Tuberkulose Screening

© 2011 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Therapeutische Umschau 2011; 68 (7): DOI 10.1024/0040-5930/a000181 Übersichtsarbeit Fachbereich Pneumo...
Author: Kevin Pohl
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© 2011 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

Therapeutische Umschau 2011; 68 (7): DOI 10.1024/0040-5930/a000181

Übersichtsarbeit Fachbereich Pneumologie, Kantonsspital St. Gallen Otto Schoch

Tuberkulose – Screening

Das primäre Ziel der Aktivitäten zur bevölkerungsbezogenen Tuberkulosekontrolle ist die Identifizierung von Patienten mit sputummikroskopisch positiver Lungentuberkulose. Wenn diese Patienten umgehend therapiert werden, haben sie nicht nur eine optimale Heilungschance, sondern übertragen auch den Krankheitserreger nicht weiter auf andere Personen. Das Screening, die systematische Suche nach Tuberkulose, erfolgt in der Regel radiologisch bei der Suche nach Erkrankten, während immunologische Teste bei der Suche nach einer Infektion mit Mycobacterium tuberculosis zur Anwendung kommen. Diese Infektion, die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Tuberkulose-Erkrankung mit sich bringt, wird im Rahmen der Umgebungsuntersuchungen oder bei Hochrisikogruppen gesucht. Neben dem traditionellen in vivo Mantoux Hauttest stehen heute die neueren in vitro Blutteste, die sogenannten Interferon Gamma Release Assays (IGRA) zur Verfügung, die unter anderem den Vorteil einer höheren Spezifität mit sich bringen, weil die verwendeten Antigene der Mykobakterien-Wand beim Impfstamm Bacille Calmitte Guerin (BCG) und bei den meisten atypischen Mykobakterien nicht vorhanden sind. Zudem kann bei Immunsupprimierten dank einer mitgeführten Positivkontrolle eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines falsch negativen Testresultates gemacht werden. Bei neu diagnostizierter Infektion mit Mycobacterium tuberculosis wird eine präventive Chemotherapie mit Isoniazid während 9 Monaten durchgeführt.

Einleitung Seit Robert Koch 1882 die Übertragbarkeit der Tuberkulose von Mensch zu Mensch zweifelsfrei beweisen konnte, wurden große Anstrengungen unternommen, diese Übertragungskette zu unterbrechen. Das primäre Ziel der Aktivitäten zur bevölkerungsbezogenen Tuberkulosekontrolle ist und bleibt die rasche und adäquate Identifizierung von erkrankten Tuberkulosepatienten, ganz besonders diejenigen mit sputummikroskopisch positiver Lungentuberkulose, die umgehend therapiert werden müssen, damit sie den Krankheitserreger nicht weiter auf andere Personen übertragen. Von der Erkennung dieser Patienten profitiert einerseits der Patient selber, andererseits aber ebenso die Bevölkerung, die nicht mehr dem Risiko einer Ansteckung ausgesetzt ist.

Zur Identifikation der Tuberkulosepatienten stehen verschiedene Methoden zur Diskussion. Neben dem ‚passive case finding‘, bei dem sich Patienten selber zur Abklärung melden, wurde im Bereich Tuberkulose immer wieder mit aktivem Screening, dem ‚active case finding‘, versucht, unentdeckte Tuberkulosefälle zu eruieren respektive die ansteckende Tuberkuloseform zu diagnostizieren und zu therapieren bevor sich die Patienten selber melden. Dieser Screening-Ansatz mit aktiver Suche nach der Tuberkulose-Erkrankung wird im ersten Abschnitt diskutiert. Gelegenheit für ein Screening, mit dem Ziel, die Erkrankung an einer aktiven Tuberkulose überhaupt zu verhindern, indem bereits die infizierten Personen ermittelt werden, bieten sich in der Umgebung von neu diagnostizierten, ansteckenden Tuberkulosefällen. Dort

wird mittels Befragung der Patienten nach exponierten Personen gesucht, die dann mit immunologischen Testverfahren bezüglich einer frischen Infektion untersucht werden. Frisch Infizierte sind einem Tuberkulose-Erkrankungsrisiko von lebenslang mindestens 5 – 10 % ausgesetzt, wobei rund die Hälfte der Infizierten in den ersten 2 Jahren nach Ansteckung erkrankt. Unterschiedliche Risikofaktoren spielen für die Aktivierung der Tuberkulose bei den mit Mycobacterium tuberculosis Infizierten eine wichtige Rolle. Personen mit einem positiven immunologischen Test und einem hohen Risiko für eine Aktivierung der TuberkuloseErkrankung qualifizieren deshalb für eine präventive Chemotherapie. Aspekte dieses Screening Ansatzes, unter besonderer Berücksichtigung der immunologischen Blutteste zur Diagnose der Infektion mit M.tuberculosis, werden im zweiten Abschnitt diskutiert. Schließlich wird ein generelles Screening in klinischen Risikopopulationen diskutiert.

