Teil III Spezielle Behandlungsgebiete

Teil III Spezielle Behandlungsgebiete 26. Unfallchirurgie der Hand Markgraf, R. Friedel, C. Dorow und I. Schmidt Einleitung Während der zurückliegend...
Author: Matthias Kalb
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Teil III Spezielle Behandlungsgebiete

26. Unfallchirurgie der Hand Markgraf, R. Friedel, C. Dorow und I. Schmidt Einleitung Während der zurückliegenden fünf Jahrzehnte erfuhr die Behandlung der Wirbelsäulenverletzungen eine faszinierende und stürmische Entwicklung. Anfänglich war sie geprägt durch ausschließlich konservative Therapiekonzepte [6], wobei die funktionelle Behandlung nach Magnus [14] der Böhlerschen Frakturaufrichtung im ventralen Durchhang [2] mit anschließender Fixation im Gipskorsett gegenüberstand. Heute streben wir danach, primär die jeweilige Verletzungspathologie am geschädigten Wirbelsäulenabschnitt exakt zu erfassen, um danach differenziert durch Anwendung geeigneter Repositions- und Fixationstechniken zu reagieren. Behandlungsziel ist die Wiederherstellung der normalen anatomischen Verhältnisse sowie die Stabilisierung des verletzten Bewegungssegmentes, um die Verletzten vor fatalen neurologischen Folgeschäden zu bewahren oder, falls diese bereits eingetreten sind, durch Dekompression von Rückenmark und Nervenwurzeln Voraussetzungen für deren Erholung zu schaffen. Verletzungen der Wirbelsäule entstehen fast immer durch indirekte Gewalteinwirkungen und treten durchschnittlich bei 4% aller Verletzten auf [8]. Zumeist sind die Verunfallten polytraumatisiert und bieten je nach Verletzungsmechanismus, wie Sturz, PkwFrontalzusammenstoß oder suizidalem Sprung, spezifische Verletzungsmuster [17]. Begleitende sensomotorische Defizite weisen 1/4 aller Wirbelsäulenverletzten auf, wobei das Zusammentreffen von Wirbelfraktur und neurologischer Schädigung von zervikal mit fast 40% auf 15% für das thorakolumbale Übergangssegment abnimmt. Traumatische Querschnittsläsionen erleiden in Deutschland jährlich mehr als 1000, zumeist junge Menschen mit einem Altersdurchschnitt von 34,4 Jahren. Dies läßt vermuten, welch sozioökonomische Bedeutung der Schädigung des zentralen Achsenorgans zukommt. Die Frage, warum sich die operative Behandlung von Wirbelfrakturen deutlich langsamer entwickelte als die Osteosynthesetechniken am Extremitätenskelett mit ihrer Forderung nach anatomischer Reposition, optimaler Stabilisation und frühfunktioneller Mobilisation, läßt sich beantworten mit einem sich nur zögerlich entwickelnden Erkenntnisgewinn zur komplexen Anatomie und Funktion der Wirbelsäule. Erschwerend dürfte hinzugekommen sein, daß die operationstechnisch aufwendigen Zugangswege erst verspätet eine Standardisierung erfuhren, neue Verankerungsprinzipien am Wirbelkörper und spezielle Implantatsysteme lange auf sich warten ließen und sich letztlich das Verständnis für die komplizierten und vielfältigen Verletzungsmuster von Wirbelfrakturen erst nach einer von Widersprüchen geprägten Diskussion herauskristallisierten.

Biomechanik Die konzeptionelle Entwicklung eines aussagekräftigen biomechanischen Wirbelsäulenmodells basiert auf den Arbeiten von Holdsworth [7] (hinterer Ligamentkomplex), Roy Camille [17] (Segment vertebral moyen) sowie den überzeugenden Überlegungen von Louis [11]. Sein Wirbelsäulenmodell bestehend aus drei segmental verbundenen Säulen, veranschaulicht in einfacher Weise die biomechanisch relevanten Strukturen des Achsenorgans (Abb. 1). Die Intaktheit der Wirbelkörperhinterwand besitzt entscheidende Bedeutung für die Stabilität der einzelnen Bewegungssegmente. Funktionseinbuße und Instabilität der traumatisch geschädigten Wirbelsäule sind abhängig von der Anzahl der geschädigten Säulenelemente einschließlich deren segmentaler Verbindungen und veranlaßten nahezu zwangsläufig die konzeptionelle Entwicklung von Verletzungsklassifikationen, die pathogenetische, pathomorphologische sowie prognostische Aspekte zu berücksichtigen haben.

