Katharina Blumberg-Stankiewicz

Tanz auf zwei Hochzeiten Eine Podiumsveranstaltung im Polnischen Institut Berlin am 13.9.2007 Eleonora Hummel, Kemal Hür und Adam Soboczynski - gestandene MigrantInnen der „zweiten Generation“ tanzen gern mit, reklamieren aber kein eigenes Fest binationaler Zugehörigkeit

Drei erfolgreiche, dem Publikum zugewandte Journalisten bzw. BuchautorInnen finden sich zum Diskussionsabend ein. Genauer gesagt: das Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften hat zusammen mit dem Polnischen Institut in Berlin zum “Tanz auf zwei Hochzeiten” geladen. Auf dem Podium geht der etwas überraschte Blick um: tatsächlich sind viel mehr Besucher gekommen, als erwartet. Die Moderatorin sagt ins Mikrofon, was alle auf dem Podium versammelten Gäste – geboren in Kasachstan, in der Türkei und in Polen – miteinander verbindet: es ist die Erfahrung, in den frühen 1980er Jahren, ohne es selbst entscheiden zu können, nach Deutschland gekommen zu sein. Die Gemeinsamkeit der Migrationserfahrung - ein Thema, das die Diskussionsgäste in einer Sonderrolle stilisiert? Oder eine Banalität? Als Kinder von de-facto Einwandererfamilien haben sie nicht selbst den Schritt der Migration gewählt, leben und erleben aber doch ganz unmittelbar seine Auswirkungen und Folgen. Dass diese Menschen mit Migrationshintergrund einen beträchtlichen Anteil an der Gesamtbevölkerung stellen, ist mittlerweile statistisch ermittelt worden. Bekannt ist auch, dass mit ihnen einerseits die Sorge um Desintegration, Kriminalität und Fundamentalismus verbunden wird, andererseits das Staunen über ihren sozialen Aufstieg und das Übernehmen von wichtigen Positionen, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im deutschen Beamtentum – nicht nur als Polizisten, sondern auch als Pädagogen und Lehrer. Wenig konventionell ist, dass Journalisten und BuchautorInnen selbst auf einem Podium darüber ins Gespräch kommen, wie es sich als “zweite Generation” in Deutschland lebt. Alltäglich bedienen sie sich professionell der deutschen Sprache und vermeiden dabei, eine Nische migrantischen Lebens zu besetzen. Dabei ist die eigene Migrationserfahrung ein wichtiges, ein persönliches Thema. Eleonora Hummel (“Die Fische von Berlin”, Steidl) wird als Russland-Deutsche vorgestellt, Kemal Hür (RBB) als Sohn einer kurdischen Gastarbeiterfamilie, und Adam Soboczynski (“Polski Tango”, Kiepenheuer; die Zeit) als Sohn

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polnischer Eltern, die in Deutschland als Migranten in ihrem Integrationsprozess gar nicht aufgefallen, „unsichtbar“ geworden waren. Wie verlief der erste Tag in Deutschland, wie sahen die ersten Eindrücke in der neuen Schule aus? Geduldig beantworten die Podiumsgäste die Fragen, die auf ihre Kindheit zurückgehen. Dabei bleiben die Anekdoten selbstverständlich nicht aus. So erzählt Hummel, wie das ersehnte „goldene Paradies“ zunächst seine Endstation in Dresden nahm, in der damaligen DDR, wo es die versprochenen bunten West-Kaugummis enttäuschenderweise nirgendwo zu kaufen gab. Soboczynski erinnert sich an das Dilemma, mit seinen Eltern im Aussiedler-Aufnahmelager in Unna-Massen in der Warteschlange zur Essensausgabe anstehen zu müssen – trotz der Prophezeiung, dass man Westen nie mehr Schlange stehen müsse! Hür berichtet, wie er nach gut zwei Jahren „Förderunterricht“ für türkische Kinder endlich in eine „normale“ Schulklasse kam und dort zunächst als Streber verschrien wurde, weil er der so genannten „Alten da vorne“ lieber respektvoll zuhören wollte und es lieber nicht wagte, mitten im Unterricht über seine Fußballtalente Auskunft zu geben. Das sind kleine Erzählungen, denen man gut und gerne zuhören kann. Kindheitsepisoden, die ein Stück gelebte – und in der Öffentlichkeit vielleicht ein wenig verpasste – Geschichte des Einwanderungslandes Deutschland widerspiegeln. Aber wozu die Metaphorik des Hochzeitstanzes? Ist es das, was Menschen mit Migrationshintergrund zu tun pflegen – auf zwei Familienfeiern zugleich zu tanzen? Sind sie einer ständigen Akrobatik oder auch Verrenkungsübung unterworfen, weil sie sich Loyalitätskonflikten oder zumindest einer gewissen Unentschlossenheit in Zugehörigkeitsfragen nicht entziehen können? Wird hier eine vorübergehende Haltung einer kleinen Minderheit betrachtet, die sich in den letzten Zügen ihrer Integrationsleistung befindet - oder geht es nicht vielmehr um einen Perspektivwandel innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, die vielleicht schon längst das Bild von der „richtigen“ Hochzeit verworfen hat, und das Kombinieren von verschiedenen Bräuchen und Gewohnheiten nicht nur erlaubt, sondern auch selbst praktiziert? Wenn Soboczynski von den häufig an ihn herangetragenen Fragen zur Zeit der Fußball-WM berichtet, ob er denn nun für die Deutschen oder Polen wetteifere, deutet sich an, dass sich ein Perspektivwandel innerhalb der Gesellschaft nicht allzu stark vollzogen hat. Er selbst hat auf die WM-Frage nur ausweichend antworten können: „das kommt ganz auf den Spielverlauf an.“ Auch Hummel und Hür nennen Beispiele dafür, dass sie bestimmte Fragen nach Zugehörigkeit nur umgehen können. So vermeidet Hummel allein den Begriff der Heimat. Herkunftsbezogene Fragen kann sie nur paraphrasierend beantworten. Dabei

