Starke Frauen in der Antike

Starke Frauen in der Antike Vortrag von Dr. Meyerhöfer Ich habe den Titel meines Vortrags „Starke Frauen in der Antike“ einer bekannt gewordenen Ausst...
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Starke Frauen in der Antike Vortrag von Dr. Meyerhöfer Ich habe den Titel meines Vortrags „Starke Frauen in der Antike“ einer bekannt gewordenen Ausstellung in München entlehnt, musste jedoch bei der Vorbereitung feststellen, dass dieses Thema aufgrund der Vielzahl starker Frauen in der Antike mindestens zwei Abende füllen würde. Dieses wollte ich Ihnen jedoch keinesfalls antun! Gestatten Sie daher, dass ich mich in meiner Darstellung auf das antike Griechenland beschränke, das ja nun tatsächlich eine Fülle großer und starker Repräsentantinnen des weiblichen Geschlechts vorzuweisen hat, obwohl man sich üblicherweise die antike griechische Kultur als eine vorwiegend männlich dominierte Kultur vorstellt. Daher ist es ein Hauptziel meiner Ausführungen, einseitigen Klischeevorstellungen von Rolle und Selbstverständnis der Frauen im antiken Griechenland entgegenzuwirken und an ausgewählten Beispielen aus der Kulturgeschichte Griechenlands vom 8. bis ins 1. vorchristliche Jahrhundert die Fülle sehr individueller Lebensentwürfe und individueller Selbst- und Rollenverständnisse von Frauen in dieser Zeit zu zeigen.

Beginnen möchte ich mit einem Beispiel aus dem 8. Jahrhundert vor Christus, in dem die griechische Kultur

-

nach dem Untergang der mykenischen Paläste

-

gewissermaßen zu ihrem zweiten Höhenflug ansetzt und mit dem homerischen Epos den Beginn der europäischen Literatur einläutet. Ja man könnte dieses Jahrhundert als im besonderen Maße „kulturschöpferisch“ bezeichnen, ist es doch einerseits durch die kulturgeschichtlich so folgenreiche Übernahme der Schrift von den Phöniziern sowie den Höhepunkt des sogenannten „geometrischen Stiles“ in der bildenden Kunst gekennzeichnet, erweist es sich doch andererseits auch in politischer Hinsicht durch die Gründung von Kolonien auf der Chalkidike, in Kleinasien, in Unteritalien und auf Sizilien als Jahrhundert grundsätzlichen Aufbruchs, in dem die Entstehung der beiden Großepen „Ilias“ und „Odyssee“ dann den unbestrittenen kulturellen Höhepunkt markieren.

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Arete, - Gattin des Alkinoos, des Königs der Phaiaken Als der heimkehrende Odysseus, nachdem er noch einmal - nach vielen bestandenen Gefahren - in die äußerste existentielle Gefährdung geraten ist, als Schiffbrüchiger nackt und erschöpft am Gestade der Phaiaken anlandet, findet ihn die Tochter des dortigen Königs, Nausikaa, und erteilt ihm, dem Namenlosen, zu seiner Errettung aus bitterster Not folgenden Rat: „Geh in die Stadt der Phaiaken und frage nach den Häusern meines Vaters, des großherzigen Alkinoos. Doch wenn dich Haus und Vorhof aufgenommen, so gehe ganz schnell durch die Halle, bis du gelangst zu meiner Mutter. Sie sitzt am Herde in dem Schein des Feuers und dreht meerpurpurne Wolle auf der Spindel, ein Wunder zu schauen, an den Pfeiler gelehnt, und die Mägde sitzen hinter ihr. An ihn ist dort auch der Sessel meines Vaters angelehnt, auf dem er sitzt und Wein trinkt wie ein Unsterblicher. An ihm musst du vorübergehen und unserer Mutter die Arme um die Knie werfen, damit du den Tag der Heimkehr siehst, freudig, in Eile, wenn du auch sehr weit her bist. Ist jene dir freundlich gesonnen in dem Gemüte, dann ist für dich Hoffnung, dass du die Deinen siehst und in dein gutgebautes Haus und in dein väterliches

Land

gelangst“

(Odyssee,

6,298-315;

Übersetzung

Wolfgang

Schadewaldt).