Suche nach TuberkuloseErkrankung – radiologisches Screening Da die aktive Tuberkulose besonders in den Anfangsstadien oft oligo- bis asymptomatisch verläuft, macht es unter Umständen Sinn, aktiv nach Tuberkulosekranken zu suchen, die den Erreger in der Bevölkerung verbreiten, selber aber zu wenig unter der Erkrankung leiden, um einen Arzt aufzusuchen (‚aktives case-finding‘). Die konsequente und systematische radiologische Reihen-Untersuchung hat sich dabei in dieser Fragestellung gegenüber der Befragung nach Symptomen oder der primären Sputumuntersuchung durchgesetzt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden dabei in allen industrialisierten Ländern ganze Bevölkerungsgruppen radio-

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logisch gescreent. In der Schweiz wurden solche Schirmbildaktionen von der „Zentralkommission zur Bekämpfung der Tuberkulose“ – der späteren Tuberkulose- respektive der heutigen Lungenliga – organisiert und durchgeführt [1]. So wurde zum Beispiel im Kanton Solothurn 1962 mit 50‘000 durchgeführten Schirmbilduntersuchungen rund jeder 4 Kantonseinwohner untersucht, wobei bei 10 % ein pathologischer Befund erhoben wurde. Das radiologische Tuberkulose-Screening war in den industrialisierten Ländern ein wesentlicher Grundpfeiler in der Tuberkulosebekämpfung und in der Gesundheitspolitik tief verwurzelt, insbesondere in der Zeit, bevor eine effektive medikamentöse Therapie mit der Aussicht auf Heilung der Tuberkulose zur Verfügung stand. Untersuchte Personen, bei denen radiologisch eine Kaverne gefunden wurde, wurden sputummikroskopisch weiter untersucht und bei positivem Befund als „Streuer“ bezeichnet und zur Kur in Sanatorien eingewiesen und damit aus der Allgemeinbevölkerung isoliert. So konnte durch Verhinderung weiterer Ansteckungen in der Bevölkerung eine Ausbreitung der Tuberkulose vermieden werden. Mit der kontinuierlichen Abnahme der Tuberkulosefälle in den entwickelten Ländern im Verlauf des letzten Jahrhunderts und mit der seit der 2. Hälfte der 1900er-Jahre verfügbaren kurativen Therapie hat das radiologische Screening deutlich an Wert verloren. Einzig in Ländern mit gleichzeitig vorhandener hoher Prävalenz von HIV und von Tuberkulose, beispielsweise in Südafrika, wird weiterhin systematisch und mit vertretbarem Kosten-NutzenVerhältnis ein radiologisches Screening durchgeführt. Anhand einer kürzlich publizierten Untersuchung bei südafrikanischen Minenarbeitern wird beispielsweise diskutiert, ob es sich sogar lohnen würde, bei diesen Personen

Abbildung 1 Schematische Darstellung der Stadien der Tuberkulose, die jeweils durch spezifische diagnostische Schlüsselelemente definiert sind. Nach Kontakt mit einem Patienten mit ansteckender Tuberkulose-Erkrankung werden einige der Exponierten zu Infizierten, die durch positive immunologische Teste charakterisiert sind. Bei 5 – 10 % der Infizierten kommt es zur Progression ins Stadium der Erkrankung mit klinischen Symptomen, radiologischen Veränderungen und positivem Erregernachweis. Eine präventive Therapie reduziert die Erkrankungswahrscheinlichkeit.

