Clemens Tauber

Thermische Kraftwerke Versorgungssicherheit, Effizienz und Flexibilität für die Energiewende

energieverlag

Nürnberg, 28. Oktober 2010 Im Zusammenhang mit dem Klimaschutz hat E.ON in der Vergangenheit wiederholt betont, weltweit die effizientesten konventionellen Kraftwerke bauen und betreiben zu wollen (vgl. auch Abb. 42 auf S. 87). Mit diesem Anspruch war auch verbunden, weltweit die effizientesten GuD-Kraftwerke zu realisieren. Die Siemens AG hatte bereits im Jahr 2000 die Entwicklung einer neuen Gasturbine gestartet, die leistungsstärker, effizienter, flexibler, umweltfreundlicher und wirtschaftlicher sein sollte. Insbesondere sollte die neue Gasturbine im GuD-Betrieb einen Nettowirkungsgrad von größer 60 Prozent erreichen (siehe Infokasten, S. 106). Hinweis: Moderne GuD-Anlagen haben heute Nettowirkungsgrade von rund 58 Prozent. Außerdem sollte die neue Gasturbine eine erhöhte Betriebsflexibilität erreichen, d. h. kurze Anfahrzeiten und einen schnellen Lastfolgebetrieb ermöglichen. Das Entwicklungsprogramm von Siemens war also sehr anspruchsvoll. Um den Erfolg dieses Programms zu sichern, war es insbesondere notwendig, die Erprobung und Optimierung der neuen Gasturbine unter realistischen Bedingungen an einem Kraftwerksstandort durchzuführen. Vor diesem Hintergrund fanden der Hersteller Siemens und der Betreiber E.ON zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem gemeinsamen Ziel, die Verstromung von Erdgas weiter voranzubringen. Zu dieser Zusammenarbeit hat jeder Partner seine Stärken eingebracht. So hat Siemens die Entwicklungsarbeit geleistet. E.ON hat den Kraftwerksstandort Irsching bei Ingolstadt (drei Kraftwerksblöcke auf Basis Erdgas: Irsching 1 bis 3) mit der dort vorhandenen Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Am Standort Irsching war im Jahr 2006 Block 3 (415 Megawatt) betriebsbereit; Block 1 (151 Megawatt) und Block 2 (312 Megawatt) waren in Kaltreserve130. Durch Nutzung der Infrastruktur mit Gasversorgung und Einspeisung des erzeugten Stroms in das Höchstspannungsnetz, konnten die Betriebs- und Erprobungskosten minimiert und damit die Voraussetzung geschaffen werden, um dieses Projekt zum Erfolg zu führen.131 An der mehr als zehn Jahre dauernden Entwicklung für die neue Gasturbine waren weltweit rund 750 Forscher, Ingenieure und Facharbeiter beteiligt. Das neue Wunderwerk der Ingenieurskunst heißt SGT5-8000H (Abb. 48). Dieses Aggregat ist mit rund 370 Megawatt die derzeit weltweit leistungsstärkste und in der Praxis erprobte Gasturbine. Die Turbine hat eine Länge von 13 Meter und wiegt 440 Tonnen – soviel wie ein vollgetankter Airbus 380. Alle Einzelteile funktionieren mit der Präzision eines Uhrwerks.132 SGT5-8000H steht als Rekordturbine sogar im Guinness-Buch der Rekorde.133

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Vgl. E.ON Kraftwerke GmbH: Daten und Fakten 2007, S. 15. Vgl. Maagh, P.; Fischer, W.: Weltweit Bestwerte im GuD-Kraftwerk Ulrich Hartmann, S. 48. Vgl. Siemens AG: Knoten im Innovationsnetz. Weltrekord-Gasturbine mit Uhrwerkspräzision, S. 55. Vgl. Fischer, W.: Siemens H-Klasse Gasturbine für bahnbrechenden Wirkungsgrad gepaart mit Flexibilität auf höchstem Niveau.

