Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit)

Spiralen der Gewalt Die bösen Winzer Mk 12,1-12 (Mt 21,33-46 / Lk 20,9-18 / EvThom 65) Über die Jahrhunderte wurden die bösen Winzer zum Bild für die ...
Author: Hansi Holzmann
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Spiralen der Gewalt Die bösen Winzer Mk 12,1-12 (Mt 21,33-46 / Lk 20,9-18 / EvThom 65) Über die Jahrhunderte wurden die bösen Winzer zum Bild für die mörderische Haltung der Juden, die Gottes Propheten missachten und schliesslich Gottes Sohn umbringen. Diese anti-jüdische Deutung schwingt in den Ohren vieler LeserInnen bis heute mit. Die Parabel stellt uns daher eindringlich vor die Frage, wie mit ihrer unheilvollen Wirkungsgeschichte umgegangen werden kann. Diese Frage hat die folgenden Interpretationsschritte mitbestimmt. Und er begann, zu ihnen in Parabeln zu reden. „Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und umzäunte ihn und grub einen Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Bauersleute und ging ins Ausland. (2) Und als die Zeit kam schickte er einen Sklaven zu den Bauersleuten, damit er von ihnen seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs erhalte. (3) Und sie packten ihn und schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen davon. (4) Und wieder schickte er einen anderen Sklaven zu ihnen; den schlugen sie auf den Kopf und beschimpften ihn. (5) Und er schickte einen anderen, den töteten sie, und viele andere, die einen schlugen sie, die anderen töteten sie. (6) Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn. Den schickte er zuletzt zu ihnen, denn er sagte sich: Meinen Sohn werden sie achten. (7) Jene Bauersleute aber sagten sich: Das ist der Erbe. Kommt, wir wollen ihn töten, dann gehört das Erbe uns. (8) Und sie packten und töteten ihn und warfen ihn aus dem Weinberg hinaus. (9) Was wird der Besitzer des Weinbergs nun tun? Er wird kommen und die Bauersleute umbringen und den Weinberg anderen geben. (10) Habt ihr nicht die Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden; (11) durch Gott her geschah dies. Es ist ein Wunder in unseren Augen.“ (12) Da versuchten sie ihn festzunehmen und hatten Angst vor dem Volk. Denn sie begriffen, dass er das Gleichnis gegen sie gesprochen hatte. Da liessen sie ihn in Ruhe und gingen davon.

Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit) Mit dieser Parabel mag es manchen LeserInnen ähnlich ergehen wie beim Lösen eines Rätsels. Ziemlich bald wollen wir wissen, um was es hier denn eigentlich geht. Wer zum Beispiel ist gemeint mit dem Weinbergbesitzer? Ist er ein Bild für Gott? Und falls sich diese Vermutung bestätigt, wer sind die Bauersleute? Wer sind die Sklaven? Wer ist mit dem Sohn gemeint? Mit jeder dieser Fragen katapultieren wir uns aus der Geschichte heraus und versuchen, den Sinn der Parabel woanders zu finden - wie zum Beispiel in der problematischen Beziehung zwischen Gott und seinem Volk. Die moderne Gleichnishermeneutik hat diesem Phänomen einen Namen gegeben und sich an ihm abgearbeitet. Die allegorisierende Deutung der Parabel ist nach Auffassung vieler ExegetInnen kein ursprünglicher Teil der Jesusüberlieferung, sondern entspricht einer Jahrhunderte alten christlichen Deutungspraxis (Jeremias 1984, 68ff). Dass sich diese Praxis im Fall der bösen Winzer bis heute aufzudrängen scheint, liegt vielleicht an der extremen Brutalität der Erzählung. Die Parabel ist eine Horrorgeschichte (L. Schottroff 2005, 17) und nicht wenige LeserInnen mögen den

