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SWR2 Tandem Grenzenlose Botschaft Ein Diplomat wird zum Hotelier im Kosovo Von Ernst-Ludwig von Aster Sendung: Dienstag, 20. Juni 2017, 10.05 Uhr Redaktion: Nadja Odeh Regie: Ernst-Ludwig von Aster Produktion: SWR 2017

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MANUSKRIPT

Atmo: Leiter/Terasse Musik Erzähler: Vier junge Musiker stimmen ihre Instrumente. Auf der Terrasse neben einem kleinen Swimming-Pool. Andreas Wormser schleppt eine Alu-Leiter heran. Der 59-Jährige klettert an der Fassade seines Hotels empor, befestigt ein großes Banner über der Glasfront zum Restaurant. “Mitrovica Rock-School”, steht da in großen Lettern. Wormser hat die Band eingeladen. Für die Zuhörer ist der Eintritt frei. Atmo hochziehen Erzähler: Jelena Zafirovic testet noch einmal das Mikrofon, blinzelt in die Sonne. Der Auftritt im Hotel Gracanica ist für ihre Band eine Premiere. Noch nie konnten sie im Kosovo spielen … Take 1 Jelena And we mostly play in other countries... Erzähler drüber: Meist spielen wir im Ausland, erzählt sie. Im mazedonischen Skopje oder in Holland. „Wir wollen nicht, dass es hier Probleme gibt“ sagt Jelena schulterzuckend. Denn in ihrer Band spielen Serben und Albaner zusammen. Das reicht, um im Kosovo zu provozieren. Und erst recht in ihrer Heimatstadt Mitrovica. Der geteilten Stadt. Wo die eine Hälfte in Serbien, und die andere im Kosovo liegt. Atmo Band/Musik Erzähler: Die Band beginnt zu spielen. Gut 80 Gäste im Garten des Hotels hören zu. Einige haben es sich in Liegestühlen bequem gemacht. Andere sitzen am Pool. Kleinkinder krabbeln über den Rasen. Jimmy Mustafa, ein junger Roma, hat seine Gitarre neben sich gelegt. Wippt mit dem Fuß im Takt. Sonst spielt er jeden Sonntag hier im Hotel zum Brunch. Heute aber kann er einmal zu hören. Take 2 Jimmy (ohne Übersetzung) I can say, when I am coming here, I am not in Kosovo, Erzähler: „Wenn ich hier bin, dann bin ich nicht im Kosovo“, sagt der Musiker grinsend. „Dann bin ich irgendwo ganz anders, vielleicht in der Schweiz. Dieses ist ein ganz besonderer Ort. Alle können sich hier treffen“ Erzähler: Neben dem Swimming-Pool plätschert eine Heilquelle. Drumherum steht das Hotel in U-Form. Weiße Wände, helles Holz, große Fenster. Gerade Formen, immer wieder durchbrochen von Gängen und Fluren. Fünf Einzelzimmer, sieben Doppelzimmer, 2

drei Studios. Am Pool bricht eine Wand aus hunderten versetzter, lichtdurchlässiger Betonelemente die Sonnenstrahlen. Atmo hoch Erzähler: Andreas Wormser lässt den Blick über die Besucher schweifen. Aus dem nahegelegenen Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, sind einige Mitarbeiter des diplomatischen Corps gekommen. Österreicher, US-Amerikaner, Spanier. Seine beiden Geschäftsführer, Hisen und Ado, sind da. Die beiden Roma, die jahrelang für ihn als Übersetzer arbeiteten, mit denen er dann das Hotel aufbaute. Hisens Töchter stehen am Rande, scherzen mit ihren Freundinnen. Die serbische Köchin wippt im Takt, ihre albanische Kollegin steht hinter der Rezeption Take 3 Wormser 0.10 Ursprünglich war ja auch die Idee, nur Roma zu beschäftigen, davon haben mich meine beiden Partner schnell abgebracht, dass würde nur Neider wecken, Und da haben sie sicher recht gehabt. Erzähler: Roma, Serben, Albaner arbeiten hier im Hotel zusammen. Das gibt es sonst kaum im Kosovo. Dem kleinen, jüngsten Balkan-Staat. In dem noch heute 5000 UN-Soldaten stationiert sind. Um Ausschreitungen zwischen Albanern, Serben und Roma zu verhindern. Atmo: Auto / Innen