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(Foto: Siemens AG)

Abb. 48 - Gasturbine SGT5-8000H

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Wirkungsgrad GuD-Kraftwerke134 Moderne Kohlekraftwerke erreichen Wirkungsgrade größer 45 Prozent. Moderne GuD-Kraftwerke erreichen Wirkungsgrade größer 60 Prozent. Dieser Unterschied hat thermodynamische Gründe: Grundsätzlich ist der Wirkungsgrad thermischer Kraftwerke umso höher, je höher die sogenannte obere Prozesstemperatur ist (vgl. auch Infokasten, S. 81). Bei Kohlekraftwerken beträgt diese Temperatur heute maximal 600 Grad Celsius (Eintrittstemperatur Dampfturbine). Bei GuD-Anlagen ist die obere Prozesstemperatur mit rund 1.500 Grad Celsius deutlich höher (Verbrennungstemperatur Gasturbine). Die Austrittstemperatur der Rauchgase nach der Gasturbine beträgt etwa 600 Grad Celsius. Die Gasturbine allein hat damit einen Wirkungsgrad von etwa 40 Prozent. Durch Nutzung der heißen Rauchgase aus der Gasturbine in einem angeschlossenen Wasser-Dampf-Kreislauf mit Abhitzekessel und Dampfturbine kann ein Gesamtwirkungsgrad für GuD-Kraftwerke von größer 60 Prozent erreicht werden.

Wie wurde aus dieser Gasturbine ein GuD-Kraftwerk? Was waren die wichtigsten Meilensteine dieses Entwicklungsprojekts? Das Projekt wurde vereinfacht in zwei Phasen realisiert. In Phase 1 (September 2006 bis August 2009) wurde die neue Gasturbine als Gasturbinenanlage gebaut und danach unter härtesten Bedingungen eineinhalb Jahre getestet. In Phase 2 (ab August 2009 bis Dezember 2010) ist diese Anlage durch Installation eines Wasser-DampfKreislaufs (insbesondere Abhitzekessel und Dampfturbine) zu einem kompletten GuD-Kraftwerk (Irsching 4) erweitert worden.135 Nach erfolgreichem Testbetrieb der Gasturbinenanlage nahmen Siemens und E.ON im April 2010 an der Ausschreibung zum Bayerischen Energiepreis 2010 teil. Zu diesem Zeitpunkt war die Erweiterung der Gasturbinenanlage zu einem GuD-Kraftwerk noch nicht abgeschlossen. Aufgrund der sehr guten Ergebnisse des Testbetriebs – insbesondere erreichte die neue Gasturbine einen Wirkungsgrad von 40 Prozent – war jedoch klar, dass das im Bau befindliche GuD-Kraftwerk mit dieser Turbine einen Wirkungsgrad von mehr als 60 Prozent (Weltrekord!) erreichen wird. Die vielen mit der Entwicklung der neuen Gasturbine realisierten Innovationen in Verbindung mit dem hohen Wirkungsgrad eines darauf aufbauenden GuD-Kraftwerks hatte die Jury dazu bewogen, die Unternehmen Siemens und E.ON mit dem Bayerischen Energiepreis 2010 auszuzeichnen. Die Preisverleihung war für den 28. Oktober 2010 im Maritim Hotel Nürnberg geplant. Seitens E.ON wurde entschieden, dass ein Geschäftsführer den Preis entgegennimmt. Im Jahr 2010 betrieb E.ON bereits Kraftwerke in ganz Europa. Die

134 Vgl. E.ON Energie AG: Katalog „Fragen und Antworten“ anlässlich Pressekonferenz zur Einweihung des Kraftwerks Irsching 4 am 15.09.2011. 135 Vgl. Maagh, P.; Fischer, W., a.a.O., S. 48.

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Kommunikation zwischen den Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Ländern lief zunehmend auf Englisch. In diesem Fall war es so, dass der für E.ON bestimmte Geschäftsführer kaum Deutsch sprach, aber das Statement nicht in Englisch vorgetragen werden sollte. Meine Aufgabe war es, unter diesen Randbedingungen die Dankesrede zu schreiben. Ich sah die Lösung des Problems darin, den Text kurz zu halten und mindestens einen Lacher einzubauen, damit das langsame Ablesen vom Blatt nicht zu trocken für die Zuhörer werden würde. Am 28. Oktober findet tagsüber im Maritim Hotel Nürnberg ein Energiesymposium statt. Diese Tagung ist gegen 17.00 Uhr beendet. Etwa 200 Teilnehmer des Symposiums erscheinen auch zum Festakt der nachfolgenden Verleihung des Bayerischen Energiepreises 2010 im Kaisersaal des Hotels. Der Preis wird durch Katja Hessel, Staatssekretärin im Bayerischen Wirtschaftsministerium, vergeben. Nach der Begrüßungsrede durch die Frau Staatssekretärin hält das Siemens-Vorstandsmitglied seine Dankesrede – frei und locker. Nun ist der E.ON-Geschäftsführer an der Reihe und beginnt stockend: „Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Hessel, […], sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste, Siemens und E.ON freuen sich sehr über den Bayerischen Energiepreis. Uns erreichte der Brief vom Bayerischen Wirtschaftsministerium Ende August. Die Freude in unserem Haus war groß, diesen Preis in Verbindung mit Irsching 4 gewonnen zu haben.“136

