Das Journal über die Zukunft des Web.

№ 00 | 2014

QUANTIFY YOURSELF

THE DARK SIDE OF CROWDSOURCING

DIGITAL WITCHHUNT

Die Vermessung des “Ich”. Das Self-Tracking erobert die Welt. Seite 12

Prekäre Arbeitsverhältnisse, unbezahlte Arbeit. Was Crowdsourcing tun kann. Seite 28

Crowdsourced crime investigation in the web. Seite 35

K

aum hat es die Menschheit erfunden, es ist gerade einmal 25 Jahre alt, gibt es auch schon eine eigene Wissenschaft davon. Doch was genau ist das eigentlich, die Wissenschaft vom Web? Vom Web als dem Kommunikationsmedium des 21. Jahrhunderts, einer Zivilisation des Geistes, in der Wissen - endlich jedermann zugänglich sei, ist die Rede. Dem Spionageinstrument der NSA, dem Geburtshelfer „arabischer Frühlinge“, den „dark dungeons of the internet“ ebenso wie „something truly good, a gift from god“, je nach dem ob man George W. Bush oder dem Papst fragt. Mit anderen Worten: Niemand weiß es so ganz genau. Oder besser gesagt, es ist ein Ort der Vielfalt, an dem - noch viele Meinungen Platz haben und dem - weil es ein Werkzeug der Selbstrepräsentation ist, buchstäblich nichts Menschliches fremd ist. Das Web ist Gegenstand, aber auch Methode des Studiums der Webwis-

senschaften, das seit 2011 an der Johannes Kepler Universität gemeinsam mit der Kunstuniversität Linz gelehrt wird. Das Schöne - und auch das Schwierige - daran ist, das hier Informatiker, Soziologen, Künstler, Ökonomen und Juristen gemeinsam über das Web diskutieren. Into The Web ist ein Journal, das einen Beitrag zu dieser Diskussion leisten will, ins Leben gerufen, gemeinsam mit Studierenden der Webwissenschaften. In seiner Vielfalt an Fotoreportagen, Interviews, visuellen Ausarbeitungen und klassischen Artikeln, zeigt es nicht nur, wie groß die Bandbreite an Fragen, Ideen und Initiativen ist, die das Internet bereit hält, sondern auch, dass es fast ebenso viele Herangehensweisen gibt, es zu nutzen und zu beschreiben.

THOMAS LORENZ

INHALT DIES IST EIN AUSZUG DES ONLINE JOURNALS. WEITERE ARTIKEL FINDET MAN UNTER www.intotheweb.at

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LOOKING FOR TRUTH

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THE DARK SIDE OF CROWDSOURCING

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RE:PUBLIKUM

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SOCIAL MEDIA MARKETING

12 QUANTIFY YOURSELF

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TAG-CLOUDS

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LOVE. FUCK. WANT.

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DIGITAL WITCH HUNT

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MAKING THINGS

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OPEN EDUCATION

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WHAT TO DO WITH EMOJIS???

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DIGITALISIERUNG DES WISSENS

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FROM DAMSEL TO HEROINE

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ROADMAP TO WEBSCIENCE

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INTERNET ZITATE

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ONLINE-ARTIKEL

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5 OPEN DESIGN MYTHS

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IMPRESSUM

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“I DON’T HAVE A LOT OF SYMPATHY WITH PEOPLE WHO SAY: ‘THERE’S SO MUCH RUBBISH ON THE WEB (…) IF THERE’S SO MUCH RUBBISH, IF IT’S RUBBISH, DON’T READ IT. GO READ SOMETHING ELSE.” Tim Berners-Lee



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“GLAUBE DENEN, DIE DIE WAHRHEIT SUCHEN, UND ZWEIFLE AN DENEN, DIE SIE GEFUNDEN HABEN.” André Gide französischer Schriftsteller

“ LOOKING FOR TRUTH BLOGGER VS MAINSTREAM MEDIA

P

rivate Weblogs bieten seit der Entstehung des World Wide Web ein interessantes Potenzial zur Bereitstellung und Verbreitung von Wissen, Meinungen und Informationen zu einem breiten Themenspektrum auf der ganzen Welt.

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Im Jahr 2013 wurden bereits über 152 Millionen Blogs (1) im gesamten Internet verzeichnet und deren Anzahl steigt weiterhin massiv an. Heute gehören Blogger, WordPress und Tumblr zu den bedeutendsten Plattformen, die unter

anderem mit sozialen Netzwerken wie Facebook und Microblogging-Seiten wie Twitter parallel verwendet werden, und es ermöglichen, Inhalte abseits der Mainstream-Medien zu teilen. Diese Inhalte erfassen eine Vielzahl an Themen-

gebieten, wobei sich nach der Jahrtausendwende viele Blogger verstärkt für öffentlich relevante und politische Themen einzusetzen begannen und versuchten unterdrückten Menschen eine Stimme zu geben. Diese Blogs fungieren als Informationsquelle sowohl für betroffene Personen innerhalb von Krisengebieten und Ländern mit eingeschränkten Rechten wie zum Beispiel die Meinungsfreiheit, als auch für Beobachter von außerhalb. Ein besonders aktuelles Beispiel stellt die derzeitige Krise in der Ukraine dar.

So berichtete Oksana Romaniuk, eine ukrainische Bloggerin und Aktivistin, dass sich Personen, vor allem im Osten der Ukraine, immer öfter an lokale Medien wenden, sowie sich anhand von Blogs, Online Streams und sozialen Netzwerken über die Vorfälle in ihrem Land informieren und auch auf diesen Kanälen die Berichterstattung selbst in die Hand nehmen. Dadurch entsteht ein Pool an Meinungen und Informationen von lokalen Personen und Journalisten, denen von Teilen der Bevölkerung mehr Vertrauen entgegen gebracht wird, als den staatlichen Me-

dien oder Berichten über die Lage der Ukraine aus dem Ausland. Es wird also davon ausgegangen, dass gewisse Konflikte in den Mainstream-Medien grundsätzlich anders dargestellt werden, als diese wirklich vorgefallen sind. Ob und wie sehr sich die Darstellung gewisser Vorfälle zwischen Mainstream-Medien unterschiedlicher Länder und Bloggern aus der Region unterscheidet, soll nun anhand eines kurzen Vergleichs dargestellt werden. Dazu wurde ein spezifischer Vorfall ausgewählt, der in den ukrainisch-, russischund deutschsprachigen Medien für gro-

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ßes Aufsehen bei Medienkonsumenten und Bloggern sorgte. Dieser Vorfall bezieht sich auf das Referendum und die Angliederung der Krim an Russland im März 2014. Zum Vergleich wurden ausschließlich Berichterstattungen von Online Zeitungen im Zeitraum vom 16. bis 18. März herangezogen. Nachberichte, die etwa erst Wochen später herausgegeben wurden, werden hier nicht beachtet.

WIE ÜBER DAS REFERENDUM IN VERSCHIEDENEN LÄNDERN IN ONLINE ZEITUNGEN BERICHTET WURDE (2) DEUTSCHSPRACHIGE ZEITUNGEN (3)

Die österreichischen und deutschen Zeitungen berichteten grundsätzlich über das Referendum, jedoch stellten diese das Ergebnis und dessen Legitimität prinzipiell in Frage und brachten Argumente dagegen. Eher selten wurden Gründe, welche für das Referendum sprachen, behandelt und als mögliche Sicht auf die Ereignisse dargestellt. Diese Argumente fielen über die verschiedenen Zeitungen hinweg ähnlich aus und einige der Prominentesten lauteten in etwa: ƒƒ ausschließlich rechte Politiker als Wahlbeobachter vor Ort bzw. Politiker, die mit Putin und seiner Politik sympathisieren ƒƒ (ausländische) Wahlbeobachter bzw. OSZE-Beobachter wurden nicht auf das Gebiet der Krim gelassen ƒƒ Verwendung von transparenten Glasurnen und keine Wahlumschläge ƒƒ russische Soldaten besetzten die Krim, speziell die Wahllokale, als Einschüchterung der Krim-Bewohner Es herrscht ein zeitungs- aber auch medienübergreifender Konsens, dass das Referendum (von Russland) manipuliert wurde und daher die Angliederung an Russland eine rechtswidrige Annexion bzw. Einmarsch Russlands darstellt. Daher wird das Referendum und die

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Angliederung auch generell als Provokation seitens Russlands gegen die Ukraine und Europa allgemein angesehen. Die meisten Zeitungen verwendeten weiters ähnliche bis vollständig identische Argumentationen und Wortwahl, was wohl auf die gemeinsame Verwendung von Presseagenturen wie APA, dpa und andere zurückzuführen ist. Die meisten veröffentlichten Artikel beziehen sich außerdem auf Berichte und Informationen der ukrainischen Regierung und Behörden.

UKRAINE

Die ukrainischen Zeitungen berichteten, ebenfalls wie deutschsprachige Quellen, dass besagtes Referendum stattgefunden hat, es aber nicht anzuerkennen sei, da gewisse Vorschriften nicht eingehalten wurden. Allen voran wurde hier die Präsenz von russischen Soldaten und russischer Propaganda auf der Krim vor und während des Referendums genannt. Allerdings wurden nicht

IN DIESEM [...] BEISPIEL DER UKRAINE SCHAFFTEN ES BLOGGER SOGAR VIELE ARGUMENTE DER MEDIEN ZU ENTKRÄFTEN.

! nur Gründe, die gegen das Referendum sprechen angeführt, sondern auch (ausländische) Journalisten, Bewohner der Krim und Beteiligte der Wahlkommission zitiert und interviewt, die sich für die Legitimität des Referendums und die Angliederung an Russland aussprachen und ihre Angst vor der neuen Regierung in Kiew zeigten. Weiters ist auffallend, dass, obwohl ein grundsätzlich negativer Unterton gegen das Refe-

rendum in Zeitungen zu beobachten ist, Bilder und Berichte von den Feierlichkeiten über die Angliederung an Russland trotzdem verbreitet wurden. Einige Berichte über das Referendum wurden allerdings in Zusammenarbeit mit westlichen Medien und Unternehmen verfasst und nicht ausschließlich von ukrainischen Behörden und Journalisten.

RUSSLAND

Russlands Zeitungen berichteten vom Krim-Referendum und der Angliederung an Russland positiv und unterstützend und loben die Tatsache, dass die Bevölkerung der Krim eine Möglichkeit geboten bekommen hat, über ihre Zugehörigkeit selbst bestimmen zu können. Das Ergebnis wurde als Wille der Krim-Bevölkerung respektiert und als legitim anerkannt. Gegenstimmen, die etwa den großen Prozentsatz der Zustimmung für die Angliederung an Russland anzweifeln, wurden unter anderem mit der zuvor stattgefundenen Umfrage entkräftet, da deren Ergebnis mit dem des Referendums in etwa übereinstimmte. Als Grund, warum die Krim-Bevölkerung sich Russland anschließen will, wurde die Unzufriedenheit mit der momentanen Regierung und deren Politik in der Ukraine genannt. Des Weiteren wurden Anschuldigungen westlicher und ukrainischer Politiker und Journalisten thematisiert sowie Sanktionen des Westens als eine nicht angemessene Reaktion auf das Referendum dargelegt. Auffällig ist ebenfalls, dass geschichtliche Hintergründe sowie der hohe Prozentsatz an russischen bzw. russischsprachigen Teilen der Krim-Bevölkerung in Zeitungen erklärt wurden. Überlagerungen gab es mit deutschsprachigen und ukrainischen Zeitungen eher weniger, bis auf gewisse Informationen (Auswahlmöglichkeiten beim Referendum, russische Soldaten vor Ort, Wahlbeobachter etc.), die aber von allen Seiten jeweils anders ausgelegt wurden. Argumentationen und Wortwahl sind in vielen Zeitungen identisch (oder zumindest ähnlich).

WAS BLOGGER AUS UND VON DER UKRAINE BERICHTETEN Blogger sind bemüht alle Ergebnisse von Umfragen, die vor dem Referendum stattgefunden haben sowie die Herkunft der Bevölkerung auf der Krim in Zusammenhang zu setzen und daher das Ergebnis zu erklären bzw. zu legitimieren, was Zeitungen in ihrer Berichterstattung oft versäumt haben. Es findet also eine genauere Auseinandersetzung mit den Hintergründen, weshalb gewisse Bevölkerungsteile sich für oder gegen eine Angliederung entschieden haben, statt, sowie warum gewisse Länder das Referendum respektieren oder auch nicht. Argumente der westlichen und auch ukrainischen Medien, warum das Referendum nicht legitim wäre, werden widerlegt und in manchen Fällen als westliche oder auch US Propaganda betitelt. Unter anderem wird die Präsenz von (russischen) Soldaten bestätigt, wie etwa durch Fotos auf Twitter oder Tumblr, so versichern aber viele, dass diese sich friedlich verhalten und das Referendum nicht gestört oder beeinflusst haben. Oft werden auch Berichte von Angehörigen, Bekannten und Freunden der Blogger selbst, die sich zur Zeit des Referendum in der Ukraine oder auf der Krim aufgehalten haben, in Diskussionen eingebracht. Es werden also vor allem direkte Quellen präsentiert und versucht so gut wie möglich alle Seiten und Argumente zu betrachten. Auffallend ist, dass sowohl pro-westliche als auch pro-russische bzw. ukrainische Blogs den Grund für die Angliederung der Krim an Russland nicht etwa auf Nationalismus und den Unterschied zwischen Ost- und West-Ukraine zurückführen, sondern wirtschaftliche und finanzielle Gründe dafür verantwortlich machen, die in den Mainstream-Medien nur am Rande erwähnt werden, sofern dieser Argumentation überhaupt Beachtung geschenkt wird. Blogger, die das Referendum und die Angliederung der Krim an Russland

als nicht legitim ansehen, basieren ihre Diskussion darüber teilweise auf jenen Argumenten, die bereits von deutschsprachigen und ukrainischen Medien gebracht wurden. Welche Darstellung nun der Wahrheit entspricht, kann wohl niemand aus der Entfernung und ohne direkte Gespräche mit Betroffenen hundertprozentig entscheiden. Jedoch zeigt dieser Vergleich, dass staatliche Mainstream-Medien nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland jeweils ihre eigenen Versionen des Geschehenen berichten. In diesem aufgezeigten Beispiel der Ukraine schafften es Blogger sogar viele Argumente der Medien zu entkräften. Speziell die Meinungen und Berichte von Betroffenen und deren Angehörigen, die einen großen Beitrag zur Wahrheitsfindung leisten könnten, finden in vielen Mainstream-Medien kein Gehör, werden nicht in den Medien dargestellt oder gar absichtlich geblockt. Diese fehlende Berichterstattung verbreitet bei den meisten Bloggern auf allen Seiten Unmut, der ebenfalls von Kommentatoren in Foren von Online Zeitungen aufgegriffen wird. Dieser Unmut zeigt sich beispielsweise durch Verlinkungen in Online Foren der Zeitungen zu Blogs mit Informationen, die in den Mainstream-Medien nicht beachtet werden, mit Hinweisen darauf, diese zu verbreiten. So soll auf die aktuelle Berichterstattung indirekt Druck ausgeübt werden. Natürlich kann manche unzureichende Berichterstattung damit erklärt werden, dass vor allem Zeitungen noch in alten medialen Mechanismen arbeiten und ihre Botschaften verkürzen. Dies geschieht aufgrund von Platz- oder Zeitmangel aber auch aufgrund der unterschiedlichen Interessen, die von großen Medienkonzernen verfolgt werden. Blogger hingegen haben durch ihre Unabhängigkeit und die technischen Möglichkeiten des Internets die Chance, mehr Raum für Diskussionen, gegensätzliche Meinungen und Informationen aus erster Hand zur Verfügung zu stellen. Dieses Potential haben in den letzten Jahren auch Online-Zeitungen

erkannt und begonnen, Journalisten eigene Blogs zu bestimmten Themen bereitzustellen oder Kommentar-Funktionen einzuführen. Es ist also wichtig nicht ausschließlich eine Seite als Informationsquelle heranzuziehen, sondern vielmehr kann gerade der freie Zugang zum Internet und die darin herrschende Meinungsfreiheit dazu genutzt werden, die Objektivität der Berichterstattung zu hinterfragen aber auch selbst dazu beizutragen. Daher müssen Weblogs sowie der freie Zugang zum Internet so gut wie möglich geschützt werden, um selbst Personen in Europa eine Möglichkeit zu geben, sich über politische Themen, Vorfälle und Erlebtes in Krisengebieten zu informieren sowie Fehlinformation seitens der Mainstream-Medien zu erkennen. Weblogs stellen somit ein wichtiges, von freier Meinungsäußerung geprägtes Gegengewicht zu Regierungen, Organisationen und Unternehmen dar.

