Stefan Lochner: Madonna im Rosenhag

Stefan Lochner: Madonna im Rosenhag Die Madonna im Rosenhag (um 1435/1440),1 die auch die „kölsche Mona Lisa“ genannt wird und aller Wahrscheinlichkei...
Author: Pamela Winkler
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Stefan Lochner: Madonna im Rosenhag Die Madonna im Rosenhag (um 1435/1440),1 die auch die „kölsche Mona Lisa“ genannt wird und aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich Flügel eines Diptychons war, ist eines der Hauptwerke der spätmittelalterlichen deutschen Malerei und zugleich eines der bekanntesten Werke von Stefan Lochner, der zwischen 1400 und 1410 in Meersburg am Bodensee geboren wurde und 1451 in Köln an der seinerzeit in weiten Teilen Europas grassierenden Pest starb. Lochner, der bedeutendste Maler der sogenannten Kölner Malerschule, zeigt insofern einen besonderen Malstil als er den in der spätgotischen Malerei um 1400 vorherrschenden „Weichen Stil“, zu dessen Hauptmerkmalen fließend herabfallende Gewänder mit weichem Faltenwurf sowie ein zarter, lieblich-verträumter Gesichtsausdruck zählen, konserviert und ihn mit dem in der altniederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts (vor allem von Jan van Eyck und Robert Campin) angestrebten Naturalismus verbindet, so dass auch seine Figuren an Plastizität und Erdverbundenheit gewinnen. Nach Carl Georg Heise besteht Lochners kunsthistorische Bedeutung nun aber gerade darin, „dass er […] diese neuen Errungenschaften nicht

aufdringlich

zum bestimmenden Bildeindruck erhebt, sondern sie höheren

künstlerischen Forderungen bewusst unterzuordnen lernt. […] Es ist einer der vielleicht seltenen, von der älteren Forschung jedenfalls niemals beachteten Fälle, wo der künstlerische Wille eines […] Meisters sich nicht deckt mit vollkommener Auswertung der neuen technisch-darstellerischen Fortschritte seiner Epoche zu täuschender Nachahmung der Wirklichkeit“.2 Bevor wir uns näher mit der Madonna im Rosenhag befassen wollen, ist in Bezug auf die Identität des Malers Stefan Lochner und die ihm zugeschriebenen Werke zu betonen, dass wir es hier lediglich mit einer Rekonstruktion zu tun haben, die zwar sehr wahrscheinlich ist, jedoch nicht hieb- und stichfest nachgewiesen werden kann. Da es im Mittelalter nicht üblich war, dass Maler ihre Arbeiten signierten, können die aus dieser Zeit auf uns gekommenen Werke in der Regel nicht den in städtischen Archiven fassbaren Malernamen zugeordnet werden, weshalb man sich in der Kunstgeschichte mit sogenannten Notnamen behilft, wie beispielsweise der Meister der Kleinen Passion, der Meister der Heiligen Veronika usw. Stefan Lochner stellt in dieser Hinsicht einen Ausnahmefall dar, was wir einem anderen großen deutschen Maler, Albrecht Dürer, zu verdanken haben. Von diesem ist eine Notiz

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Vgl. Roland Krischel, Stefan Lochner. Die Muttergottes in der Rosenlaube, Leipzig, E. A. Seemann Verlag, 2013, S. 30. 2 Carl Georg Heise: „Zur künstlerischen Entwicklung Stefan Lochners“, in: Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag. Einführung von Manfred Wundram, Stuttgart, Reclam, 1965, S. 23. 1