Und er fährt fort: „Frau Staatssekretärin, es war ein bisschen so, als hätte Oslo angerufen.“137 Das brachte die entscheidende Auflockerung beim Publikum – und auch beim Redner. Im weiteren Verlauf der Rede wird darauf hingewiesen, dass Irsching 4 der ideale Partner für die zunehmende, aber unstetige Stromerzeugung durch Wind und Sonne ist, da die Anlage flexibel im laufenden Betrieb schnelle Laständerungen vornehmen kann. „Für die Energieversorgung von morgen brauchen wir genau solche Kraftwerke wie Irsching 4. […] In Bayern kann sich der Himmel in wenigen Minuten zuziehen und dann können bereits heute schlagartig rund 2.000 Megawatt wegfallen.“138 Nach etwa fünf Minuten war die Rede ohne Pannen auf Deutsch gehalten. Meine Sorge, dass der Redner mit seiner Situation möglicherweise überfordert sein könnte, war also unbegründet gewesen. Auch das Publikum würdigte beide Preisträger mit reichlich Applaus. Abb. 49 zeigt die vom Bayerischen Wirtschaftsminister Martin Zeil unterzeichnete Urkunde zum Bayerischen Energiepreis 2010. Beim anschließenden Stehempfang bedankte ich mich bei der Pressereferentin von Siemens für die wiederholt gute Zusammenarbeit.

136 Plowman, K.: Manuskript zur Rede am 28. Oktober 2010 im Hotel Maritim Nürnberg, S. 1f. 137 Ebd., S. 2. 138 Ebd., S. 4.

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(Foto: E.ON Kraftwerke GmbH)

Abb. 49 - Urkunde „Bayerischer Energiepreis 2010“

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Am nächsten Tag geben Siemens und E.ON eine gemeinsame Pressemitteilung heraus. Darin heißt es, dass Irsching 4 über die leistungsstärkste Gasturbine der Welt verfügt. „Als GuD-Kraftwerk wird Irsching 4 mit dieser Turbine einen bisher einzigartigen Weltrekord-Wirkungsgrad von über 60 Prozent erreichen.“139 Zudem heißt es in der Meldung, dass beide Unternehmen vereinbart haben, das Preisgeld an eine Berufsschule in der Nähe des Kraftwerksstandorts Irsching zu spenden.

Irsching, 15. September 2011 Im Oktober 2010 wurde angekündigt, mit Irsching 4 – nach Umbau zu einem GuD-Kraftwerk – die Wirkungsgradgrenze von 60 Prozent zu überspringen. Dieses gegebene Versprechen wurde wenige Monate später eingelöst: Im Mai 2011 wurde nachgewiesen, dass der Wirkungsgrad dieser Anlage im operativen Kraftwerksbetrieb 60,4 Prozent bei einer Nettoleistung von 561 Megawatt beträgt.140 Dies ist Weltrekord! Bei einer vom TÜV Süd zertifizierten Versuchsfahrt unter besonderen Bedingungen wurden kurzzeitig sogar noch höhere Werte erreicht: Der Wirkungsgrad betrug maximal 60,75 Prozent bei einer Nettoleistung von 578 Megawatt.141 Die erreichten Weltrekordwerte hat Siemens am 19. Mai 2011 der internationalen Fachpresse vorgestellt. Die Vertreter von Siemens betonten, dass dies – rund zehn Jahre nach Initiierung des Entwicklungsprogramms – auch für sie ein bewegender Moment sei.142 Das Beispiel Irsching 4 zeigt sehr eindrucksvoll, wie mühsam es ist, im Bereich thermischer Kraftwerke Effizienzgewinne zu realisieren. Das erreichte Effizienzniveau von GuD-Kraftwerken zum Entwicklungsbeginn von Irsching 4 im Jahr 2000 lag bei 58 Prozent. Um diesen Wert um mehr als zwei Prozentpunkte anzuheben, waren viele Einzelmaßnahmen notwendig. Insbesondere musste die Temperatur der Verbrennungsgase, die durch die Gasturbine strömen, um rund 100 Grad Celsius auf 1.500 Grad Celsius angehoben werden. Es hat sich gelohnt! Die CO2-Emissionen der Anlage verringern sich durch die höhere Effizienz rechnerisch um 43.000 Tonnen pro Jahr; E.ON und Siemens haben damit eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass deutsche Unternehmen nach wie vor eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung und beim Betrieb effizienter und klimafreundlicher Energiegewinnungssysteme einnehmen.143 Seit Sommer 2011 wird die Anlage (Abb. 50) kommerziell betrieben.144