Erzähler: Am nächsten Morgen lenkt Andreas Wormser seinen alten Geländewagen über die neue Straße. Richtung Pristina. Take: 4 Wormser 0.11 Wir haben hier schönere Autobahnen als in der Schweiz, da sind gemäß gutbegründeter Analysen vier Millionen Bestechungsgelder geflossen Erzähler: Der Schweizer blickt durch die eckige Lesebrille, die ganz vorne auf der Nasenspitze sitzt. Der 59-Jährige erinnert sich noch gut an den Tag, als er das erste Mal diese Strecke fuhr. Take 5 Wormser 0.17 5. September 1999, also zweieinhalb Monate nach dem Krieg…Pristina war nicht so stark zerstört, es gab Straßenzüge, die zerstört waren, aber wenn man auf das Land rausfuhr, gerade in den Westen des Kosovo, dann waren die Dörfer 95-98 Prozent zerstört…

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Erzähler: Neben der Heckklappe des Geländewagens klebt noch ein verblichenes CD-Schild. Das Zeichen des diplomatischen Dienstes. „Gracanica“ der Hotel-Name prangt jetzt groß auf der Autotür. Take 6: Wormser wir haben da die serbische und die albanische Schreibweise kombiniert. Ein Häkchen oben am C, das ist das serbische „tsche“ und ein Häkchen oben unten am c, das ist das albanische „tsche“ Erzähler: Häkchen oben, Häkchen unten. Schweizer Neutralität. Diplomatische Mixgrammatik. Wormser fixiert die Armaturen. Die Tachonadel zittert um die 90, der Kilometerstand liegt jenseits der 130.000. Das ist viel im Kosovo. Einmal quer durchs Land sind es gerade mal 170 Kilometer. Take 7 Wormser 0.17 Ich hatte routinemäßig mit Asylfällen von Kosovaren zu tun, ich war stellvertretender Chef einer Entscheidersektion im Bundesamt für Flüchtlinge, aber der Kosovo war schon neu für mich Erzähler: Serben gegen Albaner, Albaner gegen Serben. So geht das im Kosovo jahrelang. Mord. Vertreibung. Flucht. Ein nicht endender Balkan Blues. Zwischen den Fronten stehen die Roma. Take 8 Wormser 0.21 Das Tragische bei den Roma im Kosovo ist, das es eigentlich vor dem Krieg ganz anders war, sie waren besser integriert als in den meisten anderen osteuropäischen Staaten, aber nach dem Krieg sind von den 130.000 Hunderttausend geflohen, weil sie von den Albanern eben kollektiv der Kollaboration mit den Serben beschuldigt wurden… Erzähler: Wormser schüttelt den Kopf, wenn er daran zurückdenkt. Als Diplomat soll er die Schweizer Aufbauhilfe im Land koordinieren. Herausfinden, ob es menschenwürdig ist, Flüchtlinge zurückzuschicken. Zwei Mitarbeiter unterstützen ihn: Hisen und Ado, beide Roma. Sie sprechen Albanisch und Serbisch, dazu noch Romanes. Atmo hochziehen Erzähler: Das Trio reist durch ein geschundenes Land. Es gibt kaum Arbeit. Und viele Spannungen. Die internationale Gemeinschaft stationiert KFOR-Truppen. Erklärt die Region zum Protektorat der Vereinten Nationen. Pumpt Milliarden in den kleinen Staat. Ohne großen Erfolg. 2004 eskaliert die Gewalt erneut. Zehntausende Albaner jagen Serben, zerstören Kirchen. Verwüsten Roma-Siedlungen. Take 9: Wormser: Dann kamen wirklich die Pogrome, die die Situation völlig veränderten. Direkt vor uns brannten drei Jeeps der UNMIK, also der Uno-Verwaltung, man sah schon die Leute 4

