Umgang mit Gewalt. Kindsein ist gefährlich. Vernachlässigung von und Gewalt an Minderjährigen

Thema Umgang mit Gewalt Kindsein ist gefährlich Vernachlässigung von und Gewalt an Minderjährigen Entgegen der landläufigen bürgerlichen Meinung in E...
Author: Ralf Gerber
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Thema

Umgang mit Gewalt Kindsein ist gefährlich Vernachlässigung von und Gewalt an Minderjährigen Entgegen der landläufigen bürgerlichen Meinung in Europa ist auch heute Kindsein gefährlich. Berichte über Gewalt gegen Kinder gelangen in die Presse, wenn ein Kleinkind kläglich umgekommen ist. Dann wird nach nachhaltigen Maßnahmen zum effizienten Schutz der Kinder gerufen. Auch wenn die Gesetzgebung zum Schutz der Kinder überall existiert, ist ihre Umsetzung einerseits nicht so einfach, und der Ablauf von Interventionen zum Schutz von Kindern bürokratisch und kompliziert. Kinder sind abhängig von Erwachsenen. Diese Abhängigkeit ist eine Chance, Voraussetzung für die Sozialisierung des Kindes, und eine Gefahr, hilflos den Erwachsenen ausgesetzt zu sein. Dabei haben die das Kind umgebenden Erwachsenen eine große Verantwortung, da es zum großen Teil 10

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von ihnen abhängt, ob das Kind sich zu einem körperlich und seelisch gesunden Erwachsenen entwickeln kann, oder ob – jenseits jeglicher Chancengleichheit – seine Startposition bereits belastet ist. Gewalt gegen Kinder kann schon sehr früh beginnen: Misshandlung jeglicher Art bei Säuglingen ist leider fast jedem Kinderarzt bekannt. Sei es aktiv durch Schläge, Schütteln, an die Wand oder auf den Boden werfen, mit Zigaretten verbrennen, sexuell benützen usw., sei es durch Vernachlässigung der grundlegenden kindlichen Bedürfnisse wie regelmäßiges Essen, Wärme, eine minimale Sauberkeit und emotionale Stimulation. Die Angelsachsen haben einen Ausdruck dafür geprägt: „Abuse and Neglect“ – „Missbrauch und Vernachlässigung“.

Zärtlich oder übergriffig sein Je größer Kinder werden, umso mehr tritt bei Gewalt der sexuelle Aspekt in den Vordergrund: Das Kind, aber auch der oder die Jugendliche wird dazu benützt, sexualisierte Erregung eines Erwachsenen zu stimulieren oder zu befriedigen. Wie viel Schmerz, Angst, Hilflosigkeit, Scham, Ohnmacht und Unverständnis das Kind dabei überrollen, können wir uns kaum vorstellen. Der Erwachsene benützt seine Macht pervers, nicht um zu schützen, sondern um auszubeuten. Es geht dabei nie um genitale, reife Sexualität, sondern um perverse Bedürfnisse, welche ein anderer Erwachsener eben ablehnen würde. Größere Kinder und Jugendliche sind umso eher Opfer von Missbrauch, als sie bereits in der Kleinkindzeit missbraucht oder vernachlässigt worden sind. Der Reflex, einem Erwachsenen seines Vertrauens zu erzählen, was einem passiert ist, existiert bei diesen Kindern kaum, da sie schon früh verlernt haben, was Vertrauen gegenüber einem Erwachsenen ist. Missbrauch und Vernachlässigung verursachen beim Kind und Jugendlichen unsägliches Leid, Schmerz, Hilflosigkeit und Verständnislosigkeit. Sie geschehen fast immer in geschützten Räumen, häufig in der Familie oder Pflegeeinrichtung, jenseits der öffentlichen Kontrolle. Einerseits brauchen Kinder Zuwendung, Kleinkinder auch Zärtlichkeit, andererseits darf der oder die Betreuende nicht übergriffig werden. Hierbei gilt: Zärtlichkeit zu Kindern ist nötig und erlaubt, solange sie in der Öffentlichkeit geschehen kann. Sobald Geheimnistuerei oder die Drohung auftritt, es passiere etwas, wenn das Kind mit jemandem darüber rede, besteht ein Übergriff. Selbstverständlich stimmt dies auch, wenn der Erwachsene den oder die Jugendliche so weit bringt, dass er oder sie zustimmt und sogar „verliebt“ ist. Der Altersunterschied spielt dabei eine auch juristisch signifikante Rolle.

ganzen Körpers aktiviert und gewisse Anteile im Hirn ausgeschaltet. Dies ermöglicht es dem Kind, sich so abzuschotten, dass es den körperlichen Angriff mit so wenig Schmerz und Gefühl wie möglich übersteht. Die drei posttraumatischen Reaktionen sind: Übererregung, wiederkehrende, verfolgende Erinnerungen und Vermeidung. Der einem Kind zugewandte Erwachsene kann diese Reaktionen wahrnehmen, nachdem ein Kind angegriffen worden ist. Und dies sollte eigentlich zu einer gut durchdachten Reaktion des Erwachsenen führen. Anna ist eine mittelmäßige Schülerin, doch in der dritten Klasse, als sie eben neun geworden ist, beginnen ihre Leistungen rasant zu sinken. Der Schulpsychologische Dienst wird eingeschaltet und diagnostiziert ein ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Anna erhält Ritalin und eine psychologische Betreuung, doch dies bewahrt sie nicht davor, dass sie zwei Jahre später in die Hilfsschule kommt. Mit zwölf erzählt sie ihren Eltern, dass sie seit dem neunten Lebensjahr von einem Cousin, der bei Beginn des Missbrauchs bereits 18 war, jede Woche vergewaltigt und missbraucht werde. Die Eltern klagen vor Gericht und der Täter wird bestraft. Nun erhält Anna eine Psychotherapie für das Trauma. Sie redet nicht über das Vorgefallene – bis drei Jahre später das Urteil gegen den Täter revidiert wird und er frühzeitig aus der Haft entlassen wird. In diesem Moment beginnt Anna intrusive Erinnerungen, so genannte Flashbacks, zu haben. Das heißt: die traumatischen Erinnerungen kommen immer wieder ungewollt hoch. Sie verübt einen ersten Suizidversuch und kommt deshalb in eine kinderpsychiatrische Einrichtung. Dort wird endlich in einer Psychotherapie die traumatische Erfahrung so weit bearbeitet, dass ihre Stressreaktionen etwas abgebaut werden können. Hier wurde zwar eine Veränderung wahrgenommen, doch wurde nicht adäquat darauf reagiert.

