoch auf das ambivalente Verhältnis von Bedürfnis zu Begehren eingehen, das in dieser Beziehung eine wichtige Rolle spielt. 2.1 Trinkwasser - Ein physiologisches Bedürfnis Abhängig von physischer Belastung und der Umgebungstemperatur benötigt der Mensch mindestens einen Liter Wasser pro Tag. Während 70 Prozent des menschlichen Körpers aus Wasser bestehen, verspürt man bereits ab 0,5 bis 3 Prozent Wasserverlust das Verlangen zu trinken. Weitere Auswirkungen wie Sprachstörungen und ein unsicherer Gang stellen sich bei einem Wasserverlust ab zehn Prozent ein. Eine Dehydratation über drei bis vier Tage kann bereits tödliche Folgen haben.

Abb. 1: Stufenmodell der Motivation (Bedürfnispyramide) nach Maslow

Trinkwasser zählt zu einem der elementaren Grundbedürfnisse. Maslow spricht hier vom sogenannten physiologischen Bedürfnis, welches das Fundament für sein Stufenmodell der Motivation darstellt. Die Darstellungsweise in Form der populären Bedürfnispyramide ist u.a. Werner Correll zuzuschreiben. Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung bildet die Spitze des Pyramidenmodells (s. Abb.1). Auf diversen Reisen im europäischen und afrikanischen Ausland sah sich die aus

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Österreich stammende Künstlerin Trudi Bloom mit der Problematik der Trinkwasseraufbereitung konfrontiert: „Welch selbstverständlicher Luxus in Österreich. Egal welchen Hahn du aufdrehst, das was herausfließt hat Trinkwasserqualität. In den meisten Ländern der Welt kann man davon nur träumen. Während meines Aufenthaltes in Marokko 2008 habe ich zum Beispiel vorsichtshalber nach jeder Mahlzeit mit Schnaps gegurgelt, damit ich mir keine unangenehme Magen-Darm-Infektion einhandle. Bedauerlicherweise kann man nie nachvollziehen, womit ein Nahrungsmittel vor dem Verzehr in Kontakt gekommen ist. Das schlichte Abwaschen von Obst oder Gemüse mit regionalem Leitungswasser könnte für den verwöhnten österreichischen Reisenden bereits unangenehme Konsequenzen haben.“ Ausgehend von Beobachtungen wie dieser, greift „Begehrtes Wasser“ das physiologische Bedürfnis nach Wasser sowie das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, also beide Enden des Motivationsmodells nach Maslow, auf. Für Trudi Bloom ist ihr stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Selbstverwirklichung die stärkste Triebfeder, sich mittels Malerei auszudrücken. Die Künstlerin betont, dass die Arbeit keine wissenschaftliche Abhandlung über die Errungenschaften der Psychologie darstellt. Jedoch lieferte Maslows Stufenmodell der Motivation wichtige Ansätze. „Ich mache mir ständig Gedanken darüber, was in der Welt vorgeht. Wie und wohin sich die Gesellschaft entwickelt hat und wie sie es weiterhin tun könnte, beschäftigt mich einfach. In meinen Augen hat man als Künstlerin die Aufgabe kritisch zu denken und man hat Arbeiten zu schaffen, die diese Gedanken reflektieren. Mit der Arbeit „Begehrtes Wasser“ möchte ich zum Einen mehr Bewusstsein bei jenen schaffen, die noch nicht realisiert haben, wie wertvoll die tägliche Versorgung mit Trinkwasser aus der Leitung ist. Zudem verfolge ich seit einiger Zeit eine bedenkliche Entwicklung im Hinblick auf Wasser als gewinnbringende Ressource. Die Arbeit greift diese komplexe Thematik auf.“ (Trudi Bloom)

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2.2 Maslow und Plato „Höhere“ und „niedrige“ Bedürfnisse - so könnte man nach Maslow eine Unterscheidung treffen. Während niedrige Bedürfnisse ein Defizit beschreiben, stehen höhere Bedürfnisse für eine Wachstumsorientierung. Eben diese Wachstumsbedürfnisse kennzeichnen den Menschen gegenüber dem Tier. Damit sich Zufriedenheit einstellen kann, müssen Defizitbedürfnisse befriedigt sein, um in weiterer Folge nach Erfüllung der Wachstumsbedürfnisse die Erlangung des Glücks zu ermöglichen. Eine höhere Lebenserwartung, eine bessere Ernährungssituation und weniger Krankheiten gelten als Formen der Zufriedenheit. Nach deren Realisierung sowie nach Erfüllung der Defizitbedürfnisse rücken die davor sekundären und subjektiven Wachstumsbedürfnisse in den Mittelpunkt. Die Bewältigung der Wachstumsbedürfnisse legen den Grundstein für Seelenruhe, inneren Wohlstand, nachhaltige Erfüllung und tiefere Persönlichkeitsausbildung. Auch Plato entwickelte bereits ein hierarchisches Modell zur Unterscheidung der Bedürfnisse: „Das erste und größte aller Bedürfnisse ist aber die Beschaffung der Nahrung um der Existenz und des Lebens Willen … Das zweite dann die Beschaffung einer Wohnstätte, das dritte die von Kleidung und was dahin gehört.“(1) Ausgehend von deren Erfüllung konzipierte er Bedürfnisse nach Gütern wie Malerei, Stickerei, Gold und Elfenbein, nach Sicherheit, Wissen, Erziehung und Kunst. (2) Abschließend möchte ich an dieser Stelle Trudi Bloom zitieren, die Folgendes über ihre Suche nach tieferem Glück sagte: „Ich möchte mich rückbesinnen - auf die feinen Details im Alltag, die Glamour überhaupt erst ausmachen. Ich muss mich aus eigener Kraft von zum größten Teil medial geprägten Idealen befreien, um meinen „Inneren Glamour“ zurückzugewinnen. Um letztendlich auf diesem Weg glücklich werden zu können. Die Malerei hilft mir dabei.“ Das österreichische Wörterbuch (3) paraphrasiert Glamour mit „glitzernder Aufmachung“. Hier spielt Trudi Bloom offensichtlich auf die medial inszenierte Unterhaltungs- und Werbeindustrie an.

