U r t e i l v o m 1 0. S e p t e m b e r

Bundesverwaltungsgericht Tribunal administratif fédéral Tribunale amministrativo federale Tribunal administrativ federal Abteilung IV D-178/2012/wif ...
Author: Adrian Küchler
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Bundesverwaltungsgericht Tribunal administratif fédéral Tribunale amministrativo federale Tribunal administrativ federal

Abteilung IV D-178/2012/wif

Urteil vom 10. September 2012

Besetzung

Richter Hans Schürch (Vorsitz), Richter Jean-Pierre Monnet, Richter Thomas Wespi; Gerichtsschreiberin Anna Dürmüller Leibundgut.

Parteien

A._______, geboren (…), Irak, vertreten durch lic. iur. Dominik Löhrer, Zürcher Beratungsstelle für Asylsuchende (ZBA), Beschwerdeführer, gegen Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand

Asyl (ohne Wegweisung); Verfügung des BFM vom 12. Dezember 2011 / N (…).

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Sachverhalt: A. A.a. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger armenischer Ethnie mit letztem Wohnsitz in B._______, verliess seinen Heimatstaat eigenen Angaben zufolge am 7. Februar 2007 und gelangte zunächst auf dem Luftweg nach Syrien, wo er sich ungefähr eineinhalb Jahre lang legal (mit Visum) aufgehalten habe, und danach in die Türkei. Am 19. Juli 2008 reiste er von dort via ihm unbekannte Länder illegal in einem Lastwagen in die Schweiz ein und stellte gleichentags im Empfangs- und Verfahrenszentrum C._______ ein Asylgesuch. Am 4. August 2008 wurde er dort summarisch befragt und in der Folge für die Dauer des Verfahrens dem Kanton D._______ zugewiesen. Am 2. Juni 2009 hörte das BFM den Beschwerdeführer gestützt auf Art. 29 Abs. 1 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) ausführlich zu seinen Asylgründen an. Am 14. Mai 2010 fand auf Wunsch des Beschwerdeführers eine weitere, kurze Befragung statt. A.b. Zur Begründung seines Asylgesuchs brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er sei im Alter von dreizehn Jahren der Baath-Partei beigetreten; dies sei quasi obligatorisch gewesen. Schon als Jugendlicher sei er militärisch ausgebildet worden und habe dabei an militärischen Übungen teilgenommen. Im Jahr 1982 habe er im Krieg gegen den Iran gekämpft und sei in der Folge mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden. Im April 1983 habe er den ordentlichen, obligatorischen Militärdienst angetreten. Nach der Grundausbildung sei er – als Parteimitglied – dem militärischen Geheimdienst (al-Istichbaraat al-Askarija) zugeteilt worden und habe eine weitere Ausbildung in einer Militärakademie absolviert. Ende 1984 sei er nach Basra verlegt worden. Dort sei er bis ins Jahr 1992 im Sicherheitsdienst des militärischen Geheimdienstes tätig gewesen. Seine Aufgabe habe darin bestanden, hohe militärische Offiziere zu beobachten und zu kontrollieren. Unter anderem habe er auch Offiziere überwachen müssen, welche verdächtigt worden seien, mit dem iranischen Militär zusammenzuarbeiten. Er sei dabei in Kontakt gestanden zum Generaldirektor des militärischen Geheimdienstes, Saber Al-Douri. Im Rahmen seiner Tätigkeit habe er gesehen, wie Soldaten, welche im Krieg desertiert seien, gefoltert worden seien. Er habe über alles, was er damals in Basra/Südirak beobachtet habe, einen Bericht geschrieben und diesen der Führung in B._______ zukommen lassen. Nach der Entlassung aus der Armee im Jahr 1992 sei er in den Genuss einer Parteiausbildung gekommen und habe in der Folge innerhalb der Baath-Partei Kar-