Drang verspüren, das Blutbad schnell wieder zu verlassen und zur „eigentlichen Botschaft“ des Textes überzugehen. Doch was passiert, wenn wir uns tatsächlich einmal auf die erzählte Welt einlassen? Die Parabel handelt von drei verschiedenen Personen, bzw. Personengruppen, die im Laufe der Erzählung immer stärker in Konflikt miteinander geraten. Akteure sind der Besitzer des Weinbergs und die Gruppe der WinzerInnen. Passiv verhält sich die Gruppe der Sklaven, zu der aus dramaturgischer Sicht auch der Sohn des Besitzers gezählt werden muss. Die Personenkonstellation ist geprägt von der zunehmend aggressiven Weise, in der die einzelnen Figuren miteinander interagieren. Allerdings kommt die Erzählung zunächst nur langsam in Schwung. Sie wird eröffnet durch eine detaillierte Beschreibung des im Entstehen begriffenen Weinbergs. Ein Weinberg muss nicht nur angepflanzt werden, es braucht eine Umzäunung, einen Kelter und einen Turm. Bevor es zur ersten Interaktion kommt, entsteht ein Eindruck aus der Welt der Landwirtschaft. Doch dann geht es noch im selben Satz zügig weiter: Der Weinberg wird an Bauersleute verpachtet und der Besitzer geht ins Ausland. Mit dem Umzug des Gutsherrn entsteht eine räumliche Dimension, die den Handlungsverlauf entscheidend mitbestimmt. Denn von nun an spielen sich die Interaktionen vor dem Hintergrund zweier Orte ab, dem Weinberg selbst und der Residenz des Weinbergbesitzers im Ausland. Dazwischen liegt eine Distanz, die von den Figuren überbrückt werden muss. Ort der Auseinandersetzung ist jedesmal der Weinberg. Die Residenz des Besitzers bleibt von den Konflikten unberüht. Neben diesen Raumangaben gibt es eine einzige vage Zeitangabe, nämlich der Moment, an dem der Gutsbesitzer seinen ersten Sklaven schickt, um seine Pacht einzufordern. Damit wird die erste spannungsreiche Frage in die Erzählung eingeführt: Werden sich die Bauersleute an die Pachtvereinbarung halten oder nicht? Beantwortet wird diese Frage auf schockierende Weise. Die WinzerInnen brechen nicht nur die Vereinbarung über die Pacht. Sie brechen die Grundlagen menschlicher Beziehungen. Der Sklave des Gutsherrn, der die Früchte einsammeln soll, wird nicht nur mit leeren Händen abgewiesen, sondern auch misshandelt. Misshandelt wird nicht nur dieser erste Sklave, sondern auch ein zweiter und dritter. Dabei steigert sich das Mass an Gewalt und kulminiert in der Ermordung des dritten Sklaven. LeserInnen, die das erzählerische Gesetz der dreimaligen Wiederholung gewohnt sind, mögen bereits denken, dass es nun mit der Gewalt-Serie ein Ende hat, doch da wird sie auf unbestimmte Weise verlängert: Vielen anderen Sklaven, so wird berichtet, erging es ebenso. Entweder wurden sie geschlagen oder getötet. Je länger die Gewalt andauert, desto deutlicher drängt sich die Frage auf, was wohl in den Köpfen der Akteure vor sich geht. Was denkt sich der Gutsbesitzer, wenn er einen Sklaven nach dem anderen einer offensichtlich gefährlichen Situation aussetzt? Wann