Anmerkungen: (1) Geschätzte Anzahl der Weblogs durch unterschiedliche Unternehmen und Plattformen, da eine konkrete Zahl schwer zu ermitteln ist, etwa durch fehlenden Zugang zu entsprechenden Daten. (2) Das Ergebnis ist vorrangig eine Betrachtung von staatlichen bzw. staatsnahen Mainstream-Medien und fassen ausschließlich die Beobachtungen des Autors zusammen. (3) Wurde zusammengefasst, da hier die Medien grundsätzlich auf einer Linie agieren und sich in ihren Argumentationen eher wenig unterscheiden bzw. auf dieselben Quellen und Argumentationen zurückgreifen. Übersetzungen aus dem Russischen: EKATERINA KOLCHINA.

GABRIELE MÜLLNER

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RE:PUBLIKUM

SOPHIE STALLEGGER

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QUANTIFY YOURSELF

8:00 Uhr – der Schlafphasen-Wecker läutet. Ich ziehe mein elektronisches Stirnband ab, frühstücke, gebe die Kalorien in mein Smartphone ein und fotografiere es. Weiter zur Arbeit mit dem Auto, noch Geld abheben und tanken – beides wird sofort in meinen Apps am Smartphone festgehalten um den Überblick am Monatsende zu behalten. Nach einem Vormittag voller Stress - wird sogleich in meinem Stim-

EINE ESSENTIELLE FRAGE, DIE SICH STELLT, IST, WO DIESE VERMESSUNG DURCH MASCHINEN BEGINNT UND ENDET?

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mungsbarometer am Telefon vermerkt - fahre ich mittags mit dem Fahrrad in die nahe Mensa. Davor starte ich meine Sport-App um Distanz, Kalorien und Herzfrequenz zu verfolgen. Das Essen wird wieder fotografiert und die Daten noch schnell aufgezeichnet. Am Nachmittag hebt sich die Stimmung, muss ich gleich ins Smartphone eingeben. Ein Blick verrät mir, dass ich heute schon 2000 Schritte gegangen bin, ich bin der Führende unter meinen Freunden.

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Wieder zu Hause, messe ich vor dem Abendessen Blutdruck und Insulinspiegel. Die Wifi-Waage sendet mein Gewicht an das Smartphone. Am Abend gehe ich in eine Bar, den Standort teile ich auf Foursquare. Mit dem Alkomat meines Smartphone kann ich die Getränke eingeben und mir den momentanen Promillewert anzeigen lassen. Um 23:30 Uhr liege ich wieder im Bett - mit meinem elektronischen Stirnband, dass meine Schlafphasen verfolgt. Das ist „Quantify yourself“. Wörtlich ins Deutsche übersetzt bedeutet es „Vermesse dich selbst“. Es geht also um die Aufzeichnung und Analyse von Aktivitäten im alltäglichen Leben. Der Zweck ist länger, gesünder, kontrollierter zu leben, die Verhaltensänderung ist das Ziel. Dass Zahlen in unserem Leben wichtig sind, ist bekannt. Miete, Gehalt oder Preis einer Ware sollen exakt und nicht schwammig abgebildet werden, allerdings spielen Zahlen im privaten Bereich bislang noch eine eher untergeordnete Rolle. Die Historie der “Bewegung” begann im Jahr 1970 als das erste Mal „Self-Tracking“ mithilfe von tragbaren Computern eingesetzt wurde. 2007 haben die amerikanischen Wired-Journalisten Gary Wolf und Kevin Kelly den Begriff „Quantified Self“ vorgeschlagen, um die Bewegung zu beschreiben - “a collaboration of users and tool makers who

share an interest in self knowledge through self-tracking.”. Nach einigen Jahren kam dann der Trend auch nach Europa. Lange zuvor war die präzise Erfassung der Körperwerte bei Profisportlern und in Krankenhäusern üblich. Allmählich wurde dann das Self-Tracking auch im eigenen Leben interessant. Technik- bzw. sportbegeisterte Personen unter uns kennen natürlich Gadgets wie das Nike Fuelband, das Jawbone UP oder die Samsung Gear Watch. Aber darüber hinaus gibt es noch viele weitere Möglichkeiten sich selbst zu „tracken“. Anfangs wurde nur die sportliche Aktivität aufgezeichnet, doch mittlerweile haben sich neben dem Sport noch viele weitere Bereiche aufgetan die „getrackt“ werden, wie zB. Essen, Finanzen, Gesundheit und andere. Man analysiert „fast“ alles in der täglichen Routine. Konkret gesagt, verfolgt man Schlafphasen, den Jogging-Lauf, das Essen zu Mittag, die Qualität des Sauerstoffs, den Inhalt des Kühlschrankes, die Stimmung oder den Blutzuckerspiegel. Neben Apps und Vitalitätssensoren vereinfachen neue Geräte wie vernetzte Waagen, Schrittzähler oder Schlafsensoren die Datenerfassung. Der Markt boomt, die Nachfrage steigt. Immer mehr Hersteller setzen auf diesen Trend und werfen neue Produkte auf den Markt. Auch die Start-up-Szene schläft nicht und immer mehr kleine und

findige Unternehmen schießen wie Pilze aus dem Boden. Zu klären gilt, warum die Menschen sich so gerne selbst „tracken“, welchen Vorteil sie darin sehen, wie sich der Trend in den nächsten 20 Jahren entwickelt, wie mit der Datensicherheit umgegangen wird,… Kritiker der Bewegung äußern unter anderem Bedenken bezüglich Big-Data (die Sammlung großer Datenmengen), der Privatsphäre oder der Datensicherheit. Die meisten Apps speichern ihre Ergebnisse in der Cloud bzw. auf den Servern der Anbieter. Wem gehören diese Daten? Wer erhält Zugriff? Viele Nutzer solcher Apps vergessen aus Bequemlichkeit gerne den Aspekt der Privatsphäre. Die Daten in der Cloud zu speichern bietet zwar den Vorteil, dass sie überall und von jedem Gerät zugänglich sind, jedoch übergibt man deren Nutzungsrechte damit auch dem Cloud-Anbieter. Apps bei denen diese Informationen auf dem Client, also dem Smartphone, gespeichert werden, sind

rar. Auch eine bekannte App für Diabetiker „MySugr“ gibt ganz offen zu, dass die Daten der Nutzer anonymisiert an Dritte weitergegeben werden. Diese können dann zum Beispiel für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Der Co-Erfinder von MySugr meint, dass Self-Tracking Apps den Verlauf bspw. einer chronischen Krankheit verbessern, aber dafür muss man dann eventuell einen hohen Preis zahlen - den Verlust der eigenen Daten. Diese werden dann möglicherweise an Werbeunternehmen, Krankenkassen oder Versicherungen weitergegeben. Im Gesundheitsbereich kann die Auswertung von Daten einen riesigen Vorteil für die Anwender bieten, jedoch muss auch hier garantiert werden, dass diese zumindest anonym bleiben. Die meisten wollen sensible Daten zu ihrer Gesundheit nicht preisgeben, wenn sie auf die eigene Person zurückzuführen sind, Stichwort ELGA in Österreich. Im weitesten Sinn ist daher auch ELGA, die elektronische Gesundheitsakte, eine Form des Self-Tracking, da auch hier

die Behandlungen der Patienten mit aufgezeichnet werden. Bei ELGA formt sich ein heftiger Widerstand in der Öffentlichkeit. Wer sich und seinen Körper gut kennt, lebt auch gesünder. Wenn es um die Gesundheit geht, kann das Sammeln und Analysieren von Daten aber auch zum Arzt-Ersatz werden. Diese Form der Selbstdiagnose ist natürlich mit Vorsicht zu genießen, auch wenn sie ein enormes Einsparungspotential im Gesundheitsbereich verspricht. In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird sich dieser Trend in eine ganz alltägliche Selbst-Technik verwandeln und in Zukunft könnte die Verwendung von Tracking-Apps bzw. Tracking-Gadgets den Normallfall darstellen. Auch wenn Kritiker den Big-Data- und Privacy-Bereich in den Vordergrund stellen, lehnt nur ein marginaler Teil von Personen das Tracking aktiv ab. Der Großteil sieht darüber hinweg und teilt lieber mit der Community seine Ergebnisse. Selbst unter dem Eindruck der

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Erhält man dann zielgerichtete Werbung im Web oder mit der Post, wird klar, dass Unternehmen auch privat geglaubte Daten einsehen können. Doch solange man keine negativeren Auswirkungen spürt, wird der Trend weiter Höhenflüge erleben. Ebenso steht im Raum, dass der Mensch in Zeiten von Google, Apple, Amazon und Co – Firmen also die global und mit hohem Einfluss agieren – zum Teil nur noch resignieren und sich der Macht dieser Unternehmen beugen können, denn eine Verweigerung dieser Dienste bedeutet mittlerweile auch eine gewisse Benachteiligung für den Einzelnen.

Quelle: http://blog.dacadoo.com/

Self-Tracking ist sicherlich ein guter Weg um Ziele zu setzen, den Prozess zu messen und sich selbst zu motivieren. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir vor allem mit uns selbst kämpfen um unsere Ziele zu erreichen. Motivation wird hierbei oft mit Hilfe von Gamification-Elementen erreicht - Jennifer R. Whitson von der Concordia

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University in Kanada, spricht in ihrem wissenschaftlichen Artikel von deren Integration in Apps: „Add gamification to this mix and “self-knowledge through numbers” becomes even more interesting.“. Punkte, Badges oder Ranglisten motivieren die Person weiterzumachen. Dieser Aspekt der Veröffentlichung von eigenen Erfolgen bzw. Daten ist mit ein wichtiger Grund weshalb Personen alles über sich aufzeichnen. Ein Ranglistenmodell bzw. die Möglichkeit den eigenen Punktestand auf den sozialen Medien zu teilen spornt den Nutzer an. Dieser Vergleich innerhalb der Community, kann aber durchaus auch eine demotivierende Wirkung auf den Nutzer haben. Er fühlt sich dann zu dick oder zu faul, wenn er sich mit den besseren Ergebnissen der Anderen vergleicht.

LOVE. FUCK. WANT.

YOU HAVE TO WATCH PORN… FOR SCIENCE.

Zusammenfassend betrachtet bietet Quantify-Yourself sowohl Vor- als auch Nachteile. Durch die Nutzung können sich Fortschritte ergeben wie zB. besserer Schlaf, bessere Gesundheit, bessere Ernährung, und und und…, vorausgesetzt man kann den Aspekt der Privatsphäre bzw. Weitergabe der anonymen Daten klären und das Vertrauen der Öffentlichkeit restlos gewinnen. Die eigentliche Bedrohung für den Datenschutz besteht aber nicht in den Selbstvermessern, sondern liegt bei denen, die unsere Daten dann „kontrolliert“ weiterverwenden. Eine essentielle Frage, die sich also stellt, ist, wo diese Vermessung durch Maschinen beginnt und endet? Eine Koryphäe in diesem Gebiet ist der Künstler Stelarc der sich im Selbstversuch seit 30 Jahren mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine auseinandersetzt. Ist der nächste, logische Schritt also der Cyborg, ein Mensch-Maschine-Hybrid, mit dem wir mithilfe von Implantaten, Prothesen, usw. unsere Körperfunktionen verbessern?

GEORG PAYREDER

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nternetpornografie ist Mainstream. Bitte, tun Sie nicht so, als wäre Ihnen das neu. Es gibt eine ganze Reihe an Daten, die einem entgegengeworfen werden, wenn man versucht, ein ernsthaftes Gespräch über die Bedeutsamkeit der Pornoindustrie zu führen. Die Zahlen schwanken allerdings und von der Wissenschaft gibt es kaum Belege. Machen Pornos nun also 5%, 25% oder 50% des Internets aus? Welchen Stellenwert müssen wir der Internetpornografie geben, wenn wir uns über Ökonomie, Soziologie oder Psychologie der Nutzung des Webs unterhalten? Entscheidend ist, welche dieser Zahlen sich nun am ehesten dem realen Wert nähert.

Jpbazard Jean-Pierre Bazard

jüngsten Skandale in diesem Zusammenhang - Stichwort NSA - fühlen sich die meisten Nutzer nicht persönlich betroffen. Frei nach dem Motto: Man sieht es nicht - man spürt es nicht - es betrifft mich nicht!

In den Köpfen der Menschen haben Pornovideos ihr schmutziges Image noch immer nicht ganz abgeschüttelt. Zwar wird der Trend auch in Zukunft nicht dahin gehen, in der Mittagspause Hardcorepornos im Großraumbüro zu zeigen, ein Wandel ist allerdings dennoch bemerkbar. PornodarstellerInnen haben den Sprung von unbekannten Gesichtern zu Sternchen der Szene geschafft. Es ist durchaus in Ordnung, Darsteller zu kennen, ohne davon pein-

lich berührt zu sein. Während die Reddituserschaft Asa Akira nach ihren unterhaltsamsten Situationen beim Filmdreh befragt, zeigt der Kultursender ARTE seine Doku über Stoya, die neben ihrem Hauptberuf noch Kommentare für den Guardian verfasst. Dass diverse Lifestyleformate fast schon inflationär die Vorteile von sanfter Haue im Schlafzimmer oder die Wissenschaft hinter dem Geschmack von Ejakulaten wiederkäuen, schockiert ältere Semester, sorgt vielleicht für heimliches Interesse im mittleren Alter, wirft die heutige Generation aber schon lange nicht mehr aus der Bahn. Immerhin tragen sie die weite Welt der Hardcorepornografie in ihrer Hosentasche. Ihr Schock wird sich auch in Grenzen halten, wenn die ehemalige Kinderschauspielerin im Alter von 19 Jahren für sieben Sekunden lang mit dem Smartphone beim Akt gefilmt wird. So richtig neu entdeckt wurde die Sexualität zuletzt in den späten 60er Jahren. Es ist anzunehmen, dass die Digital Natives, also jene User, welche die Technologien des modernen Zeitalters in die Wiege gelegt bekamen, einen solchen Wandel in der Wahrnehmung der Sexualität aufgrund ihres Alters

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nur aus Fernsehdokumentationen über Sexkommunen und freie Liebe kennen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob wir uns heute nicht ebenfalls einer - etwas anderen - Form von sexueller Revolution gegenübersehen.

vorrangig aus ökonomischen Gründen, doch ermöglicht Pornhub mit dem Schritt der Veröffentlichung jener Daten auch einen offenen Diskurs, der über die reine Ökonomie hinausgeht.