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riere gemacht. Er sei bis zum Grad "Mitglied einer Gruppenleitung" befördert worden. Im Jahr 1995 sei er Sicherheitsverantwortlicher für E._______ ([…]) geworden. Dabei seien ihm beispielsweise jene Personen, welche Telefonabhörungen durchführten, unterstellt gewesen. Sie hätten unter anderem ein paar Persönlichkeiten kontrolliert, hätten Anweisungen an die Mitarbeiter in verschiedenen Gebieten erteilt und hätten beispielsweise auch Spenden von Geschäften für den Geburtstag von Saddam Hussein einsammeln müssen. Die Befehle der Partei hätten jeweils ohne Diskussion umgesetzt werden müssen. Er habe wiederholt persönlichen Kontakt mit der politischen Führung des Irak gehabt und habe vom damaligen Präsidenten Saddam Hussein Geschenke erhalten. Bis zum Sturz der Regierung von Saddam Hussein habe er dem Regime gedient. Neben seiner politischen und geheimdienstlichen Tätigkeit sei er ausserdem ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen. Nach dem Sturz der Regierung habe er sich seinen Geschäften gewidmet. Schon bald hätten aber verschiedene schiitische Gruppierungen (u.a. die Badr-Miliz sowie die Miliz von Adel Abdul Mahdi) damit begonnen, BaathParteimitglieder zu suchen, um diese auszurotten. Anhänger der BadrMiliz hätten erfahren, dass er Mitglied der Baath-Partei gewesen sei, und hätten ihn bei den amerikanischen Besatzungstruppen angeschwärzt, worauf die Amerikaner im Februar 2006 bei ihm zuhause eine Hausdurchsuchung gemacht und dabei eine Pistole beschlagnahmt hätten, welche er früher einmal von Saddam Hussein geschenkt bekommen habe. Da er dafür eine Bewilligung gehabt habe, habe er sie jedoch zurückerhalten. In der Folge seien die Milizen selber gegen ihn vorgegangen. Zunächst habe er zwei Drohbriefe erhalten. Mitte September 2006 hätten dann Angehörige der irakischen Armee sein Haus durchsucht und ihn sowie seine Ehefrau belästigt und beschimpft. Da er allerdings bereits nach der Hausdurchsuchung durch die Amerikaner viele Beweismittel betreffend seine Vergangenheit vernichtet habe, hätten sie nichts gefunden. Einige Tage später sei er von H., einem Miliz-Gruppenchef, sowie dessen Anhänger aufgesucht und wegen seiner Mitgliedschaft bei der Baath-Partei beschimpft worden. Er habe sich gewehrt und erklärt, er sei nicht freiwillig Baath-Mitglied gewesen, sondern sei dazu gezwungen worden. Er habe Militärdienst leisten müssen, habe aber selber nie jemandem Schaden zugefügt. H. habe ihn daraufhin festgenommen. Er sei zwei Tage lang eingesperrt gewesen und dabei befragt und gefoltert worden. Am 25. September 2006 hätten ihn H. und dessen Anhänger erneut in Haft genommen und gefoltert. Währenddessen habe H. seine Frau sexuell bedrängt. Nachdem sich seine Frau zum Schein bereit erklärt habe, sich mit H. zu treffen, sei er nach dreitägiger Haft freigelassen worden. Daraufhin Seite 3

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hätten sie sich entschieden, vorübergehend teilweise bei Verwandten zu wohnen. Am 31. Dezember 2006 hätten sie jedoch bei sich zuhause mit Verwandten Sylvester gefeiert. Kurz nach Mitternacht seien sie von Mitgliedern einer bewaffneten Unterorganisation der Badr-Miliz (Al Haras al Wattane [Nationale Wächter]) überfallen worden. Diese hätten ihn und seinen Bruder mitgenommen und drei Tage lang festgehalten, misshandelt und erniedrigt. Er habe davon bleibende körperliche Schäden davongetragen. Am 6. Januar 2007 sei schliesslich noch sein Auto von unbekannten Personen in Brand gesetzt worden. Da er weitere Verfolgungsmassnahmen befürchtet habe und zudem die allgemeine Sicherheitslage im Irak sehr schlecht sei, habe er sich zur Flucht entschlossen. Zusammen mit seiner Familie sei er am 7. Februar 2007 nach Syrien ausgereist und habe in der Folge über ein Jahr lang in Damaskus gelebt. Da seine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert worden sei, sei er via Istanbul in die Schweiz weitergeflüchtet. A.c. Der Beschwerdeführer reichte anlässlich der Befragungen seinen Nationalitätenausweis, eine Passkopie, ein Geburtszertifikat, einen Waffenschein, einen Führerschein aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sowie zwei Drohschreiben in Kopie zu den Akten. B. Das BFM stellte mit Verfügung vom 12. Dezember 2011 fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft. In Anwendung von Art. 53 AsylG schloss es ihn jedoch von der Asylgewährung aus und ordnete gleichzeitig wegen Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs die vorläufige Aufnahme an. (Mit Verfügung desselben Datums wurden die zwei zusammen mit dem Beschwerdeführer in die Schweiz eingereisten und hier verbliebenen Töchter [F._______ und G._______ ] sowie seine später nachgereiste Ehefrau H._______ [alle gleiche N-Nummer] als Flüchtlinge anerkannt und es wurde ihnen Asyl gewährt.) C. Der Beschwerdeführer liess diese Verfügung mit Beschwerde vom 11. Januar 2012 (Poststempel) beim Bundesverwaltungsgericht anfechten. Dabei wurde beantragt, die vorinstanzliche Verfügung sei aufzuheben und es sei ihm Asyl zu gewähren. In prozessualer Hinsicht wurde um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 (VwVG, Seite 4

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SR 172.021) sowie um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses ersucht. D. Mit Eingabe vom 11. Januar 2012 wurde eine Unterstützungsbestätigung vom 9. Januar 2011 nachgereicht. E. Der Instruktionsrichter hiess das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege mit Verfügung vom 17. Januar 2012 antragsgemäss gut und verzichtete dementsprechend auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. F. Das BFM hielt in seiner Vernehmlassung vom 15. Februar 2012 vollumfänglich an seiner Verfügung fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde. G. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers replizierte darauf mit Eingabe vom 2. März 2012 und bestätigte darin die gestellten Beschwerdeanträge.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung: 1. 1.1. Das Bundesverwaltungsgericht beurteilt gestützt auf Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) Beschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG, welche von einer Vorinstanz im Sinne von Art. 33 VGG erlassen wurden, sofern keine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG vorliegt. Demnach ist das Bundesverwaltungsgericht zuständig für die Beurteilung von Beschwerden gegen Entscheide des BFM, welche in Anwendung des AsylG ergangen sind, und entscheidet in diesem Bereich endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet. Seite 5

