Stolpersteine. Steine gegen das Vergessen

Stolpersteine Steine gegen das Vergessen Gunter Demnig 2006 bei der Verlegung der ersten Stolpersteine in Marburg Gunter Demnig bei der Verlegung de...
Author: Edith Lang
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Stolpersteine Steine gegen das Vergessen

Gunter Demnig 2006 bei der Verlegung der ersten Stolpersteine in Marburg

Gunter Demnig bei der Verlegung der Erinnerungssteine für die Familie Buxbaum in Wehrda; mit dabei Schülerinnen und Schüler der Waldschule Wehrda

Begleitet wurde das Gedenken u. a. durch Schüler- und LehrerInnen der Waldschule Wehrda, Vertreter der Stadt Marburg und des Stadtteils Wehrda, die jüdischen Gemeinde Marburg, die Kirchengemeinden, Anlieger und Bürger und Bürgerinnen von Wehrda.

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In Marburg ... wurden am 20. März 2006 die ersten Stolpersteine verlegt. Würde an alle Opfer der NS-Zeit in Marburg erinnert, müssten etwa 200 Steine verlegt werden. Würden Erinnerungssteine auch für alle Geflüchteten und Geretteten gesetzt, wäre die Zahl erheblich höher.

Für die folgenden Personen wurden am 9. Oktober 2014 in Wehrda Steine gesetzt: Levi Heß und Bertha Heß geb. Stern und die Kinder Gerda Heß verh. Stern und Adolf Heß Julius Buxbaum und Irene Buxbaum geb. Stern und Tochter Hannelore Buxbaum Dr. Heinrich Berger Paten sind: Evangelische Kirchengemeinde der Martinskirche Wehrda Bärbel Wagner, Wiesbaden und Wehrda Gewinn- und Sparverein Sparda Bank (zwei Steine) Wolfram Kühn, Siebert GmbH Werbekreis Kaufpark Wehrda Dr. Gerd-Ewald und Lissa von Manteuffel, Wehrda Die Linke, Kreisverband Marburg-Biedenkopf Die Sparkasse Marburg-Biedenkopf spendet für die geplante Gedenkstätte in der Mengelsgasse in Wehrda 3

Familie Hess, Haus Nr. 20 in Wehrda, heute Mengelsgasse 4 (das Haus wurde abgerissen) Dorfname: Samels

Das Bild zeigt die Vorderansicht des Hauses der Familie Heß. Die gegenüberstehende Scheune wurde am 22. Februar 1945 von amerikanischen Jagdbombern in Brand geschossen, aber wieder aufgebaut. Später wurden Haus und Scheune abgerissen. Heute befindet sich hier die Bushaltestelle Mengelsgasse in Richtung Sachsenring.

Im Vordergrund des Fotos sieht man die Rückseite des Hauses der Familie Heß mit dem querstehenden Anbau und die gegenüberstehende Scheune. Links daneben ist noch das Backhaus zu erkennen. 4

Am 22. Juni 2007 wurde an der Bushaltestelle Mengelsgasse in Wehrda eine Tafel zum Gedenken an jene jüdischen Bürgerinnen und Bürger enthüllt, die während der Zeit des Nationalsozialismus aus Wehrda vertrieben oder die ermordet wurden.

