Technische Thermodynamik Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungen von Günter Cerbe, Gernot Wilhelms

15., aktualis. Aufl

Technische Thermodynamik – Cerbe / Wilhelms schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Hanser München 2008 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 446 41561 4

Inhaltsverzeichnis: Technische Thermodynamik – Cerbe / Wilhelms

Günter Cerbe, Gernot Wilhelms

Technische Thermodynamik Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungen ISBN-10: 3-446-41561-0 ISBN-13: 978-3-446-41561-4 Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.hanser.de/978-3-446-41561-4 sowie im Buchhandel.

52

2

Erster Hauptsatz der Thermodynamik

2.1

Energieerhaltung, Energiebilanz

Der erste Hauptsatz verallgemeinert den Energiebegriff und postuliert das Naturgesetz von der Erhaltung der Energie. Er ist Grundlage fu¨r die Bilanzierung von Energien. Fu¨r ein System und seine Grenzen lassen sich gespeicherte Energie und transportierte Energie unterscheiden. Die in einem System gespeicherte Energie ist eine wichtige Zustandsgro¨ße des Systems. Sie ist eine extensive Zustandsgro¨ße, d. h., beim Zusammenfu¨gen von mehreren Systemen addieren sich deren Energien. Man unterscheidet verschiedene Formen von gespeicherter Energie, z. B. potenzielle Energie, kinetische Energie, innere Energie. Steht das System in Wechselwirkung mit einem anderen System oder mit seiner Umgebung, wird z. B. das Volumen des Systems vera¨ndert, so u¨berschreitet Energie die Systemgrenze. Formen solcher transportierter Energie sind Arbeit und Wa¨rme. Wird Energie in Form von Arbeit u¨ber die Systemgrenze transportiert, sagt man, dass Arbeit verrichtet wird. Wird Energie in Form von Wa¨rme u¨ber die Systemgrenze transportiert, sagt man, dass Wa¨rme u¨bertragen wird. Bei offenen Systemen u¨berschreitet mit dem Stoff auch die darin gespeicherte Energie die Systemgrenze. Wird keine Energie u¨ber die Systemgrenze transportiert (abgeschlossenes System), so bleibt die im System gespeicherte Energie erhalten (Energieerhaltungssatz). Wird Energie u¨ber die Systemgrenze transportiert, so a¨ndert sich die gespeicherte Energie um den gleichen Betrag (Energiebilanz). Nachfolgend werden die in der Thermodynamik vorkommenden Energieformen na¨her behandelt.

2.2

Arbeit am geschlossenen System

Volumena¨nderungsarbeit. Wir fu¨hren einem Gas in einem geschlossenen System durch einen Kolben Arbeit zu, indem wir das Gas reversibel verdichten (B 2.1 a). Das Gas nimmt im Ausgangszustand, den wir in der Regel durch den Index 1 kennzeichnen wollen, das Zylindervolumen V1 ein und befindet sich unter dem Druck p1. Nach der Arbeitszufuhr hat sich das Zylindervolumen auf V2 verkleinert, wa¨hrend der Druck auf p2 gestiegen ist. Den Endpunkt nach einer Zustandsa¨nderung wollen wir normalerweise durch den Index 2 kennzeichnen. Wir tragen den Ausgangs- und Endzustand in ein Koordinatensystem mit den Achsen p und V ein und verbinden diese Punkte durch die dazwischen liegenden Zustandspunkte (B 2.1 b). Die aufzuwendende Arbeit ist nach den Gesetzen der Mechanik Arbeit ¼ Kraft  Weg Fu¨r eine beliebige Zwischenstellung des Kolbens gilt, mit der senkrecht auf den Kolben wirkenden Kraft F und dem Weg ds: dW ¼ F  ds Die Kolbenkraft F ha¨lt der entgegengerichteten Kraft des auf die Kolbenfla¨che A wirkenden Gasdruckes p das Gleichgewicht F ¼ p  A

53

2.2 Arbeit am geschlossenen System

2

B 2.1 Volumena¨nderungsarbeit

Oben eingesetzt ergibt sich dW ¼ p  A  ds Das Produkt A  ds stellt die Volumena¨nderung dV dar. dWvrev ¼ p dV Wir legen eine quasistatische Zustandsa¨nderung zugrunde und vernachla¨ssigen damit kleine Irreversibilita¨ten im Inneren. Dann ist dWvrev ¼ dWv , integriert: Ð2 Wv 1 2 ¼  p dV

geschlossenes System

(Gl 2.1)

