TTIP, CETA, TiSA Freihandelsabkommen in der Kritik

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Author: Swen Albert
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Wirtschaftspolitik-Info

TTIP, CETA, TiSA – Freihandelsabkommen in der Kritik

Stand: 09/2016

TTIP, CETA, TiSA – Freihandelsabkommen in der Kritik

Mit TTIP, CETA und TiSA werden nicht nur klassische Freihandelsabkommen verhandelt, sondern die generellen Verfahrensregeln unserer demokratischen Systeme stehen auf dem Spiel. Es geht nicht um Verträge, die Staaten miteinander abschließen, oder die beispielsweise die USA der EU „aufdrücken“ wollen. Es geht unserer Ansicht nach um Verträge, die das internationale Kapital, also transnationale Konzerne und deren Lobbygruppen, auf Kosten der staatlichen Handlungsfähigkeit durchsetzen wollen. Um Vorteile, die ein Handelsabkommen durch den Abbau von Zöllen oder die gegenseitige Anerkennung einzelner technischer Standards z.B. für kleine und mittlere Unternehmen bringen könnte, zu erreichen, sind solch umfassende Abkommen wie TTIP, CETA oder TiSA nicht nötig. Diesen Preis müssten die Politik, und damit an Ende wir als Bürger einer demokratischen Staatengemeinschaft, nicht zahlen. Kernforderungen der AK • Die EU-Kommission muss für einen angemessenen Interessenausgleich in den Verhandlungsprozessen sorgen und aktiv auf unterrepräsentierte Gruppen zugehen • Die Verhandlungsprozesse müssen - trotz Transparenzoffensive und TTIP-Leseraum in Berlin - transparenter und nachvollziehbarer werden • Das Europaparlament muss konkrete Möglichkeiten zur Einwirkung auf die Verhandlungsergebnisse haben • Die Abkommen dürfen keine Gefahren für Arbeits-, Umwelt-, Sozial- oder Verbraucherschutz-Standards mit sich bringen • Der zunehmenden Dominanz des Marktes gegenüber gesamtgesellschaftlichen Interessen muss Einhalt geboten werden • Demokratische Verfahren dürfen nicht umgangen werden und staatliche Handlungsspielräume müssen in vollem Umfang erhalten bleiben. Das bedeutet: • Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge müssen aus den Abkommen ausgenommen werden. Es muss ein Positivlistenansatz gewählt werden, das heißt nur solche Bereiche, 2

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die explizit im Vertragstext genannt werden, fallen unter dessen Geltungsbereich. Nicht genannte Bereiche dürfen somit nicht automatisch von den Abkommen betroffen sein. • Auch für das öffentliche Beschaffungswesen dürfen keine Regelungen erfolgen, die zu weiterer Liberalisierung oder Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen führen • Die AK lehnt die Einsetzung eines Regulierungsrates, der Konzerne und beispielsweise US-Behörden zu Co-Gesetzgebern der EU machen würde, ab • Die AK lehnt Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren auch in Form des ICS ab. Die Rechtsordnungen der Wirtschaftsräume bieten ausreichenden Schutz für Investoren. Freihandelsabkommen müssen dazu dienen, kleine und mittlere Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu stärken und dürfen nicht dazu missbraucht werden, die Macht multinationaler Großkonzerne weiter auszubauen. Grundsätzlich gilt: Arbeitnehmerrechte müssen geschützt werden. Sie müssen auch zukünftig im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterentwickelt werden können: • Eine Voraussetzung für Freihandelsabkommen muss die vollständige Ratifizierung aller ILO-Sozialstandards – inklusive durchsetzbare Regeln zur Umsetzung – in der EU, in den USA sowie in allen anderen beteiligten Staaten sein. • Mitbestimmungs- und Arbeitnehmerrechte in transatlantischen Unternehmen müssen auf dem höchsten Standard gesichert werden. • Wenn Beschäftigte zur Arbeit in ein Partnerland oder nach Europa entsandt werden, dann muss das Ziellandprinzip gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Wenn diese Mindestanforderungen an die Freihandels­ abkommen nicht erfüllt werden, dann bleibt nur die Ablehnung. Wichtig ist es, ökonomische und demokratische Alternativen im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung und Handelspolitik zu entwickeln, die nicht versuchen, Wirtschaftsblöcke und Standorte gegeneinander auszuspielen. Ziel muss es – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen anti-europäischen Strömungen – sein, auf einen fairen Handel hinzuwirken, von dem die breite Masse der Bevölkerung und nicht lediglich einflussreiche Konzerne profitiert.

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TTIP, CETA, TiSA – Freihandelsabkommen in der Kritik

1. Die Abkommen: Worum geht es und was ist der aktuelle Stand? 1.1 TTIP – Das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA TTIP steht für die geplante Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (englisch: Transatlantic Trade and Investment Partnership), die seit Sommer 2013 zwischen den USA und der EU ausgehandelt wird. Es geht um ein Abkommen zur Erleichterung des Handels zwischen diesen beiden Wirtschaftsräumen und zur Förderung von Investitionen. Ein zentraler Aspekt bei Freihandelsabkommen ist der Abbau von Zöllen. Da diese aber im Durchschnitt zwischen EU und USA bereits sehr niedrig sind und den Handel folglich nur noch in einigen wenigen Wirtschaftsbereichen beeinträchtigen, versprechen sich die Verhandlungspartner größere Effekte durch die Beseitigung von sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnissen wie „unnötige Regulierungen“ oder bürokratische Hindernisse. Auch unterschiedliche Gesundheits-, Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards können von Unternehmen als Handelshemmnis betrachtet und damit als harmonisierungsbedürftig angesehen werden. Die Verhandlungen wurden im Juni 2013 offiziell aufgenommen. Ziel der Verhandlungspartner war ein schneller Abschluss bis Ende 2016. Dies hat sich aber als illusorisch erwiesen. Die Verhandlungen gehen nur zäh voran, die TTIP-Leaks von Anfang Mai 2016 zeigen, dass weiterhin große Differenzen zwischen USA und EU in zentralen Punkten bestehen. Die Kritik der Öffentlichkeit führt zudem dazu, dass es schwieriger für die Regierungen wird, Zugeständnisse auf Kosten ihrer Bürger zu machen. Eine offizielle Frist für die Beendigung der Verhandlungen gibt es nicht. Als wichtiger Termin werden aber die US Präsidentschafts-Wahlen im November 2016 gesehen, da von den Präsidentschaftskandidaten beider Lager bisher viel Kritik am geplanten Abkommen geübt wurde. Im Vorwahlkampf in den USA haben sich unter anderem Hillary Clinton und Donald Trump kritisch zu Freihandelsabkommen geäußert. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Verhandlungen nicht mehr unter Obamas Regierung abgeschlossen werden. Viele Experten und Politiker gehen davon aus, dass TTIP bereits „tot“ ist.