Klassifikation Basierend auf den Arbeiten von Mc Affee und Denis [4], die drei osteoligamentäre Wirbelsegmente definierten, berücksichtigt die Einteilung der Wirbelsäulenläsionen nach Wolter [19] ausschließlich pathomorphologische Kriterien im Hinblick auf die Instabilität und Spinalkanaleinengung. Primär pathogenetische Merkmale stehen bei der heute allgemein akzeptierten Typisierung der Wirbelsäulenverletzungen nach Magerl et al. [12] im Vordergrund, wonach sich die Schädigungsmuster differenzieren nach Kompressions- (Typ A), Flexions-/Distraktions- (Typ B) sowie Rotationseinwirkungen (Typ C). Pathomorphologische Merkmale ermöglichen innerhalb dieser Gruppierung weitergehende Einordnungen. Der Schwere- und Instabilitätsgrad der Verletzung nimmt in den Hauptgruppen von A bis C sowie innerhalb der Untergruppen von 1 bis 3 zu. Die Klassifikation von Verletzungsmustern ermöglicht heute differenzierte Indikationsstellungen für das adäquate therapeutische Vorgehen und vermittelt zudem prognostische Hinweise: a) Axiale Gewalteinwirkung im Sinne der Kompression schädigt vornehmlich den Wirbelkörper. Je nach Ausmaß der Zerstörung entstehen stabile Impressions-, Berstungsspaltoder instabile Berstungsbrüche. b) Distraktionsmechanismen betreffen vorrangig das mittlere und hintere Wirbelsegment. Dabei resultieren rein ossäre, kombiniert ossär-ligamentäre oder ausschließlich ligamentäre Läsionen. Dementsprechend läßt sich ein transligamentärer Zerstörungstyp (B1) von einem transossären (B2) abgrenzen und wird durch einen dritten, höchst instabilen DistraktionsExtensionstyp (B3) ergänzt.

c) Die kombiniert einwirkende Kraft im Sinne der Kompression oder Flexion, verbunden mit Drehmomenten in der Horizontalebene (Torsion), führt insbesondere am mobilen thorakolumbalen Übergang zum Verletzungstyp C. Dieser ist gekennzeichnet durch ein- oder beidseitige Wirbelgelenksabbrüche, ausgeprägte translatorische Verschiebungen der Hauptfragmente und weist eine hohe Inzidenz neurologischer Begleitverletzungen auf (Abb. 2).

Diagnostik Klinische Untersuchungsbefunde wie Schmerzen, Funktionsstörungen sowie sensomotorische Ausfälle haben lediglich einen auf Wirbelsäulenverletzungen hinweisenden Charakter, ebenso wie Weichteilhämatome oder tastbare Lücken zwischen den Dornfortsätzen. Die Darstellung des Verletzungsmusters kann nur mittels Röntgendiagnostik erfolgen, wobei exakt zwischen Schädigungslokalisationen am vorderen, mittleren oder hinteren Wirbelsegment zu unterscheiden ist (Abb. 3). Die konventionelle Röntgendiagnostik umfaßt großformatige Übersichtsaufnahmen in zwei Ebenen, evtl. zusätzliche Zielaufnahmen des verletzten Wirbelsäulenabschnittes sowie spezielle Projektionen in mehreren Ebenen an den kraniozervikalen, zervikothorakalen und thorakolumbalen Übergangsregionen. Die systematische Beurteilung der Röntgenbilder erfolgt unter der Fragestellung: • • • • • •

Achsabweichung der Wirbel zueinander, Verbreiterung der Wirbelkörper, Pedikelasymmetrie, Höhendifferenz zwischen den Wirbelkörpervorder- und -hinterkanten, Unregelmäßigkeiten an Deck- und Bodenplatten sowie Aufweitungen und Verschmälerungen der Intervertebralräume.

