Türinnenrahmen im XXL-Format

Türinnenrahmen im XXL-Format von Matthias Siedersleben und Ralf Venema, Soest Türkonzepte aus Aluminiumdruckguss für Leichtbau von Automobilen Der E...
Author: Axel Koenig
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Türinnenrahmen im XXL-Format von Matthias Siedersleben und Ralf Venema, Soest

Türkonzepte aus Aluminiumdruckguss für Leichtbau von Automobilen

Der Einsatz von Aluminium im Pkw-Bereich steigt aufgrund der Anforderungen zum Leichtbau stetig an. Bild 1 veranschaulicht die Entwicklung von Leichbautürkonzepten für Fahrzeuge im Luxussegment. Ausgehend von der Stahlbauweise wurde auf den verstärkten Einsatz von Aluminium schrittweise im Laufe der vergangenen Jahre übergegangen. In einer Mischbauweise kommen Einzelkomponenten aus Blech, Aluminiumextrusion und Aluminiumguss zum Einsatz. Die Gussbauteile finden sich dort wieder, wo eine Vielzahl von Funktionen integriert werden kann, wie im Scharnierbereich. Bei späteren Entwicklungen kommen Gussteile im Scharnier- sowie im Schlossbereich zum Einsatz, die mit Aluminiumextrusionen verbunden werden (z. B. aktueller Audi A8).

Bild 1: Entwicklung von Leichtbautürkonzepten für Fahrzeuge im Luxussegment

Einen weiteren Entwicklungsschritt stellt die Fertigung von einteiligen Türrahmen als gegossenes Bauteil dar. Die Alcoa Automotive GmbH, Soest, ein Unternehmen der Business Unit Alcoa Auto & Truck Structures, produziert für den Porsche Turbo und GT solche einteiligen Türrahmen bereits seit über zwei Jahren [1]. Im vorliegenden Beitrag wird über die Fertigung von AVDC(Alcoa Vacuum Die Casting)-Türrahmen im XXL-Format berichtet, die für den neuen GT-R-Sportwagen der Firma Nissan produziert werden.

Konstruktive Auslegung Ziel der gemeinsamen Entwicklung mit Nissan war es, einen Türrahmen zu entwickeln, welcher in seinen Abmessungen und Anforderungen über die Grenzen bislang üblicher Gussteile hinausgeht. Allein die Größe von etwa 1300 x 750 mm führt den Druckguss an seine Prozessgrenze, da sehr lange Fließwege für das Metall vorliegen (Bild 2). Die Auslegung der Wanddicken spielt daher eine entscheidende Rolle, um ein sicheres Formfüllen zu gewährleisten. Der Anschnitt liegt wie bei vergleichbaren Bauteilen in der Mitte des Gussteils. Hier wurde eine Wanddicke von 3 mm festgelegt. In weiteren Abstufungen wird ein nomineller Wert von 2 mm im Außenbereich, der Bördelkante, erreicht.

Bild 2: Aluminiumdruckguss: Türrahmen für Nissan GT-R aus der Legierung C446

Die Funktionsintegration sollte an diesem Türrahmen neue Maßstäbe setzen und über bereits bekannte Anwendungen wie Scharnieranbindungen, Schlossbefestigung, Fensteraufnahmen, Rückspiegel- sowie Seitenaufprall-Schutzbefestigungen hinausgehen. Eine neue Anforderung stellt die Integration der Lautsprecheraufnahme sowie Teile des Türinnenblechs dar. Dieser Wunsch musste vor folgendem Hintergrund bewertet werden: 1. Sprengfläche des Gesamtbauteils und 2. Anordnung vom Anschnitt im Innenbereich. Eine konstruktive Lösung wurde gefunden, die es erlaubte, beiden Anforderungen gerecht zu werden. Die Sprengfläche vom Gussteil inklusive Gießsystem war ausschlaggebend für die exakte Ausführung. Diese liegt bei ca. 8000 cm2 und damit mehr als 25 % über bisher produzierten Türrahmen. Bei einem üblichen Gießdruck von 550 bar ist eine Schließkraft von ca. 44000 kN erforderlich. Dies führt an die Grenze der in Soest installierten Müller Weingarten-Druckgießmaschine (Bild 3). Die nominelle Schließkraft wird vom Hersteller mit 41 000 kN angegeben.