(1) Platon, Der Staat, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1978, S. 108. (2) Vgl. Platon, 1978, S. 113–119. (3) ÖBV, 1997, Österreichisches Wörterbuch

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3. Vom Bedürfnis zum Begehren

Das dritte Kapitel erläutert die Begriffe „Virtuelles Wasser“ und „Begehren“ nach Jacques Lacan, dem französischen Psychoanalytiker. Ein Begehren nach etwas drückt sich oft als Motivation für eine Handlung aus. Das Begehren liegt in gewisser Weise allen menschlichen Handlungen zugrunde. Das Wissen um die Signifikanz des Begriffs ist ein bedeutendes Werkzeug für die Herleitung von Zusammenhängen. 3.1 Virtuelles Wasser nach Tony Allan Tony Allan, ein englischer Geograf, führte 1995 den Begriff „Virtuelles Wasser“ zur Bezeichnung der verbrauchten Wassermenge bei Wirtschaftserzeugnissen ein. Genauer gesagt, gibt der Begriff sowohl Auskunft über die Menge an Wasser, die zur Herstellung eines Produktes benötigt wird, als auch über die in einem Erzeugnis enthaltene Quantität. Der versteckte Verbrauch wird mittels virtueller Rechnung dargestellt. Die Kalkulation des virtuellen Wassers zeigt auf, dass der Wasserverbrauch nicht lediglich auf nationaler Ebene betrachtet werden kann, da im Zuge der Globalisierung u.a. aus Kostengründen unzählige Herstellungsverfahren ausgelagert und somit Wasservorräte auf internationalem Raum konsumiert wurden. Die Nahrungsmittelindustrie verbraucht geschätzte 65 bis 70 Prozent des weltweiten Süßwasseraufkommens aufgrund von Agrarbewässerungsmaßnahmen. Die Verbrauchsmenge virtuellen Wassers wird regelmäßig durch das Institut for Water Education der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) publiziert. (http://www.unesco-ihe.org/) Im GLAAS Report 2014 der WHO (World Health Organisation), den man über den Link http://www.who.int/water_sanitation_health/watandmacr5.pdf?ua=1 beziehen kann, heißt es: „5. Conclusions: Investing in Water is Good Business.“ (4) Diese Passage sowie Allans Ansatz machen unmissverständlich klar, welche immensen Auswirkungen der Wasserverbrauch durch Industrie und Agrarwirtschaft für den Klimawandel und die Ressourcenverteilung, weiters für nationale wie internationale Politik und Wirtschaft hat.

(4) GLAAS (UN Global Analysis and Assessment of Sanitation and Drinking-Water) 2014, Investing in Water and Sanitation increasing access, reducing inequalities - Special Report for the Sanitation and Water for All (SWA) High-Level Meeting (HLM)

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3.2 Das Begehren nach J. Lacan Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan (1901–1981) entwarf die Spiegeltheorie zur Beschreibung des Ichfindungsprozesses. „Das Spiegelstadium stellt die Matrix aller identifikatorischen Prozesse dar.“ (5) Der Moment, in dem sich das infant (Kleinkind) im Spiegel (v)erkennt, begründet gleichsam die Spaltung des Subjekts in moi und je. „Im Wiederholungszustand der Begier, in der Erwartung findet die Erziehung und Entwicklung dieses anfänglichen Ich statt.“ (6) Lacan knüpft an die freudsche Theorie des Wunsches an und führt die Dialektik des Begehrens ein, welche „als ein eng verschlungenes Netzwerk von Sprache, Wunsch und Intersubjektivität“ (7) darstellt. Die Rolle der Mutter ist dabei eine tragende. Den Mangel, auch zu verstehen als eine Form der Abwesenheit, sowie die daraus resultierende Leerstelle, gilt es auszulöschen. Das Begehren wird durch Abwesenheit ausgelöst, die daraus entstandene Leerstelle wird durch etwas Anderes besetzt. Durch diese Substitution bleibt der eigentliche Mangel bestehen, die Schließung der Leerstelle rückt in unerreichbare Ferne und wird dadurch zum Mythos. „Die Mutter gibt mehr als Nahrung, nämlich ihre Anwesenheit und Liebe, andererseits aber gibt sie weniger als dauerhafte Bedürfnisbefriedigung, nämlich Versagung des Befriedigungsobjekts und Abwesenheit. ... Somit setzt sich die Mutterpflege von jeder konkreten Bedürfnisbefriedigung ab, die biologischer Natur ist und auf reine Konsumption abzielt.“ (8) „Anders also als das Bedürfnis, das auf reale Befriedigung zielt, und anders als der imaginäre Anspruch, der statthat im Bereich des aktuell Artikulierten, hat das Begehren seinen Sitz in dieser Differenz, die einerseits verstellt war durch die Verheißung des Realen (vgl. die Wahrnehmungsidentität bei Freud) und andererseits durch die spiegelverhafteten Figuren des Imaginären. Als Bewegung der differentiellen Verweisung (Metonymie) ist das Begehren der symbolischen Ordnung unterworfen, d.h., es differenziert sich aus dem Ort der Sprache.“ (9) Die Lacansche Trias unterscheidet drei Arten von Objekten: Das Imaginäre - Das Symbolische - Das Reale. Das Reale kann man als Traum oder in Form des Genießens verstehen, es ist weder imaginär noch symbolisierbar. Lacan verwendet hierfür den Begriff der „jouissance“, welche zum Großteil durch die Sexualität ausgelebt wird.