alle 6 Monate routinemäßig eine Röntgenkontrolle durchzuführen [2]. In Europa ist die Methode des aktiven radiologischen Screenings heute weitgehend verlassen. Das früher bei jedem Spitaleintritt angefertigte Thorax -Röntgenbild mag noch da und dort als Überbleibsel aus der Zeit des radiologischen Tuberkulose-Screenings durchgeführt werden. Ernsthaft diskutiert wird das radiologische Screening in den Industrieländern allenfalls nur noch bei der grenzsanitarischen Untersuchung von Zuwanderern und Asylbewerbern aus Ländern mit hoher und sehr hoher Tuberkuloseprävalenz [3]. In der Schweiz wurde das generelle Röntgen dieser Zuwanderer aufgrund von KostenNutzen-Überlegungen kürzlich durch eine Anamnese-basierte ScreeningStrategie ersetzt [4]. Die detaillierte

Auswertung dieser Erfahrungen zeigt allerdings, dass mit der Röntgen-basierten Strategie rund doppelt so viele Fälle von aktiver Tuberkulose entdeckt wurden (31/21727), wie mit dem Anamnese-Screening (16/23402). Dank der guten allgemeinen Gesundheitsversorgung in der Schweiz wurden allerdings die primär verpassten Fälle durchwegs innerhalb von 90 Tagen nach Einreise in die Schweiz diagnostiziert, so dass schlussendlich die Tuberkulose-Prävalenz bei den Asylbewerbern mit 143 respektive 124 Fällen pro 100‘000 Personen mit dem radiologischen Screening 2004/2005 gegenüber dem Anamnese Sceening 2007/2008 stabil blieb [5]. Diese Prävalenz wiederspiegelt, wie zu erwarten, die Tuberkulose Prävalenz in den Herkunftsländern der untersuchten Asylbewerber.

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Suche nach Tuberkulose Exposition und Infektion – Umgebungsuntersuchung In der Schweiz muss jede neu diagnostizierte und einer medikamentösen Therapie zugeführte Tuberkuloseerkrankung den Gesundheitsbehörden, konkret dem Kantonsarzt, gemeldet werden, damit dieser über die Indikation zu einer Umgebungsuntersuchung entscheiden kann [6]. Bei dieser speziellen Form von Screening geht es einerseits darum, mögliche aktive, bisher nicht diagnostizierte ansteckende Tuberkulosefälle in der Umgebung des Patienten zu entdecken, andererseits sollen mittels gezielter Befragung Personen identifiziert werden, die sich möglicherweise mit M.tuberculosis infiziert haben [7]. Anhand einer ersten Analyse des Indexfalles im Bezug auf die Infektiosität, anhand der Vulnerabilität der Kontaktpersonen (spezielles Vorgehen bei Kindern und Immunsupprimierten Kontakten) sowie anhand der Kontakt-Intensität wird eine Priorisierung der Kontakte vorgenommen. Intensive Kontakte, in der Regel > 8 Stunden engster Kontakt mit einem sputumpositiven Indexfall, und besonders anfällige exponierte Personen werden in erster Priorität untersucht. Es geht bei der Beurteilung darum, die Wahrscheinlichkeit einer frischen Infektion mit M.tuberculosis abzuschätzen. Bei Kleinkindern mit hohem Infektionsrisiko wird sofort präventiv eine medikamentöse Prophylaxe verabreicht. Bei den übrigen Kontakten wird nach der primären Erfassung und Information der Kontaktpersonen 8 Wochen zugewartet, um die Ausbildung einer immunologischen Antwort auf die mögliche frische Infektion abzuwarten. Traditionell kommt dann in dieser Situation als immunologischer Test der seit über 100 Jahren gebräuchliche Tuberkulin-Hauttest als Mantoux-Test zum Einsatz (Abb. 1). Er ist

Abbildung 2 Die Umgebungsuntersuchung wird bei mutmaßlich ansteckenden Fällen von Lungentuberkulose durchgeführt. Acht Wochen nach dem letzten Kontakt mit dem Indexfall wird ein Mantoux Hauttest durchgeführt, wobei ein positiver Test mit einem Bluttest bestätigt wird. Positive getestete Personen werden nach Ausschluss einer Tuberkulose-Erkrankung präventiv behandelt.

Abbildung 3 Schematische Darstellung der zwei kommerziellen Interferon Gamma Release Assays, dem QuantiFERON TB Gold® und dem T-spot.TB®. Während beim ersten Test die Interferonkonzentration mittels ELISA bestimmt wird, verwendet der andere Test die Elispot Methode, bei der die Anzahl positiver Zellen (spots) angegeben wird. Bei beiden Testen werden zur Stimulation Antigene der RD-1 Region verwendet und eine Mitogen Positivkontrolle mitgeführt.