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1.2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG). 1.3. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung; er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 1 AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten. 2. Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht können die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts sowie die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG). 3. Nachdem das BFM den Beschwerdeführer mit der angefochtenen Verfügung gestützt auf Art. 3 AsylG als Flüchtlinge anerkannte und seine vorläufige Aufnahme in der Schweiz anordnete, ist nachfolgend einzig zu beurteilen, ob das BFM zu Recht zum Schluss gelangt ist, der Beschwerdeführer sei im Sinne von Art. 53 AsylG asylunwürdig, weshalb sein Asylgesuch abzulehnen sei. 4. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlingen wird indessen in Anwendung von Art. 53 AsylG kein Asyl gewährt, wenn sie wegen verwerflicher Handlungen dessen unwürdig sind oder wenn sie die innere oder die äussere Sicherheit der Schweiz verletzt haben oder gefährden. 5. 5.1. Die Vorinstanz führte zur Begründung ihres Entscheids im Wesentlichen aus, für die Frage der Asylunwürdigkeit seien im vorliegenden Fall die Tätigkeiten des Beschwerdeführers als Mitglied des militärischen Sicherheitsdienstes und als Sicherheitsverantwortlicher E._______ massgeblich. Die alleinige Zugehörigkeit zu diesen Gremien sei nicht per se als verwerfliche Handlung im Sinne von Art. 53 AsylG zu werden, sondern es müsse auf den individuellen Tatbeitrag des Beschwerdeführers abge-

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stellt werden. Der Beschwerdeführer sei wenige Monate nach Beginn seines offiziellen Militärdienstes im April 1983 Mitglied des militärischen Geheimdienstes geworden. Im Jahr 1984 sei er nach Basra verlegt worden, wo er bis zum Jahr 1992 im Sicherheitsdienst der irakischen Armee unter Saddam Hussein tätig gewesen sei. Nach Parteiausbildungen sei er jeweils befördert worden, was seine Loyalität zur Partei unterstreiche. Anschliessend sei er bis zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 Sicherheitsverantwortlicher E._______ in B._______ gewesen und habe damit innerhalb der irakischen Sicherheitsdienste eine mittlere Stellung innegehabt. Mitglieder der irakischen Sicherheitsdienste hätten unter der Baath-Regierung in grossem Umfang schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Gerade in den Jahren 1984 bis 1992, in denen der Beschwerdeführer in Basra stationiert gewesen sei, seien – beispielsweise im Zusammenhang mit dem Aufstand im Jahr 1991 – schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen worden. Verdächtige Personen seien damals willkürlich festgenommen, verhört, gefoltert und unter menschenunwürdigen Umständen inhaftiert worden. Tausende Personen seien bei derartigen Vergeltungsaktionen umgebracht worden. Während des irakisch-iranischen Krieges habe die Aufgabe des Beschwerdeführers auch darin bestanden, irakische Offiziere zu beobachten und Fehler via seinen Vorgesetzten, einem Obersten aus dem Clan von Saddam Hussein, an den Generaldirektor des militärischen Geheimdienstes, Sabr Al-Douri, weiterzuleiten. Damit habe der Beschwerdeführer auch dort eine relativ einflussreiche Position eingenommen. Ab dem Jahr 1995 bis zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein sei der Beschwerdeführer als Sicherheitsverantwortlicher von B._______ tätig gewesen. Dabei habe er eigenen Angaben zufolge Personen beschatten und kontrollieren lassen, Anweisungen erteilen und Befehle der Partei ohne Diskussion ausführen müssen. In der Zeit, in welcher der Beschwerdeführer diese Arbeiten ausgeführt habe, seien bekanntlich Folter und Misshandlungen weit verbreitet gewesen. Derartige Massnahmen seien im Irak unter Saddam Hussein zur Einschüchterung, Erniedrigung und als Strafmassnahme gegenüber Inhaftierten angewandt worden, um die Persönlichkeit der Gefangenen zu brechen oder ihnen erzwungene Geständnisse abzuringen (Verweis auf den Bericht der NahostMenschenrechtsexpertin Monika Kadur vom Oktober 2001). Zusammenfassend stehe fest, dass der Beschwerdeführer während knapp zwanzig Jahren für die irakischen Sicherheitsdienste gearbeitet habe. Diese seien wichtige Stützen des repressiven Machtapparates in der Diktatur von Saddam Hussein gewesen. Damit sei der individuelle Tatbeitrag des Beschwerdeführers erstellt. Die Anwendung von Art. 53 AsylG sei zudem Seite 7