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verbietet es sich, dieses Umgehen und Ausweichen darauf zurückzuführen, dass Hummel als Romanautorin einer Bildungselite angehört und intellektualisierend einen Kontext anstelle einer eindeutigen Herkunftsbenennung vermitteln möchte. Klipp und klar hält sie fest, dass sie selbst – aufgrund der Migrations- und Deportationsgeschichte ihrer Familie – keine Heimat habe, zugleich aber Menschen beneide, die ihre Heimat benennen können. Hür weist darauf hin, dass er sich im Ausland unhinterfragt als Deutscher vorstellen könne, in Deutschland hingegen nähme ihm dies keiner ab. Häufig mache er deshalb hier seine Herkunft deutlich, wenn er sich mal wieder als „Kemal, der Kurde“ vorstellt. Dabei überkommt ihn das Gefühl der Fremdheit ausgerechnet in der Türkei, in Istanbul. Nicht in der Dorflandschaft Anatoliens, sondern ausgerechnet in einem der zahlreichen „westlichen“ Clubs, die er in anderen Hauptstädten der Welt ganz entspannt aufsuchen könnte, erscheint es ihm in der Hauptstadt der Türkei unbehaglich. Eine kosmopolitische Selbstverortung kann nicht immer tragen, wenn Heimat – oder Zweiheimischsein – zugeschrieben und immer wieder neu aufgesucht wird. Es wäre verfehlt, dieserart Geschichten als kleine Episoden abzutun, in denen es um eine rasant schnell gemeisterte Anpassung geht, die nur hin und wieder ein melancholisches Aufflackern von Fremdheit erlaubt. Was die drei Podiumsgäste in Frage stellen, ist vielmehr, inwieweit es heutzutage selbstverständlich ist, als Mensch mit vielfachen nationalen und kulturellen Bezügen aufzutreten und seiner binationalen oder multikulturellen Integrität entsprechend wahrgenommen zu werden. In Soboczynskis „Polski Tango“ sind die Momente, in der die persönliche „polnische Vergangenheit und (...) deutsche Gegenwart zu einem einzigen, einem harmonischen Bild verschmolzen“ erscheinen, die wichtigsten. Aber sie werden sehr einsam erlebt, fast typisch dazu das Bild der Zugfahrt, die solcherart Gedanken erlaubt. Bei Lesungen seines Buches müsste die Frage ans Publikum eigentlich lauten, ob und in wieweit diese wichtigen Momente nachvollziehbar erscheinen – und was sie zum Blick auf das Nachbarland Polen beitragen können. Doch wie häufig spricht zuvorderst – je nach Publikum – der ‚deutsche Expertenblick’ auf das Nachbarland Polen an, beziehungsweise in Polen die Frage, ob es denn noch ein ‚echter einheimischer Blick’ sei, der auf das Geburtsland Polen gerichtet wird? Auf dem Podium im Polnischen Institut meint Soboczynski optimistisch, dass es doch immerhin diese gut besuchten Foren und Säle gäbe, die sich für die Geschichten von Menschen mit Migrationshintergrund interessierten. Hür ist da kritischer. Er wendet sich gegen das angeheizte Thematisieren und Hinaufbeschwören von Parallelgesellschaften – nicht, um bestehende soziale Probleme kleinzureden, sondern um darauf aufmerksam zu