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E.ON AG; Siemens AG: E.ON und Siemens erhalten den Bayerischen Energiepreis 2010. Vgl. Maagh, P.; Fischer, W., a.a.O., S. 47. Vgl. ebd., S. 50. Vgl. Balling, L.: Über 60 Prozent bahnbrechender Wirkungsgrad der Siemens H-Klasse gepaart mit Flexibilität auf Weltklasseniveau, S. 2. 143 Vgl. E.ON AG: Das Kraftwerk Ulrich Hartmann, S. 5, 7. 144 Vgl. Maagh, P.; Fischer, W., a.a.O., S. 48.

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Bei der Pressekonferenz zur offiziellen Einweihung des GuD-Kraftwerks am 15. September 2011 – ein halbes Jahr nach Fukushima – wurde deutlich, dass E.ON mit der Energiewende den mehrheitlichen gesellschaftlichen und politischen Willen zum früheren Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland akzeptiert und der Konzern sein Geschäft konsequent danach ausrichtet. Seitens E.ON hob Dr. Ingo Luge in seinem Statement zu Beginn hervor, dass es erstmals gelungen sei, einen Wirkungsgrad von über 60 Prozent zu erzielen. Wörtlich: „Kein anderes Gas- und Dampfkraftwerk kommt mit noch weniger Brennstoff für die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom aus, kein anderes stößt dabei noch weniger als 330 Gramm CO2 aus, die hier pro erzeugter Kilowattstunde entstehen.“145

Und Luge fuhr fort: „Dieses Kraftwerk ist ein Stück Energiewende!“, da Irsching 4 genau dann zur Verfügung steht, „wenn die Sonne mal nicht scheint und der Wind mal nicht weht.“146 Danach betonte er, dass ein Kraftwerk wie Irsching 4 nur ein Baustein auf dem Weg zur künftigen Energieversorgung sein könne. E.ON mache hier aber bereits viel mehr: „Erstens. E.ON baut die Erzeugung der Erneuerbaren massiv aus. […] Zweitens. E.ON setzt auf hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung. […] Drittens. E.ON sorgt für die Netzanbindung von Erneuerbaren und Dezentralen [dezentralen Erzeugungsanlagen, d. Verf.]. […] Viertens: E.ON entwickelt Energiespeicher.“147

Das Programm im Festzelt wurde von meiner charmanten Kollegin moderiert. Luge sorgte in seiner Rede noch für eine Überraschung. Er sagte: „Eine so besondere Anlage verdient auch einen besonderen Namen. Einen Namen, mit dem sich strategischer Weitblick und herausragender unternehmerischer Erfolg verbinden, der für Leistung und Innovation steht. Wir weihen heute also nicht das Kraftwerk Irsching 4 ein. Die Anlage heißt jetzt offiziell Kraftwerk Ulrich Hartmann.“148

In der Pressemeldung heißt es dazu: „Damit setzt E.ON eine Tradition aus den Zeiten ihrer Vorgängerunternehmen fort, technisch wegweisende Kraftwerke nach Persönlichkeiten zu benennen, die sich besondere Verdienste um das Unternehmen erworben haben. Ulrich Hartmann war über 39 Jahre für E.ON und deren Vorgängerunternehmen tätig und hat die erfolgreiche Entwicklung des Konzerns entscheidend geprägt. Mit strategischen

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Luge, I.: Manuskript zum Statement in Irsching am 15.09.2011, S. 1. Ebd., S. 1f. Ebd., S. 2f. Luge, I.: Manuskript zur Rede in Irsching am 15.09.2011, S. 5.