Funktionsaufnahmen in Flexions- und Extensionsstellung ergänzen die Standardaufnahmen. Hierbei ausgelöste Wirbelkörperverschiebungen sind Ausdruck einer Instabilität aufgrund diskoligamentärer Läsionen. Die Computertomographie ist Bestandteil der Standarddiagnostik und ergänzt gezielt die konventionellen Röntgenaufnahmen, da beispielsweise die veränderten geometrischen Verhältnisse des knöchernen Spinalkanals exakt erfaßt, im Spinalkanal liegende Einsprengungen oder Hämatome erkannt werden und durch Längsrekonstruktion die Abbildung der in konventioneller Technik schwer beurteilbaren Übergangsregionen leichter möglich wird. Beim Vorliegen neurologischer Defizite verbessert die Applikation von Kontrastmittel (Myelon-CT) die Darstellbarkeit des Rückenmarks und der Wurzelabgänge. Der direkte morphologische Nachweis von Schädigungen an der Bandscheibe, dem Ligamentkomplex sowie den neurogenen Strukturen von Rückenmark und Nervenwurzeln gelingt heute durch den technisch nicht mehr ganz so zeitaufwendigen Einsatz der Magnetresonanztomographie.

Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen •

Konservative Therapie

Etwa 70% der Wirbelsäulenverletzungen sind konventionell funktionell zu behandeln. Es handelt sich hierbei um die sog. "stabilen Frakturen", wie Vorderkantenabsprengungen, Querfortsatzfrakturen sowie Deck- und Grundplatteneinbrüche [10]. Die unmittelbar posttraumatisch verabreichte medikamentöse Analgesie ermöglicht bereits nach wenigen Tagen die Mobilisation unter Belastungsaufbau. Eine qualifizierte krankengymnastische Behandlung, nach Möglichkeit gerätegestützt, wird im weiteren Verlauf unabdingbare Voraussetzung für den "schmerzfreien" Therapieerfolg. Orthetische Versorgungen bieten einen gewissen Schutz gegenüber schädigenden Drehmomenten, insbesondere bei Flexions- und Rotationsbewegungen. Sie vermögen aber kaum das Achsenorgan wirkungsvoll zu entlasten und behindern darüber hinaus bei längerer Anwendung die Retonisierung der traumatisch geschädigten Rückenmuskulatur. Die Anpassung eines "abstützenden" Korsetts hat deshalb stets unter kritischer Indikationsstellung zu erfolgen.



Operative Behandlung

Absolute Indikationen zur unverzüglichen operativen Intervention bestehen bei offenen Verletzungen sowie bei Wirbelsäulenläsionen mit zunehmendem oder nach freiem Intervall entstandenem neurologischem Defizit. Relative Operationsindikationen liegen vor bei geschlossenen, irreponiblen Frakturen und Luxationen, Instabilität, prognostisch ungünstigen Verletzungen (z.B. discoligamentären Läsionen, Densfrakturen) sowie gravierenden Wirbeldeformitäten. Eine weitgestellte Indikation zur internen Stabilisation in Abwägung gegen konservative, insbesondere orthetische Maßnahmen, ergibt sich bei polytraumatisierten, unkooperativen oder psychotischen Patienten. Bei ihnen wird durch offene Reposition und Stabilisation die intensivpflegerische Betreuung erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht. Auch bei relativer Indikationsstellung liegt eine nur aufgeschobene Dringlichkeit vor. Die Intervention hat früh, nach Möglichkeit innerhalb der ersten posttraumatischen Tage zu erfolgen, da die alsbald durchgeführte Reposition sich technisch einfacher und weniger komplikationsträchtig gestaltet als ein Späteingriff nach mehr als 2 Wochen.

Operationsprinzip Ziele des operativen Eingriffes sind •

die geschlossene oder offene Reposition,

• •

die Dekompression neuraler Strukturen, evtl. unter Rekonstruktion des Spinalkanals und/oder durch Revision von Myelon und Nervenwurzeln sowie die Stabilisation des betroffenen Bewegungssegmentes durch kurzstreckige dorsaloder ventralseitige bzw. kombiniert durchgeführte Spondylodese.