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Nun lediglich darauf zu hoffen, dass dies zutrifft, ist allerdings schon allein deshalb nicht sinnvoll, da die EU-Kommission aktuell weitere Abkommen verhandelt, von denen mindestens zwei ebenso große Risiken aufweisen wie TTIP. Hierbei handelt es sich zum einen um das bereits fertig verhandelte Abkommen mit Kanada (CETA) und das Dienstleistungsabkommen TiSA. 1.2 CETA – Das Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada CETA steht für Comprehensive Economic and Trade Agreement (deutsch: Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen) und bezeichnet das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Ähnlich wie bei TTIP sind die Ziele von CETA die Erleichterung des Handels zwischen beiden Wirtschaftsräumen und die Förderung von Investitionen. Und ähnlich wie bei TTIP droht auch mit CETA ein massiver Abbau von Demokratie, öffentlicher Daseinsvorsorge und Umweltschutz. CETA ist nach dem Abkommen mit Vietnam der zweite Handelsvertrag der EU, der Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren vorsieht: Unternehmen können die Vertragsstaaten vor Tribunalen verklagen, wenn sie ihre zukünftigen Profiterwartungen durch Gesetzgebungen eingeschränkt sehen. Damit kommen auf die Staaten Klagen in Milliardenhöhe zu. Zugleich wird der Spielraum für eine Gesetzgebung, bei der andere Ziele (z. B. soziale oder ökologische) vor wirtschaftlichen Erwägungen im Vordergrund stehen, erheblich eingeschränkt. Profitieren werden vor allem transnationale Konzerne. Zudem droht durch CETA TTIP durch die Hintertür: Insgesamt haben US-Unternehmen rund 51.400 Niederlassungen in Kanada und über 80% der in der EU aktiven US-Unternehmen könnten über Niederlassungen in Kanada bereits durch CETA Investor-Staat-Klagen gegen die EU nutzen, selbst wenn das TTIP-Abkommen zwischen den USA und der EU scheitert. Die Verhandlungen zwischen der EU und Kanada wurden eigentlich schon im September 2014 abgeschlossen. Ratifiziert, also in Kraft gesetzt, ist CETA immer noch nicht. Denn aufgrund des öffentlichen Drucks gegen das Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren („Sonderklagerechte für Konzerne“) wurde CETA bis zum 29.2.2016 nachverhandelt. 5

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Am 27.10.2016 könnte CETA auf dem EU-Kanada-Gipfel unterzeichnet werden. Da die EU-Kommission (nach massivem öffentlichem Druck) dem Rat der Europäischen Union empfiehlt, CETA als gemischtes Abkommen einzustufen, bedarf es auch der Zustimmung der nationalen Parlamente. Allerdings ist zu befürchten, dass diese lediglich über Teilaspekte abstimmen dürfen, die nur ihr eigenes Land betreffen. Experten schätzen diesen Anteil auf 5% bis 10% des gesamten Abkommens. Zudem möchte die Europäische Kommission das Abkommen noch vor Ratifizierung durch die nationalen Parlamente vorläufig in Kraft treten lassen. Dadurch würde CETA faktisch ab Herbst 2016 existieren, sobald Rat der EU und EU-Parlament zugestimmt haben. Dadurch werden Investorenklagen möglich, ebenso wie Angriffe auf öffentliche Dienstleistungen. Dieser Schaden würde wohl kaum wieder gut gemacht werden, wenn CETA anschließend am Bundestag oder an anderen Parlamenten scheitert. 1.3 TiSA – Das Dienstleistungsabkommen zwischen EU, USA und 21 weiteren Ländern TiSA steht für „Trade in Services Agreement“. Es handelt sich also um ein Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen. Es verhandeln die „wirklich guten Freunde von Dienstleistungen“ – die EU, die USA und 21 weitere Länder (Australien, Kanada, Chile, Taiwan, Kolumbien, Costa Rica, Hongkong, Island, Israel, Japan, Korea, Liechtenstein, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Peru, die Schweiz und die Türkei). Zusammen erbringen diese Staaten knapp 70 Prozent des globalen Handels in Dienstleistungen. Ziel des Abkommens ist es, den weltweiten Handel mit Dienstleistungen zu deregulieren und nationale Dienstleistungsmärkte für ausländische Investoren und Konzerne zu öffnen. Vor diesem Hintergrund liegen praktisch die gesamten öffentlichen Dienstleistungen auf dem Verhandlungstisch. Paraguay und Uruguay sind im Laufe des Jahres 2015 ausgestiegen, da es in diesen Ländern einen großen innenpolitischen Druck gegen weitere Liberalisierung des Dienstleistungssektors gab. Eröffnet wurden die Verhandlungen offiziell im Jahr 2013. Inoffiziell begannen sie allerdings bereits schon Anfang 2012. Alle Verhandlungen laufen unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Wann die TISA-Verhandlungen abgeschlossen werden, lässt sich derzeit nicht sagen. Viele Verhandlungskapitel sollen zwischen den vielen Vertragsstaaten umstritten sein. 6

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2. Mangelnde Transparenz Verträge über Freihandel waren in der Vergangenheit immer Sache von Experten: Für die Verhandlungen hat sich kaum jemand interessiert, die Vertragstexte durfte niemand außer den Beteiligten lesen. Auch die Verhandlungen zu den drei Abkommen sind so gestartet. Die Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt. Hauptverantwortlich für die Verhandlungen über die Abkommen ist auf Seiten der EU die Generaldirektion Handel der EU-Kommission. Personell vertreten wird diese durch die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Die Richtlinien, an die sich die Generaldirektion Handel bei den Verhandlungen halten muss, wurden von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer im Europäischen Rat festgelegt. Beispielsweise wurde aber das TTIP-Verhandlungsmandat, also der Auftrag, in dem die Kommission verhandelt und in dem die Themen und grundlegenden Positionen für die Verhandlungen festgelegt sind, lange Zeit geheim gehalten. Erst Monate nachdem der Text „geleakt“ wurde – also von jemanden ohne Erlaubnis ins Internet gestellt wurde – hat die EU das Verhandlungsmandat im Oktober 2014 (und damit über ein Jahr nach Verhandlungsbeginn) auch offiziell veröffentlicht. Besonders problematisch ist, dass die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, zivilgesellschaftlicher Akteure und sogar unter mangelhafter Mitwirkung der nationalen Parlamente stattfinden. Selbst das Europaparlament wird lediglich über den Stand der Verhandlungen in Kenntnis gesetzt, hat aber keine Möglichkeiten zur Einwirkung auf die Verhandlungen. Wenn Abgeordnete oder die wenigen ausgewählten Vertreter der Zivilgesellschaft Verhandlungsunterlagen sehen dürfen, dann nur in speziellen Leseräumen, die z.T. nur zwei mal zwei Stunden in der Woche offen sind. Die Personen, die Zugang erhalten, sind zu Stillschweigen verpflichtet. Sie dürfen ihr Wissen und erst recht nicht die Dokumente weitergeben; auch nicht, um beispielsweise von externen Sachverständigen bewerten zu lassen. Die transparente, sachkundige Bewertung der Verhandlungspositionen und ein demokratischer Willensbildungsprozess sind so folglich kaum möglich. Da die öffentliche Aufmerksamkeit zu dieser Zeit noch nicht so hoch war wie dies heute der Fall ist, wurde der Vertragstext von CETA völlig geheim ausgehandelt. Auch nach Ende der 7

