Stressgesellschaft was sie krank und depressiv macht

Stressgesellschaft – was sie krank und depressiv macht (Redaktion: Manfred Höffgen, Monika Kirschner Sendung im WDR 6.9.2010) Stress und seine Folge...
Author: Christina Egger
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Stressgesellschaft – was sie krank und depressiv macht (Redaktion: Manfred Höffgen, Monika Kirschner

Sendung im WDR 6.9.2010)

Stress und seine Folgen: Das scheint der Preis für das zu sein, was wir Fortschritt nennen. Stress steht am Anfang vieler chronischer Beschwerden und Krankheiten, die oft bedrohliche Entwicklungen nehmen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch positiven Stress, der das Leben verlängert und uns in Gang hält. Wann wird Stress gefährlich? Wer ist gefährdet, wer nicht? Und wie kann man vorbeugen?

Immer stärkerer Zeitdruck in der Pflege

Krank durch Stress Carmen M. ist seit über 20 Jahren mit ganzem Herzen Krankenschwester und Pflegerin. Sie hat immer Wert auf ihre Professionalität gelegt und sich viel weitergebildet, zuletzt zur Stationsschwester. In ihrer Ausbildung sagte ihre Lehrschwester zu ihr: „Pflegen Sie immer so, wie Sie selbst gepflegt werden möchten.“ Daran hat sie sich versucht zu halten, bis es nicht mehr ging. Die Notlage in der Pflege hat Carmen M. schließlich krank gemacht. Sie hat ihren geliebten Beruf aufgegeben, um sich mit ihrem Wissen und ihrer Qualifikation einen anderen zu suchen. Sie konnte die zunehmende „Minimalisierung“ im Umgang mit den Patienten vor sich selbst nicht mehr verantworten.

Für die Patienten und die eigentliche Pflege bleibt immer weniger Zeit Einige Zahlen zum Pflegenotstand Bei Krankenschwestern, Krankenpflegern und Pflegehelfern liegt der Krankenstand mit etwa 5 Prozent deutlich über dem Durchschnitt. 88 Prozent der Pflegekräfte stehen häufig unter Zeitdruck. 65 Prozent müssen oft oder sehr oft eine begonnene Tätigkeit unterbrechen. Die Folge sind Arbeitsunfälle sowie eine überdurchschnittliche Zahl von Beschäftigten, die den erlernten Pflegeberuf aufgeben. Seite 1 von 1

Pflegekräfte leiden zudem besonders häufig an Erkrankungen der Wirbelsäule. Die hohe psychische Belastung an ihrem Arbeitsplatz hat ebenfalls direkte Folgen: Pflegekräfte leiden überdurchschnittlich oft an stressbedingten Krankheiten. Die beiden häufigsten psychiatrischen Diagnosen – Neurosen und depressive Zustandsbilder – verursachen im Pflegebereich über 30 Prozent mehr Fehltage als im Durchschnitt (Quelle: IGES Institut GmbH). Das Krankenpflegepersonal fehlte bei depressiven Episoden im Jahr 2008 im Durchschnitt 50,7 Tage. Zum Vergleich: Bürokräfte waren im gleichen Zeitraum mit dieser Erkrankung 44,3 Tage arbeitsunfähig, Bankfachleute 40,8 Tage. Ökonomisierung und die Folgen Der Sparzwang im Gesundheitsbereich geht klar zulasten der Patienten und der Gesundheitsberufe. Personal- beziehungsweise Pflegestellen werden zunehmend als bloße Kostenfaktoren betrachtet und nach Bedarf anderen Bedürfnissen untergeordnet. Die Leistungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sind deshalb nicht mehr ausreichend, mancherorts sogar gefährlich, weil es an den zwingend notwendigen Stellen für das Personal, vor allem im pflegerischen Bereich, mangelt. Schätzungen gehen – je nach Quelle – von einem Personalmehrbedarf von 20 bis 30 Prozent aus. Eine nicht bestreitbare Erklärung für den Pflegenotstand lieferte 2007 das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) in Köln: 50.000 Stellen für Pflegekräfte seien, so das Institut, in den letzten zehn Jahren in den Krankenhäusern abgebaut worden. Gleichzeitig müssen seit 1995 jährlich etwa eine Million Patienten mehr in den Krankenhäusern versorgt und betreut werden. Jede Pflegekraft muss dementsprechend rund 23 Prozent mehr Patienten versorgen. Die individuelle Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit hat gleichzeitig deutlich zugenommen. Das gilt vor allem auch für die Altenheime. Professor Michael Simon hat in seinem Buch „Personalabbau im Pflegedienst der Krankenhäuser“ eine eigene Untersuchung vorgestellt nach der „die Zahl der tatsächlich beschäftigten Vollkräfte im Pflegedienst der Allgemeinkrankenhäuser im Jahr 2006 um circa 71.000 unter dem Vollkraft-Soll“ lag. Pflegenotstand ist in Deutschland Realität.