Menschen unterhalten sich über Masturbation und Lieblingspornofilme und schmeißen Dildoparties. Sie machen ihre eigenen Videoclips und werden damit willentlich Teil der usergenerierten Pornomasse, zum Pornhub Prosumer. Das statistische Material, das sich daraus ergibt, nutzt die Industrie bereits für sich: Was klickt der User zuerst an? Wie lange bleibt er auf der Website? Welches Video sieht er sich mehr als einmal an? Welches schließt er nach wenigen Sekunden? Zwar sind die obenstehenden Fragen aus ökonomischer Perspektive von Interesse, jedoch ist die Motivation hinter den jeweiligen Handlungen besonders in Verbindung mit dem Web wenig erforscht und die klassische soziologisch und psychologisch orientierte Pornoforschung kann uns einige Fragen nicht beantworten. Zum Beispiel jene, wie sich der steigende Anteil an Smartphones in Schwellenländern für die Pornoindustrie auswirken wird, oder inwiefern technologische Erweiterungen wie Augmented und Virtual Reality Einfluss nehmen werden. Ebenso ist der Zugang zur Pornografie ein anderer: Während man in vordigitalen Zeiten verstohlen die diskret abgetrennten Pornoabteilungen der Videothek betreten oder dem Kioskverkäufer seinen Wunsch nach Pornografie anvertrauen musste, findet der - wenn man so möchte - Erwerb des Materials heute innerhalb der eigenen vier Wände statt. Diese Öffnung der Welt der Filmerotik für deren Nutzer und Nutzerinnen führte dazu, dass die im Jahr 2010 durch das heutige MindGeek aufgekaufte Webseite Pornhub in ihrem Blog ”Pornhub Insights” statistisches Datenmaterial zu Großereignissen sportlicher Natur, regionalen oder saisonalen Eigenheiten auswertet. Dies geschieht natürlich

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Es wird darüber philosophiert, wieso Kärntnerinnen und Kärntner im Bundesländerschnitt am wenigsten lang auf der Website verbringen, weshalb der Top-Suchbegriff jedes Landes die eigene Landessprache ist und wie es kommt, dass die ganze Welt ihren Pornokonsum zu Weihnachten und an Sonntagen verringert - und warum ausgerechnet Japan aus der Statistik fällt.

PORNHUB INSIGHTS HAT UNTER ANDEREM FOLGENDE FAKTEN ZUSAMMENGETRAGEN:

- Weltweit hatte Pornhub im Januar 2013 den meisten Traffic. Im August 2013 fielen die Aufrufe auf das Minimum. In Japan verhält sich dies anders. Hier war der aktivste Monat der Novem-

ber, während im Mai die geringste Nutzerzahl aufgezeichnet wurde. - Im Durchschnitt wurde Pornhub im Jahr 2013 am häufigsten am Montag aufgerufen. Am Sonntag sind die Aufrufzahlen am niedrigsten. Wiederum fällt Japan aus dem Schema. Hier ist der aktivste Tag der Samstag, während sich am Donnerstag die geringste Menge an Benutzern auf Pornhub wiederfand. Kurios: Zu Weihnachten sinkt in beinahe jedem Land die Zugriffsrate um 1030%. In Japan stieg diese um 8%. - Der am häufigsten gesuchte Begriff ist in den meisten Ländern der Erde ist die eigene Nationalität. Bewohner deutschsprachiger Nationen suchen also gerne nach “german” und “deutsch”, während die Briten “english” und die Japaner “japanese” suchen. - Besonders beliebte weitere Suchbegriffe sind “teen”, “milf”, “casting” und “amateur”. Der meistgesuchte Berufsbegriff ist “teacher”, gefolgt von “babysitter”, “nurse”, “secretary” und “cop”. - Billiger werdende Technologie und die daraus resultierende weltweit zunehmende Verwendung von Smartphones und Tablets spiegelt sich auch in der Pornhub-Statistik jedes Landes wider. - Zu wichtigen sportlichen Ereignissen ist ein eindeutiges Nutzerverhalten beobachtbar. Am Beispiel des 48. Superbowl-Finales zwischen Seattle und Denver lässt sich feststellen, dass sich während des Spiels in den teilnehmenden Städten die Zugriffsrate um 61% bzw. 51,4% senkte. Die Sieger (Seattle) lagen nach dem Spiel auf -17,2%, während die Verlierer (Denver) der höchste Anstieg (10,8%) zu verzeichnen war. Ähnliche Beobachtungen waren beim rein madrilenischen Finale der UEFA Championsleague zu machen. - Das am häufigsten verwendete Wort in Pornhub-Kommentaren ist “love”. Darauf folgen “hot”, “fuck”, “nice” und “ass”. Bei der Überprüfung der Kommentare wurde erkannt, dass 67% der gemachten Aussagen positiver Natur sind. Die einzigen Verben in den Top 25 sind “love“, “fuck” und “want”. Bedauerlicherweise wird trotz dieser Fakten nicht immer deutlich, weshalb

die User das so machen, also warum Japaner so gerne an einem ganz anderen Tag und Monat Pornofilme sehen wollen als es US-Amerikaner oder Deutsche tun. Liegt der Kern der Wahrheit in unterschiedlichen sozio-ökonomischen Voraussetzungen im asiatischen Raum oder gibt es ganz andere, weniger offensichtliche Gründe? Wie erklärt man sich den Unterschied in der Verweildauer zwischen wohlhabenderen und wirtschaftlich benachteiligten Usern? Worin liegt die Motivation zum Hochladen von eigenem Material? Werden die uns folgenden Generationen sexuell abgestumpfte Hedonisten, weil sie stundenlang Pornos schauen können und trotzdem keinen zweimal sehen müssen? Oder werden sie in der Sexualität und Erotik aufgeklärter und unvoreingenommener sein als wir es sind? Diese Fakten verraten uns vieles über die geheimen Wünsche der User. Durch das veröffentlichte Material werden der

Wissenschaft Informationen zugänglich, die man einige Jahre zuvor nicht hatte. Natürlich hätte man auch schon vor 10 Jahren Fragebögen und Gesprächsrunden zur Nutzung von pornografischem Material im Internet erstellen können, doch hätte man bereits die richtigen Fragen gestellt? Um die Pornografie im Internet wissenschaftlich beleuchten zu können, scheint es notwendig über die reine Sozioökonomie hinauszugehen. Pornografie ist ebensosehr Thema von Kunst, Technik, oder Rechtssprechung. Was sagt der Künstler, wenn sich Pornografie von der Hochglanzproduktion zum Einweg-Medium wandelt? Welche rechtlichen Fragestellungen tun sich auf, wenn sich ein Pärchen beim gemeinsamen Akt filmt und dieses Band von einem der beiden veröffentlicht wird? Internetpornografie ist Mainstream und sie generiert Daten. Die daraus entste-

henden Informationen sind allerdings ungeordnet. Sie sind zwar für die klassischen Disziplinen schon von Bedeutung, um sie jedoch umfassend einzuordnen, bedarf es eines Ansatzes, der die vielfältigen Aspekte und Perspektiven vereint, die dem Web als kreativen, sozialen, ökonomischen und technischen Raum zugrundeliegen. Love. Fuck. Want. Durch die Nutzung von Internetpornografie hat der Mensch eine ganz persönliche Seite in das große, weite Netz gebracht und sich damit durchschaubarer gemacht. Es liegt nun an einer interdisziplinären Wissenschaft - den Webwissenschaften - auch auf diesem Gebiet die richtigen Fragen zu stellen.

SASCHA NADERER

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ie Maker-Bewegung stellt eine Subkultur dar, deren Hauptmotivation es ist, mit modernen, technischen Hilfsmitteln „Back to the roots“ zu gehen und Dinge wieder selbst zu produzieren und zu reparieren. Die „Maker“ stehen damit in Opposition zur Wegwerfgesellschaft und rücken die Selbstbestimmung des eigenen Lebens wieder ins Zentrum. Eine neue Lebensweise wurde so auf Basis moderner Technik etabliert und zwar in Form einer neuen und spannenden Initiative. Mitglieder der Maker-Bewegung treffen sich in so genannten Hackerspaces oder FabLabs, also in Technologielaboren, die auf der ganzen Welt zu finden sind. Mitmachen kann im Prinzip jeder der das nötige Interesse mitbringt und der offen für freies Denken und einen gewissen Wandel ist.

MAKING THINGS

Eines der modernen technischen Hilfsmittel, welcher sich die Maker-Bewegung bedient, ist der 3D-Drucker. Mit dem nötigen Know-How können damit in verschiedenen Bereichen der Medizin, Kunst, Technik oder Wirtschaft reale Objekte, wie etwa Modelle (Prototypes) oder andere, zum Teil hoch individualisierte Produkte hergestellt werden. 3D-Druck hat seinen Ursprung bereits in

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3D-Drucker, der dazu in der Lage ist, einfache chemische Reaktionen zu erzeugen um verschiedene Moleküle herzustellen. Mit dieser „chemischen Tinte“ könnten dann verschiedene Elemente des Periodensystems wie Wasserstoff oder Karbon hergestellt werden, aus denen wiederum Arzneimittel entstehen. Viele Arzneimittel sind laut Cronin global nicht verfügbar, weil eine zu geringe Nachfrage dafür besteht, oder weil sich bedürftige Personen diese schlichtweg nicht leisten können. Mit seinem Modell - dem ‚Chemputer’ - lädt man sich ein Rezept zu einem moderaten Preis herunter und druckt sich seine Pillen just in time aus. Der Ansatz „günstige Medikamente für alle und überall“ klingt gut, jedoch stellt sich die Frage, inwiefern diese Technologie auch missbräuchlich verwendet werden und ob sie neben großem Nutzen nicht auch Missbrauch ermöglichen kann.

Photography: Atelier Ted Noten / Artwork: Atelier Ted Noten

den 80er Jahren, er ist also nicht ganz so neu und innovativ, wie er oft dargestellt wird. Es gibt zahlreiche Beispiele für witzige, kreative und auch verrückte Projekte, die sehr einfach mit Hilfe eines 3D-Druckers realisiert werden können. Die einzige Voraussetzung ist ein gewisses Maß an Know-How in der Bedienung eines CAD-Programmes, von denen es auch schon sehr einfach zu bedienende Onlineversionen gibt. Aus der Modebranche kommen zB. „3D-gedruckte“ Kleidung, Schmuck oder Schuhe. Auch Spielzeug wie Lego-Steine oder Plastik-Männchen und Ersatzteile können ausgedruckt werden. Unter Zuhilfenahme eines 3D-Scanners ist es möglich, eine reale Person - zb. sich selbst - einzuscannen und in Miniaturform auszudrucken. In der Medizin werden bereits Knochen und Gelenksteile für Prothesen fabriziert und in Zukunft sollen ganze Organe für

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Transplantationen aus dem Drucker kommen. In den Medien wird vermehrt von Häusern berichtet, die zum Beispiel von einer chinesischen Firma äußerst kostengünstig mit Hilfe eines riesigen 3D-Druckers hergestellt werden oder im Rahmen des niederländischen „Canal House Projects“ fabriziert werden. Eine weitere Sensation ist der 3D-Drucker „Foodini“ eines spanischen Unternehmens, der noch im Jahr 2014 Lebensmittel wie Pizzen, Burger, Gebäck, Spaghetti und Schokoladefiguren in einem Stück ausdrucken können soll, oder der “Chefjet”, mit dem bereits jetzt Süssigkeiten in allen Formen und Farben hergestellt werden können. Schon heute ist 3D-Druck bereits so weit ausgereift, dass man sich den Drucker nach Hause ins Wohnzimmer holen kann. Um rund 1000€ ist er in großen Elektronikfachmärkten erwerbbar und für weniger als die Hälfte gibt

es Bausätze, um sich einen 3D-Drucker selbst zu bauen. Wenig geeignet ist 3D-Druck für die Produktion einer hohen Stückzahl wenig individualisierter Produkte, dafür eignen sich andere Verfahren des „Additive Manufacturings“ besser. Additive Manufacturing bedeutet in etwa „sich schichtweise aufbauende Serienfertigung“ und ist ein industrielles Verfahren, bei dem, basierend auf elektronischen Datenmodellen, ein reales Objekt entsteht. Neben den Errungenschaften, die uns der 3D-Druck bereits ermöglicht und dem was uns für die Zukunft prognostiziert wird, gibt es natürlich auch, wie bei fast jeder Technologie: The Dark Side. Für großes Aufsehen sorgte 2012 die erste, voll funktionsfähige Waffe aus dem 3D-Drucker. Der junge Cody Wilson schuf mit dem „Liberator“ eine voll

funktionsfähige Waffe aus Kunststoff, deren Einzelteile fast vollständig mit einem 3D-Drucker produziert wurden. Auf seiner Website „Defense Distributed“ war der Plan für den „Liberator“ bereits nach zwei Tagen über 100.000 Mal heruntergeladen worden und Wilson wurde vom „Wired Magazine“ zu einer der gefährlichsten Personen der Welt gekürt. Was damals noch nicht allzu ernst genommen werden musste, da man mit der Waffe lediglich einen einzigen Schuss abfeuern konnte, hat jetzt, im Sommer 2014 bereits eine andere Dimensionen angenommen. Inzwischen werden von Unternehmen wie „Solid Concepts“ voll funktionsfähige Feuerwaffen aus Metall gedruckt. Lee Cronin, Chemieprofessor an der Universität Glasgow stellte auf einer TED-Konferenz die Idee vor, Arzneimittel selbst herzustellen. Er entwickelte einen

Ein anderer Kritikpunkt am 3D-Druck ist die durch ihn verursachte Umweltverschmutzung. Als Basismaterial der Geräte für den Hausgebrauch dient meist Plastikfilament, das aus ökologischer Sicht nicht ganz unbedenklich ist. Da Plastikmüll seit Jahren ein großes globales Umweltproblem darstellt, ist es fragwürdig, ob noch mehr davon erzeugt werden soll. Beim Schmelzen des Filaments im Zuge des Druckprozesses wird außerdem enorm viel elektrische Energie verbraucht, was einen weiteren, die Umwelt belastenden Faktor darstellt. Doch nicht alle beim 3D-Druck verwendeten Materialien schädigen die Umwelt. Bei dem am spanischen “Institute for Advanced Architecture of Catalonia” entstandenen Forschungsprojekt “Stone Spray” baut ein 3D-Druck Roboter architektonische Objekte, wie etwa Brücken, zumindest schon zum Teil mit den vor Ort vorhandenen Materialien wie Erde oder Sand. Wird nun also jede Privatperson in den nächsten fünf Jahren einen 3D-Drucker besitzen und durch die neuen Möglichkeiten, die diese Form der Selbstver-

wirklichung mit sich bringt, zu Unabhängigkeit und einem neuen Sinn im Leben finden? Die Meinungen von ExpertInnen driftet in diesem Punkt stark auseinander. Peter Troxler von der Rotterdam

ALLES SCHEINT PLÖTZLICH MÖGLICH ZU SEIN.

!

University meint dazu in seinem Vortrag auf der re:publica 2014 in Berlin, dass sich 3D-Druck bei Privatpersonen, wenn überhaupt, wohl eher erst in den nächsten 10 Jahren etablieren wird. Laut Duann Scott, Design Evangelist beim 3D-Druck Unternehmen „Shapeways“, startet der absolute Hype um 3D-Druck bei Privatpersonen genau jetzt, da soeben bestimmte Schlüsselpatente für das Verfahren ausgelaufen sind. 3D-Druck ist eine alte, neue Technologie, mit der man die eigene Individualität in einer nie zuvor da gewesenen Form ausdrücken kann. Alles scheint möglich zu sein. Die Maker-Bewegung nutzt diese Technologie für ihr Ziel, der Wegwerfgesellschaft den Rücken zu kehren und Dinge wieder selbst zu produzieren und zu reparieren. Durch das Tun der Maker steigt der ideelle Wert von Produkten wieder, denn ein Objekt, das man mit den eigenen Händen oder durch selbst erworbenes, technisches Wissen produziert oder repariert hat, ist für die meisten Menschen mehr wert, als ein anonymer, beliebig austauschbarer Gegenstand.