(5) G. Pagel, 1989, Jacques Lacan zur Einführung, S. 31 (6) Ebd. Jacques Lacan zur Einführung, S. 61 (7) Ebd. Jacques Lacan zur Einführung, S. 61 (8) Ebd. Jacques Lacan zur Einführung, S. 61 (9) Ebd. Jacques Lacan zur Einführung, S. 63 Seite 7

Während man dem Imaginären am ehesten den großen Anderen zuordnen könnte, entspräche das Ich-Subjekt dem Symbolischen. Das Imaginäre, das Symbolische und das Reale sind in Form eines „Borromäischen Knotens“ unauflösbar miteinander verwoben. Die Metonymie drückt stehts ein nachbarschaftliches Verhältnis in der Funktion von Kontiguität (lat. contiguus „angrenzend“) aus. Rhetorisch wie ästhetisch wird sie gerne eingesetzt, um eine Bedeutungssteigerung zu erreichen.

3.3 Interpretationsraum Der Zusammenhang zwischen inhaltlicher und kontextueller Ebene in Trudi Blooms Bildern aus „Begehrtes Wasser“ besteht im Element des Wassers. Die Verbindung beruht zunächst auf dem primären Bedürfnis und seiner notwendigen Bedürfnisbefriedigung, über die bereits bei Maslow aber auch bei Lacan berichtet wurde. Des Weiteren verweise ich auf die Relevanz des Wassers, zum Beispiel in Form einer unberührten Quelle bei Ovid̓s „Narziss“, das die Funktion eines Spiegels übernimmt. Im Spiegelstadium begründet das Subjekt mehr oder weniger unbewusst sein Begehren. Das begehrende Subjekt hat in seinem Verhalten etwas Unheimliches und Unersättliches an sich. Hier orte ich Trudi Blooms Ansatz, der das scheinbar unersättliche Begehren einer konsumorientierten Gesellschaft nach der Kontrolle über die lebensnotwendige Ressource Wasser thematisiert. Wasser wird in einem kapitalistisch orientierten Bezugssystem zur Ware. Die Beziehung zwischen Mensch und Wasser erinnert stark an feudalistische Machtverhältnisse, gekennzeichnet durch die Struktur einer Beziehung zwischen Herr und Knecht. In der kapitalistischen Gesellschaft nach Marx sind die Subjekte emanzipiert und erleben sich selbst frei von Aberglauben, wenn sie miteinander handeln. „Es ist so - und das ist das Wesentliche an Marx̓ Analyse - also ob nun die Sachen (Waren) selbst glauben würden anstelle der Menschen.“ (10) „Ich weiß, ... aber trotzdem“ - Diese passende Formel für den Warenfetischismus finden wir in der Psychoanalyse nach Lacan.

(10) S. Žižek, 1991, Liebe dein Symptom wie dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien, S.51

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4. Form und Kontext: Begehrtes Wasser

„Begehrtes Wasser“ ist der Titel einer Ausstellung von Trudi Bloom. Die vorgesehene Ausstellungsfläche befindet sich im 6. Stock der Universität für angewandte Kunst Wien. Trudi Blooms Arbeiten werden dort im zweiten Raum des rechten Ganges ausgestellt. Dieser rechteckige Ausstellungsraum besteht aus zwei gegenüberliegenden Wänden, einer Fensterfront, welche als Außenwand das Gebäude begrenzt, und einer vierten gegenüberliegenden Wand, die teils aus eingemauerten Spinden besteht. An dieser Innenwand, welche die gesamte Ausstellungsfläche in einen linken und einen rechten Gang teilt, gibt es ein Waschbecken. Trudi Bloom nutzt die örtliche Begebenheit und integriert das Waschbecken als dritte Komponente in ihr Ausstellungskonzept. Die zwei Gemälde der Künstlerin werden an den beiden anderen gegenüberliegenden Wänden präsentiert. Die Bestandteile der Ausstellung „Begehrtes Wasser“ veranschaulichen einen Entwicklungsprozess. Das Ziel der Arbeit und der damit verbundenen Ausstellung ist ein Bewusstwerdungsprozess bei den Betrachtenden. „Ich kann etwas über mich erfahren - und die Betrachter sollen schließlich auch etwas über sich erfahren !“ (Trudi Bloom) 4.1 Das Waschbecken Während des regulären Studienbetriebes an der betreffenden Universität können die Studenten der Klasse einen Großteil der Räumlichkeiten als Atelier nutzen. Das besagte Waschbecken dient den Studierenden in dieser Zeit als Abwaschmöglichkeit.