Oft führt schon die korrekte Reposition zur sicheren Dekompression der neuralen Strukturen. Diskusanteile, die den Spinalkanal einengen, werden entfernt und Hinterkantenfragmente des Wirbelkörpers nach Möglichkeit reponiert, andernfalls ausgeräumt, was je nach Zerstörungsgrad des Wirbelkörpers nur über eine partielle oder totale Spondylektomie gelingt. Die Aufrichtung eines komprimierten Wirbels bzw. die Enttrümmerung eines ganzen Wirbelkörpers führen zu knöchernen Defekten, die vorzugsweise mit autogenem kortikospongiösen Material aufzufüllen sind. Auch nach Ausräumung einer zerstörten Bandscheibe ermöglicht die knöcherne Auffüllung des Intervertebralraumes langfristig die Fusion des geschädigten, instabilen Bewegungssegmentes. Die zur Sicherung der knöchernen Ausheilung erforderliche primäre Stabilität wird durch eine kurzstreckige Instrumentierung gewährleistet, die nur das betroffene Bewegungssegment überbrücken sollte. Dabei wirkt die Verwendung winkelstabiler Implantatsysteme Sinterungsvorgängen während des Heilungsverlaufes entgegen [9]. Dorsalseitige Versorgungstechniken sind zu bevorzugen, wenn es sich um Schädigungen des hinteren Wirbelsegmentes mit seinen Bandverbindungen handelt oder isolierte, revisionsbedürftige Nervenwurzelkompressionen vorliegen. Finden sich hingegen Zerstörungen des ventralen Pfeilers mit Defekten am Wirbelkörper und/oder der Bandscheibe und besteht gleichzeitig eine Instabilität oder Einengung des Spinalkanals, so ist dem ventralseitigen Vorgehen der Vorzug zu geben. Dorsalseitige Instrumentationen an der Wirbelsäule nutzen die biomechanischen Prinzipien der Kompression, Zuggurtung, Abstützung und Distraktion; die ventralseitigen Interventionen die der Abstützung bzw. Kompression. Angewandt wird die klassische Kompressionsosteosynthese nach dem Zugschraubenprinzip beispielswiese bei der Verschraubung frischer Densfrakturen. Vorgeschlagen wurde die Direktverschraubung ursprünglich von Magerl. J. Böhler hat die Operationstechnik im Detail ausgearbeitet und für ihre Verbreitung gesorgt [1]. Der Vorteil von Densverschraubungen (Abb. 4) liegt in dem Erhalt der Rotationsfähigkeit zwischen C1 und C2, der Ermöglichung einer äußerst einfachen Nachbehandlung sowie der Vermeidung posttraumatischer Pseudarthrosen. Das Zuggurtungsprinzip unter Zuhilfenahme cerclierender Drahtmontagen findet Verwendung beispielsweise bei Gefügestörungen zwischen C1/C2 in der Technik von Gallie oder Brooks (Abb. 5) sowie zur Behandlung dorsalseitiger Ligamentzerreißungen. Eine besonders effiziente Zuggurtung wird an der HWS mit Hakenplättchen erreicht. Magerl [13] hat dieses Implantat wegen der Nachteile komplikationsträchtiger, den Knochen durchschneidender Drahtcerclagen konzipiert. Die Fixation des kleinen, hakenförmigen Implantates wird erreicht durch Hakensitz unter der Lamina bei gleichzeitiger Schraubenverankerung im darüberliegenden Gelenkmassiv. Ein interspinöser Knochenspan

