un-vollendet - un-beantwortet!?

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un-vollendet - un-beantwortet !? Eine praktische musikalische Annäherung an ein erlebbares Phänomen Ein Konzert-Ereignis in vier Abteilungen

1. Introduktion: Einführung ins Thema

Diese CD ist der leicht gekürzte Konzertmitschnitt eines außergewöhnlichen Musik-Projektes. Natürlich widerspricht die CD-Aufzeichnung mit einer scheinbar beliebigen Wiederholbarkeit dieses "Ereignisses" in gewisser Weise den Intentionen des Konzertes selbst. Deshalb - und auch wegen des naturgemäß „unvollkommenen“ (!?) Laienmusizierens des Orchesters - ist empathisches Hören unbedingt wichtig. Lassen Sie alles Denken und Werten beiseite und lassen Sie sich ganz auf das ein, was über Lautsprecher oder Kopfhörer “Ihnen entgegen kommt“! Dabei möchte Ihnen dieses Textheft helfen, zudem Verständnis erleichtern und weitere Anregungen zu dem ganzheitlichen Themenkomplex „(un)vollendet – (un)beantwortet!?“ geben. Die von Joachim Wagner und Volker Dubowy entwickelte Konzertidee reicht weit über rein Musikalisches hinaus. Deshalb gehört der „Ausflug“ in die Homöopathie (Erläuterungen zu Volker Dubowys „Projekt Klangfarben“) durchaus in das Gesamtkonzept der Konzert-Idee.

Franz Schubert: Scherzo-Fragment zur „Unvollendeten“ Sinfonie h-moll D 759 Lediglich 20 Takte sind zu dem Scherzo der als „Unvollendete“ bekannt gewordenen Sinfonie h-moll D 579 notiert. Über die Gründe des Abbruchs ist nichts Konkretes bekannt. Aus zwei Gründen stand dieser kleine „Gedankensplitter“ am Anfang des Konzertes: 1. Der Satz sollte das Scherzo der anschließend gespielten "Unvollendeten" D 759 bilden. Die Aufführung dieses Fragments in diesem Zusammenhang zeigt quasi das doppelt „Unvollendete“ dieser Sinfonie. 2. Die Aufführung eines Fragments, dessen Spielzeit so kurz ist wie die kürzeste Komposition von Anton Webern (keine 30 Sekunden), führt direkt und unmittelbar in ein unbekanntes Hörerleben, welches verstört - und das war als „Weckruf“ auch so gedacht ...

2. Exposition: Tragik - Trauer - Trost

Das Franz-Schubert-Experiment: EINE VOLLENDETE „UNVOLLENDETE“ !? Allegro moderato — Andante — Andante con moto