MARGIT GAST

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What to do with

Emojis???

Stille Post

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Kann man eigentlich mit Emojis Stille Post spielen? Wenn ja, wie lange?

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Du sollst an einen Gott glauben. Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren. Du sollst den Tag des Herrn heiligen. Du sollst Vater und Mutter ehren, damit du lange lebst und es dir wohlergehe auf Erden. Du sollst nicht töten.

3 Weiter rauf in den Himmel, bitte. Weiter rauf mit dem Ticket zum Himmel, nicht zur Hölle. Weiter rauf bis zum Horizont, weiter bis zum Himmel bitte.

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...Emojis machen Spaß. Sie bereichern unseren täglichen Schriftverkehr am Mobiltelefon mit Emotion und Humor. Manche Emojis sind bereits lustig wenn man sie nur ansieht oder versendet, manche erst durch den Zusammenhang mit dem Text. Bereichern geht also, aber ersetzen können sie das Geschriebene leider nicht. Der Interpretationsspielraum ist einfach zu groß. Wahrscheinlich genau deswegen sind Emojis wie geschaffen für kleine Ratespielchen, Puzzles oder Challenges.

sollte genau dies getestet werden, indem man sich anschaut was passiert wenn Texte durch Emojis ersetzt, verschickt werden, und umgekehrt. Interessant wäre es, solche kleinen Experimente auch mit Menschen aus unterschiedlichsten kulturellen Kreisen (Menschen aus unterschiedlichen Ländern und deren Sprachbezug, aber auch Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Schichten) durchzuführen, da dies, so meine Vermutung, bestimmt noch mehr zur kontextualen Verwirrung beitragen könnte.

Inwieweit also lesen unterschiedliche Menschen unterschiedliche Dinge aus den Symbolen und inwieweit sind diese unmissverständlich? Bei den kleinen Experimenten

BEATE MOSER

Einen Songtext übersetzen. “Singen” alle das Gleiche?

Welcome to the Hotel California Such a lovely place (Such a lovely place) Such a lovely face Plenty of room at the Hotel California Any time of year (Any time of year) You can find it here

Weiter rauf, weiter zu meinen Freunden. Ja, ja, weiter. Die Zeit wird immer weniger auf der Erde. Weiter rauf, nicht in den Tod.

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Es ist ein Gewitter. Der Brief kann nicht gesendet werden, aufgrund eines Vulkanausbruches. Homosexuelle Menschen sind wunderbar. Die Zeit der Welt läuft. Der Aufstieg ist dein Ruin.

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FROM DAMSEL TO HEROINE

male characters or that they are trying to benefit from getting easier access to certain freebies, f.e. high level weapons, armor and various items. Some, of course, just do it for the fun of mixing things up. On the other hand, a female player’s main reason to swap genders is to avoid unwanted attention from male players and to have the chance to compete with other players without the gender being an issue.

HOW VIDEO GAME CULTURE AFFECTS IDENTITY.

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ach person has an identity which is described by a whole set of metrics like name, ID numbers and labels, but also more „human“ attributes such as size, weight, or even patience and stubbornness. Identity is a construct that can only exist when there are at least two people. Identity can be, according to Manders-Huits, self-informative as well as nominal. Nominal identity contains the set of attributes, which is assigned to a person by society, whereas self-informative identity is a person’s conceptualisation of their self. A lot of metrics like the age, gender or ethnics, which are also a part of one’s identification, cannot be changed that easily. It is important to understand the basic concept of identity in order to discuss the influence of video games on self perception and awareness of others. It has been said that the internet provides the potential to create oneself a new kind of identity, often called ‚virtual identity’. This virtual identity, despite having no physical restrictions, is often very close to the offline identity, which is commonly referred to as real identity, so one could argue that a different identity isn’t created at all. When it comes to MMORPGs (Massively Multiplayer Online Role Playing Games), gamers need to create a character they are going to play with. During

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that process, a certain range of characteristics can be chosen, for instance a name, a class (f.e. paladins or rangers), a race (f.e. humans, elves, orcs, dwarves) and a gender. Possibly due to the mostly humanoid nature of the selectable races, the visual character creation is often limited to basic choices like the color of hair or eyes, while certain features like being two-legged and standing up, are given and non-changeable, even when the character is clearly being modeled after an animal like the Khajiit race in Skyrim or the Pandaren in World of Warcraft. Furthermore, the choice of gender is more often not limited to the two biological genders of humankind. It seems that all social constructions about the gender like preferred activities, the strength of their bodies and even the way they talk, behave and of course look, are being reconstructed in the virtual world. In some parts of the game, the portrayal of the genders is quite overstated. During the course of the game, while men get to wear big and impressive armor, it is often the female counterpart of the item that is portrayed in a very sexualized manner and it can only be worn by females since cross-dressing is usually not impossible. It could be argued that sparingly dressed female warriors are somehow part of fantasy or roleplaying culture, though some would say that a

Where do such restrictions, when it comes to the appearance of the characters, come from? We can safely assume that it dates back to early video game culture. Since the early years of gaming, the gaming scene mostly catered to male players. It is mostly men that play and create these games, which at least in part might explain some of the male-oriented storylines of video games involving chivalry, fighting and saving the girl.

character being inappropriately dressed for battle takes away from the immersion that the game tries to achieve. You cannot be naked in battle and expect to survive. Then again, a counterargument could be that fiction should not have to abide by the rules of actual war. Of course, gamers have the ability to opt for a different gender. But while most of the time a player tends to choose their own biological gender, only a small percentage opt for the opposite sex. As Feilitzen & Linné would distinguish it in 1975, one might suspect that this is due to the fact that most people want to identify themselves with their character and as such try to reproduce their own appearance (similarity identification), if not a somewhat enhanced version (wishful identification) of themselves. As found in a study by Jay Potter conducted in 2011, men use gender swapping more often than women. When asked for their motives, the former tend to explain their selection by saying that they enjoy the visual appearance of fe-

Consequently, one plot device, or so-called trope, often found in games is the “Damsel in Distress”. We all have attempted to save them at some point in our lives: The Zeldas, the Peaches, the Paulines and all the unnamed spouses, sisters or mothers of our beloved childhood heroes. Literature did it, movies did it a lot, and thus, videogames did it too. They all still do. They make use of the seemingly oldest plot device in history: Girl gets kidnapped, guy needs to get her back. We see scenes where the girl gets beaten, tied-up and captured. She is helpless, but looking splendid when being so. Cue the dude. He gets to be the hero, he goes on an adventure in order to do what a male protagonist is destined to, and that is nothing short of saving the girl, saving the world, mostly both. And that’s where the player joins the story, driven by the prospect of being rewarded by the salvaged damsel in distress. Another maybe more recent trope often used in video games are cyber heroines. Female characters move through landscapes like deserts, caves, tombs

or dark urban places. Strong, adventurous women, who fight on their own are indisputably the counterpart of the damsel in distress-trope. Their strength and ability to fight frequently comes with not too realistic proportions of their body and an outfit that overemphasizes and sexualizes their physical appearance in a way mirroring the desire to play an somewhat enhanced version of oneself – as we discussed earlier, albeit with a rather male sort of design as one could presume . A key example here are the early games of the Tomb Raider Series, which have been widely discussed, even within a lot of theoretical texts at the time. One might assume that the storylines and to some extent oversexualized appearance of female characters in games lead to more males being drawn to them and females gamers being less interested, which would hint at the question why it is mostly men considering to create games. In contrary to mainstream games, it is often the indie games that show us that main characters do not necessarily require a specific gender and that gender roles do not need to be represented in a hyper-sexualised manner as the lowest common denominator. The platformer Thomas Was Alone seems to be a pleasant example. While using traditional storytelling methods and making use of a narrator, this particular game abstains from using traditional images to differentiate between the characters gender, but uses only basic shapes like circles, squares or rectangles to portray the player model. Other than games of the “first person” genre, traditional video games do not usually contain an individual selection of the characters attributes or gender as the game is designed with a specific, more linear storyline in mind. So game designers have to develop a main character and a story all by themselves. However, in online roleplaying games, it is common practice to let the player adapt his character for his needs and wishes including the name, look, gender, sto-

ryline and activities. The story is open to change and is often dependent from the character’s actions and therefore directly guided by the player himself. There is no need to let the player choose only between male and female characters. Subjectively speaking, it should be a key factor for gaming culture to embrace its difference to other parts of popular culture. Other than in films, the immersion happens because the player gets to take part in the adventure, therefore the argument, whether the main character necessarily needs to be physically relatable, could be false. We believe that people choose the character that comes closest to themselves, because of convenience, and that this is the reason why the industry keeps repeating the same patterns. So why is it that the industry puts itself in this cage of dichotomy? Is it because of convenience that game makers create restrictions on their own creativity and fantasy in a virtual world, although there are no real limitations? And why is this important? To answer the latter question: The portrayal of women in games reflects on what game companies, but also the non-gaming community, think of gamers. It affects how female gamers perceive the industry and their male counterparts, and it directly affects how gamers view women. We consider games to be a mirror of society. We also believe that, as a part of human culture, games need to celebrate the endless possibilities and responsibilities that come with the medium, with breaking up gender barriers being just one of them.

BIANCA HAUN & SASCHA NADERER

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“IT’S IMPORTANT FOR US TO EXPLAIN TO OUR NATION THAT LIFE IS IMPORTANT. IT’S NOT ONLY LIFE OF BABIES, BUT IT’S LIFE OF CHILDREN LIVING IN, YOU KNOW, THE DARK DUNGEONS OF THE INTERNET.”

Papst & Bush

“THE INTERNET, IN PARTICULAR, OFFERS IMMENSE POSSIBILITIES FOR ENCOUNTER AND SOLIDARITY [...] THIS IS SOMETHING TRULY GOOD, A GIFT FROM GOD!“

“Bush phone 9-11” by White House photo by Eric Draper - CC 3.0 via http://arcweb.archives.gov

Internetzitate 1

“Canonization 2014” by Jeffrey bruno, N.Y.C., US - Wikimedia Commons

George W. Bush

“ Internetzitate 1 Papst & Bush

Pope Francis



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5 OPEN

DESIGN MYTHS

“OPEN DESIGN IST EIN SAMMELBEGRIFF UND MEINT ALLE BEREICHE IN DENEN DESIGNERINNEN IHR WISSEN TEILEN UND IHRE DESIGNS TRANSPARENT MACHEN UM SOMIT TEILHABE ZU ERMÖGLICHEN.“

O

pen Source ist bereits ein weit verbreiteter Begriff. Die Open Source-Bewegung hat durch die offen gelegten Codes der Software die Möglichkeit, selbst daran weiter zu entwickeln, diese zu modifizieren und zu optimieren. Sie geht aber einen Schritt weiter, in dem sie auch die Anpassung und Produktion realer Objek-

1 ICH SOLL EINFACH SO MEINE IDEE HERSCHENKEN?

2 DA VERDIENT MAN JA NICHTS, WENN MAN ALLES HERSCHENKT!

Open Design ≠ Gratis Design!

Es gibt Möglichkeiten, seine Ideen offen und frei zugänglich zu machen und trotzdem Geld zu verdienen. Ob man das in Form von kostenpflichtigen Erweiterungen eines Produktes anbietet, dazugehörigen Serviceleistungen oder eventuell durch hochauflösendes Bildmaterial, welches nicht mehr gratis zur Verfügung steht, ist dem Designer im Endeffekt ja selbst überlassen.

Man schenkt nicht seine Ideen her. Vielmehr macht man diese Ideen anderen zugänglich und generiert somit einen Mehrwert für sich selbst. Man muss sich einfach verinnerlichen, dass das Öffnen in beide Richtungen passiert. Dass man somit nicht nur hungrige „Kopierer“ füttert, sondern auch kreative, motivierte Menschen, die das offene Produkt erhalten, nutzen und mit Freude dieses weiterentwickeln wollen. Oder auch kritisieren. Durch konstruktives Feedback kann der Designer den User viel besser verstehen und auf ihn eingehen. Denn “FORM FOLLOWS USER”.

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In Zeiten des Internets sind andere Geschäftsmodelle auf dem Vormarsch. Um für sich selbst das passende Geschäftsmodell zu finden, muss man oft mutig und experimentierfreudig sein, denn das Eine, Perfekte gibt es nicht. Einige Modelle – wie zB. “Free2Play” bei vielen Online Spielen – erlauben die

te erlaubt. So erlaubt sie in gewisser Weise eine noch handfestere Einbindug der jeweiligen Communities, da sie einen größeren Kreis von Personen anspricht und somit grundsätzlich (fast) jeder teilnehmen kann. Das hört sich doch super an! Warum gibt es dann nach wie vor Bedenken?

Nutzung von bis zu 99% des Contents ohne Kosten. Nur für besondere Features kann man sich dafür entscheiden zu bezahlen, in manchen Fällen sind das sogar rein kosmetische Änderungen, mit denen sich “Premium-User” von den anderen abheben können, ohne im Spiel selbst Vorteile zu haben.

3 WARUM MACHEN DAS ABER DANN NICHT SCHON MEHR DESIGNER? Weil unsere Gesellschaft erst umdenken muss, und das dauert. “Wir kennen in unserer Gesellschaft zwar Spenden, aber das Prinzip des Teilens ist für uns noch neu.“ Barbara Tscherne – CIS in Graz. Viele fürchten schlicht und einfach die Konkurrenz. Dabei geht es gar nicht so

Magdalena Reiter

sehr darum, Andere mit eigenen Ideen und Produkten zu versorgen, sondern darum, den Austausch mit Gleichgesinnten zu ermöglichen. Und diese erreicht man nun mal leichter, wenn man seine Designs offen macht. Dann haben auch andere Designer die Möglichkeit, nochmal ihre Gehirnzellen anzustrengen und ihre Sache besser zu machen. Ideen vermehren sich, wenn man sie teilt! Ausserdem haben Kreative mit den heutigen Technologien, Maschinen und Schnittstellen die Möglichkeit, ihre Ideen gleich selbst zu fabrizieren. Sie werden somit immer unabhängiger und können selbst Einfluss darauf nehmen, ob und wie ihre Produkte dem “Konsumenten” zugänglich gemacht werden. “Leute, macht die Dinge nicht alleine, sondern tut euch zusammen, bildet Netzwerke und teilt das Risiko. Wenn man eine solche Strategie verfolgt, können dabei unglaublich interessante Dinge entstehen.“ Gerin Trautenberg

4 WAS BRINGT MIR DAS ALLES ALS NICHT-DESIGNER? Open Design trägt, wie auch “Do-ityourself”, dazu bei, wieder eine andere Beziehung zu seinen Möbeln, Kleidungsstücken oder Anderem zu bekommen. Wenn man etwas selber macht, überlegt, selber Sachen optimiert, selber



Sachen repariert und sich nicht nur den Massenwaren bedient und ein eigentlich noch neues Stück sofort wieder durch ein anderes neues ersetzt, lernt man auch den Wert wieder mehr zu schätzen. Somit steuert man dieser heutigen “Wegwerfgesellschaft“ entgegen. Ob man auch allgemein sagen kann, Open Design ist super toll für die Umwelt, sei dahingestellt. Natürlich wird die Umwelt durch kleinere – wenn lokal produziert wird – oder keine Transportwege – wenn man es sich mal schnell daheim “ausdrucken” kann – geschont. Ebenso durch das Vermeiden von Überproduktion und den damit einhergehenden Massen von Abfall. Dafür muss aber auch gesagt sein, dass das “ausdrucken” daheim noch sehr in den Kinderschuhen steckt. Denn das meist verwendete Material ist das aus ökologischer Sicht gesehene, sehr umstrittene Plastikfilament. Und Plastik hat die Welt nun auch schon genug. Nichtsdestotrotz ist es aber ein Konzept, das sich zu verfolgen lohnt!