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Verhandlungen wurde versucht, den Vertragstext noch möglichst lange geheim zu halten, wohl auch, um den Widerstand gegen TTIP nicht noch stärker zu schüren, da klar war, dass CETA die Blaupause für TTIP sein würde. Die TiSA-Verhandlungen überbieten dieses bereits hohe Maß an Intransparenz noch weiter: Alle Verhandlungen laufen – und das schreibt die Europäische Kommission sogar auf ihrer Website – geheim ab. Obwohl alle Verhandlungspartner Mitglieder der WTO sind, finden die Verhandlungen außerhalb der WTO statt. Nationale Parlamente sind nicht eingebunden, werden häufig nicht einmal informiert. Verhandlungsdokumente werden nicht offen gelegt und welche Dimension die Geheimhaltung bei TiSA einnimmt, ergibt sich aus der Bedingung der USA, dass ihre Forderungen in den Verhandlungen: „für fünf Jahre nach Inkrafttreten eines Tisa-Abkommens oder nach ergebnislosem Ende der Verhandlungen geheim gehalten halten werden müssen“. So wird demokratische Kontrolle vollkommen ausgehebelt. „Transparenzoffensive“ bei TTIP Aufgrund des massiven öffentlichen Drucks hat die EU-Kommission Ende 2014 eine sogenannte „Transparenzoffensive“ eingeleitet: Neben der Veröffentlichung des Verhandlungsmandats stellt die EU-Kommission auf ihrer Website einige ihrer Verhandlungspositionen online. Dies betrifft allerdings nur ausgewählte Inhalte. Die (besonders kritischen) Themen zu beispielsweise Dienstleistungen, Investitionen und dem Beschaffungswesen sind ausgenommen. Die Europäische Kommission behält sich zusätzlich vor, Verhandlungspositionen bei individuellen Anfragen nicht offen zu legen. Damit unterliegt es völliger Kommissionswillkür, ob angefragte Dokumente offengelegt werden oder nicht. Konsolidierte Texte sind lediglich in einem Lesesaal einsehbar (siehe unten). Zudem kann die US-Seite gegen die Veröffentlichung von Dokumenten mit US-Bezug Einspruch erheben. Die USA sind übrigens weiterhin weit davon entfernt, ihre Verhandlungspositionen zu veröffentlichen. Letztlich bezieht sich die Transparenzoffensive ausschließlich auf TTIP und nicht auch auf die anderen Freihandelsverhandlungen. TTIP-Lesesaal in Berlin Kritisch zu beurteilen ist auch der TTIP-Lesesaal in Berlin. Seit dem 01.02.2016 haben die Bundestagsabgeordneten 8

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in Deutschland nun Einsicht in die konsolidierten TTIP-Verhandlungsdokumente. Die Abgeordneten dürfen aber kaum Aufzeichnungen von den Verhandlungsunterlagen machen, sie dürfen vor allem nicht darüber reden. Ein geleaktes Dokument zeigt die Spielregeln auf, denen die Parlamentarier zu folgen haben: • Verschwiegenheitserklärung • Vor Zutritt zum Leseraum müssen Mobiltelefone, Kameras und andere elektronische Geräte mit einer Aufzeichnungsfunktion sowie Taschen in bereitstehenden Schließfächern eingeschlossen werden • Papier und Stifte werden vom Bundesministerium für Wirtschaft bereitgestellt Ein überwachter Leseraum für eine begrenzte Anzahl von Abgeordneten pro Woche, die über die gelesenen Inhalte nicht einmal öffentlich reden dürfen und sich somit auch keine fachliche Expertise einholen können, ist kein echter Fortschritt.

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3. Demokratiedefizit Das Beispiel TTIP zeigt, dass die Wirtschaft bereits bei den Vorbereitungen zu den Verhandlungen einen enormen Einfluss hatte: Im November 2011 wurde auf einem EU-USA-Gipfeltreffen eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche die Möglichkeiten für intensivere Wirtschaftsbeziehungen zwischen EU und USA ausloten sollte. Parallel zur Arbeit dieses Gremiums führte die EU-Kommission Beratungstreffen durch, die fast ausschließlich mit Industrievertretern stattfanden: Von allen Treffen, die die EU-Kommission zur Vorbereitung der Verhandlungen zwischen Anfang 2012 und Frühjahr 2013 durchführte, waren über 90 Prozent Treffen mit Konzernen oder deren Lobbyverbänden. Treffen mit Gewerkschaften und Verbraucherorganisationen gab es hingegen nur eine Handvoll. Nachdem Kritik an diesem vollkommen unausgewogenen Prozess immer lauter wurde, hat die Kommission ein Beratungsgremium einberufen, das die Verhandlungen begleiten soll. Das Gremium besteht aus sieben Industrievertretern, zwei Vertretern von Umweltschutzverbänden, zwei von Gewerkschaften und einem Vertreter von Transparenz-Organisationen. So soll das Gefühl vermittelt werden, dass auch andere Interessenvertreter am Prozess beteiligt werden. Allerdings zeigen die bisher veröffentlichten Protokolle der Sitzungen, dass kaum über die wirklich kritischen Fragen gesprochen wurde. Außerdem erhalten die Mitglieder keine Informationen aus erster Hand, insbesondere erhalten auch sie keinen Zugang zu den Vertragstexten. Letztlich ist dadurch auch kaum der massive Einfluss wieder gutzumachen, von dem der Beginn der Verhandlungen und die Zieldefinition geprägt war. Machen Lobbyisten zukünftig Gesetze – regulatorische Kooperation Um zukünftig „Handelshindernisse“ dauerhaft zu beseitigen, sollen außerdem die jeweiligen Regulierungsbehörden bei der Abfassung neuer Rechtsvorschriften im Rahmen einer fortlaufenden regulatorischen Kooperation eng zusammenarbeiten. Vor allem in dieser Hinsicht gehen TTIP und CETA weit über typische Freihandelsabkommen hinaus, da auch Einfluss auf zukünftige Möglichkeiten zur Regulierung genommen wird. In der Sache werden bei den Abkommen die Harmonisierung, die gegenseitige Anerkennung von Standards oder eine Vereinfachung von Vorschriften angestrebt. Jedoch bestehen 10

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zwischen den Verhandlungspartnern oft so grundlegende Unterschiede, dass nicht alle Differenzen während der Verhandlungen beigelegt werden können. Auch deshalb sind TTIP und CETA als sogenannte „living agreements“ angelegt, deren Geltungsbereich im Laufe der Zeit weiter ausgebaut werden soll. Bestandteil davon ist eine institutionalisierte regulatorische Zusammenarbeit. Dadurch sollen gemeinsame Verfahren entwickelt werden, mit deren Hilfe beide Seiten neue Gesetze, die zu Handelsstreitigkeiten führen könnten, abschwächen oder verhindern können. Zudem sollen bestehende Gesetze zwangsweise abgeändert werden können. So könnten frühere und bestehende Streitigkeiten beigelegt werden. Es ist zu befürchten, dass dies Gesetzen und Vorschriften, die einem breiteren öffentlichen Interesse dienen, entgegensteht, da erklärtes Ziel der regulatorischen Kooperation ja vor allem die Erleichterung des Handels ist. Regulatorische Zusammenarbeit ist kein neues Phänomen: Auch schon zu Beginn der transatlantischen Zusammenarbeit im Jahr 1995 waren EU und USA fest entschlossen, große Unternehmen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Aus diesem Grund unterstützten die EU-Kommission und das US-Handelsministerium die Gründung des Transatlantischen Wirtschaftsdialogs. Die Erfahrung der letzten 20 Jahre ist eindeutig: transatlantische Vorhaben wurden in enger ‚Zusammenarbeit‘ von Beamten und Unternehmenslobbyisten entwickelt. Meist mit positivem Ergebnis für mächtige Konzerne auf Kosten des Gemeinwohlgedankens. Besonders beunruhigend ist allerdings die Tatsache, dass dies aus einer Zeit stammt, in der regulatorische Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis erfolgte. Die entsprechenden Regelungen waren nicht sehr umfangreich und die institutionelle Struktur relativ schwach. Durch regulatorische Kooperation in den Abkommen wird das ganz anders sein. Für den bisher eher informellen (und dennoch jetzt schon enormen) Einfluss von Lobbygruppen auf die europäische Wirtschaftspolitik würden offizielle Verfahren geschaffen werden. Durchgesickerten TTIP-Verhandlungsdokumenten ist zu entnehmen, dass die EU die regulatorische Zusammenarbeit bei TTIP auf verschiedene Weise nutzen will: Ein „Regulierungsrat“ könnte eingesetzt werden, in dem Lobbyisten gemeinsam mit EU- und US-Behörden Regulierungsmaßnahmen entwerfen oder über deren Gleichwertigkeit entscheiden. Bevor die EU-Kommission dem Parlament also neue Vorschläge 11