kommt er endlich auf die Idee, seine Strategie zu ändern? Und was denken sich die Bauersleute, wenn sie sich der Pachtvereinbarung mit systematischer Gewalt zu entziehen versuchen? Wie stellen sie sich vor, soll das Ganze ausgehen? Die Spannung, die sich bis zu diesem Punkt der Erzählung aufgebaut hat, steht im Gegensatz zur Schlichtheit und Monotonie der Satzstruktur. Sowohl der Bau des Weinbergs als auch die Gewalthandlungen werden durch eine gleichförmige Syntax erzählt, in der Verben und die Konjunktion kai ("und") dominieren. Mit Vers 6 wird dieses Muster aufgebrochen. Anders als es bei den meisten der vorherigen Versen der Fall ist, wird dieser Vers nicht mir kai eröffnet, sondern mit eti ("noch einen hatte er..."). Diese Änderung im Satzbau ist ein Signal für die LeserInnen, dass die Erzählung an dieser Stelle eine wichtige Wendung nimmt. Und tatsächlich: Der weitere Verlauf gibt einen Einblick in die Beweggründe der Figuren, die bislang im

Dunkeln lagen. In direkter Rede wird eine Überlegung des Gutsherrn wiedergegeben, der hofft, dass seinem Sohn mehr Respekt entgegen gebracht werde. Ebenfalls in direkter Rede wird die Reaktion der WinzerInnen erzählt. Dabei wird deutlich, was diese Leute bewegt, nämlich die Hoffnung, selbst in den Besitz des Weinbergs zu gelangen. Mit der wohlüberlegten Ermordung des Sohnes hat die Erzählung ihren nächsten Krisenpunkt erreicht. Dabei wird wiederum eine spannungsreiche Frage eingeführt, die mehrere Möglichkeiten eröffnet. Werden die Bauersleute den Weinberg jetzt in Besitz nehmen können? Oder wird der Gutsherr noch einmal in Aktion treten? „Was wird der Besitzer des Weinbergs nun tun?“ (V.9a) Die Spannung wird aufgelöst durch die Handlung des Weinbergbesitzers, die im Futur erzählt wird. Er wird kommen und die Bauersleute umbringen. Hier, am Ende der Erzählung, ist es der Weinbergbesitzer selbst, der die Distanz von seiner Residenz zum Weinberg zurücklegen muss. Es ist das erste Mal seit der Verpachtung des Weinbergs, dass er in persönlichen Kontakt mit den Bauersleuten tritt, dies jedoch nur, um dem Kontakt ein für allemal ein Ende zu bereiten. Der eigentliche Abschluss der Erzählung liegt in einem weiteren Erzählelement, das ebenfalls dazu beizutragen scheint, die zuvor erzeugte Spannung zu lösen. Zur Eigenartigkeit der Parabel gehört das Schriftzitat aus Psalm 118. Spätestens hier werden LeserInnen daran erinnert, dass die Parabel einen Erzähler hat, nämlich Jesus. Jesus verweist auf die Schrift, als läge der Zusammenhang mit seiner Erzählung offen auf der Hand. Doch ist dies wirklich der Fall? Was hat der verworfene Stein, der zum Eckstein wurde, mit den Ereignissen im Weinberg zu tun? Mit diesem Vers endet das Jesus-Zitat. In Vers 12 ergreift die Stimme des Erzählers des Markusevangeliums wieder das Wort und nimmt den Faden auf, der mit der Einleitung in Vers 1 geknüpft wurde. LeserInnen werden daran erinnert, dass sie gerade einen bestimmten Sprechakt mitverfolgt haben. Jesus hat in einer konkreten Situation vor einem bestimmten Publikum ein Gleichnis erzählt und damit Reaktionen hervorgerufen. Bevor diese näher in den Blick kommen, möchte ich noch einen Moment in der erzählten Welt der Parabel verweilen. Die bisherige Analyse hatte den