Abb. 2: Das Waschbecken im zukünftigen Ausstellungsraum von Trudi Bloom

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„Nachdem ich mich eingehend mit der Trinkwasserthematik auseinander gesetzt hatte, wurde mir bewusst, dass ich bei mir selbst beginnen muss. Als erstes fiel mir dazu das Waschbecken im Atelier ein, das ich schon oft beim Auswaschen meiner Pinsel bunt geflutet hatte. Während ich die Farbe aus dem Pinsel spülte und es bunt in alle Richtungen spritzte, machte ich mir zu selten bewusst, dass dieses Wasser, das ich dort »nur« zur Reinigung des »dreckigen« Pinsels verwendete, für jemanden in einem anderen Teil der Welt eine viel größere Bedeutung haben könnte.“ (Trudi Bloom) Mit der Eingliederung des Waschbeckens in die Ausstellung thematisiert die Künstlerin einen Wandel in ihrer eigenen Wahrnehmung. Genauer gesagt deutet das Waschbecken auf den Beginn der persönlichen Wahrnehmungsveränderung von Trudi Bloom hin. Ein sogenannter Designationsprozess geht vor sich, wodurch das Waschbecken zum Zeichen wird. Hier möchte ich auf die Lehre von den Zeichen in der Semiotik bzw. in der Semiologie aufmerksam machen. Der Philosoph und Soziologe Umberto Eco schreibt in seinem Buch Zeichen - Einführung in einen Begriff und seine Geschichte: „Eines ist gewiss: Aus einer Klassifizierung, die das Zeichen als Element des Designationsprozesses fasst, folgt, dass das Zeichen stets als etwas, das für etwas anderes steht, fungiert. Peirce definiert es als »something which stands to somebody for something in some respect or capacity« (Peirce, 1931, 2. 228) ... dass das Zeichen nicht die Totalität des Gegenstandes repräsentiert, sondern ihn - vermittels unterschiedlicher Abstraktionen - nur von einem bestimmten Gesichtspunkt aus oder im Hinblick auf einen bestimmten praktischen Zweck vertritt.“ (11 + 12) Eco bietet diesbezüglich ein Dreiecksmodell an, das sich auf die Termini Signifikant, Signifikat und Referent aus Sprachphilosophie und Linguistik bezieht. Ebenso

Abb. 3: Dreiecksmodell zum Designationsprozess des Zeichens nach U. Eco

(11) U. Eco, 1977, Zeichen - Einführung in einen Begriff und seine Gechsichte (12) C. S. Peirce, 1931-1935, Collected Papers

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wegweisende Theorien über die Einteilung der Zeichen entwickelten Charles Morris und Ferdinand de Saussure. Allerdings beschränke ich mich im aktuellen Fall auf die Ausführungen Ecos, da sie mir hinsichtlich der gegenständlichen Arbeit und der Malerei äußerst zutreffend und gut nachvollziehbar erscheinen. Da die Räumlichkeiten erst sieben Tage vor Ausstellungsbeginn geleert werden können, stehen sie den Diplomanden nur zeitlich begrenzt für den Ausstellungsaufbau zur Verfügung. Aus diesem Grund kann die endgültige Erscheinung des Waschbeckens in Trudi Blooms Ausstellungskonzept derzeit noch nicht offenbart werden.

Abb. 4: Trudi Bloom, Wertpapier, 2014, Acryl auf Papier

4.2 Die Umkehr von Abwesenheit zu Anwesenheit Nachdem am Anfang des Entwicklungsverlaufs bei Trudi Bloom das Waschbecken für Trinkwasser steht, bezieht sich die Arbeit „Wertpapier“ auf den Terminus des „Virtuellen Wassers“ nach T. Allan. In der Arbeit findet eine Umkehr der physischen Abwesenheit des „Virtuellen Wassers“ in eine materiell-begreifbare Anwesenheit statt. Die abstrahierte Darstellung eines rauschenden Stromes soll eine Assoziation bei den Betrachtern wecken.

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Abb. 5: Trudi Bloom, Detail aus Wertpapier, 2014, Acryl auf Papier Seite 12

Der blaue Fotokarton, die verwendete Farbpalette sowie die dynamische und wellenartige Pinselführung wurden bewusst von der Künstlerin eingesetzt. Alle Komponenten transportieren codierte Information, die bei den Betrachtern spezifische Konnotationen zulassen. Der blaue Fotokarton wiegt 300 Gramm. Aufgrund des geringen Volumens zählt er noch als Papier. Das ist einerseits wichtig für die in-

Abb. 6.: David Hockney, A Large Diver (Paper Pool 27), 1978

haltliche Betrachtung der Arbeit. Andererseits erschließt das Medium Papier im Vergleich zur klassischen Leinwand für Trudi Bloom ein interessantes Feld an Möglichkeiten. Den Titel der Arbeit „Wertpapier“ verstehe ich als eine versteckte Anspielung der Künstlerin auf den leichtfertigen Umgang mit Wasser auf wirtschaftlicher wie politischer Ebene. Die gerasterte Unterteilung der Arbeit in zwanzig Parzellen, die in fünf Spalten über vier Zeilen zusammen ein großflächiges Ganzes ergeben, erinnert an eine Arbeitsweise des britischen Künstlers David Hockney. Seit der Markteinführung eines bestimmten Tablets interessiert sich David Hockney jedoch stark für die Möglichkeiten, die ihm die neue Technik bietet. Seither fertigt Hockney seine Zeichnung meist direkt auf dem iPad an. Trudi Bloom hingegen stellt die Haptik des Mediums und den Akt des Malens in den Mittelpunkt. „Mir ist es wichtig, direkt auf die Leinwand oder auf das Papier zu malen. Ich muss den Widerstand spüren, den mir das Medium bieten kann. Oft komme ich mir dabei sogar eher als Bildhauerin vor, während ich die Einzelheiten - auf oder vor dem Bild stehend - herausarbeite, indem ich die Stellen immer wieder mit dem Pinsel bearbeite.“ (Trudi Bloom)

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Abb. 7: Trudi Bloom, Detail aus Ocean Race, 2014 Seite 14

Abb. 8: Trudi Bloom, Ocean Race, 2014, Acryl auf 7 Hartfaserplatten, 665 x 238 cm