Der Platz, auf dem das Haus der Familie Heß stand, im Jahr 2014. 5

Die Familie Heß (Hess), das Ehepaar Bertha und Levi mit ihren Kindern Gerda, Adolf und Ernst, lebte im Haus Nr. 20 in Wehrda. Bertha Heß (Foto oben), geboren am 15. Oktober 1870 in Wehrda, war eine Tochter von Samuel Stern und Giedel Löwenstein. Die Familie Stern lebte nachweislich schon im 18. Jahrhundert in Wehrda. Der Viehhändler Salomon Stern, Bertha Heß‘ Großvater, erhielt 1816 die Bürgerrechte und kaufte ein Haus in der heutigen Straße "Rosengarten", die seitdem von den Wehrdaern Judengasse genannt wurde. Bertha Heß geb. Stern hatte mindestens sechs Geschwister. Ihr Ehemann, Levi Heß, wurde am 4. Juli 1873 in Oberasphe geboren. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Gerda Heß, geboren am 19. Februar 1901, Adolf Heß, geboren am 14. Januar 1906 und Ernst Heß, geboren am 6. Februar 1910. Ernst Heß ging wohl schon vor der NS-Zeit in die USA. Bei der Volkszählung 1940 wurde er in der Bronx in New York City registriert. Zu diesem Zeitpunkt war er ledig und arbeitete als Angestellter. Am 14. Mai 2004 starb er in Deerfield Beach Florida. Über Nachkommen ist nichts bekannt. Gerda Heß besuchte von 1911 bis 1917 die Elisabethschule in Marburg. Sie heiratete den am 7. März 1894 geboren David Stern in Frankfurt am Main. Dem Ehepaar Gerda Stern geb. Heß und David Stern gelang die Flucht in die USA. Es erreichte New York im Oktober 1937, wo das Paar auch weiterhin wohnte. David Stern stellte wohl Kleidung in dem bekannten Garment District in Manhattan her. Er starb im August 1979 im Bundesstaat Maryland, seine Frau im Jahr 1991. 6

Das Foto zeigt die noch unverheiratete Gerda Heß mit zwei Nachbarsmädchen in Wehrda. Adolf Heß blieb bei seinen Eltern in Wehrda. Vater und Sohn arbeiteten als Viehhändler und Metzger. Diese Berufe spielten in den ländlichen bäuerlichen Dorfgemeinschaften eine wichtige Rolle. Der Handel beruhte auf gegenseitigem Vertrauen. Aber auch Missgunst und Neid, die besonders in Zeiten wirtschaftlicher Probleme wuchsen, waren Begleiter des Miteinanders zwischen Juden und Nichtjuden. 1933 wurde der Antisemitismus zur Staatsraison. Die Juden wurden aus dem Wirtschaftsleben gedrängt, sie sollten Deutschland verlassen. Die in Deutschland zurückgebliebenen Juden wurden ab 1941 in den Osten deportiert und ermordet. Der Pächter des Görzhäuser Hofes bezahlte schon ab 1933 seine Schulden bei dem Viehhändler Levi Heß nicht mehr. Am 15. November 1935 berichtete der Landrat an das Parteigericht der NSDAP, dass die Metzger Ferdinand Lang und Karl Albrecht aus Marburg bei Levi Heß noch Vieh gekauft hätten. Am 8. Juni 1936 verkaufte der Wehrdaer Landwirt Löwer Vieh an Levi Heß. Auch dies wurde dem Parteigericht mitgeteilt. Handel und Gewerbe, die den Lebensunterhalt sichern sollten, war unter diesen Umständen nicht mehr möglich. 7

Der Radfahrverein in Wehrda: Adolf Heß ist in der ersten Reihe als dritter von rechts zu sehen.

Der Wehrdaer Gesangsverein feierte 1926 sein 60-jähriges Bestehen: Adolf Heß steht als 5. von links in der 4. Reihe von unten. 8

Zudem spielte sich in diesen Jahren ein weiteres Drama im Leben der Familie Heß ab. Adolf Heß wurde am 5. April 1937 vom Schöffengericht in Marburg wegen "Anstiftung zur versuchten Abtreibung" zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die Gerichtsakte konnte nicht mehr gefunden werden. Es lässt sich nur vermuten, welche abstrusen Beschuldigungen zu einer so hohen Freiheitsstrafe führten.

Adolf Heß musste die Gefängnisstrafe in voller Länge erdulden. Für ihn gab es jetzt keinen Grund mehr, die Flucht aus Deutschland weiter aufzuschieben. Er wollte zu seinen Geschwistern in die USA. Die NS-Administration unterstützte sein Vorhaben – keinesfalls aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus der rassistischen NS-Ideologie heraus. Seine Gefängnisstrafe hätte die Einreise in die USA erschwert oder sogar unmöglich gemacht. Deshalb verzichteten die Behörden darauf, die Strafe im geforderten Leumundszeugnis aufzuführen. Der Landrat hatte das Gesuch von Adolf Heß, die Gefängnisstrafe nicht auszuweisen an den Regierungspräsidenten in Kassel weitergereicht. Am 7. Mai 1938 heißt es in einem Schreiben des Landrats: "Der erste Antrag von Heß wurde am 25. März 1938 […] vorgelegt. Ich darf um Beschleunigung bitten, damit der Jude auswandern kann."