Schubert und Bruckner – zwei Komponisten im Prozess von Vision zu Vollendung Das Phänomen des Kompositionsprozesses als fließender Übergang von der Idee (Inspiration, Aussage oder auch Information) über Skizzen und Fragmentarisches bis hin zur fertig gestellten Komposition ist bei Franz Schubert wie bei Anton Bruckner sehr deutlich in allen Stufen zu beobachten - bei Bruckner anhand der unzähligen Überarbeitungen an sich fertiggestellter Sinfonien, bei Schubert anhand der vielen fragmentarischen Werke. Beide Komponisten waren äußerst selbstkritisch, rangen schwer mit der Werk-Entstehung und trauten der errungenen Gestalt Ihrer Sinfonien oft nicht. Bei Anton Bruckner ging das so weit, dass er kaum fähig war, an sich abgeschlossene Werke innerlich loszulassen: z.B. arbeitete er während der Komposition seiner „Neunten“ die erste Sinfonie nochmals völlig um und von fast allen Sinfonien existieren zwei bis drei stark voneinander abweichende Fassungen. Bei Franz Schubert ist der Sachverhalt weniger pathologisch, doch hatte dieser in den Jahren 1818 bis 1825, also zwischen der „Kleinen C-Dur“ Sinfonie D 589 (Nr. 6) und der „Großen C-Dur“ Sinfonie D 944 eine gravierende sinfonische Schaffenskrise. In mehreren Anläufen versuchte er für sich sinfonisch neu Form und Ausdruck zu finden. Dabei entstanden u.a. die zwei großen Sinfonie-Fragmente D 615 und D 708 A, welche mittlerweile für Werkstattkonzerte spielpraktisch eingerichtet wurden. Schuberts „Unvollendeter“ D 759 und auch Bruckners dreisätzigem Torso der neunten Sinfonie ohne Finale wurde von der Nachwelt schönfärberisch eine in sich geschlossene Vollkommenheit (also: Vollendung) attestiert. Diese Einschätzung bedeutet aber nichts weniger als eine Missachtung des Ringens der Komponisten um die Gesamtkonzeption und auch eine Gleichgültigkeit gegenüber der Aussage des nicht abgeschlossenen Werks selbst … Im Falle des Finale-Fragments zu Bruckners Neunter Sinfonie macht die Fülle der aufgefundenen und entschlüsselten Noten mittlerweile eine konzertmäßige Aufführung der Exposition und Teile der Durchführung möglich (siehe CD-Empfehlung am Ende des Textes). Bei Franz Schuberts Sinfonie in h-moll, also der sogenannten „Unvollendeten“ D 759 stellt sich die Sachlage anders dar: Außer dem kleinen Fragment vom Beginn des Scherzos gibt es keine weiteren Skizzen zu dem Werk. Die Musikwissenschaft geht heute davon aus, dass Schubert einfach nicht mehr Musik zu dieser Sinfonie geschrieben hat.

Organisch entwickelte Sinfonien Schuberts Musik der späten Jahre lebt von einer organischen Entwicklung, welche man gut an seinen Kammermusikwerken, der „Unvollendeten“ und der „Großen C-Dur“ Sinfonie verfolgen kann. Wenn bei Beethoven die Themen kontrastreich aneinander ein Schicksal erleben und aus wenigen Motivzellen heraus entwickelt sind, so lässt Schubert (wie später Brahms, Bruckner, Schmidt und Furtwängler) oft diese Themen organisch auseinander hervorgehen, wachsen und weiter entwickeln. Beim Betrachten der 20 Takte des Scherzo-Fragments der „Unvollendeten“ kann man zu dem Schluss kommen, dass Schubert die Sinfonie unvollendet weggelegt hat, weil er 1822 noch keinen Weg sah, die Anlage der beiden fertig gestellten Sätze so „groß“ weiterzuführen. Die Überwindung seines „Beethoven-Komplexes“ und die sinfonische Freiheit erlangte Schubert mit seiner nächsten (und auch letzten) vollendeten Sinfonie, der „Großen C-Dur“ D 944. Nach Fertigstellung dieses sinfonischen Kolosses machte er sich bald über eine neue Sinfonie her, welche wiederum unvollendet blieb - diesmal aber nur deshalb, weil er vor deren Vollendung starb.

D 936A - eine neue sinfonische Konzeption Die Sinfonie D-Dur mit der irritierenden Opuszahl D 936 A ist als Entwurf Großteils fertig gestellt. Schubert plante hier ein dreisätziges Werk, denn der letzte Satz, der mit Scherzo überschrieben ist, hat eindeutig finalen Charakter. Die Konzeption dieser Sinfonie ist nicht weniger himmelstürmend als die der „großen C-Dur“: Die Themen dieses von emotionaler Intensität und kompositorischer Dichte geprägten Opus sind fast alle miteinander verwoben und verwandt, die zeitliche Ausdehnung der Sinfonie ist der „Großen C-Dur“ vergleichbar. Besonders „fertig“ erscheint der langsame Mittelsatz.