Auch Athene, die Göttin, die Odysseus auf seinem Weg zum Palast des Phaiakenkönigs geleitet, schildert dessen Gattin mit folgenden Worten: „Ihr Name ist Arete. Diese hat Alkinoos zu seiner Gattin gemacht und hat sie geehrt, wie keine andere geehrt wird auf der Erde. So ist jene über die Maßen geehrt worden im Herzen, und sie ist es noch: von ihren Söhnen und Alkinoos selbst und den Männern des Volkes, die auf sie wie auf einen Gott blicken und sie begrüßen mit Worten, wenn sie durch die Stadt geht. Denn es fehlt ihr auch selbst nicht an Verstand, an edlem, und wem sie wohl will, dem schlichtet sie - sogar den Männern - Streitigkeiten. Wenn diese dir freundlich gesonnen ist in dem Gemüte, dann ist für dich Hoffnung, dass du die Deinen siehst und in dein hochbedachtes Haus und in dein väterliches Land gelangst“ (Odyssee 7, 54; 66-77; Übersetzung Wolfgang Schadewaldt).

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Daraus entwickelt sich im Palast des Alkinoos dann folgende Szene: „Doch er schritt durch das Haus, der vielduldende Odysseus, bis er zu Arete kam und Alkinoos, dem König. Und um die Knie der Arete warf seine Arme Odysseus. und flehte: ‚Arete, Tochter des gottgleichen Rexenor! Zu deinem Gatten und zu deinen Knien komme ich, nachdem ich vieles ausgestanden, und zu diesen Tischgesellen, denen die Götter Segen geben mögen, dass sie leben und ein jeglicher den Söhnen den Besitz in den Hallen überlassen möge und das Amt, das ihm das Volk gegeben. Doch mir betreibt ein Geleit, dass ich ins Vaterland gelange, eilends, da ich schon lange fern den Meinen Leiden leide!‘“ (Odyssee

7, 139-152; Übersetzung Wolfgang

Schadewaldt).

Durch diese Wendung zu den Knien der Königin findet der Bittflehende Erbarmen und freundliche Aufnahme, die ihm dann Gelegenheit gibt, sich als Odysseus zu erkennen zu geben und den Phaiaken - in einer literarischen Rückblende, einer Erzählung in der Erzählung - seine bisherigen Irrfahrten und Leiden zu schildern.

Hier wie an vielen anderen Stellen zeigt sich im Übrigen die geniale Komposition der „Odyssee“, die bereits viele Techniken moderner Erzählkunst erkennen lässt und die Überlieferung des Werkes bis auf den heutigen Tag sichergestellt hat.

Statue der Arete in Ephesos – Sinnbild für Tüchtigkeit und Charakterstärke

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Das Bild der Frau, das in der Gestalt der Königin Arete in dieser Szene gezeichnet wird, zeigt sicherlich Züge der Idealisierung, zeugt aber dennoch von einem in dieser Zeit vorhandenen Bewusstsein von der Gleichrangigkeit und Ebenbürtigkeit von Mann und Frau in Familie und Gesellschaft.

Diese Gleichrangigkeit wird nicht eingeschränkt durch eine deutliche Aufgabenteilung: 

des Mannes für den Außenbereich,



der Frau für alle häuslichen Belange („sitzt am Webstuhl“) unter Einschluss dessen, was die Griechen „philoxenia“, „Gastfreundlichkeit“ nennen, über die der höchste Gott Zeus als „Zeus xenios“ persönlich wacht.

Diese Gleichrangigkeit findet ihren Ausdruck vor allem in der gegenseitigen Achtung und Wahrung der Würde des anderen: „Diese hat Alkinoos zu seiner Gattin gemacht und hat sie geehrt, wie keine andere geehrt wird auf der Erde“. Dieses existentielle Aufeinander-Verwiesensein von Mann und Frau, aus dem sich ihre Gleichrangigkeit ableitet, kennzeichnet ja auch das berühmteste Paar, dessen gemeinsames Schicksal gewissermaßen die Spannungsfeder des gesamten Epos „Odyssee“ bildet: 

auf der einen Seite die kluge Penelope, die während der zwanzigjährigen Abwesenheit ihres Mannes zusammen mit dem erwachsenden Sohn Haus und Hof, so gut sie es eben vermag, verwaltet, sich mit List der Werbung adeliger Freier entzieht und in der unverrückbaren Hoffnung auf die Rückkehr des Verschollenen den sie tragenden Sinn ihres Lebens findet;



auf der anderen Seite Odysseus, der ebenso Kluge wie „Vielduldende“, „polytlas“, wie er im Griechischen heißt, der in tausend Irrungen und Gefahren, auch manch erotischer Gefährdung von weiblicher Seite niemals Penelope als endlichen Zielpunkt seines Weges vergißt.