Richtung Gracanica ziehen, ich musste dann in Pristina übernachten, weil ich keinen Weg zu meinem Haus wusste. Erzähler: Er kann Hisen und Ado nicht erreichen. Wormser fürchtet um das Leben seiner Freunde. Zwei Tage lang zieht der Mob durch das kleine Land. Zehntausende müssen ihre Häuser verlassen. Auch Hisen und Ado. Wormsers Hände greifen das Lenkrad fester, wenn er davon erzählt. Die Erinnerungen sind immer noch frisch. Auch wenn es seit mehreren Jahren friedlich ist, im Kosovo. Atmo Hotel/Rezeption Erzähler: Im Hotel Gracanica schwingt sich Hisen Gashnaje auf einem Drehstuhl herum, beugt sich über die Computertastatur. Über sich Gemälde einer Roma-Künstlerin, vier knallbunte Frauen-Portraits. Vor sich die aktuellen Zimmerbuchungen. Take 10 (Hisen) Übersetzer: 0.21 Ehrlich gesagt, ich war am Anfang nicht davon überzeugt, hier ein Hotel zu bauen. Es gibt doch schon Motels und Hotels hier in der Gegend. Das ist eine große Konkurrenz. Aber wir haben es trotzdem gemacht. Und es ist sehr schön geworden. Erzähler: Der 47-Jährige trägt ein schwarzes T-Shirt, das haben die drei für das Hotel entworfen. „Kosovo“ steht vorne mit großen Buchstaben – und dann weiter „freundliche Menschen“, „guter Kaffee“, „Klöster“, „drei Religionen und sieben Sprachen“. Hisens grün-graue Augen fixieren den Gesprächspartner. Freundlich. Doch mit einer gewissen Wehmut. Take 11 Hisen 0.17 Übersetzer: Was wir durchgemacht haben, war anstrengend. Wir haben viele schlimme Dinge erlebt. Okay, es gab auch immer ein bisschen Gutes. Aber was wir in der Vergangenheit erlebt haben, das hinterlässt Spuren. Erzähler: Jugoslawienkrieg, Kosovo-Krieg, Jagd auf Roma. Bomben, Hass, Tod, Vertreibung. Und das Gute? „Ich konnte mein Schulenglisch verbessern“, sagt der 47-Jährige „weil ich mit UN-Soldaten arbeitete. Und ich habe Andreas Wormser getroffen.“ Den frustrierten Schweizer Diplomaten. Der schließlich kündigt, ganz in den Kosovo zieht. Zum Patenonkel von Hisens Töchtern wird. Mit ihm und Ado ein Hotel aus dem Boden stampft und die beiden zu Geschäftsführern macht. Take 12: Hisen 0.26 Übersetzer: Ich muss es einfach sagen: Was er gemacht hat, das ist ein wahres Wunder für mich. Ich glaube, es gibt kaum jemanden, der so gut die Situation hier im Kosovo versteht. Das Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten, die Rolle der Roma, der Ashkali und der Ägypter. Andreas ist ein Diplomat, der weiß was er tut. Und wem er vertrauen kann 5