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Für Bürgermeister Wagner in Wehrda war es das höchste Ziel, am 28. Juli 1938 an den Landrat von Marburg die Mitteilung machen zu können, dass "Wehrda Judenfrei" sei.

Adolf Heß (Foto oben) flüchtete nach Baltimore und wohnte 1940 zusammen mit seiner Schwester und seinem Schwager in New York. Er arbeitete wieder als Metzger. Er starb 1977. Über Nachkommen ist nichts bekannt. Bertha und Levi Heß mussten auf Druck der Behörden Wehrda ebenfalls verlassen. Sie zogen nach Frankfurt am Main in die Elkenbachstraße 22 in 10

Bornheim. Das Haus gehörte der jüdischen Familie Strauß aus Langen, die ebenfalls in die Großstadt geflüchtet war. Am 5. November 1940 starb Bertha Heß im Alter von 70 Jahren im Rothschild’schen Hospital im Röderbergweg 97. Als Todesursache wurde Herzschlag angegeben. Das Hospital war nach dem frühen Tod der Georgine Sara Rothschild von ihrer Familie gestiftet worden. Die Zwangsauflösung dieser Einrichtung erfolgte im April 1941. Levi Heß wurde am 1. September 1942 ab Frankfurt am Main nach Theresienstadt deportiert. Von dort wurde er am 29. September 1942 nach Treblinka verschleppt und ermordet. Auch seine Schwester Bertha Nathan geb. Heß mit Ehemann Hermann Nathan und sein Bruder David Heß mit Ehefrau Frieda Heß und Sohn Oskar Heß wurden ermordet. Theresienstadt (Terezin) ist eine ehemalige Garnisonsstadt an der Eger in Nordböhmen (Tschechische Republik). In der NS-Zeit gehörte Theresienstadt zum "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren", das von Adolf Hitler am 16. März 1939 auf dem Prager Hradschin als Bestandteil des "Großdeutschen Reichs" verkündet worden war. Ab 1940 wurden Stadt und Festung als Lager und Gestapo-Gefängnis genutzt. Theresienstadt war Sammel- und Durchgangslager für die heimische jüdische Bevölkerung, ab 1942 auch für alte, für prominente Jüdinnen und Juden und für im 1. Weltkrieg ausgezeichnete jüdische Kriegsteilnehmer aus dem Deutschen Reich. Ihnen wurden "Heimeinkaufsverträge" angeboten, die angemessene Verpflegung und ärztliche Versorgung versprachen. Trotz kultureller Aktivitäten der Verschleppten und Gefangenen waren die Lebensbedingungen katastrophal. Das Lager gehörte – entgegen anderslautender NS-Propaganda – zur Gesamtplanung der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Anders als die Ghettos und Konzentrationslager war Treblinka ausschließlich dafür eingerichtet Menschen zu ermorden. Das Vernichtungslager wurde im Sommer 1942 durch die Schutzstaffel (SS) bei Treblinka im nordöstlichen Teil des "Generalgouvernements" an der Bahnstrecke Warschau-Bialystok errichtet. Der SS-Obersturmführer Irmfried Eberl (1910-1948) wurde Lagerkommandant. Im September 1942 wurde Eberl vom früheren Kommandanten des Vernichtungslagers Sobibór, Franz Stangl (1908-1971), abgelöst. Das Lager Treblinka war in drei Bereiche aufgeteilt: Die Unterkünfte für das Lagerpersonal sowie Büros und Werkstätten, der "Ankunftsbereich" mit Gleis und Rampe, Entkleidungsbaracken für die Opfer und Lagerräumen für ihren Besitz und der Vernichtungsbereich mit Gaskammern, Leichengruben und 11