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Kalypso

Zwischen Odysseus und Kalypso, der Göttin, die ihn unsterblich machen und auf ihrer fernen Insel als Geliebten behalten möchte, entspinnt sich, als er sie auf Beschluss der Götter

verlässt,

folgender

Dialog,

den

Kalypso beginnt:

Odysseus und Kalypso auf einer griechischen Vase

„‘Zeusentsprossener Laertes-Sohn, reich an Erfindung, Odysseus! So willst du wirklich nach Haus, ins väterliche Land, jetzt auf der Stelle gehen? Nun, so lebe du denn wohl, trotz allem! Doch wenn du wüsstest in deinem Sinne, wie viele Kümmernisse dir bestimmt sind zu erfüllen, bevor du in dein väterliches Land gelangst, du würdest hier am Orte bleiben und mit mir dieses Haus bewahren und unsterblich sein, so sehr du auch begehrst, dein Weib zu sehen, nach der dich verlangt die Tage alle. Darf ich mich sicherlich doch rühmen, dass ich nicht schlechter bin als sie, weder an Gestalt noch auch an Wuchs, da es sich wirklich nicht geziemt, dass Sterbliche mit Unsterblichen an Gestalt und Aussehen streiten!‘ Da antwortete und sprach zu ihr der vielkluge Odysseus: ‚Herrin, Göttin! Zürne mir darum nicht! Weiß ich doch auch selber recht wohl alles: dass die umsichtige Penelope geringer ist als du an Aussehen und Größe anzusehen von Angesicht. Denn sie ist sterblich, du aber unsterblich und ohne Alter. Doch auch so will ich und begehre ich alle Tage, nach Hause zu kommen und den Heimkehrtag zu sehen. Und wollte mich auch einer von den Göttern abermals zerschmettern auf dem weinfarbenen Meere: dulden will ich es! Denn ich habe in der Brust einen leiderfahrenen Mut. Denn schon habe ich gar viel gelitten und mich viel gemüht auf den Wogen“ (Odyssee 5, 204-224; Übersetzung Wolfgang Schadewaldt).

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Penelope

Meisterhaft und anrührend ist dann auch, wie der Dichter

das

Wiederfinden

der

Gatten

-

gewissermaßen wie in einem Dominantseptakkord, der nach endlicher Auflösung verlangt - , fast schmerzlich hinauszögert: Penelope ist nach dem Sohn Telemachos, nach dem Hund Argos, nach der Dienerin Eurykleia, nach dem Sauhirten Eumaios die Letzte, die ihren Odysseus erkennt, ja eigentlich erst nach einer ihm gestellten Probe anerkennt. Die trauernde Penelope

Rückkehr des Odysseus auf einer Schale

Der Panzer der Verhärtung und Entpersönlichung, der sich in zwanzigjähriger Entbehrung, Sorge und Verweigerung um ihre Seele gebildet hat, bricht erst im letzten Moment auf, in dem sie Odysseus - und damit gleichzeitig sich selbst - wiederfindet. Die europäische Literatur beginnt mit dem homerischen Epos nicht unbeholfen und anfänglich, sondern gleich mit einem Paukenschlag!

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Sappho von der Insel Lesbos. Den hohen Rang der Fra in dieser Frühzeit der griechischen Kultur repräsentiert in einzigartiger Weise auch die Dichterin Sappho von der Insel Lesbos. Der zauberhafte Klang ihrer Lieder lässt im 7. Jahrhundert vor Chr. die männlich-kriegerischen Verse des homerischen Epos in den Hintergrund treten und läutet damit gleichzeitig eine neue Epoche der abendländischen Literatur ein, die Epoche der Lyrik. Lyrik ist die Aussage eines seiner selbst in Denken, Empfinden und Individualität bewusst gewordenen Ich, das sich in seiner Einmaligkeit einer ganzen Welt gegenüberstellt. So ist diese Epoche des 7. vorchristlichen Jahrhunderts in Griechenland eine Epoche der Individualisierung, der Verfeinerung, der Vertiefung, der Ästhetisierung.

Mit

staunenswertem

Selbst-

bewusstsein stellt die Dichterin den männlichen Werten des Epos wie kriegerischem Ruhm, Kraft, militärischer Macht und Glanz der Rüstung

ihre

sensiblen,

gefühlsgetragenen

und

verfeinerten Weltsicht

Werte

entgegen,

weiblicher in

deren

Zentrum das in bislang unerhörter Intensität gefühlte und erlebte Phänomen der Liebe steht, des „bitter-süßen Kriechtieres“ („glykypikron orpeton“), wie Sappho die Liebe einmal nennt und damit der Ambivalenz, aber auch der Simultaneität der Gefühle einen neuen literarischen Ausdruck gibt:

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„Mancher hält das Leuchten der Segel für das Schönste auf der dämmernden Erde, mancher das Gewog der Reiter und mancher eines Heerzugs Erglänzen.