Bild 3: Large Die Caster mit rund 41 000 kN Schließkraft (Typ: Müller Weingarten)

Das Gewicht dieses großen Druckgussteils liegt bei nur 5,5 kg und stellt eine Gewichtseinsparung von ca. 35 % im Vergleich zu einer herkömmlichen Stahlblech-Bauweise dar. Werkstoffauswahl Eine entscheidende Anforderung des Türrahmens bezieht sich auf die Crasheignung des Bauteils, d. h. Energieaufnahme sowie Verformung sind die maßgeblichen Kriterien. Die Werkstoffauswahl spielt hierbei die entscheidende Rolle. Aluminium-Karosseriebauteile werden vielfach in Legierungen des Typs AlSi9Mg gefertigt. Die entsprechenden Eigenschaften werden hier über Wärmebehandlungen erreicht. Die Wärmebehandlung umfasst ein Lösungsglühen und Abschrecken mit anschließender Auslagerung bzw. nur ein Auslagern, wenn die technischen Anforderungen der Kunden diese Möglichkeit zulassen. Das Abschrecken der Bauteile nach dem Lösungsglühen führt zu einem maßlichen Verzug, der einen Richtprozess nach sich ziehen kann. Druckgusslegierungen vom Typ AlMg3Mn wurden mit dem Ziel entwickelt, schon im Gusszustand die entsprechenden Eigenschaften zu erreichen, um komplett auf eine Wärmebehandlung verzichten zu können [1]. Alcoa eigene Entwicklung auf Basis AlMg3Mn keine Wärmebehandlung erforderlich; hierdurch geringer Bauteilverzug designed für große, dünnwandige Produkte mit höchsten Crashanforderungen z. B. Türteile hohe Dehnung (Durchschnitt 15 bis 20 % im realen Bauteil) in Kombination mit guter Festigkeit (Rm/Rp0,2 250 MPa/150 MPa) geringe Wanddicken erzielbar; Minimum ca. 2,0 mm akzeptable Oberflächenqualität (vergleichbar zu anderen naturharten Legierungen) Tabelle 1: Kennmerkmale der Legierung C446

Alcoa hat die Legierung C446 (Typ AlMg3Mn) entwickelt. Die Hauptmerkmale dieser Legierung sind in Tabelle 1 aufgeführt. Dieser Werkstoff wurde speziell für besonders hohe Crashanforderungen und großformatige Bauteile entwickelt, bei denen ein Richtvorgang schwer oder nur sehr kostenaufwändig durchzuführen ist. Die Legierung wurde in mehreren vorherigen Projekten mit diversen anderen am Markt verfügbaren Legierungen namhafter Hersteller in Gießversuchen verglichen. Die Ergebnisse der Crashversuche zeigen die deutliche Überlegenheit der Legierung C446 im Vergleich zu den untersuchten Legierungen. Bei quasistatischen und dynamischen Bauteilversuchen, die z. B. einen Türaufprall simulieren sollen, zeigte sich eine Verformung und Energieaufnahme, die mit anderen Materialien nicht erreicht werden konnte. Die Risswachstums- sowie die Rissinitiationsenergie der Legierung liegt deutlich höher als bei anderen Legierungen und bieten die Erklärung für die guten Verformungseigenschaften (Bild 4).

Bild 4: Risswachstum- und Rissinitiierungsenergie verschiedener Legierungen

Obwohl Bauteile in C446 vereinzelte lineare Anzeigen an der Gussoberfläche (Mikrorisse) aufweisen, haben diese keinen negativen Einfluss auf das Verformungsverhalten der Bauteile. Grund hierfür ist die verhältnismäßig hohe Risswachstumsenergie im Vergleich zu anderen Legierungen, so dass die Mikrorisse keinen negativen Einfluss auf die Bauteileigenschaften auch im Crashfall haben. Gießtechnische Auslegung Bei der konstruktiven Auslegung des Türrahmens des Kunden Nissan galt es, die gießtechnischen Belange zu berücksichtigen. Zur Unterstützung des Formfüllens bei dem extrem dünnwandigen Bauteil mit gleichzeitig großen Fließwegen wurden – wie gelegentlich in der Branche praktiziert – Miniaturrippen in Form eines Schachbrettmusters in das Design eingearbeitet. Hierdurch wird das Fließen des Werkstoffes über extrem lange Fließwege, zum Beispiel im Bereich der integrierten Lautsprecheranbindung, unterstützt. Zur Optimierung der gießtechnischen Auslegung wurde im Vorfeld eine Füll- und Erstarrungssimulation durchgeführt. Bild 5 zeigt den Anschnitt in der Mitte des Türrahmens, die Gießläufe und die fächerartigen Anschnitte, die an das Gussteil angebunden sind. Deutlich zu erkennen ist der lange Fließweg, den das Metall im Bereich der Fensterschachtbereichs zurücklegen muss. Dieser Bereich stellt den oberen Lastpfad im Crashfall dar (Verbindung A- und B-Säule) und hier liegen hohe Qualitätsanforderungen an die Dehnung vor. Die Platzierung von groß dimensionierten Überläufen in diesem Bereich ist daher notwendig. Die Ergebnisse der Simulation wurden für Wanddickenoptimierungen sowie für die Positionierung von Füllrippen genutzt.