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übermittelt, sind diese dann bereits mit der US-Regierung und Lobbyisten abgestimmt. Diese werden so zu Co-Gesetzgebern in der EU. Die regulatorische Kooperation soll als Frühwarnsystem dienen, um sicherzustellen, dass die andere Seite in die Vorstufe der Entscheidungsfindung eingebunden werden kann: Dabei geht es besonders um die Entwurfsphase, bevor überhaupt gewählte Politiker aus den Parlamenten einbezogen werden. So genannte Stakeholder („Interessengruppen“) aus der EU und den USA sollen frühzeitig informiert werden, wenn irgendwo neue Regeln für die Wirtschaft in Planung sind, um ihre Bedenken und Änderungsvorschläge frühzeitig einbringen zu können. Bei diesen Stakeholdern handelt es sich vor allem um Lobbyisten der großen Finanz- und Wirtschaftsverbände. Der Einfluss von Unternehmenslobbyisten wird somit institutionalisiert. Vor dem Hintergrund, dass die Verhandlungen mittlerweile von der Öffentlichkeit kritisch verfolgt werden und die Verträge am Ende ratifiziert werden müssen, dürften in jetzigen Verhandlungsprozessen besonders sensible Bereiche ausgespart bleiben. Über diese Bereiche kann aber nach Abschluss der Verträge im Rahmen der regulatorischen Kooperation weiter verhandelt werden. Diese Verhandlungen entziehen sich dann sowohl der öffentlichen als auch der demokratischen Kontrolle. Mit der regulatorischen Kooperation droht auf verschiedene Art eine Machtumverteilung weg von den Parlamenten hin zu nicht demokratisch legitimierten Gremien und Lobbyisten. Die regulatorische Zusammenarbeit stellt damit eine Gefahr für die demokratischen Grundsätze und unser Recht auf Regulierung für das Gemeinwohl dar. Wer entscheidet? „EU-only“ oder „gemischte Abkommen“? Bei dem bereits ausgehandelten Abkommen CETA zwischen EU und Kanada hat sich die EU-Kommission dafür ausgesprochen, dass Abkommen als gemischtes Abkommen einzustufen. Damit dürfen nun 28 nationale und 14 regionale Parlamente auf europäischer Seite über CETA abstimmen. Allerdings ist noch offen, worüber die Parlamente konkret abstimmen sollen und was passiert, wenn ein Staat CETA nicht 12

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ratifiziert. Es ist zu befürchten, dass die Parlamente lediglich über Teilaspekte abstimmen dürfen, die nur ihr eigenes Land betreffen. Experten schätzen diesen Anteil auf 5% bis 10% des gesamten Abkommens. Vorläufige Anwendbarkeit Die EU-Kommission strebt zudem die vorläufige Anwendbarkeit des CETA-Abkommens an. Nach Art. 218 Abs. 5 des Lissabon-Vertrags kann der EU-Ministerrat bestimmen, dass die Abkommen auch ohne Zustimmung der Parlamente vorläufig angewendet werden. Die vorläufige Anwendung soll der Überbrückung der Ratifizierung in 28 Staaten dienen. Diesen Status besitzen derzeit beispielsweise die Freihandelsabkommen mit Georgien, Kolumbien, Moldawien und der Ukraine. Die EU-Kommission möchte diesen Zustand auch für CETA durchsetzen, so dass der Vertrag angewendet wird, noch bevor der Bundestag oder andere nationale Parlamente darüber abgestimmt haben. Dadurch könnte CETA faktisch ab Herbst 2016 existieren, sobald EU-Rat und EU-Parlament zugestimmt haben. Wenn CETA „vorläufig“ in Kraft gesetzt wird, heißt dass, das Investorenklagen ebenso möglich werden wie Angriffe auf öffentliche Dienstleistungen. Die vorläufige Anwendung schafft Fakten, die durch nachgelagerte eventuelle parlamentarische Entscheidungen in den Mitgliedsstaaten kaum zurückzunehmen sind. Mögliche Schäden würden nicht wieder gut gemacht werden können, selbst wenn CETA danach am Bundestag oder an anderen Parlamenten scheitert. Im europäischen Ratifizierungsprozess der Abkommen besteht zudem die Problematik, dass das Europaparlament am Ende nur noch die Möglichkeit, das Abkommen als Ganzes anzunehmen oder abzulehnen. Änderungen an einzelnen Teilbereichen oder Formulierungen werden nicht mehr möglich sein. Es ist davon auszugehen, dass der Druck zur Zustimmung zu einem über mehrere Jahre ausgehandelten Abkommen sehr hoch sein wird und Gefahren dann einfach in Kauf genommen werden.

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4. Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren: Sonderklagerecht für Konzerne Im besonderem Maße im Fokus der öffentlichen Kritik an TTIP und CETA stand das Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren ISDS (Investor State Dispute Settlement). Ursprüngliche Idee des Investorenschutzes war es, einen Investor vor willkürlicher Enteignung und Diskriminierung zu schützen, wenn er in einem Land investiert, das kein entwickeltes Rechtssystem hat. Dadurch wird es ausländischen Konzernen ermöglicht, vor einem „Schiedsgericht“ zu klagen und Schadensersatz zu verlangen, wenn es seine Gewinnerwartung durch politische Entscheidungen eines Staates verletzt sieht. Klagen auf Schadenersatz wären etwa zu erwarten, wenn Staaten Gesetze erlassen zum Schutz der Bürger, der Beschäftigten (z.B. eine Erhöhung des Mindestlohns) oder der Umwelt und Unternehmen deren Auswirkungen als potenziell gewinnschmälernd betrachteten. Die Entschädigungsforderungen der Firmen können Milliarden-Beträge erreichen, welche letztlich der Steuerzahler aufbringen muss. Besonders problematisch dabei: Verhandelt wird nicht vor einem nationalen Gericht im Gastland, sondern vor einem ad hoc gebildeten internationalen Schiedsgericht. Das heißt, dass neben dem bestehenden nationalen Rechtssystem ein paralleles privates Rechtssystem installiert wird. Bisher waren Schiedsgerichte nur in Investitionsabkommen zwischen Industrie-und Entwicklungsländern üblich. Das Schiedssystem auf entwickelte Rechtsstaaten wie die USA, Kanada und die EU auszuweiten, würde bedeuten, dass mehr als einem Viertel aller ausländischen Unternehmen in der EU das Klageprivileg eingeräumt wird. Initiierung eines parallelen privaten Rechtssystems Ein Problem ist, dass in dem System privater Schiedsgerichte grundlegende Prinzipien für ein rechtsstaatliches Verfahren bislang nicht eingehalten werden: Die Schiedsrichter sind keine unabhängigen Richter, wie wir sie kennen, sondern Anwälte spezialisierter Wirtschaftskanzleien. Sie kommen in einen Rollenkonflikt, profitieren sie doch finanziell von einer großen Anzahl von Verfahren und hohen Entschädigungssummen. Es gibt in dem System privater Schiedsgerichte also einen starken Anreiz für eine investorenfreundliche Haltung. Das ist besonders gravierend, da die Verhandlungen nicht öffentlich sein sollten und es keine Befangenheitsregeln und keine Berufungsmöglichkeit geben sollte. 14

