Till Eulenspiegel und die Reformation in Braunschweig

1 Ernst-August Roloff Till Eulenspiegel und die Reformation in Braunschweig Vortrag in der Ev. Akademie Abt Jerusalem Braunschweig am 23. September 2...
Author: Guest
8 downloads 0 Views 77KB Size
1 Ernst-August Roloff

Till Eulenspiegel und die Reformation in Braunschweig Vortrag in der Ev. Akademie Abt Jerusalem Braunschweig am 23. September 2015 Einleitung: Es ist nicht eben viel, was wir über Till Eulenspiegel wirklich wissen: Im Jahre 1515 erschien in Straßburg ein sog. Volksbuch mit dem Titel Ein kurzweilig Lesen von Till Eulenspiegel geboren aus dem Land zu Braunschweig. Wie er sein Leben vollbracht hat, fünfundneunzig seiner Geschichten Von diesem Druck existiert nur ein einziges Exemplar - im Britischen Museum in London; gesichert ist die Vermutung, dass es sich um eine ursprünglich in (niederdeutscher=) sächsischer Sprache etwa 1510 in Braunschweig geschriebene Sammlung von teilweise seit weit über 100 Jahren mündlich überlieferten Geschichten (Historien) handelt, die einer Person namens Dill Ulenspegel zugeschrieben wurden. Der Verfasser gibt in seiner Vorrede aber zu, sie durch etliche schriftlich überlieferte Legenden angereichert zu haben - insgesamt 14 -, u.a. über einen „Pfaffen Amis“ und einen „Pfaffen von Kalenberg“. Was der Verfasser über Till Eulenspiegels Eltern und Geburt berichtet, ist ebeso wenig überprüfbar wie die Umstände seines Todes in Mölln oder Aufenthalte in einer der zahlreichen Städte zwischen Prag, Rom, Nürnberg, Leipzig, Lübeck, Erfurt u.v.a. Schliesslich gilt inzwischen nach vielen Jahrzehnten intensiver Forschungen, zuletzt von Herbert Blume, als sicher, dass der Verfasser ein Braunschweiger war, und zwar der Stadt- und Akziseschreiber Hermann Bote. Er ist der Schöpfer der Legende Till Eulenspiegel; denn allein das Volksbuch erzählt, wer - und wie -Eulenspiegel wirklich war. Meine folgende Interpretation bezieht sich ausschliesslich darauf.

2 I.

EULENSPIEGEL - ein SCHALK - k e i n Narr

Der Verfasser bezeichnet Eulenspiegel mehr als 50mal als SCHALK, allein in der 2. Historie (Eulenspiegel als Kind !) 7 mal, „er befleissigte sich allerlei Schalkheit...Wie kommt es, dass die Nachbarn sagen, du seiest ein Schalk ? Pfui, welch ein Schalk!“ (E. zeigt nach hinten den ars, nach vorn die Zunge = leck den ars !) In der 11. H. nennt ihn der Pfarrer von Büddenstedt einen leckerschen Schalk, in der 12. einen „schalkhaftigen Knecht“, in der 15. H. erkennt der gefoppte „Doktor“ des Bischofs von Magdeburg: „Ich bin von einem Schalk reingelegt worden, ich wähnte, er wäre ein Doktor der Medizin, aber er ist ein Doktor der Leckerei.“*) *)LECKER(EI) u.a. Heuchler, Gauner, Bösewicht. (Frühneuhochdeutsches Wörterbuch Bd.9.1.,S.56)

72. Hist.: E. sät Schälke 24. Hist.: E. übertrifft den Schalksnarren durch „grobe Schalkheit“ in der 88. Historie, die letzten Streiche im Kloster Marienthal vor seinem Tode, nennt ihn der Abt des Klosters 3 mal: „Du bist ein auserlesen Schalk...du hast gehandelt wie ein Schalk... ein verdammter Schalk“, In der 91. H. verflucht ein Pfaffe den sterbenden Eu.: „Du bist ein Schalk, von allen Schälken auserlesen.“ Was bedeutete damals ( zwischen Mittelalter und Neuzeit ) SCHALK ? Goethe in „Faust I“ über Schalk und Teufel Du darfst auch da nur frei erscheinen. Ich habe deinesgleichen nie gehaßt. Von allen Geistern, die verneinen, Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last. Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen, Er liebt sich bald die unbedingte Ruh; Drum geb´ ich gern ihm den Gesellen zu, Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen

3 MEPHISTOPHELES (zu Faust): Ich bin der Geist, der stets verneint ... Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär´s, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt, Mein eigentliches Element. ...ein Teil von jener Kraft Die stets das Böse will und stets das Gute schafft Der Überlieferung nach ist Eulenspiegel in Mölln an der Pest gestorben, die nach verbreitem Glauben als „Geißel Gottes“ = Strafe für Gottlosigkeit galt. Bernd Ulrich Hucker*) weist darauf hin, dass Eulenspiegel zunehmend „dämonische Züge“ aufweist, „die sich insbesondere bei seiner versuchten Hinrichtung in Lübeck (H.57) und bei seinem Ende (H. 89- 95) nachweisen lassen. Warum läßt der Verfasser ihn so deutlich außerhalb der christlichen Ordnung, also ohne Beichte, Absolution, letzte Ölung und kirchliche Begräbnisriten, begleitet von bösen Omen, ins Grab fahren ?“ Die Lösung enthält die erste Historie mit der rätselhaften Taufe in Ampleben, obwohl Kneitlingen auch damals schon eine eigene Kirche hatte: Im „Hexenhammer“ (1487), der erweislich dem Verf. des Volksbuches bekannt war, wird davor gewarnt, ein Neugeborenes über einen Steg zwischen zwei Pfarrdörfern zu tragen, denn wenn es ins Wasser fällt, geben die Wasserdämonen einen Wechselbalg, eine Teufelsbrut heraus. In ein solches Kind findet zeitlebens der Heilige Geist keinen Eingang ! „Vielmehr erscheint der Schalk von Beginn seines Lebens an als zur Bösartigkeit vorherbestimmt „( Hucker,S.8). Dem Verf. geht es also um das Leben eines ohne eigene Schuld von den Kräften des Bösen beherrschten Menschen, unstet, ruhelos, getrieben, einsam, heimat- und im wörtlichen Sinne gott-los. Eines ist der Eulenspiegel des Volksbuches auf keinen Fall: ein Narr !

Er hält zwar andere zum Narren, ist aber selbst keiner und trägt in keiner der Abbildungen eine Narrenkappe, an der man ihn erkennen könnte. . *) Bernd

Ulrich Hucker: Till Eulenspiegel - Zur Geschichte eines Nationalhelden. in: Till Eulenspiegel. Beiträge zur Forschung. Stadtarcihv und Stadtbibliothek Braunschweig Kleine Schriften 5. Braunschweig 1980, S. 5 -16

4

In der BERLINER MORGENPOST erschien am 30.Dezember 2001 eine ganze Seite über Eulenspiegel mit der Überschrift Till Eulenspiegel: Der lustige Schalk ist ursprünglich eine dämonische Karikatur aufs Neue Testament von Peter Iwatiw:

Im Volksbuch „begegnet der Leser nicht dem gefälligen Spaßmacher der späteren Kinderbücher, sondern einem bösartigen Egoisten und Betrüger, der - meist mit dem Mittel des bewußten Mißverstehens und listigen Wörtlichnehmens- seine Mitmenschen...an den Rand des Ruins bringt.“ Seine Streiche treffen Handwerker, Marktfrauen,Gastwirte und besonders Pfarrer, aber auch Fürsten und Professoren, sogar seine eigenen Eltern. „Das Leben Jesu Christi ist die Negativfolie,auf der sich die ganze Fragwürdigkeit und Bösartigkeit der Eulenspiegel-Figur für den Leser der damaligen Zeit offenbarte..als Ausgeburt der Hölle...eine Kreatur des Bösen.“

These: Vor dem „Schalk“ soll gewarnt werden: er ist eine diabolische Figur, seine Handlungen sind gotteslästerlich und unselig, aber niemand erkennt ihn vor seinen Taten. hic fuit. War er aber von Geburt an verdammt, dann ist das Volksbuch eine vorreformatorische Stellungnahme zu Luthers Frage, ob der Mensch aus eigener Kraft ohne kirchliche Vermittlung von den Sünden erlöst und der Gnade Gottes teilhaftig werden kann.