5 FRÜHER GABS DAS DOCH AUCH SCHON. WAS IST DA JETZT DER UNTERSCHIED? Wesentliche Bestandteile von Open Design sind das Web und die neuen

Technologien, wie zB. 3D-Printing. In der Vergangenheit waren Informationen oder Anleitungen nur analog und damit bei weitem schwieriger zugänglich. Und daher hatten weniger Menschen auch tatsächlich die Möglichkeit, diese “Bauanleitungen” zu verwenden und damit zu arbeiten. Hinzu kommen die schon angesprochenen, direkten Kanäle, in denen sich Kreative und auch User miteinander austauschen können. Noch nie war es so leicht, ein “Instant-Feedback” zu geben und zu bekommen. „Netzwerken“ war nicht in der selben Art und Weise möglich wie heute und die Möglichkeit, sein Design mit Menschen rund um den Globus zu teilen oder sogar zu verkaufen, war nur den “Global Players” vorbehalten. Heute muss man sich nicht mehr nur auf lokale Gegebenheiten verlassen. Man „unterhält“ sich nahezu täglich mit anderen Kulturen, welche wieder neue Ideen und andere Ansätze oder Ansichten haben und zurückgeben können. Die Stärke von Open Design liegt nicht nur in der “Kultur des Teilens”, die sie propagiert, sondern auch in der Idee, eine gleichberechtigtere Form mit Produkten und Visionen zu “handeln”, voranzutreiben.

FRANZISKA LEITNER

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Crowdsourcing-Prozess vertreten: der Initiator der Crowdsourcing-Unternehmung, ein Intermediär, der die Plattform zur Verfügung stellt, und die Crowd.

THE DARK SIDE OF CROWDSOURCING

W

er der Meinung ist, Crowdsourcing sei eine Erfindung des 21. Jahrhunderts, der irrt. Bereits vor dem digitalen Zeitalter haben Regierungen und Unternehmen die kollektive Intelligenz der Crowd genutzt, um die eigene Innovationskraft zu stärken. Durch das Internet hat dieses Konzept einen neuen Schub erfahren, doch nicht immer wird Crowdsourcing gutgeheißen. Die Idee ist jedoch tatsächlich schon so alt, dass sie bereits im 18. Jahrhundert zur Bewältigung des Problems, den Längengrad zu messen, eingesetzt wurde. Als die damaligen Seemächte – allen voran Großbritannien – immer öfter transozeanische Seefahrten wagten, war man sich einig, dass nur die akkurate Bestimmung des Längengrades sichere Überfahrten ermöglichen würde. 1714 bot die britische Regierung einen Preis von £20.000 für jene Person, die eine adäquate Lösung finden würde. Im Jahr 1765 gewann John Harrison, Sohn eines Tischlermeisters, schlussendlich diesen Preis für sein Chronometer, eine besonders präzise und transportable Uhr, mit der es erstmals möglich war, die exakte geografische Lage auf hoher See zu bestimmen.

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Ein weiteres Beispiel ist der DesignWettbewerb von Toyota. 1936 forderte das Unternehmen die Crowd auf, ein Redesign ihres Logos zu kreieren. Über 27.000 Vorschläge wurde eingereicht. Schlussendlich führte das prämierte Design sogar zu einem Namenswechsel: vom Familiennamen „Toyoda“ zu dem heute bekannten „Toyota“. Crowdsourcing ist also alles andere als neu. Jedoch haben der einfache Zugang zum Internet und die damit einhergehende Vernetzung dieser Entwicklung zusätzlichen Schwung verlie-

hen, da nun ein großer Pool an Talenten schnell und mühelos über nationale Grenzen hinaus erreicht werden kann. 2006 hat Jeff Howe diesem stark wachsenden Trend den Namen “Crowdsourcing” gegeben. Er beschrieb ihn als das Auslagern einer Aufgabe, die ursprünglich von Angestellten ausgeführt wurde, an eine „Crowd“ in Form eines offenen Aufrufs. Nicht die Belegschaft eines Unternehmens oder ein externer Dienstleister werden mit der Durchführung betraut, sondern dem Unternehmen zuvor unbekannte Individuen. Grundsätzlich sind drei verschiedene Parteien im

“CROWDSOURCING IST KEIN FREIBIER, SONDERN BRAUCHT FAIRNESS UND RESPEKT.” Nikolaus Franke Leiter des Instituts für Entrepreneurship und Innovation (Wirtschaftsuniversität)



Die zuvor genannten Beispiele haben gezeigt, dass die Motive hinter dem Konzept Crowdsourcing variieren können. So wie die britische Regierung zu ihrer Zeit, wollen Unternehmen die kollektive Intelligenz externer Individuen „anzapfen“, um die eigene Innovationskraft zu stärken. Wie das Beispiel des Chronometers zeigt, ist die optimale Lösung oftmals nicht in unmittelbarer Umgebung zu finden. Crowdsourcing ist daher eine Möglichkeit, mit Hilfe externer Ressourcen, Lösungen für Problemstellungen zu finden, bei denen dem Auftraggeber das nötige Know-How oder die Expertise fehlen. Die Nutzung von Crowdsourcing-Plattformen, wie zum Beispiel der Plattform „Innocentive“, ermöglicht es Unternehmen, über lokale Grenzen hinaus einen ansonsten kaum erreichbaren Pool von Experten unterschiedlicher Disziplinen zu erreichen, wobei jeder aus diesem Pool ei-

nen Lösungsvorschlag zu der gestellten Forschungs- und Entwicklungsaufgabe einbringen kann. Ähnlich wie Toyota 1936 können Organisationen Design-Tätigkeiten, wie das Designen eines Logos, Flyers, oder einer Website, an die Crowd auslagern. Hierbei wird eine kurze Beschreibung der Aufgabe inklusive einem Geldbetrag, den das Unternehmen zu zahlen gewillt ist, auf Plattformen wie “99designs” oder “designenlassen” gepostet. Amateur-Designer, aber auch zu einem großen Teil professionelle Designer können dann Designvorschläge einreichen. Dabei gilt: Das beste Design gewinnt und bekommt den ausgeschriebenen Betrag gutgeschrieben. Unternehmen können Crowd-Arbeiter rekrutieren, um Mikro-Tasks oder sogenannte Human Intelligence Tasks (short HITs) auszuüben. Diese sind meist simple, wiederholende Tätigkeiten, wie beispielsweise Produktbeschreibungen verfassen, Bilder kategorisieren oder ausländische Postleitzahlen nachschla-

gen. Die wohl berühmteste Plattform ist Amazon’s Mechanical Turk. Crowd-Arbeiter oder auch Turkers genannt, können nach Aufgaben suchen und diese gegen Bezahlung, spezifiziert von dem Auftragsunternehmen, ausführen. Die Entwicklung rund um Crowdsourcing wird von einer Reihe sozialer, wirtschaftlicher und legaler Herausforderungen begleitet. Stimmen werden laut, dass Crowdsourcing prekäre Arbeitsverhältnisse auch in die digitale Arbeitswelt überträgt. In der wettbewerbsbasierten Crowd-Arbeit wird nur das beste Design bzw. die beste Lösung prämiert, alle anderen gehen in der Regel leer aus. Experten, die an wissenschaftlichen Problemen arbeiten, oder Designer sind einem hohen Risiko ausgesetzt, nicht für ihre Arbeit bezahlt zu werden. Hat jemand einen Wettbewerb gewonnen, werden alle Daten und IP-Rechte auf den Auftraggeber übertragen. Kraskohsha beispielsweise ist der erfolgreichste Designer auf ”designenlassen”. Er hat 525

Wettbewerbe gewonnen aber an über 3100 teilgenommen. Der Designer hat also nur für jeden sechsten Job eine Bezahlung erhalten. Auch bei wissenschaftlichen Problemen findet man ein ähnliches Bild vor. Entscheidet sich ein Unternehmen für einen Lösungsvorschlag, wird nur an diese Person eine Prämie ausbezahlt. Auch wenn nach Sicht des Auftraggebers kein optimales Ergebnis gefunden worden ist und somit kein Preisgeld fließt, ist dennoch ein Großteil der Unternehmen mit dem Crowdsourcing-Prozess zufrieden, da eingereichte Lösungswege einen Anstoß für weitere Forschungstätigkeiten darstellen können. Micro-tasking zeigt ein etwas anderes Konzept. Unternehmen lagern kleine, virtuelle Aufgaben an eine anonyme Arbeiterschaft aus, die diese für Mikro-Beträge bearbeiten. Der durchschnittliche Stundenlohn beträgt meist nicht mehr als $2. Sollte das Unternehmen mit der erbrachten Leistung nicht zufrieden sein, kann es ganz einfach von einer Bezahlung absehen, aber das Produkt trotzdem verwenden. Folglich liegt auch hier das Risiko voll und ganz bei den Crowd-Arbeitern. Des Weiteren erfolgt eine Entfremdung des Arbeiters: Man weiß meist nicht für wen und mit wem man arbeitet bzw. welchen übergeordneten Zweck die erledigten Mikro-Aufgaben erfüllen sollen. Die Auftraggeber bleiben bei einem Micro-tasking-Konzept also weitgehend anonym, haben jedoch Zugang zu einer globalen 24-Stunden-Arbeitskraft und müssen keinen Lohn ausbezahlen, falls sie mit der erbrachten Leistung nicht zufrieden sind. Die digitale Arbeitnehmerschaft hat in Crowdsourcing-Unternehmungen keine Garantie für ihre Arbeit bezahlt zu werden, genießt keinen Arbeitnehmerschutz oder Sonderleistungen. Hart erkämpfte Arbeiterrechte wie bezahlter Urlaub, 8-Stunden-Arbeitstag und Sozialabsicherung werden im Crowdsourcing-Konzept nicht berücksichtigt. Zu-

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sätzlich sind Gehälter oftmals niedriger als jene in traditionellen Jobs. Kritiker sprechen darum von digitalen Sweatshops: Unternehmen lagern Aufgaben an Crowd-Arbeiter aus, ohne jegliche Gegenleistungen zu garantieren. Viele Crowdsourcing-Plattformen werden von Kritikern als problematisch und ausbeuterisch angesehen. Dennoch lassen sich auch Konzepte finden, die eine gerechtere Verteilung unter den verschiedenen Stakeholdern anstreben. Die Plattformen “Jovoto” und “Quirky” sind zwei Beispiele, die zeigen, dass der Prozess den Crowd-Arbeitern gegenüber auch ein Stückchen fairer gestaltet werden kann. „Jovoto“ ist eine Plattform für kreative Leistungen und Ideen. Im Vergleich zu anderen Plattformen entscheidet grundsätzlich die Community welcher Lösungsvorschlag gewinnt, wobei jeder Nutzer eine Idee bewerten kann. Die Idee mit dem besten Bewertungsergebnis gewinnt und erhält den ausgeschriebenen Hauptpreis. Doch nicht nur der „Gewinner“, sondern auch die Plätze 2-12 erhalten ein Preisgeld. Weiters verbleiben die Nutzungsrechte bei den Kreativen und werden nach dem Wettbewerb mit dem Initiator ausgehandelt. Zwar muss sich die Entscheidung des Auftraggebers nicht mit dem Community-Sieg decken - es handelt sich hierbei um zwei klar getrennte Entscheidungsebenen - jedoch hat sich gezeigt, dass die interessantesten Ideen für den Auftraggeber auch in den Top-Platzierungen der Community zu finden sind. · „Quirky“ sieht sich selbst als Plattform für „Social Product Development“. User können eine Idee für ein Produkt posten und diese gemeinsam mit anderen bis zur Marktreife weiterentwickeln. Wird das Produkt dann auch tatsächlich produziert, bekommen alle, die an der Entwicklung beteiligt waren, 30 Prozent der erzielten Einnahmen, die auf Basis des Influence-Faktors, welcher Auskunft über den Beitrag eines Users an

der Entwicklung des Produktes gibt, auf die Beteiligten verteilt werden. Crowdsourcing ist ein sehr kontroverses Thema. Fürsprecher sehen in diesem Konzept eine Möglichkeit die Innovationskraft von Unternehmen zu steigern und Probleme aufgrund einer breiten interdisziplinären Basis besser lösen zu können. Auch für Arbeitnehmer bietet Crowdsourcing Vorteile: Man kann jederzeit und von überall aus arbeiten und sich jenen Projekten widmen, die einem auch Spaß machen. Weiters kann man sich durch erfolgreiche Ideen und Umsetzungen eine Reputation aufbauen, welche für zukünftige Arbeitgeber durchaus entscheidend sein kann. Kritiker hingegen skizzieren Crowd-Arbeit als problematisch, da die Entlohnung, sofern eine geleistet wird, von Crowdsourcing-Projekten meist unter dem üblichen Marktwert liegt und eine soziale Absicherung der Arbeiter nicht gegeben ist. Crowdsourcing kann nicht per se als “bad“ deklariert werden. Das Konzept bietet große Potenziale, komplexe Problemstellungen bzw. umfangreiche Aufgaben schneller und effizienter lösen zu können als traditionelle Herangehensweisen es erlauben. Noch nie war es so einfach auf einen globalen Talentepool zugreifen zu können. Unternehmen machen sich die Intelligenz des Schwarms zunutze, um die eigene Innovationskraft und somit auch Produktivität zu steigern. Fakt ist jedoch, dass es sich bei Crowdsourcing weitgehend um einen unregulierten Marktplatz handelt und die transnationale Arbeiterschaft keine rechtliche Anerkennung erfährt. Angesichts der nicht zu leugnenden Vorteile, die es aufweist, sollten auch dementsprechend faire Rahmenbedingungen etabliert werden, die allen daran Beteiligten eine faire Teilnahme erlauben.

CLAUDIA SCHEBA

SOCIAL MEDIA MARKETING

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chlagzeilen im Standard wie „Snapchat muss Datenschutz und Sicherheit verbessern“ oder „LinkedIn importiert Daten von Nicht-Mitgliedern“ sowie die der Neuen Zürcher Zeitung „Manche Nutzer haben Angst, den blauen Button zu drücken“ machen es den sozialen Medien schwer. Die Einstellung gegenüber Facebook und Co. verändert sich und Social Media wird durch Datenschutzprobleme und negativen Schlagzeilen oft ins schlechte Licht gerückt. Warum und wie soll nun ein Unternehmen den sozialen Medien gegenübertreten? Um diese Frage etwas zu beantworten ist es angebracht, einige Aspekte durchzudenken. Vorerst ist es wichtig, sich bewusst zu werden, dass die sozialen Medien einladen, aktiv oder passiv teilzunehmen und es nicht nur Facebook gibt. Von der einen und anderen Seite hört man „Reichweite ausbauen“, „Mundpropaganda“, „muss man haben“, „die anderen haben das auch“. Klare Vorteile von Social Media Marketing sind die vielen Adressaten. Es ist möglich, zielgerichtet Werbung zu schalten, viele Menschen zu erreichen und damit den Kaufentscheid zu beeinflussen. Ebenso ist klar, dass Mundpropaganda mehr Einfluss auf den Kaufentscheid hat als bezahlte Werbung.

