Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins

Berlin, im September 2010 Stellungnahme Nr. 50/10 abrufbar unter www.anwaltverein.de Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Familienrech...
Author: Hansl Schuler
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Berlin, im September 2010 Stellungnahme Nr. 50/10 abrufbar unter www.anwaltverein.de

Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Familienrechtsausschuss

zum

Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Begründung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts

Mitglieder des Familienrechtsausschusses: Rechtsanwältin Dr. Ingrid Groß, Augsburg (Vorsitzende und Berichterstatterin) Rechtsanwalt Dr. Peter Finger, Frankfurt am Main (Berichterstatter) Rechtsanwalt Jörn Hauß, Duisburg Rechtsanwalt und Notar Thomas Kilger, Hechingen Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schwackenberg, Oldenburg zuständig in der DAV-Geschäftsführung: Rechtsanwältin Christine Martin, Berlin

2 Verteiler: Europa: Europäische Kommission Generaldirektion Justiz Europäisches Parlament Ausschuss Recht Ausschuss Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres Rat der Europäischen Union Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU Justizreferenten der Landesvertretungen Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) Vertreter der Freien Berufe in Brüssel Ansprechpartner für den Verteiler auf EU-Ebene: Brüsseler Büro des Deutschen Anwaltvereins Rechtsanwältin Eva Schriever Avenue de la Joyeuse Entrée 1 B – 1040 Bruxelles Tel./ Fax: 0032 (0)2 280 28 12/ 13 Mail: [email protected] ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Bundesministerium der Justiz Rechtsausschuss des Deutschen Bundesrates Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, Arbeitsgruppe Recht Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag DIE LINKE-Fraktion im Deutschen Bundestag Vorstand und Geschäftsführung des Deutschen Anwaltvereins Vorsitzende der Gesetzgebungsausschüsse des Deutschen Anwaltvereins Vorsitzende des Forums Junge Anwaltschaft Ausschuss Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins Deutsche Anwaltakademie Deutscher Richterbund Deutscher Juristinnenbund Deutscher Steuerberaterverband Bundesrechtsanwaltskammer Bundesnotarkammer Bundesgerichtshof, Bibliothek Deutscher Notarverein Deutscher Familiengerichtstag e.V. Bundesverband der Freien Berufe ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Bundesfachgruppe Justiz Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht Redaktionen der NJW; FamRZ; FuR; FF; Juve; Familie, Partnerschaft und Recht

3 Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Der DAV mit derzeit ca. 67.000 Mitgliedern vertritt die Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.

I.

Ziel des Verordnungsvorschlags ist es, mehr Rechtssicherheit, eine bessere Berechenbarkeit und eine größere Flexibilität in Ehesachen mit internationalem Hintergrund und damit auch die Erleichterung der Freizügigkeit in der EU zu verwirklichen. Zugleich sollen Situationen vermieden werden, in denen ein Ehegatte alles daran setzt, die Scheidung zuerst einzureichen, um sicherzugehen, dass sich das Verfahren nach der Rechtsordnung richtet, die seine Interessen besser schützt. Das forum shopping soll vermieden werden.

Es ist begrüßenswert, dass im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit einige Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, die Lösung dieses Problems in Angriff nehmen. Der vorgelegte Verordnungsentwurf ist als erster Schritt auf diesem Weg zu sehen.

Der Entwurf enthält (1) ein weitgefasstes Rechtswahlrecht und subsidiär ein Kollisionsrecht für die (2) materiellrechtlichen Voraussetzungen der (3) Ehescheidung. Angesichts der höchst unterschiedlichen materiellen Ehescheidungsrechte – vom Zerrüttungsprinzip mit kurzer Trennungsdauer einerseits bis zum Ausschluss der Ehescheidung andererseits – ist eine einheitliche Regelung der Fälle mit Auslandsberührung sinnvoll und notwendig.