Unterkünften für die dort "arbeitenden" Juden. Zu den Gaskammern führte ein schmaler Weg, der sogenannte "Schlauch". In Treblinka wurden vor allem Juden aus Polen ermordet, aber auch slowakische, griechische, mazedonische und jugoslawische Juden, etwa 2000 Sinti und Roma, sowie im September und Oktober 1942 etwa 8000 "Bewohner" des Ghettos Theresienstadt . Allen ankommenden Juden wurde vorgemacht, sie befänden sich in einem "Durchgangslager" und würden nach dem Duschen und der Desinfektion ihrer Kleider in ein Arbeitslager überstellt. Nach Männern und Frauen getrennt mussten sie sich ausziehen und ihr Gepäck abgeben. Anschließend trieben SS-Männer die Juden durch den "Schlauch" direkt in die als Duschräume getarnten Gaskammern. Ein im Nebenraum installierter Dieselmotor erzeugte das Giftgas Kohlenmonoxid, das in die Gaskammern eingeleitet wurde. Ein aus Juden bestehendes Arbeitskommando musste die Kleidung nach Wertsachen durchsuchen, den Frauen vor ihrer Ermordung die Haare abschneiden, den Menschen nach ihrer Ermordung die Goldzähne entfernen und die Körper schließlich in Massengräber werfen. Diese aus den Transporten ausgewählten "Arbeitsjuden" wurden in regelmäßigen Abständen von der SS getötet und durch Neuankömmlinge ersetzt. Ende August 1942 waren rund 268 000 Juden in Treblinka ermordet worden. Anfang Oktober 1942 ließ Lagerkommandant Stangl zehn neue Gaskammern errichten, in denen insgesamt 4000 Menschen ermordet werden konnten. Bis zum Frühjahr 1943 wurden hunderttausende Menschen vergast. Anfang März 1943 ließ die SS die Massengräber öffnen und die Leichen verbrennen, um die Spuren des Verbrechens zu verwischen. Nur wenige Menschen überlebten das Lager. Sie hatten sich im Zuge eines Aufstandes im August 1943 befreien können. Nach Niederschlagung des Aufstandes ließ die SS das Lager abreißen, den Boden umpflügen und zur Tarnung ein Bauernhaus errichten. Deutsches und polnisches Bahnpersonal am Bahnhofsgebäude Treblinka. (ARC-Archiv) Am kleinen Bahnhof Treblinka wurden alle Deportationszüge aufgeteilt und dann zu jeweils 20 Waggons ins Lager geschoben. 12

Stolpersteine für die Familie Levi Heß und Bertha Heß geb. Stern und ihre Kinder Gerda und Adolf Heß.

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Familie Buxbaum , Haus Nr. 42, heute Goßfeldener Straße 1 Dorfname: Schönges

Das Haus Goßfeldener Straße 1 im Jahr 2014. Irene Stern wurde als Tochter von Ascher und Johanna Stern geb. Spier – sie stammte aus Leidenhofen – am 13. März 1902 in Wehrda geboren. Sie besuchte in Marburg die Elisabethschule. Ihre um 20 Jahre ältere Schwester Jettchen (Henriette) heiratete Karl Stern aus Kirchhain, wohin sie auch zog. Irene Stern heiratete Julius Buxbaum und sie lebten im Haus ihrer Eltern – der Nummer 42 – in Wehrda. Julius Buxbaum, der am 15. Februar 1904 in Allendorf (Stadtallendorf) geboren wurde, war Viehhändler. Er übernahm die Geschäfte seines Schwiegervaters Ascher Stern. Am 14. Oktober 1930 wurde die Tochter Hannelore Buxbaum geboren. Die Mutter Johanna Stern geb. Spier verstarb 1932 mit 73 Jahren. Ihr Vater Ascher Stern zog zu seiner Tochter Jettchen Stern geb. Stern nach Kirchhain und überließ die Geschäfte ganz seinem Schwiegersohn. Ascher Stern starb am 18. Juni 1936 mit 82 Jahren in Kirchhain. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Marburg bei seiner Ehefrau beerdigt. Sein Schwiegersohn Karl Stern aus Kirchhain wurde im KZ Buchenwald ermordet, 14

nachdem er im Zuge der Pogromnacht 1938 verhaftet worden war. Seine Frau und seine zwei Töchter konnten in die USA entkommen.