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Außerdem ist der Investitionsschutz ein Privileg ausländischer Investoren und stellt inländische Investoren, die die Stütze des heimischen Arbeitsmarktes sind, schlechter. D.h.: ausländische Investoren können gegen Maßnahmen klagen, die inländische Investoren in gleicher Weise betreffen. Die inländischen Investoren haben kein Klagerecht. Zudem ist das System sehr einseitig: Nur die ausländische Investoren können klagen. Die Staaten können nicht gewinnen, sondern nur nicht verlieren. Weltweit sind schon über 600 solcher Konzernklagen aufgrund ähnlicher Abkommen bekannt. Viele der Klagen richten sich gegen Maßnahmen, die im legitimen öffentlichen Interesse ergriffen wurden, darunter Strafen für Umweltverschmutzung, die Einführung von Mindestlöhnen, Obergrenzen für Wassergebühren, Bankenregulierung, Schuldenschnitte von Krisenstaaten oder auch Vorschriften zum Gesundheitsschutz. All diese Schritte unternahmen Regierungen aus gewichtigen sozialen, ökologischen, gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Gründen. Investitionsschutz dient demnach wirtschaftlichen Einzelinteressen, nicht aber den Gemeinwohlinteressen. Von den Klagen, die nicht aus formalen Gründen abgewiesen werden, werden übrigens etwa sechzig Prozent zu Gunsten des Investors entschieden. Und selbst wenn es den Investoren nicht immer gelingt zu obsiegen, haben die Steuerzahlern meist die teuren Verfahrenskosten (die OECD spricht von durchschnittlich 8 Millionen US-Dollar) zu zahlen. Das sind Gelder, die an anderen Stellen fehlen. Trotz Überarbeitung der Investorenschutz-Kapitel: Sonderklagerechte für Konzerne bleibt bestehen Bislang war man sich bei den Verhandlungen einig, dass Schiedsgerichte bei TTIP und CETA eingeführt werden sollen. Aufgrund internationaler Proteste und des öffentlichen Drucks hat die EU-Kommission dem Schiedsverfahren in TTIP nun den neuen Namen ICS (Investment Court System) gegeben. Es soll sich dabei um einen Öffentlichen Gerichtshof handeln. Auch bei CETA wurde das Kapitel zum Investitionsschutz überarbeitet: so werden die Schiedsrichter nicht mehr von den Streitparteien benannt, sondern nach dem Zufallsprinzip aus einem Pool von 15 qualifizierten, zum Richtern befähigten Personen. Diese Schiedsrichter unterliegen zudem einem freiwilligen Verhaltenskodex bei Interessenkonflikt. Aber nach wie vor ist die Unabhängigkeit der Richter nicht gewährleistet, sondern der Anreiz für investorenfreundliche Entscheidungen bleibt 15

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bestehen. Ein freiwilliger Verhaltenskodex löst das Problem des Interessenkonflikts nicht. Darüber hinaus soll eine Berufung gegen die Schiedssprüche möglich sein und eine „Regulierungsklausel“ soll unterstreichen, dass Staaten das Recht haben, Gesetze und Regulierungen im Interesse des Allgemeinwohls zu verabschieden – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Zudem ändert diese „Regulierungsklausel“ nichts am privilegierten Investitionsschutz der Konzerne. Der einzig wirkliche Fortschritt ist die Vereinbarung, dass die Verhandlungen prinzipiell öffentlich sein sollen. Auch wenn die EU-Kommission mit den Namen ein Verwirrungsspiel treibt, Sonderklagerechte für Konzerne sind im Rahmen von TTIP und CETA weiterhin geplant! Auch der Deutsche Richterbund – der mit Abstand größte Berufsverband der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Deutschland – hat sich gegen den geplanten Investitionsgerichtshof ausgesprochen. Es gäbe „weder eine Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit“. Das Vorhaben genüge den internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit von Gerichten nicht, zumal die Gerichte der Mitgliedstaaten ausländischen Investoren effektiven Rechtsschutz gewähren könnten.

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5. Daseinsvorsorge und öffentliches Beschaffungswesen „Gleichberechtigter Marktzugang für alle“, – auch im öffentlichen Beschaffungswesen –, das bedeutet einen enormen Liberalisierungsdruck. Durch Regelungen im Bereich der öffentlichen Beschaffung (z.B. niedrige Schwellenwerte für Ausschreibungen) wird die ausschreibungsfreie Auftragsvergabe an lokale, eigene oder gemeinnützige Organisationen unmöglich (schwierig z.B. im Bereich von Krankenhäusern oder sozialen Diensten). Eine gezielte Förderung der lokalen Wirtschaft wird nicht mehr möglich sein. Lokal verankerte KMU werden verstärkt mit der Konkurrenz durch transnationale Großkonzerne konfrontiert und drohen Wettbewerbsvorteile und Förderungen zu verlieren. Es ist zudem fraglich, ob im Zuge der „Straffung der Verfahren“ Regelungen wie das saarländische Tariftreuegesetz bei der öffentlichen Auftragsvergabe noch angewendet werden dürfen. Zumindest die Weiterentwicklung solcher Gesetze wird dadurch erschwert, wenn nicht sogar ausgeschlossen. Dienstleistungen – und damit auch die Dienstleistungen im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge – sind grundsätzlich von CETA (und soweit bisher bekannt auch von TTIP) erfasst. Ein lange geheim gehaltenes, an der Universität Tübingen erstelltes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die in CETA genannten Ausnahmen, mit Hilfe derer die Daseinsvorsorge angeblich nicht durch das Abkommen berührt werden soll, nur unzureichend sind. Begriffe sind unklar definiert. Ausnahmen gelten nur für audiovisuelle Dienstleistungen und für staatliche Dienstleistungen nach einer sehr engen Definition, nämlich für sogenannte hoheitliche Aufgaben: Hoheitliche Aufgaben sind solche, die weder zu kommerziellen Zwecken, noch im Wettbewerb mit anderen Anbietern erbracht werden (also in Form eines Monopols). Diese Bedingungen werden nur noch bei den allerwenigsten staatlichen Aufgaben zutreffen. In weiten Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge existieren neben staatlichen Anbietern auch private (Verkehr, Bildung, Gesundheit, Kultur etc.) und nur höchst selten werden Leistungen exklusiv von einem privaten Anbieter im staatlichen Auftrag erbracht. Probleme bestehen auch bei der lückenhaften Ausnahme für das Bildungs- und Gesundheitswesen. Hier heißt es, dass die Liberalisierungen auf „privat finanzierte“ Dienstleistungen beschränkt werden sollen. Auf den ersten Blick scheint diese Ausnahme Dienstleistungen zu schützen, die mit 17

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öffentlichen Mitteln gefördert werden. Da viele öffentliche Institutionen aber gemischt finanziert werden (aus öffentlichen und privaten Quellen oder Teile des Umsatzes aus kommerziellen Tätigkeiten) wird der Geltungsbereich eingeschränkt. Aus dem durchgesickerten TTIP-Verhandlungsmandat geht hervor, dass (private und öffentliche) Dienstleistungen „auf dem höchsten Liberalisierungsniveau“ gebunden werden sollen, das EU und USA in all ihren bisherigen Abkommen eingegangen sind. Von einer Sicherung des höchsten Versorgungsniveaus kann also keine Rede sein. Subventionen oder andere staatliche Förderung für bisher oder zukünftig als schützenswert angesehene Bereiche werden mit TiSA, CETA und TTIP kaum noch möglich sein; eine weitere Privatisierungswelle im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge droht. Nicht nur in der EU könnten Standards gesenkt werden. Die Finanzmärkte sind in den USA beispielsweise strenger reguliert. Durch die Abkommen wird außerdem erschwert, bereits bestehende oder neu „erreichte“ Liberalisierungsniveaus wieder zurückzunehmen, denn es gelten sogenannten Standstill- und Ratchet-Klauseln für Regulierungsmaßnahmen. Das bedeutet, dass eine erfolgte Liberalisierung oder Privatisierung nicht mehr zurückgenommen werden kann und auch zukünftige Liberalisierungen/Privatisierungen automatisch zu Verpflichtungen der Abkommen werden und damit der Standstill-Klausel unterliegen. Würde es in einem Land beispielsweise zu einer Privatisierung der Wasserversorgung kommen, wäre eine spätere Rekommunalisierung nicht mehr möglich. Dies stellt eine massive Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung dar. Ein weiterer sehr problematischer Aspekt im Bereich der Daseinsvorsorge ist, dass CETA, TTIP und TiSA einem sogenannten Negativlistenansatz folgen, d.h. alles, was nicht direkt explizit ausgenommen wurde, unterliegt Liberalisierungsverpflichtungen. Der verwendete Negativlistenansatz führt dazu, dass neue Verwaltungsaktivitäten automatisch der freien Gestaltung durch die kommunale Selbstverwaltung entzogen werden. Daher werden die Abkommen auch vielfach als verfassungsrechtlich problematisch eingestuft. Eine am Gemeinwohl orientierte Kommunalpolitik wird definitiv erschwert. 18