Noch weitaus wichtiger wird ein zweiter Schritt sein, nämlich eine entsprechende Regelung für die Scheidungsfolgen. Die Scheidungsfolgen – Güterrecht, nachehelicher Unterhalt, Versorgungsausgleich – sind von der vorgesehenen Regelung nicht betroffen, soweit nicht ausnahmsweise das nationale Recht vorschreibt, dass sich Scheidungsfolgen nach dem Recht richten, das auf die Ehescheidung angewandt wurde. Ein solcher Fall ist im deutschen Recht Art. 18 Abs. 4 EGBGB, der allerdings durch die Unterhaltsverordnung beseitigt werden soll. Die klassische Situation des forum hoppings ist für die Scheidungsfolgen nicht beseitigt. Weiterhin werden die Gerichte in den Ländern des angloamerikanischen Rechtskreises aus ihrer Zuständigkeit ableiten, dass sie nach ihrem eigenen materiellen Recht urteilen.

4 Hat ein englisches Gericht güterrechtliche Fragen zwischen deutschen Staatsangehörigen zu entscheiden, die in London wohnen, wendet es englisches Güterrecht an. Im gleichen Fall würde ein deutsches Gericht deutsches Güterrecht seiner Entscheidung zugrunde legen. Nach den Zuständigkeitsregeln können beide Gerichte zuständig sein. Der Antragsteller wird also – ungeachtet einer evtl. vorhandenen Vereinbarung zum materiellen Scheidungsrecht – das Gericht wählen können, bei dem er eine günstigere Regelung für die Folgesachen erwartet.

II. Anmerkungen zum Entwurf im Einzelnen:

(1) In Art. 1 Abs. 1 des Entwurfs ist nur von Ehescheidung und von Trennung dem Bande nach die Rede. Die Aufhebung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ist nicht erwähnt. Vor allem ist die Anfechtung und Aufhebung der Ehe ausgenommen, weil die Parteien keine Dispositionsbefugnis insoweit haben. Der Zusammenhang mit den sonstigen Verfahren ist aber offensichtlich. Der Anwendungsbereich sollte entsprechend ausgeweitet werden, wobei für die Fälle der Anfechtung und Aufhebung der Ehe aus Gründen des öffentlichen Interesses die Möglichkeit, eine Rechtswahl zu treffen, ausgeschlossen sein muss.

(2) Voraussetzung für die Anwendung der Verordnung soll gem. Art. 1 Abs. 1 sein, dass eine „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ besteht. Diese Bestimmung ist etwas undeutlich gefasst. Die Formulierung sollte die Anknüpfungen angeben, die mit der „Verbindung“ zum Recht verschiedener Staaten gemeint sind.

(3) Soweit gewünscht wird, dass in Art. 2 deutlicher herausgestellt wird, dass auch das Recht eines Drittstaates, der nicht zur EU gehört, gewählt werden kann oder nach der Verordnung anzuwenden ist, scheint uns dieses Bedenken nicht stichhaltig. Wir sehen nicht, dass Art. 2 so ausgelegt werden kann, dass das nach Art. 3 oder 4 berufene Recht zumindest dasjenige eines Mitgliedsstaates der EU sein muss oder eines Staates, der an der europäischen Gesetzgebung teilnimmt. 1 Es ist andererseits zu prüfen, ob diese weite Fassung wirklich gewählt werden soll.

(4) Das auf Ehescheidung/Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendende Recht soll künftig in Fällen mit Auslandsberührung in erster Linie durch Parteivereinbarung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 der VO bestimmt werden können. Diese Möglichkeit kennt das deutsche Recht bisher nicht. Nach dem bisherigen Eheverständnis des deut1

Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucksache 184/10 Nr. 10.