Veränderungen früh wahrnehmen

Das Trauma mündet in eine Entwicklungsstörung

Missbrauch und Vernachlässigung sind für jedes Kind eine traumatische Erfahrung. Das heißt, sein Körper reagiert stereotyp, im Sinne des Überlebens, mit einer Stressreaktion: Es werden gewisse Anteile des autonomen Nervensystems (Sympathikus und Parasympathikus) und die hormonale Stress-Antwort des

Die wiederholte Traumatisierung verstärkt die drei posttraumatischen Reaktionen, besonders die Vermeidungsreaktion auf der emotionalen Ebene (Dissoziation), was Konzentrations- und Lernstörungen zur Folge hat. Die posttraumatischen Symptome führen dazu, dass diese Kinder sich nicht mehr altersentspreJänner 2009

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• Gesetzgebung: Diese ist in ganz Europa klar geregelt. Missbrauch und Vernachlässigung Minderjähriger ist ein Vergehen, ja sogar ein Offizialdelikt. • Verfolgung und Bestrafung: Eltern, welche ihr Kleinkind vernachlässigen und verletzen, haben damit zu rechnen, dass sie bestraft werden. Hingegen wird es immer noch schwierig, beim Missbrauch von älteren Kindern seriöse Abklärung und hartes Durchgreifen des Richters zu erreichen. Hier gibt es immer noch eine Kollusion des Schweigens, so nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Es gilt, noch viel Präventionsarbeit durch die Berufe der Gesundheitsbewahrung zu leisten. Es wird immer wieder ins Feld geführt, dass die Kinder auch etwas dazu beigetragen hätten. • Erziehung: Sie muss auf allen Ebenen verstärkt werden. Kinder sollen lernen, dass sie Recht auf ihren Körper haben und dass sie „nein“ sagen dürfen, und, wenn das nicht gewährt wird, Alarm schlagen müssen und dürfen. Betreuerinnen und Betreuer von Kindern, Eltern, Erzieherinnen, Erzieher und Lehrpersonen müssen lernen, wie posttraumatische Reaktionen von Kindern Vorbeugen auf mehreren Ebenen aussehen, damit sie Veränderungen früh wahrnehmen und KinWenn man heute weiß, dass Missbrauch und Vernachlässigung der so sekundär präventiv schützen können. Die Gemeinschaft von Kindern zu Entwicklungsstörungen und zu psychisch geschä- – soziale Netze, Pfarreien, Jugendorganisationen, Schulen – müsdigten Erwachsenen führen, so ist es angebracht, an Prävention sen wachsam sein und Situationen verunmöglichen, in welchen zu denken. Prävention hat drei verschiedene Anteile: das Risiko von Missbrauch lauert. chend entwickeln können: Gewisse Anteile reifen früher, gewisse werden retardiert. Das heißt, dass missbrauchte und vernachlässigte Kinder unter einer Entwicklungsstörung leiden, was dann im Erwachsenenalter zu Symptomen führt, die als BorderlinePersönlichkeitsstörung diagnostiziert werden. Diese Erwachsenen zeigen verschiedene Symptome der Entwicklungsstörung: Sie ertragen schlecht einen Triebaufschub, sind impulsiv, leiden unter vielen unangenehmen Gefühlen und Emotionen, sind in Beziehungen misstrauisch oder promiskuös, neigen dazu, sich selbst zu verletzen, legale und illegale Drogen zu nehmen, und können keine regelmäßige berufliche Leistung vollbringen. In der Partnerwahl sind sie fast immer dazu verurteilt, sich einen gewalttätigen Mann oder eine sich als Opfer erlebende Frau auszusuchen, sodass die Gewaltspirale bereits für die nächste Generation programmiert ist. Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit führen also immer zu einer schwerwiegenden Entwicklungsstörung.

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Missbrauch findet in allen sozialen Schichten statt Kinder und Jugendliche sind für Missbrauch und Vernachlässigung besonders gefährdet; einerseits wissen sie häufig nicht klar, was gut und erlaubt ist und was ihnen schadet. Häufig wissen sie auch nicht, wohin sie sich wenden können, wenn ihnen etwas passiert ist, weil ihnen Worte fehlen, gedroht wird oder sie sich schämen oder schuldig fühlen. Missbrauch findet in allen sozialen Schichten statt. Der präventive Umgang mit Missbrauch und Vernachlässigung ist zentral; nicht nur weil damit jungen Menschen unsägliches Leid erspart bleibt, sondern auch, weil damit ihre Entwicklung weniger behindert wird und so mehr Chancengleichheit entsteht. Das Klima, in welchem Kinder und Jugendliche frühzeitig über Annäherungsversuche berichten können, ist abhängig davon, wie Eltern und andere Erzieher zur Verfügung stehen. An vielen Orten kann man die Gefährdung von Opfern und Tätern durch erhöhte Transparenz verringern. Wichtig ist aber auch, dass man Aussagen von Kindern genau hört und dass von Anfang an ausgebildete Untersucherinnen und Untersucher einbezogen werden, um die Gefahr von Falschaussagen zu verringern. Kinder und Jugendliche haben nach solchen Ereignissen das Recht, professionell und dem neuesten wissenschaftlichen Standard entsprechend behandelt und die Eltern im Umgang damit beraten zu werden. Je kürzer die Missbrauchsepisode gedauert hat, umso größer sind die Chancen, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen die Erfahrung vernarben lassen können. So können sie dann trotz (oder wegen?) dieser Erfahrung zu verantwortlichen und gesunden Erwachsenen heranreifen. Tätern muss man das Handwerk legen, da sie viel Unheil anrichten. Doch wenn sie ihre Schuld anerkannt und um Verzeihung gebeten haben, muss man ihnen, wenn immer möglich und ohne Gefahr für weitere Kinder, auch eine neue Chance geben, sich im Leben zu bewähren. Gisela Perren-Klingler Studium an der Hebrew University in Jerusalem, ab 1971 Ausbildung in Psychiatrie