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6. Wachstums- und Beschäftigungseffekte Keine positiven Beschäftigungs- und Wachstumseffekte zu erwarten Die Verhandlungspartner und Befürworter der verschiedenen Abkommen versprechen zusätzliches Wachstum und Beschäftigung. Dazu haben Institute im Auftrag der Europäischen Kommission oder von anderen Befürwortern der Abkommen verschiedene Studien erstellt, die oft eine rosige Zukunft mit TTIP und CETA in Aussicht stellen. Gemeinsam ist diesen Studien, dass die Annahmen, die den Schätzungen zugrunde liegen, viel zu optimistisch sind. Gleichzeitig werden gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Kosten wie Arbeitslosigkeit und Steuerverluste, die Senkung von Verbraucherschutz- und Umweltstandards oder ein Rückgang des Handels innerhalb der EU völlig vernachlässigt. Trotz dieser übertrieben optimistischen Ausgangsbasis sind die errechneten positiven Effekte auf Wachstum und Beschäftigung äußerst gering. Hinzu kommt die verschärfte Konkurrenz um Standortvorteile, die zu Arbeitsplatzverlusten und einem steigenden Druck auf die Arbeitsbedingungen führt. Immer wieder zitiert werden für TTIP dabei eine Studie, die im Auftrag der Europäischen Kommission erstellt wurde, sowie zwei Studien des ifo-Instituts im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft bzw. der Bertelsmann Stiftung. Die Autoren der Studien errechnen mögliche Steigerungen des Wirtschaftswachstums in der EU von 0,48 bis 1,3 Prozent, die Beschäftigung in Deutschland soll nach den Schätzungen um bis zu 181.100 Arbeitsplätze steigen. Diese Steigerungen gelten allerdings nicht pro Jahr, sondern sollen über einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren erreicht werden! Das jährliche, durch TTIP verursachte Wirtschafts- bzw. Beschäftigungswachstum ist mit 0,05 bzw. 0,04 Prozentpunkten pro Jahr also nur minimal. Berechnungen des ifo-Instituts schätzen auch die wirtschaftlichen Folgen von TTIP auf Ebene der Bundesländer und Branchen. Im Saarland, das aufgrund seiner exportorientierten Wirtschaftsstruktur stärker als viele andere Bundesländer von einem Freihandelsabkommen profitieren könnte, entstünden demnach im Produzierenden Gewerbe insgesamt rund 1.460 neue Arbeitsplätze. Ein Gesamteffekt von ca. einem Prozent. Die Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung hat im Auftrag der Arbeiterkammer in Wien kürzlich 19

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die Ergebnisse der Studien zu CETA zusammengetragen und kritisch geprüft. Diese Untersuchung kommt zu demselben Ergebnis wie auch für TTIP beschrieben: Positive wirtschaftliche Effekte sind durch das Abkommen kaum zu erwarten, für manche Gruppen, wie z.B. Geringverdiener, sind die erwarteten Beschäftigungswirkungen sogar negativ. Dies entspricht auch den Erfahrungen, die beispielsweise mit der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA gemacht wurden. Hier kam es nach Inkrafttreten der Freihandelszone zu teils massiven Beschäftigungsverlusten. Statt positiver Effekte scheint es also vor allem Umschichtungen zu geben, bei denen die schwächsten (sowohl Unternehmen als auch Beschäftigte und Verbraucher) weiter verlieren, während machtvolle internationale Großkonzerne weiter an Einfluss und Stärke gewinnen. Der Mittelstand als Profiteur? Ein weiteres Argument, das von den Befürwortern der beschriebenen Freihandelsabkommen angeführt wird, ist, dass besonders der Mittelstand profitiere. Begründet wird dies damit, dass sich die Unternehmen nach Abschluss der Abkommen und gegenseitiger Anerkennung von Standards und Normen nicht mehr für verschiedene technische Standards produzieren müssen und die Exportmöglichkeiten stiegen. Interessanterweise sieht der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) dies ganz anders und spricht sich deutlich gegen TTIP aus. Eine Gruppe von KMU weist in einer Broschüre auf die Nachteile durch TTIP hin und hat einen Aufruf gegen TTIP gestartet. Sie befürchten, dass durch die Harmonisierung und gegenseitige Anerkennung (auch der niedrigsten) Standards die hohe Qualität, für die der Mittelstand in Deutschland stehe, leide. Außerdem ist für die weit überwiegende Zahl der KMU der lokale und europäische Markt der wichtigste Absatzmarkt; deutlich weniger als ein Prozent (!) der europäischen KMU exportieren in die USA. Bei einer Verschärfung der Konkurrenz durch weitere Liberalisierungen (z.B. im öffentlichen Beschaffungswesen), drohen vor allem diese kleineren Unternehmen aus dem Markt gedrängt zu werden. Der Effekt der gegenseitigen Anerkennung von Standards wird ebenfalls überschätzt, da die US-Bundesstaaten kein harmoni20

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sierter Binnenmarkt mit einer einheitlichen Normungsinstanz (vergleichbar mit ISO) sind. Ohne vorherige Harmonisierung könnten US-Unternehmen also einen erleichterten Marktzugang zu einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt erhalten, während sich europäische Unternehmen weiterhin mit Normungen in den einzelnen Bundesstaaten auseinandersetzen müssen. Die alleinigen Profiteure der Abkommen sind somit transnationale Großkonzerne.

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7. Arbeits- und Sozialstandards Wettbewerb: Arbeitskosten im Wettbewerb; Arbeits- und Sozialstandards unter Druck Hauptziel der drei Abkommen ist die Intensivierung des weltweiten Handels. Wenn nun Länder, die über niedrigere Arbeits- und Sozialstandards verfügen – wie beispielsweise die USA und Kanada –, mehr Waren und Dienstleistungen in der EU absetzen, droht ein verstärkter Wettbewerb auf Basis von Arbeitskosten. Historisch erkämpfte Standards im Arbeitsrecht (z.B. im Kündigungsschutz oder bei den Arbeitszeiten), im Arbeitsschutz und insbesondere in der betrieblichen Mitbestimmung würden bedroht, auch wenn diese offiziell nicht angetastet werden. Umgekehrt investieren einige deutsche Unternehmen in den USA vornehmlich in den US-Bundesstaaten, die über niedrigste Arbeitsstandards und gewerkschaftsfeindliches Verhalten um ausländische Investoren konkurrieren. ILO-Kernarbeitsnormen müssen in Handelsabkommen verbindlich verankert werden Hoffnungen von US-Gewerkschaften, Standards und Arbeitsbedingungen in den USA könnten auf ein höheres europäisches Niveau gehoben und harmonisiert werden, sind unrealistisch. Ein angestrebtes Verhandlungsergebnis zum Abbau „nicht-tarifärer Handelshemmnisse“ ist schließlich die „gegenseitige Anerkennung von (technischen und sozialen) Normen“, damit der Fortbestand unterschiedlicher Arbeitsund Sozialstandards. Selbst wenn die USA, die bisher nur zwei der acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert haben, sämtliche ILO-Kernarbeitsnormen (z.B. die über die Vereinigungs- und Kollektivverhandlungsfreiheit) unterschreiben würden, ist damit nicht sichergestellt, dass dies Auswirkungen auf die realen Verhältnisse hat. Im fertig verhandelten CETA-Abkommen bekennen sich die EU und Kanada dazu, die vier Grundprinzipien der ILO-Erklärung von 1998 „zu respektieren, zu fördern und zu realisieren“: • Recht auf Vereinigungsfreiheit und auf kollektive Tarifverträge, • Abschaffung aller Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit, • Abschaffung von Kinderarbeit 22