Seite 2 Gedanken und Hinweise zum Einschub des langsamen mittleren Satzes aus D 936 A zwischen die Sätze der Sinfonie h-moll D 759 Ausgangsthese für dieses gewagte Experiment war, dass Schubert - wenn er im Rausch des neu gewonnenen sinfonischen Selbstbewusstseins nach der „Großen C-Dur“ Sinfonie die liegen gebliebene „Unvollendete“ nochmals zur Überarbeitung aus der Schublade geholt hätte - zwischen deren beiden bekannten Sätzen vielleicht noch einen weiteren dritten Satz eingeschoben hätte und die Sinfonie in eben dieser Form (wie D 936A anscheinend geplant war) fertig gestellt hätte. Dieser Satz hätte der doch ziemlich unausgewogenen zweiteiligen Form einen verbindenden (und vielleicht vollendenden?) Aspekt geben. Natürlich wäre auch eine übliche viersätzige Form möglich gewesen, was hier aber nicht erörtert werden soll. Der langsame zweite Satz aus D 936A (h-moll), der auf Bruckner und Mahler vorausweist, bietet harmonisch ein organisches Bindeglied der beiden Ecksätze von D 759. Er ist auf einem „Bassmotto“ (im Pizzikato) aufgebaut und bildet auch in anderer motivischer und rhythmischer Hinsicht eine sinnvolle Verbindung der Ecksätze von D 759. Entscheidend für das Einfügen dieses Satzes war aber eine emotional organisch entwickelte Logik: Dem bewegten, wilden und düsteren ersten Satz folgt nun ein tief schwermütiger Mittelsatz, der seine Erlösung im geheimnisvoll abgeklärten dritten Satz findet. In dieser Dreisätzigkeit als „These - Antithese - Synthese“ hätte die Sinfonie möglicherweise ihre Vollendung finden können … Das Experiment einer dreisätzigen Unvollendeten stellt selbstverständlich nur den Versuch einer Annäherung an das Thema „Vollendung“ dar und erhebt keinerlei „Erkenntnisanspruch“ bezüglich Schuberts „Unvollendeter“ D 759.

3. Durchführung: heiter und burlesk

„Projekt Klangfarben“ von Volker Dubowy (*1962)

Musik ist ein Medium, das mittels Tonerzeuger (Instrument oder Stimme) die Luft, den Raum und auch die Zuhörer in Schwingung versetzt und so seine eigentliche Information mitteilt.

Die Kunst des Augenblicks Musik ist eine Kunst, die nur im hier und jetzt, im gelebten Moment entstehen und wahr genommen werden kann. So ist bei intensivem Musikerleben die Zeit subjektiv völlig aufgehoben — ebenfalls auch konkrete Gedanken, die Bruchteile von Sekunden zur Entstehung brauchen. Der einzelne Mensch ist auf das zurückgeworfen, was er ist. Die permanenten Gedanken über Vergangenheit oder Zukunft (sei sie ganz nah oder fern), welche die Möglichkeit des Erlebens des hier und jetzt verhindern, sind beim eintauchen in das Musik-Hören und Musik-Empfinden ausgeschaltet. Musik zuzulassen und sich in diese hineinfallen zu lassen bedeutet sich selbst als (denkendes) Individuum für diese Zeit aufzugeben. Dadurch ist auch die uns durch Verstand und Wertungen umgebende (potenziell krank machende) Dualität für die Erlebnisdauer aufgehoben.

„Trägerluft“ Physikalisch ausgedrückt spricht man bei der Klangübertragung von Trägerluft - musikalisch gesehen mit derselben Funktion wie ein Buch: nicht Papier oder Druckerschwärze sind das wesentliche, sondern die Information des geschrieben Wortes. Ebenso beim Musizieren: Instrument, Raum, Luft und sogar der Notentext sind nur ein Transportmittel für Informationen. Diese sind von feinstofflichster Natur - wie eine homöopathische Hochpotenz oder die Liebe, die Resonanzen in anderen Menschen anregt (frei nach Thorwald Dethlefsen).

Resonanzen Ebenfalls physikalisch gesehen bedeutet Musik Schwingung, Oszillation, Wellen, rhythmische Abläufe. Diese Schwingungen beeinflussen die Psyche und damit auch den menschlichen Körper. Wer sich mit alternativer Medizin oder Anthroposophie beschäftigt hat, weiß darum. Psychologisch-homöopathisch gesehen bedeutet „in Resonanz gehen“, dass ein eigenes persönliches „Thema“ im Außen erlebt wird und im „Schwingenden“ eine Reaktion oder sogar ein Prozess auslöst. Musikalisch kann das z.B. sowohl Freude und Wohlbehagen als auch Ablehnung, Unwohlsein und sogar Aggression bedeuten. In beiden Fällen ist der Hörer jedenfalls stark am Geschehen beteiligt.

