Tutorium BGB 3. November 2015

Übungsfall Die 14‐jährige Sophie Beimer (S) würde gern ein Konzert der bekannten Boygroup „The Sixpacks“ besuchen. Die Tournee der Gruppe sieht in Bayern nur einen Konzerttermin in Passau vor. Ihre Eltern sind damit einverstanden, dass S das Konzert besucht, meinen jedoch, dass ihr Vater Hans Beimer (B) sie zu dem Konzert begleiten solle. Da sie überdies Bedenken haben, ob die Sicherheit in der großen Halle auch bei den Stehplätzen gewährleistet ist, bestehen sie auf Sitzplätze. S erwirbt daraufhin vom Konzertveranstalter Marcel Cenram (C) zwei Eintrittskarten für Sitzplätze zum Preis von je 30 Euro. Weil das Konzert erst am späteren Abend endet und eine Heimreise nach München am selben Tag B bei den winterlichen Straßenverhältnissen zu beschwerlich erscheint, bucht B überdies ‐ auf seinen Namen ‐ ein Doppelzimmer im Hotel „Atlantis“ in Passau. Der Abend wird für Sund B freilich eine einzige Enttäuschung: Am Einlass angekommen erklärt ihnen der Sicherheitsdienst, dass man auf Grund organisatorischer Schwierigkeiten bei diesem Konzert ausschließlich Stehplätze zur Verfügung stellen könne. B will sich darauf aus Besorgnis über das Wohl seiner Tochter nicht einlassen. Vor Ort verlangen B und S von C das Geld für die Eintrittskarten zurück, was dieser jedoch verweigert.

Forts. Übungsfall Auf Grund des geplatzten Konzertbesuchs bleibt noch genug Zeit für die Heimreise. B erscheint die Übernachtung im Hotel nunmehr sinnlos. S und B kehren noch am selben Tag nach München zurück. B hatte zuvor zwar versucht, das Zimmer zu stornieren, damit aber keinen Erfolg gehabt. Da für das Zimmer kein anderer Gast gefunden werden konnte, besteht der Hotelbetreiber auf Zahlung des um ersparte Aufwendungen verminderten Zimmerpreises von 100 Euro. B fordert von C Übernahme der Hotelkosten sowie den Ersatz der Fahrtkosten i. H. von 50 Euro. Darüber hinaus meint er, dass C ihn und seine Tochter für die vertane Freizeit angemessen entschädigen müsse. C ist allenfalls bereit, B und S die Preisdifferenz zwischen Steh‐ und Sitzplatzkarten von 10 Euro je Karte zu ersetzen. Im Übrigen sei es aber B‘s „Privatvergnügen“ ein Hotelzimmer für die Übernachtung in Passau zu buchen. Passau sei schließlich auch ohne Konzert eine Reise wert. Bearbeitervermerk: Können Bund S von C Rückzahlung des Eintrittspreises verlangen? Kann B von C Übernahme der Hotelkosten und Ersatz der Fahrtkosten verlangen? Können Bund S von C Entschädigung für vertane Freizeit verlangen?

Literatur: • Lorenz/Hannes, JuS 2005, 335 ff. • Stoppel, Jura 2003, 224‐229 (Die beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit nach neuem Schuldrecht) • Lux, Jura 2008, 943‐949 (Unheilvolles Wochenende ‐ Probleme typengemischter Verträge) • Ellers, Jura 2006, 201‐208 (Zu Voraussetzungen und Umfang des Aufwendungsersatzanspruchs gemäß §284 BGB)

A. Anspruch von B und S gegen C auf Rückerstattung des Preises für die Konzertkarten I. Aus Rücktritt gem. §§ 311 Abs. 1, 241 Abs. 1, 326 Abs. 5, 323, 346 Abs. 1 BGB 1. Vertragsschluss zwischen C und S (1. Karte) a) Antrag der S i.S.d. § 145 BGB aa) Erklärung der S bb) keine Unwirksamkeit gem. § 108 Abs. 1 BGB (1) Anwendbarkeit gem. §§ 2, 106 BGB (2) Erforderlichkeit der Einwilligung gem. § 107 BGB (3)Einwilligung (a) Gesetzlicher Vertreter = Eltern gem. §§ 1629 Abs. 1 S. 1, 1626 Abs. 1 BGB (b) Kein Widerruf der Einwilligung i.S.d. § 183 Abs. 1 S. 1 BGB b) Annahme des C i.S.d. § 147 Abs. 1 BGB