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verhältnismässig, da die relevante Tätigkeit des Beschwerdeführers acht Jahre zurückliege, was unter der zehnjährigen strafrechtlichen Verjährungsfrist liege. Nach dem Gesagten sei der Beschwerdeführer von der Asylgewährung auszuschliessen. 5.2. In der Beschwerde wird ausgeführt, bei der Frage, ob eine Person gestützt auf Art. 53 AsylG vom Asyl auszuschliessen sei, müsse auf deren individuellen Tatbeitrag abgestellt werden. In diesem Zusammenhang habe das BFM zu Recht festgestellt, die alleinige Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum irakischen Sicherheitsdienst stelle per se keine verwerfliche Handlung dar; massgeblich seien seine Tätigkeiten. Es erstaune daher umso mehr, dass die Vorinstanz sodann zum Schluss komme, der individuelle Tatbeitrag sei erstellt, weil der Beschwerdeführer während knapp 20 Jahren für die irakischen Sicherheitsdienste gearbeitet habe. Das BFM sei der Ansicht, die Anwendung von Art. 53 AsylG für im Ausland begangene Straftaten setze keinen förmlichen Beweis dafür voraus, dass die asylsuchende Person eine strafbare Handlung begangen habe, sondern es genüge das Vorliegen eines begründeten Verdachts, dass sie sich einer Straftat im Sinne dieser Bestimmung schuldig gemacht habe. Demgegenüber habe das Bundesverwaltungsgericht in einem vergleichbaren Fall (D-5243/2010) erwogen, dass in Bezug auf die in Frage stehenden Handlungen eine strafrechtliche Verantwortung gegeben sein müsse. Für eine im Ausland begangene Straftat setze dies zwar keinen strikten Nachweis voraus, aber im konkreten Fall seien immerhin schwerwiegende Gründe für die gerechtfertigte Annahme erforderlich, dass sich die betreffende Person einer Straftat im Sinne des Verbrechensbegriffs von Art. 9 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 (StGB, SR 311.0) schuldig gemacht habe. Im vorliegenden Fall habe es das BFM – ebenso wie im erwähnten Fall D-5243/2010 – unterlassen, den Beschwerdeführer betreffend seine Tätigkeiten als Mitarbeiter im Sicherheitsdienst unter Saddam Hussein sorgfältig zu befragen. Dem Beschwerdeführer sei dazu nur eine einzige Frage gestellt worden, zudem sei er aufgefordert worden, sich kurz zu halten. Die Vorinstanz habe den Beschwerdeführer schliesslich gar daran gehindert zu schildern, was zu seinem Aufgabenbereich als Sicherheitsverantwortlicher gehört habe. Die wenigen zugelassenen Aussagen des Beschwerdeführers seien zudem in der angefochtenen Verfügung teils falsch wiedergegeben, teils aus dem Zusammenhang gerissen worden. So habe der Beschwerdeführer an der in der Verfügung erwähnten Stelle nicht gesagt, er habe Personen beschattet, und seine Aussage betreffend die diskussionslose Ausführung von Befehlen habe sich auf das Einziehen von Spendengeldern Seite 8

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anlässlich der Geburtstage von Saddam Hussein bezogen. Diese Taten könnten im Übrigen nicht unter den Begriff der "verwerflichen Handlungen" subsumiert werden. Die Vorinstanz habe es überhaupt gänzlich unterlassen, klare Aussagen betreffend begangene Straftaten zu machen. Anstatt den Beschwerdeführer sorgfältig zu befragen, habe das BFM für seine Argumentation den gesamten Zeitraum von 1984 bis 1992 herangezogen und dabei insbesondere auf den Aufstand in Basra vom 2. März 1991 verwiesen, bei welchem mehrere Tausend Menschen ihr Leben verloren hätten. Diese Ereignisse lägen heute zwanzig bis fast dreissig Jahre zurück. Ausserdem führe das BFM den Bericht der Nahost-Menschenrechtsexpertin ins Feld und zitiere wörtlich den einführenden Satz von Kapitel 5 dieses Berichts. In diesem Kapitel würden ausführlich die damals üblichen Foltermethoden beschrieben. Der Beschwerdeführer werde damit in direkte Verbindung mit den abscheulichsten Missbräuchen und Folterungen gebracht, welche unter dem Regime von Saddam Hussein begangen worden seien, dies ohne jegliche weitere Abklärungen. Dies gehe nicht an. Mit Blick auf die im Bericht von Monika Kadur erwähnten schlimmen Ereignisse wäre zu erwarten gewesen, dass sich das BFM eingehend mit dem Profil des Beschwerdeführers respektive seiner Rolle als Sicherheitsbeamter auseinandergesetzt und ihn entsprechend befragt hätte. Bei der vorliegenden Aktenlage könne jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass schwerwiegende Gründe für eine gerechtfertigte Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer tatsächlich relevante strafbare Handlungen begangen habe. Die Vorinstanz erachte den Beschwerdeführer entgegen ihrer Beteuerung, dies reiche "per se" nicht aus, nur deshalb für asylunwürdig, weil er für den irakischen Sicherheitsdienst tätig gewesen sei. Im Übrigen sei überhaupt nicht berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer geltend gemacht habe, er habe nie jemandem Schaden zugefügt. Seinem Rechtsvertreter gegenüber habe der Beschwerdeführer zudem erwähnt, er wäre wohl von den Badr-Milizen nicht nur entführt und gefoltert, sondern umgebracht worden, hätte er die ihm von der Vorinstanz vorgeworfenen Taten tatsächlich begangen. In der Beschwerde wird sodann Stellung genommen zur Frage der Verhältnismässigkeit, wobei zunächst vorgebracht wird, die Vorinstanz habe bezüglich der Verjährung unsorgfältig argumentiert. Da mit Blick auf die Verjährung nur die zwischen Dezember 2001 und dem Sturz des Regimes im Jahr 2003 begangenen verwerflichen Handlungen zu berücksichtigen seien, hätte die Vorinstanz den Beschwerdeführer eingehend zu seinen Tätigkeiten im fraglichen Zeitraum befragen müssen. Der vom BFM erwähnte Aufstand in Basra liege heute über 20 Jahre zurück und falle daher für die Anwendung von Art. 53 AsylG ausser Betracht. Auch der ins Feld geSeite 9