überliefert, die sich auf seinen zweiwöchigen Aufenthalt in Köln im Herbst 1520 bezieht, und in der es heißt, er habe sich ein Bild zeigen lassen, das „maister steffan zu Cöln gemacht hat“. Diese Bemerkung Dürers wurde seit Anfang des 19. Jahrhunderts auf den Dreikönigsaltar bezogen und den von ihm erwähnten „maister steffan“ hat man mit dem in Kölner Dokumenten nachweisbaren Maler Stefan Lochner identifiziert, dem man auf der Grundlage stilistischer Vergleiche mit der besagten Altartafel ein Œuvre zuschrieb. Stefan Lochners Madonna im Rosenhag, die im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu bewundern ist, beeindruckt vor allem durch drei Gegebenheiten: die malerische Wirkung, das symbolisch-intellektuelle Programm und die außerordentliche Attraktivität der Madonna. Die herausragende malerische Wirkung des Bildes beruht nicht nur auf den oben genannten Vorzügen von Lochners Malstil, sondern vor allem auch auf den Farbeffekten, genauer gesagt auf den feinen Intensivierungen und Abmilderungen der Farbstufen, was sehr schön in den Rot-, Rosa- und Gelbtönen der Engelsgewänder zu sehen ist. In dieser Hinsicht am eindrucksvollsten ist jedoch das Gewand der Maria, das vom hellsten Teil, dem im Bildvordergrund auf dem Rasen liegenden Zipfel, bis zur dunkelsten Partie um Marias Brosche herum, eine Vielzahl von unterschiedlichen Blautönen zeigt. Die grandiose Farbwirkung dieses Gewandes ist das Resultat einer besonderen Maltechnik Lochners: Hellere und dunklere Farbtöne wurden normalerweise dadurch erzielt, dass die jeweilige Farbe mit Weiß vermischt wurde oder mehrere Lasuren übereinander aufgetragen wurden. Im Falle des Gewandes unserer Madonna hingegen hat Lochner die Farbabstufungen durch ein Tüpfelverfahren erzeugt, indem er feinste Tupfen desselben Farbtons unterschiedlich dicht nebeneinandersetzte, eine besonders arbeitsaufwendige Technik, die Lochner nur bei Bildelementen von zentraler Bedeutung einsetzte.3 Analysen haben ergeben, dass das Blau des Mantels der Madonna aus einer dünnen Schicht Ultramarin über einer dicken Untermalung mit Azurit besteht. Das Ultramarin war seinerzeit eine extrem teure Farbe, weil dessen Ausgangsmaterial, der Halbedelstein Lapislazuli, nur in bestimmten Minen in Afghanistan gewonnen wurde und über Venedig nach Europa importiert wurde. Teurer als das Ultramarin war lediglich das Blattgold, das Lochner für den Bildhintergrund und die Nimben verwendete – wer auch immer Lochner mit diesem Andachtsbild beauftragte, es muss ein sehr wohlhabendes Mitglied der Kölner Gesellschaft gewesen sein; Roland Krischel, der Leiter der Mittelalterabteilung des Kölner Wallraf-Richartz-Museums macht plausibel, dass Lochners 3

Vgl. Bodo Brinkmann: „Jenseits von Vorbild und Faltenform: Bemerkungen zur Modernität Stefan Lochners“, in: Frank Günter Zehnder (Hrsg.), Stefan Lochner – Meister zu Köln. Herkunft – Werke – Wirkung, Ausstellungskatalog, Wallraf-Richartz-Museum, Köln, Locher, 3. Auflage 1993, S. 87. 2