Zweck, die erzählte Welt ernst zu nehmen und wirken zu lassen. Doch wie gelangen wir aus ihr hinaus? Auf was werden LeserInnen verwiesen, die die Erzählung nicht als Allegorie behanden wollen, die Zug um Zug entschlüsselt werden muss? Nach Paul Ricoeur handelt es sich bei den Parabeln Jesu um metaphorische Erzälungen, die in der Lage sind, uns eine neue Sicht der Dinge zu eröffnen (Ricoeur 1975). Die grösste Herausforderung für die Interpretation liegt darin, die metaphorische Spannung zu erkennen, durch die LeserInnen dazu angeregt werden, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Wir müssen den Blick schärfen für die ungewöhnlichen Züge, die den alltäglichen Rahmen der Erzählung sprengen, für das, was Ricoeur das Element der Extravaganz nennt. Nun ist es den ExegetInnen noch nie schwer gefallen, Ungewöhnliches an der Parabel von den bösen Winzern zu entdecken. Ricoeur selber schreibt: „Consider the extravagance of the landlord in the ‚Parable of the Wicked Husbandmen,‘ who after having sent his servants, sends his son. What Palestinian property owner would be foolish enough to act like this landlord?“ (Ricoeur 1975, 115) Der Einbruch des Ungewöhnlichen beginnt m.E. jedoch früher und zwar bereits dort, wo sich die WinzerInnen entschliessen, die Sklaven des Gutsherrn nicht nur abzuweisen und zu beschimpfen, sondern zu schlagen und gar zu töten. Ob diese Handlungen aus der Lebenswirklichkeit damaliger Menschen her verständlich werden, ist im nächsten Abschnitt zu diskutieren. Doch egal wie realitätsnah die Welle der Gewalt auch sein mag, wirkt sie auf viele heutige LeserInnen extrem. Surreal wird sie dort, wo aus den

drei einzelnen Vorfällen der Brutalität eine ganze Serie der Gewalt wird. In den Kommentaren wird Vers 5b regelmässig als Beweis zitiert, dass die Parabel nachträglich allegorisierend überarbeitet wurde (Jeremias 1984, 69). Demnach wurde dieser Versteil in der Annahme eingefügt, dass die vielen Sklaven in der Erzählung auf Gottes Propheten verweisen wollen. Falls wir die Parabel jedoch in der Fassung ernst nehmen wollen, in der sie uns im Markusevangelium überliefert wurde, so ist Vers 5b und seine Wirkung als Teil des metaphorischen Prozesses mit zu bedenken. Das Blutbad, das hier beschrieben wird, sprengt die Vorstellungskraft der meisten LeserInnen. Am Ende steht eine Szene der Zerstörung: die Sklaven tot, der Sohn tot und die Bauersleute ebenfalls ermordet - ein krasser Gegensatz zur Eröffnungsszene, in der ein Mensch einen Weinberg baut und ihn verpachtet. Diese Spannung gilt es zu verarbeiten. Liest man die Parabel in ihrem literarischen Kontext, stösst man bereits auf konkrete Deutungsangebote. Nach dem Markusevangelium erzählt Jesus die Parabel von den bösen Winzern während seines öffentlichen Auftretens in Jerusalem, also kurz vor seiner Verhaftung und Hinrichtung. Unterschiedliche Leute sind interessiert daran, herauszufinden, wer Jesus ist und was er vertritt. Von verschiedenen exponierten Gruppen wird er in Gespräche verwickelt, in denen er sozusagen abgecheckt wird: Aus welcher Vollmacht handelt er? Wie steht er zur Steuer? Wie steht er zur Frage der Auferstehung? Welches ist seiner Meinung nach das höchste Gebot? Nicht alle dieser Diskussionen sind