Das Grab der Eheleute Ascher und Johanna Stern auf dem jüdischen Friedhof in Marburg. Foto: Andreas Schmidt Die Zwangsmaßnahmen und Drohungen der NS-Herrschaft ließen vor allem auch die Händler in den kleinen Orten schnell jegliche materielle Grundlage verlieren. 1937 wurde Metzgers Stang aus Marburg angezeigt, da er Fleisch vom Wehrdaer Viehhändler Buxbaum gekauft haben sollte. Ohne nichtjüdische Kunden konnte der Handel sich natürlich nicht tragen. Zudem wurden Rechnungen nicht mehr bezahlt und ständig behördliche Kontrollen vorgenommen. Julius Buxbaums Brüder Gottfried und Israel Buxbaum II. waren ebenfalls Viehhändler und Metzger in Allendorf (Stadtallendorf). Ihre Eltern waren Heinemann Buxbaum und Jettchen Stern, die aus Oberasphe stammt. Sie starben 1923 und 1926 in Allendorf und sind auf dem dortigen Friedhof beerdigt. Deutlich wird, dass die Verbindungen der Familien in Wehrda, Oberasphe und Allendorf besonders stark waren. Auch Gottfried und Israel Buxbaum flüchteten mit ihren Familien in die USA. Frieda und Bertha Buxbaum, die Schwestern von Julius, Gottfried und Israel Buxbaum, waren Zwillinge. Frieda heiratet nach Neukirchen. Ihr gelang mit ihrem Mann Max Nussbaum die Flucht über Frankreich nach Lissabon. Bertha Buxbaum heiratet Max Höxter und lebte in Gemünden/Wohra. 1946 konnten sie nach ihrer erfolgreichen Flucht ihre silberne Hochzeit in Buenos Aires feiern. Julius, Irene und Hannelore Buxbaum verließen wohl im Sommer 1937 Wehrda und gelangten am 5. Oktober 1937 in die USA. 15

Bei der Volkszählung im Jahr 1940 wurde die Familie Buxbaum in Kings, New York am Lincoln Place genannt. Julius Buxbaum starb im Dezember 1965 in Brooklyn. Buxbaum – Julius, geliebter Ehemann von Irene, ergebener Vater von Laura Fleischmann, liebender Großvater von Steven, Nicole und Alan, lieber Bruder von Frieda Nussbaum, Bertha Höxter, Israel, Max und Gottfried. Im Folgenden werden Angaben zur Beerdigung gemacht. Irene Buxbaum starb am 1. Mai 1985 ebenfalls in Brooklyn. Zeitungsausschnitt zum Tod von Julius Buxbaum im Jahr 1965. Berichte der Nachbarsfamilie Löchel besagen, dass Buxbaums viele Jahre lang regelmäßig Pakete mit T-Shirts und Geld aus Amerika zu ihnen nach Wehrda gesandt hätten. Tochter Hannelore Buxbaum hatte ihren in der englischen Sprache nicht sehr geläufigen und sicher nicht leicht auszusprechenden Name Hannelore in Laura geändert. Sie heiratete Arnold Fleischmann.

1960 besuchte Hannelore (Laura) Fleischmann geb. Buxbaum Wehrda. Sie traf sich mit Margareta Trier, ihrer Spielkameradin, der sie ihre Visitenkarte gab und die sie in die USA einlud. Laura Fleischmann starb am 19. Juli 1988 in Lutherville. Ihre drei Kinder leben in den USA. Eine Kontaktaufnahme scheiterte bisher.

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Vorbereitung für die Verlegung der Stolpersteine für die Familie Buxbaum.

Margareta Trier (Mitte) erinnerte sich bei der Verlegung der Stolpersteine an ihre Freundin aus Kindertagen, Hannelore Buxbaum. 17

Die Stolpersteine für Julius Buxbaum und seine Frau Irene Buxbaum geb. Stern und ihre Tochter Hannelore Buxbaum.

