STIMMEN AUS DEM SÜDEN – 03 / 2007
UCIRI und die sixtinische Kapelle Dass die UCIRI etwas mehr ist als eine reine Kaffeebauerngenossenschaft, habe ich in den letzten Newslettern bereits erwähnt. Dennoch war mein Erstaunen riesig, in dieser einsamen armen Gegend auf ein kulturelles Highlight zu stossen, dass Kulturstädten wie Oaxaca oder Queretaro gut anstehen würde…
Die «sixtinische Kapelle», ausgemalt von Raul Guzman
Die Sonne ist eben unter den südlichen Hügeln untergegangen, lässt noch einen letzten Strahl über das UCIRI-Gelände blitzen und läutet damit den Feierabend ein. Ein paar Mädchen schlendern lachend über den Platz, tun so, als würden sie mich nicht bemerken und kichern dann, dass sich das helle Gluckern wie ein Klangteppich über den grossen Hof legt. Begleitet werden sie von einem süssen, exotischen Duft, der zu dem ruhigen Frieden, welcher sich über das Gelände gebreitet hat, passt. Sie kommen von der Marmeladenzubereitung, haben die Früchte sortiert und in Stücke geschnitten. Auf der Treppe vor dem «Restaurant» sitzen ein paar Junge; plaudern gemütlich. Noch ist nicht Essenszeit. Die Einen machen eine Arbeit fertig, andere waschen sich, und die weniger Müden schieben einen Ball hin und her, ohne sich ernsthaft um ein Tor zu bemühen. Der «Jefe de Bodega» quält sich mit der grossen Schiebetür ab, vergewissert sich, dass
er auch alles abgestellt hat und schliesst mit einem zufriedenen Blick das Vorhängeschloss. Langsam schlendert er auf mich zu und meint mit einem Blick auf einen der Jungen auf der Treppe: «Mit dem kannst du französisch sprechen, das ist unser Künstler.» Natürlich ist meine Neugierde geweckt. Ich gehe auf den Künstler zu: «tu parles français?» Er grinst mich breit an und meint dann auf spanisch: «Ach Rodo, damit ist nicht so weit her!» Ein wenig erstaunt bin ich schon, dass er mich mit Rodo anspricht, aber immerhin bin ich schon bald drei Tage hier. Zwar habe ich mit ihm nie gesprochen, aber irgendwer scheint meinen Namen erwähnt zu haben. «Erinnerst du dich nicht mehr an mich?» Jetzt bin ich wirklich etwas sprachlos. Raul ist mir nicht böse. «Du hattest doch vor ein paar Jahren ein Cafe in Salina Cruz – Rodo’s Café Istmeño -, stimmts?» Natürlich, Raul Guzman hatte auf Geheiss des lokalen UCIRI-Verkäufers den Eingang meines Lokales bemalt. Erst war ich nicht eben begeistert von der Idee, dass mein Laden als Werbeträger hinhalten sollte, auch wenn ich selbstverständlich nur UCIRI-Kaffee verkaufte. Aber die Leichtigkeit, mit der er mit wenigen Pinselstrichen eine Kaffeepflanze stilisierte, das Geränke immer dichter werden liess, machten mir bald klar, dass hier nicht einer der üblichen Werbepinsler am Werk war, sondern ein wahrer Künstler versuchte, einer eher banalen Aufgabe einen persönlichen Stempel aufzudrücken. Da ich in meinem Café Bilder eines Oaxaquenischen Malers ausgestellt hatte, früher in der Schweiz als Galerist tätig war, verbrachten wir einen sehr angeregten Tag voller Fachsimpeleien, ohne dass das Lachen zu kurz kam. So kamen wir auf die Idee, dass «organisch» ja eigentlich am besten auf einem Körper zum
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Tragen käme, und fragten eine bildhübsche Kundin, ob sie nicht für ein Werbe-Bodypainting bereit wäre, um dann nur betreten-blöd zu grinsen, als sie zu unserem Schrecken meinte: «Tönt interessant!» Raul Guzman ist also so etwas wie der Hofkünstler der UCIRI – was für eine angenehme Überraschung. Wir verabreden uns, nach dem Abendessen im Restaurant noch ein wenig zu plaudern. So gegen neun Uhr gehen die Menschen hier schlafen, nur die Köchin bleibt auf, um dann hinter uns schliessen zu können. Kurz vor Mitternacht schlurft sie schlaftrunken an unseren Tisch und meint, das könne ja wohl noch lange dauern. Wir werden angewiesen, den Schlüssel dann – falls wir überhaupt vor hätten zu schlafen – zu deponieren, wir wünschen eine gute Nacht und schon bin ich wieder von den Erzählungen Rauls gefangen.
