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SWR2 Wissen Der Maler Francis Bacon Ein Leben voller Schmerz und Lust Von Martina Conrad Sendung: Donnerstag, 27. April 2017, 8.30 Uhr Redaktion: Anja Brockert Regie: Nicole Paulsen Produktion: SWR 2017

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MANUSKRIPT Regie: Collage über Musik O-TON 1 (Umfrage) Francis Bacon ist für mich ein wunderbarer Maler, und zwar ein Maler. Ich schätze ihn sehr und zwar seit ich Kind war. Ich komme aus Mannheim. Es hängt da ein Porträt vom Papst und ich hab‘ das als Kind schon gesehen. O-TON 2 (Engler) Bacon ist extrem polarisierend, weil er es eben geschafft hat, sich ein Leben lang am Körper abzuarbeiten. Immer wieder brutalst zu deformieren, zu vergewaltigen, in verschiedenster Art und Weise auch auflöst, ohne aber jemals die Liebe zum Körper, auch seine eigene Liebe zum männlichen Körper, die da reinspielt, die aufzugeben. Es ist immer ein Doublebind zwischen Aggression und einem unwahrscheinlich liebevollen Begehren. O-Ton 3 (Umfrage) Die physische Gegenwart, die Dimensionen, die Intimität, die man hat mit ihm, diesem wunderbarsten Menschen. Seine unglaubliche Zärtlichkeit, Verzweiflung, Erotik in jeder Form der Malerei. O-TON 4 (Umfrage) Eine zerrissene Persönlichkeit. Er hat ein bewegtes Leben gehabt und das sieht man in seinen Bildern. ANSAGE: Der Maler Francis Bacon - Ein Leben voller Schmerz und Lust. Eine Sendung von Martina Conrad. Sprecherin: Das Werk von Francis Bacon polarisiert. Auch 25 Jahre nach dem Tod des Künstlers versetzt es viele Kunstfreunde in Begeisterung. Andere lehnen seine Bilder vehement ab. Tatsächlich sind Bacons Gemälde kein purer Genuss, kein leichter Kunstkonsum. Der Maler war besessen vom Fleisch: blutend, sich windend agieren seine Figuren auf bühnenartigen Plattformen und in leeren Räumen. Nichts außer der Existenz hat Gewicht, und diese Existenz ist pures inszeniertes Drama. Regie: Leise Musik, darüber: Sprecherin: Geboren wurde Francis Bacon 1909 in Dublin. Er war Sohn eines Pferdetrainers, wuchs ohne regelmäßige Schulbildung auf und machte schon in Jugendjahren Erfahrung mit Gewalt auf der Straße. Bacon war Autodidakt, lebte exzessiv, verschrieb sich mal dem einen, mal dem anderen Dämon. So schillernd sein Leben war, so charismatisch ist seine Kunst. O-TON 5 (Lange) 2

Francis Bacon ist ein Künstler, der eigentlich über jeden Zweifel erhaben ist. Francis Bacon ist nicht deshalb erhaben, weil er so hohe Werte auf dem Kunstmarkt erzielt, sondern er ist als Maler wirklich derjenige, der überzeugt mit seinem Beitrag zwischen Figuration und Abstraktion. Und seiner Qualität Dinge zu erzählen, ohne narrativ zu werden. Francis Bacon kann kommentieren, ohne vorher etwas berichtet zu haben. Und es ist interessant, dass er immer noch polarisiert, denn eigentlich geht es letztlich ja nur um Malerei, und was Malerei über unser Menschsein zu sagen hat. Sprecherin: Christiane Lange, Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart. Sie widmete Bacon im Herbst 2016 eine große Ausstellung. Unter den Besuchern waren viele Fans. O-Ton 6 (Umfrage) Die Leichtigkeit, das ästhetische Glück, das uns in fast jedem Bild begegnet. Das nicht auf einen Satz Reduzierbare, erinnert einen, was ästhetischer Genuss und Herausforderung der Gegenwart bedeutet. O-Ton 7 (Umfrage) Ich fand’s interessant ihn mal so kennenzulernen, weil ich eigentlich alles aus Büchern kenne und alle Bilder kenne aus Katalogen. Es hat sehr geschockt im ersten Moment, das so