Atmo Küche / Brunch Erzähler: Hisen blickt noch einmal auf die Liste mit den Reservierungen. Eine österreichische Fotografin hat schon eingecheckt, dann noch der Professor mit Kollegen aus Deutschland, die im Kosovo Projekte planen. Aus Münster ist Andreas Wormsers Frau gekommen, Monika Maaßen, zusammen mit zwei Freunden. Atmo hochziehen Erzähler: Draußen rumpelt ein alter Trecker über den Kiesweg am Hotel vorbei. Monika Maaßen macht einen kleinen Schritt zur Seite. Sie will ihren Freunden das Örtchen Gracanica zeigen. Sie sind das erste Mal im Kosovo. Erzähler Fünf Minuten sind es zu Fuß bis zur Hauptstraße. Eine Brücke führt über einen ausgetrockneten Fluss, die Markstände links sind nicht besetzt, rechts wühlen zwei Jugendliche in Müllcontainern. Ein Stückchen weiter zieht sich eine alte Steinmauer die Straße entlang, obendrauf glänzt Stacheldraht Take 13 Maaßen/Freunde Hinter der Mauer? Das ist das Kloster. Und bis vor zwei, drei Jahren stand hier auch noch, glaube ich schwedische Soldaten davor und haben das beschützt, KFOR, die sind glaube ich erst seit ein paar Monaten ganz weg Erzähler: Ein Schild am Eingang mahnt: Keine Fotos, keine kurzen Hosen und Röcke, keine Schusswaffen. Kurzgeschnittener Rasen, alte Bäume, drum herum die Wirtschaftsgebäude, in der Mitte, eine orthodoxe Kirche aus dem 13. Jahrhundert. Gerade gibt sich ein serbisches Paar das Ja-Wort. Monika Maaßen wiegt den Kopf. Jahrelang führte sie mit Andreas Wormser eine Fernbeziehung. Pendelten die beiden zwischen der Schweiz und Deutschland. Dass ihr Mann in den Kosovo ziehen könnte, damit hat sie nicht gerechnet. Take 14 Maaßen 0.19 Ich habe das erst nicht geglaubt, also ich habe schon gedacht, er möchte nicht mehr gerne Berater sein, er möchte gerne etwas Anderes machen, er tut sich mit seinen beiden Freunden zusammen. Und sie machen ein Projekt. Aber ich wäre nie im Traum darauf gekommen, dass es tatsächlich ein Hotel werden könnte. Und vor allen Dingen nicht im Kosovo… Erzähler: „Lies doch mal Karl May“, empfiehlt ihr der Schwiegervater. Mehr im Scherz. „In den Schluchten des Balkans“, heißt der Roman. Monika Maaßen wirkt immer noch leicht gequält, wenn sie davon erzählt. Sie war gerade aus Deutschland in die Schweiz gezogen, als es ihren Mann wieder in den Kosovo zog.

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Take 15 Maaßen 0.23 Es war auch wirklich so, dass ich dachte, jetzt bricht unsere Beziehung auseinander, alles, was ich mir so phantasiert habe, wie das geht auch mit dem Zusammenleben, weil wir hatten ja schon 10 Jahre eine Fernbeziehung und dann wieder. Und dann war meine Entscheidung ziemlich schnell klar, ich gehe wieder nach Deutschland und er muss dann schauen, wie es geht. Erzähler: Die Freunde knipsen die Hochzeitsgesellschaft mit dem Mobiltelefon. Das Kloster steht auf der Weltkultur-Erbe-Liste. Noch ein Abstecher auf den Friedhof, dann geht es vorbei an einem serbischen Heldendenkmal, am Ortsrand entlang, Richtung Hotel. Plötzlich stoppt das Trio. Ein Loch klafft mitten auf dem Weg. Der Gullideckel ist geklaut. Es geht zwei Meter abwärts take: 16 Maaßen/friends Wenn man hier abends spazieren geht, nee, sollte man besser nicht machen… no risk, no fun…. Atmo: Hotel/Rezeption Erzähler: Am nächsten Tag steht Brunch auf dem Hotel-Programm. Hisen sortiert die Reservierungen. Die Köchinnen decken die Tische. Atmo hoch Erzähler: Hinter der Theke stehen zwei Teenager, Emanuela und Marisol, und scherzen mit Monika Maaßen. Hisens Töchter freuen sich jedes Mal, wenn sie zu Besuch kommt. Atmo hochziehen Erzähler: Monika Maaßen lacht und gestikuliert, Emanuela, die hier alle Mala nennen, notiert ein paar deutsche Worte auf einem Zettel. Die 14jährige hilft seit einigen Wochen beim Brunchbuffet. Jeden Montagabend kommt sie nach der Schule mit ihrer Schwester auch noch zum Deutschlernen ins Hotel. Atmo hoch Erzähler: Andreas Wormser kommt herein, zieht die abgenutzte Lederjacke aus. Grüßt kurz in die Runde. Auf Englisch. Das ist hier sprachlich der kleinste gemeinsame Nenner… Atmo hoch Erzähler: Im Speisesaal: massive Holztische, eine große Sitzecke, umlaufende Holzbänke, ein moderner Kamin. Kompromissloses Innendesign, farblich aufeinander abgestimmt. Und auf den Kosovo. Bestimmte Farben und Formen sind tabu. Auf Buchumschlägen ebenso, wie auf Teppichen. 7