4.3 Der Traum von Wohlstand und Freiheit Die Schlagzeile „Investing in Water is Good Business“ aus dem GLAAS-Report 2014 (13) macht die Richtung einer Entwicklung deutlich. Die markante Kapitelüberschrift des Berichtes machte Trudi Bloom auf die Ökonomie des TrinkwasserManagements aufmerksam. Angelehnt an die charakteristische Bildwelt der Pop Art, die sich glitzernd, strahlend und im Sinne des großen Geschäftes präsentiert, stellt das Motiv eines Rennkatamarans in „Ocean Race“ eine Metapher für den Traum von wirtschaftlichem Wohlstand und der daraus vermeintlich entspringenden Freiheit dar. Gemeint ist die Illusion von der Freiheit des Individuums. Global betrachtet bewegt sich Trudi Bloom mit ihren Arbeiten zwischen einem individualistisch motivierten Selbstverwirklichungsanspruch als Künstlerin, die den künstlerischen Akt in den Mittelpunkt stellt, und der selbstkritischen Frage nach der Position des Künstlers im kapitalistischen System. Der australische Künstler William Kentridge setzt seine Gedanken zu ebendieser Frage in Rauminstallationen in Szene. Seine multimedialen Installationen haben Trudi Bloom bei der Konzeption ihres Ausstellungsraumes für „Begehrtes Wasser“ inspiriert.

Abb. 9: William Kentridge, Filmstill aus dem Animationsfilm „Stereoscope“ mit Musik von Philip Müller, 1999

(13) GLAAS = Global Analysis and Assessment of Sanitation and Drinking-Water GLAAS Report „Investing in Water and Sanitation increasing access, reducing inequalities“ 2014

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Abb. 10: „Zwei Arten zu sein“ (Doppelselbstportrait), 2000, Öl auf Leinwand, 100 x 125 cm

4.4 Ähnliche Künstlerpositionen De Kooning, Pollock, Rainer, Maria Lassnig, Hockney, Kentridge und Ottersbach. Trudi Bloom fand in Gedanken, Absichten, Arbeitsweise oder Zitaten dieser Künstler Überschneidungen und Gemeinsamkeiten mit ihrer eigenen Position. Ähnlich wie Arnulf Rainer bezeichnet auch Trudi Bloom ihr Schaffen als „rauschhaften Zustand entfachter Ekstase mit einem Gestaltungswillen“. Den Arbeiten von Maria Lassnig und denen von Trudi Bloom ist ein narratives Element ureigen. Ihre Bilder erzählen von Zuständen und Emotionen im Moment der Entstehung der jeweiligen Malerei. „Ich trete gleichsam nackt vor die Leinwand, ohne Absicht, ohne Planung, ohne Modell, ohne Fotografie und lasse es entstehen“ so Lassnig über ihre Selbsterfahrung beziehungsweise „body awareness“, wirklich real sind nur ihre Gefühle „die sich innerhalb des Körpergehäuses abspielen, physiologischer Natur, Druckgefühle beim Sitzen und Liegen, Spannungsgefühle und räumliche Ausdehnungsgefühle - ziemlich schwierig darzustellbare Dinge“. (14) Die österreichische Malerin Maria Lassnig (1919–2014) prägte den Begriff Körpergefühlsbilder. Als Avantgardistin und Vorkämpferin des „Informel“ in der österreichischen Nachkriegskunstszene war sie sowohl die erste weibliche Professorin (14) K. Thomas, 2010, Blickpunkt Moderne, Eine Geschichte der Kunst von der Romantik bis Heute, S. 355

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Abb. 11: Maria Lassnig, Sprachgitter, 1999, Öl auf Leinwand, 200 x 150 cm

an der Universität für angewandte Kunst in Wien als auch die erste Frau in dieser Position im gesamten deutschsprachigen Raum. „Ich glaube, es ist für jemanden, der nichts von mir weiß, nicht möglich, meine Bilder als Körpergefühlsbilder zu erkennen. Er sieht nur zerstückelte Wesen oder überhaupt nur Striche, die vielleicht manchmal mit etwas Realem enden“, so Maria Lassnig über ihre Körpergefühlsbilder. (15) Wenn Maria Lassnig eines ihrer Bilder betrachtet, dann sieht sie sich selbst. Sie sieht sich in der Form, die ihren damaligen Körperempfindungen oder ihrem damaligen Aussehen entspricht. (16) Die Herangehensweise von Trudi Bloom weist Merkmale des „Wiener Aktionismus“ auf. Es geht um den Bewusstwerdungsprozess eines kollektiv verdrängten Unbewussten. Es läge ebenso nahe „Begehrtes Wasser“ der „Concept Art“ zuzuordnen. Die Künstlerin lehnt jedoch eine derartige Kategorisierung ab. (15) W. Drechsler, 2009, Maria Lassnig - Das neunte Jahrzehnt, S. 29 (16) Ebd. Maria Lassnig - Das neunte Jahrzehnt, S. 36

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Abb. 12: Jackson Pollock, Blue Poles, Number 11, 1952

Die Art der Ausführung erinnert einerseits an den amerikanischen Expressionisten Jackson Pollock, der unter dem Begriff „Action Painting“ Schüttbilder mit diversen Lacken produzierte. Die Macht des Zufalls spielt eine Rolle, jedoch hatte Pollock stets eine gezielte Komposition vor Augen. Die Pinselführung von Trudi Bloom wiederum ähnelt der Willem de Koonings, der ebenfalls zu den amerikanischen Expressionisten zählt. „Die künstlerische Intention richtet sich nicht mehr auf die bloße Darstellung des Lebens, sondern auf prozesshafte Suche nach einem befreiten Leben, das heißt auf ein elementares sinnliches Erfühlen, Handeln und Erkennen.“ (17)

Abb. 13: Willem de Kooning, Detour, 1958

Abb. 14: Willem de Kooning, Woman V, 1952/53

(17) K. Thomas, 2010, Blickpunkt Moderne, Eine Geschichte der Kunst von der Romantik bis Heute, S. 360

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Obwohl Trudi Blooms Bilder auf komplexe Zusammenhänge aufbauen, steht für die Künstlerin die Malerei und ihre Ausstrahlung eines fertigen Bildes an erster Stelle. Die figurative Malerei hat zwar konzeptuelle Ansätze, Trudi Bloom sieht sich jedoch nicht als Konzeptkünstlerin.