Ich behaupte aber, dass alles schön ist, was wir lieben. Mühelos lässt sich’s dartun. Sie, die schöner war als die schönsten Menschen, Helena nämlich,

löste sich vom Herzen des besten Mannes und verdarb das heilige Troja, ohne sich der Tochter, ohne der teuren Eltern sich zu erinnern.

Denn sie war umsponnen vom Liebeszauber. Leicht verwirrt die Sehnsucht den Sinn der jungen Frauen. Heute hat sie mich an die ferne Anaktoria

denken lassen. Um ihre Stirn das lichte Wehen, ihr erregendes Schreiten, lieber säh ich’s als die lydischen Wagen und den Erzglanz des Fußvolks.“

(16 LP; Übersetzung Manfred Hausmann)

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Dabei ist es nicht verwunderlich, wenn sich unter den Bedingungen der damals männlich dominierten griechischen Welt weibliche Sensibilität und erotische Verfeinerung zunächst vor allem in der Begeisterung für das eigene, das weibliche Geschlecht herausbildeten und gestalteten. Die homoerotischen Phänomene der beiden Geschlechter im damaligen Griechenland

legen

Zeugnis

ab

von

einem

wachsenden

Spannungs-

und

Missverständnisverhältnis zwischen den Geschlechtern, wie es uns immer wieder in der klassischen Epoche entgegentritt. Bei gelassener Betrachtung bedarf es also gar nicht des gutgemeinten, „beruhigenden“ Hinweises mancher Interpreten, dass Sappho nach einhelliger historischer Überlieferung eine Tochter gehabt habe, was man als Beleg ihrer „Normalität“ werten dürfe. Nicht ihre Normalität ist das Faszinierende an dieser Frau, sondern ihre Einzigartigkeit, die Einzigartigkeit, mit der sie sich als Individuum erfährt, bekennt und als Person literarisch zu artikulieren vermag. Worin diese ganz neuartige literarische Artikulation besteht, mag das folgende Gedicht zeigen:

„Komm hierher… zum weihevollen Heiligtum! Da blüht ein Gehölz von leichten Apfelbäumen, und auf Altären quillen Wolken des Weihrauchs.

Kühle Wasser gehen gesangreich durch die Apfelzweige, Rosen beschatten alle Hänge, traumlos rieselt der Schlaf von ihren bebenden Blättern.

Überblüht von Blumen der Frühlingstage sinkt die Trift ins Feuchte hinab, den Pferden Nahrung gebend. Leise veratmet seinen Ruch das Aniskraut.

Komm doch, Kypris, waltend an dieser Stätte! Und im Gold der Krüge vermisch den Nektar mit dem zarten Duften der Festesfreude! Gib uns zu trinken!“ (2 LP; Übersetzung Manfred Hausmann)

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Was geschieht hier: 

eine äußere Landschaft verwandelt sich in eine „innere“, eine Seelenlandschaft;



der logische Satzzusammenhang löst sich auf und verwandelt sich in Stimmung und Gefühl;



konkrete Dinge werden zu Metaphern, Symbolen, Siglen, Chiffren mit „schwebender“ Bedeutung. Die Lyrik der Moderne wird hier im 7. Jahrhundert vor Christus gewissermaßen präludiert, wie der Vergleich mit einem berühmten Gedicht Gottfried Benns zeigt

Letzter Frühling

Nimm die Forsythien tief in dich hinein und, wenn der Flieder kommt, vermisch auch diesen mit deinem Blut und Glück und Elendsein, dem dunklen Grund, auf den du angewiesen.

Langsame Tage - alles überwunden. Und fragst du nicht, ob Ende, ob Beginn, dann tragen dich vielleicht die Stunden noch bis zum Juni mit den Rosen hin.

Mit dieser Differenzierung des literarischen Ausdrucks korrespondiert ein ganz neues Verständnis von Ruhm und Unsterblichkeit bei Sappho: Ruhm verspricht nicht kriegerische Tat wie im homerischen Epos, sondern künstlerische Sensibilität, humane Verfeinerung, literarische Kunst, oder - wie Sappho selbst sagt - „Rosen im Land der Musen gebrochen zu haben“.