zu sehen. Und alles wieder neu zu sehen. O-Ton 8 (Umfrage) Es ist ein grandioser Maler. Es ist unglaublich, wie er die Verlassenheit und Einsamkeit von Menschen übersetzt. Er ist brutal, er geht an die Existenz. Mich berührt das sehr. Sprecherin: Glaubt man den Bildern von Francis Bacon, so ist das Menschsein ein Kampf. Der Körper ist schutzlos seinen Gefühlen, seinen Trieben und Abgründen ausgeliefert. Regie: Musik (z.B. I feel like a Francis Bacon painting Sprecherin: Schon zu Lebzeiten war der Künstler eine Legende, Idol einer ganzen Generation und der Schwulenbewegung. Sein Leben und seine Kunst haben zahlreiche Filmemacher, Tänzer und Musiker inspiriert. So komponierte etwa Gerard Schurmann für das BBC Symphony Orchestra „Six studies of Francis Bacon“. Regie: Musik (z.B. Bacon Three, Screaming Popes) O-TON 9 (Engler) Francis Bacon ist sicher der spannendste von einer sehr interessanten Gruppe von Künstlern, die sich nach dem Krieg aus dem Informel kommend, einerseits gegen dieses Bilderverbot gewehrt haben und zugleich eben sich immer wieder daran abgearbeitet haben. Wie kann man den Körper retten? Sprecherin: 3

Martin Engler, Kurator am Städel Museum in Frankfurt. Radikal, schonungslos und in sich verdreht malte Bacon Zeit seines Lebens den Menschen, am liebsten aber den männlichen Körper. Seine Figuren haben keine Identität, kein erkennbares Gesicht. Kopf und Körper sind amorph, ohne Knochen, bestehen aus Wülsten und Muskelmassen oder scheinen sich wie ein Flaschengeist aufzulösen. Mit diesen beängstigenden, bedrückenden Bildern hat Bacon zugleich fasziniert und abgestoßen. Seine Malweise war eher traditionell, mit flachem Farbauftrag, ohne dicke, pastose Malschichten. Die ersten Bilder entstanden bereits in den 1930er Jahren, Bacon orientierte sich an Pablo Picasso. Aber das waren mehr oder weniger surreale und kubistische Studien. Der Ausgangspunkt seiner ureigenen Menschenmalerei ist ein Bild, das erstaunlicherweise keinen Mann, sondern einen Affen zeigt. Vor einem dunklen Hintergrund, schematisch angegebenem Käfigdraht und Stangen, kauert eine verschwommene Figur mit zotteligem Fell. Nur der Kopf ist durch ein paar blaue Pinselstriche hervorgehoben, die weißen Zähne sind deutlich zu sehen. O-TON 10 (Lange) Die Staatsgalerie in Stuttgart hat ein Werk von 1955 erworben, einen Schimpansen in einem Käfig. Primaten sind ja, vielleicht dauert es nochmal 100 Jahre, da werden die auch Menschenrechte kriegen. Das klingt jetzt irgendwie komisch, aber ich denke, je mehr wir in der Wissenschaft über sie erfahren, wissen wir, die sind uns so ähnlich. Sie haben genau die Möglichkeit zu lernen, sie haben Emotionen, sie haben Sozialverhalten, sie haben aggressives Verhalten wie Menschen untereinander auch. Also Primat und Mensch sind Geschwister. Es zeigt aber eben nochmal deutlich, zwischen Mensch und Affe, uns trennt eben der Anzug, oder uns trennt das Fell. Aber sonst trennt uns eigentlich nichts. Sprecherin: Dieser Schimpanse ist ein Schlüsselwerk zur Welt von Francis Bacon, vor allem der weit aufgerissene Mund zum Schrei. Der Maler äußerte sich zu Lebzeiten oft in Interviews über seine Kunst: Regie: Leise Musik, darüber: Zitator: Man könnte sagen, dass der Schrei wirklich ein Bild des Entsetzens ist. Tatsächlich aber wollte ich mehr den Schrei malen als das Entsetzen. Ich glaube, wenn ich besser darüber nachgedacht hätte, was einen zum Schreien bringt, wäre mir der Schrei, den ich zu malen versuchte, besser gelungen. Sprecherin: Mit dem Schrei als Motiv