„Similia similibus curentur“ In der griechischen Tragödie wurden Mitleid, Furcht und Schrecken erregt, um die Zuhörer in eine Katharsis zu führen und sie auf diese Weise von diversen Unzulänglichkeiten und Leiden des Lebens zu befreien. Grundidee: Wir selbst verursachen durch unsere Einstellung unser Leben. Der wichtige Lehrsatz der Homöopathie „Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt“ - ist also uralt: Schon im Alten Testament wird von der Herstellung homöopathischer Mittel berichtet. Hippokrates und Paracelsus wussten darum und Hahnemann hat es dann genial im „Organon“ zur praktischen Anwendung konkretisiert. Analog dazu stellt sich für das Musik-Erleben die Frage (nicht über den Verstand, sondern eher der Art, wie man sein eigenes Gewissen befragt): Was zieht mich innerlich zu bestimmter Musik hin - und besonders: warum lehne ich andere Musikstücke oder Konzert-Erlebnisse so vehement ab?

Klänge des Augenblicks Volker Dubowys Improvisationen sind absolute „Echtzeitkompositionen“, die das Entstehen von Resonanzen als Zustände, Empfindungen und Reaktionen sowohl beim Künstler selbst als auch beim Zuhörer(?) bewirken. Die Klänge entstehen ohne Willkür, sie ergeben sich ganz aus dem Augenblick. Frage: Was passiert nun dabei? Antwort: DAS können Sie nur individuell selbst erleben – allgemein in Worte fassen lässt sich das Geschehen nicht…

Zu den angewandten Spieltechniken Für den näher an der musikalisch-technischen Ausführung Interessierten sei noch erwähnt, dass Volker Dubowy hier auf der Trompete mit Flatterzunge, Halfvalve und verschiedenen Vibratotechniken arbeitet, auf dem Didgeridoo (unkonventionellerweise) auch überbläst und während des Spielens hineinsingt (normal und mit gezielter Obertonansprache). Auch beim Gesangsabschnitt verwendet er bewusst die Klänge im Obertonspektum und singt zeitweise mit Kopf- und Mischstimme.

Seite 3 zum CD-Mitschnitt des „Projekt Klangfarben“ Was Sie auf diesem CD-Mitschnitt in dem Abschnitt „Projekt Klangfarben“ hören, sind (hauptsächlich) „Äußerungen“ Volker Dubowys (Trompete, Didgeridoo und Stimme), aber auch spontane Einwürfe von Musikern und Zuhörern. In dieses ganzheitliche Konzept gehört der Seufzer eines Musikers oder das Kichern von Zuhörern ebenso wie ein scheinbar „fehlplazierter“ Applaus! Die Aufzeichnung solch eines Ereignisses kann nur ein schwaches Abbild des Erlebten darstellen. Stärker als bei „normalen“ Konzertgeschehen, bei dem ja die Struktur der Komposition „Halt“ gibt, sind hier die Raumakustik, die Stimmung im Saal und auch optische Dinge von entscheidender Bedeutung. Das „Projekt Klangfarben“ erfährt auf diesem CD-Mittschnitt eine leichte Kürzung in den Abschnitten, die sich ohne Optik kaum erschließen. Wenn das „Projekt Klangfarben“ in der Kirche Peter und Paul in Schwäbisch Gmünd (erstes Konzert) eher als „ernst und glühend intensiv“ bezeichnet werden könnte, so ist dieser CD-Mitschnitt hier aus der Künkelin-Halle in Schorndorf (zweites Konzert) mehr als „heiter burleskes Scherzo“ geraten.