5 schen Rechts ist das materielle Recht der Ehescheidung zwingendes Recht. Durch die Rechtswahl wird ein dispositives Element eingefügt, das angesichts der Vielzahl der Anknüpfungspunkte in Art. 4 der Verordnung nicht geboten erscheint. Ob es eine unzumutbare Einschränkung der Freiheit ist, nur unter gesetzlichen Voraussetzungen geschieden werden zu können, die nicht gewählt werden können, wäre nach dem tradierten Eheverständnis des deutschen Rechts zu verneinen. Es wird allerdings nicht verkannt, dass parteiautonome Regelungen nicht nur der Scheidungsfolgen einem wachsenden Bedürfnis der Bürger entsprechen. Die Bedenken des Verordnungsgebers werden deutlich in der Einschränkung in Ziff. 1 des Art. 3 i. V. m. Art. 7. Wenn trotz dieser Bedenken die Rechtswahl eingeführt werden soll, sollte die Wahlmöglichkeit wenigstens auf eine der Rechtsordnungen der EG beschränkt werden.

(5) Der Entwurf sieht in Art. 3 Abs. 3 vor, dass die Rechtswahlvereinbarung der Schriftform bedarf, datiert werden muss und von den Ehegatten zu unterzeichnen ist. Zusätzliche Formvorschriften sollen nur gelten, wenn das Recht des teilnehmenden Mitgliedsstaates solche zusätzlichen Formvorschriften vorsieht. Bei Aufenthalten in verschiedenen teilnehmenden Staaten mit unterschiedlichen Formvorschriften soll das nächste Recht gelten. Angesichts der Bedeutung der Ehe und der Ehescheidung/Trennung ohne Auflösung des Ehebandes ist eine schriftliche datierte Vereinbarung zu wenig. Es kann erwartet werden, dass eine derartige Vereinbarung beurkundet wird – im Wege der notariellen Beurkundung –, um sicherzustellen, dass die Beteiligten rechtlich belehrt werden und dadurch die Tragweite einer solchen Vereinbarung erkennen können. Die Formvorschrift sollte in der Verordnung stehen. Die Übertragung auf einzelne Staaten erfüllt die Anforderungen nicht, und zwar wegen der vorgesehenen Geltung des schwächeren Rechts.

(6) Art. 4 regelt das anzuwendende Recht, wenn keine wirksame Rechtswahl getroffen ist.

Es wird in erster Linie auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt, in zweiter Linie auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit.

Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt enthält gerade im Hinblick auf Rechtswahlmanipulationen Unsicherheiten, was aber angesichts der internationalen Handhabung der Anknüpfung im Familienrecht wohl kaum noch zu vermeiden ist.

Die Frage der Doppelstaater und Mehrstaater stellt sich in Art. 4 c ebenso wie in Art. 3 Abs. 1 c. Der Text des Entwurfs deutet darauf hin, dass im Fall des Art. 3 c das Recht ei-

6 nes der Staaten, denen ein Ehegatte angehört, maßgebend ist und in Art. 4 c ausreichend ist, wenn eine der zwei oder mehreren Staatsangehörigkeiten bei beiden Ehegatten besteht.

(7) In Art. 3 Abs. 2 und 4 sowie in Art. 4 wird auf den Zeitpunkt der „Anrufung des Gerichts“ abgestellt. Die Worte „Anrufung des Gerichts“ können die Absendung des Scheidungsantrags/des Antrags auf Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, die Einreichung bei Gericht, die Zustellung bei der Gegenpartei, eventuell auch der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe vor Einreichung des Hauptsacheantrags sein. Es sollte genauer definiert werden, was die „Anrufung des Gerichts“ ist, wobei am ehesten wohl der Eingang des Antrags bei Gericht angesprochen werden sollte.

(8) Zum Zeitpunkt der Rechtswahlvereinbarung: Gem. Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 kann die Rechtswahl stets bis spätestens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts geschlossen oder geändert werden, und nur dann, wenn das Recht des Staates des angerufenen Gerichts dies vorsieht, noch im Laufe des Verfahrens. Art. 3 Abs. 2 sollte dahin geändert werden, dass auch noch während der ersten mündlichen Verhandlung eine Rechtswahlvereinbarung getroffen werden kann. Der Zeitpunkt der „Anrufung des Gerichts“ ist zu früh. Es sollte die Möglichkeit geben, auf der Grundlage der gerichtlichen Rechtsansicht erstmals die Vereinbarung zu schließen oder eine getroffene Vereinbarung nachzubessern.

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