Ullrich-Turner Syndrom (UTS) Empfehlungen zu Diagnose, Betreuung und Therapie

Arbeitsgruppe Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie de r Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde Ullrich-Turner Syndrom ...
Author: Susanne Maurer
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Arbeitsgruppe Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie de r Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde

Ullrich-Turner Syndrom (UTS) Empfehlungen zu Diagnose, Betreuung und Therapie Für die APED G Haeusler, W Högler, O.Rittinger und K Schmitt Version 1/2006

Publizierte Empfehlungen zu Diagnose und follow-up Sybert et al NEJM 2004, Stahnke Monatsschrift 2004, Brämswig 2002; Ranke & Sänger Lancet 2002; Sänger et al JCEM 2002; Publizierte Empfehlungen und Endlängendaten The Canadian Growth Hormone Advisory Committee JCEM 2005; Sänger et al JCEM 1999 Literatur zu Empfehlungen bei UTS im Erwachsenenalter Gravholt CH Europ J Endocrinol 2004; Elsheik-M et al Endocr Rev 2002

Ullrich Turner Syndrom, APEDÖ, Version 01/2006

UTS

Definition

Fehlen oder Anomalie des zweiten Geschlechtschromosoms in allen Zellinien oder als Mosaik

Häufigkeit

1:3000 aller weiblichen Neugeborenen (nur 1% aller 45 X Embryonen überleben)

Diagnose

Pränatal (Zottenbiopsie, Amniozentese) • Ultraschall: - unspezifisch: increased nuchal translucency - UTS spezifischer: Zystisches Nacken-Hygrom, AIST • Hohe Rate an Abtreibungen Postnatal (Zytogenetik, ausreichende Zahl an ausgezählten Zellen (50), evtl auch Fibroblastenkultur) Pränatal erhobener zytogenetischer Befund sollte postnatal wiederholt werden. Mit klinischem Bild vertraute Berater involvieren! Karyotyp indiziert bei: Unklarem Minderwuchs, Pubertas tarda Lymphödeme als Neugeborenes, Linksherzvitien (AIST, hypoplastisches Linksherz) Typischer Phänotyp(su) Erhöhtem FSH präpubertär Abfall der Wachstumsgeschwindigkeit < 10.Pzt UTS Screening kontroversiell beurteilt

Klinische Befunde (relative Häufigkeit > 50%: Gravholt, Elsheikh, Sybert, u.a.) ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Kleinwuchs (95-100%) Pubertas tarda (85%), Infertilität ( 98%), chronischer Östrogenmangel (95-98%) Glukoseintoleranz (15-50%), erhöhte Leberenzyme ( 50-80%),Hypertonie(50%) Mittelohrinfektionen (60%),Schwerhörigkeit, Mikrognathie (60%) Vitien (20-25% gesamt, 40% 45 XO): Bikuspide Aortenklappe, AIST Nierenfehlbildungen (25-43%) (Hufeisenniere, Rotationsanomalien, Nierenaplasie) Minor abnormalities (siehe Lit)

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Spontanes Wachstum Vermindertes Wachstum pränatal Abfall der Wachstumsgeschwindigkeit ab erstem Lebensjahr Fehlen (Verminderung) des pubertären Wachstumsschubs Erwachsenen-Endlänge ca. 20 cm unter genetischer Ziellänge (141,7-146,9cm) UTS Kurven stehen zur Verfügung (Anhang) Körperproportionen bei 90 % verändert (SH/LL minus 3-4 SDS) BMI, W/H, Fettmasse (Stamm, Arme) bei UTS höher

Pubertät und Fertilität Entwicklung der Ovarien bis zur 14. SSW unauffällig, dann beschleunigter Untergang der Eizellen und bindegewebige Umwandlung (Streak Gonaden) Teilweise kontroversielle Studien zur ovariellen Restfunktion Spontaner Pubertätsbeginn (variable Ausprägung) bei 30% Spontane Menarche bei 2-5-% Spontane Schwangerschaften sehr selten (s.u.) Zum Thema Y Material und Gonadoblastomrisiko: ¾ ¾ ¾ ¾

Fertilität

Y material positiv: 8 % unselektierter Patienten Screening nach Y-Material (DNA Hybridisierung, FISH): bei UTS Patientinnen mit Virilisierung oder Markerchromosomen empfohlen Gonadoblastomrisiko: (in situ KeimzellTu) bei Vorhandensein von Y-Material: 7-10-30%. Empfehlungen kontroversiell: Gonadektomie vs. sonografischer/klinischer Observanz.