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(Foto: E.ON Kraftwerke GmbH)

Abb. 50 - GuD-Kraftwerk Ulrich Hartmann in Irsching (Bayern)

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und unternehmerischen Weichenstellungen wie der erfolgreichen Fusion von Veba und Viag zu E.ON und der Fokussierung auf das Energiegeschäft hat er ein großes Stück Unternehmensgeschichte geschrieben.“149

Ein Beispiel dafür, technisch wegweisende Kraftwerke nach verdienstvollen Persönlichkeiten zu benennen, ist das Kraftwerk Staudinger im hessischen Großkrotzenburg, das nach Dr. Hans Staudinger (*1889; †1980)150 benannt ist. Staudinger war von 1929 bis 1932 Staatssekretär im preußischen Handelsministerium151 und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Preußenelektra von 1927 bis 1931.152 Ein weiteres Beispiel ist das Kraftwerk Heyden im nordrhein-westfälischen Petershagen. Der Namensgeber, Wilhelm Heyden (*1877; †1952)153, war Gründungsvorstand der Preußenelektra von 1927 bis 1949154. In diesem Zusammenhang ist auch noch das Ölkraftwerk Schilling in der Nähe des Kernkraftwerks Stade an der Elbe zu erwähnen; dieses Kraftwerk war von 1962 bis Ende der 80er Jahre in Betrieb.155 Der Namensgeber für dieses Kraftwerk war Hermann Schilling (†1961)156. Er wurde 1946 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Preußenelektra157. Am heutigen Tag der feierlichen Inbetriebnahme sitze ich ganz entspannt im Festzelt und lausche den Reden (siehe Abb. 51, zweite Reihe, vorn rechts). Meine Gedanken schweifen ab. Zum einen freue ich mich über das tolle Kraftwerk Ulrich Hartmann. Zum anderen ist da auch etwas Wehmut. Mir ist bewusst, dass mit Dr. Ulrich Hartmann ein großer Konzernlenker das Unternehmen in unsicheren Zeiten verlässt. Es wird schwer werden, den Konzern nach Fukushima und dem vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland wieder in sicheres Fahrwasser zu führen. Mir ist auch bewusst, dass das neue Kraftwerk etwas Besonderes darstellt. Ich meine dabei nicht das mit dieser Anlage erreichte beispiellose Effizienzniveau. Ich meine, dass diese Anlage mit der Energiewende am Anfang einer Entwicklung steht, deren Ende heute noch nicht absehbar ist. Wie viele Großkraftwerke wie Ulrich Hartmann braucht dieses Land noch für die Energiewende? Oder ist es tatsächlich so, dass derartige Anlagen vielleicht früher als wir denken, eine Randrolle bei der Stromerzeugung spielen werden. Und wenn das so sein sollte, welche Bedeutung hat dann noch ein hoher Wirkungsgrad? Anlagen, die nur dann eingesetzt werden, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, die müssen flexibel sein – bei diesen Anlagen verliert aber tendenziell der Wirkungsgrad an Bedeutung, weil sie nur wenig Zeit haben, um diese betriebswirtschaftlichen 149 150 151 152 153 154 155 156 157

E.ON AG: Kraftwerk Ulrich Hartmann im bayerischen Irsching eingeweiht. Vgl. Wikipedia: Hans Staudinger. Vgl. ebd. Vgl. Preußische Elektrizitäts-Aktiengesellschaft: Denkschrift anlässlich ihres 25jährigen Bestehens, S. 6. Vgl. Stier, B.: Staat und Strom, S. 306. Vgl. Preußische Elektrizitäts-Aktiengesellschaft, a.a.O., S. 10. Vgl. Wikipedia: Kraftwerk Schilling. Vgl. ”Die Zeit”: Staatsfinanzrat Hermann Schilling †. Vgl. Preußische Elektrizitäts-Aktiengesellschaft, a.a.O., S. 6.