Intermezzo / Pause: Reflektionen

Um die Tiefe und Bedeutung des vierten und letzten Teils des Konzertes besser verstehen und auch nachvollziehen zu können, soll an dieser Stelle kurz über das bis dahin „Geschehene“ reflektiert und auf eine weitere, das gesamte Konzert umfassende Klammer hingewiesen werden. Selbstverständlich erschließt sich vieles auf dieser CD auch durch rein intuitives Hören - diese Gedanken hier dienen nur als zusätzliche Anregung und Anstoß... Die Überschriften in den farbigen Balken dieser CD zeigen, dass dieses gesamte Konzert auch als Sonatenhauptsatz oder eine vierteilige Sinfonie im ursprünglichen Wortsinn, nämlich „Zusammenklang“, verstanden werden kann. Dieser Zusammenklang ist nicht nur akustisch zu verstehen, sondern als ein Ineinandergreifen vieler menschlicher Aspekte zu eine Inneren Harmonie: 1. Eine Einleitung führt mittels Musik und Sprache auf verschiedenen Ebenen (Intellekt, Geist und Seele) in das Grenzen sprengende Thema ein. 2. Es folgt eine Exposition (eines imaginären Sonatenhauptsatzes), in der zwei konventionell notierte Kompositionen (die eine sehr bekannt und ausgearbeitet - die andere völlig unbekannt ein und Fragment in fortgeschrittenem Stadium) mit einander verwoben werden. In der klassischen Exposition des Sonatenhauptsatzes werden ausdrucksmäßig sehr gegensätzliche Themen erst einmal vorgestellt - ebenso verhält es sich hier, wobei die ganzen Sinfoniesätze jeweils als ein „Thema“ zu verstehen sind. In diesem Konzert kann der Kontrast von bekannt / unbekannt, von scheinbar „Richtigem“ (Gewohntes) und „Regelwidrigem“ (eingeschobener Satz) beim Hörer zum Konflikt führen - beim sich darauf Einlassen aber auch zur großer Harmonie. 3. In der Durchführung (mit Scherzo-Charakter) dieses Konzertes entsteht eine „Komposition“ in Echtzeit (also ganz aus dem Augenblick). Bei diesem Prozess des Entstehens sind alle im Raum Anwesenden samt dem Konzertraum selbst beteiligt! Wenn das eher streng Geregelte einer klassischen Exposition in diesem Konzert durch die konventionell notierten Kompositionen symbolisiert wird, so wird die in der klassischen Sonatenhauptsatzform wesentlich freier gestaltete Durchführung hier durch die Spontan-Komposition dargestellt: Das vielleicht tiefste, weil persönlichste Thema des gesamten Konzert-Ereignisses - nämlich als Zuhörer selbst von Musik mehr als nur (passiv) „hörend“ betroffen zu sein – haben Sie ja vielleicht anhand eigener innerer Reaktionen aufs „unverständliche“ Minifragment und den „unsinnigen“ (!?) „frevlerischen“ (!?) Mix aus zwei Sinfonien Schuberts schon erfahren… Die Durchführung kann noch zu eine Steigerung der inneren Resonanz führen: Das „Projekt Klangfarben“ lebt nun direkt von den Resonanzen der Zuhörer selbst - ob sich die Schwingungen nun konkret akustisch äußern oder „nur“ als spürbare Energie (Zustimmung oder Ablehnung) vorhanden sind, ist dabei eher nebensächlich. Wie in der klassischen Durchführung erleben auch hier alle Themen ein Schicksal aneinander: Beim „Projekt Klangfarben“ sind die „Themen“ jedoch nicht mehr Melodien, sondern der Konzertraum, der Akteur und die Zuhörer SELBST! (Mahler sagte zu seiner Achten Sinfonie: „…nicht mehr menschliche Stimmen, sondern Planeten und Sonnen kreisen“) 4. Das abschließende Finale (ohne Ende !? - als Coda oder Epilog) bildet ein genau genommen nur teilweise auskomponiertes Stück (dazu mehr im folgenden Abschnitt), bei dem Volker Dubowy mit dem Orchester zusammen musiziert. Charles Ives „The Unanswered Question“ ist ideal geeignet, Ausrufezeichen und Fragezeichen dieses Konzertes offen stehen zu lassen und eine Reflexion mit noch weiter führenden Fragen ohne zwingend abschießende Antworten zuzulassen...