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durch seine Verbreitung und seine langjährige Anwendung an großen Populationen sehr gut untersucht, so dass das mit einem bestimmten Testresultat assoziierte Risiko für eine spätere Tuberkuloseerkrankung genau vorhergesagt werden kann. Der Mantoux hat aber auch gewichtige Nachteile. Der

Test ist methodisch schwierig durchzuführen, da das Tuberkulin streng intrakutan injiziert werden muss und das Ablesen der Induration nach 48 – 72 Stunden eine zweite Visite des Patienten sowie eine spezifische Erfahrung der ablesenden Person erfordert. Zudem beeinflusst sowohl eine stattge-

Tabelle 2 Typische klinische Situationen in denen der Einsatz der immunologischen Blutteste (IGRA) sinnvoll respektive problematisch ist Sinnvoll

Problematisch

Bei der Frage nach Infektion mit M.tuberculosis als Bestätigungstest bei positivem Mantoux (Verbesserung der Spezifität, vor allem bei BCG Geimpften)

Zum Ausschluss einer aktiven Tuberkulose: Die Sensitivität ist dazu ungenügend. Zudem kann der Test nicht zwischen Infektion und Erkrankung unterscheiden (schlechte Spezifität für Erkrankung).

Primär bei immunsupprimierten Kontaktpersonen (HIV, Niereninsuffizienz etc.) da der Mantoux falsch negativ sein kann, beim IGRA aber eine Positivkontrolle mitgeführt wird. Zur Diagnostik der Infektion vor der Einleitung einer immunosuppressiven Therapie, falls bei positivem Befund eine prophylaktische Therapie durchgeführt wird.

habte Impfung mit BCG als auch ein früher durchgeführter Mantoux-Test das Resultat von erneuten MantouxUntersuchungen, zum Beispiel aufgrund des sogenannten Booster-Phänomens. Sensitivität und Spezifität des Tests sind je nach gewähltem Grenzwert unterschiedlich. Bei einem cut-off von 5 mm ist der Mantoux sehr sensitiv, aber wenig spezifisch, bei einem cut-off von 15 mm steigt die Spezifität, hingegen ist die Sensitivität reduziert. Die in der Schweiz aktuellen Richtlinien [6] empfehlen einen tiefen cut-off, bevor dann in einem zweiten Schritt mit einem spezifischeren Test die falsch positiven Resultate ermittelt werden sollen (Abb. 2).

Interferon Gamma Release Assays (IGRA)

Wenn bei positivem Test keine prophylaktische Therapie durchgeführt wird ergibt sich kein Profit, weder für den Patienten noch für die epidemiologische Tuberkulosesitation.

Als spezifischere, gut standardisierte Routine-Tests stehen heute Blutteste zur Verfügung, bei denen in vitro die immunologische Antwort als Freisetzung von Interferon Gamma auf Stimulation der Blut-Lymphozyten mit den Oberflächenproteinen der region

Tabelle 1 Im klinischen Kontext wichtige Eigenschaften des Hauttests nach Mantoux im Vergleich zu den neueren Bluttesten (Interferon Gamma Release Assays). Hauttest Mantoux

Bluttest Interferon Gamma Release Assay (IGRA)

Spezifität Ungeimpft: 98 %* (richtig negativ bei fehlender Exposition) BCG geimpft: 56 %*

97 %* (92 %*)

Sensitivität [3] (richtig positiv bei aktiver Tuberkulose)

70 % (CI 67 – 72 %) (5 mm 80 %, 10 mm 73 %)

84 % (CI 81 – 87 %) QFT-G 88 % (CI 85 – 90 %) T.spot.TB

Korrelation mit Exposition

++ (BCG Geimpfte +/-)

+++

Performance bei Immunsuppression / HIV / Kleinkindern

keine Positivkontrolle Wertigkeit unsicher, gelegentlich falsch-negativ

Positivkontrolle vorhanden Testqualität abschätzbar

Progressions-Risiko zur Tuberkulose Erkrankung

Bestens bekannt: 3 – 10 % Risikofaktoren klar definiert (siehe Tabelle 3) [11]

Wenig Daten: 12 % bei Umgebungsuntersuch [12], 3 % bei Asylbewerbern [14]