Nicht nur Carmen M. leidet unter der Situation Carmen M. ist nicht allein Die Auswirkungen der Sparmaßnahmen treffen zuerst die Patienten. Die Zeit für die Körperpflege der Kranken zum Beispiel muss deutlich reduziert werden, Ganzkörperwaschungen sind nicht mehr jeden Tag möglich. Katzenwäsche ist angesagt. Unerträgliche Arbeitsverdichtung ruiniert die Gesundheit der Mitarbeiter. „Jeder fünfte Pflegende denkt ans Aufhören“ – das ist das Ergebnis einer Forsa-Studie aus dem Jahr 2007. Die Auswertung einer Befragung von 2.000 Mitarbeitern aus dem Bereich Krankenhaus ergab erschreckende Zahlen: • 32,3 Prozent erwägen die Berufsaufgabe und den Wechsel in eine andere Tätigkeit. • 42,5 Prozent würden die eigenen Angehörigen, Freunde oder Bekannte nicht im eigenen Arbeitsbereich versorgen lassen. • 71,7 Prozent sehen die Attraktivität des Pflegeberufes für junge Generationen in den kommenden zehn Jahren drastisch verschlechtert. • 82,5 Prozent sind der Meinung, dass die Personalausstattung im eigenen Arbeitsbereich nicht ausreichend ist. • Nur etwa die Hälfte der Pflegekräfte könne von sich sagen, dass die Unterstützung dementer oder hilfsbedürftiger Patienten beim Essen und Trinken, die Mobilisierung geschwächter Kranker und die Vitalzeichenkontrollen nach Operationen oder Untersuchungen in Narkose immer geleistet werde. • Nicht einmal jede fünfte Fachkraft könne sicherstellen, dass auf Schmerzen schnell reagiert wird. Weniger als ein Drittel bemerke nach eigenen Angaben sofort, wenn Patienten aus dem Bett fallen oder lebensbedrohliche septische Zustände haben. • Vier von fünf Befragten klagen, dass sie nicht genügend Zeit für Gespräche mit Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen haben. Seite 2 von 2



Nur 6 Prozent können rechtzeitig jedem Klingelruf folgen.

Außerdem müssen Pflegekräfte zunehmend Dokumentationsaufgaben und Bürotätigkeiten erledigen. Damit verlieren sie noch mehr Zeit für die Patienten. Zusätzlich müssen sie immer häufiger Hilfspersonal anleiten und einsetzen. Viele engagierte Fachkräfte versuchen immer wieder, den Personalmangel auszugleichen und werden selber krank dabei – wie Carmen M. Wie soll es weitergehen? Nach seriösen Schätzungen wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen von heute über zwei Millionen bis zum Jahre 2050 auf weit über fünf Millionen ansteigen. Dabei werden die an Demenz erkrankten Menschen überdurchschnittlich stark vertreten sein. Deren Zahl wird sich bis etwa 2050 in Richtung drei Millionen bewegen. Das zeigt eindrucksvoll, wie dringend notwendig eine deutliche Aufstockung der derzeitigen Personalbudgets ist. Pflegeberufe müssen wieder attraktiv werden – zum Nutzen aller. Buchtipp: • Michael Simon Personalabbau im Pflegedienst der Krankenhäuser Hintergründe – Ursachen – Auswirkungen Huber, 2008 ISBN 9783456845814 Preis: 29,95 Euro