Auftraggeber innerhalb des weltlichen Klerus, d. h. unter den zur fraglichen Zeit an der Universität zu Köln lehrenden Theologie-Professoren zu finden ist. Krischels Argumentation stützt sich unter anderem darauf, dass jemand aus dieser Personengruppe die anspruchsvollen symbolischen und theologischen Inhalte des Werkes, hätte entwerfen beziehungsweise würdigen können, womit ein Mitglied der Kölner Bürgerschaft wohl überfordert gewesen wäre. Der Reichtum und die Tiefe des symbolischen und intellektuellen Gehalts dieses Gemäldes ist in der Tat außergewöhnlich – das Bild ist somit ein hervorragendes Beispiel für die Gültigkeit von Goethes gerne zitiertem Diktum: „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht“. Wir wollen hier nun keinesfalls die gesamte Symbolik des Werks präsentieren, sondern uns mit ein paar Hinweisen auf Elemente begnügen, die von zentraler Bedeutung sind.4 Auf dem Rasen zu Füßen Marias sind Erdbeeren zu sehen, die gleich für eine ganze Reihe symbolischer Bezüge stehen: Als Pflanze, die gleichzeitig blühen und Früchte tragen kann, symbolisiert die Erdbeere die Jungfräulichkeit Marias, die auch noch durch mehrere andere Symbole repräsentiert wird, beispielsweise durch das offene Haar der Madonna, die weißen Rosen und Lilien sowie den Hortus conclusus, den „geschlossenen Garten“, der durch den Rosenspalier, die Rasenbank und den Rasen gebildet wird; die Erdbeere steht zudem als dreiblättrige Pflanze auch für die Trinität, was etwa auch für den Klee gilt, der ebenfalls auf dem Rasen zu sehen ist; mit ihrer Form erinnert die Erdbeere schließlich auch noch an das Herz Christi und damit auch an das Blut, das dieser am Kreuz für die Menschheit vergossen hat; die fünf Blütenblätter entsprechen der Zahl der Wundmale des Gekreuzigten. Neben der Jungfräulichkeit ist die Bescheidenheit eine weitere Haupttugend der Gottesmutter, welche zum einen durch ihre niedrige Sitzhaltung angezeigt wird, zum anderen durch bestimmte Pflanzen, wie beispielsweise die niedrig wachsenden Veilchen und die Maßliebchen. Die dominierende Pflanze in der Rosenlaube ist freilich die Rose, die im hohen und späten Mittelalter als das Mariensymbol schlechthin galt: Die roten Rosen stehen für die Leiden der Gottesmutter, während die weißen Rosen, wie bereits erwähnt, ein Zeichen ihrer Jungfräulichkeit sind. Ein weiteres Mariensymbol sind beispielsweise auch die leuchtenden Mondsicheln, die in der äußeren Zone von Marias Nimbus zu sehen sind; die die Gottesmutter verkörpernden Mondsicheln erhalten ihr Licht durch die Sonne, durch Christus, für den sowohl der Diamant über Marias Stirn steht als auch der Saphir an der Spitze ihrer Krone. Ein außergewöhnliches Element unseres Bildes ist die Gestik Marias: Ihre rechte Hand umschließt 4

Vgl. zum Folgenden Roland Krischel, Stefan Lochner. Die Muttergottes in der Rosenlaube, Leipzig, E. A. Seemann Verlag, 2013; Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag. Einführung von Manfred Wundram, Stuttgart, Reclam, 1965. 3

zärtlich das rechte Handgelenk des Jesuskindes, eine Geste, die für den damaligen Betrachter von großer Bedeutung war, da zu Lochners Zeiten Braut und Bräutigam sich bei der Eheschließung jeweils die rechte Hand gaben. Diese Vermählungsgeste zwischen der Jungfrau Maria und Christus findet sich en miniature wiederholt in der Brosche, die Maria trägt: Im Zentrum dieser Gewandschließe steht die Darstellung einer Jungfrau mit einem Einhorn, wobei die rechte Hand der Unbefleckten auf dem rechten, in ihrem Schoß ruhenden Vorderlauf dieses Fabeltieres ruht, das im Mittelalter mit Christus gleichgesetzt wurde. Kommen wir nun zum dritten Punkt, der Lochners Werk zu einem Faszinosum macht: die Darstellung der Madonna, die einerseits zärtliche Mutterliebe und Fürsorge zum Ausdruck bringt, gleichzeitig jedoch auch mit ihren überaus attraktiven Gesichtszügen für die sinnliche weibliche Schönheit steht. Das Gesicht unserer Madonna weist haargenau die dem spätmittelalterlichen Schönheitsideal entsprechenden Elemente auf: eine hohe Stirn (die für geistige Regheit stand, vor allem aber als besonders attraktiv galt, weshalb sich adlige und später auch nichtadlige Frauen sogar die Haare am Haaransatz ausgerissen oder rasiert haben), blaue Augen, weißer Teint (lediglich die Wangen durften eine leicht Röte aufweisen, so wie sie die rechte Wange unserer Madonna zeigt), ein rundes Kinn und ein kleiner kirschroter Mund; die Schönheit der Madonna wird darüber hinaus noch durch ihren Schwanenhals und ihre herabfallenden rotblonden Haare gesteigert. Lochners Madonna im Rosenhag übertrifft im Hinblick auf Femininität und Attraktivität alle anderen berühmten Madonnenbildnisse, die nördlich der Alpen entstanden, wie etwa Martin Schongauers Maria im Rosenhag, die Stuppacher Madonna von Matthias Grünewald oder die Madonna in den Erdbeeren des Oberrheinischen Meisters. Der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder betont, dass dem Betrachter in Lochners Hauptwerken immer eine ganz bestimmte Frau begegne,5 und in der Tat zeigen beispielsweise auf dem Dreikönigsaltar (Altar der Kölner Stadtpatrone) sowohl die Muttergottes auf der Mitteltafel als auch die Heilige Ursula auf dem linken Flügel und die Maria auf einem der Außenflügel eine frappierende physiognomische Ähnlichkeit mit unserer Muttergottes in der Rosenlaube. Pinder (op. cit.) vermutet, dass es sich bei Lochners urkundlich belegter Ehe mit seiner Frau Lisbeth möglicherweise um eine Liebesehe handelte, also um einen für die damalige Zeit, in der Zweckheiraten an der Tagesordnung waren, ebenso glücklichen wie seltenen Sonderfall; ebenso wie etwa auch Rubens habe Lochner seine