5 II. Hermann Bote, das Volksbuch und die Reformation in Braunschweig Hermann BOTE, vermutlich um 1465 als Sohn eines Schmiedemeisters in Baunschweig geboren, verfasste in der Zeit zwischen 1490 und 1520 neben zwei umfangreichen Weltchroniken unter dem Titel „Das Schichtbuch“ eine Chronik der mittelterlichen Ständekämpfe in Braunschweig. Er hat die Schichten seiner Zeit nicht nur beschrieben, sondern war unmittelbar beteiligt, als Sprecher der angegriffenen Ratsherren also Partei: In einem allgorischen Gedicht „Dat boek van veleme rade“ bekannte er sich als streng konservativer Verteidiger der herrschenden Ständeordnung als der von Gott gewollten Ordnungsmacht. Er beschwört die Eintracht aller Bürger der Stadt zum Schutz vor fürstlicher Willkürherrschaft und verurteilt eindeutig jegliche revolutionäre Gewaltanwendung des „Pöbels“, die sich auch gegen Hermann Bote persönlich richtete. Zu diesem Pöbel gehörten u.a. Zimmerleute , Flickschuster und ähnliche nicht gildefähige Handwerker sowie Schweinetreiber und Viehhirten, Henker und Bader, die ausserhalb dieser gottgewollten Ständeordnung standen und demzufolge keinen Anspruch auf Vertretungen in den Räten oder gar Kirchenvorständen hatten. Die unterste Schicht in Botes Ständeordnung bildeten aber die Bauern, und deshalb betont er gleich am Anfang des Volksbuches, dass Eulenspiegel „eines Bauern Sohn“ sei, also von Geburt an nicht zur bürgerlichen Gesellschaft gehörte, in der er sein Unwesen trieb.*) *) Eine ausführliche und überzeugende Interpretation von Botes sog. Radbuch „boek van veleme rade“ und des Volksbuches Eulenspiegel von Eberhard Rohse > Gy eerliken stede - Stadtbürgerlich-hansische Welt am Beispiel von Hermanns „Radbuch“< in dem Ausstellungskatalog >Hanse - Städte - Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500< herausgegeben von Matthias Puhle, Magdeburg 1996, S. 575-602.

6 Bote schuf das Volksbuch von Eulenspiegel in den Jahren, in denen (1.)die Stadt wieder einmal von einer blutigen Schicht, dem sog. Aufstand der Armen betroffen wurde, und genau zu dieser Zeit (2.) an die Altstadtgemeinde St. Michaelis ein junger Priester mit Namen Thomas MÜNTZER berufen wurde, auf Betreiben u.a. eines Gewandschneiders namens Hans Pelt (II.). Er trat dieses Amt am 13.Mai 1513 an, am 15. Juni wurde Bote von den Aufständischen seines Amtes enthoben und ihm die Hinrichtung angedroht.*) Müntzer hat also BOTE und die sozialen Spannungen in Brg. erlebt und vermutlich mit der rebellierenden Unterschicht sympathisiert, zumal die Michaelisgemeinde seit ihren Anfängen in der Mitte des 12. Jahrhunderts als Hort der Armen und Geächteten galt. *)

Lit.: Ulrich Bubenheim: Thomas Müntzer. Herkunft und Bildung. 1989 ders. Thomas Müntzer in Braunschweig. In: Braunschweigisches Jahrbuch. Band 65, 1984, S.37-78 und Band 66, 1985, S.79 -114 Herbert Blume / Werner Wunderlich (Hrg.): Hermen Bote. Bilanz und Perspektiven der Forschung. Braunschweig 1982. Jürgen Diestelmann (Hg.): Kirchen Klöster Heilige.Vorreformatorische Kirchengeschichte Braunschweigs im Werk Hermann Botes. Braunschweig 1988. Darin Beiträge von Eberhard Rohse und Herbert Blume

Dafür dass das Volksbuch von Eulenspiegel unter dem Eindruck der aufbrechenden Reformation geschrieben wurde, gibt es deutliche Hinweise im Volksbuch selbst: - Die 28. Historie erzählt, wie Eulenspiegel in Prag die gesamte Universität blamiert und beginnt mit der Bemerkung, „zu der Zeit wohneten darselbst noch gute Christen vor der Zeit, als Wickliff aus Engelande die Ketzerei in Böhmen tät und durch Johann Hus verbreitet ward.“ Bekanntlich ist Eulenspiegel nach dem Volksbuch 1350 in Mölln gestorben, die Universität Prag aber erst 2 Jahre zuvor von Karl IV. gegründet und der Reformator Johannes Hus 1369 geboren worden. Hermann Bote aber wusste, dass die Universität Prag als eine Hochburg der Scholastik galt, die der orthodoxen Theologie ein Ärgernis war. Die ganze Geschichte ist mithin als Satire der scholastischen Gelehrsamkeit zu verstehen. Bote selbst hat zugegeben, dass sie nicht Eulenspiegel zugeschrieben, sondern von ihm dem Buch