Stress mental bewältigen

Täglicher Wettlauf gegen die Uhr Bereits mit dem Aufwachen beginnt für viele Menschen der Wettlauf gegen die Uhr. Die zunehmende Belastung in der Arbeitswelt verlangt Höchstleistung im Eiltempo. Wer nicht rechtzeitig alles schafft, riskiert seinen Job und belastet somit auch sein Privatleben. Die Beschleunigung des Alltags führt oft zu Stresssituationen, die nicht nur im Körper, sondern auch im Kopf Spuren hinterlassen. Denn jedes Stresserlebnis ist mit einem negativen Bild behaftet, das im Gehirn gespeichert wird – und zwar lebenslang.

Stress entsteht in unserem Kopf Genau diese Erkenntnis brachte Dr. Albert Lichtenthal und Dr. Gerhard Bittner auf eine Spur. Der Neurowissenschaftler und der Psychologe forschen seit mehreren Jahren zum Thema „Ursache und Bewältigung von Stress“. Nun präsentieren die beiden Wissenschaftler ein Ergebnis: „Stress entsteht Seite 3 von 3

in unserem Kopf, da finden wir die Schalter, die dazu führen, dass Adrenalin und Cortisol freigesetzt werden“, erklärt Dr. Albert Lichtenthal. Die Hauptauslöser von Stress sind demnach die Gedanken. Bereits ein einzelner Gedanke oder eine Erinnerung an etwas Unangenehmes können ausreichen, um Schädigungen im Körper auszulösen.

Äußere Umstände wie der verspätete Zug lösen mentale Belastungen aus Was tun, wenn der Zug sich verspätet? Oft lösen äußere Umstände die mentalen Belastungen aus. Zum Beispiel ein Zug, der sich verspätet. Die meisten Wartenden sind in dieser Situation alles andere als gelassen und quälen sich mit Gedanken wie „Schaffe ich den Termin noch rechtzeitig?“ oder „Was sollen die denken, die auf mich warten?“ „Jeder dieser Gedanken“, so Dr. Albert Lichtenthal, „belastet uns zusätzlich und macht zusätzlich Stress, sodass sich die Belastung in dieser Situation erhöht.“ Positiv handeln statt negativ denken, lautet die verkürzte Formel des Stressforschers in solchen Situationen. Und das bedeutet in diesem Fall: die wartende Zeit im Bahnhof sinnvoll zu nutzen, zum Beispiel indem man versucht, seinen geschäftlichen Alltag telefonisch zu regeln, ein gutes Buch liest oder einfach nur einen Kaffee trinkt. Das Ziel ist, solche Stressmomente mit positiven Handlungen zu besetzen, sodass sich im Gedächtnis kein negatives Erlebnis oder Bild abspeichern kann. „Dazu zählt aber auch“, so Neurowissenschaftler Lichtenthal, „dass man die Situation grundsätzlich anders bewertet, nämlich nicht mehr als bedrohlich, sondern als eine Möglichkeit, die Zeit sinnvoll zu nutzen. Und das sind Methoden, die überall funktionieren.“ Stress sollte direkt bewältigt werden Einen verspäteten Zug erlebt man zum Glück nicht jeden Tag. Wesentlich belastender ist der tägliche Stress am Arbeitsplatz. Wer in diesen Fällen nicht die Möglichkeit hat, die Umstände zu ändern, also kürzer zu treten oder die Stelle zu wechseln, versucht oft einen Ausgleich zu finden, zum Beispiel durch eine Massage am Abend oder Sport am Wochenende. Stressforscher Dr. Lichtenthal unterstützt diese Maßnahmen zwar, jedoch hält er sie für nicht ausreichend und nur wenig geeignet, direkt und vor Ort den Stress zu bewältigen. „Wir wissen, dass diese Menschen morgens wieder zur Arbeit gehen und dann abermals denken, wie viele E-Mails sie gleich wieder beantworten müssen. Dann hilft ihnen das Joggen nicht mehr, denn dann müssten sie in dem Augenblick wieder laufen, um das freigesetzte Adrenalin abzutrainieren.“ Mindestens 100 Mal pro Tag erlebt fast jeder Mensch diverse Stresssituationen. Doch nicht immer sind sie so intensiv, dass sie auch als Belastung wahrgenommen werden. Auch wenn man nichts spürt: Stresssymptome sind nachweisbar. Über zwei Elektroden lassen sich an den Fingern Hautwiderstände messen, die sich unter Stress verändern. Eine Testreihe ergab, dass bereits das Erzählen einer erlebten Stresssituation bei den Testperson einen deutlichen Kurvenanstieg erzeugten. Für den Neurowissenschaftler Albert Lichtenthal ist dies nur ein weiterer Hinweis, dass Stress im Kopf entsteht und Gedanken und Erinnerungen die Auslöser sind.