setzt Bacon sich dann sein ganzes Leben auseinander. Er erzählte einmal, dass er schon in den 50er Jahren das Bild „Der Bethlehemitische Kindermord“ des französischen Künstlers Nicolas Poussin als Abbildung gesehen habe. Die Darstellung aus dem 17. Jahrhundert, auf der ein römischer Soldat einen Säugling mit dem Schwert zerteilt und die schreiende Mutter daneben steht, wurde für ihn zum Inbegriff eines Schreis. Auch den Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergej Eisenstein von 1925 hat Bacon sich immer wieder angesehen. Hier geht es ebenfalls um eine kriegerische Auseinandersetzung: Zaristische Soldaten, die 4

einen Matrosenaufstand niederschlagen sollen, schießen in eine Menschenmenge. Wichtig für Bacon wurde der Moment, in dem eine Frau mit Kinderwagen einen Schuss abbekommt und dann mit schmerzverzerrtem, geöffnetem Mund auf der Treppe am Hafen von Odessa steht. Gleichzeitig rast der Kinderwagen die Treppe hinunter. Regie: Leise Musik, darüber Zitator: Den Film habe ich sehr früh gesehen, fast schon ehe ich zu malen begann, und er hat mich tief beeindruckt - der Film als Ganzes ebenso wie die Sequenz auf der Treppe in Odessa und diese besondere Einzelaufnahme. Eine Zeitlang hoffte ich (…) eines Tages die überzeugendste aller Darstellungen des menschlichen Schreis zu machen. Sprecherin: In seinem Bild „Studie zur Kinderfrau in dem Film Panzerkreuzer Potemkin“ von 1957 hat Bacon das Motiv aber komplett verändert und sehr reduziert. Er malte einzig und allein die Frau nackt, in einem grünen Raum. Es ist eine Art Gerüst angedeutet, fast hat man das Gefühl, sie sitzt auf einer Schaukel. O-TON 11 (Engler) In dem Fall beschäftigt er sich mit dieser Krankenschwester, als sie ins Auge geschossen wird. Und dieser Schrei, letztlich ist das ein Schrei, der die Moderne unheimlich begleitet hat, ikonisch wurde: diese existenzielle Vereinzelung, dieses Leiden und diese Brutalität ist eben hier in dieser Krankenschwester drin. Wobei man sagen muss, das ist vielmehr so ein Marsyas, dem die Haut vom Leibe gezogen wurde, auch so eine antikische Figur. Man kann, wenn man gutwillig ist, den Ansatz einer Brust erkennen. Aber eigentlich ist es ein androgyner Körper, der genauso eben ein nackter Papst sein könnte, die ja auch immer so da sitzen, die auch ganz ähnlich schreien, wie eben tatsächlich diese weibliche Protagonistin von Eisenstein. Sprecherin: Durch diese Darstellung erschafft Francis Bacon ein zeitloses allgemeingültiges Motiv. O-TON 12 (Lange) Das sind so Momente, die wirklich Grauen zum Ausdruck bringen, den gesamten Schrecken von kriegerischer Auseinandersetzung, die gesamten Schrecknisse von existenzieller Seinserfahrung – ein ähnliches Massaker wie eben aktuell das Schlachten in Syrien oder vor wenigen Jahren in Ruanda. Es geht ja immer wieder darum, wie die Menschen sich gegenseitig zerfleischen. Wie Menschen sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Sprecherin: Bacon unterstreicht die Darstellung, indem er die Figur isoliert. Wie schon der Schimpanse sitzt auch die Kinderfrau in einem leeren Raum ohne Andeutung von Möbeln oder einer Landschaft. Der weit aufgerissene Mund dominiert das ganze Bild. 5