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• Abschaffung von Diskriminierungen hinsichtlich Beschäftigung und Beruf. Dies reicht allerdings nicht aus – um Beschäftigten das Minimum an Schutz und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz zu garantieren, müssen die acht ILO-Kernarbeitsnormen ebenfalls ratifiziert, in nationales Recht umgesetzt und effektiv angewendet werden. Alle 28 Mitgliedstaaten der EU haben die acht Kernarbeitsnormen ratifiziert. In Kanada hingegen wurden die Normen zum Vereinigungsrecht und zum Recht auf Kollektivverhandlungen nicht ratifiziert. Darüber hinaus sollen durch CETA die Ziele der ILO-Erklärung von 2008 über menschenwürdige Arbeit „gefördert“ werden: • Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz, einschließlich Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten • Festlegung akzeptabler Mindestbeschäftigungsstandards für Lohn -und Gehaltsempfänger, einschließlich solcher, die nicht unter einen Kollektivvertrag fallen, und • Diskriminierungsverbot in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, auch für zugewanderte Arbeitskräfte Laut Vertrag sollen sich all die genannten diese positiv auf die wirtschaftliche Effizienz, Innovation und Produktivität und auch auf die Exportleistung, auswirken. In diesem Zusammenhang heißt es auch, dass die Vertragspartner die Bedeutung des sozialen Dialogs zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen sowie Regierung anerkennen und diesen „fördern“ möchten. Das Problem: all diese Verpflichtungen sind unverbindlich formuliert. Im Vertragswerk findet sich auch ein Abschnitt, der besagt, Arbeitnehmerrechte dürften nicht abgeschafft oder Sozialstandards abgesenkt werden, um mehr Handel und Investitionen anzulocken. Kling gut, bedeutet aber nicht mehr als die Verankerung des Status quo in Bezug auf Arbeitnehmerrechte. Aus Arbeitnehmerperspektive sollten Sozialstandards aber permanent erhöht werden um einem Dumpingwettbewerb auf Kosten von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu begegnen.

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Arbeitsrechte von Sanktionsmechanismus bei CETA ausgenommen Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt an dem CETA-Vertragstexte betrifft den Sanktionsmechanismus: Wenn beispielsweise ein kanadisches Unternehmen, das in der EU tätig ist, die ILO-Mindeststandards verletzt, droht dem Unternehmen keine unmittelbare Sanktion. CETA enthält zwar einen Sanktionsmechanismus, der z.B. dazu führen kann, dass Strafzahlungen fällig werden oder dass durch CETA abgebaute Zölle zeitweise wieder angehoben werden dürfen, das Kapitel zu Handel und Arbeit, ist jedoch von diesem Mechanismus ausgenommen. Vielmehr soll ein Expertengremium bei Verstößen dem jeweiligen Unternehmen eine Empfehlung aussprechen. Ob das Unternehmen dieser Empfehlung folgt oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Dies ist umso Problematischer, dass CETA, genau wie TTIP, Sonderklagerechte für ausländische Investoren vorsieht, wenn Investitionen durch nationale Gesetzesänderungen bedroht sind. In Ägypten etwa klagte ein französisches Unternehmen gegen die Erhöhung des Mindestlohnes.

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8. Umwelt- und Verbraucherschutz Zur Debatte bei den Verhandlungen um TTIP und CETA stehen auch die Standards in den Bereichen Chemikalien, Gentechnik, Landwirtschaft und Lebensmittelsicherheit sowie Energie und Klimaschutz. Die Verabschiedung beider Abkommen würde zu maßgebenden Veränderungen führen. Da sich die Regulierungsmethoden zwischen EU und USA bzw. Kanada in vielen Bereichen grundlegend unterscheiden, weichen die Vorschriften im Umwelt- und Verbraucherschutz entsprechend ab. In einem freien Wettbewerb werden sich voraussichtlich diejenigen Standards die Oberhand gewinnen, welche kostengünstiger – und damit häufig für Verbraucher und Umwelt schädlicher – sind. Vorsorgeprinzip wird durch CETA und TTIP gefährdet Das in Europa vorherrschende Vorsorgeprinzip wird durch die Abkommen untergraben. Bevor ein Produkt in Europa auf den Markt kommt, muss z.B. in Form einer Genehmigung bewiesen sein, dass von diesem Produkt keine Gefahr für Konsument oder Umwelt ausgeht. Doch dies kann durch die beiden Abkommen ausgehebelt und durch das angeblich „wissensbasierte“ Verursacherprinzip ersetzt werden. Bei dem gibt es keine Genehmigungspflicht, sondern ein Klagesystem, das den Verursacher erst nach entstandenem Schaden in die Pflicht nimmt. Möglicherweise gefährliche Produkte und Technologien können demnach erst aus dem Verkehr gezogen werden, wenn ihre Schädlichkeit zweifelsfrei nachgewiesen ist –und damit viel zu spät. Der Schutz des Vorsorgeprinzips ist nicht in den Zielen der Abkommen verankert. Die USA kompensieren dies durch exorbitante Schadensersatzansprüche, so dass sich ein Hersteller genau überlegen muss, ob er das Risiko möglicher Folgeschäden eingehen will. Solche Schadensersatzansprüche existieren (in der Höhe) in der EU nicht. Im Abkommenstext von CETA wird lediglich auf die – schwächeren – Regeln der Welthandelsorganisation zum Schutz des Vorsorgeprinzips verwiesen, auch TTIP verzichtet auf die explizite Erwähnung des Vorsorgeprinzips. Ein Umstand der auf die künftige Umweltgesetzgebung sowie bestehende Umweltstandards Auswirkungen haben wird. Gentechnik, Chemikalien Fracking und Öl aus Teersanden durch die Hintertür Gentechnik etwa, kann aufgrund eines Verursacherprinzips 25