Stress mental bewältigen „Das Leben besteht aus Augenblicken“ – so lautet eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Grundlage für den Stressabbau durch Achtsamkeit. Entwickelt wurde die achtwöchige Methode von einem Arzt. Dr. Jon Kabat-Zinn, international anerkannter Verhaltensmediziner, entwickelte die Methode in der Stress Reduction Clinic der medizinischen Fakultät der Universität Massachusetts. Seitdem wird sie überaus erfolgreich angewandt, auch in Deutschland, wo die Kurse inzwischen von einigen Krankenkassen bezahlt werden. Der Hirnforscher Richard Davidson hat bei Teilnehmern eines achtwöchigen Achtsamkeitstrainings eine erhöhte Aktivität in der linken frontalen Hirnhälfte entdeckt. Dieser Bereich ist wichtig für positive Seite 4 von 4

Gefühle wie Optimismus, Liebe und Mitgefühl. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zeigten die Teilnehmer darüber hinaus vermehrt Antikörper gegen den zum Ende des Programms verabreichten Grippewirkstoff.

Kurse zum Stressabbau durch Achtsamkeit werden von einigen Krankenkassen bereits bezahlt Achtsamkeit: Wie funktioniert das? Achtsamkeit gewinnen bedeutet, in jedem Augenblick des Lebens „voll da zu sein“. Kinder können das, doch erwachsene Menschen der westlichen Welt haben das in der Regel verlernt. Wir bewegen uns gedanklich ständig im Gestern und Morgen, denken darüber nach, was alles schief gelaufen ist, was wir nicht geschafft haben und was wir noch machen müssen oder schon längst gemacht haben müssten, aber wohl wieder nicht schaffen. Die Anforderungen unserer Umwelt, aber vor allem die Anforderungen, die wir an uns selbst stellen, sind hoch. Das bereitet Stress. Systematisch lernen die Teilnehmer eines Achtsamkeitskurses durch Atemübungen, Meditation und einfache Yogaübungen, achtsam zu werden. Es geht darum, Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle und äußere Reize ohne jede Bewertung erst einmal zu akzeptieren. Wenn wir uns also über den Streit mit dem Kollegen ärgern, spüren wir zunächst die Wut im Bauch, ohne uns dafür zu schelten, dass wir zu nachgiebig oder zu grob gewesen sind. Die Wut ist einfach nur da – das ist weder gut noch schlecht. Mit Hilfe des Atems gelingt es, die Wut nicht übermächtig werden zu lassen. Eine neue Körperwahrnehmung Mit dem sogenannten „Bodyscan“ üben die Kursteilnehmer, ihren inneren Blick ganz gezielt auf bestimmte Körperteile zu lenken und aufmerksam zu beobachten, was sie dort gerade empfinden und fühlen. Eine verbesserte Körperwahrnehmung und die Erfahrung, dass Empfindungen nicht endgültig, sondern immer vorübergehend sind, helfen dabei, Stress frühzeitig wahrzunehmen und Stressreaktionsketten zu stoppen. Auch Schmerzpatienten erfahren ihren Körper neu und lernen, mit ihrem Leiden umzugehen und den Schmerz nachhaltig zu reduzieren.