Forts. Rückerstattungsanspruch 2. Vertragsschluss zwischen C und B (2. Karte) a) Antrag des B aa) eigene Willenserklärung (‐) bb) Wirkung für und gegen B gem. § 164 Abs. 1 BGB (1) eigene Willenserklärung des S (2) im fremden Namen (‐), aber: Geschäft für den es angeht (3) mit Vertretungsmacht (+), § 167 Abs. 1 BGB (4) Anforderungen an die Geschäftsfähigkeit (+), § 165 BGB (beschränkt geschäftsfähig s.o.) b) Annahme des C

Forts. Rückerstattungsanspruch: 3. Wirksamer Rücktritt? a) Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB b) Rücktrittsgrund gem. § 326 Abs. 5 BGB aa) Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB (1) Vertragstypus typengem. Werk‐ und Mietvertrag: Absorptions‐ oder Kombinationstheorie (h.M.), analoge Anwendung (2) Befreiung gem. § 275 Abs. 1 BGB (a) Unmöglichkeit der mietvertr. Komponente ‐ absolute Fixschuld (+) (b) Unmöglichkeit der werkvertr. Komponente ‐ Werk wurde sogar aufgeführt (‐) (c) ZWE: Teilunmöglichkeit Teilweise Befreiung vom der Leistungspflicht (3) Einschränkung gem. §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 S. 1 BGB Interessefortfall? Wohl (+)

Forts. Rückerstattungsanspruch 4. Durchsetzbarkeit gem. § 348 BGB i.V.m. § 320 BGB Zug‐um‐Zug‐Einrede (‐), da keine Leistung empfangen 5. Ergebnis: Anspruch auf Rückzahlung i.H.v. 60 Euro II. Anspruch auf Rückzahlung gem. §§ 326 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB 1. Bewirken der Gegenleistungspflicht 2. Wegfall der Gegenleistungspflicht gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB (s.o.) 3. Rechtsfolge bei Teilunmöglichkeit: § 441 Abs. 3 BGB: Verringerung nur verhältnismäßig zum objektiven Wert 4. Ergebnis: Verringerung nur um 10 Euro: 10 €

III. Schadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB 1. Anwendbarkeit des § 280 Abs. 1 BGB (P): Spezialität des § 536a BGB? Nein, greift erst ab Übergabe 2. Schuldverhältnis 3. Pflichtverletzung 4. Voraussetzungen des § 283 BGB § 281 Abs. 1 S. 2 BGB Teilunmöglichkeit und fehlendes Interesse (+) 5. Vertretenmüssen (vermutet und keine Entlastung) 6. Aber: Schaden (‐)

B. Anspruch auf Ersatz der Fahrt‐ und Hotelkosten I. Schadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB Liegt tatbestandsmäßig vor (s.o.), aber es fehlt am Schaden II. Aufwendungsersatz gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283, 284 BGB Voraussetzungen des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung (+), s.o. 1. Fahrtkosten a) Zwecklos gewordene Aufwendungen b) Billigkeitskontrolle War mit solchen Kosten zu rechnen? Wohl ja

Forts. B. Anspruch auf Ersatz der Fahrt‐ und Hotelkosten 2. Hotelkosten a) Zwecklos gewordene Aufwendungen b) Billigkeitskontrolle: War mit solchen Kosten zu rechnen? Wohl ja aa) Entstehen der Kosten bb) Erlöschen der Zahlungspflicht (1) gem. § 142 Abs. 1 BGB (‐), nur unbeachtlicher Motivirrtum (2) gem. § 543 Abs. 1 S. 1 BGB (‐), kein wichtiger Grund (3) Unmöglichkeit gem. § 326 Abs. 1 BGB (‐), keine Unmöglichkeit (hilfsweise: § 537 Abs. 1 S. 1 BGB) (4) Kündigungsrecht gem. § 313 Abs. 3 S. 1, 2 BGB (‐), nicht Geschäftsgrundlage und im Risikobereich der beiden cc) Umfang der Aufwendungen: Zahlungspflicht die gegenüber Hotelier besteht, also § 537 Abs. 1 S. 2 BGB Zimmerpreis minus ersparte Aufwendungen des Hoteliers

C. Anspruch auf Ersatz der vertanen Freizeit I. Schadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB Voraussetzungen (+), s.o. Schaden? 1. § 253 Abs. 1 BGB ‐ nicht in Abs. 2: kein Schadensersatz für immaterielle Schäden 2. Vermögensschaden vereinzelte Entscheidung: Freizeit kommerzialisierbar spätestens seit § 651f Abs. 2 BGB nicht mehr vertretbar II. Ersatz nach § 651f Abs. 2 BGB kein Reisevertrag, analoge Anwendung (‐), keine Lücke