Uneigentliche Riemann-Integrale

Uneigentliche Riemann-Integrale Zweck dieses Abschnitts ist es, die Voraussetzungen zu lockern, die wir an die Funktion f : [a, b] → R bei der Einf¨ u...
Author: Gert Berg
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Uneigentliche Riemann-Integrale Zweck dieses Abschnitts ist es, die Voraussetzungen zu lockern, die wir an die Funktion f : [a, b] → R bei der Einf¨ uhrung des Riemann-Integrals gestellt haben. Diese Voraussetzungen waren: (a)

Das Intervall [a, b] ist abgeschlossen und beschr¨ankt.

(b)

Die Funktion ist beschr¨ankt.

A. Eine Integrationsgrenze ist unendlich Def.: Es sei f : [a, ∞) → R gegeben, und f¨ ur jedes R > a sei f ∈ R([a, R], R). Dann heißt f uneigentlich integrierbar auf [a, ∞), falls der Grenzwert Z R Z ∞ f (x) dx = : f (x) dx lim R→∞

a

a

Ra

existiert. Entsprechend ist −∞ f (x) dx definiert. Z ∞ dx Beispiel 1. Beh.: konvergiert ⇐⇒ c > 1 (und ist gleich xc 1 Denn f¨ ur c 6= 1 gilt Z R R dx 1 1 1−c = x = [1 − R1−c ] , c x 1 − c c − 1 1 1

1 c−1

).

was f¨ ur R R→ ∞ im Falle c > 1 konvergiert, im Falle c < 1 jedoch divergiert. F¨ ur R c = 1 gilt 1 dx = log R −→ ∞ , liegt also Divergenz vor. x R→∞

Im Allgemeinen kann man nicht erwarten, daß man die Stammfunktion des Integranden explizit bestimmen kann. Problem: Wie kann man trotzdem u ¨ber Konvergenz bzw. Divergenz entscheiden? Hier sei an das Cauchy-Kriterium f¨ ur Grenzwerte von Funktionen erinnert (kleine Modifikation des im Skript Ana I, pp. 102 gegebenen Kriteriums): Sei F : [a, ∞) → R gegeben. Genau dann hat F einen Grenzwert in ∞ , wenn zu jedem ε > 0 ein R > a existiert, so daß |F (x) − F (y)| < ε gilt f¨ ur alle x, y ≥ R. Dieses Kriterium f¨ uhrt, analog zur Situation unendlicher Reihen, auf folgenden Satz. Seien f, g ∈ R([a, R], R) f¨ ur jedes R > a. R∞ Majorantenkriterium: Falls |f (x)| ≤ g(x) f¨ ur alle x ≥ a und a g(x) dx konvergiert Z R Z ∞ =⇒ lim f (x) dx = f (x) dx existiert. R→∞

a

a

Minorantenkriterium: Falls f (x) ur alle x ≥ a und R ∞ ≥ g(x) ≥ 0 f¨ divergiert, so divergiert auch a f (x) dx . 1

R∞ a

g(x) dx



| sin x| 1 sin x dx konvergiert, da ≤ 3 , x ≥ 1, 3 +x+1 |x + x + 1| x 1 und nach Beispiel 1 die Funktion x−3 u ¨ber [1, ∞) Riemann-integrierbar ist. Z ∞ √ √ √ 1 √ √ dx divergiert, da x + 4 x + 1 ≤ 3 x , x ≥ 1 und nach 4 x+ x+1 1 Beispiel 1 die Funktion x−1/2 nicht u ¨ber [1, ∞) Riemann-integrierbar ist. Z

Beispiele.

x3

B. Die Funktion ist an einer Integrationsgrenze unbeschr¨ ankt Def.: Sei f : (a, b] → R gegeben, und es sei f ∈ R([a + δ, b], R) f¨ ur jedes Rb δ , 0 < δ < b − a. Existiert der Grenzwert limδ→0+ a+δ f (x) dx , so heißt die Funktion f u ¨ber (a, b] uneigentlich Riemann-integrierbar, und wir schreiben Z b Z b Z b f (x) dx ≡ f (x) dx : = lim f (x) dx . a+

a

Entsprechend ist

a+δ

R b− Rb R b−δ f (x) dx ≡ a f (x) dx : = limδ→0+ a f (x) dx definiert. a 1

Z Beispiel 2.

δ→0+

Beh.: 0

dx konvergiert xc

⇐⇒

c < 1 (und ist gleich

1 1−c

).

Denn f¨ ur c 6= 1 gilt Z 1 1 dx 1 1 1−c = x = [1 − δ 1−c ] c x 1 − c 1 − c δ δ was im Falle c < 1 f¨ ur δ → 0+ konvergiert und im Falle c > 1 divergiert. Da der Logarithmus f¨ ur x → 0+ unbeschr¨ankt wird, liegt auch im Falle c = 1 Divergenz dieses Integrals vor. Im Fall einer unbeschr¨ankten Funktion lautet das Majorantenkriterium, das direkt auf dem Cauchy-Kriterium des Skripts (Ana I, pp. 102) basiert: Sei f : (a, b] → R gegeben, und es sei f ∈ R([a+δ, b], R) f¨ ur jedes δ , 0 < δ < b−a. Rb Ferner gelte |f (x)| ≤ g(x) f¨ ur alle x ∈ (a, b] und a g(x) dx konvergiere. Z b Dann konvergiert auch f (x) dx . a

Entsprechend gilt ein Minorantenkriterium f¨ ur Divergenz. Z 1 1 1 dx √ Beispiel. konvergiert, da √ ≤ √ , 0 < x ≤ 1, 2 5 2 5 x+x +x | x+x +x | x 0 und nach Beispiel 2 die Funktion x−1/2 u ¨ber (0, 1] integrierbar ist.