Take 17 Wormser 0.15 Wir hatten zeitweise Vorschläge für Kelims, die in so typischen albanischen Farben waren, so rot mit schwarz und Figuren die Adler waren oder an Adler erinnerten. Das wäre nicht gegangen… Atmo: Hotel aussen Erzähler: Immer mehr Wagen rollen auf den Hotelparkplatz. Viele tragen das CD-Kennzeichen. Die internationale Community kommt gerne zum brunchen. Aus Pristina sind es gerade mal acht Kilometer. Hisen zeigt den Gästen ihre Tische, Elvis füllt Kaffee nach, Hinter der Theke poliert Mala jetzt Saftgläser auf Hochglanz. Atmo Hotel: Erzähler: Um 12.00 Uhr sind alle Plätze besetzt. Draußen an den Tischen genießen die Gäste die wärmenden Sonnenstrahlen. Manche räkeln sich in rotweißen Liegestühlen, blicken über die weiten Felder, am Horizont erheben sich die Berge des SharGebirges. Atmo Innen/Buffet Erzähler: Andreas Wormser wirft noch einen prüfenden Blick aufs Buffet. Nickt zufrieden. Der schlaksige Endfünfziger trägt jetzt eine schwarze Kellnertasche am Gürtel. Hat sich auch ein Kosovo-T-Shirt übergezogen. Die Tische drinnen und draußen sind besetzt. 10 Euro zahlen die Gäste für den Brunch: Take 18 Wormser 0.15 Trockenfleisch, drei Sorten lokaler Käse, zwei Sorten sind sehr lokal, die kommen von der anderen Straße, der andere ist ein Scharkäse, der kommt aus dem Schargebirge im, Südosten Erzähler: Auch im Angebot: „Potatoes gypsie style“. Kartoffeln nach Zigeuner-Art. Über die Bezeichnung beschwert sich hier niemand. Obwohl auch das im Kosovo kompliziert ist. Gypsies –diplomatisch heißen die RAE, das steht für Roma, Ashkali, Egyptians. Die Roma leben eher in den serbischen Siedlungsgebieten, sind meist 0rthodox. Und sprechen Romanes. Die anderen beiden Gruppen siedeln eher im albanischen Umfeld. Sind mehrheitlich muslimisch. Und können mit Romanes nichts anfangen. Alle drei aber leben am Rande der Gesellschaft. Unter ärmsten Bedingungen. Take 19: Wormser 0.13 Die Idee beim Hotel ist eher, eine Vorbildfunktion für Roma zu geben, das Roma, die das entsprechende Talent haben, sehen, das man etwas erreichen kann, wenn man lernt, arbeitet. Atmo: Song Jimmy / Gitarre 8