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durch die Hintertür wieder auf unseren Tisch kommen, ebenso gesundheitsschädliche Pestizide und andere gefährliche Chemikalien. Die saarländische Landesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, dass das Saarland eine gentechnikfreie Anbauregion bleibt. Ein Ansinnen, von dem in Folge von TTIP nicht mehr viel übrig bliebe, da eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Lebensmitteln als Handelshemmnis gelten würde. Die Regelungen in CETA schreiben zwar weitestgehend Standards zur Lebensmittelsicherheit und Kennzeichnung von Lebensmitteln der WTO fort und berühren das bestehende System weniger, risikobasierte Kontrollen von Lebensmitteln sind dort aber weiterhin möglich. Auch eine Kooperation im Hinblick auf die Regulierung von Chemikalien ist nicht Teil von CETA. Aber spätestens mit TTIP wären auch diese Regulierungsmöglichkeiten nicht mehr vorhanden, was dann im zweiten Schritt zur Abkehr vom Vorsorgeprinzip kommen kann. Klimaschutz und Energiepolitik ebenfalls betroffen Es wurde bereits im Laufe der CETA-Verhandlungen das EU-Importverbot für das extrem klimaschädliche Rohöl aus kanadischen Teersanden aufgeweicht. Diese Methode der Öl-Förderung ist mit gravierenden Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen verbunden: Freisetzung einer enormen Menge an CO2 und Giftstoffen (z.B. Quecksilber, Cadmium, Arsen), Zerstörung von Waldflächen, enormer Verbrauch an Wasser. Kanada verfügt über sehr große Vorkommen an Teersanden. Mit der EU-Richtlinie 2009/30/EG würden die Öl Importe nach Europa behindert werden. Aus diesem Grund übte die kanadische Öl-Lobby bereits währende der CETA-Verhandlungen enormen Druck aus. Bei Inkrafttreten können unter CETA nicht nur mehr Rohölimporte folgen, sondern auch Unternehmen gegen ein mögliches Verbot der Schiefergasförderung (Fracking) klagen, was wiederum Auswirkungen auf die europäischen Klimaschutzbemühungen haben dürfte. Fracking steht im Verdacht, das Grundwasser durch Chemikalien zu vergiften und sogar Erdbeben auszulösen. Kanada ist im Rahmen des CETA-ähnlichen NAFTA-Abkommen (nordamerikanischen Freihandelsabkommens) bereits verklagt worden: Die Provinz Quebec hatte 2013 das Fracking vorübergehend gestoppt, woraufhin ein Energiekonzern 250 Millionen US-Dollar Schadensersatz forderte, da eine „willkürliche und illegale Aberkennung ihres geltenden Rechts, Öl und Gas zu fördern“ vorläge. 26

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TTIP und CETA gefährden eine engagierte Klimaschutzpolitik, wie sie z.B. auf der Klimaschutzkonferenz COP 21 in Paris beschlossen wurde. Für beide Abkommen gilt auch hier: durch die Einführung eines Investor-Staat-Klagerechts (ISDS) droht, dass „unwirtschaftliche” Maßnahmen, wie etwa strengere Auflagen für den Klimaschutz, den Profitinteressen von einzelnen Konzernen zum Opfer zu fallen. Bereits heute gibt es zahlreiche Beispiele, in denen Konzerne gegen staatliche Maßnahmen geklagt haben: da der Bundestag den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hat und Vattenfall seine Atomkraftwerke stilllegen muss, klagt Vattenfall derzeit die Bundesregierung auf 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz an.

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9. Gesundheitswesen Wie in Punkt 5 „Daseinsvorsorge und öffentliches Beschaffungswesen“ bereits ausgeführt, wird durch die Abkommen TTIP, CETA und TiSA ein enormer Druck auf den Dienstleistungssektor befürchtet. Dies gilt auch für das Gesundheitsund Sozialwesen. Im Zuge der Freihandelsabkommen könnten zum Beispiel die wirtschaftlichen Bedarfstests abgeschafft werden, welche in den Gesundheitssektoren der EU-Mitgliedstaaten weit verbreitet sind. Durch die Bedarfstests wird die Genehmigung von Niederlassungen an Kriterien wie Marktsättigung gekoppelt, um einem schädlichen Verdrängungswettbewerb zu verhindern. Zudem sind öffentliche bzw. öffentlich geförderte Unternehmen wie Krankenhäuser unverzichtbar, um den gleichwertigen Zugang zur Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung zu garantieren. Private Krankenhäuser beschränken sich häufig bevorzugt auf Patienten mit geringem Gesundheitsrisiko oder wohlhabende Patienten. Auch könnten zum Beispiel die bislang üblichen Risikoausgleichssysteme, die Finanztransfers von Versicherungen mit geringen Risikoprofilen an Versicherungen mit hohen Risiken vorsehen, innerhalb des Investitionsschutzkapitels von CETA als Verstoß gegen das Gebot der fairen und gleichen Behandlung interpretiert werden. Private ausländische Krankenversicherer hätten somit einen Klagegrund. Durch das Investitionsschutzkapitel könnte auch gegen eine Mindestpersonalbelegung im Pflegebereich vorgegangen werden: Wenn Pflegeheime für Senioren dem uneingeschränkten Wettbewerb ausgesetzt werden, könnten Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in diesem Bereich, wie z.B. die Erhöhung der Mindestbeschäftigtenzahl pro Patienten, schwierig werden. Europäische Gewerkschaften wie ver.di in Deutschland setzen sich zur Zeit für gesetzliche Regelungen ein, die die Mindestpersonalbelegung im Pflegebereich festlegen. Zudem droht durch die Abkommen der Verlust der Kontrolle über Gesundheitsausgaben. In vielen EU-Ländern gibt es Preisgrenzen für Medikamente. Diese Preisgrenzen könnten jedoch die Gewinne der Pharmaindustrie schmälern und so als „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ gelten. Die Gefahren in diesem Bereich scheinen durchaus realistisch: Im Rahmen eines Handelsabkommens zwischen USA und elf Pazifikstaa28

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ten (TPP), wurden diese Preisregulierungen für Medikamente zwischen den USA, Australien, Neuseeland und einigen asiatischen Staaten bereits abgeschafft.

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10. Kultur Bedrohen Freihandelsabkommen die kulturelle Vielfalt? Kultur findet in Deutschland und Europa nicht ausschließlich unter marktwirtschaftlichen Bedingungen statt. Vielerorts wird Kultur als staatliche Aufgabe betrachtet. Die öffentliche Hand ermöglicht, unterstützt, fördert, reguliert und begünstigt. In Deutschland erstreckt sich die Kulturförderung beispielsweise von Zuwendungen für Museen, Opern und Theatern über die großen Kulturfonds, die Filmfördertöpfe, die verminderten Mehrwertsteuersätze für Theaterkarten und Bücher bis hin zu Rundfunkbeitrag und Buchpreisbindung. Wenn im Zusammenhang mit den nun geplanten Freihandelsabkommen diese bestehenden Regelungen als Handelshemmnis angesehen und entsprechend dereguliert werden, würde dies gravierende Einschnitte für den bestehenden Kulturbetrieb in Europa bedeuten. Es ist zu befürchten, dass durch den marktwirtschaftlichen Druck die kulturpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten des Bundes und der Länder stark einschränkt würden. In den bisherigen Verhandlungen wurde der Kulturbereich stets ausgeklammert. Nun droht dieser Grundsatz erstmals aufgegeben zu werden. Denn anders als vorherige Handelsabkommen gehen die nun geplanten Freihandelsabkommen von einer Negativliste aus. So sind zunächst alle nicht aufgeführten Bereiche Teil der Verhandlungen. Bisher wurden im kulturellen Bereich nach Aufforderung von Frankreich nur die audiovisuellen Medien aus den Verhandlungen ausgeklammert. Insbesondere in Bezug auf TTIP steht dies den Interessen der amerikanischen Lobbygruppen aus Film, Fernsehen und Musik gegenüber. Sie kritisieren vor allem Quotenregelungen, nach denen beispielsweise ein bestimmter Prozentsatz in Film und Fernsehen sowie Hörfunk für in der EU produzierte Filme bzw. Musik vorbehalten ist. Ziel solcher Maßnahmen ist es, die sprachliche und kulturelle Vielfalt zu fördern und zu erhalten. Zwar wird in Zusammenhang mit den geplanten Freihandelsabkommen immer wieder der Hinweis auf die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt gegeben. Die große Unsicherheit besteht jedoch darin, dass z.B. die USA die UNESCO-Konvention bis heute nicht unterzeichnet haben. Dies hat zur Folge, dass die Befürchtung bestehen bleibt, dass der kulturelle Bereich innerhalb des Handelsabkommens ausschließlich dem Wirtschaftssektor 30

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zugerechnet wird. Den Schutz von Kultur und Medien kann somit nur eine völkerrechtliche verbindliche, kapitelbezogene Ausnahme für den kulturellen Bereich und die audiovisuellen Dienstleistungen gewähren.

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