2

C. Beide Integrationsgrenzen sind kritisch Def.: Sei f : (a, b) → R, a ∈ R ∪ {−∞}, b ∈ R ∪ {∞} . Falls f ∈ R([α, β], R) f¨ ur alle α, β, a < α < β < b, so erkl¨art man Z b Z A Z β f (x) dx = lim f (x) dx + lim f (x) dx α→a+

a

β→b−

α

A

f¨ ur ein A, a < α < A < β < b, falls die Grenzwerte auf der rechten Seite existieren. R∞ Beispiele. (i) 0 x−c dx divergiert f¨ ur jedes c ∈ R. ∞

Z (ii)

−∞

dx = lim 1 + x2 R→∞

Z

0

−R

dx + lim 1 + x2 R→∞

R

Z

dx 1 + x2

0

= − limR→∞ arctan(−R) + limR→∞ arctan(R) = π . Z (iii) 0



sin x dx = lim δ→0+ x

Z δ

1

sin x dx + lim R→∞ x

R

Z 1

sin x dx . x



sin x X (−1)k x2k Da = und die Reihe auf [0, 1] gleichm¨aßig gegen eine stetige x (2k + 1)! k=0 Funktion konvergiert, existiert das erste Integral auf der rechten Seite von (iii) als gew¨ohnliches Riemann-Integral. Das zweite Integral integrieren wir partiell: Z R Z R sin x cos x R cos x dx = − dx . − x x 1 x2 1 1 Der ausintegrierte Bestandteil hat offensichtlich einen Grenzwert f¨ ur R → ∞ , der Integrand im Integral auf der rechten Seite wird durch die auf [1, ∞)-integrierbare R∞ Majorante x−2 abgesch¨atzt, also existiert insgesamt das Integral 0 sinx x dx .

D. Die Gammafunktion Satz. F¨ ur jedes x > 0 existiert die sog. Eulersche Gammafunktion Z ∞ Γ : (0, ∞) → R , x 7→ Γ(x) := tx−1 e−t dt, 0+

und gen¨ ugt der Funktionalgleichung x Γ(x) = Γ(x + 1) ,

insb. Γ(n + 1) = n! alle n ∈ N0 ,

x > 0;

d.h. die Γ-Funktion interpoliert die Fakult¨ aten n! . 3

Beweis: Wir wenden die beiden Majorantenkriterien an:  x−1 t : 01 f¨ ur eine geeignete Konstante C > 0 (es ist ja e−t ≤ (n + 1)! t−n−1 , dann w¨ahle n > x + 1). Nach den Beispielen 1 und 2 ist g : (0, ∞) → R eine integrierbare Majorante und die Existenz der Γ-Funktion ist klar. Die Funktionalgleichung beweisen wir mittels partieller Integration: Z R Z R R x −t x −t tx−1 e−t dt . t e dt = −t e + x t=ε

ε

ε

F¨ ur ε → 0+ und R → ∞ konvergiert nach dem ersten Teil des Beweises die linke Seite gegen Γ(x + 1), der ausintegrierte Bestandteil gegen 0 (die Exponentialfunktion verschwindet schneller als jede t-Potenz f¨ ur t → ∞) und der zweite Term auf der rechten Seite gegen x Γ(x) , d.h. die Funktionalgleichung ist bewiesen. Nun beachte man, daß Z R Γ(1) = lim e−t dt = lim (1 − e−R ) = 1 ; R→∞

R→∞

0

daher 1 · Γ(1) = Γ(2) = 1! und vollst¨andige Induktion liefert mit Hilfe der Funktionalgleichung schließlich Γ(n + 1) = n! . 

E. Das Integralvergleichskriterium Hier werden unendliche Reihen mit uneigentlichen Integralen verglichen. Integralvergleichskriterium. Sei f : [1, ∞) → [0, ∞) eine monoton fallende (nicht-negative) Funktion. Dann gilt Z ∞ ∞ X f (n) konvergiert ⇐⇒ f (x) dx konvergiert . 1

n=1

Beweis: Da f¨ ur n ≥ 2 f (n) ≤ f (x) ≤ f (n − 1) ,

n − 1 ≤ x ≤ n,

gilt, folgt Z

n

f (n) ≤

f (x) dx ≤ f (n − 1) , n−1

oder N X n=2

Z f (n) ≤

N

f (x) dx ≤ 1

N −1 X n=1

4

f (n) .

n ≥ 2,

Falls das Integral f¨ ur N → ∞ konvergiert, dann auch die linke Summe; falls die rechte Summe konvergiert, dann auch das Integral.  ∞ X 1 Beispiele. (i) konvergiert, falls c > 1 . nc n=1 R∞ PN −c Denn es gilt ≤ 1 x−c dx und letzteres Integral konvergiert nach n=2 n Beispiel 1.

(ii)

∞ X n=2

1 konvergiert dann und nur dann, wenn a > 1 ist. n loga n

Da x−1 log−a x , a > 0, f¨ ur x ≥ 2 monoton fallend ist, gilt (wir benutzen die Substitution x = et ) N X n=3

1 ≤ n loga n

N

Z 2

dx = x loga x

Z

log N

log 2

et dt = et ta

Z

log N

t−a dt .

log 2

Nach Beispiel 1 konvergiert demnach die Summe im Falle a > 1 und divergiert, falls 0 ≤ a ≤ 1 (der Fall a < 0 ergibt sich direkt aus dem Minorantenkriterium.). (iii) Die Reihe ∞ X loga n n=2

nc

 =

konvergiert : c > 1 divergiert : c 0, a ∈ R .

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