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Wer diesen Ansprüchen nicht genügt, dem prophezeit Sappho: „Gänzlich, wenn du einst stirbst, schwindest du hin, niemand wird dein gedenken, niemand wünscht dich zurück, denn du hast nie Rosen gebrochen im Land der Musen, und so wehst du hinab ruhmlos ins Haus des Hades und verlierst dich alsbald irrenden Flugs unter den fahlen Toten.“

(55 LP; Übersetzung Manfred Hausmann)

Die Rolle der Frau in Sparta und Athen Herunter vom Olymp der sapphischen Dichtkunst zu einer allgemeineren Betrachtung, die notwendig ist, um Frauengestalten der klassischen Zeit, also des 5. Jahrhunderts vor Chr., profilierend zu beschreiben!

Hier muss man zunächst darauf hinweisen, dass sich angesichts der Fülle sehr unterschiedlicher und mit einander konkurrierender Stadtstaaten im damaligen Griechenland ein einheitliches Bild von Selbstverständnis und gesellschaftlicher Rolle der Frau gar nicht erstellen lässt. Mein Darstellungsversuch muss sich hier beschränken auf das Beispiel von Sparta und Athen, zwei gesellschaftliche und politische Ordnungen, die ja gerade auch in ihrer Gegensätzlichkeit beispielhaft sind. Diese Gegensätzlichkeit dokumentiert sich, wie nicht anders zu erwarten, gerade auch in Stellung und gesellschaftlichem Rang der Frau.

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In Sparta bekleidet die Ehefrau etwa den hohen Rang, den wir aus der Schilderung des homerischen Epos kennengelernt haben, mit jeweils deutlich formulierter Aufteilung des männlichen und des weiblichen Tätigkeitsbereichs.

Letzteres geschieht jedoch nicht so sehr aus Tradition wie bei Homer, als vielmehr aus den Notwendigkeiten eines stets in militärischer Wehrbereitschaft stehenden oligarchischen Staatswesens, das sich permanent nach außen und nach innen zu verteidigen hat.

So werden in Sparta auch die Mädchen staatlicherseits (!) mit dem Ziel sportlicher Tüchtigkeit, Anmut und körperlicher Gesundheit erzogen. Sie messen sich mit den Jungen im sportlichen Wettkampf, den sie wie diese nackt betreiben. Da die Frauen während der ständigen Abwesenheit der Männer in Krieg und militärischer Übung das gesamte tägliche Leben - auch in all seinen wirtschaftlichen Aspekten - zu meistern haben, besitzen sie eine für griechische Verhältnisse bemerkenswerte Rechtsstellung: 

die Frau ist Rechtssubjekt, d.h. sie ist prozess- und eidesfähig;



sie besitzt eigenes Vermögen und eigenes Erbrecht;



sie vererbt dieses Vermögen und verwaltet es nicht nur treuhänderisch für ihre Söhne wie etwa die Athenerin.

Freilich: Politische Befugnisse haben die Frauen auch in Sparta nicht, diese sind in allen griechischen Stadtstaaten an die Wehrfähigkeit und an die Teilnahme am Kriegsdienst gebunden. Der Beitrag der Frauen zur Wehrfähigkeit des Staates war in Sparta das Gebären von starken Kriegern, denen sie beim Abschied in den Kampf das berühmte Motto „Entweder mit dem Schild oder auf dem Schild!“ mitgaben. Erstaunlich, dass sich in Sparta also selbst die Frauen der berühmten spartanischen Wortkargheit, des sogenannten „Lakonismus“, bedienten! Von den Athenerinnen wurden sie übrigens abschätzig „Schenkelzeigerinnen“ („skelodeiknyai“) genannt, weil sie zur Erhöhung ihrer - staatlicherseits gewünschten! - erotischen Ausstrahlung knappe und seitlich geschlitzte Gewänder trugen.

Die Frauen in Athen lebten im Allgemeinen freilich in wesentlich bedrückenderen Umständen, was angesichts der Tatsache, dass es sich bei Athen um die erste Demokratie der Welt handelt, eigentlich bestürzend ist:

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die Mädchen erhalten, außer ihrer Einweisung in den Haushalt, zumindest staatlicherseits keinen Unterricht;



Ehefrauen nehmen am gesellschaftlichen und kulturellen Leben der „Klassik“ (!) nicht teil. Diese Rolle übernehmen Hetären;



Frauen besitzen nur ein „potentielles“ Bürgerrecht, das sie in legitimer Ehe an ihre Söhne weiterreichen;



Frauen

unterstehen

grundsätzlich

der

„kyrieia“,

d.h.

der

Entscheidungsgewalt des Herrn des Hauses, der über Vermögen und Hand der Frau verfügt; 

die Frau ist somit nur „Rechtsobjekt“, sie kann weder Geschäfte abschließen noch selbständig in Prozessen auftreten;



als „Erbtochter“ ist sie beim Tod des Vaters Teil des Nachlasses und fällt an den nächsten männlichen Verwandten;



ihr einziger Schutz besteht in der für jeden männlichen Bürger gegebenen rechtlichen

Möglichkeit,

wegen

„Schlechtbehandlung“

einer

Frau

gerichtliche Klage zu erheben.