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Weiters kann eine detaillierte Konkurrenzanalyse getroffen, Kundenfeedback leichter eingeholt, Öffentlichkeitsarbeit ausgebaut und vieles mehr umgesetzt werden (Quelle: Grabs und Bannour). Hier ist aber zu erwähnen, dass Social Media Marketing nicht für jedes Unternehmen Sinn macht. Passiv sein, also zuhören, kann viele Erkenntnisse über Trends und das eigene Image bringen. Möchte ein Unternehmen aber aktiv werden, also teilnehmen, dann gilt es abzuklären, ob es im Unternehmen überhaupt Unterstützung gibt und Budget für diesen neuen Bereich zur Verfügung steht. Nicht zu vergessen ist ebenso der Aspekt der Akzeptanz von sozialen Netzwerken, die durch negative Schlagzeilen genauso Mitarbeiter und Kunden beeinflussen. Isolation in diesem Bereich kann zu Anerkennungsproblemen und interner Fehlkommunikation führen. Social Media Marketing sollte somit im ganzen Unternehmen kommuniziert werden.

ZENTRALE FRAGE: IST ES NOTWENDIG UND WIE VIEL GELD, ZEIT UND RESSOURCEN HABEN WIR?

Bis dato gibt es kein Erfolgsrezept für Social Media Marketing, aber einige Ansätze und Methoden. Wichtig ist es, sich nicht gleich auf die Plattform selbst zu stürzen, sondern sich Zeit zu nehmen, andere Fragen oder Aspekte durchzudenken. Es macht also keinen Sinn, eine Facebook-Seite für das Unternehmen zu erstellen und sich dann erst Gedanken über die Ziele zu machen. Ein erster Schritt in Richtung Social Media ist es einmal zuzuhören. Was wird über mich, was über meine Konkurrenz geredet? Wie geht meine Konkurrenz mit Social Media um? Wie und wo wird über mein Unternehmen gesprochen?

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(O)BJEKT

MIT ANDEREN WORTEN: DAS PFERD NICHT VON HINTEN AUFZÄUMEN. Somit erhält man einen Überblick, wie mein Unternehmen online dasteht und wo ich ansetzen kann. Merkt man bei diesem Punkt, dass schlecht gesprochen wird, sollte (unter anderem) das Ziel der Imagepflege verfolgt werden. Gut durchdachtes und optimal eingeführtes Social Media Marketing darf und soll sich an bereits aufgestellten Methoden orientieren. Die folgenden Schritte werden daher auf die POST-Framework-Methode von Anne Grabs gestützt und soll eine mögliche Strategie veranschaulichen, die sowohl Kunden als auch Mitarbeiter und das ganze Unternehmen berücksichtigt.

„SEIEN SIE KEINE MARKE, SEIEN SIE MENSCH“

(P)ERSONEN

!

Zielgruppenanalyse. Wer ist unsere Zielgruppe und wo treffe ich sie an? Dieser Schritt ist wichtig, um nicht zu spät zu erkennen, dass unsere Zielgruppe gar nicht in den Sozialen Medien vertreten ist. Es ist bedeutsam sich vorab Gedanken zu machen, wem ich damit helfen will und wie. Zudem sollte zugehört werden, wie gesprochen wird (formell, informell, sachlich, emotional). Denn auf dieser oder ähnlicher Ebene sollte später mit den Usern kommuniziert werden.

Welche Ziele habe ich mit Social Media Marketing? Aufgrund der Zielgruppenanalyse werden nun Ziele definiert. Es ist sinnvoll qualitative und quantitative Ziele zu setzen. Ein Perspektivenwechsel (einmal die Sicht der Zielgruppe einzunehmen) kann dabei hilfreich sein, um qualitative Ziele definieren zu können. Zu diesen qualitativen Zielen gehören Employer Branding, Recruiting, Kundenbindung, Kundengewinnung, Lead-Generierung, Imagepflege, Reputationsmanagement, Brand Awareness, Mundpropaganda und weitere. Nach der Entscheidung für ein qualitatives Ziel können dazu passende quantitative Ziele festgelegt werden. Zu den quantitativen Zielen gehören Reichweite, Leser oder Nutzer, Reaktionen (Klicks, Likes), Downloads, Aktivitäten (Anfragen, Bestellungen) sowie auch Aktionen (Bewertung, Kommentar). Die qualitativen Ziele sind nötig, um die Zielerreichung später prüfen zu können.

ERFINDEN SIE KEINE ZIELE.

(S)TRATEGIE

Wie gehe ich vor? Der Einstieg in Social Media kann proaktiv, reaktiv oder passiv sein. Proaktiv heißt, mit der Zielgruppe zu interagieren, zu diskutieren und Feedback-Optionen anzubieten. Reaktiv bedeutet, mit Social Media Monitoring die Geschehnisse zu überwachen und nur zu reagieren, wenn dies gefragt oder nötig ist. Passiv heißt, zu beobachten, was geschrieben wird, um relevante Informationen zu sammeln. Um die Strategie aussuchen zu können, sollten die Themen Geld, Zeit und Ressourcen ebenso im Zentrum stehen. Eine wichtige Voraussetzung bei der strategischen Planung von Social Media-Aktivitäten ist die Firmenphiloso-

phie. Dazu gehören die Werte eines jeden Mitarbeiters. Die Veränderungen, welche eine Social Media-Einführung mit sich bringt, müssen berücksichtigt werden. Es ist wichtig, Social Media im gesamten Unternehmen zu kommunizieren, Ängste zu beschwichtigen, Zweifel zu besänftigen und sich die Unterstützung aller Unternehmensebenen zu sichern. Außerdem ist es von Vorteil einen Koordinator zu bestimmen, einen Redaktionsplan zu führen und Richtlinien zur Nutzung von Social Media zu erstellen. Es sollte sehr viel Wert auf

IMMER BEACHTEN: ZEIT, GELD UND RESSOURCEN.

!

eine Integration im Unternehmen gelegt werden. Ein Unternehmen wird es in der externen Kommunikation viel leichter haben, wenn interne Probleme aus dem Weg geräumt sind.

(T)ECHNOLOGIE

Aufgrund der Zielgruppen, der Ziele und der festgelegten Strategie kann nun das passende Social Media Tool gesucht werden. Eine Analyse der Nutzergruppen auf den Plattformen sollte ergeben, welche Zielgruppe wo zu finden ist. Diese Informationen stehen auf fast jeder Plattform zur Verfügung. Weiters hat jede Plattform eine eigene Kommunikationsart, auf diese bei der Auswahl auch Wert gelegt werden solle, da es wichtig ist, nicht formell zu kommunizieren wenn alle informell schreiben und umgekehrt. Diese eben beschriebene Methode hat einen wesentlichen Vorteil: Social Media

ist schnelllebig und es kann durchaus sein, dass Plattformen verschwinden und Neue auftauchen. Es wird somit vorgebeugt, dass nicht für eine bestimmte Plattform Social Media Marketing betrieben wird, sondern für das Unternehmen selbst. Die erworbenen Erkentnisse über P, O, S können somit auch auf andere Plattformen umgemünzt werden. Social Media Marketing funktioniert oft nicht, weil es nicht gebraucht oder nicht richtig in das Unternehmen integriert wird. Das Unternehmen soll zuhören, den Mehrwert des Users beachten, authentisch sein, schnell und sachlich bleiben, aber dabei auch nicht spammen, um Erfolg zu haben. Aus eigenen Fehlern lässt sich vieles lernen, ebenso wie aus denen der anderen, doch es gibt natürlich auch einige Unternehmen, die einen guten Einstieg in die Welt der sozialen Medien bereits geschafft haben. Einige Best Practice Beispiele zeigen, dass Social Media Marketing, adäquat eingesetzt, zum Nutzen aller Beteiligten funktionieren kann:

DELL: Dell hat 2010 eine Social Media Listening Command Zentrale, eine Kommandozentrale für Social Media, um gut zuhören zu können, eingerichtet. Aufgrund dieser Einführung wurden bis 2012 etwa 5000 Mitarbeiter geschult. Sie setzen Social Media zudem auch zur Kommunikation mit potenziellen Kunden ein. Bis 2012 hat Dell bereits 6.5 Mio. US Dollar über Twitter eingenommen. HEINEKEN: Heineken hatte das Ziel,

interaktives Markenbranding auch in Social Media umzusetzen. Dadurch entstand „Legendary Football“ – eine Werbekampagne mit einem interaktiven Youtube-Video – welches verschiedene Fussballmomente von Champions-League-Spielen zeigt.

BEST BUY: BestBuy ist ein Unternehmen in Amerika, das vergleichbar ist mit Saturn oder Media Markt. Sie benutzen Twitter für einen besseren Kundensupport. Alle 150.000 Mitarbeiter sind dabei integriert und involviert. Jeder kann sich mit seinem persönlichen Account, via der BestBuy-Seite, direkt mit den Kunden in Verbindung setzen. Somit wird das Supportwissen nach außen getragen und mit dem Wissen der Kunden selbst verknüpft. VOESTALPINE: Die VoestAlpine hat zu Recruiting-Zwecken eine Facebook-Seite „voestalpine Karriere“ erstellt. Sie hat 9.666 Fans [19.05.2014]. Mit dem Ziel, potenzielle Lehrlinge anzusprechen, hat die VoestAlpine 2013 eine Kampagne mit den Trackshittaz zum Thema Steel Sounds (Musik mit Stahl) forciert, bei dem man selbst ein Video erstellen und hochladen konnte zum Thema Stahl. GEBERIT: Das deutsche Unternehmen

für Systemlösungen in den Bereichen Sanitär- und Rohrleitungssysteme hat ein Konzept namens „Geberit KnowHow Installed“ umgesetzt. Anleitungsvideos zur Installation der Produkte werden auf YouTube bereitgestellt. Dies ist eine einfache Art, einen Pool zu schaffen, der schwierige Abläufe erklärt.

CORINNA SCHILLING

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DIGITAL WITCH HUNT

T

raditional journalism depended on professional journalists often traveling to the actual location of an event and gathering facts together prior to writing an article itself, which - in turn - was only printed if it was proved to be interesting enough for the editorial staff. That staff acted as a gatekeeper - deciding upon which news were to be printed, being sufficiently relevant for the public to know and which news wouldn’t fit into their program. Nowadays a lot of information reaching us has been written and contributed by more decentralized means. Through the use of the internet, people from all over the world can contribute to a more open and less regulative news landscape.

TAG-CLOUDS 34

GEORG PAYREDER

A very specific form of journalism has been the often successful and well-beloved collaboration of the media with crime investigators. “Crimewatch U.K.” in Great Britain, “Crime Investigation” in Israel, “Efterlyst” in Sweden, “America’s Most Wanted” in the U.S. and “Aktenzeichen XY … ungelöst” in Germany are only a few examples that illustrate how important collaborative crime

investigation has become in terms of cross-connecting different information sources long before the era of the internet. In Germany, unsolved crime cases went on air in 1967 and were presented to the audience with the intent to acquire new leads from the public when a particular investigation got stuck. Especially very intense or dramatic events or news attracted many people, willing and motivated to contribute to an investigation. Nowadays, the mechanisms and the effectiveness of these media-supported types of crime investigation have been furthered much through the use of the internet. People find new possibilities to work together and gather information about a certain case or topic. Specifically designed tools for crowd-sourced investigation like TOMNOD provide satellite imagery allowing to gather an abundance of images together and thus vast areas of space to be searched for any signs of abnormalities or suspicious occurrences. Of course, the limited number of police officers or federal crime investigators could not provide the time necessary to scan through all the

footage of the ocean looking for any signs of aircraft parts, like in the case of Flight MH370, but a huge amount of people in the internet is willing and motivated to do exactly that. The Boston Marathon Bombings are one key example for crowd-sourced crime investigations. When the attacks took place during the annual Boston Marathon on April 15th, 2013, the law enforcement asked the public to help with the investigation. They were looking for any suspicious behavior in the marathon area as well as for help in identifying possible suspects within the surveillance tapes which had been made publically available for that purpose. This material was accompanied by photographies and videos of visitors, which resulted in an enormous amount of contributed data. The reddit community also took part in the collaborative search. A sub-reddit (like a sub-forum) named “Find Boston Bombers” was created. They exchanged photos, names and addresses of possible suspects, which most notab-

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ly resulted in the exposure of many innocent people. Some of them were harassed and exposed to public attention. One wrongfully accused suspect, Sunil Tripathi, received much attention, as he was missing since march. He was found dead a few days after the Boston Bombings. Even though the police does not believe it had been a case of homicide, one might still wonder about the negative consequences brought upon the suspects and their families by such premature accusations. Reddit later on apologized that the whole sub-reddit and crowd-sourced, collaborative search for the bombers had resulted in such a witch hunt. Although it was not the first time the public had been included into helping with crime investigations - like 2011’s riots after the NHL Stanley Cup Finals or smaller sized investigations like the search for the man who attacked a woman in a subway station in Brooklyn - this example stands out by illustrating that crowd-sourced investigations come with their own risks. The crowd does not work collaboratively on one system provided by the government, but on very different platforms, like reddit, on different social media sites or in forums. In some countries, governments or law enforcements show efforts to introduce one joint platform for clues and leads from the public. The police of London has published an app called “Facewatch”, which allows them to upload images of people they are looking for. Citizens can browse through these and report any known person. One of the main issues here is that most people are not doing particularly well being eyewitnesses, especially

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when it comes to different races. There is also a tendency to raise the general level of suspiciousness to an often dangerous amount. Another system called “LEEDIR” - Large Emergency Event Digital Information Repository - is an app including cloud storage. It has been used in LA, allowing the crowd to upload photos and videos

It goes without saying that leads provided by the „crowd“ cannot always be assumed to be 100% correct. Regardless of whether this relates to an unintentional error, a witness being influenced by public opinion, or - in the worst of cases - someone trying to abuse the system by intentionally contributing false information. As of now, these new ways to get in contact with the law enforcement do not entail any consequences for intentionally false statements.

When it comes to dramatic catastrophes like the mentioned flight MH370 or the boston marathon bombings, the crowd can make an enormous difference by helping with information - all aforementioned negative side-effects inclu“Zeitung Derenburg 1555 crop” by R. Decker - via wikimedia commons ded. Governmental attempts to create a joint platform for cianonymously. The police has exclusive tizen wanting to contribute have to face access to the uploaded material scanmuch less input from the public, as it is ning it to look for clues. WIthin these not completely clear who will analyse types of governmental framework, the the information. With all the clues and public is facilitated to either identify subleads from the public it is the law enjects or to gather leads on open cases. forcement who has to decide whether a clue is valuable or not or if a suspect Many people do not seem to be very is really to blame and not just a person willing to directly work together with the being framed by someone else. Without government, whereas posting leads to a well developed understanding of the the internet while remaining anonymous mechanisms of publically gathered makes it easier to overcome certain information and some sophisticated psychological barriers in place. Intemeans to prevent misinformation, the restingly enough, platforms introduced public’s input might aswell result in yet by the government or law enforcement another witch hunt. entities result in less clues and leads in comparison to e.g. reddit. This is neither purely positive nor is it completely negative. On one hand, one does not post clues overhasty and jumps to conclusions but on the other hand important leads may be held back which could help the investigation. It is still unclear if a low barrier and easy access is beneficial or if the system should be a bit more BIANCA HAUN regulated.