polemischer Natur. Jesus trifft auf Kritik und Misstrauen, aber auch auf Menschen, die ihm zustimmen und beeindruckt sind (Mk 11,18; 12,28-34). Die Stimmung um Jesus herum ist zwar angespannt, aber nicht durchweg feindselig. In diese Atmosphäre hinein erzählt Jesus die Parabel von den bösen Winzern. Im Kontext des Markusevangeliums ist die Parabel ein wichtiger Teil von Jesu Selbstdarstellung. Ähnlich wie die sogenannte Tempelreinigung prägt die Parabel das Bild, das andere von ihm in Jerusalem gewinnen. Verdichtet kommt dies in den Reaktionen der unmittelbaren Zuhörer zum Ausdruck, von denen in Vers 12 berichtet wird. Jesus erzählt seine Parabel zu denselben Hohepriestern, Toragelehrten und Ältesten, die ihn kurz zuvor nach seiner Vollmacht gefragt hatten. Ihre Reaktion auf die Parabel sind heftig. Sie verstehen, dass die Parabel auf sie gemünzt ist und dies scheint sie so zu verstören, dass sie Jesus am liebsten festnehmen würden. Was sie abhält ist die Furcht vor dem Volk, das Jesus zu diesem Zeitpunkt positiv zugewandt ist (Mk 12,37). Für LeserInnen entsteht durch diesen abschliessenden Vers eine Leerstelle, die bearbeitet werden muss. Es ist nämlich nicht deutlich, aus welchem Grund sich Jesu Zuhörer über die Parabel derart aufregen. Warum genau fühlen sie sich kritisiert? Welchen Nerv hat der markinische Jesus mit seiner Erzählung von den bösen Winzern getroffen? Wer die Parabel im Kontext des Markusevangeliums aufmerksam liest, wird in eine bestimmte Richtung der Interpretation gelenkt. Im Parabeltext stösst man nämlich auf Worte, deren Bedeutung durch den literarischen Kontext bereits so zugespitzt sind, dass sie uns dazu drängen, den Sohn des Grossgrundbesitzers mit Jesus selbst zu identifizieren und damit die gesamte Parabel als Selbstdarstellung im engen Sinne zu verstehen. Jesus - so kann man schliessen - redet hier über sich selber. Diese Deutung wird LeserInnen vor allem durch die Wortkombination hyios agapetos, geliebter Sohn, zugeschoben. Dieser Wortkombination sind LeserInnen bereits an zwei entscheidenden Stellen des Markusevangeliums begegnet. Im ersten Kapitel wird die Identität Jesu durch eine Stimme aus dem Himmel offenbart: "Du bist mein geliebter Sohn". Mit fast denselben Worten wird in der sogenannten Verklärungsszene im 9. Kapitel Jesu Identität noch einmal bestätigt. Wieder tönt eine

Stimme aus dem Himmel: "Dies ist mein geliebter Sohn". Die Beschreibung des Sohnes des Grossgrundbesitzers als hyios agapetos drei Kapitel später erinnert an diese beiden Szenen. Könnte Jesus hier die Stimme aus dem Himmel zitieren und auf sich selbst aufmerksam machen wollen? Dieser Identifikation schliesst sich fast automatisch ein ganzer Deutungsaparat an. Wenn Jesus mit dem Sohn auf sich selbst verweist, dann bekommen auch andere Elemente der Erzählung eine ganz bestimmte Bedeutung. Der Grossgrundbesitzer wird zum Bild für Gott. Die bösen Winzer werden zum Bild für die Elite des jüdischen Volkes, die den Gottessohn ans Kreuz zu schlagen trachten. Diese Deutung hat über die Jahrhunderte hinweg Hass gegen Jüdinnen und Juden geschürt. Somit stellt sich am Ende der sprachlichen Analyse die ethische Frage, ob wir als LeserInnen ein solches Deutungsangebot annehmen wollen oder nicht.