Gewalt an Kindern Artikelserie im „Sonntagsblatt“ Das „Sonntagsblatt“ hat in Zusammenarbeit mit der Familienkommission der Diözese Bozen-Brixen im Mai und Juni 2008 eine siebenteilige Serie zum Thema „Gewalt an Kindern“ veröffentlicht. Der erste Beitrag daraus ist hier in gekürzter Form abgedruckt. Die einzelnen Beiträge der Serie sind vollinhaltlich im Internet unter www.ecclesiabz.com/Serie zu finden. • 18.05.2008 – Teil 1: Vernachlässigung von und Gewalt an Kindern, Gisela Perren Klingler • 25.05.2008 – Teil 2: Sexualität gehört zum Kindsein, ­ Gottfried Ugolini • 01.06.2008 – Teil 3: Junges Leben, tiefe Wunden, Gespräch mit der Psychologin Maria Egger über sexuelle Übergriffe an Kindern in der Familie und im vertrauten Umfeld • 08.06.2008 – Teil 4: Versteinert und wiedergeboren – ­ als Kind sexuell missbraucht, Eine Betroffene erzählt, wie sie mit diesem Trauma heute lebt • 15.06.2008 – Teil 5: Sorge und Verantwortung der Kirche  – Gewalt an Kindern in der Kirche, Gottfried Ugolini • 22.06.2008 – Teil 6: Im Interesse der Opfer – Einblick in die Ombudsstelle für Missbrauchsopfer der Diözese München sowie ein Gespräch mit kirchlichen Verantwortlichen über die Situation in der Diözese Bozen-Brixen

und Psychotherapie, ab 1980 Missionen für das internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf, 1993–2001 Schweizer Mitglied des Europäischen Komitees zur Prävention von Folter und inhumaner und degradierender Behandlung von Menschen,

• 29.06.2008 – Teil 7: Der lange Weg aus dem Inferno – ­Therapie und Traumabewältigung, Gisela Perren Klingler

die ihrer Freiheit beraubt sind

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Gemeinsam gegen Gewalt Thema Gewalt entdämonisieren Gewalt in der Schule verhindern wir nicht allein durch Verbote, mehr Regeln oder härtere Sanktionen. Das Thema Gewalt muss entdämonisiert werden. Es braucht einen Konsens in der Lehrerschaft, welche Formen der Gewalt geduldet und welche absolut verpönt und auch zu ahnden sind. Aus meiner Erfahrung als Schulberater weiß ich, dass Vorfälle an Schulen – besonders wenn körperliche Gewalt im Spiel ist  – zuerst einmal schockieren und dann vielfach die Forderung nach sofortigen und strengen Sanktionen und Konsequenzen aufkommen lassen. In solchen Situationen erweist es sich von Vorteil, wenn man als Schule auf bereits bestehende Vorgehensweisen zurückgreifen kann. In Verhaltensvereinbarungen, die am besten zusammen mit Eltern und unter der Beteiligung von Schülerinnen und Schülern erstellt werden sollten, sind neben den Regeln und der geltenden schulischen Ordnung auch die Konsequenzen bei Verstößen klar festgelegt. Wenn es gelingt, auch in „heißen“ Situationen Ruhe und Übersicht zu bewahren, die Situation zuerst zu entschärfen und dann mit den Beteiligten – möglichst getrennt – ein Gespräch zu führen, lassen sich viele Dinge recht schnell regeln. Strafen und Konsequenzen alleine bewirken nicht immer eine Veränderung, besonders wenn sie als ungerecht und einseitig empfunden werden.

Gewalt und Aggression Nachstehende Überlegungen bilden nach Ansicht des Schweizer Kinder- und Jugendpsychologen Allan Guggenbühl die Grundlage für das Handeln zum Thema Gewalt und Aggression an Schulen: Aggression gehört zum Menschen Aggression ist ein universelles Phänomen und es gibt keine Möglichkeit, die Aggressivität der Menschen zu verhindern. Ein bestimmtes Maß an Aggressivität ist sogar erwünscht. Sich wehren können, sich durchsetzen und sich behaupten, kämpfen und bei Gefahr sich verteidigen können sind wichtige Eigenschaften erfolgreicher Menschen. Wenn aber Aggression zum Menschen gehört, müssen Formen gesucht werden, wie sie unschädlich oder nutzbringend ausgelebt werden kann. 14