4. Coda / Epilog: ernst geheimnisvoll

Charles Ives „The Unanswered Question“ Streicher und Trompete: Adagio — Holzbläser: Tempo ansteigend von Adagio bis Presto Musik als Ausdruck des Denkens, Fühlens und der Verbundenheit der menschlichen Gesellschaft Menschlich gesehen war die große Lebenstat des Komponisten Charles Ives die Mitbegründung des Versicherungsgedankens: Eine große Anzahl von Individuen (Gesellschaft) sorgt (zahlt) für die Sicherheit eines einzelnen Menschen und als einzelnes Mitglied der Gesellschaft sorgt man durch die uneigennützige Entrichtung einen Beitrags für das Wohl der Allgemeinheit. Uns Menschen von heute erscheint diese Regelung selbstverständlich - oder vielleicht auch schon nicht mehr: Wächst doch in unserer zunehmend ich-bezogenen Gesellschaft (!?) der unreflektierte Widerstand gegen diese menschliche Lebens(er)haltung … Auch die Musik betrachtete Ives als Möglichkeit menschlicher Entwicklung. Viele seiner Stücke, besonders die so scheinbar heillos (!?) chaotischen, haben als Thema gemeinsame Festtage und Feiern (z.B. die Sinfonien „New England Holidays“ und „Camp meeting“). Die Entwicklung zu einer humaneren Gesellschaft mit mehr Pluralismus und weniger Wertungen lässt sich an vielen Werken von Ives als Vision erkennen - und zwar in doppelter Hinsicht! 1. anhand einer Werkanalyse (Integration aller Musikrichtungen zu einem Ganzen) und 2. in Form einer Frage, die jeder Konzertbesucher beim er-tragen (oder eben mit-tragen!) mancher seiner Werke sich selbst stellen kann: „Kann ich im Leben zumindest ein akustisch pluralistisches Chaos ertragen und damit für mich konstruktiv umgehen?“ Charles Ives „The Unanswered Question“ zählt zu seinen im landläufigen Sinne harmonischsten Werken. Es ist zwar eine notierte Komposition, dennoch bewegt sich vieles, was den zeitlichen Ablauf der drei Gruppen (Streicher, Holzbläser, Trompete) betrifft, im Feld des ungefähren, quasi Improvisierten. In dieser „Studie“ vereinen sich gewissermaßen die Gegensätze „Notentext und Improvisation“ (festgelegte Noten und nicht fixierbares Zeitmaß).

Seite 4 Fragen — und Antworten !? „The Unanswered Question“ (Untertitel: Nachdenken über eine ernste Sache) von 1906 ist das Gegenstück zu „Centralpark in the Dark“ (Nachdenken über eine unwichtige Sache). „Die unbeantwortete Frage“ besteht aus der Gegenüberstellung von drei konträren Zuständen: Streicher spielen einen einfachen, choralartigen, in schlichten Harmonien fließenden Klangteppich in hoher und weiter Lage: Unberührbare emotionslose ewige und kühle Schönheit (!?), aus der immer wieder ein fragender Ruf der Trompete, stets sich gleichend, herauswächst, in haltloser freier Tonalität ohne Verankerung, aber hartnäckig insistierend. Vier Holzbläser versuchen sich darauf jeweils mit einer Antwort: anfangs ist sie scheinbar geheimnisvoll und weise, dann eher nachäffend , am Ende völlig wirr und konfus — in immer rascherem Tempo, immer erregter und schriller, ohne tonlichen oder rhythmischen Zusammenhang zum anderen Geschehen: hohle Antworten, die doch letztlich die gestellte(n) Frage(n) nicht beantworten können… Charles Ives ernstes Stück ist von freundlicher Skepsis, fast heiterem Zweifel an sich selbst und einer philosophischen Er-Kenntnis der letzten Dinge erfüllt: Was sind wir selbst und was unser Tun auf dieser Welt? Wie ge-wichtig sind - ja, können unsere Antworten auf das sein, was wir als Frage, Mahnen, Rufen empfinden? Vielleicht hat ja tatsächlich die Frage das letzte Wort — in Ewigkeit… !?