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Dr. phil. Heinrich Berger, Wehrda 192 oder Oberweg 1/2, heute Oberweg 21

Das Haus Oberweg 21 im Jahr 2014: In diesem Haus lebte Dr. Heinrich Berger mit seiner Frau Meta seit 1937. Auch seine Tochter Hertha Marie Luise Berger war hier zeitweise gemeldet. Berger starb in diesem Haus am 12. Oktober 1939. Heinrich Berger wurde am 30. April 1874 in Breslau als Sohn von Regina geb. Ollendorff und Joseph Berger geboren. Ob er Geschwister hatte, ließ sich bis jetzt nicht ermitteln. Bergers Mutter, Regina Ollendorff (geboren am 3. Februar 1849 in Rawitsch (Rawicz, Großpolen), gestorben am 18. Juli 1908) war Tochter von Robert Ollendorff und Serephene Sandmann. Sie heiratete Joseph Berger am 26. Dezember 1871. Die Ollendorffs waren eine jüdische Familie. Ob Heinrich Berger evangelisch erzogen wurde oder konvertierte, geht aus den vorliegenden Dokumenten nicht hervor. Heinrich Berger machte 1892 am "Realgymnasium zum Zwinger" in Breslau sein Abitur und studierte ab dem Wintersemester 1892/93 an der "FriedrichWilhelms-Universität" in Breslau Neuere Sprachen. Zum Sommersemester 1894 wechselte er für zwei Semester nach Berlin, ab Sommersemester 1896 bis zum 19

Wintersemester 1897/98 studierte er wieder in Breslau. Am 17. Dezember 1897 legte er das Examen Rigorosum (Prüfung im Zuge der Promotion) in Breslau ab. 1898/99 studierte er noch in Kiel. Seine prämierte Promotionsarbeit mit dem Titel "Die Lehnwörter in der französischen Sprache ältester Zeit" wurde 1899 bei dem Verlag O. R. Reisland in Leipzig publiziert. Noch heute findet das Buch Interessierte, so wie das aktuelle Angebot eines Exemplars "in originalem Halbleder, mit goldgeprägtem Rückentitel, marmorierter Schnitt und Errata" zeigt. Am 3. März 1900 legte Heinrich Berger Ergänzungsprüfungen in Griechisch und Latein am "Gymnasium St. Elisabeth" in Breslau ab. Vom 26. Oktober 1901 bis zum 10. Juli 1905 war er Wissenschaftlicher "Hilfsarbeiter" an der Königlichenund Universitätsbibliothek in Breslau. Am 6. Mai 1905 machte er sein Staatsexamen in Breslau, am 16. Juni 1906 die Bibliotheks-Fachprüfung in Göttingen. In der Zeit vom 11. Juli 1905 bis zum 30. März 1914 arbeitete Heinrich Berger erst als Volontär, dann als Assistent, später als Hilfsbibliothekar und endlich ab 1. Oktober 1913 als Bibliothekar in der Breslauer Universitätsbibliothek. Zum 1. April 1914 wurde Heinrich Berger nach Marburg an die hiesige Universitätsbibliothek versetzt. Am 14. August 1907 hatte er Meta Anna Klara Land, geboren am 31. August 1882 in Breslau, geheiratet. Sie hatten drei Kinder, die Söhne wurden in Breslau geboren: Helmut Johann Wolfgang Berger, geboren am 11. Mai 1908, Karl-Heinz Josef Berger, geboren am 20. Dezember 1909. Die Tochter Hertha Marie Luise Berger kam am 20. August 1914 in Marburg auf die Welt. Beide Söhne besuchten das Gymnasium Philippinum, studierten Jura und promovierten in Marburg. Die Tochter besuchte das damalige Elisabeth-Lyzeum. Sie erlernte den Beruf der Säuglingspflegerin und scheint nicht geheiratet zu haben. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1935 wurde Dr. Berger vom Kurator der Marburger Universität Ernst von Hülsen auf Grund eines Erlasses des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 14. Oktober 1935 "betreffend die jüdischen Beamten, die von 3 oder 4 der Rasse nach volljüdischen Grosselternteilen abstammen ..." beurlaubt. Am 16. Dezember 1935 erhielt Dr. Heinrich Berger seine vorläufige Ruhegeldberechnung: 35 von 100 Prozent, das entsprach 223,70 RM und davon erhielt er 80 Prozent, also 178,96 RM, die zudem vierteljährlich ausgezahlt wurden. Das war eine erhebliche nicht zu rechtfertigende finanzielle Einbuße. Später wurde dieser Betrag etwas nach oben korrigiert. 20