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Das Lernziel heißt Konfliktfähigkeit Wenn Aggression nicht zu verhindern ist, muss der Umgang mit ihr gelernt werden. Konflikte in konstruktiver Art auszutragen und Auseinandersetzungen fair zu führen, ist ein anspruchsvolles Lernziel. Die zunehmende Brutalisierung der Auseinandersetzungen zwischen Kindern und Jugendlichen weist auf ein Problemfeld hin. Brutales Drauflosschlagen ist ein Zeichen, dass Täter und Täterinnen nur sich selber sehen und sich nicht in die Lage des Anderen versetzen können. Sich einfühlen können ist ein wichtiger Faktor der Konfliktfähigkeit. Gewalt hat viele Ursachen Diese liegen in der Natur des Menschen, den ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen, der Familie und dem von ihr gepflegten Umgangs- und Erziehungsstil, der Kameradengruppe und den in der Gruppe geltenden Normen, der pädagogischen Grundhaltung der Erziehenden, der Schule – und dort besonders bei den Lehrkräften –, der Persönlichkeit des Kindes, den Medien. Aufgrund dieser Multikausalität sind einfache Schuldzuweisungen in der Regel ungerecht und falsch. Gewalt wächst auf einem Filz von Ursachenzusammenhängen. Gewaltphänomene sind häufig Gruppenphänomene Gruppen schaffen Normen und Regeln, welche oft viel stärker wirken als die Regeln und Normen der Individuen. Auch in den Schulen tritt Gewalt häufig als Gruppenphänomen auf. Gruppenbezogene Intervention und Prävention sind daher ein guter Weg, um die Gewalt einzudämmen. Gemeinsam aktiv gegen Gewalt Gerade beim Thema Gewalt ist es wichtig, nicht individuell zu handeln, sondern schon vorher eine Strategie zu überlegen, um angemessen reagieren zu können. Lehrerteams überlegen gemeinsam und entscheiden verbindlich die im Schulhaus geltende Ordnung und die Vorgehensweisen zu deren Durchsetzung. Diese Abmachungen müssen sehr konkret sein. Zum Beispiel: Was mache ich, wenn zwei Kinder einander schlagen oder wenn ich Mobbing bemerke? Welche Strafen werden verhängt und wer verhängt sie? Die Lehrkräfte müssen sich bei der Durchsetzung der Regeln und auch bei den Sanktionen gegenseitig helfen und unterstützen. Diese Aufgabe muss vom ganzen Team übernommen werden. Eine Delegation an die Schulleitung bringt keinen Erfolg.

Verbindliche Regeln

Eltern mit einbeziehen

Das Kollegium soll verbindlich festlegen, welche Verhaltensweisen von Schülern und Schülerinnen toleriert werden und welche nicht. Wenn zum Beispiel Mitschüler und Mitschülerinnen erpresst, bedroht, geschlagen, ausgelacht, isoliert, verhöhnt und verletzt werden, müssen Erwachsene einschreiten und handeln. Alle verpflichten sich, Übertretungen der Regeln zu ahnden, und zwar nach einem vorher festgelegten „Sanktionskatalog“. Die Autorität der Erwachsenen ist eine der wirksamsten Bremsen für das Auftreten von Gewalt. Ein gut funktionierendes Schulteam ist fähig, eine Schulhauskultur zu entwickeln, die auf die Kinder ausstrahlt, ihnen Sicherheit und Halt gibt und auch normierend für die betreffende Schule wirkt. Schüler und Schülerinnen orientieren sich an geltenden Regeln, die an der Schule herrschen, auch wenn sie die Grenzen gerne ausloten. Sie erwarten sich von den Lehrpersonen, dass sie konsequent sind und die angekündigten Vorgehensweisen bei Regelverstößen auch durchführen. Lehrpersonen, auf die auch in diesem Punkt Verlass ist, werden geschätzt.

Ohne das Mitwirken der Eltern ist heute eine Schulhauskultur nicht mehr möglich. Viele Eltern wollen in Bildungs- und Erziehungsaufgaben mitbestimmen. Sie können einen wichtigen Beitrag zur Lösung von Problemen leisten oder Hilfen für Schülerinnen und Schüler anbieten. Die Lehrpersonen sollen die Eltern darüber informieren, wie sie mit den Problemen umzugehen gedenken. Die Eltern ihrerseits können die Bemühungen der Schule zu Hause unterstützen. Unerlässlich ist die Zusammenarbeit mit den Eltern, wenn an einer Schule bereits Gewaltprobleme aufgetaucht sind. Manchmal kann es auch angeraten sein, Hilfe von außen zu holen. Es ist kein Zeichen von Schwäche oder Unzulänglichkeit, wenn Erziehende in schwierigen Situationen Rat suchen. Dies ist vielmehr Ausdruck von menschlicher Reife und pädagogischer Verantwortung. Hans Schwingshackl Schulberater am Pädagogischen Beratungszentrum Bruneck

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Gewalt zum Thema machen Wie die Schule vorbeugen kann Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gewalt als einen absichtlichen Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklungen oder zu Deprivation, zu Isolation und Vereinsamung führt.

• psychische Gewalt wie etwa seelisches Quälen sowie emotionale Erpressung, verbal durch erniedrigende und entwürdigende Worte • Deprivation wie Vernachlässigung, zum Beispiel durch Vorenthaltung von Zuwendung oder notwendiger Pflege Eine weitere spezielle Form von Gewalt ist das Mobbing. Mobbing bedeutet soviel wie schikanieren oder anpöbeln. In diesem Fall wird eine Person über eine längere Zeit hinweg systematisch belästigt, ausgegrenzt und ist negativen Handlungen in der Schule oder am Arbeitsplatz ausgesetzt.