Aspasia, Gattin des Perikles Es verwundert nicht, dass uns in einem solchen gesellschaftlichen Umfeld nur wenige festumrissene Frauenpersönlichkeiten überliefert sind, bzw. dass d i e herausragende Frauengestalt dieser Zeit gerade keine Athenerin, sondern die aus dem jonischen Milet stammende zweite Gattin des Perikles, Aspasia, ist. Hochgebildet, elegant, mit ausgeprägten literarischen und philosophischen Interessen, verkörpert Aspasia zu ihrem Teil als Frau jene „jonische Aufklärung“ und geistige Neuerungsbewegung, die von Kleinasien her mit Männern wie Anaxagoras oder Herodot den Geist einer neuen Zeit ins zu dieser Zeit noch eher kleinbürgerlich-konservative Athen bringt. Und wieder finden wir, auch bei Aspasia, dass Frauen ihre

Identität

im

damaligen

Griechenland

gerade

im

Widerspruch, in der Distanz zu den gesellschaftlichen Klischees und Normierungen finden. Keine Frage, dass diese Frau Perikles, den genialen Politiker und Staatsmann der Athener Klassik, fasziniert haben muss. Seite 13 von 19

Michel Corneille der Jüngere, (1642-1708), Versailles

Und es ist wohl kein Zufall, dass die meisten historischen Quellen die Beziehung der beiden als eine ausgesprochene Liebesbeziehung charakterisieren, was man von der üblichen Ehe im Athen der damaligen Zeit gerade nicht sagen kann. Darin liegt auch ein Stück weit die Tragik dieser Beziehung, dass Perikles unglücklicherweise vor seiner Begegnung mit Aspasia auf Drängen konservativer Kreise das sogenannte „Bastard-Gesetz“ des Jahres 451 vor Chr. durchgebracht hatte, das Ehen und daraus entstammenden Kindern nur dann volle Legitimität zusprach, wenn beide Ehepartner das attische Bürgerrecht besaßen. Er selbst lebte also mit der schönen Milesierin, in deren Haus die geistige Elite der damaligen Gesellschaft verkehrte - Sophokles, Euripides, Herodot, Anaxagoras, Phidias, der platonische Dialog „Menexenos“ bringt selbst Sokrates in Verbindung mit Aspasia -, er selbst lebte also mit Aspasia in einer illegitimen Ehe, im Konkubinat! Und so vollzieht sich das Leben Aspasias einerseits im Glanz höchster Bewunderung und Prominenz, auch fürsorgender Liebe von Seiten des Perikles - er soll, als er sie als ihr Gerichtsvormund zu verteidigen hatte, geweint haben! Andererseits sieht sie sich wegen allzu großer Freizügigkeit

-

in Wirklichkeit natürlich wegen ihres

souveränen Andersseins - schlimmsten Anfeindungen ausgesetzt, die in dem Vorwurf gipfeln und von späteren Autoren aufgegriffen werden, sie sei nichts anderes als eine prominente Hetäre: 

Perikles‘ und Aspasias gemeinsamer Sohn Perikles erhält erst spät das attische Bürgerrecht;



wie der Philosoph Anaxagoras wird sie in einen (lebensgefährlichen!) Prozess wegen Gottlosigkeit („asebeia“) verwickelt; Seite 14 von 19



ebenso in einen Prozess wegen angeblicher Kuppelei;



sehr oft ist sie Ziel von Schmähungen und Angriffen, die von Seiten von Oppositionellen eigentlich dem Perikles gelten;



die Komödie (Aristophanes) versieht sie mit hässlichen Spitznamen und gibt sie gnadenlos der Lächerlichkeit preis.

Dies alles ist der Preis, den eine große Frau im Athen des perikleischen Zeitalters, im Zenit der griechischen Kulturgeschichte, zu Füßen des klassischen ParthenonTempels, eines Tempels der weiblichen Stadtgöttin Athena, zu zahlen hatte!