So richtig jung ist Raul auch nicht mehr. Vor mehr als zehn Jahren fing er bei UCIRI an, und da war er 25 jährig. Seine Tätigkeit ist ganz kurz nicht zu umschreiben. Anfänglich waren Kunst- und Gitarrenunterricht seine Hauptaufgaben, bevor der Schulbetrieb aus finanziellen Gründen grossenteils eingestellt werden musste. Daneben ist er aber für jegliche Art von Gebäudeschmuck zuständig, was natürlich auch das Bemalen mit den verschiedensten Slogans beinhaltet. An allen Ecken und Enden kann man hier motivierende Botschaften bewundern. Dabei wird die Kraft der istmenischen Frau genauso beschworen wie die Identität zapotekischer Indios, Gerechtigkeit wird gefordert und Solidarität gepriesen. Noch immer sind mir solche Malereien fremd, auch wenn sie mir tausendmal lieber sind als
die ewigen Lügen der Parteien und Politiker, die noch viel marktschreierischer das Bild des südlichen Mexicos beherrschen.
Aber Raul ist auch der Grafiker der UCIRI, und damit hat er schon ganz schön zu tun. Viele der Kaffeepflanzer sind ja der Schrift kaum mächtig, und ein Hinweis, eine Mahnung in Bildform sind effizienter denn tausend Worte. Diese Form der Bildsprache waren ja auch der Ursprung der ganz grossen mexicanischen Werke: Die weltbekannten Murales von Rivera, Morales, Siquiero oder Orozco sind im Grunde nicht mehr als Geschichtsbücher an die Wand gepinselt. Oft sind auf mehr denn 12, 15 Metern hunderte von Jahren chronologisch gemalt – angefangen auf der linken Seite mit dem bäuerlichen Leben zur Zeit knapp nach der «Conquista» bis zu den heutigen Tagen mit Strommasten und Düsenjets. Und manchmal kann man in diesen Werken nicht ganz ohne Ironie feststellen, dass die Menschen unter den Jets weder in Aussehen noch in der Tätigkeit grossen Veränderungen unterlegen sind. Neben all diesen Aufgaben bietet die UCIRI Raul aber auch die Möglichkeit, sich künstlerisch weiter zu entwickeln. Er ist keinem Stundenplan verpflichtet, hat in seiner Zeitgestaltung wie auch in seiner Arbeit absolut freie Hand, was natürlich auch viel Vertrauen voraussetzt. Und dieses weiss er in seiner Art hundertprozentig zu rechtfertigen. Auch wenn er sich als Künstler sieht, ohne den geringsten Bluff ein gesundes Selbstbewusstsein hat, ist er sich nicht zu schade, da anzupacken, wo halt eben einmal eine helfende Hand gebraucht wird. So sah ich ihn in diesen Tagen beim Zementschleppen wie auch beim Wischen. «Ich
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bin Künstler», meinte er auf meine Frage, «Künstler mit jeder Faser. Aber ich bin genauso stark seit 10 Jahren ein UCIRIsti. Wir kämpfen doch alle für die selben Ziele. Ich mach das mit Farben, andere mit Kraft und Schweiss, wieder andere mit Büroarbeit. Aber im Grunde wollen wir doch alle das Selbe. Wir wollen hier in Einheit leben, wir wollen eine anständige Existenz, wollen unsere Wurzeln behalten und eine neue Einheit bilden. Schau meine Bilder an – es sind starke Farben und klare Gestalten. Und überall findest du Symbole wie auch Labels. Fairtrade oder Certimex, Solidarität oder Identität mögen als Schlagwörter gelten, für uns sind sie Inhalt. Ich male einen Bauern unter einem Fairtrade-Label, was für dich kitschig sein mag. Mir und meinen Leuten gibt das Kraft. Wir glauben an diese Ideen, wir müssen an diese Ideen glauben. Wir haben unser ganzes Leben, unsere ganze Zukunft darauf gebaut.