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führte Bericht von Monika Kadur aus dem Jahr 2001 hätte streng genommen nicht herangezogen werden dürfen. Das BFM habe es im Weiteren unterlassen, bezüglich der Frage der Verhältnismässigkeit andere Umstände als die Verjährung zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer habe anlässlich der Anhörung erwähnt, dass er nicht freiwillig Militärdienst geleistet habe. Gemäss dem Bericht von Monika Kadur seien Wehrdienstverweigerer im Irak zu dieser Zeit mit dem Tod bestraft worden. Auch auf die seither eingetretenen Veränderungen im Leben des Beschwerdeführers und die Wahrscheinlichkeit der Begehung verwerflicher Taten im heutigen Zeitpunkt sei nicht eingegangen worden. 5.3. Das BFM bringt in seiner Vernehmlassung vor, der Beschwerdeführer sei unter Saddam Hussein während rund neun Jahren Mitglied des militärischen Geheimdienstes gewesen. Schon zuvor habe er sich während Jahren überdurchschnittlich stark und freiwillig für die Partei und in der irakischen Armee engagiert. Er müsse daher Einblick in die Funktionsweise des damaligen Repressionssystems gehabt und gewusst haben, dass der militärische Sicherheitsdienst in erster Linie der Machterhaltung des Regimes gedient habe. Es müsse ihm auch bekannt gewesen sein, dass von Mitgliedern erwartet worden sei, dass sie gegen vermutliche oder tatsächliche Regimegegner erbarmungslos Gewalt einsetzen. Mitglieder des militärischen Sicherheitsdienstes hätten Personen bespitzeln, verraten, verhören, foltern und hinrichten müssen. In den Asyldossiers des BFM fänden sich dazu zahlreiche Beispiele. Beim Aufstand im Jahr 1991 im Süden des Irak seien zahlreiche Personen festgenommen worden, wobei sie teilweise zu Unrecht verdächtigt worden seien, am Aufstand teilgenommen zu haben. Sie seien verhört, gefoltert und hingerichtet worden. Der militärische Geheimdienst habe auch in diesem Fall eine wesentliche Rolle gespielt, und der Beschwerdeführer sei damals im Südirak für diese Organisation tätig gewesen. Da er danach weiterhin für das Regime tätig gewesen und weiter befördert worden sei, sei offensichtlich, dass er die Vorgehensweise des Regimes immer unterstützt habe. Er sei Sicherheitsverantwortlicher eines ganzen Stadtgebietes von B._______ geworden und habe somit eine gewisse Machtfülle erreicht. Es sei möglich, dass er in dieser Position nicht mehr selber habe Personen festnehmen und verhören müssen, er habe derartige Massnahmen jedoch anordnen müssen. Er müsse auch gewusst haben, was solche Anordnungen für die Festgenommenen bedeutet hätten. Er habe sich bis zum Sturz des Regimes in dieser Position halten können, sei daneben als Geschäftsmann erfolgreich gewesen und habe weiterhin Kontakte zu den Führungskreisen der Partei unterhalten, was zeige, dass er sich auch später nie gegen den Seite 10

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Machtapparat gestellt habe, sondern vielmehr davon profitiert habe. Personen, welche Menschenrechtsverletzungen oder Kriegshandlungen begangen oder unterstützt hätten, würden dies im Asylverfahren nur sehr selten offenlegen. Es liege in der Natur der Sache, dass die Erlebnisse der Vergangenheit einseitig dargestellt, beschönigt oder verschwiegen würden. Die wenigen Angaben, die der Beschwerdeführer zu seiner Tätigkeit in den irakischen Sicherheitsdiensten gemacht habe, seien ausreichend, um seinen individuellen Tatbeitrag zu erstellen, weshalb sich eine erneute Anhörung erübrige. 5.4. In der Replik wird entgegnet, das BFM habe in der Vernehmlassung gar nicht Stellung genommen zu den Ausführungen in der Beschwerde betreffend den nicht rechtsgenüglich erstellten individuellen Tatbeitrag und die Verhältnismässigkeit. Hingegen habe die Vorinstanz nochmals deutlich gemacht, dass sie allein aufgrund der Funktion des Beschwerdeführers im irakischen Sicherheitsdienst auf dessen Asylunwürdigkeit schliesse. Da der Beschwerdeführer ungenügend befragt und teilweise sogar daran gehindert worden sei, sich ausführlich zu seinen Tätigkeiten zu äussern, könnten ihm die vom BFM aufgezählten Gräueltaten, welche vom irakischen Sicherheitsdienst begangen worden seien, nicht angelastet werden. Gestützt auf die vorliegende Aktenlage könne nicht behauptet werden, dass der Beschwerdeführer verwerfliche Handlungen begangen habe. 6. 6.1. Wie erwähnt, wird Flüchtlingen in Anwendung von Art. 53 AsylG unter anderem dann kein Asyl gewährt, wenn sie wegen verwerflicher Handlungen dessen unwürdig sind. Unter den Begriff der „verwerflichen Handlungen“ fallen praxisgemäss Delikte, die dem abstrakten Verbrechensbegriff von Art. 9 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 (StGB, SR 311.0) in dessen bis zum 31. Dezember 2006 gültigen Fassung entsprechen. Als Verbrechen definiert wird dort jede mit Zuchthaus bedrohte Straftat. Das nach der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Teilrevision heute geltende StGB definiert in Art. 10 Abs. 2 jene Straftaten als Verbrechen, die mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Aus der Anbindung des Asylausschlussgrundes der „verwerflichen Handlungen“ im Sinne von Art. 53 AsylG an den Verbrechensbegriff von Art. 9 Abs. 1 StGB ergibt sich zwingend, dass in Bezug auf die in Frage stehenden Handlungen der betreffenden Person eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit gegeben sein muss. Dies setzt bei im Ausland begangenen Handlungen zwar keinen strikten Nachweis voraus; Seite 11