Der leere Raum fungiert als Rahmen für die Gestalt, ist gleichzeitig aber auch ein Resonanzraum, der Leid und Qual unendlich verstärkt. Regie: Musik (z.B. Bacon Take 2: Six Studies... – Popes) Sprecherin: In seinen berühmten Papstbildern geht der Künstler sogar noch einen Schritt weiter. Immer sitzt die Papstfigur in sich zusammen gesunken, mit bleichem Gesicht auf dem Thron. Sie trägt eine zylinderförmige, violette Kappe und einen Umhang in der gleichen Farbe. Das weiße Gesicht wirkt durch den Schrei schmerzverzerrt. Den Impuls für die Papst-Bilder gab Bacon ein Gemälde von Velasquez aus dem 17. Jahrhundert, das Papst Innozenz X. zeigt. Im Laufe der Jahre hat Bacon selbst rund 50 Mal den obersten christlichen Würdenträger dargestellt. Ina Conzen, Kuratorin an der Staatsgalerie Stuttgart spricht sogar von Besessenheit: O-TON 13 (Conzen) Natürlich geht es da um den Würdenträger, der seiner Würde beraubt ist. Der trotz seiner transzendenten Gewissheiten – also das Oberhaupt der Kirche sitzt da, gefangen und schreit. Wo ist denn der Gott, der ihn beschützen soll, der ihn da irgendwie rausholen soll? Den gibt’s ja für Bacon nicht. Bacon hat ja nicht an Transzendenz geglaubt. Es gibt das Hier und Jetzt. Und dieser Papst ist eben in dieser Situation existenziell gefangen. Und wie er das jetzt mit diesen Bildräumen nochmal unterstreicht: das ist ja nicht nur der Schrei, sondern es sind diese ganzen Gestänge, die ihn nochmal so wie ein Spinnennetz umwickeln fast. Und das Bild aus dem MoMa, das ja unser Hauptmotiv ist, ist in der Tat nochmal besonders befremdlich, weil dieser Papst gar keine Arme mehr hat. Die stecken irgendwie so da drin in seinem Ornat. Und der ganze Unterkörper verschwindet in einem Kasten, aus dem er anscheinend nicht selbstständig sich befreien kann. Sprecherin: Der Papst ist somit seiner Männlichkeit, seiner Bewegungsfreiheit und seiner Selbstbestimmung beraubt. Er ist gefangen in der Ausweglosigkeit seiner Rolle und Funktion. Mit der Darstellung des Schreis ist Bacon - ebenso wie vor ihm Edvard Munch - eine allgemeingültige Parabel für die menschliche Qual gelungen. Und doch lebt er, dieser Mensch! Damit malt Francis Bacon auch vehement gegen den Tod an. Regie: Leise Musik, darüber: Zitator: Man spürt doch stets den Schatten des Lebens vorüberziehen. Ich bin 1909 in Irland geboren. Weil mein Vater Rennpferde trainierte, lebte er nicht weit von Curragh, wo ein britisches Kavallerie-Regiment lag. Ich habe noch in Erinnerung, es war kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, wie sie die Auffahrt zum Haus meines Vaters herauf galoppierten und ihre Gefechtsübungen machten. Während des Krieges dann brachte man mich nach London. (…) Und so wurde mir schon im frühen Alter bewusst, was es heißt, der Möglichkeit einer Gefahr ausgesetzt zu sein. Später ging ich zurück nach Irland und wuchs während der Sinn-Fein-Bewegung auf. (…) Und wenn ich hinaus ging, gab es da diese Gräben quer über die Straße, Fallen für 6

Autos, und bestimmt lauerten um die Ecke Heckenschützen. Mit 16 oder 17 Jahren ging ich nach Berlin, eine weit offene Stadt, in der es in gewisser Hinsicht sehr gewalttätig zuging. Vielleicht habe ich mich also daran gewöhnt, ständig umgeben von Formen der Gewalt zu leben. Sprecherin: Bacon selbst brachte immer wieder seine eigene Biografie ins Spiel, wenn er nach seinen Bildern gefragt wurde. Schon als Kind hatte er Asthma und kannte mit Sicherheit auch Luftnot und vielleicht sogar Todesangst. Er erlebte Gewalt auf der Straße, Gewalt auch zuhause, machte schon früh traumatische Erfahrungen. Und die werden, so Martin Engler, wie andere Kindheitserinnerungen auf den Papst projiziert. O-TON 14 (Engler) Das ist diese Vaterfigur. Der Papst als Vater der Christenheit, den er immer auch mit seinem Vater assoziiert hat, den er sehr geliebt hat. Und den er auch sehr