Bild 5: Füll- und Erstarrungssimulation des Türrahmens

Die ersten Gießläufe wurden mit dem simulierten Anschnitt durchgeführt. Nicht alle Anforderungen konnten hiermit abgedeckt werden. Insbesondere in den entfernten Bereichen kam es zu Materialtrennungen und zwar dort, wo unterschiedliche Metallfronten aufeinander treffen. Die Anzahl der Fächeranschnitte wurde reduziert und auf längere Messeranschnitte umgestellt, um weniger Metallfronten zu erzeugen. Dieses führte letztlich zum Erfolg. Werkzeugauslegung Bei der Positionierung der Auswerfer muss berücksichtigt werden, dass an dem Gussteil großflächige Sichtbereiche vorliegen. Die Auswerfernocken stellen Materialanhäufungen dar, in denen es zu Schwindungsporosität kommen kann. Die Legierung C446 neigt zu starker Schwindung in isolierten, dickwandigen Bereichen. Dieses führt zu Einfallstellen und ist in Sichtbereichen der Tür zu vermeiden. Die Dimensionierung sowie Lage der Auswerfer wurde daher unter Berücksichtigung dieser Anforderung festgelegt. Dies betrifft die Schloss- sowie die Scharnierseite und den unteren Schwellerbereich.

Seatback Neben den beiden Türrahmen wird ein weiteres Großbauteil für den Nissan GT-R gefertigt, der sogenannte Seatback, welcher die Fahrgastzelle vom Heck abtrennt (Bild 6). Die Bauteilabmessungen betragen etwa 1000 x 550 mm. Es liegen lokal hohe Steifigkeitsanforderungen vor und so wurde dieser Bereich mit Rippen entsprechend verstärkt. Das Gewicht beträgt 7,6 kg. Dieses Bauteil ist im Crash weniger gefordert und wird in der ebenfalls neuartigen und von Alcoa speziell entwickelten Legierung C611 (Typ AlSi7Mg) gefertigt. Die erforderlichen Kennwerte werden über eine einstufige Wärmebehandlung (T5) erreicht. Diese minimiert einen möglichen Verzug der Bauteile im Vergleich zu einer Wärmebehandlung mit Lösungsglühen. Die Bauteile können somit ohne Richten gefertigt werden.

Bild 6: Aluminiumdruckgussteil Seatback in Legierung C611 (T5)

Als „multi-performance supercar" bezeichnet Nissan Chefentwickler Mizuno den neuen GT-R, der Ende Oktober 2007 auf der Tokio-Motor-Show präsentiert wurde (Bild 7). Der brandneue V6 Bi-TurboMotor entwickelt bei einem Hubraum von 3,8 l eine Leistung von 353 kW bei 6400 U/min und ein Drehmoment von 588 NM. Dank seines niedrigen Verbrauchs und seiner niedrigen Emissionen wird das Auto in Japan auch als „Ultra Low Emissions-Vehicle" (ULEV) eingestuft. Die in Leichtbauweise konstruierte Karosserie besteht aus einem Mix aus Aluminiumdruckguss, hochfesten Stählen und Kohlefasern. Der GT-R wird auch als Flaggschiff des Konzerns betitelt und zählt zu den technisch fortschrittlichsten Hochleistungssportwagen, die derzeit erhältlich sind.

Bild 7: Supersportwagen Nissan GT-R

Zusammenfassung Die beiden Komponenten Türrahmen und Seatback zeigen Alcoas Spezialität, maßgeschneiderte Legierungen zu entwickeln und gleichzeitig dokumentiert das Unternehmen damit, Bauteile herstellen zu können, die den jeweiligen Kundenbedürfnissen entsprechen. Alcoa produziert damit im Werk Soest die derzeit weltweit größten Druckgussteile, die in einem Serienfahrzeug zum Einsatz kommen. Dr.-lng. Matthias Siedersleben, Program Manager in der Business Unit Alcoa Auto & Truck Structures, Dipl.-lng. Ralf Venema, Senior Program Manager Europe, Soest www.alcoa.com Literatur: [1] Appel, M.; Soja, H.: Die Aluminium-Tür des Porsche 911 Turbo. Karosseriebautage Hamburg 23.05. 2006. [2] Haddenhorst, H.; Böhmer, H.: Gießerei-Praxis (2001) Nr. 3, S. 115. Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie, Redaktion kug.bdguss.de 2009

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