Diese Definition ist sehr umfassend und beinhaltet verschiedene Formen von Gewalt, die sich einerseits darauf beziehen, von wem Gewalt ausgeht und zwischen wem sie stattfindet. Ande- Gewalt oder nicht Gewalt? rerseits unterscheiden sich die Formen der Gewalt, in der Art Für die Einschätzung von bestimmten Situationen kann es sinnund Weise, wie diese ausgeübt wird. voll sein, die betroffenen Personen direkt darauf anzusprechen und zu befragen, ob sie diese als gewalttätig und bedrohlich empfinden. So gehört etwa Raufen in einem bestimmten Maß Formen von Gewalt zu einem normalen Aktivitätsmuster von Kindern. Der KörperVon wem Gewalt ausgehen und zwischen wem sie kontakt ist gerade im Kindesalter sehr wichtig – vorausgesetzt stattfinden kann: das Kräfteverhältnis stimmt und ist zeitlich begrenzt. Viele Kon• Gewalt gegen die eigene Person, wie selbstschädigendes oder flikte werden unter anderem so in der Abwesenheit von Ersuizidales Verhalten wachsenen ausgetragen und auch gelöst. In bestimmten Fällen • zwischenmenschliche Gewalt, zum Beispiel Gewaltausübung kann es hilfreich sein, weitere Personen für eine Einschätzung innerhalb der Familie, das heißt zwischen Partnern, Gewalt- der Situation einzubeziehen. ausübung gegenüber Kinder und ältere Menschen usw. • Gewalt zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Gemeinschaften, die sich kennen oder sich unbekannt sind, zum Bei- Prävention von Gewalt spiel bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Gruppen Da Gewalt keine alleinige Ursache hat und es Entstehungsbedin• Jugendgewalt gungen in verschiedenen Bereichen gibt, müssen auch die Präven• Gewalt am Arbeitsplatz tionsmaßnahmen auf verschiedenen Ebenen ansetzen: im sozialen • Überfälle von Fremden Umfeld, bei den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und an • kollektive Gewalt, das heißt gegen eine Gruppe oder mehre- der Person selbst. Dabei geht es unter anderem darum, Menschen re Einzelpersonen gerichtete instrumentalisierte Gewalt um auf die Thematik Gewalt aufmerksam zu machen und sie dafür zu politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Ziele durch- sensibilisieren. Prävention ist ein gesamtgesellschaftliches, generazusetzen tionenübergreifendes Anliegen, sie muss früh beginnen, langfristig und koordiniert durchgeführt werden und darf auch tabuisierte Themen nicht scheuen. Eine differenzierte und sachliche HerangeArt und Weise, wie Gewalt ausgeübt wird: • körperliche Gewalt durch den Einsatz von körperlicher Kraft hensweise an das Thema – auch der Medien – ist Voraussetzung; und Stärke dabei müssen Ängste und Anliegen ernst genommen werden. • sexuelle Gewalt, das heißt erzwungener intimer Körperkon- Neben dem Elternhaus ist es gerade auch die Schule, die einen takt oder andere sexuelle Handlungen wertvollen Beitrag zur Gewaltprävention leisten kann. 16

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Tipps für Lehrerinnen und Lehrer Intervention • Beobachten Sie, wie die Kinder und Jugendlichen auf dem Schulhof und im Schulgebäude miteinander umgehen. • Greifen Sie bei Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung ein und schützen Sie das Opfer. Holen Sie sich dabei bei Bedarf die Unterstützung Ihrer Kollegen und Kolleginnen. • In schwerwiegenden Situationen, zum Beispiel bei Waffengebrauch, rufen Sie die Polizei, um sich selbst und andere nicht weiter zu gefährden. • Sprechen Sie mit den „Tätern“ oder „Täterinnen“ über Schaden, Leiden und Konsequenzen: Sie sind sich dessen oft nicht bewusst. Regen Sie beim Kind einen Perspektivenwechsel an: Es soll versuchen, sich in die Rolle des Opfers hineinzufühlen: „Wie geht es wohl dem Opfer? Wie geht es dir dabei?“ • Ermutigen Sie das „Opfer“ zu einem Gespräch mit Ihnen. Teilen sie ihm unter anderem mit, dass es sich bei weiteren Vorfällen zum Schutz an Sie wenden soll. • Erstellen Sie an Ihrer Schule einen Leitfaden, wie auf Schulebene in Gewaltsituationen vorgegangen wird.

und Schülerinnen sich wirksam und ihre Tätigkeiten als sinnvoll erleben (kreative, praktische Tätigkeiten, lernen in Sinnzusammenhängen, Vernetzung mit dem außerschulischen Alltag). • Fördern Sie spielerische Elemente im Unterricht, die Spaß machen. • Führen Sie regelmäßig Klassengespräche. Machen Sie Gewalt zum Thema. • Stellen Sie gemeinsam in der Klasse einige klare, einfache und altersangemessene Regeln auf, zum Beispiel: - Schülern, Schülerinnen und Lehrpersonen gegenüber wird von niemandem körperliche Gewalt angewendet oder angedroht. - Schüler und Schülerinnen werden nicht gehänselt, erniedrigt oder auf irgendeine andere Weise verletzt. - Mitschülern und Mitschülerinnen, die sich in einer solchen Situation befinden, wird geholfen. - Mitschüler und Mitschülerinnen, die ausgegrenzt sind, werden miteinbezogen. • Besprechen und erarbeiten Sie gemeinsam Konsequenzen: Was passiert, wenn die Regeln überschritten werden? Geben Sie Anerkennung, wenn sie eingehalten werden. • Fördern Sie im Unterricht soziale Kompetenz und empathische Fähigkeiten der Kinder, zum Beispiel durch Austragen von Konflikten, durch Kooperation im Schulalltag, durch Ausdruck von Gefühlen und Bedürfnissen usw. • Ein Männerbild, das auf Stärke, Durchsetzungsfähigkeit und Härte aufbaut, unterstützt gewalttätiges Handeln. Unterstützen Sie daher vielfältige Rollenbilder. • Suchen Sie den Kontakt mit den Eltern und beziehen Sie ­diese in Aktivitäten mit ein. • Seien Sie selbst Vorbild in Konfliktsituationen. • Einigen Sie sich im Team über ihre Definition von Gewalt und über Ihre Vorgangsweise. Sprechen Sie sich ab und leben Sie als Team vor, wie an Ihrer Schule Konflikte angegangen werden. • Nehmen Sie bei Bedarf Coaching, Supervision oder Mediation in Anspruch.