In einem Schreiben vom 23. Dezember 1935 erhielt Dr. Berger seine Entlassung, die verschleiernd Versetzung in den Ruhestand genannt wurde. "Im Namen des Reiches ... Der Bibliotheksrat Dr. Berger in Marburg tritt auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes in Verbindung mit § 4 der 1. Verordnung dazu vom 14. Oktober 1935 betr. jüdische Beamte November 1935 (RGBl. I S. 1333) mit Ablauf des 31. Dez. 1935 in den Ruhestand." Der Bibliotheksdirektor hatte versucht, sich in einem Schreiben an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für seinen Mitarbeiter einzusetzen. Er schrieb: "Der am 30. April 1874 geborene, d.h. im 62. Lebensjahr stehende, der evangelischen Konfession angehörende Dr. Berger bittet in der vom Bibliotheksdirektor befürworteten anliegenden Eingabe vom 17. Oktober 1935, ihn bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im Amte zu belassen, oder falls dies nicht möglich sein sollte, ihn auf Grund des Runderlasses des Herrn Finanzminister und des Minister des Innern vom 5.3.1932, betreffend Zurruhesetzung von unmittelbaren Staatsbeamten ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit (Preuß. Besol. Blatt S. 60) mit einem Ruhegehalt von 80 v.H. des zuletzt bezogenen ruhegehaltsfähigen Diensteinkommens in den Ruhestand zu versetzen. Dr. Berger, der mit einer rein arischen Frau [nicht arischen ist durchgestrichen und berichtigt] verheiratet ist und 3 Kinder hat, ist ein tüchtiger Bibliotheksbeamter von durchaus zuverlässiger nationaler Gesinnung. In demselben Geist hat er seine Kinder erzogen. Sollte überhaupt eine Ausnahme nach den zu erwartenden Durchführungsbestimmungen zum Reichsbürgergesetz möglich sein, so befürworte ich auch meinerseits die Belassung Dr. Bergers im Amte, verneinenderfalls aber bitte ich seinem Antrage auf Versetzung in den Ruhestand in Gemäßheit des vorerwähnten Runderlasses vom 5. März 1932 mit einem Ruhegehalt von 80 v.H. seines Diensteinkommens grundsätzlich zuzustimmen und mich anzuweisen, eine Ruhegehaltsberechnung vorzulegen." Die Eingabe blieb ohne Erfolg. Bevor Dr. Berger mit seiner Frau 1937 nach Wehrda verzog, wohnte das Ehepaar in der Friedrichstraße 6, davor in der Weißenburgstraße (Schückingstraße) 22.

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Am 24. September 1939, zwei Wochen vor dem Tod ihres Mannes, schrieb Meta Berger einen Beschwerdebrief (siehe Ausschnitt) an den Landrat Krawielitzki zum Landratsamt in Marburg am "Adolf-Hitler-Platz". Die Ausführungen machen die Schikanen deutlich, unter denen das Ehepaar litt.

Am 12. Oktober 1939 verstarb Dr. Heinrich Berger in Wehrda mit 65 Jahren. Als Todesursache wird Herzschlag angegeben. Ausschnitt der Sterbebeurkundung Dr. Heinrich Bergers: Als Konfession wird "evangelisch" angegeben, als Todesursache "Herzschlag". Sterbebuch Standesamt Goßfelden 1939 Meta Berger zog im März 1951 zu ihrem Sohn Dr. iur. KarlHeinz Berger nach Stuttgart. Mit Hilfe Ihres Sohnes beantragte sie Wiedergutmachung, das heißt wenigstens einen finanziellen Ausgleich für das in der NS-Zeit erfahrene Unrecht. 22

Freia Meyer (rechts im Bild) und Rosemarie Stroop von der Geschichtswerkstatt Marburg haben intensiv zum Leben Dr. Heinrich Bergers geforscht.