Spontane Schwangerschaft bei < 5%, davon viele komplizierte Verläufe: 40% spontaner Abort, 37% Risiko für chromosomale Anomalien Schwangerschaften kompliziert durch kardiovaskuläre Probleme Keine einheitlichen Empfehlungen für Kryopreservation.

Andere endokrine Befunde Erhöhte Frequenz von SD Funktionsstörungen ¾ Hypothyreose, latente Hypothyreose ¾ Erhöhte Frequenz von SD AK (va bei Isochromosom) ¾ auch euthyreote Pat haben erhöhtes TSH Auch andere AutoAK, bzw Frequenz von Autoimmunerkrankungen erhöht (Zöliakie, Diabetes)

Eingeschränkte Glukosetoleranz schon bei Kindern mit UTS nachgewiesen, Verschlechterung durch Adipositas, reversible Verstärkung durch GH Therapie Effekt der Östrogentherapie widersprüchlich

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Nicht primär endokrine Probleme HNO

Rezidivierende Otitiden, SMT, Schalleitungsschwerhörigkeit bis zu 80% Zusätzlich im Erwachsenenalter zunehmende Innenohrschwerhörigkeit (58%) Einfluss GH Therapie auf HNO Komplikationen?

Leber

Erhöhung der Transaminasen bei 10-30 % der Kinder, 50-80% der Erwachsenen Zirrhoserisiko 5-fach erhöht Histologie: Portale Fibrose, entzündliche Infiltrate, Steatose, noduläre regenerative Hyperplasie Ursachen: Übergewicht, Insulinresistenz,Cholestase Am wahrschenlichsten angeborene vaskuläre Pathologie Kein negativer Einfluss durch GH Therapie Positiver Einfluss von Hormonersatztherapie (HRT) im Erwachsenenalter

Gastrointestinale Erkrankungen Erhöhtes Risiko für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (2-3 %) (v.a. Isochromosomen) und gastrointestinale Blutungen Kein erhöhtes Risiko für Malignome ausser Gonadoblastom (so), und evtl Dickdarm Ca (Gravholt)

Hypertonie

30% -50%UTS Pat im Kindesalter mild hypertensiv Erwachsene: 50% UTS Pat haben klinische Hypertonie: „Non dippers“ mit kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert HRT wirkt antihypertensiv

Spezifische Lernprobleme Häufig NLD (nonverbal learning disabilities) Ausgeprägtere Entwicklungsverzögerung bei etwa 10% Schullaufbahn / Berufsausbildung wie in Gesamtpopulation

Probleme bei Erwachsenen Hyperlipidämie, Hypertonie, kompensierte Hypothyreose, Adipositas Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen Risiko für Typ II Diabetes 2-4fach erhöht Aortendissektion bei 60 Patienten publiziert Risikofaktor Hypertonie, Klappenanomalien, Schwangerschaft (IVF)

Knochen Risiko für Frakturen (und Osteoporose) bei erwachsenen UTS Patientinnen erhöht. ( Unterarm- und Hüftfrakturen). Bei Kindern und Jugendlichen fehlen Inzidenz-Studien. Östrogen wichtig für den Aufbau normaler Knochenmasse und -stärke während des Wachstums. Zeitgerechte Pubertätsinduktion essentiell (Vermeiden einer transiente Osteopenie). Für das Timing der Pubertätsinduktion sollte daher der Benefit für die Endlänge gegen das Risiko für eine Osteopenie oder spätere Frakturen abgewogen werden. Sowohl die HRT als auch die hGHTherapie wirken sich protektiv auf die Knochenstärke aus. Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Betätigung ist anzuraten, auch weil UTS Patientinnen zu Übergewicht neigen.