Die Methode kann in den Alltag eingebaut werden Achtsamkeit im Alltag üben Neben den Entspannungstechniken bekommen die Teilnehmer Aufgaben mit nach Hause. Denn es geht darum, die Methode in den Alltag einzubauen. Manchmal erreicht man mit kleinen Kniffen große Ergebnisse. Wenn das Telefon klingelt, nicht gleich den Hörer abnehmen, sondern zunächst dreimal tief atmen. Es bewirkt, dass man sich Zeit lässt, zu entscheiden: Will ich jetzt überhaupt ans Telefon

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gehen? Wenn die Ampel rot wird, nicht noch schnell Gas geben sondern bewusst innehalten und tief durchatmen.

Achtsamkeit kann anhand kleiner Übungen trainiert werden Achtsamkeit wird kultiviert, indem wir Dingen Aufmerksamkeit schenken, an die wir sonst keine Gedanken verschwenden: dem Wind auf der Haut, der Blume am Wegesrand oder dem freudigen Lachen eines Kindes. In einem Leben ohne Achtsamkeit schlingen wir das Mittagessen in uns hinein – geschmeckt haben wir es nicht. Im Achtsamkeitsseminar essen wir drei Rosinen – und brauchen dafür 15 Minuten. Beim Sport hetzen wir die Joggingstrecke entlang, ohne die Freude an der Bewegung wahrzunehmen. Im Achtsamkeitstraining erfahren wir in der Gehmeditation, was der Körper da eigentlich tut. Wir spüren uns neu. Auswirkungen der Achtsamkeitspraxis Die Wirksamkeit dieses Programms wurde auch in zahlreichen Studien belegt. Die Integration der Übungen in den Alltag soll zu anhaltender Verminderung von körperlichen und psychischen Beschwerden führen, Stresssituationen besser bewältigen helfen, die Fähigkeit, sich zu entspannen fördern und zu wachsendem Selbstvertrauen und mehr Selbstakzeptanz führen. Das Training eignet sich für Personen mit Stress – bedingt durch Familie oder Beruf –, akuten oder chronischen Beschwerden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen, Ängsten, Panikattacken, depressiven Verstimmungen und für Menschen mit dem Wunsch nach einer ressourcenorientierten Ergänzung zur medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlung.