bewundert, weil er ihn immer in gewisser Weise auch begehrte, aber mit seiner Homosexualität nicht zurecht kam, ihn auch verprügelt hat. Also auch so ein unwahrscheinlich für ihn prägendes Doublebind. Das prunkvolle Gewand und die Inszenierung von Macht und von der Kirche, diese Selbstinszenierung. Aber auch diese Durchlässigkeit der Inszenierung für unterschiedliche positive wie negative Implikationen – genau das, eine Ikone, wird von ihm ja genommen und zerstört, vergewaltigt, aufgebrochen, also eben zum Schreien gebracht. Zitator: Es stimmt schon, der Papst ist einzigartig. Er hat eine einzigartige Stellung, indem er Papst ist, und deshalb ist es wie in gewissen großen Tragödien, als ob er auf einem Podium stünde, von dem aus die Hoheit seiner Gestalt der Welt gezeigt werden kann. Regie: Musik (z.B. Bacon Take 6: Six Studies... – Selfportrait) O-TON 15 (Conzen) Bei Bacon ist es sehr wichtig zu wissen, dass er lange gekämpft hat, wo seine Position im Leben ist. Dass er von seinem Vater früh aus dem Haus geworfen wurde, als der Vater nämlich merkte, dass er homosexuell ist. Der Vater, ein strenger ehemaliger Armeeangehöriger. Und Bacon ist dann durch die Städte Europas gezogen, hat in Monte Carlo seiner Spielsucht gefrönt, und hat seine Homosexualität ausgelebt eigentlich bis zuletzt in einer sehr extrovertierten Art und Weise. Er war in London dafür bekannt. Und das ist eine sehr prekäre Sache gewesen, denn in England war Homosexualität bis weit in die 60er Jahre illegal. In Irland, wo er ja auch ein Standbein noch hatte, bis in die 90er Jahre sogar. Regie: evtl. Musik nochmal kurz aufnehmen Zitator: Wir werden geboren und wir sterben, aber dazwischen geben wir dieser ziellosen Existenz eine Bedeutung durch unsere Triebe. 7

Sprecherin: Das hat Francis Bacon früh erkannt. Als sein Vater ihn in den Kleidern der Mutter erwischt und den 16jährigen nach einer Tracht Prügel nach Berlin zu einem Onkel schickt, bekennt sich Bacon zu seiner Homosexualität und gibt sich dem Exzess hin. Er tingelt durch Paris, Wien und London; arbeitet als Koch, Telefonist und Designer. Die Halbwelt lockt ihn mit Elend und Glamour, mit Gewalt und Leidenschaft. Aber auch das Interesse für Kunst erwacht. Bacon besucht Ausstellungen von Picasso, Fernand Léger, Joan Miró und Max Ernst, er aquarelliert und zeichnet als Autodidakt. Ende der 1950er Jahre wird er selbst der Star führender Galerien in London. Bereits 1962 schenkt ihm die Londoner Tate eine Retrospektive. Francis Bacon ist berühmt und reich. Regie: O-Ton-Collage getrennt durch kurze Musikakzente (z.B. Bacon Take 5: Six Studies... - George and the bicycle) O-TON 16 (Lange) Es ist natürlich für alle Leute immer faszinierend so ein echtes Bohèmien-Leben zu sehen. Dass es Menschen gibt, die wirklich über die Stränge schlagen, die halt dann mit den Freunden durch die Kneipen ziehen, die dann irgendwann im selbstgegründeten Colony-Club enden, weil um 11 Uhr ist ‚last order please‘ in englischen Pubs und Kneipen und dann muss man an einen Ort gehen, wo man dann eben länger noch was zu trinken bekommt. Und der sich ganz offensiv seiner Spielsucht stellt. Der sich halt eben diesen Nervenkitzel Geld zu gewinnen und Geld zu verlieren nur dem Zufall geschuldet, immer und immer wieder hingibt. Zu Zeiten, als er kein Geld hat, aber auch zu Zeiten, wo er schon richtig viel Geld verdient, ohne Probleme an einem Abend Zehntausende Pfund in den Sand setzt. Nur einfach um diesen Reiz zu spüren, dieses Gefühl zu leben. O-TON 17 (Conzen) Also