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Therapie 1. WACHSTUMSFÖRDERNDE THERAPIE Publizierte Dosen WH Monotherapie 0,025-0,1 mg/kg/Tag. Unter sehr hohen Dosen können supraphysiologische IGF-I Werte erreicht werden Kanadische Studie (bisher einzige mit Kontrollgruppe): +7,2 cm Endlängengewinn unter 0,047mg/kg/d Korrelation Therapieerfolg/GH Dosis signifikant, aber nicht linear (Sicherheitsaspekte, Kosten mitüberlegen)

Empfehlung aus Multidisziplinärem Workshop 2000 (Saenger et al JCEM), ergänzt durch Daten aus der Literatur 2005 Jüngeres Alter bei Therapiebeginn mit besseren Endlängen verbunden Beginn nach Knochenalter 12 Jahre mit geringem Therapieerfolg verbunden Dosis zu Beginn 0,05mg/kg/Tag Evtl. Dosisanpassung je nach Ansprechen oder je nach IGF-I (< +2SD) Therapieende bei Wachstumsgeschwindigkeit < 2cm/a Risken langjähriger supraphysiologischer IGF-I Dosen sind unklar Auch IGF-I Werte von ca +2 SDS sind nicht Langzeit-untersucht

2. PUBERTÄTSINDUKTION UND HORMONERSATZTHERAPIE Vor Beginn Etwa 30% der Patienten können spontan pubertieren, 2-5% haben spontane Menses. Vor Beginn einer HRT sollte die Gonadeninsuffizienz bestätigt werden - Hormonstatus, Ultraschall inneres Genitale. Prinzip Simulation der normalen Pubertät, zufriedenstellende Feminisierung Beginn mit niedrig-dosiertem Östrogen mit 12 Jahren (bis spätestens 14 Jahren je nach Endlängenprognose und Alter bei Beginn hGH Therapie). Steigern in 6-monatigen Schritten bis zur vollen Feminisierung nach 2,5-3 Jahren. Steuerung je nach Brustentwicklung, Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale, Knochenalter und Wachstum. Zusatz eines zyklischen Gestagens nach der ersten Abbruchsblutung oder bei Erreichen der mittleren Substitutionsdosis (nach etwa 2 Jahren Östrogen, siehe Tabelle). Dauersubstitution danach als • Hormonersatztherapie (HRT) (28d ohne Östrogenpause): zu bevorzugen; idealerweise als kontinuierliches 2- oder 3-Phasenpräparat • Zyklische „Pille“ (21d mit 1-wöchiger Östrogenpause): Vorteil = gleich sein wie die anderen; großer Nachteil: 1-wöchige Pause entspricht 3 östrogenfreien Monaten/Jahr

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Östrogen-Äquivalentdosen/Tag Ethinylestradiol Estradiol Estradiolvaleriat,E2- hemihydrat Transdermales Estradiol Gel Transdermales Estradiol Pflaster

10µg 1mg 1mg 0.9mg 25µg (2xWoche)

Durchschnittliche Estradiolkonzentrationen/Tannerstadium B1 24 Mo 1mg/d

2mg/d

¼ 25µg 2x/Wo

½ 25µg 2x/Wo

¾ 25µg 2x/Wo

25µg 2x/Wo

50µg 2x/Wo

0,75mg alle 2d

0,75mg/d

Praktischer Hinweis: Die im Handel erhältlichen Östradiolpräparate sind als Dragees nicht teilbar. In Österreich erhältlich ist Östradiol-Hemihydrat, über Deutschland Östradiol-Valerat, es empfiehlt sich zumindestens für das erste Therapiejahr Kapseln abwiegen zu lassen: Rezept z.B. Östradiolhemihydrat 0,1mg Kapseln magistraliter rezeptieren. Ohne chefärztliche Bewilligung wird der Monatsbedarf auf Kassenrezept bereitgestellt. Gestagen: Ab Dosis 1mg Östradiol im dritten Jahr in Kombinationspräparaten zu erhalten (s.o) Bei erheblichem Über- oder Untergewicht sollte die Dosis individuell angepasst werden

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Empfehlungen zu Untersuchungen/Betreuung Bei Diagnose