Prävention • Setzen Sie sich für die nachhaltige Förderung des sozialen Milieus an der gesamten Schule ein. Fördern Sie zum Beispiel gemeinsame positive Aktivitäten; sie tragen zu einem positiven Klassen- und Schulklima und zur Beziehungsförderung unter den Kindern und Jugendlichen bei. • Verstärken Sie klassen- und altersstufenübergreifende Tätigkeiten. • Achten Sie auf Toleranz und wertschätzende Beziehungen innerhalb der Klassengemeinschaft und des Lehrerkollegiums, zwischen Lehrenden und Schülern und Schülerinnen. • Vermeiden Sie Situationen, die Druck und somit Überforderung und Stress erzeugen (Prüfungssituationen, Noten, Konkurrenzsituationen schaffen Stress und Druck). • Schaffen Sie vermehrt Bewegungs- und Entspannungsmöglichkeiten im Schulalltag. • Stellen Sie die Fähigkeiten der Schüler und Schülerinnen in Armin Bernhard, Bildungswissenschaftler den Mittelpunkt und vermeiden Sie Fehlersuche. • Achten Sie besonders auf Tätigkeiten, bei denen die Schüler Lukas Schwienbacher, Sylvia Kössler, Forum Prävention

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Ware Kind – das Onlinegeschäft blüht Wenig Schutz für Kinder vor sexueller Gewalt Auf den Bildern sind abwechselnd ein Mädchen mit blonden Zöpfen und ein blasser, schmaler Junge zu sehen. Beide sind nackt oder nur mit Unterhose bekleidet, lächeln mit verzerrter Miene in die Kamera. Die Fotos sind von der Gerichtspolizei im Zuge einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden. Weiteres Material lässt sich auf der Festplatte des Computers und auf den unzähligen Videokassetten vermuten, die ebenso in die Kisten geräumt und zur Staatsanwaltschaft gebracht werden. Wir können uns gut vorstellen, dass es sich um die Staatsanwaltschaft Bozen oder eine andere in Italien handelt. Laut der italienischen Kinderrechtsorganisation „Telefono Arcobaleno“ ist Italien das Land, das weltweit die fünftgrößte Dichte an „Konsumenten“ kinderpornografischen Materials aufweist. Es handelt sich dabei vorwiegend um Männer. Dem Bericht, der anlässlich des Weltkindertages am 20. November 2008 veröffentlicht wurde, lässt sich entnehmen, dass sich die Zahlen in den letzten vier Jahren verdreifacht haben. Europa ist das Epizentrum des Kinderpornografiemarktes. Das Onlinegeschäft mit den einschlägigen Bildern und Videos floriert. Ohne Zweifel sind solche Rankings immer mit Vorsicht zu genießen und müssen unter Berücksichtigung verschiedenster Faktoren nach oben oder unten korrigiert werden. Nur nach denselben Kriterien ermittelte Daten sind miteinander vergleichbar. Problematisch wird es schon bei der strafrechtlichen Definition von „Kinderpornografie“. Nicht nur weltweit, sondern auch bereits innerhalb der Europäischen Union gibt es zwischen den einzelnen Mitgliedsländern erhebliche Unterschiede, und zwar aufgrund der Tatsache, dass Eingriffe in das Strafrecht nach wie vor der staatlichen Souveränität vorbehalten bleiben. Während beispielsweise in Italien und Deutschland unter Kinderpornografie all jene Arten der Darstellung sexueller Vorgänge oder Abbildungen von Geschlechtsteilen Minderjähriger fallen, die auf den Reiz der sexuellen Begierde ausgerichtet sind, fasst der österreichische Gesetzgeber den Begriff um einiges enger. 18

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Täglich sieben neue Opfer allein in Italien Nichtsdestotrotz bleiben die Zahlen in ihrer Gesamtheit alarmierend und zeichnen ein trauriges Spiegelbild unserer Gesellschaft. Zum einen, weil der Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und Gewalt immer noch unzureichend ist; Straftätern gelingt es nach wie vor, an Kinder heranzukommen und diese durch die Herstellung von Bildern und Videos kinderpornografischen Inhalts zu missbrauchen – zum Zweck der Erregung der eigenen oder der fremden sexuellen Begierde. Und dabei ist nicht an den fremden, bösen Mann zu denken, sondern in 70 bis 80  Prozent der Fälle an Personen aus dem nahen sozialen Umfeld des Kindes. Allein in Italien werden im Schnitt pro Tag sieben neue Kinder Opfer von Kinderpornografie. Zum anderen aufgrund der Tatsache, dass die Nachfrage nach Kinderpornografie ungebremst hoch ist, und zwar vorwiegend nach Fotos und Filmen von Kindern im Alter zwischen 7 und 14 Jahren, vermehrt aber auch von Kleinkindern und sogar Säuglingen. Sie stellt daher für den Anbieter einen sehr lukrativen Wirtschaftszweig dar, den er über das Internet ohne größeres Risiko bedienen kann. Der mit Kinderpornografie erzielte weltweite Umsatz beläuft sich laut der internationalen Kriminalpolizei Interpol auf 17 Milliarden Euro.

Das Verbrechen in seiner ganzen Dimension bekämpfen Italien zählt in Europa zu den Ländern mit dem strengsten Strafgesetz gegen Kinderpornografie, sowohl was den Strafrahmen als auch was den Inhalt der einzelnen Normen anbelangt. Mit einer Gefängnisstrafe von sechs bis zwölf Jahren und einer Geldstrafe von 25.822 bis 258.228 Euro wird bestraft, wer Minderjährige unter achtzehn Jahren benutzt, um pornografische Darbietungen, wie zum Beispiel erotische Shows, zu veranstalten oder pornografisches Material in Form von Fotos oder Filmen herzustellen. Mit dem gleichen Strafrahmen hat zu rechnen, wer mit dem kinderpornografischen Material Handel treibt. Eine vergleichsweise geringere Strafe trifft hingegen diejenigen, die das Material, auch über Internet, verbreiten oder veröffentlichen,