bis auf Eric Hall, dem ersten, der ihn eben auch so ein bisschen ins Champagnertrinken eingeführt hat, waren das nicht unbedingt aus der Kunstwelt stammende Liebhaber oder etablierte Menschen. Sondern es waren eben auch Menschen, die etwas labil waren, die sich durch ihn aufgewertet gefühlt haben, und dann aber auch teilweise wieder zurückgestellt – weil er eben auch wieder der große Künstler war zusammen mit diesen verrückten Leuten, die eben ein George Dyer überhaupt nicht verstehen konnte. Und sein letzter Lebensgefährte, der sehr liebenswürdig gewesen sein muss, mit dem er eher so ein Vater-Sohn-Verhältnis hatte, der soll ja sogar Analphabet gewesen sein. O-TON 18 (Engler) Seine Sexualität war sicher keine Alltägliche und natürlich gab es Saufgelage, Schlägereien und war er sicher ein Mensch, der extrem zerrissen war. O-TON 19 (Lange) Er hat sich ja auch sehr inszeniert. Es gibt glaub‘ ich keinen Künstler, wo schon zu Lebzeiten so viele Biografien in Umlauf gebracht wurden wie von Francis Bacon. Wo er erzählt, wenn er dann fertig war mit Malen – so und jetzt muss man leben. Und dann geht er vor den Spiegel und nimmt sich die Schuhpaste und tut sich die Haare irgendwie noch braun machen, dass er die ersten grauen Haare abgedeckt hat. Also 8

man schminkt sich ein bisschen und geht dann so richtig auf die Pirsch und versucht irgendwie attraktive junge Männer kennen zu lernen und aufzureißen. Das ist natürlich auch so dieses Ausleben der eigenen sexuellen Neigungen mit allem, was dazu gehört an Libertinage und Reiz. Sprecherin: Francis Bacon hat viele Selbstporträts und Bilder seiner Liebhaber gemalt. 1974 lernt er den viel jüngeren, aus der Arbeiterklasse stammenden John Edwards kennen. Es entwickelt sich eine Beziehung, die fast an ein Vater-Sohn-Verhältnis erinnert. Aber Edwards war auch Modell. Es gibt eine ganze Serie von Bildern, auf denen er in einem kreisrunden Raum sitzt, der Boden ist braun, die Wand lindgrün. Auf einem Drehstuhl, ähnlich einem Klavierhocker, sieht man immer wieder einen gut gebauten dunkelhaarigen Mann mit braunen Stiefeln, schwarzer Hose und weißem Hemd. Jedes Bild zeigt eine andere Ansicht, mal frontal, mal von der Seite und immer konstruierte Bacon verschiedene dünne Linien und Rahmen um den Körper. Das Gesicht allerdings bleibt verschwommen, wird verwischt und verzerrt. Typisch für die Bilder von Francis Bacon. Doch auch wenn die Köpfe und Figuren fast kubistisch aufgespalten sind, die Nase aus dem Gesicht herausfällt, der Mund verschoben ist oder der Körper gleichzeitig von vorne und von oben gemalt wird - immer scheinen diese Menschen der Leidenschaft verfallen. Regie: Leise Musik, darüber: Zitator: Zum Beispiel auf dem orangenen Triptychon aus dem Jahre 1970 (…) zeigt die Mitteltafel zwei Figuren auf einem Bett - ich wusste, dass ich zwei Figuren auf einem Bett wollte, und ich wusste auch, dass ich sie sozusagen kopulierend oder schwulend (…) haben wollte. O-TON 20 (Conzen) Die Frage des Beobachters, des Betrachters, des Voyeurs ist glaub‘ ich eine ganz, ganz interessante bei Francis Bacon. Wir haben auch ein Triptychon in der Ausstellung, da sieht man in der Mitte ein kopulierendes Paar wie in einer Peepshow auf so einer Art Bühne-Podest. Und links und rechts in so zwei glasartigen Käfigen oder aufgespaltenen Glastüren zwei Beobachter. Und der eine hat sogar eine Filmkamera – also wirklich ein Voyeur. Der sitzt da im Bild. Aber wir stehen davor und sehen, wieder den Beobachter, der beobachtet. Wir sind da auch