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Wilhelm Pinder: „Stefan Lochner und Fra Angelico“, in: Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag. Einführung von Manfred Wundram, Stuttgart, Reclam, 1965, S. 27. 4

weiblichen Hauptfiguren nach dem Vorbild seiner Ehefrau gemalt.6 Weder bei Pinder noch anderswo in der mir bekannten kunsthistorischen Literatur über Stefan Lochner wird diese in hohem Maße plausible These kommentiert, was auf den ersten Blick doch erstaunlich ist, denn dass ein spätmittelalterlicher Künstler die Jungfrau Maria beziehungsweise die Himmelskönigin nach seiner Ehefrau malte, will so gar nicht zur mittelalterlichen Marienverherrlichung und zu der in der Gesellschaft fest verankerten Religiosität dieser Epoche passen, doch offenkundig wurde dieses Vorgehen in jener Zeit weder von Lochner selbst noch von seinem (vermutlich klerikalen) Auftraggeber und den übrigen Mitbürgern als mangelnder Respekt vor der Gottesmutter oder gar als Lästerung empfunden. Andererseits war das im Mittelalter mit der Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit auch nicht viel anders als in späteren Jahrhunderten, unsere durch und durch triste Ära kann hier bekanntermaßen nicht ausgenommen werden: Nicht nur aus Boccaccios Decamerone wissen wir, dass im gemeinhin als tiefreligiös geltenden Mittelalter nicht nur im weltlichen Bereich, sondern insbesondere auch von Kirchenmännern und Kirchenfrauen auf Teufel komm raus gesündigt wurde. Und wenn im Spätmittelalter Dirnen sogar in den Kirchen auf Kundenfang gingen und an heiligen Tagen unzüchtige Bildchen verkauft wurden,7 dann dürfte es kaum auf nennenswerte Ablehnung gestoßen sein, wenn ein Maler die Muttergottes nach seiner Ehefrau aus dem gemeinen Volke entwarf. Da wir gerade beim Sündigen sind: Umberto Eco soll einmal bekannt haben: „Wenn Sie mich fragten, mit welcher Frau in der Geschichte der Kunst ich essen gehen und einen Abend verbringen würde, wäre da zuerst Uta von Naumburg“. Im Bereich der Skulptur ganz sicher eine ausgezeichnete Wahl, was die ältere Malerei anbelangt, wäre zweifelsohne die „kölsche Mona Lisa“ eine äußerst angenehme und reizvolle Begleitung.

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Eine weniger profane, romantischere Erklärung bietet Friedrich Schlegel: „die Blüthe der Anmuth ist diesem beglückten Meister erschienen, er hat das Auge der Schönheit gesehen, und von ihrem Hauch sind alle seine Bildungen übergossen“ (Friedrich Schlegel: „Stefan Lochner“, in: Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag. Einführung von Manfred Wundram, Stuttgart, Reclam, 1965, S. 30). 7 Vgl. Ralph Tanner, Sex, Sünde, Seelenheil. Die Figur des Pfaffen in der Märenliteratur und ihr historischer Hintergrund (1200–1600), Würzburg, Königshausen & Neumann, 2005, S. 122. 5

Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag

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