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(Foto: E.ON Kraftwerke GmbH)

Abb. 51 - Im Festzelt am Kraftwerksstandort Irsching am 15.09.2011

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(Foto: E.ON Kraftwerke GmbH)

Abb. 52 - Einweihung des GuD-Kraftwerks Ulrich Hartmann am 15.09.2011 in Irsching*

(Foto: E.ON Kraftwerke GmbH)

Abb. 53 - Kraftwerksstandort Irsching in Bayern** * Von links: Oliver Schwadke (Kraftwerksleiter Irsching), Martin Wolf (Landrat Pfaffenhofen a. d. Ilm), Jochen Hohmann (Staatssekretär Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie), Martin Schmid (Bürgermeister Vohburg a. d. Donau), Dr. Ingo Luge (Vorstandsvorsitzender E.ON Energie AG), Horst Seehofer (Ministerpräsident Freistaat Bayern), Dr. Ulrich Hartmann (ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender E.ON AG), Dr. Michael Süß (Vorstandsmitglied der Siemens AG und CEO des Sectors Energy) ** Von links: GuD-Kraftwerk Irsching 5; GuD-Kraftwerk Ulrich Hartmann (Irsching 4); Kraftwerksblöcke Irsching 3, Irsching 2 und Irsching 1 (mit rot-weißen Schornsteinen)

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Vorteile einzuspielen. Meine trüben Gedanken sind wie weggeblasen, als der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer mit seiner aufmunternden Rede beginnt: „Mit dem ‚Kraftwerk Ulrich Hartmann‘ setzen wir einen Meilenstein. Wir zeigen der Welt: Bayern kann’s, Bayern macht’s! Wir sind schon mitten drin im Aufbruch in ein neues Energiezeitalter.“158 Na, dann wird ja alles gut, denke ich. Nach den Reden findet ein symbolischer Festakt statt. Jeder der Ehrengäste hat ein Gebäudeteil oder eine Schlüsselkomponente des neuen Kraftwerks aus Pappmaschee in der Hand. Unter Anleitung meiner charmanten Kollegin gelingt es diesen Herren, in kurzer Zeit das Kraftwerk Ulrich Hartmann nachzubauen. Das Superkraftwerk ist nun also auch als Modell fertig. Die anwesenden Fotografen machen ihr Pressefoto (Abb. 52). Danach ist das Buffet eröffnet. Nur wenige Meter neben dem Kraftwerk Ulrich Hartmann war im Mai 2010 – nach der Grundsteinlegung159 im November 2007 – bereits eine weitere GuDAnlage der Superlative ans Netz gegangen: Es handelt sich um das Gemeinschaftskraftwerk Irsching 5. Auch diese Anlage mit einer Leistung von 860 Megawatt und einem Wirkungsgrad von 59,7 Prozent setzt neue Maßstäbe.160 Der Kraftwerksstandort Irsching wurde außerdem mit zusätzlichen Leitungen an das Erdgastransportnetz und 380-kV-Höchstspannungsnetz angeschlossen und verfügt über ein ausgeklügeltes Kühlwassermanagement.161 Mit den beiden neuen GuD-Anlagen und dem Block Irsching 3, der seit 1974 in Betrieb ist, sind am Standort Irsching insgesamt etwa 1.850 Megawatt installiert. Der Standort Irsching (Abb. 53) an der Donau ist damit einer der bedeutendsten Erzeugungsschwerpunkte von E.ON in Deutschland.162 Allerdings haben allgemein die derzeitigen Marktbedingungen in Deutschland, d. h. rückläufiger Einsatz163 und niedrige Großhandelspreise für Strom, einen negativen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit von Gaskraftwerken. Von dieser Entwicklung sind auch die hochmodernen GuD-Kraftwerke Irsching 4 und 5 betroffen.

158 Seehofer, H.: Manuskript zur Rede in Irsching am 15.09.2011. 159 Vgl. E.ON Kraftwerke GmbH; N-ERGIE AG; Mainova AG; HEAG Südhessische Energie AG (HSE): Grundstein für hocheffizientes Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk Irsching 5 gelegt. 160 Vgl. E.ON Energie AG; N-ERGIE AG; Mainova AG; HEAG Südhessische Energie AG (HSE): Hocheffizientes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk setzt neue Maßstäbe. 161 Vgl. Schmitz, E.: Development and Execution of new Power Plant Projects in Europe. 162 Vgl. E.ON AG: Das Kraftwerk Ulrich Hartmann, S. 10. 163 Vgl. Habit, S.: Warum nagelneue Gaskraftwerke stillstehen.

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