Antigone Nun wäre es ungerecht, das Bild der perikleischen Klassik nur in seinen dunklen Farben wiederzugeben, gehört doch in die damalige Zeit eine weitere faszinierende Frauengestalt, die das Gesamtbild der Zeit nachdrücklich wieder aufzuhellen vermag. Sie betritt im Jahr 442 vor Chr. die Bühne in Athen und löst eine Theatersensation aus, auch wenn oder gerade weil sie eine dichterische Fiktion, eine Gestalt aus der Feder des großen Tragödiendichters Sophokles ist: Ich meine das Mädchen Antigone, das den toten Bruder wider das Gebot des Herrschers Kreon bestattet und für diese Tat der Liebe von Kreon getötet wird.

Antigone auf griechischen Vasen

Könnte es nicht sein, dass Sophokles vielleicht sogar im Hause der Aspasia diesen Gedanken gefasst hat, eine Frau, gerade eine Frau als Verkörperung von „Größe“ seinen Zeitgenossen vor Augen zu stellen? Denn es ist gerade diese Botschaft der Größe, der entgrenzenden Liebe über alles engstirnige Freund-Feind-Denken hinaus, die Antigone in ihrem Sterben überbringt: Seite 15 von 19

„Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da“ „outoi synechthein, alla symphilein ephyn“

(Sophokles, Antigone, V. 523)

Damit steht sie unendlich über ihrem Gegenspieler Kreon, dem Mächtigen, dem Mann. Die dichterische Gerechtigkeit will es so, dass Antigone am Ende der Tragödie stirbt, aber in der Idee triumphiert, Kreon zwar physisch weiterlebt, weiterleben muss, aber als Zerstörter und Verstörter, als lebender Leichnam. Ein Geschick, zu dem er Polyneikes, den toten Bruder, verurteilt hatte!

Antigone ist unsterblich geworden, sie gehört zum eisernen Bestand unserer europäischen Kultur. Ein schönes Denkmal hat ihr Walter Hasenclever, der expressionistische Dichter, in seinem in den Furchtbarkeiten des Ersten Weltkriegs 1917 geschriebenen Drama „Antigone“ gesetzt: Er erweitert ihre Gestalt zu einer marianischen Endzeitfigur, deren letzte Worte sind: „Jetzt weiß ich, Frauen können unsterblich sein. Wenn sie die sinnlosen Wege der Menschen mit dem Krug der Liebe begießen, wenn aus den Tränen ihrer Armut die Hilfe sprießt, wenn die Tat des lebendigen Herzens umstürzt Mauern der Feindschaft. Menschen! In tausend Jahren wandle ich unter euch!

Kleopatra Über Frauengestalten im antiken Griechenland zu sprechen wäre unvollständig, würden wir nicht auch Kleopatras, der einzigen Frau der Antike, die den Beinamen „die Große“ trägt, gedenken. Sie repräsentiert das Zeitalter des Hellenismus, ein Zeitalter, in dem die griechische Kultur durch die Unternehmungen Alexanders des Seite 16 von 19

Großen einerseits weltweite Verbreitung erlangt, das aber andererseits auch unverkennbare Züge einer kulturellen Spätzeit trägt. Neben schrankenloser Individualisierung begegnen uns Orientierungsverlust der Menschen, skeptische Fragen nach dem Sinn des Lebens und aus deren Unbeantwortbarkeit heraus als Kompensation die Flucht in laute Festlichkeiten, in Luxus und in Gier nach Macht.

Sie entstammt dem altmakedonischen Adelsgeschlecht der Ptolemäer, die nach dem Tod Alexanders des Großen als „Diadochen“ die Herrschaft über Ägypten übernommen haben und dieses damals blühende und reiche Land in einer beispiellosen Symbiose griechisch-makedonischer und ägyptischer Kultur über mehrere Jahrhunderte regiert haben.

Bildnisse der Kleopatra 69 vor Chr. in Alexandria geboren, genießt sie offensichtlich eine glänzende Erziehung - sie spricht neben ihrer Muttersprache (Griechisch) als erste ptolemäische Pharaonin Ägyptisch, dazu Syrisch, Persisch, Aramäisch und weitere vorderorientalische Sprachen - und übernimmt 51 vor Chr. als Achtzehnjährige zusammen mit ihrem zwölfjährigen Bruder-Gemahl die Herrschaft. Nach übereinstimmender Aussage der Quellen soll sie zwar nicht ausgesprochen schön, aber von einem bezaubernden Charme gewesen sein, den sie ungehemmt zur Durchsetzung ihrer politischen Machtansprüche einsetzt.