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Initiatoren der Stolperstein-Verlegung in Wehrda: Heimatforscher Dieter Woischke (Erforschung und Dokumentation des Lebens der jüdischen Bürger in Wehrda) und Johannes Linn, Ortsbeiratsmitglied für die Marburger Linke und GKV-Vorstandsmitglied (Planung und Organisation der Stolperstein-Verlegung) in Zusammenarbeit mit dem Geschichts- und Kulturverein (GKV) Wehrda und insbesondere seinem Vorsitzenden Dr. Dieter Dörnemann Verwendete Literatur: Jüdische Bürger in Wehrda, Eine Dokumentation über das Schicksal jüdischer Menschen in Wehrda, erarbeitet von Dieter Woischke und Horst Lehnert im Auftrag der SPD Wehrda, Wehrda im August 2007 Barbara Händler-Lachmann/Ulrich Schütt, "unbekannt verzogen" oder "weggemacht", Schicksale der Juden im alten Landkreis Marburg 1933-1945 (1992) www.digam.net (Digitales Archiv Marburg), Ein Projekt der Arbeitsstelle Archivpädagogik am Staatsarchiv Marburg, Stand 2012 und 2013 http://www.dhm.de, Stand 2013 http://www.deathcamps.org/treblinka/photos_de.html, Stand 2014 Informationen zur Familie Buxbaum von Nathan Reiss

Text und Textrecherche: Barbara Wagner, Rosemarie Stroop, Freia Meyer, Arbeitskreis Stolpersteine und Geschichtswerkstatt Marburg e.V. Dokumente aus dem Staatsarchiv Marburg, auch Digitales Archiv Marburg Hessisches Staatsarchiv Marburg, Universitätsarchiv Marburg, Bestand 310, Nr. 2335b, Personalakte Dr. Berger Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 518, Nr. 62996, Wiedergutmachung Dr. Berger Historische Fotos aus der Broschüre von Dieter Woischke und Horst Lehnert Kennkartenfotos aus Barbara Händler-Lachmann/Ulrich Schütt, "unbekannt verzogen" oder "weggemacht" Aktuelle Fotos von Barbara Wagner 24

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Das Stolperstein-Projekt von Gunter Demnig Seit 1995 verlegt der Kölner Künstler Gunter Demnig auf Plätzen und Bürgersteigen vor den ehemaligen Wohnhäusern von Opfern des Nationalsozialismus 10 x 10 cm große Betonquader mit einer eingelassenen Messingplatte. Auf der Platte werden Name, Geburtsjahr, Tag der Deportation und Todesdatum oder Daten des Überlebends eingraviert. Mit den "Stolpersteinen" soll die Erinnerung an die Ermordeten und Vertriebenen im Alltag wach gehalten werden. In Marburg betreut der Arbeitskreis Stolpersteine das Projekt. Folgendes Bankkonto steht Ihnen für Spenden und Patenschaften zur Verfügung:

BLZ: 533 500 00 IBAN/Kontonummer: DE 8453350000 1018024418 BIC: HELADEF1MAR Kontoinhaberin: Geschichtswerkstatt Marburg Verwendungszweck: Stolpersteine

Kontaktadresse: Geschichtswerkstatt Marburg e. V. 35037 Marburg, Schwanallee 27-31 [email protected] Homepage: www.geschichtswerkstatt-marburg.de

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Der Geschichts- und Kulturverein (GKV) Wehrda plant aktuell eine Gedenkstätte in Form einer Gebäudenachbildung des abgerissenen Hauses in der Mengelsgasse 4 stellvertretend für die Erinnerung an alle Opfer der NS-Zeit. Weitere geschichtliche Informationen aus der Bevölkerung, eine Mitgliedschaft im GKV, Mitarbeit und/oder Spenden sind willkommen. Kontaktadresse: Geschichts- und Kulturverein (GKV) Wehrda e. V. Ernst-Lemmer-Straße 73, 35041 Marburg-Wehrda Email: [email protected] Homepage: http://www.geschichtsverein-wehrda.de

Bankverbindung des GKV: Sparkasse Marburg-Biedenkopf IBAN: DE71 5335 0000 0011 0098 40 BIC: HELADEF1MAR

Die Stimme jener Menschen sein, die nicht mehr reden können. Erinnern: Eine besondere Form der Liebe, eine Liebe zu denen, die ihr Unglück stimmlos gemacht hat. (Manes Sperber) __________________________________________________________________________________________

V.i.S.d.P.: Barbara Wagner, 35039 Marburg, Greifswalder Weg 1

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Der Künstler Gunter Demnig und Johannes Linn vom Geschichts- und Kulturverein Wehrda.

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