vermittelt zusammen mit den die Gelenkpfeiler komprimierenden Plättchen eine hohe Stabilität (Abb. 6). Ebenfalls für die HWS entwickelte unter Einbeziehung des postero-lateralen Pfeilers Roy Camille [17] eine Platteninstrumentation vor allem für diejenigen Situationen, bei denen wegen Frakturierung der Dornfortsätze sowie der Bögen Drahtcerclagen keinen gangbaren Versorgungsweg darstellen. Auch die von ihm für den thorakolumbalen Bereich eingeführten, anfänglich nicht winkelstabil mit Schrauben in den Pedikeln [17] der Wirbelkörper zu verankernden Plattenimplantate arbeiten nach dem Zuggurtungs- bzw. Drei-Punkt-Abstützungsprinzip. Der später von Magerl vorgeschlagene externe, winkelstabil zu montierende Wirbelfixateur sowie die modifizierten internen Fixateurvarianten nach Dick [5] und anderen wirken entweder auch über Zuggurtungseffekte oder im Falle ventralseitiger knöcherner Defekte über eine Vier-Punkt-Absicherung. Heute gelingen mit einer Vielzahl [15/16] prinzipiell ähnlich gestalteter und von dorsal zu implantierender Fixationssysteme exakte Frakturrepositionen und Stabilisationen. Bei begleitenden Bandscheiben- oder knöchernen Läsionen mit postoperativer potentieller Sinterungstendenz muß die dorsalseitige Instrumentation stets mit einer interkorporellen Spondylodese entweder durch transpedikuläres [3] oder direkt ventralseitiges Vorgehen kombiniert werden (Abb. 7 und 8). Die erforderlichen Zugangswege sind mittlerweile für alle Etagen der Wirbelsäule standardisiert und von uns an anderer Stelle wiedergegeben [9]. Für die Halswirbelsäule bevorzugt man den ventralseitigen Zugang. Dies trifft auch zu für die Reposition einer Dislokation mit Ausnahme einseitig verhakter Luxationen, die sich manchmal nur über eine direkte dorsalseitige Freilegung entblocken lassen. Zerrissene Bandscheibenanteile sowie dislozierte Knochenfragmente werden ausgeräumt bzw. bei kompletter Wirbelzertrümmerung die Spondylektomie unter Dekompression des Rückenmarks durchgeführt. Zwischen die angefrischten Grund- und Deckplatten der angrenzenden Wirbelkörper wird dann ein exakt dimensionierter kortikospongiöser Beckenkammspan druckfest eingepaßt, wobei die Spanhöhe das Ausmaß der zervikalen Lordosierung bestimmt. Die Spanverzapfung in den angrenzenden Wirbeln erübrigt sich, da das überbrückende Plattenimplantat ein Abgleiten verhindert und gleichzeitig die notwendige Primärstabilität für den knöchernen Spaneinbau garantiert. Standen früher auch für die ventralseitigen Montagen nur konventionelle Systeme mit losen PlattenSchraubenverbindungen zur Verfügung [16], so favorisieren wir heute winkelstabile Instrumentierungen, die bei hoher Eigenstabilität ein Auslockern der Fixationsschrauben erschweren bzw. verhindern [15]. Ähnliche Überlegungen zur operativen Vorgehensweise gelten grundsätzlich auch für die Instrumentierungstechniken an den relativ häufig operativ zu versorgenden Frakturen des thorakolumbalen Übergangs, die bei Zertrümmerung der abstützenden ventralen Säule (Berstungsbrüche) von ventral - das Rückenmark dekomprimierend - enttrümmert und stabilisiert werden [9]. Alternativ stand und steht für diese Wirbelsäulenregion die dorsalseitige Vorgehensweise unter Verwendung transpedikulär zu verankernder Längsträger zur Verfügung [17]. Diese

internen Fixateure lassen sich auch nach vorangegangener Laminektomie gut plazieren. Sie sind mit wenigen Spezialinstrumenten einsetzbar und erfordern dank der erreichbaren Stabilität kein zusätzliches Korsett, vorausgesetzt die ventralseitige interkorporelle Abstützung wurde durch die Einbringung knöchernen Materials suffizient wiederhergestellt (Abb. 7 und 8). Die Anwendung dorsaler bzw. ventralseitiger Repositions- und Stabilisationstechniken setzt profunde Kenntnisse der Verletzungsmorphologie und Pathophysiologie der Wirbelsäule voraus; unter derartigen Voraussetzungen sind perioperative Komplikationen gering und zumeist beschränkt auf Implantatfehllagen.