1

Neben den inneren Irreversibilita¨ten ko¨nnen von außen verursachte Dissipationseffekte auftreten. Wir definieren als Volumena¨nderungsarbeit Wv 1 2 (sprich: w v eins zwei) die einem geschlossenen System reversibel u¨ber die Systemgrenze zu- oder abgefu¨hrte Arbeit. Die Systemgrenze kann adiabat oder nichtadiabat sein. Das Vorzeichen der Volumena¨nderungsarbeit Wv 1 2 ist aufgrund des oben gemachten Ð2 Ansatzes bei zugefu¨hrter Arbeit positiv, da p dV bei Volumenverringerung negativ 1

wird. Wird die Volumena¨nderungsarbeit vom System an die Umgebung abgegeben, so sind die Zustandspunkte 1 und 2 gegenu¨ber der Darstellung in B 2.1 b vertauscht, woÐ2 durch p dV positiv und damit die Arbeit Wv 1 2 negativ werden. Diese Regel, nach 1

der zugefu¨hrte Energie positiv, abgefu¨hrte Energie negativ ist, gilt fu¨r alle Energiearten. Ð2 Der Betrag der Volumena¨nderungsarbeit ha¨ngt von dem Wert des Integrals p dV ab. 1

Zur Durchfu¨hrung der Integration muss ein formelma¨ßiger Zusammenhang zwischen p und V, d. h. der Verlauf der Zustandsa¨nderung, bekannt sein. Die Volumena¨nderungsarbeit ist demnach vom Verlauf der Zustandsa¨nderung abha¨ngig, sie ist eine Prozess-

54

2 Erster Hauptsatz der Thermodynamik

gro¨ße, keine Zustandsgro¨ße. Das Produkt p dV kann im p,V-Diagramm durch den schraffierten Fla¨chenstreifen grafisch dargestellt werden (B 2.1 b). Das Integral u¨ber p dV und damit die gesamte Volumena¨nderungsarbeit sind durch die Fla¨che unter der Zustandsa¨nderung zur V-Achse darstellbar. Bezogen auf die Masse ergibt sich die spezifische Volumena¨nderungsarbeit wv 1 2 ¼

Ð2 Wv 1 2 ¼  p dv m 1

Dissipationsenergie. Durch Reibung und andere Vorga¨nge wird Energie entwertet, wir bezeichnen sie als Dissipationsenergie oder Dissipationsarbeit Wdiss 1 2 . Den gro¨ßten Anteil an der Dissipation hat die Reibungsarbeit Wr 1 2 . Oft wird daher auch nur von Reibungsarbeit gesprochen, wobei sonstige dissipative Effekte vernachla¨ssigt bzw. im Begriff „Reibungsarbeit“ beru¨cksichtigt sind. 1) Die gesamte am geschlossenen System verrichtete Arbeit Wg 1 2 kann somit aus Volumena¨nderungsarbeit und Dissipationsenergie (z. B. nach B 2.4 b) bestehen. Wg 1 2 ¼ Wv 1 2 þ Wdiss 12

geschlossenes System

Ð2 Wg 1 2 ¼  p dV þ Wdiss 1 2

geschlossenes System

(Gl 2.2) (Gl 2.3)

1

Die Dissipationsenergie kann dem System nur zugefu¨hrt werden, sie ist somit immer positiv.

B 2.2 Zustandsa¨nderung und Volumena¨nderungsarbeit mit und ohne Dissipation bei adiabatem, geschlossenem System

1) Wir verstehen unter dem Begriff Reibungsarbeit immer dissipierte Energie. Das ist z. B. bei reibungsbehafteten Stro¨mungsprozessen zu beachten. Bei ihnen erzeugen Schubspannungen, die die Verformung und Bewegung verursachen, Reibung. Es wird aber nur derjenige Anteil der Arbeit dissipiert, der die Verformung bewirkt (Na¨heres s. z. B. [6]). Im a¨lteren Schrifttum findet man auch die Bezeichnung Reibungswa¨rme statt Reibungsarbeit, da Reibungsarbeit wie zugefu¨hrte Wa¨rme wirkt.