einem anderen anbieten oder überlassen, entgeltlich oder unentgeltlich. Ins Auge gefasst wird auch, wer Informationen verbreitet, zum Beispiel über Chat, SMS oder Handycam, um damit potenzielle Opfer anzulocken. Neben diesen Straftätern auf der Angebotsseite wird schließlich noch der Konsument der „Ware Kind“ bestraft. Der Besitz von kinderpornografischem Material wird mit einer Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren und einer Geldstrafe geahndet. An der Typologie der unter Strafe gestellten Verhaltensweisen ist klar erkennbar: Das Verbrechen der Kinderpornografie soll in seiner ganzen Dimension erfasst und bekämpft werden. Seit 2006 auch, wenn es sich bei dem hergestellten, gehandelten, verbreiteten, überlassenen oder besessenen Material um sogenannte virtuelle Kinderpornografie handelt, das heißt um Abbildungen, die durch grafische Bearbeitung anderer Bilder entstehen und dann den Anschein eines wirklichen Geschehens erwecken. Aufgrund der Schwierigkeit, oder genauer, der Unmöglichkeit, in diesen Fällen das Opfer zu bestimmen und somit den Eingriff des Strafrechts mit der Verletzung des Rechtsguts einer Person zu rechtfertigen, wird diese Neuerung von der Rechtslehre sehr kritisch gesehen. Der Gesetzgeber habe hier im Bemühen, der Kinderpornografie endgültig habhaft werden zu können, über das Ziel hinausgeschossen.

Eine moderne Form der Versklavung

Damit das Kind das Recht behält, Kind zu sein Die strafrechtlichen Normen sind vielversprechend. Zu dünn gesät sind allerdings die Erfolge, die damit bisher im Kampf gegen Kinderpornografie erzielt werden konnten, auch um auf künftige Straftäter abschreckend wirken zu können. Welche Schritte sind daher zusätzlich zu setzen? Hier müssen wir uns fragen, was das Entstehen der beschlagnahmten Bilder hätte verhindern können. Vielleicht die Chance, die dem Kind geboten worden wäre, sich zu öffnen und jemandem anzuvertrauen, das Vermögen der Vertrauensperson, die physische und psychische Not des Kindes zu erkennen und darauf angemessen zu reagieren, vielleicht aber auch das Kind selbst, das gestärkt durch sein Selbstbewusstsein und im Vertrauen auf seine Gefühle und Bedürfnisse sich der Einschüchterung und Gewalt des Straftäters widersetzt. Diese Mutmaßungen sollen weder verunsichern noch Hysterie aufkommen lassen. Sie sollen vielmehr einerseits animieren, das Kind zu stärken und andererseits uns alle wachrütteln und uns Mut machen, hinzuschauen und Verantwortung zu übernehmen. Damit das Kind das Recht behält, Kind zu sein.

Mit Sicherheit vorbildlich bleibt hingegen die Einstufung der Kinderpornografie als eine moderne Form der Versklavung nach Maßgabe einschlägiger internationaler Vereinbarungen. Damit wird der Schwere des Verbrechens Rechnung getragen. Nicht nur durch die Herstellung, sondern auch durch das In-UmlaufBringen von Kinderpornografie und schließlich durch deren Konsum wird das Kind seiner physischen und psychischen Integrität, die seine Person ausmachen, beraubt. Es wird nicht mehr als Person, sondern als Objekt angesehen, das eingesetzt wird, um die sexuelle Begierde pädophiler Straftäter zu reizen und zu Margareth Helfer befriedigen. Das Kind wird zum Objekt, zur gewinnbringenden Universitätsassistentin an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Ware, die auf dem Kinderpornografiemarkt landet. Institut für Italienisches Recht/Strafrecht und Rechtsanwältin in Bozen

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Die rechte Szene Strymer – Streetwork und mobile Jugendarbeit Der ehrenamtlich tätige Verein „Streetwork und mobile Jugendarbeit“ wurde vor zwei Jahren von mittlerweile zehn Jugenddiensten, Jugendtreffs und Jugendzentren des Burggrafenamtes gegründet. Die Leitung des Vereins erfolgt durch einen Koordinator oder eine Koordinatorin, welche im Namen des Vorstandes von Strymer agieren. Der Vorstand verkörpert dabei das sogenannte operative Gremium. Derzeit besteht der Vorstand aus drei Mitgliedern: dem Präsidenten Thomas Sigmund, ­Verena Hübner Weger und Klaus Hölzl. Weitere unterstützende Gremien sind das Koordinierungsteam, welches für operative Richtlinien und die längerfristige Festlegung der Interventionsprioritäten verantwortlich ist, sowie das Leitungsteam, welches aus hauptamtlichen Jugendarbeiterinnen und -arbeitern besteht und eine Brückenfunktion zwischen Mitgliedsvereinen, Jugendlichen und Strymer darstellt. Die Tätigkeit der Streetworkerinnen und Streetworker findet an den Treffpunkten der Jugendlichen statt. Dabei treten sie an Jugendliche unabhängig von Richtung, Szene und Subkultur heran. Bei Bedarf stehen sie beratend und begleitend zur Seite.

Straßensozialarbeit, speziell mit Jugendlichen extremer Gruppierungen stellt für die Streetworker eine große Herausforderung dar. So arbeitet der Verein Strymer zum Beispiel mit Jugendlichen aus der rechten Szene. Bei diesen Jugendlichen verallgemeinert die breite Masse gerne und spricht entweder einheitlich von Skinheads oder von Neonazis. Es gilt jedoch einiges zu beachten, denn nicht jeder Skinhead ist Nazi und umgekehrt.