Sozialgeschichtliche Analyse (Bildspendender Bereich) Auf eine völlig andere Spur der Interpretation setzt uns die sozialgeschichtliche Analyse. Die Parabel von den bösen Winzern gab immer wieder Anlass, nach der Realitätsnähe der Erzählung zu fragen. Sind die Ereignisse, von denen berichtet wird, vorstellbar im Palästina des 1. Jahrhunderts? Ausgelöst wurde diese Diskussion bereits vor über 100 Jahren durch Adolf Jülicher, der den Handlungsablauf vehement als „irrationell“ (Jülicher 1910, 116) bezeichnete und die gesamte Parabel aus diesem Grund als Allegorie abqualifizierte. Diese Einschätzung wurde bald widerlegt. In seinem Standardwerk über die Gleichnisse Jesu schreibt Joachim Jeremias: „Das Gleichnis schildert ... die revolutionäre Stimmung der galiläischen Bauern gegen die landfremden Grossgrundbesitzer.... Wir müssen uns klar machen, dass nicht nur der ganze obere Jordangraben und wahrscheinlich auch das Nord- und Nordwestufer des Sees Genezareth, sondern auch grosse Teile des galiläischen Berglandes damals Latifundiencharakter trugen und dass diese galiläischen Latifundien zum grossen Teil in der Hand von landfremden Besitzern waren.“ (Jeremias 1984, 72-73) Diese Sätze haben die Diskussion stark beeinflusst. Was InterpretInnen bis heute beschäftigt sind die Einzelheiten dieses sozialgeschichtlichen Arguments. Kann die Lebenswirklichkeit sowohl von Grossgrundbesitzern als auch von Bauersleuten der damaligen Zeit noch schärfer in den Blick genommen werden? Bekommen die „irrationell“ anmutenden Züge der Parabel vor dem Hintergrund der sozialen Verhältnisse einen Sinn? Helfen sie uns, die Motivationen der handelnden Personen besser zu verstehen? Die notwendige Quellenarbeit wurde u.a. von Martin Hengel (1968), Willy Schottroff (1999) und John Kloppenborg (2006) geleistet. Die folgende Zusammenfassung stützt sich auf diese Beiträge. Zu den wichtigen Zeugnissen für die Pachtverhältnisse in der Antike gehört die sogenannte Zenonkorrespondenz aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.. Zenon arbeitete für einen staatsmännischen Grossgrundbesitzer in ptomeläischer Zeit, der Briefe über den Zustand der Grundstücke archivierte. In einem der Briefe kommt ein Konflikt zwischen dem Verwalter eines grossen Landguts in Galiläa und seinen Pächtern zur Sprache. Die Pächter beschweren sich darüber, dass ihnen zu hohe Abgaben auferlegt wurden und plädieren für eine Senkung der Pacht (Schottroff 1999, 178-179). Pachtverhältnisse waren offenbar bereits in dieser Zeit konfliktträchtig. Aufschlussreich ist ausserdem das Lehrbuch Colummellas über die Landwirtschaft. Columella, römischer Schriftsteller im 1. Jahrhundert n. Chr, empfiehlt Grossgrundbesitzern, die möglichst grosse Gewinne erzielen wollen, im Falle ihrer

Abwesenheit ihren Besitz zu verpachten, anstatt ihn von Sklaven verwalten zu lassen. An einer anderen Stelle weist Columella auf die Gefahr hin, dass Grundstücke, deren Besitzer weit entfernt leben, von den Leuten vor Ort unrechtmässig in Besitz genommen werden könnten (Schottroff 1999, 192). Aus den Briefen eines weiteren römischen Schriftstellers, Plinius dem Jüngeren, der wenige Jahrzehnte später schrieb, geht hervor, dass Pachtbauern immer wieder mit ihren Abgaben in Rückstand kamen. Manchen von ihnen erschien die eigene Lage so aussichtslos, dass sie sich gar nicht mehr bemühten, den Rückstand aufzuholen und stattdessen die Ernte selbst verbrauchten. Die Zahlungsunfähigkeit von PächterInnen scheint ein strukturelles soziales Problem gewesen zu sein, für das es keine einfachen Lösungen gab (Schottroff 1999, 190). Dass das Problem über mehrere Jahrhunderte anhielt, zeigen die vielen verschiedenen Konfliktfälle zwischen Grundbesitzern und Pächtern, wie sie in der rabbinischen Literatur belegt sind. Ein rabbinisches Gleichnis über einen Besitzer, der seinen Pächtern Teile der Ernte grosszügig