55

2.2 Arbeit am geschlossenen System

Auf die Masse m bezogen ergeben sich die spezifischen Arbeiten:

2

Ð2 wg 1 2 ¼ wv 1 2 þ wdiss 1 2 ¼  p dv þ wdiss 1 2 1

Bei Kompression oder Expansion auftretende Dissipation kann den Verlauf der Zustandsa¨nderung und damit auch die Volumena¨nderungsarbeit Wv 1 2 beeinflussen. So wird z. B. bei adiabater Systemgrenze infolge von Dissipation der Enddruck bei gleiÐ2 cher Volumena¨nderung gro¨ßer, sodass auch der Betrag des Integrals  p dV und da1 mit die Volumena¨nderungsarbeit gro¨ßer werden (B 2.2). Nutzarbeit an der Kolbenstange. Die Volumena¨nderungsarbeit wird zwischen dem System und dem Kolben (B 2.1) u¨bertragen. Wird durch die Volumena¨nderung auch das Volumen einer unter konstantem Druck befindlichen Umgebung (z. B. auf der Erde) gea¨ndert, so ist die Verschiebearbeit Wu 1 2 zu beru¨cksichtigen. Wu 1 2 ¼ pb ðV2  V1 Þ

(Gl 2.4)

Die Volumena¨nderungsarbeit Wv 1 2 teilt sich auf diese Verschiebearbeit und die an der Kolbenstange u¨bertragenen Nutzarbeit Wn 1 2 auf (B 2.3): Wv 1 2 ¼ Wu 1 2 þ Wn 1 2

B 2.3 Nutzarbeit an der Kolbenstange Wn 1 2 und Verschiebearbeit Wu12 am geschlossenen System

Die Nutzarbeit an der Kolbenstange ist: Wn 1 2 ¼ Wv 1 2  Wu 1 2

geschlossenes System

(Gl 2.5)

Ð2 Wn 1 2 ¼  p dV þ pb ðV2  V1 Þ 1

Ð2 Wn 1 2 ¼  ðp  pb Þ dV

geschlossenes System

(Gl 2.6)

1

In Wn 1 2 ist a¨ußere Irreversibilita¨t nicht beru¨cksichtigt. Diese wird durch den mechanischen Wirkungsgrad erfasst, den wir bei den Maschinen einfu¨hren (z. B. Abschn. 4.1.3 und 4.5.2).

56

2 Erster Hauptsatz der Thermodynamik

2.3

Innere Energie

Wir fu¨hren einem adiabat eingeschlossenen Gas Volumena¨nderungsarbeit Wv 1 2 zu (B 2.4 a). Da Energie nicht verloren gehen kann, muss die als Volumena¨nderungsarbeit zugefu¨hrte Energie im Gas gespeichert werden. Eine gleich große Energie wird einem a¨hnlichen System (B 2.4 b) durch einen Ru¨hrer zugefu¨hrt (Wellenarbeit Ww 1 2 ). 1) Dieser Vorgang ist irreversibel, die Arbeit dissipiert im System, es handelt sich um Dissipationsenergie Wdiss 1 2. Dann wird die gleiche Energie wie vorher im Gas gespeichert, da vom System keinerlei Energie an die Umgebung abgegeben wird.

B 2.4 Arbeitszufuhr an ein adiabates, geschlossenes System

Die in einem System gespeicherte Energie nennen wir innere Energie U. Wird einem adiabaten, geschlossenen System Arbeit zugefu¨hrt, so muss die innere Energie steigen: Ð2

dWg ¼

1

Ð2

dU

1

Wg 1 2 ¼ U2  U1

adiabates, geschlossenes System

(Gl 2.7)

Wir erkennen: Es tritt trotz verschiedener Arten von zugefu¨hrter Arbeit die gleiche Erho¨hung der inneren Energie des Systems ein. Auch bei Verteilung der Arbeit auf gleichzeitig auftretende Kompression und Dissipation wu¨rde die Erho¨hung der inneren Energie gleich groß sein. Wir folgern daraus: Die einem adiabaten, geschlossenen System zugefu¨hrte Arbeit erho¨ht die innere Energie U des Systems. Da diese Erho¨hung nur von dem Betrag, nicht von der Art der Arbeit abha¨ngt, ist die innere Energie eine Zustandsgro¨ße. Sie geho¨rt zur Gruppe der kalorischen Zustandsgro¨ßen. Die innere Energie U stellt den Energievorrat eines Systems dar. 2)