OPEN EDUCATION

AUF DEM WEG ZUR BILDUNGSREVOLUTION

O

pen Education ist im Bildungsbereich auf dem Vormarsch. Vor allem alternative Bildungswege werden immer beliebter. Diese sind jedoch noch lange nicht ausgereift und bis ein adäquater Ersatz bzw. Zusatz zu herkömmlichen Bildungsstätten geschaffen werden kann, müssen noch einige Fragen geklärt werden. Wozu brauchen wir freie Lernmaterialien? Warum sind sie noch nicht weiter verbreitet? Kann man sich auf die Qualität der Inhalte verlassen? Wie sieht es mit der Finanzierung aus? Was genau versteht man nun unter Open Education? Dahinter verbirgt sich nichts anderes als das Anliegen, Bildung für jeden frei zugänglich zu machen. Aufgrund der Möglichkeiten des Internets, Informationen direkt und unmittelbar zur Verfügung zu stellen, setzt man heute vor allem auf Online-Inhalte. Mittels so genannter Open Educational Resources oder sonstiger freier Lernplattformen soll dieses Ziel erreicht werden. Im Idealfall kann so auch das Bildungsniveau in jenen Regionen deutlich erhöht werden, in denen der Zugang zu ausreichender Bildung nur sehr eingeschränkt möglich ist . Für diese Open Educational Resources, kurz OER, gibt es bis zum heutigen Tag keine einheitliche Definition. Im deutschsprachigen Raum werden sie als freie Bildungsmaterialien oder freie Lerninhalte bezeichnet. Die UNESCO beschreibt OER als Lehr-, Lern- und Forschungsressourcen in digitaler oder anderweitiger Form. Des Weiteren müssen sie unter einer offenen Lizenz veröffentlicht werden, die es erlaubt, Inhalte ohne Kosten zu nutzen, zu bearbeiten

oder weiterzuverwenden. Der große Vorteil gegenüber offenen Universitäten zeigt sich bei der Zeit- und Ortsunabhängigkeit. Die einzige Voraussetzung ist ein Computer mit Internetanschluss, mit dem das Material zu jeder Zeit und von jedem Ort der Welt aus abgerufen werden kann, ähnlich dem Internetlexikon Wikipedia. Zu den ersten und weitreichendsten Projekten im Bereich OER gehört das vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) initiierte Projekt „OpenCourseWare“. Es wurde 2001 gestartet und gilt weithin als Ursprung der OER Bewegung an Hochschulen. Hier werden Kursinhalte und Lernmaterialien der Universität auf einer eigens eingerichteten Plattform online gestellt. Diese ist nicht nur für Studenten der Universität zugänglich, sondern für Wissensinteressierte weltweit. Im März 2014 zählte die Plattform 2206 veröffentlichte Kurse und insgesamt 152.347.354 Besucher. Ein weiteres erwähnenswertes Projekt ist die Plattform Peer-to-Peer-University (P2PU), auf der jeder freie Lehrinhalte zur Verfügung stellen bzw. abrufen kann. Diese non-profit Organisation ruft Menschen aus der ganzen Welt auf, ihr Fachwissen, egal zu welchem Thema, in Form von Kursen auf der Plattform zu teilen. Das Projekt startete im Jahr 2009 und stellt zurzeit 550 Kurse zur Verfügung, welche von bisher 67.000 Lernenden genutzt wurden. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal für OER-Plattformen ist genügend Partizipation. Doch die vielen zur Verfügung gestellten Inhalte müssen auch auf Richtigkeit, Form

und Qualität kontrolliert werden. Wie zuverlässig diese Informationen sind, ist daher auch von der Organisation abhängig, die hinter dem Projekt steht. So tritt das Problem beim OCW-Projekt vom MIT kaum auf, da die Inhalte von Lehrenden der Universität stammen. Anders bei der Plattform P2PU. Hier kann jeder Inhalte hochladen; der Kontrollbedarf ist dementsprechend höher und kann daher vielleicht nicht immer

„[...] DAS ANLIEGEN, BILDUNG FÜR JEDEN FREI ZUGÄNGLICH ZU MACHEN.“

! gedeckt werden. Die große Vielfalt der Inhalte ist für die Nutzer zwar ansprechend, doch erfordert dieses Konzept eben weit mehr Kontrolle und damit auch einen höheren Wartungs- und Kostenaufwand. Obwohl die Möglichkeiten zur Weitergabe von Wissen beinahe unbegrenzt scheinen, scheuen sich noch immer viele Menschen davor, ihr Wissen mit der Masse zu teilen. Dies kann zum Beispiel an fehlendem technischen Know-how liegen, also Unsicherheit bezüglich des richtigen Einsatzes von Lizenzen und ihren Rechten, oder der Erstellung ein-

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„CityU Run Run Shaw Creative Media Centre Level 5 Computer Lab“ – Wing1990hk | ­wikimedia commons

heitlicher Standardformate, aber auch ganz einfach an fehlenden Kenntnissen der benötigten Hard- und Software. Ein weiterer Grund ist, dass die Kultur des Teilens in Europa nicht so stark ausgeprägt ist wie in den USA. Obwohl jeder Wissen teilen kann, ohne es zu verlieren, sind viele Menschen nicht bereit, ihr Wissen kostenlos und ohne Einschränkungen weiterzugeben, da sie den Verlust von persönlichen Vorteilen befürchten oder Angst vor Kritik haben.

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OER-Systeme haben das Potenzial die Bildungswelt zu verbessern. Doch das System ist noch nicht ausgereift und es gibt eine Vielzahl an Kritikern, die die jetzigen Systeme bemängeln. Im Bereich der Hochschulen bleibt die Sorge der Qualitätssicherung. Während klassische Lernunterlagen ausgiebigen Kontrollen unterzogen werden, ehe sie im Unterricht zum Einsatz kommen, ist dies bei den meisten OER-Plattformen eher weniger der Fall. Auch der Vermarktungsdruck motiviert beispielsweise Verlage ihre Materialien entsprechenden Qualitätsstandards anzupassen – Menschen die ihr Wissen frei teilen, werden finanziell eher weniger davon abhängig sein und sind diesem Druck somit nicht im selben Maße unterworfen. Ein weiterer Aspekt ist die Finanzierung von Open Educational Resources, im Hinblick auf die Frage ob es überhaupt ethisch vertretbar sei, damit Geld zu verdienen. Eine Möglichkeit, damit umzugehen, wäre vielleicht den User selbst darüber entscheiden zu lassen, wieviel ihm das Wissen wert ist. Ein weiterer Ansatz wäre, die Bildungsmaterialien grundsätzlich kostenfrei anzubieten, für ein offizielles Abschlusszertifikat des Kurses jedoch eine Gebühr einzuheben. Ebenso wie man sich diesen finanziellen Fragen zu stellen hat, muss das OER System darüber hinaus auch richtig vermarktet werden. Viele Experten haben sich bereits mit dem Thema der OER-Bewegung auseinandergesetzt, inhaltlich beschäftigen sich die Meisten jedoch vor allem mit der Erstellung

funktionsfähiger Systeme und weniger mit Vermarktungsstrategien und Praktiken zur richtigen Nutzung. Vor allem für den formellen Gebrauch ist es jedoch besonders wichtig zu vermitteln, wie freies Material richtig eingesetzt werden kann. Das Bewusstsein für informelle Formen des Lernens muss in formellen Bildungsumgebungen in mancherlei Hinsicht erst geschaffen werden. OER sind eine gute Möglichkeit, Bildung einer breiten Masse näher zu bringen. Das Konzept ist jedoch noch nicht endgültig ausgereift und zu diesem Zeitpunkt wohl auch nicht in der Lage, eine Schul- oder Universitätsausbildung adäquat zu ersetzen. Um mittels Open Educational Resources auf das gleiche Bildungsniveau zu kommen, wird sich noch Vieles entwickeln müssen, sowohl technisch als auch gesellschaftlich. Egal ob im privaten oder universitären Umfeld ist es aber in jedem Fall eine exzellente Möglichkeit sich zu informieren und weiterzubilden. Auch wenn OER für uns vielleicht noch keinen allzu großen Einfluss auf unser heutiges Bildungssystem hat, gibt es bereits vielfätige Ansätze, die in Zukunft gewiss an Bedeutung zunehmen werden. Nicht nur in bildungsschwachen Ländern, sondern auch in Österreich selbst, ist es nicht Jedem möglich, sich wie gewünscht weiterzubilden. Sei es nun aufgrund des zeit- oder ortsabhängigen oder finanziellen Aspektes. OER kann helfen diese Lücke zu füllen und mehr Menschen eine Chance auf bessere Bildung ermöglichen. Wenn die Systeme passende Finanzierungsmodelle und Möglichkeiten zur Qualitätssicherung entwickeln und den Anreiz zum Teilen erhöhen können, wird sich zeigen, ob Open Educational Ressources Bildung, so wie wir sie heute kennen, nicht doch eines Tages revolutionieren wird.

BIANCA DANHOFER

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DIGITALISIERUNG DES WISSENS

THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUR “WISSENSGESELLSCHAFT”

W

ir sagen über uns mit Stolz, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben. Heutzutage haben mehr Menschen als jemals zuvor Zugang zu Wissen und Bildung. Doch welchen Einfluss hat die digitale Revolution auf uns selbst und unser Verständnis von Wissen? Dieser Beitrag beleuchtet und analysiert aktuelle Positionen bedeutender Meinungsträger der Bereiche Philosophie, Soziologie und Kulturtheorie zu dem Thema Digitalisierung des Wissens und dessen Einfluss auf die Gesellschaft. Im Burgtheater in Wien wurde unter dem Titel „Die Zerstörung des Wissens?“ eine Matinee im Programm „Europa im Diskurs - Debating Europe“ veranstaltet, bei der von den Diskussionsteilnehmern versucht wurde, das Thema aus der Perspektive unterschiedlicher, wissenschaftlicher Disziplinen auf eine allgemeine, philosophische Ebene zu heben. Nun was ist eigentlich eine Wissensgesellschaft und warum zerbrechen sich die Wissenschaftler den Kopf darüber?

WISSENSGESELLSCHAFT

Für den Begriff der Wissensgesellschaft gibt es viele Definitionen und es ist oft nicht klar, was darunter verstanden wird. Ich stelle die Wikipedia-Definition an den Beginn meiner Überlegungen, weil sie wahrscheinlich die am häufigsten gelesene ist und damit genau auch

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die Problematik der Verwendung des Begriffs deutlich macht. Laut Wikipedia bezeichnet eine „Wissensgesellschaft“ eine Gesellschaftsformation in hochentwickelten Ländern, in der individuelles und kollektives Wissen und seine Organisation vermehrt zur Grundlage des sozialen und ökonomischen Zusammenlebens wird“. Diese Definition macht die hochentwickelten Länder zur Elite der Menschen, die „schlauer und vernünftiger“ als die Anderen sind. Aber ist das nicht problematisch?

IST JEMAND, DER ZUR WISSENSGESELLSCHAFT ZÄHLT, DESWEGEN SCHON ALS „HOMO SUPERIOR“ ZU BETRACHTEN?

! Die Frage, ob wir derzeit in den modernen Industriegesellschaften tatsächlich in “Wissensgesellschaften” leben, ist umstritten. Der Begriff ist ein Label, welches die Gesamtgesellschaft durch ein einziges Merkmal zu charakterisie-

ren versucht „Wir sprechen nicht von einer Wissensgesellschaft, weil wir alles wissen, sondern weil wir erkennen, dass der Umgang mit Wissen das entscheidende Produktionsmittel in dieser Gesellschaft geworden ist“, so Armin Nassehi, Wissenssoziologe an der Universität München (Der Standard). Diesen Gedanken ergänzt der Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem Buch „Theorie der Unbildung“ indem er versucht nachzuweisen, dass die Wissensgesellschaft keine besonders kluge Gesellschaft sei. Sie hat seiner Meinung nach, auch nicht so viel mit dem Verstehen des Wissens zu tun. Irrtümer, Fehler, Kurzsichtigkeit oder Aggressivität seien dabei in der neuen Gesellschaft nicht weniger vorhanden, als in anderen Gesellschaften. In einem sind sich die beiden aber einig: es ist sehr fragwürdig über eine „Wissensgesellschaft“ zu sprechen, denn zwar steht uns heute theoretisch viel neues Wissen zur Verfügung, aber ohne ausreichende (Vor-)Bildung kann die überwiegende Mehrheit der digitalen Wissenskonsumenten mit diesem Wissen nicht viel anfangen. Laut Liessmann ist die Wissensgesellschaft weder ein Novum noch löst sie die Industriegesellschaft ab, sondern es ist das Wissen, das industrialisiert wird, indem es in Technologien und damit in ökonomischer Verwertbarkeit transformiert wird. Eine zentrale These der In-

formationsgesellschaften ist laut Manuel Castells, dass bei der Produktion von Informationstechnologien der menschliche Verstand, wie in der Vergangenheit, nicht nur ein entscheidendes Element im Produktionssystem ist, sondern auch zur Produktivkraft wird. Die Kommunikationsrevolution benötigt demnach keine Rohstoffe mehr, sondern ihr Rohstoff ist Information. Es gibt aber einen feinen Unterschied zwischen Wissen und Information: Informationen muss man im Bezug auf andere Informationen interpretieren, damit sie bei einer Konsistenz das wahre Wissen zeigen (Jörg Friedrich). Wissen bedeutet daher mehr als das Sammeln von Information: die Welt erkennen, verstehen und begreifen Die „Fragwürdigkeit“ des Begriffs Wissensgesellschaft argumentiert Nassehi außerdem damit, dass wir anstatt des Wissens selbst, die Sicherheit die wir von Wissen erwarten, zerstören. Die Zerstörung des alten Wissens ist aber ein unbedingt notwendiger Prozess, um neues Wissen herstellen zu können und damit auch eine neue Gesellschaft aufzubauen. Wenn wir jedoch nur die Sicherheit die wir vom Wissen erwarten zerstören, legen wir keine neue Wissensbasis. Zu dieser Aussage passt eine Beobachtung von Konrad Paul Liessmann. Nach Liessmann ist es heutzutage merkwürdig, dass Wissen als gegenstand der

gesellschaftlichen Achtung an Bedeutung verliert und das Erkenntnisstreben abnimmt. Das ist vielleicht eine zu radikale Aussage. Ich denke nicht, dass wir gar nicht oder weniger als unsere Großeltern nach Wissen streben, aber ohne Zweifel sind manche Menschen davon überzeugt, Wissen einfach per Mausklick aus dem Netz holen zu können. Das hat ambivalente Konsequenzen. Dank einer Vernetzung von Informationen und einem einfachen Zugang zu denen werden wir einerseits faul, andererseits können wir viel schneller Informationen zum Aufbau des notwendigen Wissens sammeln. Ich glaube aber nicht, dass der Mausklick uns fauler macht. Mein Eindruck ist nur, dass wir uns für anderes Wissen interessieren wie die Generationen vor uns. Da in der Vergangenheit schon so viel Wissen akkumuliert wurde, richten wir unser Interesse viel stärker auf Zukunftstechnologien für die das alte Wissen keine so große Rolle spielt. Eines der wichtigsten Ziele dieser Zukunftstechnologien ist die Verbesserung unseres Alltags, wofür nicht unbedingt, „altes“, ursprünglichen Wissen notwendig ist, sofern es sich nicht um Informationen handelt auf denen heutige Techniken ohnehin aufbauen.

DISTRIBUTION DES WISSENS

Wissen ist dynamisch. Lawrence Lessig (Rechtsprofessor, Mitbegründer von „Creative Commons“) sagte sogar „was

wir heute für gesichertes Wissen halten, würden in der Zukunft unsere Enkel nur lächerlich finden“. Wir können aber nicht vermuten, dass deren Wissen weniger lächerlich würde. Was unser Wissen von dem der Anderen unterscheidet ist dessen Digitalisierung. Heute ist die Welt unglaublich komplex. Wir haben Zugang zu Informationen wie nie zuvor. Das Paradoxon liegt in der Tatsache, dass man heute auch viel mehr Informationen braucht, um die richtige Entscheidung zu treffen, schreibt Jörg Friedrich in seinem Buch „Kritik der vernetzten Vernunft“. Die richtigen Informationen müssen aber aus der digitalen Datenflut mühsam herausgefiltert werden, aufgrund ihrer Vielfalt und Kurzfristigkeit scheinen sie nicht vergleichbar zu sein und dadurch auch kein konkretes Wissen mehr zu liefern (Liessmann). „Der traditionelle Prozess von Qualitätssicherung gewährleistet eine Kontinuität wissenschaftlichen Fortschritts“ sagte Sara Miller McCune, die Gründerin der SAGE Publications (Der Standard), in einer Diskussion zum Thema „Was man weiß und was man lieber vergessen soll“. Ihrer Meinung nach ist Qualitätssicherung, die Informationen in das Netz zu stellen, für viele Leute kein wichtiges Anliegen mehr und das trotz der Tatsache, dass seriöse Quellen im Internet immer noch gefragt sind.