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5. Vom Gedanken bis zum Gemälde

5.1 Entstehungsprozess Bis es überhaupt zum Malakt kommt, benötigt Trudi Bloom, wie sie selbst sagt, „manchmal eine verhältnismäßig lange Vorlaufzeit.“ Dann wiederum gibt es Bilder, die man als Geistesblitze bezeichnen könnte, da von der ersten Idee bis zur Umsetzung in der Malerei keine drei Wochen vergehen. „Manchmal macht mir diese Ambivalenz zu schaffen. Jedoch ist sie ganz einfach nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass ich mich zwischen dem gerade gemalten Bild und dem nächsten zu malenden Bild praktisch ständig auf einer Wartebank befinde. Es ist ja so, dass ich immer auf diesen besonderen geistigen wie physischen Zustand warten muss, in dem ich spüre, dass es jetzt aus mir heraus kommt. Bevor dieser intime Moment für mich spürbar ist, fühle ich meist schon tagelang eine unangenehme körperliche Anspannung in mir. Dieser in unterschiedlichen Intervallen immer wiederkehrende Prozess ist wie ein sich in mir aufbauender Stau, dessen Entladung ich auf die Leinwand übertrage. Anschließend bin ich völlig leer und erschöpft.“ (Trudi Bloom) Zu Beginn einer Arbeit bereitet Trudi Bloom ihren Arbeitsplatz nach einem bestimmten Muster vor. Man könnte die Situation am besten mit der eines Chirurgen im Operationssaal vergleichen. Die Künstlerin benötigt gewisse Werkzeuge, die quasi als Operationsbesteck fungieren. Dieses wird gewissenhaft an dem dafür vorgesehenen Ort, zum Beispiel auf einem Wagen, einem Tisch oder direkt am Boden neben der Leinwand, aufgelegt. Ungefähr ein Dutzend verschieden dicker Borstenpinsel, zwei bis drei Wassergläser um benutzte Pinsel von der Farbe zu bereinigen, ein Handtuch, um gereinigte Pinsel trocken zu legen, ein oder zwei Farbmischpaletten und die Acryl-Farbtuben finden sich in immer ähnlicher Platzierung ein. Die Positionierung der Komponenten zueinander spielt eine wichtige Rolle, da sich die Künstlerin während des Malaktes in einem außerordentlich konzentrierten wie sensibilisierten Zustand befindet, aus dem sie die Suche nach einem gewünschten Malutensil unmittelbar herausreißen würde.

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5.2 Der Malakt 5.2.1 Auswirkungen äußerer Umstände Wenn Trudi Bloom malt, spielen spezifische Gegebenheiten eine gewichtige Rolle. Bei Hungergefühl kann sich die Künstlerin nur schlecht bis gar nicht konzentrieren und daher nicht auf die Malerei einlassen. Beengende Raumverhältnisse, ein Mangel an frischem Sauerstoff, Gestank oder zu wenig Licht schränken die Entfaltungsmöglichkeiten ein. Ausreichend vorhandener Platz um zurück zu treten und Abstand gewinnen zu können ist unerlässlich. Eng sitzende Kleidung mindern die Bewegungsfreiheit, die für Trudi Bloom so wichtig ist. „Ich höre sehr gerne Musik beim Malen. Ein schneller Rythmus treibt mich regelrecht an, was sich in der Regel im Duktus der Pinselführung manifestiert. Bei Hitze kann ich viel besser arbeiten als bei Kälte.“ (Trudi Bloom) Wo sich das Trägermedium, zum Beispiel eine Leinwand, auf die gemalt werden soll, befindet, spielt für Trudi Bloom eine wichtige Rolle. Der Fußboden als Arbeitsfläche eröffnet ein weites Feld an Möglichkeiten. Man kann sich während des Malaktes von allen vier Seiten um die Leinwand bewegen. In der Folge kann man zahlreiche Sichtweisen gewinnen, die beispielsweise bei der Entscheidung über den fertigen oder nicht fertigen Zustand eines Bildes ein wesentlicher Indikator sein können. Eine zusätzliche Erweiterung des Aktionsradius findet statt, wenn man die klassische Leinwand durch ein planes Medium wie eine Platte oder ein großes Papier ersetzt, das diversen Belastungen standhalten kann. Trudi Bloom bevorzugt Malgründe, die der Beanspruchung durch erhöhtes Andrücken mit dem Pinsel genügend Widerstand bieten. Darüber hinaus muss das Trägermedium der Belastung durch das eigene Körpergewicht standhalten können, wenn sich die Künstlerin in Aktion nicht um das Bild herum sondern über die Fläche fortbewegt. „Ich stehe in Socken auf meinem Bild an eben der Stelle mit dem Blick nach unten auf die Malerei gerichtet, lasse die umliegenden Formen und Farben auf mich wirken und beschließe kurzfristig einen Akzent zu setzen. Ich bücke mich zielstrebig, um einen kräftigen Pinselstrich zu ziehen, das reicht nicht, noch einen - ich knie mich hin - beuge mich vor, hier braucht es noch Farbe - ich muss mich mit meiner Linken abstützen, da vorne muss ich auch noch hin... Schließlich erhebe ich mich wieder und blicke um mich und bemerke, dass ich mich ein bis zwei Meter vom Ausgangspunkt weiterbewegt habe. Ich konnte wieder ein Stück mehr herausarbeiten und mich dem angestrebten Motiv weiter annähern, das ist doch spannend!“ (Trudi Bloom)