Und dann erzählt mir der Kunstmaler und Zementschlepper Raul Guzman von seiner Zeit in Kanada. Besucher der UCIRI waren begeistert von den Werken Rauls und luden ihn ein, in ihrem Geschäft ein reliefartiges Murale zum Thema «gerechter Handel» zu gestalten. Mit glühendem Blick erzählt er mir vom Werk seines Lebens, sprudelt, formt mit seinen Händen luftige Gestalten, beschreibt die Farben und vor meinem geistigen Auge scheint das Bild Wirklichkeit zu werden. Es ist ein erscheckendes Bild, mit einer deformierten Freiheitsstatue, mit wurmähnlichen Menschen in einer aufgerissenen, blutigen Erde, mit Kampfjets und verkrüppelten Bauern, höhnisch lachenden Worldbankers mit Dollar- und Eurobündeln winkend. Eine Apokalypse – eine drohende Zukunft! Das Bild
bezeichnet Raul als sein Lebenswerk – es existiert nicht mehr! Die Auftraggeber waren schockiert. Doch nicht so etwas. Das wäre der Ruin der Firma. Sie hatten doch etwas zum Thema «fairtrade» in Auftrag gegeben. So in etwa die lieben Weissen, die den armen dummen Indios ein Geldstück hinhalten, wenn sie denn auch schön lieb und fotogen lächeln würden, und am liebsten mit einer Sprechblase voller «Dankeschöns»!
Zehn Monate hatte Raul Guzman an seiner Schreckensvision gearbeitet, ist überzeugt, damit etwas Wichtiges geschaffen zu haben – vom künstlerischen wie auch vom inhaltlichen Wert. In einem weiteren Tag war das Werk vernichtet und zwei Monate später entstand ein neues Relief mit glücklichen Kindern und zufrieden lächelnden Müttern. Die Auftraggeber waren begeistert und Raul hatte sein Herzblut geopfert, weil er ja als UCIRI-Angestellter in Kanada war. Er wollte niemandem Schwierigkeiten bereiten. «Es hat weh getan», sagt er mir ganz schlicht, und dann noch «manchmal ist es schwer, euch zu verstehen». Für Raul sind Bio und Fairtrade Kampf. Kampf und Hoffnung. Oder genauer gesagt: Ohne Kampf gäbe es keine Hoffnung. Und dabei lächelt er, will alles nicht so eng sehen und sagt, er sei zufrieden. «Weisst du Rodo», meint er in seiner offenen Art, «wenn du ein Bild von mir kaufen wolltest, weil es dir richtig gut gefällt, so gäbe ich es dir lieber für tausend Pesos, als dass ich es für hunderttausend Pesos einer Person verkaufen würde, die es dann in den Keller stellt.» Das ist schwer zu verstehen, aber ich glaube ihm. Schon deswegen, weil er weiss, dass ich mir momentan kaum Kunst leisten
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kann, und vor allem, weil er kein einziges Werk mehr hat. Letztes Jahr war Raul ein paar Monate in Nizza, und da hat er schlichtwegs all seine Werke verkaufen können. Wer sich ein klein wenig im Kunsthandel der heutigen Zeit auskennt, der weiss, wie schwierig es für einen «noname» ist, überhaupt etwas zu verkaufen.