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Münzen mit Cleopatra Von den Beratern des Bruder-Gemahls abgesetzt, lässt sich die Einundzwanzigjährige - in einen Teppich eingewickelt - nachts zu dem zufällig im Palast anwesenden Caesar bringen, der ihrem Liebreiz offensichtlich augenblicklich erliegt und sich zu ihrer Wiedereinsetzung als Pharaonin - als mächtigster Mann der damaligen Zeit! in ein für ihn selbst lebensgefährliches Abenteuer stürzt. 47 vor Chr. kommt der gemeinsame Sohn zur Welt, den Kleopatra selbstbewusst „Ptolemaios Kaisar“ nennt (besser bekannt ist er unter dem Namen „Caesarion“). Von 46 bis 44 vor Chr. weilt sie auf Einladung Caesars mit einem glänzenden Gefolge in Rom, residiert zwei Jahre als ägyptische Pharaonin in der transtiberinischen Villa des - ja noch immer mit Calpurnia verheirateten - Caesar, der ihr im Tempel der Venus Genetrix auf dem Caesarforum eine goldene Statue mit dem kleinen Caesarion auf dem Arm errichten lässt! Es ist nicht abwegig, Caesars Verblendung in seinem Streben nach einer der Königswürde entsprechenden absoluten Machtstellung - was ihm an den Iden des März 44 das Leben kosten wird

-

letztlich auch auf das Wirken der

gottgleichen Pharaonin vom Nil zurückzuführen.

So märchenhaft-orientalisch die Erzählung dieses Abschnitts im Leben Kleopatras klingt, es wird dazu in ihrem Leben noch eine Dublette, ja noch eine Steigerung geben:

Der achtundzwanzigjährigen ägyptischen Königin verfällt auch Marcus Antonius, der sich mit Octavian (den späteren Augustus) nach dem Sieg über die Caesarmörder die Herrschaft im Imperium Romanum teilt. In Tarsos in Kleinasien empfängt Kleopatra den prominenten Römer als Liebesgöttin Isis-Aphrodite verkleidet und verlebt Seite 18 von 19

anschließend mit dem ihr offensichtlich vollständig Verfallenen Jahre in orientalischem Luxus, in denen sie ihm drei Kinder schenkt. Marcus Antonius macht sie dafür durch Schenkung von Teilen des Imperium Romanum zur „Königin der Könige“, macht sich selbst dadurch jedoch so sehr verhasst in Rom, dass es seinem nunmehrigen Gegner Octavian gelingt, Marcus Antonius 31 vor Chr. bei Aktium vernichtend zu schlagen.

Als Kleopatra bei Octavian, dem Sieger, nicht erreichen kann, dass einer ihrer Söhne König in Ägypten wird, sondern sogar befürchten muss, von Octavian als Kriegsbeute im Triumphzug durch Rom geführt zu werden, gibt sie sich - neununddreißigjährig selbst den Tod, vermutlich durch Schlangenbiss.

Frauengestalten im antiken Griechenland - da darf die letzte ägyptische Pharaonin aus makedonisch-griechischem Adel sicherlich nicht fehlen! Der römische Dichter Horaz, der zu ihrem Tod aus dem Gefühl der Befreiung von einem orientalischen Alptraum eine begeisterte Ode schreibt, zollt ihr gleichwohl in der letzten Strophe den gebührenden Respekt: „In freiem Tode selbst noch von höchster Art,

„Deliberata morte ferocior:

denn sie versagt den römischen Seglern stolz

saevis Liburnis scilicet invidens

sie schmachvoll, bar der Königswürde

privata deduci superbo

-welch eine Frau! - im Triumph zu zeigen“

non humilis mulier triumpho“

(Horaz, Ode 37, 29-32; Übersetzung Hans Färber)

Dortmund, den 11.11.2016 Dr. Herbert Meyerhöfer

Vita: Dr. Herbert Meyerhöfer Geb. in Nürnberg, - Abitur, 1962 am humanistischen Neuen Gymnasium in Nürnberg 1962-1967 Studium der Klassischen Philologie (Griechisch und Latein) und der Fächer Deutsch und Philosophie an der Friedrich Alexander-Universität in Erlangen, 1967-1990 Lehrer am humanistischen Melanchthon-Gymnasium in Nürnberg 1975 Promotion zum Dr. phil. mit einer Arbeit zur griechischen Philosophie 1990-2007 Leiter des Heinrich-Schliemann-Gymnasiums in Fürth Seit 2007 Lehrbeauftragter an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen

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