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5.2.2 Innere Konstellation Für Trudi Bloom gibt es innere Gegebenheiten, die die künstlerische Arbeit erschweren oder begünstigen. Während sich Zustände der Trauer, Sorge und Müdigkeit eher einseitig auf die Künstlerin auswirken, indem dadurch Blockaden entstehen können, hat Wut einen ambivalenten Effekt auf die Arbeitsumstände. Einerseits kann Wut sich ausgesprochen positiv und befreiend auf die Malerei auswirken. „Im speziellen Fall von Wut muss ich erst beginnen zu malen, um erkennen zu können, inwiefern sich der Ärger diesmal auswirken wird. Im schlechtesten Fall muss ich mich eben damit abfinden, und den Malakt zu Gunsten der Qualität der Malerei abbrechen. Das ist allerdings bisher erst einmal vorgekommen, da ich durch das Malen für gewöhnlich Ansporn und Befreiung von den negativen Lasten erlebe.“ (Trudi Bloom) Trudi Bloom beschreibt ihr Tun als intimen Moment, in dem eine gewaltige Energie aus ihr heraus drängt. Eine Art des Hochgefühls, eine extrem wache und lebendige sowie körperlich anspruchsvolle Explosion. Der Körper entlädt alles, was zuvor in ihm gefangen war. „In diesem intimen Moment manifestieren sich meine persönliche und zum Großteil unbewusste Verfasstheit zum Zeitpunkt der Entstehung der jeweiligen Arbeit sowie äußere Umstände des Schaffensprozesses in meiner Malerei.“ (Trudi Bloom)

5.2.3 Wann ist ein Bild fertig „Ein Bild ist für mich fertig, wenn es greifbar geworden ist. Dennoch fällt es mir selbst nicht immer leicht, das Bild als fertig zu erkennen. Ich habe festgestellt, dass es mehrere Stadien des fertigen Bildes geben kann. Ein Strich ist gelegentich bereits zuviel und das Fertige kippt wieder in ein neues Unfertiges, das weitere Bearbeitung bis zum Fertig sein verlangt. Rückblickend kann man sich eine Wertung der einzelnen fertigen Zustände vergegenwärtigen. Im Vergleich mit anderen Bildern und ihren fertigen Zuständen werden Abläufe sichtbar. Ich denke, wenn man sich diese Abläufe vor Augen führt, erkennt man darin ein zyklisches Muster, das in der Einschätzung einer zukünftigen Arbeit Orientierung bietet.“ (Trudi Bloom)

Enorm wichtig für die Offenbarung des fertigen Bildes sind Pausen während des Arbeitsprozesses. Es ist notwendig hin und wieder räumlichen Abstand zu gewinnen, um das Bild als Ganzes erfassen zu können. In dem abgehobenen Mal-Zustand ist es oft begrenzt möglich, den Stand des Bildes richtig zu erfassen. Ein Bild zeigt

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sich meist dann als fertig, wenn man nicht damit rechnet. Die Schwierigkeit besteht für Trudi Bloom darin, auf ihr feines Gespür zu vertrauen, sich nicht von äußeren Einflüssen irritieren zu lassen. „Mein Ziel ist nicht die formvollendete Darstellung von etwas. Ich kaue nichts vor. Ich will Spannung erzeugen. Das erreiche ich durch das Spiel mit Auflösung und Verdichtung. Ich gebe gerade genug offensichtliche Information, um bei den Betrachtenden Assoziationen auszulösen. Folgedessen sind die Betrachtenden gefordert, sich nicht nur dem interesselosen Wohlgefallen hinzugeben, sondern sich die Mühe zu machen, das Verborgene oder gar Abwesende zu erkennen.“ (Trudi Bloom) Robert Pfaller verwendet für das Delegieren von Konsumtion den Terminus der Interpassivität. Über diese Problematik in der Kunst schreibt Pfaller: „Anwesenheit ist ... einem massiven Verdacht der Selbstbetrachtung und Entlastung wirklicher Betrachtender ausgesetzt.“ (18) Es gibt gewisse Parameter, die Trudi Bloom zur Bestimmung eines fertigen Bildes heranzieht: - Fertig heißt nicht bis ins letzte Detail ausformuliert. Die Auflösung macht ein Bild interessant. In diesem Sinne sollen die Pinselstriche gerade genug Information bieten, um den Narzismus des Betrachters nicht zu befriedigen. - Ein fertiges Bild hat Tiefe. Es löst beim Betrachter eine erste Assoziation aus und regt dazu an, vor dem Bild zu verweilen, um sich damit auseinander zu setzen. - Eine klare Aussage ist nicht unbedingt die Voraussetzung für des Prädikat „fertig“. - Die Bereitschaft zur Akzeptanz von vermeintlichen Fehlern während des expressiven Entstehungsmomentes spielt eine wichtige Rolle. Was das subjektive Bewusstsein als fehlerhaft deklariert, kann vom Unterbewusstsein gewollt herbeigeführt worden sein. Das muss respektiert und in vielen Fällen als gut anerkannt werden, denn es leitet entweder eine Folgeentwicklung des Bildes ein oder es beendet den Malakt an sich. Diese herbeigeführte Beendigung kann entweder Ratlosigkeit oder die bewusste Entscheidung für das Ende zur Folge haben. Auf jeden Fall wird der schöpferische Prozess unterbrochen, und dies ist der Zeitpunkt, sich für kurze oder längere Zeit neu zu sammeln. „Der Anblick des gerade gemalten Bildes ist manchmal zu viel für mich. (18) R.Pfaller, 2008, Ästhetik der Interpassivität, S. 39