Grundprinzipien Milieunähe: Die Zielgruppe wird an ihren Aufenthaltsorten aufgesucht, dabei wird die Lebensweise der Jugendlichen akzeptiert. Parteilichkeit: Streetworker und Streetworkerinnen vertreten die Interessen der Jugendlichen und stehen auf ihrer Seite. Sprachrohrfunktion: Die Bedürfnisse der Jugendlichen werden erfasst und an die entsprechenden Stellen weitergeleitet. Ressourcenorientierung: Die Ressourcen der Jugendlichen werden gefördert und gemeinsam ausgebaut. Freiwilligkeit: Die Kontakte, Inhalte und Problemlösungen werden nur gemeinsam mit den Jugendlichen und in ihrem Einverständnis aufgebaut. Mobilität und Flexibilität: Die Streetworker richten sich nach den Jugendlichen, ihren Zeiten und ihren Aufenthaltsorten. Erreichbarkeit/Niederschwelligkeit: Die Kontaktaufnahme ist gänzlich unbürokratisch. Kontinuität: Eine kontinuierliche und zielführende Arbeit muss erfolgen, um die Jugendlichen bestmöglich zu betreuen. Öffentlichkeitsarbeit: Ist unverzichtbar und erfolgt über Berichte in Medien und Jahresberichte. 20

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Skinheads Die Skinhead-Bewegung entstand in den 1960-er Jahren in Groß­ britannien als unpolitische Jugendkultur mit einer eigenen, ausgeprägten Musikszene. Den Namen erhielt sie dadurch, dass bei der Frisur der Szeneangehörigen die Kopfhaut durch die Haare durchschimmerte. Skinheads stellten entgegen der Berichterstattung in der Presse keinesfalls eine Gegenreaktion auf die Studentenbewegung und den Hippie-Kult der 1960-er Jahre dar. Schulverweise waren kein Drama und wurden von den Eltern hingenommen, Eigentumsdelikten oder Vandalismus stand man, sofern diese nicht im eigenen Viertel passierten, gelassen gegenüber. Gewalt gegenüber Fremden, also gegenüber jedem und jeder, der oder die nicht in dieser Sozialstruktur aufgewachsen war, war die beinahe selbstverständliche Umsetzung der politischen Ethnizität. Hier ist also das Fundament für den Rassismus, der den Skinheads – nicht zu Unrecht – nachgesagt wird, zu finden.

1969, und damit wenige Monate nach der großen Vietnam-Demonstration, wurde der Skinhead-Kult für ein Jahr die beherrschende Jugendkultur in Großbritannien. Etwa zehn Jahre später kamen die „Skins“ wieder zurück auf die Straße. Der Mob war und ist männlich. Der „Kerl“ zeigte sich als solcher: hart – weit weniger smart als zehn Jahre zuvor, häufig kahl rasiert, mit Bomberjacke und T-Shirt mit provozierendem Aufdruck, Hosenträgern und „Domestos-Jeans“ oder Army-Hose, die Hosenbeine weit nach oben gekrempelt oder gar abgeschnitten, damit die Ranger‘s oder Doc Martens auch in ihrer vollen Pracht zu sehen waren.

Rechte Skinheads

ebensolche Ideologie vertreten. Treibende Kräfte sind meist Vertreter der Weltkriegsgeneration. Sie bekennen sich offen zur Ideologie und Weltanschauung des deutschen Nationalsozialismus. Die Verbrechen dieser Zeit werden meist geleugnet oder verharmlost. Im Gegensatz zu rechtsextremistischen Skinheads haben die Anhänger der Neonazi Szene einen weitaus stärkeren Drang zu zielgerichteten politischen Aktivitäten. Kennzeichnend für Neonazis ist das Eintreten für einen totalitären Führerstaat nationalsozialistischer Prägung, für offenen Rassismus und Fremdenhass sowie ihre antisemitische Einstellung. Sie verfolgen eine aktionistische Strategie und fallen in der Öffentlichkeit vor allem durch Demonstrationen auf. Durch den weitgehenden Verzicht auf vereinsähnliche Strukturen hofft die Neonaziszene Vereinsverbote zu unterlaufen. Als Ersatz hierfür dienen Kameradschaften.

„Strength through Joy“ (oi) = Kraft durch Freude, das ist das Motto der rechten Skinheads, angelehnt an einen Spruch aus dem Dritten Reich. Als die Skinheads 1980 von den Britischen Inseln nach Deutschland kamen, interessierten sich Jugendliche im Dunstkreis rechtsgesinnter Gruppierungen und Parteien für den militärischen Kleidungsstil und die weißen Schnürsenkel, als politisches Sinnbild für die Überlegenheit der weißen Rasse. So machte die gesamte Szene einen Schwenk nach rechts. Die Mitglieder rasierten sich den Kopf täglich mit Messern kahl. Ihre Vorbilder waren und sind „Arier“ und Wikinger. Außerdem glauben sie an die Weltverschwörung. Bei uns nennt man sie auch Hammerskins oder Boneheads (Knochenköpfe). Gewaltbereite Skinheads haben ein diffuses Weltbild, das von fremdenfeindlicher, oft rassistischer und gewaltbejahender Abneigung gegen alles Fremde geprägt ist. Sie treten mit spontanen Faschisten Gewalttaten und aggressiver, volksverhetzender Musik in Erschei- Darunter versteht man Vereinigungen, die sich ausdrücklich auf nung. Letztere ist für Jugendliche besonders attraktiv. Vorbilder des Faschismus beziehen und eine ebensolche Ideologie vertreten. Treibende Kräfte sind ebenfalls meist Vertreter der Weltkriegsgeneration. Interessant ist, dass der Faschismus Nazis und Neonazis in Italien zwar entstanden ist, die Jugendlichen in unserem Land Von Nazis, also Nationalsozialisten, spricht man nur, wenn man aber fälschlicherweise als Nazis bezeichnet werden. In Deutschsich auf die Jahre 1933–1945 bezieht, genauer auf die Zeit des land wo der Ursprung der Nazis liegt, bezeichnet man diese JuNationalsozialismus. Dieser Begriff ist heutzutage der in den Me- gendlichen als Faschos, also Faschisten. dien am häufigsten gebrauchte. Unter Neonazis versteht man Vereinigungen, die sich ausdrück- Sara Ladurner lich auf Vorbilder des Nationalsozialismus beziehen und eine Streetworkerin beim Verein „Streetwork und mobile Jugendarbeit“, Meran Jänner 2009

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