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erforderlich sind im konkreten Fall aber jedenfalls schwerwiegende Gründe für die gerechtfertigte Annahme, dass sich die betreffende Person einer Straftat im Sinn der genannten Bestimmungen schuldig gemacht hat (vgl. Botschaft zur Totalrevision des Asylgesetzes sowie zur Änderung des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 4. Dezember 1995, BBl 1996 II 73). Im Weiteren können der Rechtsprechung zufolge abgesehen von Verbrechen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 StGB grundsätzlich auch Handlungen, denen keine strafrechtliche Relevanz zukommt, unter Art. 53 AsylG subsumiert werden, da Art. 53 AsylG nicht Begriffe wie Verbrechen, Vergehen, Delikte oder strafbare Handlungen, sondern vielmehr den juristisch unpräzisen und überdies moralisch besetzten Ausdruck der "verwerflichen Handlungen" verwendet. In Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2002 Nr. 9 E. 7d wurde diesbezüglich ausgeführt, aus dem Titel von Art. 53 AsylG ("Asylunwürdigkeit") gehe hervor, dass jemand, der verwerfliche Handlungen begangen habe, des Asyls unwürdig sei, was doch auf einen gewissen moralischen Charakter der Norm hinweise (vgl. dazu auch BVGE E-4286/2008 vom 17. Oktober 2008 E. 6.3.). 6.2. Ist das Vorliegen einer verwerflichen Handlung zu bejahen, muss sodann geprüft werden, ob die Rechtsfolge des Asylausschlusses auch eine verhältnismässige Massnahme darstellt. Dabei ist vorab in Betracht zu ziehen, wie lange die Tat bereits zurückliegt, wobei auf die Verjährungsbestimmungen des Strafrechts verwiesen wird. Ebenso haben das Alter des Flüchtlings im Zeitpunkt der Tatbegehung sowie eine allfällige Veränderung der Lebensverhältnisse nach der Tat Einfluss auf die diesbezügliche Entscheidfindung (vgl. zum Ganzen BVGE D-7933/2010 vom 17. Januar 2012, BVGE E-4286/2008 vom 17. Oktober 2008 sowie EMARK 2002 Nr. 9, je mit weiteren Hinweisen). 7. Vorab ist zu prüfen, ob die angefochtene Verfügung auf einem vollständig und richtig festgestellten Sachverhalt beruht und korrekt begründet wurde. 7.1. Im Verwaltungsverfahren und damit auch im Asylverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz, das heisst die Asylbehörde hat den rechtserheblichen Sachverhalt vor ihrem Entscheid von Amtes wegen vollständig und richtig abzuklären (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 12 VwVG, Art. 106 Abs. 1 Seite 12

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Bst. b AsylG). Dabei muss sie die für das Verfahren erforderlichen Sachverhaltsunterlagen beschaffen, die rechtlich relevanten Umstände abklären und darüber ordnungsgemäss Beweis führen. Unvollständig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn nicht alle für den Entscheid rechtsrelevanten Sachumstände berücksichtigt wurden, unrichtig, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger Sachverhalt zugrunde gelegt wird (vgl. dazu ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, Rz. 630 ff.). 7.2. Die Pflicht der Behörde, ihre Verfügung zu begründen, folgt unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) und Art. 35 Abs. 1 VwVG. Die verfügende Behörde hat dabei die Überlegungen zu nennen, von denen sie sich leiten liess und auf die sich ihr Entscheid stützt. Die Bürgerinnen und Bürger sollen wissen, warum die Behörde gegen ihren Antrag entschieden hat. Die Begründungspflicht ist ein Element rationaler und transparenter Entscheidfindung und dient nicht zuletzt auch der Selbstkontrolle der Behörden. Die Anforderungen an die Begründungspflicht sind unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sowie der Interessen der Betroffenen festzulegen. Eine hinreichende Begründung bildet die Grundlage für eine sachgerechte Anfechtung der Verfügung durch die Betroffenen und stellt gleichzeitig eine unabdingbare Voraussetzung für die Beurteilung ihrer Rechtmässigkeit durch die Beschwerdeinstanz dar (vgl. KÖLZ/HÄNER, a.a.O., Rz. 325 und 354 f.; LORENZ KNEUBÜHLER, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], VwVG, Kommentar zum Bundesgesetzt über das Verwaltungsverfahren, Zürich/St. Gallen 2008, Rz. 4 ff. zu Art. 35, S. 509 ff.). 8. 8.1. Im vorliegenden Fall kann aufgrund des vom BFM erstellten, aktenkundigen Sachverhalts nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden, ob der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Tätigkeiten unter dem Regime von Saddam Hussein verwerfliche Handlungen im Sinne von Art. 53 AsylG begangen hat oder nicht. Fest steht, dass er bereits als Jugendlicher der Baath-Partei beitrat, später eine Ausbildung an einer Militärakademie absolvierte und zwischen den Jahren 1983 und 1992 im militärischen Geheimdienst tätig war, wobei er ab dem Jahr 1984 in Basra stationiert war. Ab dem Jahr 1995 bis zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein hatte er einen Posten als Sicherheitsverantwortlicher E._______ in B._______ inne. Es ist im Weiteren unbestritten, dass die irakischen Sicherheitsdienste unter dem Regime von Saddam Hussein Seite 13