Eigene operative Ergebnisse Wir selbst haben in den zurückliegenden fünf Jahren 365 operative Versorgungen von frischen Wirbelsäulenverletzungen vorgenommen. Frakturklassifikation und Vorgehen sind den Tabellen 1 und 2 zu entnehmen. An der oberen HWS wurde mehrheitlich direkt mit Schrauben, an der unteren HWS mit Platten und an der BWS/LWS überwiegend mit dorsalseitig angebrachten Platten- und Stabsystemen versorgt. Die perioperativen Komplikationen verteilten sich auf 15 tiefe und 10 oberflächliche Infekte, 10 Schraubenfehllagen, 3 direkt mit der Operation in Zusammenhang zu bringende manifeste neurologische Verschlechterungen sowie 2 persistierende Instabilitäten, die durch Reinterventionen ausgeheilt werden konnten. Densfrakturen zeigten nach Direktverschraubungen gute funktionelle Resultate, wobei eine perioperative Komplikationsrate von 20% die technischen Schwierigkeiten dieses Verfahrens verdeutlicht. Atlanto-axiale Fusionen führten zu eingreifenden Rotationsverlusten, was uns künftig veranlassen wird, diese Maßnahme nicht mehr anzuwenden. Die traumatischen Luxationen von C2 heilten, behandelt mit Halofixateur (Effendi Typ 2) sowie ventralseitigen Spondylodesen C2/C3 (Effendi Typ 3), mit guten klinischen Ergebnissen aus. An der unteren Halswirbelsäule führte der ventralseitige Zugang bei den von uns Behandelten hinsichtlich Beschwerden und Funktion zu besseren Langzeitergebnissen als das dorsalseitige Vorgehen. Bei knapp der Hälfte der von ventral her fusionierten Patienten zeichneten sich jedoch im weiteren Verlauf osteophytäre Randzacken im Bereich des vorderen Längsbandes ab, wobei diese sich auf das craniale Anschlußsegment konzentrierten. Während die Behandlungsergebnisse an der Brustwirbelsäule bei den Typ B- und CVerletzungen insgesamt zufriedenstellend waren, imponierte bei den Typ A-Verletzungen im Langzeitverlauf oft ein unbefriedigendes Aufrichtungsergebnis. Der sekundäre Korrekturverlust verstärkte die primär schon ungenügenden Aufrichtungen, was dann meist auch mit der Beschwerdeinzidenz korrelierte.

Nach dorsalen Spondylodesen ohne suffiziente ventralseitige Knochendefektauffüllung entwickelten sich vornehmlich lumbal postoperativ sowie insbesondere nach der Implantatentfernung signifikante Korrekturverluste (ossär/intervertebral) von durchschnittlich 12°. Die transpedikuläre Durchführung intra- und interkorporeller Spongiosaplastiken reduzierte diese sekundären Deformationsprozesse um die Hälfte, was sich lediglich durch die Anwendung operationstechnisch aufwendiger, kombinierter dorso-ventralseitiger Instrumentationen noch verbessern ließ.

Zusammenfassung Bis in die achtziger Jahre stützte sich die operative Wirbelbruchbehandlung in erster Linie auf das Harrington-Verfahren und auf das von Ziehlke angegebene VDS-System. Beide Methoden waren primär für die Korrektur von Skoliosen entwickelt worden und vermochten dem Anspruch einer suffizienten Stabilisation von frakturierten Wirbeln nicht nachzukommen. Erst als es Roy Camille gelang, über transpedikulär eingebrachte Schrauben Wirbelfrakturen zu reponieren und zu fixieren und diese Schrauben dann auch noch winkelstabil durch einen vertikalen Kraftträger miteinander zu verbinden, war der entscheidende Fortschritt in der Behandlung von Wirbelfrakturen erreicht. Durch die Möglichkeiten der modernen bildgebenden Verfahren, insbesondere des Computertomographen, erfuhr die Diagnostik von Wirbelfrakturen eine deutliche Verbesserung, was letztlich dem Verständnis des "Instabilitätsbegriffes" diente und die Erarbeitung einer indikationsentscheidenden Klassifikation für Wirbelsäulenläsionen ermöglichte. Künftige Entwicklungen sind zu sehen in der Anwendung navigationsgestützter minimalinvasiver Zugangswege und Techniken, wodurch die biomechanisch sinnvollen kombinierten dorso-ventralen Interventionen an Akzeptanz gewinnen werden.

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