Anmerkungen zur CD-Aufnahme

zur Aufnahme von „The Unanswered Question“ Wenn Sie „The Unanswered Question“ über Kopfhörer hören, wird ihnen auffallen, dass im Gegensatz zu üblichen Konzertaufnahmen die Positionen bzw. der Raumklang der Streicher, der Holzbläser und der Trompete unterschiedlich ist bzw. sich ändert : Die Streicher kommen immer aus der gleichen Tiefe des Raums (die Ewigkeit bewegt sich nicht…). Die Holzbläser sind nicht im Orchester positioniert, sondern auf einer Seitenempore des Saals. Sie kommen damit akustisch also weiter aus Distanz zu den Streicher (als Spiegel der Unvereinbarkeit von Ewigkeit und menschlichem Tun). Die Trompete stellt die (fast!) gleiche Frage immer wieder aus unterschiedlichen Positionen des Raums (der Solist wechselt beim Spielen immer wieder den Standort): Die Be-Deutung einer Frage (Trompete) ändert sich schließlich auch immer wieder, da sie in direkter Relation zu deren Beantwortung (Holzbläser) steht ….

Technische und musikalische Überlegungen zur Entstehung und Bearbeitung dieser CD Für die Aufzeichnung dieses Konzertes wurden lediglich zwei Neumann Mikrofone Typ KM 184 und ein DAT-Rekorder verwendet. Die wichtige Stimmung des Augenblicks, das Gemeinschaftsgefühl und das Erleben im Raum wird die Wiedergabe eine CD nie entstehen lassen können. Nur über die Art des Raumklangs lässt sich solch eine Illusion erzeugen. Dem entscheidenden REST kann nur der Hörer selbst dazu tun… Da die Akustik der Barbara Künkelin Halle eher dumpf und trocken ist, wurde nachträglich über Mischpult der Aufnahme minimal Hall beigegeben, was dem Empfinden des realen Konzerterlebnisses mehr entspricht. Ansonsten ist dieser Konzertmitschnitt völlig unbearbeitet und ungeschönt.

Die ausführenden Musiker

Volker Dubowy (*1962), „Bfs für Musik“ Krumbach (Schw.), Studium Fachakademie Kassel (Trompete) und Hochschule für Musik in Hannover (Gesang). Meisterkurse bei Paul Kuen, Prof. M.L.Gilles. Konzertsolist, Liederabende, Kammermusik (Gesang, Trompete, Didgeridoo), Engagements als Trompeter und Sänger an mehreren Opernhäusern. Dozent und Initiator von BRASS TOTAL (Bläserkurse, u.a. beim Internationalen Arbeitskreis für Musik IAM). Publikationen, Vorträge, CD-Produktionen, ein „Kleines Technikbüchlein für Bläser“ (über Amazon erhältlich), Seminare für Stimm-, Blas- und Atemtechnik. Fachberichte und Künstlerportraits in den Fachzeitschriften „Clarino“, „Crescendo“, „Bayerische Blasmusik“ und „Forte“. Sein PROJEKT KLANGFARBEN ist eine neue Form der Improvisation: Raum, Publikum und auch die musikalische Umsetzung des „homöopathischen Prinzips“ spielt eine große Rolle. Sein neuester Zweig der Beschäftigung ist die von ihm entwickelte und in Zusammenarbeit mit Ärzten praktizierte HOMÖOPHONIE. Mehr zu alldem auf seiner Homepage: www.dubymusic.de Volker Dubowy beschäftigt sich außermusikalisch (?!) intensiv mit ganzheitlichen Heilungsmethoden wie der Homöopathie, Hildegard- und AyurvedaMedizin und verbindet diese auf seine individuelle Weise zu einem übergeordneten Ganzen. Joachim Wagner (*1959) „Bfs für Musik“ in Krumbach (Schw.), ein Jahr Studium „Akademie für Tonkunst“ in Darmstadt. Waldhorn ist sein Instrument, das er als Instrumentallehrer unterrichtet. Er war Dirigent von „Ein Kammerorchester“ und der Orchestervereinigung Schorndorf Außerdem leitet er das Gitarren- und Mandolinenorchester Schwäbisch Gmünd und ist seit 2006 Produzent des kleinen CD-Labels JAW-Records. Die Orchestervereinigung Schorndorf e.V. - kurz OVS - besteht aus etwa 35-45 idealistischen Amateurmusikern aller Altersgruppen aus Schorndorf und Umgebung. (Schwäbisch Gmünd über Göppingen bis Fellbach). Die OVS entstand 1986 aus der Vereinigung des „Kammerorchester der VHS Schorndorf“ und dem „Orchester der Freien Waldorfschule Engelberg“. Bis 2002 leitete der Dirigenten Walter Schmid eine Vielzahl von Konzerten an verschiedenen Orten mit einem großen Repertoire von der Renaissance bis 20tes Jahrhundert. Von 2002 bis 2008 hatte Joachim Wagner die künstlerische Leitung des Orchesters inne. Schwerpunkt setzte er auf die musikalische Entwicklung des reinen Amateurorchesters und auf außergewöhnliche und thematisch ganzheitliche Konzertprogramme. Wie bei „unvollendet-unbeantwortet!?“ stand z.B. auch bei dem Projekt „Mensch-Musik-Zeit“ (zusammen mit dem Geiger Matthias Babl) die WECHSELWIRKUNG VON MUSIK UND MENSCH im Raum . . .