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Vielleicht ist es besser die Kritik über die Epoche der Unbildung wirklich ernst zu nehmen und unsere Gesellschaft statt Informations- „Desinformationsgesellschaft“ zu nennen? – und zwar wegen des Inputs.

VERNETZTE VERNUNFT

Jörg Friedrich unternimmt den Versuch, die neue Gesellschaft und deren Wissen zu beschreiben. In seinem Buch verwendet er die Begriffe „vernetzte Vernunft“ und „technische Vernunft“ zur Charakterisierung unserer Gesellschaft. Unter Technik versteht er nicht nur Geräte und Software, sondern auch die Verfahren. So schreibt er, dass Technik und Kultur zusammengehören, da Kultur die beherrschbare Realität ist, alle Kultur aus Technik besteht und das, was wir Technik nennen, durch Kultur erst entstehen kann. Es gehört also zu der menschlichen Natur der Technik zu vertrauen und deren Informationen als primäre wahrzunehmen. Die „technische Vernunft“ verfolgt die Netzwerkstrukturen. Unser Wissen besteht heute öfter aus Gewissheiten, also daraus, wessen wir gewiss sind (was uns gelehrt wurde) statt aus eigenen Erfahrungen. Das Netz strukturiert so die Informationen, die wir über andere Menschen und Sachen erhalten. Was wir Wissen nennen, sind die individuellen Überzeugungen und die darauf basierende Erschaffung einer individuellen

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Realität. Nassehi sagt, dass wir in unserer Erkenntnis und Wahrnehmung viel stärker von einem Wissen geleitet sind, als wir das wirklich wissen. Das war früher aber nicht anders. Auch in der Vergangenheit folgten viele Menschen einem „regionalen“, kulturellen Schema. Das, was uns gelehrt wurde, war nichts anders als stark geprägte Meinungen, welche man schwer in reflektiertes Wissen umwandeln konnte, da der Zugang zu Informationen, welche als Vergleichsdaten dienen könnten, sehr beschränkt war. Betrachten wir das Mittelalter am Übergang zur Neuzeit, dann könnte man argumentieren, das neue Entdeckungen an sich noch keinen großen, technischen oder wissenschaftlichen Boom auslösen, sondern erst in der Vernetzung derselben an Einfluss gewinnen. Da durch Verbesserung der Kommunikationssysteme ein freierer Zugang zu Informationen möglich wurde, kann man gegenwärtig beobachten, dass Intensität und Geschwindigkeit der Einflussnahme einzelner Wissensproduktionen zunimmt.

WARUM UNBILDUNG?

In seiner Kritik an neuen Bildungssystemen macht Liessmann darauf aufmerksam, dass wir unser Wissen selbst einschränken, indem wir die Informationen ohne Zusammenhang mit deren Genese und dem Kontext interpretieren wollen. „Wissensgesellschaft“ muss

das Lernen selbst schätzen lernen, sonst kann sie sich nicht weiterentwickeln. Weil unser Wissen nicht sicher ist, kommt es zu Unbildung im Sinn von zu wenig Wissen, was zu Stereotypen, nicht genug argumentierten Vorurteilen und Irrationalismus führt. Was er Unbildung nennt ist eben nicht das fehlende Wissen oder Dummheit, sondern die Abwesenheit des Strebens nach Wissen, das schon Aristoteles allen Menschen zugeschrieben hat. Der Umgang mit Wissen (Informationen) sollen wir während der Bildungszeit lernen, da nur quantitativ gesammeltes Wissen uns nicht zu Gebildeten macht. Demnach wäre ja jedes webbasierte Archiv besonders gebildet, so Nassehi. Bestimmte Meinungen in der wissenschaftlichen Literatur definieren das „wenig Wissen“ als Unvermögen Informationen korrekt interpretieren und somit unsere Realität begreifen zu können. Jedoch erst wenn viele Gewissheiten zusammentreffen und vergleichbar sind (also nicht nur aus der eigenen Erfahrung), können wir das qualitative Wissen neu strukturieren. Diese Voraussetzung ist aber heute in besonderem Maße gegeben. Wir haben globale Informationsnetzwerke, die es ermöglichen unsere Welt mit einem rasantem Tempo weiter zu entwickeln. Sollen wir dann trotzdem glauben, dass wir heutzutage weniger wissen? Die analysierte Literatur begegnet der modernen ver-

netzten Gesellschaft mit einem leicht negativen Unterton, indem die Masse an Informationen selbst als Grund für bestimmte Defizite der Wissensgenerierung dargestellt wird. Meiner Meinung nach werden die negativen Effekte des Halbwissens, die durch oberflächlichen Informationskonsum entstehen, durch die positiven Effekte des erleichterten Wissens- und Meinungsaustausches bei weitem aufgewogen. Der Eindruck, dass Individuen der modernen Gesellschaft teilweise unreflektiertes Wissen aufnehmen ist vermutlich auch in einem veränderten und komplexeren Anforderungsprofil der Wissensaufnahme begründet. Das „Schätzen des Lernens“ würde ich in früheren Zeiten nicht als ausgeprägter auffassen, jedoch war der Zugang zu Wissen eher institutionalisiert und vorstrukturiert. Zusätzliche Evaluation und Selektion, wie es jetzt umfassend notwendig wird, war nicht nötig. Steigt auch die Gefahr von falsch ausgewähltem Halbwissen, vermehren sich natürlich somit auch die Möglichkeiten ungenaue und inkorrekte Informationen zu falsifizieren – sofern man die notwendigen Anforderungen mitbringt.

zu können und die Grenze unserer Vernunft zu überschreiten, damit wir offen für neue Lösungen bleiben.

WISSEN ALS EINE BESCHRÄNKUNG UNSERES HORIZONTS?

Dass Wissen unsere Horizonte beschränkt, sagt auch Armin Nassehi. Früher hat man gesagt, wer etwas weiß, dem steht die Welt offen. Heute machen viele Philosophen und Soziologen darauf aufmerksam, dass es auch umgekehrt sein könnte. Unser Wissen ist durch die Konfrontation mit unseren Erwartungen, unserem Wissen als Struktur, die wir im Kopf auch durch soziale Erwartungen bedingt haben, beschränkt.

JE GENAUER WIR ETWAS WISSEN, DESTO WENIGER SIND WIR DAFÜR OFFEN, DIE GANZEN UMWELTREIZE ZU SEHEN.

EXTERNE SPEICHER

Jörg Friedrich kritisiert in diesem Zusammenhang externe Speicher und stellt die Frage, ob man sich heutzutage wirklich nichts mehr merken muss. Auch er ist der Meinung, dass man um Wissen aufzubauen, Informationen nicht nur sammeln, sondern auch interpretieren können muss, was aber wegen ihrer Vielfalt und Verknüpfungen nicht nur mit rationalen, sondern auch mit emotionalen Aspekten für eine Maschine unmöglich ist. Da wir aus diesem Wissen unsere Realität bauen, gibt es für uns auch eine Menge an Realitäten. Die „vernetzte Vernunft“ ist aber dadurch gekennzeichnet, dass sie diese Realitäten zu einer einzigen zusammenführt und diese idealisiert, sodass ein verfälschtes Bild unserer Realität (gerade im Internet) dargestellt wird. Das Bild bauen wir auch selber, indem wir nur die „besten Exemplare“ im Netz speichern. Deswegen ist es in unserer Zeit sehr wichtig mit den Abweichungen von dem Ideal umgehen

Die größte Gefahr ist daher das routinierte Wissen. Auch das Bekenntnis zur Unsicherheit unseres Wissens führt zur Beschränkung. Dennoch passiert es immer öfter, dass wir glauben etwas zu wissen, aber dann jemand kommt, der uns sagt, dass die Realität anders ist als wir denken. So stoßen wir auf eine permanente Diskrepanz zwischen unserer Vorstellung und der Welt. Dieses Phänomen kann man darauf zurückführen, dass die Welt früher relativ einfach und überschaubar war, weil Wissen in wesentlich geringerem Ausmaß zur Verfügung stand. Heute ändert sich jedoch alles in einem rasanten Tempo und wir bekommen mit jedem Tag neue Massen von Informationen. Ich denke, dass die von Liessmann kritisierte „Ignoranz“ davon kommt, dass wir diese Massen einfach nicht mehr erfassen

können (so werden externe Speicher praktisch). Unsere Gesellschaft fragt auch nach der Zukunft und hat große Lust an neuen Entdeckungen und Innovationen. Das kann man auch in den Medien beobachten. Für unsere Gesellschaft ist es anregend, die Buntheit und Neuheit von Themen zu zeigen. Auch der Erfolg von Fernsehprogrammen wie die „Millionenshow“ deuten darauf, dass wir doch Interesse an Wissen, im Sinn von verschiedenen Informationen zu sammeln, haben. Ein Kritikpunkt besteht darin, dass, um neues Wissen konstruieren zu können, trotzdem das alte Wissen gekannt und beherrscht werden muss, dies in der Gegenwart aber allzu schnell vergessen wird. So zitiert Liessmann in seinem Buch den deutschen Philosophen Theodor W. Adorno und schreibt „Mediengesellschaft schafft Halbbildung, in welcher Unverständnis als Argument Gültigkeit hat“. Diese Gedanken entwickelte er weiter und sagte, dass nicht nur das Unverständnis der Informationen, aber vor allem deren Gleichgültigkeit die Gefahr verursacht, dass es schließlich völlig egal ist, was man weiß oder nicht weiß, weil mit etwas Glück immer gut geraten werden kann. Da wir andauernd in Eile sind, beschränken wir uns auf solch erratenes Wissen mit der Hoffnung, dass es „passen“ wird. Ebenso funktionieren Suchmaschinen: es ist nicht klar, ob das, was sie an Ergebnissen liefern in einem sinnvollen Zusammenhang zu den gestellten Fragen stehen. Schade nur, sagt Liessmann, dass der Glaube an die Datenablagerungen auf den Festplatten das Denken ersetzt.

ONLINE-GESELLSCHAFT

Vernetzte Vernunft ist kulturvoll. Die Globalisierung und Vernetzung schaffen einerseits eine neue, globale Kultur, anderseits können sie diese (nämlich die Kultur) wieder zerkleinern. Wir können das ganze Netz nicht „beherrschen“, obwohl wir es selber gebaut haben. Merkwürdig ist, dass auch hier ähnliche Strukturen und Gesetze wie in der realen Welt funktionieren. Die Kommunikationskulturen der sozialen Netzwerke

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imitieren die Strukturen der regionalen Vereine oder Parteien, wobei sie noch mehr geschlossen sind, da sie die Meinungen von provokant anders denkenden Menschen - sogenannten Trollen – ausschließen, so Friedrich. In der realen Welt basiert zum Beispiel das Handeln von Parteien auf Meinungen von anderen Menschen und Programmen von anderen Parteien, sodass sie ihr eigenes Programm verbessern können und die für sie richtige Strategie wählen. Daher gibt es im Internet das Risiko, sich selbst zu überschätzen, den anderen zu ignorieren und den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren.

ONLINE-GEMEINSCHAFTEN SIND DESWEGEN, UND AUCH WEGEN DER TECHNISCH BEDINGTEN BESCHRÄNKTHEIT, SELTEN DEMOKRATISCH.

Weitergehend sieht er sogar den „Blogger als Monarch“ und die „Kommentatoren als die Aristokratie“. Vor allem aber beschränken die technischen Möglichkeiten die Willensbildung und -durchsetzung, welche in der Demokratie so wichtig sind. Kritik an Gruppen, die nur aus Meinungsgenossen und Sympathisanten bestehen, kann man auch außerhalb des Internets finden. Jo Freeman hat 1970 über Organisationsprobleme der Frauenbewegung geschrieben, wo sie darauf aufmerksam machte, dass informelle Gruppen zur Elitenbildung neigen Teilgruppen übernehmen die Macht über die ganze Gruppe, aber ohne Verantwortung zu tragen, und oft ohne Wissen und Zustimmung der ganzen Gruppe. Internet-Gruppen sind aber ein Phänomen, das teilweise in einer virtuellen Welt funktioniert und Millionen

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von Benutzern vereinigt. Das, was diese Menschen zusammen hält ist eine Idee und nicht ein Führer, Eliten oder Strukturen. Diese Gruppen funktionieren nach anarchischen Regeln. Sie können kollektive, direkte Aktionen setzen - sogenannte Flashmobs - und bestehen nicht lange, oft nur für einzelne Mobs. Richtungslosigkeit des Netzes durch Autonomie der einzelnen Teilnehmer führt also dazu, dass Web-Organisationen schwer lange zusammenzuhalten sind. Die moderne, freie Gesellschaft arbeitet daran, alle Pflichten aufzuweichen und weniger Vorschriften und Regeln in unserer Welt zu schaffen, so Friedrich. Es ist aber merkwürdig, dass in unserer Gesellschaft so viel über Coaching, Controlling und Monitoring gesprochen wird. Das globale Netz gibt uns die Möglichkeit, gegen moralische Normen zu kämpfen und bessere Lebenskonditionen zu schaffen, indem man auch andere Gruppen/Gesellschaften beobachtet oder sich aktiv in einer Sache engagieren kann. Es gibt aber auch die Möglichkeit, die ganze Gesellschaft besser zu beobachten und strenger zu kontrollieren.

dazu Nietzsche „Sprache stirb, Kultur stirb“. Es bleiben regionale Dialekte, aber die nationale Sprache wird zu einer internationalen Sprache (Englisch?). Was uns die Globalisierung positives gebracht hat, ist die fortschreitende ökonomische, politische und soziale als auch ökologische Integration, die zur Gleichheit aller Länder führen soll. Würde das gemeinsame Ziel einen „Gemeinsinn“ der neuen Kultur schaffen und uns zur Gleichheit weiterführen, oder werden wir uns wie „anarchische Gruppen“ zu mehreren „individuellen Welten“ gruppieren? Können wir generell über die neue Kultur reden, wenn wir die alte nicht berücksichtigen möchten?

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Ich bin sicher, dass solche Diskussionen und Gedanken uns vielleicht eines Tages erkennen lassen, was wir noch alles wissen müssen, bevor wir uns den Wunsch auf ein besseres Morgen erfüllen können.

WISSENSGESELLSCHAFT IN DER ZUKUNFT

Globalisierung und Vernetzung führen dazu, die Welt aus verschiedenen „Wirklichkeiten“ neu zu bauen. Diese Wirklichkeiten sind bestehende Kulturen, Normen und Realitäten der verschiedenen Menschen und Gesellschaften. Dieser Kulturwandel basiert auf dem Internet und dem Web. Was Nassehi über das Wissen gesagt hat, kann man auch auf Kulturbildung beziehen: die Zerstörung der alten Kultur ist notwendig, um eine neue Kultur herstellen zu können, aber es bleibt immer noch etwas aus den alten Kulturen bestehen. Der erste Schritt dieser Zerstörung lässt sich in dem Verlust der Kommunikationsfähigkeiten in der eigenen Sprache feststellen, da speziell die Fachbegriffe nicht weiterentwickelt werden, schreibt Liessmann und zitiert

MALGORZATA SKOCZYNSKA

MICHAEL ROSENBERGER & PETER SCHLUCKNER

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