U Bezogen auf die Masse ergibt sich die spezifische innere Energie u ¼ und die spezim fische Arbeit Wg 1 2 ¼ u2  u1 adiabates, geschlossenes System m Der absolute Wert der inneren Energie ist hoch, er umfasst z. B. auch die in den Elektronen und Atomkernen gespeicherte Energie. Dieser Wert ist fu¨r technische Berechwg 1 2 ¼

1) Definition s. Gl 2.23. Die Dissipation von Wellenarbeit ist natu¨rlich nicht sinnvoll. Sie wird hier lediglich zur Veranschaulichung der Begriffe herangezogen. 2) Ferner geho¨ren potenzielle und kinetische Energie zur Energie eines Systems. Wir beschra¨nken unsere Betrachtungen aber auf ruhende Systeme, in denen sich kinetische und potenzielle Energie nicht a¨ndern.

57

2.3 Innere Energie

nungen bedeutungslos, es genu¨gt daher, mit Energiedifferenzen zu rechnen oder einen Nullpunkt zu vereinbaren. Ho¨here innere Energie wirkt sich als vergro¨ßerte kinetische und potenzielle Energie der Moleku¨le des Systems aus. Gehen in dem untersuchten System chemische Umwandlungen vor sich, so ist die chemisch gebundene Energie als Teil der inneren Energie zu beru¨cksichtigen. Beispiel 2.1: In einem adiabaten Zylinder von 500 l (B 2.5) befindet sich ein Gas, dessen Druck durch einen konstant belasteten Kolben auf 200 kPa (abs.) gehalten wird. Dem Gas wird durch Wellenarbeit die Dissipationsenergie Wdiss 1 2 ¼ 0,2 kW h zugefu¨hrt, wobei sich die Temperatur von 18  C auf 600  C erho¨ht. Der Umgebungsdruck betra¨gt 98 kPa. Die Volumena¨nderung soll quasistatisch verlaufen. Fu¨r die Berechnung der Volumenvergro¨ßerung soll na¨herungsweise ideales Gas zugrunde gelegt werden. a) Wie groß ist die abgefu¨hrte Volumena¨nderungsarbeit? b) Um welchen Wert a¨ndert sich die innere Energie des Systems? c) Wie groß ist die an die Umgebung abgegebene Verschiebearbeit? d) Wie groß ist die an die Kolbenstange abgegebene Nutzarbeit? Lo¨sung: Zu a): Volumena¨nderungsarbeit (Gl 2.1) bei konstantem Druck: Ð2 Wv 1 2 ¼  p dV ¼ p ðV2  V1 Þ 1

Hierin V2 (Gl 1.18): V2 ¼ V1 Wv 1 2

T2 873,15 K ¼ 500 l ¼ 1500 l T1 291,15 K

B 2.5 Zufuhr von Dissipationsenergie an ein adiabates, geschlossenes System

N m3 kJ ¼ 200  10 Pa ð1500  500Þ l 3 2 10 l 103 N m Pa m 3

Wv 1 2 ¼ 200 kJ

¨ ðneg:; d: h: abgef uhrtÞ

Zu b): Fu¨r adiabate Systeme gilt Gl 2.7, in die wir Gl 2.2 einfu¨hren: U2  U1 ¼ Wg 1 2 ¼ Wv 1 2 þ Wdiss 1 2 ¼ 200 kJ þ 0,2 kW h 3,6  103 U2  U1 ¼ þ520 kJ

ðpos:, d: h:; die innere Energie steigtÞ

Zu c): Verschiebearbeit (Gl 2.4) Wu 1 2 ¼ pb ðV2  V1 Þ Wu 1 2 ¼ 98  103 Pa Wu 1 2 ¼ 98 kJ

N m3 kJ ð1500  500Þ l 3 2 10 l 103 N m Pa m

¨ ðneg:, d: h: abgef uhrtÞ

Zu d): Nutzarbeit an der Kolbenstange (Gl 2.5): Wn 1 2 ¼ Wv 1 2  Wu 1 2 ¼ 200 kJ  ð98 kJÞ Wn 1 2 ¼ 102 kJ

¨ ðneg:, d: h: abgef uhrtÞ

kJ kW h

2