7 des Pfaffen Amis entnommen wurde. Die Ablehnung der Lehren von Wickliff und Johann Hus ist überdeutlich. - Noch eindeutiger ist die Lehre der 34. Historie, „wie Eulenspiegel gen Rom zog und den Papst sah, der ihn für einen Ketzer hielt.“ In den ersten drei Sätzen sagt der Erzähler lgleich dreimal, dass es der Höhepunkt seiner „durchtriebenen Schalkheit“ gewesen sei, so wie ein altes Sprichwort sage „Gang gen Rom, frummer Mann, kumm herwieder als nequam“ (Nichtsnutz): Er nimmt Quartier im Hause einer Dame hohen Standes, der er sagt, er sei nach Rom gekommen, um den Papst zu sprechen. Diese erwidert: Sie sei in Rom geboren und von hohem Stand und s e h e den Papst zwar häufiger, aber mit ihm zu sprechen sei unmöglich. „Ich gäb wohl 100 Dukaten darum, dass ich mit ihm reden möcht.“ Eulenspiegel wartet darauf, die Messe zu besuchen, die der Papst jeden Monat einmal in einer Laterankapelle liest, und drängt sich in seine Nähe. Als sich bei der sog. Stillmesse alle Gläubigen verneigen, dreht sich Eulenspiegel um und zeigt dem Sakrament sein Hinterteil. Die Kardinäle sehen darin eine Schmähung der Heiligen Kirche und fordern den Papst auf, den Ketzer zu bestrafen. So stellt er Eulenspiegel zur Rede, ob er ungläubig und kein guter Christ sei. Er antwortet, er habe denselben Glauben wie seine Gastgeberin, deren Namen der Papst wohl kannte. Nun ließ der Papst diese Frau kommen, um sie nach ihrem Glauben zu fragen, womit Eulenspiegel sein Versprechen einlöste, ihr ein Gespräch mit demPapst zu verschaffen, und dafür100 Dukaten zu kassieren. Der Papst ersucht nun Eulenspiegel um eine Erklärung für sein schändliches Verhalten und dieser antwortet: „Alllerheiligster Vater, ich bin ein armer Sünder und sorg mich in mein Sünd, dass ich des nit würdig wär, bis dass ich mein Sünd gebeichtet hab.“ Die Geschichte schließt mit den Worten des Erzählers: „Da war der Papst des zufrieden...Und blieb Eulenspiegel ein Schalk vor als auch nach und ward von der Römischen Fahrt nit viel gebessert.“

8 Fazit: Der Papst wird weder als Person noch als Institution kritisiert, karikiert oder in Frage gestellt, ebenso wenig die Kirche und ihre Macht, Beichte abzunehmen und Absolution zu erteilen. Nur der Schalk bleibt ein Schalk, d.h. ohne Segen und Befreiung von Schuld und Sünden. Pfaffen sind zwar im Volksbuch in mehr als 20 Historien die „Opfer“ von Eulenspiegels „Streichen“, fast immer mit besonders ekelhaftem Verhalten Eulenspiegels, das der Erzähler unter häufiger Verwendung von Wörtern wie Scheisse, furzen und Arsch bis zum Erbrechen des Lesers bzw. Hörers zu reizen scheint. Das zielt aber niemals auf die heilige Institution der Kirche; sie, die Sakramente und die Geistlichkeit sind unantastbar. Daran lässt schliesslich der Erzähler bei der Schilderung von Eulenspiegels Tod keinen Zweifel: Als Eulenspiegel „alt und verdrossen“ geworden war, so beginnt die 88.Historie, „überkam ihn die Galgenreu“ und er beschloss, in ein Kloster zu gehen, um dort seiner Sünden wegen Gott zu dienen und Gnade zu finden. Er wählt das Kloster Mariental bei Helmstedt, dessen Abt ihm Aufnahme gewährt, wenn er sich für die Klostergemeinschaft nützlich erweise und gehorsam seinen Anordnungen folge. Tatsächlich nimmt er die Aufträge es Abtes genau wörtlich, womit er allerdings das Gegenteil von dem bewirkt, was der Abt gemeint hat. Voller Zorn nennt ihn der Abt einen „auserlesenen Schalk“, der seine gewohnten Tücken und Hinterhältigkeiten nicht lassen könne: „geh mir aus meinem Kloster und lauf zum Teufel, wohin du willst.“ Und so endet die Geschichte mit den Worten: „Also kam er gen Mölln, da wurde er von Krankheit erfasst und starb.“ Auch hier gelingt es Eulenspiegel nicht, seine Sünden zu beichten und als guter Christ erlöst in die Gnade Gottes aufgenommen zu werden. Als er in das Spital „Der Heilige Geist““ gebracht wird, sagt er: „Ich habe stets danach getrachtet und Gott darum gebeten, dass der Heilige Geist sollt in mich kommen. Nun geschieht das Gegenteil, dass ich in ihn komme und er bleibt aus mir... ...Und wie eines Menschen Leben ist, so ist auch sein Ende“

9 Schluss Das Volksbuch von Till Eulenspiegel durchzieht von Anfang bis Ende der Geist eines orthodoxen Katholizismus, der alle reformatorischen Gedanken als Ketzerei verurteilt, ebenso wie jegliche Auflehnung gegen die von Gott gesetzte Obrigkeit.