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of difference 1 (RD-1), dem early secretory antigen target 6 (ESAT-6) und dem culture filtrate protein 10 (CFP-10) der M.tuberculosis Zellwand gemessen wird (Abb. 3)[8]. Diese sogenannten Interferon Gamma Release Assays (IRGA) weisen somit eine Sensibilisierung gegen spezifische M.tuberculosis Antigene nach, so dass man davon ausgehen kann, dass positiv getestete Personen mit dem Krankheitserreger in engem Kontakt standen respektive mit dem Erreger infiziert sind [9]. Die Wertigkeit der IGRAs für das Tuberkulose-Screening wurde in den letzten 10 Jahren intensiv erforscht und zunehmend besser definiert. In einem umfassenden Consensus Statement der Europäischen Expertenvereinigung TBNET wurde der aktuelle Wissensstand 2009 konzis zusammengefasst [9]. Die klinische Wertigkeit der IGRA im Vergleich zum Mantoux (Tab. 1) sowie einige typische Situationen in denen die IGRA sinnvollerweise eingesetzt werden (Tab. 2), wurden tabellarisch zusammengefasst. Insbesondere gilt es zu beachten, dass die Sensitivität der IGRA bei aktiver Tuberkulose nicht ausreicht, um eine Erkrankung mittels negativem Testresultat zuverlässig auszuschließen, da sie bei mikrobiologisch bestätigter aktiver Tuberkulose gemäß Metaanalysen der in westlichen Ländern durchgeführten Studien nicht über 84 % (confidence interval CI 81 – 87 %, Quantiferon TBGold intube) respektive 89 % (CI 86 – 91 %, T-spot TB) hinaus kommt [10]. Wie für den Mantoux gilt auch für die IGRAs, dass die Testung nur dann Sinn macht, wenn bei einem positiven Testresultat in einem obligatorischen nächsten Schritt eine präventive Therapie durchgeführt wird (Tab. 2). Nach der Infektion ist das Risiko für eine Progression zur Tuberkulose-Erkrankung in den ersten 6 – 8 Wochen am größten und sinkt dann in den darauffolgenden 7 Jahren exponentiell. Kumulativ wird

bei einem positiven Mantoux von einem lebenslangen Progressionsrisiko von rund 10 % ausgegangen [11], bei einem positiven IGRA liegt diese Wahrscheinlichkeit tendenziell wahrscheinlich höher, wobei diesbezüglich nur

sehr limitierte Erfahrungen vorliegen [12 – 14]. Mit der zuverlässigen Durchführung einer präventiven Chemotherapie mit Isoniacid 300 mg täglich für 9 Monate kann das Erkrankungsrisiko bei Personen ohne zusätzliche Risiko-

Tabelle 3 Risikofaktoren für das Fortschreiten einer Infektion mit Mycobacterium tuberculosis in eine symptomatische Tuberkulose Erkrankung mit dem entsprechenden relativen Risiko. Ein aktives screening mit der Suche nach Infizierten, gefolgt von einer präventiven Therapie, ist für gekennzeichnete Populationen (§) indiziert. Zustand

Relatives Risiko oder Odd‘s Ratio

Immunsuppression HIV-positive und Mantoux-positiv (§)

50 – 110

AIDS (§)

110 – 170

Organtransplantation mit Immunsuppression (§)

20 – 74

Therapie mit anti-Tumor Nekrose Faktor -α Antikörpern (§)

1.5 – 17

Kortikosteroide > 15 mg Prednisolon Aequivalent /Tag für > 2 – 4 Wochen

4.9#

Malignome

4–8

Haematologische Malignome (Leukämien, Lymphome) Karzinome im Hals-Nasen-Ohren Bereich oder der Lunge Gastrektomie Jejunoilealer bypass Silikose (§)

16 2.5 – 6.3 2.5 27 – 63 30

Chonischen Niereninsuffizienz/Hämodialyse (§)

10 – 25

Diabetes mellitus

2 – 3.6

Nikotinabusus Exzessiver Alkoholkonsum

2–3 3

Untergewicht

2.0 – 2.6

Alter < 5 Jahre

2–5

< 2 Jahre

*

Modifiziert nach [7] § Populationen, bei denen ein generelles screening, gefolgt von einer präventiven Therapie bei positivem Befund, empfohlen ist. # die Datenlage bezüglich dem Risiko unter Steroiden und unter anderen immunsuppressiven Therapien ist unbefriedigend. * bei Kindern < 12 Monaten liegt das Risiko für pulmonale Tuberkulose nach Infektion mit M.tuberculosis bei 30 – 40 %, für meningeale oder miliare Tuberkulose bei 10 – 20 %, zwischen 12 und 24 Monaten entsprechend bei 10 – 20 % respektive 2 – 5 %.