sein muss. Vergebens legt Raul nicht soviel Wert darauf, dass ich mir ein Bild mache. «Es ist eines meiner wichtigen Werke», sagt er mir beim Aufschliessen, «meine sixtinische Kapelle!» Raul stösst die Tür vor mir auf und ich stosse aus der kargen, braun-grauen Bergwelt in einen wahren Farbentaumel. Was für eine Lust,
Es geht gegen drei Uhr Morgens zu, und wir haben beide einen strengen Tag vor uns. «Nach dem Frühstück werde ich die Schlüssel für die Kapelle besorgen, ich möchte, dass du sie dir ansiehst.» Wir gehen schlafen.
einfach da zu stehen und das Auge trinken zu lassen, einzutauchen – noch ohne den Versuch, verstehen zu wollen. Raul scheint zu verstehen, macht keinen Versuch einer Erklärung, freut sich ob meiner Sprachlosigkeit. Mexicanischer kann nichts sein. Die starken Farben, die ernsten und dennoch frohen Menschen, die Symbolik, die Bildsprache. Obwohl die Figuren in einer unheimlichen Strenge gemalt sind, fehlt es nicht an Emotionen. Falls der liebe Gott eine Kirche braucht, so hat er hier einen Platz gefunden, wo er sich wohl fühlen kann. Das ist keine Blasphemie, sondern mein erster Gedanke. Und natürlich hat der Künstler Raul Guzman diesen Ort gebraucht, um all die Gedanken, die Werte und Hoffnungen dieser Menschen auszudrücken. Dieser Raum atmet den Wunsch nach einem schlichten aber gerechten Leben. Er zeugt von einer übersprudelnden Liebe zum Boden, von einer tiefen Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Dieser Ort ist
Auch wenn die frischen grünen Bohnen im Rührei noch so gut schmecken, meine Knochen weich und die Muskeln hart sind, so kann ich es kaum erwarten, die Kapelle zu sehen. Natürlich ist dieser kleine Bau etwas vom Ersten, was mir bei meiner Ankunft aufgefallen war. Immerhin ist Frans ein Padre, so erstaunlich scheint mir eine Kapelle nicht. Und als ich mir erlauben wollte, das Gebäude von innen anzuschauen, stand ich vor verschlossener Tür. Aber jetzt soll ich Gelegenheit haben, mir das Kleinod von innen zu Gemüte zu führen. Auch wenn ich keine Ahnung habe, was mich erwartet, so ist mir klar, dass es etwas Besonderes
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geschaffen, Kraft zu sammeln und Liebe zu spüren. Wer hier unberührt herauskommt, dem ist nicht mehr zu helfen.
auch nicht machen, und schliesslich macht es mir jedesmal mehr Spass, über diese Cooperative zu schreiben.
Ein Jahr hat Raul an der Kapelle gearbeitet erstaunlich wenig Zeit. Nein, sein eigentlicher Malstil sei das nicht, er würde sich zu den Surrealisten zählen. Das hier ist Muralismo reinsten Stiles. «Ich bin Mexicaner und wollte mit dieser Kapelle etwas aussagen. Im Muralismo kann ich es mir leisten, ein BioLabel zu malen, etwas zu schreiben, die erzählende Form ganz einfach ausdrücken. Das verstehen die Menschen hier.» Die Botschaft ist das Wichtigste, auf wenn die Art, diese Auszudrücken, reine Kunst vom Schönsten ist. So ganz nebenbei hat Raul auch noch die Scheiben in Blei gefasst, eine Glasmalerei gezaubert, die beim richtigen Licht herrlich sein muss. Ich habe weder die Zeit, noch stimmt der Einfallswinkel der Sonne, um mir dieses Schauspiel anzusehen.
Und wer weiss schon, was für Überraschungen mich in diesen wundersamen Hügeln noch erwarten. Istmo de Tehuantepec, rodo meier/www.bamba.ch
Fritz Bertschi AG – Kaffeerösterei Rührbergstrasse 13 CH-4127 Birsfelden Aber ich werde ja bald wieder kommen, Zeit haben, «meine» sixtinische Kapelle näher zu betrachten. «Eigentlich», so denke ich mir, «könnte ich mit den Fotos dieser Kapelle alles über die Ziele und Wünsche der UCIRI aussagen». Aber so einfach will ich es mir dann
Tel. 061 313 22 00 Fax 061 311 19 49
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