Ultraschall Herz, Nieren. Anamnese bzgl HNO, Kieferorthopädische Probleme Gespräch bzgl spezifischer Schulprobleme (Teilleistung, etc) Therapieoptionen besprechen Aktuellen Stand der Therapieeffekte besprechen Kontakt zu Selbsthilfegruppe anbieten

Jährliche klinische Kontrollen Gespräche über aktuellen Stand wachstumsfördernder Therapie. Monitoring Skoliose, BMI. Ab Alter 4-6 Jahre TSH, fT4, SD- AK, Transaminasen, RR

Gonadenfunktion:

Orientierende FSH Bestimmung im Alter von 12 Jahren ggf Ultraschall inneres Genitale; ev. LHRH Test

hGH Therapie:

Beginn WH Therapie individuell, früherer Beginn zeigte besseres Ergebnis Unter WH Therapie: Zusätzlich IGF-I, nüchtern BZ und Insulin

Koordinieren:

HNO, Kieferorthopädie Basisuntersuchungen Bei Bedarf Orthopädie (Skoliose) Teilleistungstestung, Schuleignung vor Schuleintritt

Transition:

Wiederholung Herzultraschall auch bei negativem Befund anlässlich Diagnose Überleitungsgespräch mit Internisten, spezialisiertem Gynäkologen Betreuung in spezialisiertem Zentrum zu empfehlen, wird oft schlecht angenommen (Stigmatisierung). Vorteil: Bessere Betreuungsqualität und Beratung bzgl IVF, etc Betreuung im niedergelassenem Bereich:Nachteil: Hohe drop-out Rate, viele UTS Frauen untersubstituiert, Langzeitdaten (zB Langzeit Effekte von Therapien) gehen verloren

Betreuung im Erwachsenenalter: Bei kongenitalem Vitium oder minimaleren Klappenanomalien: Herzecho Kontrollen RR, SD, Lipide, Glukosetoleranz, Leberfunktion DEXA Messung mit etwa 20-25 Jahren (Peak Bone Mass): Ausgangspunkt für spätere Messungen (Anpassung des Messwertes an Körpergröße) Die Körperlängen SDS korreliert relativ gut mit der BMD oder BMC SDS bei der Ganzkörper-DEXA Messung (z.B. Länge -4 SD = BMD -4SD; wahrscheinlich normal)

Selbsthilfegruppe: Österreichische Turner-Syndrom Initiative (ÖTSI) www.oetsi.at

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Literaturempfehlung Impact of GH supplementation on adult height in TS: Results of the Canadian Growth Hormone Advisory Committee. Controlled trial. JCEM 90: 3360-3366 (2005) Adult height and pubertal growth in TS after treatment with recombinant GH. Soriano-Guillen et al (F) JCEM 90:5197-5204 (2005) Growth hormone treatment of short stature: Status of the quality of life rationale. Sandberg DE, Colsman M. Horm Res.2005;63(6):275-83. MANAGEMENT OF GENETIC SYNDROMES Sybert V In: Susanne Cassidy /Judith Allanson (Wiley-Liss, 2005), Gonadoblastoma in Turner syndrome and Y-chromosome-derived material Mozzanti et al. Am J Med Genet; 135(2): 150-154 (2005) Turner`s Syndrome. Sybert, Mc Cauley. NEJM 16;351:1227-38 (2004) UTS und Noonan Syndrom. Stahnke-N. Monatsschrift Kinderheilk (2004) Epidemiological, endocrine and metabolic features in Turner syndrome. Gravholt CH. European Journal of Endocrinology 151;657-87 (2004). Adulthood in women with Turner syndrome. Ostberg JE and Conway GS. Horm Res 59:211-221 (2003) Das Ullrich Turner Syndrom Diagnostik-Therapie-Forschung. JH Brämswig UniMed Verlag (2002) Turner’s syndrome in adulthood. Elsheik M et al. Endocr Reviews 23:120-140 (2002) Turner’s syndrome. M Ranke & P Saenger. Lancet 358: 309-314 (2001) Recommendations for the diagnosis and management of Turner syndrome. Saenger P et al. JCEM 86: 3061-3069 (2001) Growth during the first 3 years of life in TS. Even L et al. J Pediatr 137: 460-464 (2000) Growth promoting strategies in TS. Sänger-P, JCEM 84: 4345-48 (1999)

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