Erzähler: Im Garten, auf einer Holzbank unterm Nussbaum, greift Jimmy Mustafa zur Gitarre. Sein Freund Ersad singt. Wie jeden Sonntag. Zum Brunch. Die beide kommen aus Plemetina, das liegt 15 Kilometer entfernt, ein kleiner Ort im Schatten zweier großer Braunkohlekraftwerke. Take 20 Jimmy (ohne Übersetzung) Erzähler drüber: Ich komponiere die Lieder, und schreibe auch die Texte, meist auf Romanes, sagt der 27-Jährige, im Kapuzenshirt, eine große Markensonnenbrille vor Augen. Er kommt aus einer Musikerfamilie, genauso wie sein Freund, seit Generationen spielen sie auf Roma-Festen und Hochzeiten. Atmo hoch Erzähler: Jetzt geht es vor allem um Liebe. Romantische Brunch-Musik. Jimmy schreibt aber auch andere Texte. “Auschwitz” heißt der erste Song auf der CD, die vorne auf dem Hotel-Tresen liegt. Zum Mitnehmen gegen eine Spende. „Lass uns aufstehen“ heißt es da, „lange genug wurden wir unterdrückt und umgebracht“. Andreas Wormser hat den Kontakt zur Schweizer Botschaft vermittelt, sie hat die CD-Produktion unterstützt, den Rest haben das Hotel und weitere Spender dazugegeben, take 21 Jimmy (ohne Übersetzung) Erzähler drüber: Beim nächsten Album soll es um unsere Probleme im Kosovo gehen, sagt Jimmy. Die Probleme der Roma. Serbische Unternehmer beschäftigen hier Serben. Albanische Albaner. Roma Unternehmer aber gibt es so gut wie keine. Keine Arbeit, keine Anerkennung. Keine Aussichten, keine Anstrengungen. Die Arbeitslosigkeit unter den Roma liegt bei geschätzten 90 Prozent. Atmo: Motor-Dreirad, Neigbourhood 29 Erzähler: Wenige Kilometer weiter kämpft sich ein Lastendreirad zwischen Hütten mit Wellblechdächern hindurch. Umkurvt tiefe Löcher, in denen kniehoch Wasser steht. Müll liegt vor schrägen Mauern, daneben spielen Kinder im Schlamm, von einem Strommast ziehen sich Leitungen kreuz und quer in alle Richtungen. Atmo hoch Erzähler: Mehr als 4.000 Menschen leben in Fushe Kosove, entlang des Bahndamms. Vor allem Ashkali, aber auch Roma. Nachbarschaft 29 heißt die Siedlung offiziell. Andere sagen schlicht: „Gypsie-Slum“, Zigeuner-Slum. Atmo hochziehen

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Erzähler: Hinter einem schweren Metallzaun liegt eines der wenigen mehrstöckigen Häuser, unverputzt. Die Tür steht offen. Darüber ein Schild „The ideas partnership“. Mit drei Blütenblättern über dem ersten „i“. Im Flur liegen dutzende Kinderschuhe, Atmo: Tür / Lied Erzähler: Im Gruppenraum singen gut 20 Kinder, halten sich an den Hände, tanzen im Kreis., Rabije Qyqualla steht mittendrin und lacht. Die 20jährige Physiotherapeutin kommt von der anderen Seite des Bahndamms. Seit eineinhalb Jahren arbeitet sie mit den Kindern, unterstützt auch die älteren Geschwister. Finanziert aus Spenden. take 22 albanisch (ohne Übersetzung) Erzähler drüber: „Ich betreue auch den girls-club“, erzählt sie. Da treffen sich 30 Mädchen jeden Samstag. Wir versuchen ihnen zu vermitteln, wie wichtig es ist, zur Schule zu gehen. Ein schwieriges Unterfangen. Denn an vielen Schulen sind die Kinder der Roma und Ashkali nicht gerne gesehen. Erzähler: Rabije ist selbst eine Ashkali, sie will gegensteuern. Kindergarten, Wochenendunterricht. Schulbesuche. Hausbesuche. Mütter, die ihre Kinder regelmäßig zur Schule schicken, bekommen die Möglichkeit im Zentrum Seife aus Olivenöl herzustellen. Um so etwas dazu verdienen. Take 23 albanisch (ohne Übersetzung) Erzähler drüber: „Ab und zu laden wir auch Frauen von außerhalb ein, damit sie aus ihrem Leben erzählen“, sagt sie. Eine ehemalige Präsidentin war schon hier, Abgeordnete – bekannte Persönlichkeiten, positive Beispiele. Am meisten aber beeindruckte die Teenager eine Besucherin aus Gracanica... Take: 24 (albanisch)