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Wie ein Spiegelbild starrt es mich an. Daher drehe ich es mit der bemalten Fläche zur Wand und stelle es zur Seite. Wenn ich es später wieder hervorhole, betrachte ich es mit anderen Augen. In der Zwischenzeit konnte ich die nötige Distanz zu meinem Werk gewinnen, um es »richtig« sehen zu können.“ (Trudi Bloom)

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6. Schlusswort Trudi Blooms Arbeiten stellen eine Symbiose aus formalen und kontextabhängigen Aspekten dar. Im Mittelpunkt steht stets eine expressive Malerei. Im Zuge dieser Diplomarbeit habe ich mich intensiv damit befasst, was es für Künstler heißt, über ihre Arbeiten zu sprechen. Ich habe für mich herausgefunden, dass eine fundierte Recherche als ebenso fundamentale Komponente wie die Klarheit über subjektive Absichten einer Künstlerposition für das Sprechen oder Schreiben über die Arbeit gelten. Abschließend möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, um besonders Robert Pfaller zu danken, der in zahlreichen Gesprächen mit Inspiration und Rat zur Stelle war. Vor allem freut es mich, dass ich in meiner Absicht verstanden wurde. Ich hatte zu wenig Gelegenheit, um Trudi Bloom zu einem letzten Gespräch vor Abschluss dieser schriftlichen Arbeit anzutreffen. Hiermit möchte ich ihr eine kurze Nachricht hinterlassen.

Liebe Trudi, ich hätte den Inhalt dieser schriftlichen Arbeit gerne noch ein letztes Mal persönlich mit dir besprochen. Doch ich hatte keine Gelegenheit dazu, weil du nicht da warst. Danke für deine persönlichen Notizen sowie die Hinweise in meinen Büchern, die du mir auf mysteriöse Weise hast zukommen lassen. Ich habe dennoch den Eindruck, dass du mir ausweichst. Das finde ich schade. Ich hatte zu Beginn unserer Zusammenarbeit gehofft, ich könnte dich im Laufe unseres Projektes öfter zu Gesicht bekommen. Wie darf ich deine Abwesenheit verstehen? Herzliche Grüße aus Wien, Stefanie

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7. Literaturverzeichnis Drechsler, Wolfgang 2009, Maria Lassnig - Das neunte Jahrzehnt, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König Eco, Umberto 1977, Zeichen - Einführung in einen Begriff und seine Geschichte, Frankfurt: Suhrkamp GLAAS (UN Global Analysis and Assessment of Sanitation and Drinking-Water) 2014, Investing in Water ans Sanitation increasing access, reducing inequalities Special Report for the Sanitation and Water for All (SWA) High-Level Meeting (HLM) Pagel, Gerda 1989, Jacques Lacan zur Einführung, Hamburg: Junius Peirce, Charles Sanders Peirce 1931-1935, Collected Papers, Cambridge, Harvard Un. Press: C. Perelman und L. Olbrechts-Tyteca Pfaller, Robert 2008, Ästhetik der Interpassivität, Hamburg: Filo Fine Arts Platon 1978, Der Staat, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig Thomas, Karin 2010, Blickpunkt Moderne, Eine Geschichte der Kunst von der Romantik bis Heute, Köln: DuMont Buchverlag Žižek, Slavoj 1991, Liebe dein Symptom wie dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien, Berlin: Merve ÖBV, 1997, Österreichisches Wörterbuch, Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag GmbH

Sekundärliteratur: Etschmann, Walter / Hahne, Robert / Tlusty, Volker 2004, Kammerlohr - Kunst im Überblick, Stile - Künstler - Werke München/Düsseldorf/Stuttgart: Oldenburg Schulbuchverlag GmbH Hauskeller, Michael 1998, Was ist Kunst? Positionen der Ästhetik von Plato bis Danto München: C. H. Beck oHG

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8. Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15:

Stufenmodell der Motivation (Bedürfnispyramide) nach Maslow Das Waschbecken im zukünftigen Ausstellungsraum von Trudi Bloom Dreiecksmodell zum Designationsprozess des Zeichens nach U. Eco Trudi Bloom, Wertpapier, 2014, Acryl auf Papier, 28 Bögen à 50 x 70 cm Trudi Bloom, Wertpapier, 2014, Acryl auf Papier David Hockney, A Large Diver (Paper Pool 27), 1978, gefärbtes und gepresstes Pappmaché, 182,88 x 434,34 cm Trudi Bloom, Detail aus Ocean Race, 2014 Trudi Bloom, Ocean Race, 2014, Acryl auf 7 Hartfaserplatten, 665 x 238 cm William Kentridge, Filmstill aus dem Animationsfilm „Stereoscope“ mit Musik von Philip Müller, 1999 „Zwei Arten zu sein“ (Doppelselbstporträt), 2000, Öl auf Leinwand, 100 x 125 cm Maria Lassnig, Sprachgitter, 1999, Öl auf Leinwand, 200 x 150 cm Jackson Pollock, Blue Poles, Number 11, 1952, Autolack und Aluminiumfarbe auf Leinwand, 212,9 x 488,9 cm Willem de Kooning, Detour, 1958, Öl, Papier, Leinwand, 150 x 108 cm Willem de Kooning, Woman V, 1952/53, Öl und Kohle auf Leinwand, 155 x 114 cm Heribert C. Ottersbach, Die Wiederherstellung der Ordnung, 2002, Acryl und Mischtechnik auf Leinwand, 170 x 120 cm

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