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faktoren um rund 90 % reduziert werden (Abb. 1). Die Effektivität von alternativen Behandlungsschemen, zum Beispiel mit Rifampizin für 4 Monate, ist weniger gut studiert, liegt aber wahrscheinlich bei einer Risikoreduktion von rund 70 % [7].

Suche nach Tuberkulose in Hochrisiko-Populationen Mit M.tuberculosis infizierte Personen, die einem erhöhten Risiko für eine Progression in eine aktive Tuberkulose ausgesetzt sind, profitieren am meisten von einer präventiven Therapie. Die diesbezüglich wichtigste Population sind HIV- und AIDS-Patienten, bei denen das Risiko 100-fach erhöht ist [7] (Tab. 3). In dieser Population ist die Durchführung eines Mantoux Testes nicht sinnvoll, da das Anergie-Risiko und damit falsch negative Teste vorliegen können. Heute wird deshalb in der Betreuung von HIV-Patienten ein IGRA empfohlen. Bei positivem Testresultat soll eine 9-monatige vorsorgliche Therapie mit Isonizid durchgeführt werden. Dasselbe gilt für die Evaluation von Patienten, die im Hinblick auf eine Organtransplantation abgeklärt werden: Wegen der schweren Erkrankung vor Transplantation respektive wegen der bevorstehenden Immunsuppression nach Transplantation besteht die Gefahr eines falsch negativen Mantoux-Tests, so dass ein primärer IGRA sinnvoll ist. Die Wahrscheinlichkeit für die Progression von der Infektion zur Tuberkulose-Erkrankung ist in dieser Population deutlich erhöht, so dass sich ein immunologisches Screening mit prophylaktischer Therapie bei positivem Befund aufdrängt. Weitere Hochrisiko-Populationen, bei denen ein systematisches Screening sinnvoll ist und generell empfohlen wird, sind Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz sowie alle Personen, die mit tu-

mor necrosis factor (TNF) Antagonisten behandelt werden [15] (Tab. 3). Eine detaillierte Übersicht zu den insbesondere auch pathophysiologisch sehr interessanten Zusammenhängen zwischen der Immunkontrolle der M.tuberculosis Infektion und der Rolle von TNF bei dieser antibakteriellen Immunantwort findet sich in einer kürzlich publizierten umfassenden Review [15]. Aus dieser Übersichtsarbeit geht auch hervor, dass alle publizierten Nationalen Europäischen Guidelines vor Einleitung einer Therapie mit TNFAntagonisten ein generelles Screening hinsichtlich Tuberkulose-Infektion sowie ein Thoraxröntgen fordern. Zusätzlich zur immunologischen Testung – meist wird heute ein IGRA empfohlen – soll mittels detaillierter Anamnese nach Tuberkulose-Kontakten und dem bisherigen Lebensumfeld gefragt werden, damit das Risiko einer Infektion auch klinisch im Sinne einer Vor-TestWahrscheinlichkeit zuverlässig abgeschätzt werden kann.

Tuberculosis control Tuberculosis control activities focus on identification and treatment of sputum smear positive tuberculosis patients. As soon as these patients can be treated, they not only have an optimal chance for cure, they also no longer spread Mycobacterium tuberculosis (M.tb) in the community. Screening is a systematic search for tuberculosis disease, often performed by radiological or by sputum smear examinations. On the other hand, Screening for Infection with M.tb is with immunological tests. Persons infected with M.tb have an increased risk to develop active tuberculosis in the future. Screening for infection is recommended in tuberculosis contact tracing and in several risk

groups for the progression to tuberculosis disease, specifically before the start of immunosuppressive therapy with tumor necrosis factor antagonists or in transplant recipients. Several immunological tests are available. If compared to the traditional in vivo Mantoux tuberculin skin test, in vitro blood tests called Interferon Gamma Release Assays (IGRA) are more specific because the cell wall antigens used for the tests are not present in the wall of Bacille Calmitte Guerin BCG and most atypical mycobacteria. Another advantage of IGRA is the mitogen positive control, which detects unreliable tests in immunodeficiency. Persons found to be infected with M.tb are treated with prophylactic isoniacid for 9 months.

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Korrespondenzadresse PD Dr. med. Otto Schoch Fachbereich Pneumologie Kantonsspital St. Gallen Rorschacherstraße 95 CH - 9007 St. Gallen [email protected]

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