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machen, dass die zweite Generation der MigrantInnen noch viel weiter in der kulturellen Mitte der Gesellschaft ankommen könnte, als dies bislang in Deutschland der Fall ist. Schmunzelnd erzählt er von einer Einladung einer cross-over Musikgruppe in die Carnegie Hall. „So weit sind die dort“, in New York City. In Berlin hingegen spielten er und seine musikalischen Freunde nicht auf den von den Feuilletons gefragten Bühnen, sondern auf spezialisierten Festivals, doch eher in multikulturellen Nischen. Wenn eins deutlich wurde in diesen Aussagen der Podiumsgäste, dann ist es der Verzicht auf eine altbackene Mulitkulti-Kuschelromantik. Es geht ihnen nicht um das auffällige Betonen eines Bezuges zum Herkunftsland, und auch nicht um den Hinweis auf eine schwierige Doppelidentität, die besonderer Ankerkennung bedürfe. Vielmehr scheinen sie auszuloten, wie weit man sich mit den individuellen Erfahrungen und Kenntnissen auf wenig spektakuläre, aber doch würdevolle Weise in einen deutschsprachigen Mainstream hineinbewegen könne. Sie wollen keine Nische der Zugehörigkeit belegen – da erscheint auch das Angebot eines Lokalpatriotismus, etwa in erster Linie gern Berliner zu sein – nur wenig überzeugend. Aktiv partizipierend geht es ihnen darum, durchaus national definierte Karrierepfade zu erklimmen, ohne dabei das eigene Gesicht zu verlieren. Sprich, es geht um die Frage, wie viel pluralistisch orientierte kulturelle Teilhabe in einer national konstituierten Gesellschaft möglich ist, ohne eine Art Migrantenkarte oder lokalpatriotischen Sonderstatus ausspielen zu müssen. Das was dabei reklamiert wird, ist die möglichst große Selbstverständlichkeit einer solchen Teilhabe. Ihre Gemeinsamkeit als „zweite Generation“ macht sich nur zum Teil daran fest, dass die Podiumsgäste von mehr oder weniger abweichenden Erfahrungen zu Florian Illies’ „Generation Golf“ berichten. Etwa weil sie neben „Wetten, dass...?“ und Playmobil-Frieden zusätzlich noch weniger friedvolle Geschichten der putzenden Mutter oder der verwaltungsgeplagten Eltern mitbekommen haben, die, des Deutschen nicht mächtig, die Hilfe der Kinder beim Ausfüllen von Formularen in Anspruch genommen haben. Eine Gemeinsamkeit besteht eher darin, ggf. vehement auf eindeutige Nischen-Zuweisungen zu verzichten bzw. diese geschickt zu umschiffen. Vermittler zwischen den Kulturen – das könne man gern mal machen – „aber nicht unbedingt als Lebensaufgabe.“ Experte zu Migrationsfragen – „ja, aber bitte nicht ausschließlich.“ Wer will den schon gern „der Türke vom Dienst“ sein? Auch dieser Verzicht, so konnte man von Hür hören, wird im journalistischen Alltag keinesfalls als Selbstverständlichkeit aufgefasst. Einen Migrationshintergrund zu haben, das heißt anscheinend nicht nur, über Wahlmöglichkeiten zu verfügen – und schon gar nicht, in einer Multioptionalität zu

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schwelgen. Wer Hummels Buch liest, der bekommt eine Ahnung davon, wie groß das Bedürfnis sein kann, die Migrationsgeschichte der eigenen Familie aufzuarbeiten, gerade auch wenn sie bis zur Deportationsgeschichte der Großelterngeneration zurückreicht bzw. mit dieser eng verwoben erscheint. Letztlich liefern, so Soboczynski, Menschen mit Migrationshintergrund selbst die Thesen dafür, welche Eigenschaften die zweite Generation charakterisieren. Eine dieser Thesen besagt, dass es der Hang zur „Überkompensation“ sei, nämlich die nicht erbrachten Integrationsleistungen der Eltern wettzumachen. Nun kann die Anekdote eines Germanistikstudenten, der taxierend auf den Migrationshintergrund des Kommilitonen als Motiv bei der Studienwahl zu sprechen kommt, als klischeehaft belächelt werden. Aber ist die selbstironisch begleitete Strebsamkeit bzw. Anpassungs- und Aufstiegsleistung nicht auch ein brauchbares Bild für das Zusammenleben in einer sich ausweitenden Mehrheitsgesellschaft? „Klar,“ lacht Hür, auch er hat Germanistik studiert. Warum also sollten nicht Soziologen, Medien- und Bildungsexperten tatsächlich mal genauer schauen, was sich in den Deutschstunden an Schulen und in den Germanistikvorlesungen an Universitäten abspielt? Sozusagen als Alternative zur entmutigenden Analyse der PISAStudienergebnisse. Bildungseliten mit Migrationshintergrund mit in den Blick zu nehmen heißt eben nicht, die soziale Exklusionstendenz im deutschen Bildungssystem zu verkennen. Vielmehr bietet sich die Chance, Migrationserfahrungen als relevanten Faktor in Bildungsbiographien differenzierter kennenzulernen, um letztlich kreativere Lösungen für existierende Probleme im Bildungsbereich zu finden. Um die vielen Bilder und Beispiele der Podiumsgäste zusammenzufassen, bedarf es keiner komplexen philosophisch-theoretischen Folie. Menschen mit Migrationshintergrund zeichnet aus, dass sie eben Menschen wie alle anderen sind, mit Erfahrungen, die keineswegs nur sie auszeichnen, die sie aber in mancherlei Hinsicht eventuell verschärft zugespitzt, manchmal etwas angestrengt, aber doch ganz bei sich, gemacht haben. Auf zwei Hochzeiten tanzen sie gern mit, aber, so Hür, „bitte in einem Saal.“ Bloß keinen Extra-Saal eröffnen.

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