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Übersetzerin: Es war eine Romnie, ein Roma-Frau. Sie hat über ihre Arbeit im Hotel erzählt. Die Mädchen waren sehr beeindruckt. Sie hat gesagt, dass sie auch an der Rezeption arbeiten kann, weil sie mehrere Sprachen spricht. Und dass sie all das dem Unterricht zu verdanken hat. Atmo Hotel, Schrank/Schiebetür Erzähler: Im Hotel sind die Brunch-Gäste wieder nach Hause gefahren. Andreas Wormser öffnet einen hohen Glasschrank, fingert ein Stück Seife heraus... Take 25: (Womser) 0.08 Das ist jetzt eine Rosenform, das ist mit Olivenöl hergestellt… 10

Erzähler: Seife aus Fushe Kosov, aus der Nachbarschaft 29. Das Stück für zwei Euro fünfzig. Dazu noch Handytaschen, Kelims, Schafsfelle Ein buntes Angebot. Das meiste hergestellt von Roma und Ashkali. Wormser legt die Seife zurück, schließt den Vitrinenschrank. Er sieht nachdenklich aus. Take 26 (Wormser) 0.09 Also wenn ich wirklich alles so vorausgesehen hätte, hätte ich es nicht gemacht, es war wirklich alles mindestens doppelt so schwierig wie erwartet. Erzähler: Schwammige Vorschriften, korrupte Beamte, unzuverlässige Handwerker – schon der Bau des Hotels dauert viel länger als geplant. Andreas Wormser investiert einen Großteil seines Erbes. 1,5 von zwei Millionen Euro. Seinen Ärger schreibt er sich manchmal in einem Blog von der Seele. Den kann man auf der Hotelhomepage nachlesen. Wenn er länger nicht da ist, vertrocknen schon mal die Grünpflanzen. Weil jeder denkt, der andere ist fürs Gießen zuständig. Im Lagerraum hat er einen Zettel angebracht: „Wer das Licht nicht ausmacht zahlt einen Euro“ Take: 27 (Wormser) 0.12 Ich hatte eigentlich gehofft, dass meine beiden Partner das Hotel mehr oder weniger selbständig führen können, aber das ist nicht absehbar…. Sie machen vieles gut, aber das Hotel führen können sie nicht, ich muss jemand von Grund auf aufbauen… Erzähler: Vielleicht einmal Mala. Hisens älteste Tochter. Doch die ist erst 14. Also muss er noch ein paar Jahre durchhalten. Und versuchen, das seiner Frau zu erklären. Immerhin trägt sich das Hotel mittlerweile selber. Nur Andreas Wormser lebt noch von seinen Ersparnissen. Das Gästebuch aber ist voll mit Komplimenten. Essen, Service, Heilquelle – die Besucher sind zufrieden. Andere nicht: Take 28: Wormser 0.12 Auf Facebook bekommen wir immer wieder obszöne Kommentare zu dem, was wir machen. Und wir hören immer regelmäßig von Freunden und Gästen, das manche nicht kommen, und andere nur widerwillig kommen, weil wir als zu Serbisch zu Albanisch, zu romalastig empfunden werden… Erzähler: Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Wenn sich alle beschweren, ist keiner benachteiligt, weiß der Ex-Diplomat. Das ist schon mal etwas im Kosovo.

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