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zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten aller Art verübt haben, welche ohne Weiteres als Verbrechen im Sinne des StGB zu qualifizieren sind. Allerdings stellen die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum militärischen Geheimdienst und seine Stellung als Sicherheitsverantwortlicher in E._______ – wie das BFM zu Recht festgestellt hat – per se keine verwerflichen Handlungen im Sinne von Art. 53 AsylG dar, und es geht nicht an, allein gestützt auf die Tatsache, dass der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum für das irakische Regime arbeitete und von den damals begangenen Gräueltaten wusste, auf seine Asylunwürdigkeit zu schliessen, indem ihm pauschal eine generelle Mitverantwortung für verschiedenste den irakischen Sicherheitsdiensten im Zeitraum zwischen den Jahren 1983 und 2003 zugeschriebene Menschenrechtsverletzungen unterstellt wird. Vielmehr setzt die Feststellung der Asylunwürdigkeit des Beschwerdeführers voraus, dass ihm individuelle Handlungen respektive eine individuelle Verantwortlichkeit vorgeworfen werden können, welche als (zumindest in moralischer Hinsicht) verwerflich im Sinne von Art. 53 AsylG einzustufen sind. Somit muss ein individueller Tatbeitrag des Beschwerdeführers – unter Berücksichtigung der Schwere der Tat, des persönlichen Anteils am Tatentscheid, seines Motivs sowie allfälliger Rechtfertigungs- oder Schuldmilderungsgründe – ermittelt werden (vgl. dazu EMARK 2002 Nr. 9 E. 7.c). In Bezug auf die individuellen Handlungen des Beschwerdeführers, welche er in Ausübung seiner jeweiligen Funktionen vornahm, finden sich in den Akten nur spärliche Angaben. Den vorhandenen Aussagen ist lediglich zu entnehmen, dass er während seiner Stationierung in Basra Offiziere bespitzeln und denunzieren musste. Später, als Sicherheitsverantwortlicher E._______ in B._______, habe er unter anderem Telefonüberwachungen durchgeführt, (nicht näher spezifizierte) Anweisungen an die Mitarbeiter in verschiedenen Gebieten erteilt und Spenden gesammelt. Diese Angaben sind indessen zu wenig konkret, als dass daraus mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden könnte, der Beschwerdeführer habe verwerfliche Handlungen im Sinne von Art. 53 AsylG begangen respektive habe solche Handlungen nicht begangen. Der Beschwerdeführer verweist darauf, dass er nie jemandem Schaden zugefügt habe (vgl. A12 S. 7). Dabei handelt es sich indessen um eine pauschale Äusserung, welche vom BFM nicht näher hinterfragt wurde und offensichtlich nicht geeignet ist, den Beschwerdeführer zu exkulpieren. Auch die Tatsache, dass er von seinen Verfolgern nicht umgebracht wurde, lässt entgegen des in der Beschwerde vorgebrachten Einwandes nicht zwingend darauf schliessen, dass er keine verwerflichen Handlungen begangen hat oder zumindest von den Milizen für die vom ehemaligen Regime begangenen Verbrechen als individuell verantwortSeite 14

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lich erachtet wurde, zumal aufgrund der Aktenlage nicht erstellt ist, dass seine Verfolger überhaupt von seiner Tätigkeit im Sicherheitsapparat des Regimes von Saddam Hussein wussten. Die Äusserungen des Beschwerdeführers (und seiner Ehefrau; vgl. gleiches N-Dossier) enthalten mehrere Indizien, welche dafür sprechen, dass er nicht bloss ein subalterner Angestellter im Sicherheitsapparat des Regimes von Saddam Hussein war, welchem keinerlei eigene Kompetenzen und Verantwortung zukam. Gleichzeitig können ihm aber aufgrund fehlender weiterführender Angaben keine konkreten, individuellen Tatbeiträge angelastet werden. Aufgrund des bestehenden Sachverhalts ist nämlich insbesondere unklar, ob der Beschwerdeführer innerhalb des militärischen Geheimdienstes eine Führungsposition innehatte oder nicht und ob er einen mitbestimmenden Einfluss auf die Verwendung der von ihm im Rahmen seiner Arbeitsverhältnisse beschafften Informationen nehmen konnte. Auch die Fragen, welche konkreten Aufgaben er im Rahmen der Tätigkeit als Sicherheitsverantwortlicher E._______ wahrnahm, ob er dabei bloss Befehle von oben ausführte oder selber über wesentliche Befehlsgewalt oder Tatherrschaft verfügte und welchen Inhalts die von ihm jeweils erteilten Anweisungen (vgl. A12 S. 10) waren, können mit Blick auf den vorliegenden Sachverhalt nicht schlüssig beantwortet werden. Ebenso wenig ist es möglich, abschliessend zu beurteilen, ob dem Beschwerdeführer nicht zumindest eine moralische Verantwortung für die vom ehemaligen irakischen Regime an Oppositionellen begangenen aussergerichtlichen Tötungen und Folterungen zukommt. Der Sachverhalt wurde vom BFM demnach offensichtlich mangelhaft abgeklärt. Wie in der Beschwerde zu Recht gerügt wird, wurde der Beschwerdeführer insgesamt nicht detailliert genug befragt und überdies während seiner Ausführungen andauernd unterbrochen und zur Kürze ermahnt, was für die Sachverhaltsermittlung nicht förderlich erscheint. Obwohl der Beschwerdeführer teilweise ausweichend und pauschal geantwortet hat, hat die Vorinstanz jeweils nicht nachgehakt. Das BFM hätte insbesondere weitere, spezifische und ausführliche Informationen zu den konkreten und individuellen Handlungen und dem Grad der Kompetenzen und Verantwortung des Beschwerdeführers betreffend seine Tätigkeiten zwischen den Jahren 1995 und 2003 beschaffen müssen. Von wesentlicher Bedeutung erscheint auch die Klärung der Fragen nach seiner Beziehung zu Saddam Hussein (er hat offenbar mehrmals Geschenke von ihm erhalten) und anderen hochrangigen Offizieren des ehemaligen irakischen Regimes sowie nach seiner konkreten Tätigkeit als Direktor des Gefängnisses I._______ (vgl. A12 S. 6).