Ulrich Bubenheimer hat in seiner Untersuchung über „Thomas Müntzer in Braunschweig“ dessen enge Verbindungen zu bekannten und einflussreichen braunschweiger Bürgern dokumentiert, neben Hans Pelt vor allem zu einem Brauer namens Hans Horneborch, der nach Luthers Verurteilung Müntzers, auch die lutherischen Protestanten um Bugenhagen herausforderte. Die Fronten wurden in Braunschweig also durch drei Persönlichkeiten repräsentiert: Die konservativen Gegner der Reformation durch Hermann Bote, der aber die eigentliche Reformation nicht mehr erlebte, die Lutheraner Hans Pelt (II.) und -später - Bugenhagen und der zu Müntzer stehende Horneborch, den schliesslich Herzog Heinrich der Jüngere

inhaftieren ließ. Die Zahl der jeweiligen Anhänger lässt sich nicht ermitteln. Sie umfasste aber alle gesellschaftlichen Schichten von der noch immer unterdrückten Masse der Unterschicht über das in den Städten herrschende Bürgertum bis in den Hohen Adel.

Die Reformation wurde in Braunschweig auch von niederen Geistlichen wie von Teilen des herrschenden Bürgertums getragen, ohne den von Th. Müntzer u.a. geforderten sozialrevolutionären Charakter („Bauernkrieg“) anzunehmen.*) *) Klaus Jürgens, der bereits in seiner Darstellung „Die Reformation in der Stadt Braunschweig“ (Quellen und Beiträge zur Geschichte der ev.-luth.Landeskirche in Braunschweig. H. 3 - 2003) die Aktivitäten von Hans Pelt (II.) und seine Beziehungen zu Müntzer dargestellt hat, behauptet allerdings - in einem dem Verfasser in einem vervielfältigten Manuskript vorliegenden Vortrage zur Geschichte der St.Michaeliskirche am 7.Juni 2007- Müntzers „spätere Radikalisierung(hat) hier keinen Boden gefunden, auch nicht bei seinen Freunden aus der Zeit vor 1521“, womit wohl vor allem Horneburg gemeint ist.. Dazu ist zu sagen, dass die Verlierer in der Geschichte selten oder nie von den Siegern in die historische Wahrheit aufgenommen werden. Und die Sieger waren nun einmal die Lutheraner.

10 Dennoch ( oder auch: deswegen) führte die freudige Annahme der Reformation im Bürgertum der Stadt zum definitiven Bruch zwischen Stadt und Herzögen ( Heinrich der Jüngere). Die Stadt schloss sich dem Schmalkaldener Bund an und blieb fortan lutherisch, der Herzog aber -mindestens vorerst - katholisch. Thomas Müntzer und seine Anhänger blieben auch hier bis heute als Ketzer und Rebellen verfemt.

Erst allmählich setzt sich in der lutherischen Landeskirche die Erkenntnis durch, dass Müntzer als Theologe aus christlicher Überzeugung zum Kämpfer gegen die Fürstenherrschaft wurde. Luther dagegen begründete diese Herrschaft neu im Sinne von Römer 13, die ihre verhängnisvolle Vollendung im preußischen Staat und im deutschen Kaiserreich erfuhr. Die eigentlichen Verlierer aber waren die konservativen Altkatholiken wie Hermann Bote und - sein geistiges Geschöpf Till Eulenspiegel. Das meist großbürgerliche Publikum der Reformationszeit verstand die Botschaft der römischen Kirche nicht mehr, die den Volksglauben an Teufel, Hexen und Dämonen durch Exorzismus und Inquisition zur brutalen Unterdrückung der „Freiheit eines Christenmenschen“ instrumentalisierte: Ein Mensch, der ohne eigene Schuld auf ewig verdammt ist, verdient eher Mitleid als Abscheu, mögen seine Taten noch so ekelerregend und niederträchtig erscheinen. Deshalb verschwanden die allerschlimmsten seiner „Streiche“ alsbald aus späteren Ausgaben; aus dem gottverdammten Schalk wurde der harmlose Scharlatan, der schon von weitem durch seine Narrenkappe erkennbar ist, zur beliebigen Interpretation durch jedermann freigegeben: Narr, Schalk,Weiser oder EIN MENSCH.

11