nochmal doppelt indiskret. Wir fühlen und sehen, dass diese Figuren eingegrenzt sind, eingesperrt sind. Aber die Figuren können nur schreien oder sich ihrer Leidenschaft hingeben und wissen vielleicht gar nicht warum. Wissen gar nicht, dass da um sie herum so eine Begrenzung ist. Sprecherin: Bacon arbeitet mit einer ausgeklügelten Bildstrategie. Die Stuttgarter Ausstellung hatte den Untertitel "Unsichtbare Räume" und zeigte deutlich, dass seine Figuren immer in ein Gerüst, auf eine Plattform, in ein Koordinatensystem eingestellt werden. Dietrich Wildung, ehemaliger Direktor am Berliner Ägyptischen Museum, zieht Parallelen zwischen den Bildern von Bacon und antiker Kunst: 9

O-TON 21 (Wildung) Diese Liniensysteme, die einen Raum beschreiben und visualisieren, sind es, die mich unmittelbar an Liniensysteme erinnern, von denen in der ägyptischen Kunst nicht die Malerei, sondern die Skulptur lebt. Ägyptische Statuen haben alle eine rechteckige Basis und fast alle einen sogenannten Rückenpfeiler hinter der Figur, die ein Koordinatensystem bilden: einen Raum, über dem sich unsichtbar ein imaginärer Raum aufbaut, eben wie eine Glaskiste. Und auf einmal sind wir bei den Raumvorstellungen von Francis Bacon. Zitator: Ich meine, dass die vielleicht eindrucksvollsten Bildnisse, die der Mensch je gemacht hat, Plastiken sind; ich denke natürlich an manche der bedeutenden ägyptischen Plastiken. Sprecherin: Francis Bacon war zwar als Maler Autodidakt. Aber er war überaus belesen und hat sich an berühmten Vorbildern orientiert. In seinem Londoner Atelier standen unzählige Kunstbücher, auch über ägyptische Kunst. Er selbst hat wiederholt Velasquez, Tizian, Rembrandt, Picasso, Franz Hals oder Michelangelo in Bezug auf seine Arbeiten genannt. Francis Bacon ist Zeit seines Lebens ein Menschenmaler geblieben. Auch wenn er Körper und Köpfe vielfach bricht, in wolkenartige knochenlose Formen auflöst; wenn er den Papst wie ein Gespenst auf einer alten Röntgenaufnahme aussehen lässt, so hält er doch am Menschen fest – entgegen dem Mainstream der 1950er Jahre und gegen das Diktat der Abstrakten Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg. Er gehört damit zu einer Gruppe von Malern, die heute als "London School" bezeichnet werden: Künstler wie Lucian Freud oder David Hockney, die immer der Figuration treu geblieben sind. Aber selbst in dieser Gruppe hat Francis Bacon eine Sonderstellung. Bei ihm liegen Leben und Tod direkt nebeneinander, gehen ineinander über und fragen permanent nach der Sinnhaftigkeit der Existenz. O-TON 22 (Engler) Die Botschaft ist eben diese Ambivalenz zwischen dem Leben und dem Tod, und die Sinnlichkeit dieses Abseitigen. Und der Versuch in diesem Abgründigen, weil man es eben nicht wegdiskutieren kann - diesen Abgrund, eine neue Ästhetik und einen Grund zum Weitermachen zu finden. Sprecherin: Die Bilder von Francis Bacon sind ein Plädoyer für das Leben – und ein ständiges Anmalen gegen den Tod. Er hat den Exzess geliebt und gelebt, als Mensch und als Maler. Viele seiner Freunde und Liebhaber starben durch Alkohol und Drogenmissbrauch. Er selbst verlor im Alter dadurch eine Niere. Vor 25 Jahren, am 28. April 1992, starb Francis Bacon an einem Herzinfarkt. Seiner Lebensphilosophie blieb er bis zum Ende treu. Regie: Leise Musik, darüber: Zitator: 10

Wir werden geboren und wir sterben, aber dazwischen geben wir dieser ziellosen Existenz eine Bedeutung durch unsere Triebe. Regie: Musik noch einmal frei

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