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8.2. Nach dem Gesagten ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer gestützt auf die vorliegenden Informationen nicht mit der erforderlichen Gewissheit ein konkreter und individueller Tatbeitrag zu verwerflichen Handlungen im Sinne von Art. 53 AsylG vorgeworfen werden kann, gleichzeitig aber auch nicht festgestellt werden kann, dass er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine derartigen Handlungen begangen hat. Damit erweist sich der vorliegende Sachverhalt im Hinblick auf die Prüfung des Tatbestandes von Art. 53 AsylG als nicht rechtsgenüglich erstellt. 8.3. Das BFM hat überdies auch die ihm obliegende Begründungspflicht verletzt, indem es bei der Begründung der Verhältnismässigkeit des Asylausschlusses lediglich auf das Kriterium des Zeitablaufs (strafrechtliche Verjährungsfrist) Bezug nahm, wogegen die übrigen praxisgemäss zu berücksichtigenden Kriterien (vgl. dazu vorstehend E. 6.2.) vollständig ausser Acht gelassen wurden. Das BFM machte zudem geltend, die Verhältnismässigkeit sei zu bejahen, weil die zehnjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen sei, da ja der Beschwerdeführer bis ins Jahr 2003 für den irakischen Sicherheitsdienst tätig gewesen sei, was (im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verfügung) erst acht Jahre zurückliege. Dabei unterliess es die Vorinstanz jedoch aufzuzeigen, welche konkreten verwerflichen Handlungen der Beschwerdeführer innerhalb der für die Frage der Verjährung massgeblichen Zeitspanne (Dezember 2001 bis Dezember 2011) begangen habe. Die Begründung ist somit auch in diesem Punkt als ungenügend zu erachten, zumal das BFM im Rahmen der Erwägungen zur Frage des Vorliegens von verwerflichen Handlungen im Wesentlichen auf generelle Ereignisse verwies, welche sich vor dem Jahr 2001 zugetragen hatten (Aufstand in Basra im Jahr 1991, die im Bericht von Monika Kadur vom Oktober 2001 erwähnten Gräueltaten). 9. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung auf einem unvollständig erhobenen Sachverhalt beruht. Die Frage, ob der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 53 AsylG von der Asylgewährung auszuschliessen ist, kann bei dieser Sachlage nicht zuverlässig beurteilt werden. Der Vorinstanz ist es im vorliegenden Fall zuzumuten, weitere Sachverhaltsabklärungen zu treffen, damit die Frage der Asylunwürdigkeit abschliessend beurteilt werden kann. Die angefochtene Verfügung ist daher aufzuheben. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe der Beschwerdeinstanz sein kann, Sachverhaltsabklärungen, welche einen wesentlichen Bestandteil des erstinstanz-

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lichen Verfahren bilden, auf Beschwerdeebene nachzuholen, zumal dem Beschwerdeführer dadurch faktisch eine Instanz verloren ginge. 10. Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, soweit damit die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung beantragt wurde. Die angefochtene Verfügung ist vollumfänglich aufzuheben, und die Sache ist in Anwendung von Art. 61 Abs. 1 in fine VwVG zur vollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts im Sinne der Erwägungen sowie zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob die ebenfalls festgestellte Verletzung der Begründungspflicht bereits für sich genommen eine Kassation rechtfertigen würde. 11. 11.1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 3 VwVG i.V.m. Art. 37 VGG). 11.2. Dem obsiegenden und vertretenen Beschwerdeführer ist zulasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung für die ihm erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten zuzusprechen (vgl. Art. 64 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 7 des Reglements über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 21. Februar 2008 [VGKE, SR 173.320.2]). Der in der Kostennote vom 5. März 2012 geltend gemachte Arbeitsaufwand von acht Stunden sowie die Auslagen von Fr. 40.– erscheinen als angemessen. Der ausgewiesene Stundenansatz von Fr. 200.– bewegt sich im Rahmen von Art. 10 Abs. 2 VGKE. Somit hat das BFM dem Beschwerdeführer in Anwendung der genannten Bestimmungen sowie unter Berücksichtigung der massgeblichen Bemessungsfaktoren (Art. 8 ff. VGKE) eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 1'640.– auszurichten.

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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht: 1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. 2. Die angefochtene Verfügung vom 12. Dezember 2011 wird aufgehoben, und die Sache wird zur vollständigen Abklärung des Sachverhalts und Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das BFM zurückgewiesen. 3. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. 4. Das BFM hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'640.– zu entrichten. 5. Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die zuständige kantonale Behörde.

Der vorsitzende Richter:

Die Gerichtsschreiberin:

Hans Schürch

Anna Dürmüller Leibundgut

Versand:

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