Die Noten der für die Aufführungspraxis von Dr. Peter Gülke realisierten Einrichtung des Andante aus D 936A wurde uns freundlicherweise vom Maestro persönlich zur Verfügung gestellt – vielen Dank dafür!

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CD– Hinweise Sinfonie D 936A u. a. (Fassung von Peter Gülke) Peter Gülke / Staatskapelle Dresden (Berlin Classics) EntSinfonie D 936A u. a. (Fassung von Brian Newbould) Sir Charles Mackerras / Scottisch Chamber Orchestra (Hypericon CDA 67000) Luciano Berio: Rendering (verwendet original Schuberts Skizzen zu D 936A) Luciano Berio / London Symphony Orchestra (BMG 09026 68894 2) Schubert / Haas: Torso (nach D 840) + Bruckner: Finale-Fragmente zur 9. Sinfonie Peter Hirsch / Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (SONY SK 87316)

Literaturhinweise

Zu Schuberts D 936A Peter Gülkes Einführungstext zur CD von Berlin Classics

Zur Homöopathie Dethlefsen / Dahlke: Krankheit als Weg Antonie Peppler: die psychologische Bedeutung homöopathischer Arzneien Philip M. Bailey: Psychologische Homöopathie Rajan Sankaran: Das geistige Prinzip der Homöopathie Andreas Krüger und die Samuel-Hahnemann-Schule Berlin

Diese CD ist all den Menschen gewidmet, die sich den Sinn für und die Neugierde auf das Neue und Unbegrenzte des Lebens bewahrt haben Idee des Projektes: Joachim Wagner & Volker Dubowy Aufnahme, Bearbeitung, Transfer, Covergestaltung, Programmtext : Joachim Wagner

Kontakt

Joachim Wagner

[email protected] Volker Dubowy

www.klangrede.de

www.dubymusic.de

Ein letztes provokantes „Un-beantwortet !?“ . . . Wer stellt nun die „Zielgruppe“, die an diesem Konzert und dieser CD interessiert sein könnte? KLASSIK-HÖRER - also diese kleine Gruppe „Gestriger“? ESOTERIKER - also „die Spinner“? Oder vielleicht doch einfach MENSCHEN im Sinne der hier oben stehenden Widmung? . . .  . . . „un-vollendet !?“ Wenn wir lernen, das EINTEILEN und WERTEN sein zu lassen - dann ist viel erreicht… mit oder ohne dieses Konzert, diese CD