Anti-Stress-Seminar für Mitarbeiter

Achtsamkeit hilft bei der Bewältigung der Tagesaufgaben Seit November des letzten Jahres bietet die Kölner Firma Klosterfrau außerhalb der Dienstzeit für ihre Mitarbeiter Kurse in Achtsamkeit an. Mithilfe bestimmter Techniken lernen die Teilnehmer, den täglichen Arbeitsstress besser zu bewältigen. Auch Jutta Franken nimmt an dem Kursus teil. Anhalten, zu sich kommen und neue Kraft tanken ist für sie ein wichtiges Ziel. Seit 35 Jahren arbeitet sie bei Klosterfrau, die letzten zehn Jahre als Betriebsratsvorsitzende. Die Arbeitsbelastung und die damit verbundenen Stresssymptome haben auch in diesem Betrieb spürbar zugenommen. Immer wieder erzählen ihr Mitarbeiter, dass der Arbeitsdruck sie gesundheitlich belastet oder dass sie manchmal ausgelaugt sind. Auch Jutta Franken kennt solche Symptome. „Bei mir ist das so, dass ich das oft mitnehme nach Hause und es nachts verarbeite. Man wird irgendwann wach. Wenn man am anderen Morgen in die Firma geht, weiß man, da kommt wieder das und das auf einen zu, der Druck ist schon enorm.“ Arbeitsdruck wird zunehmen Jutta Franken und diejenigen ihrer Kollegen, die offen über die zunehmende Arbeitsbelastung sprechen, sind alles andere als Einzelfälle. Jüngste Studien belegen, dass die Arbeitsstunden, der erhöhte Zeitdruck, die hohe Flexibilität und die Angst um den Arbeitsplatz in den letzten Jahren Seite 6 von 6

generell zugenommen haben. „Ein Ende ist längst noch nicht in Sicht“, erklärt Prof. Johannes Siegrist vom Institut für Medizinische Soziologie der Uni Düsseldorf. „Wir haben heute schon eine Tendenz hin zur Mehrarbeit und Überstunden. 13 Prozent der Bevölkerung im EU-Raum haben mehr als 50 Stunden pro Woche Arbeitszeit. Das heißt, diese Verdichtung nimmt aller Voraussicht nach noch weiter zu.“

Stress ist häufig die Folge der wachsenden Arbeitsverdichtung Ein Gong im Büro ruft zur Achtsamkeit auf Für Horst Inden sind die Studien zum Thema „Stressforschung“ Teil seiner Arbeit. Der Personalleiter von Klosterfrau ist nicht nur um die Effizienz, sondern auch um die Gesundheit seiner Mitarbeiter bemüht. Im Herbst letzten Jahres schlug er ein Anti-Stress-Seminar vor. Man entschied sich für einen Kurs in Achtsamkeit, weil die erlernten Techniken auch während der Arbeitszeit durchgeführt werden können. Ein programmierter Gong im Computer erinnert die Mitarbeiter regelmäßig an ihre Übungen. Für Jutta Franken ist Achtsamkeit im Büro mittlerweile ein fester Bestandteil. Wenn bei ihr alle 15 Minuten der Gong ertönt, versucht sie sich für kurze Zeit zu entspannen. „Ich kann am Arbeitsplatz tatsächlich meine Arbeit für eine Minute unterbrechen, das muss ja gar nicht so viel länger sein. Ich kann wirklich nur sagen, dass es sehr positiv ist.“

Entspannungsübungen wirken sich positiv auf den Arbeitsalltag aus Tempo aus dem Arbeitsalltag nehmen Mittlerweile leitet Meditationstrainer Georg Lollos bei Klosterfrau auch den Fortgeschrittenkurs in Achtsamkeit. Für ihn ist es eine wirksame Methode, die Stressfolgen im Alltag und vor allem während der Arbeit zu reduzieren „Ein ganz wesentliches Element bei der Achtsamkeit ist das Anhalten. Immer wieder am Tag anhalten, innehalten, das Tempo rausnehmen, zu sich kommen, spüren, was macht mein Körper, was machen meine Emotionen, was machen meine Gedanken. Wenn ich immer wieder diesen Block einbaue, nehme ich schon unheimlich viel von diesem Getriebensein raus in meinem Alltag.“ Seit Beginn des ersten Kursus begleitet ein Psychologe die Teilnehmer. Die Auswertung der Fragen stehen noch aus, doch bislang hat Klosterfrau-Personalchef Horst Inden nur positive Reaktionen seiner Mitarbeiter auf das Anti-Stress-Seminar erhalten. Auch er selbst profitiert von der Achtsamkeit. Seit der Gong bei ihm stündlich ertönt, fühlt der Personalchef sich bei der Arbeit wesentlich entspannter.

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