überliess, ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt (Hengel 1968, 24f). Vor dem Hintergrund der Quellen kann die Parabel von den bösen Winzern folgendermassen kommentiert werden. Der Mensch, der in Vers 12,1 einen Weinberg pflanzt, gehört zu einer kleinen, privilegierten Gruppe von Grossgrundbesitzern, die es bevorzugen, nicht auf ihren Besitztümern, sondern weit entfernt im gesellschaftlichen Klima einer grösseren Stadt zu leben. Schon allein die Tatsache, dass der Gutsherr die Mittel zu einem solchen Lebensstil hat, ist ein Hinweis auf seinen Reichtum. Es ist anzunehmen, dass er den Wein nicht mit eigenen Händen anbaut, sondern SklavInnen dafür einsetzt (Schottroff 1999, 169). Für ihn ist es lukrativer, einen fertig gebauten Weinberg zu verpachten als ihn von den Pächtern selbst bauen zu lassen. Ein weiteres Zeichen für sein Profitinteresse ist die Tatsache, dass er sich für den Anbau von Wein entschliesst, denn der Weinbau war schon damals die „kapitalintensivste, arbeitsintensivste und ertragsintensivste Art der Landwirtschaft.“ (Hengel 1968, 16f) Wie andere Männer in seiner Situation muss er sich Gedanken darüber machen, wie sein Weinberg trotz seiner Abwesenheit möglichst grosse Gewinne abwerfen kann. Er entscheidet sich für die Verpachtung als profitabelste Möglichkeit. Vier oder fünf Jahre später jedoch, zur Zeit der ersten Traubenernte, stösst er auf erhebliche Schwierigkeiten, die symptomatisch sind für den sozialen Brennpunkt der Bodenpacht. In dem Moment, in dem die Pächter sich gewaltsam weigern, die Pacht abzugeben, sieht er sich mit der reellen Gefahr konfrontiert, dass der Weinberg von ihnen usurpiert werden könnte. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als weitere Sklaven zu schicken, denn er kann sich nicht auf die rechtlichen Strukturen vor Ort verlassen (Hengel 1968, 25f). Seine Entscheidung, den eigenen Sohn ins entfernte Gut zu schicken, ist nicht so absonderlich, wie es modernen LeserInnen erscheinen mag. Als rechtsfähiger Vertreter stellt der Sohn in dieser Situation die einzige Möglichkeit dar, die Abgaben einzufordern (Hengel 1968, 30). Wie der Weinbergbesitzer so gewinnen auch die Bauersleute aus sozialgeschichtlicher Sicht Konturen. Zunächst ist die androzentrische Perspektive zu korrigieren, die unser Bild von der Parabel traditionellerweise bestimmt. Auch Frauen leisteten Feldarbeit und konnten Pachtvereinbarungen eingehen (Schottroff 1999, 170f). Bei den „bösen Winzern“ muss es sich keineswegs um eine reine Männergruppe handeln. Was diese Menschen gemeinsam haben, sind die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen, in denen sie sich wiederfinden. Als landlose Bauern stehen ihnen nur wenige Möglichkeiten offen, den eigenen

Lebensunterhalt zu bestreiten. Boden zu pachten und zu bearbeiten war eine Alternative zu zwei anderen möglichen Lebensformen: Sklaverei oder Lohnarbeit. Sie entscheiden sich für die Pacht, denn als Pächterinnen und Pächter können sie relativ eigenständig Landwirtschaft betreiben (Schottroff 1999, 175f). Dieses Arrangement ist jedoch von vorneherein konfliktträchtig. In den Augen der pachtenden Bauersleute ist es möglicherweise bereits eine Provokation, Wein anbauen zu müssen, denn Wein ist ein Luxusgut. Auf dem selben Land wurden vermutlich in früheren Zeiten Früchte geerntet, die zum Überleben von Familien beitrugen. Wenige Jahre später sollen sie die vereinbarten Abgaben leisten. Dabei kommen sie nicht mit dem Besitzer persönlich in Kontakt, sondern mit seinem Sklaven. Sie weisen ihn auf brutale Weise ab und zwar nicht deswegen, weil sie die Abgaben nicht leisten wollen, sondern weil sie sie nicht leisten können (Schottroff 1999, 189f). Das kann daran liegen, dass die Pacht von Anfang an zu hoch war, oder dass es Schwierigkeiten bei der Ernte gab. Die sich steigernde Brutalität, mit der sie die Sklaven und schliesslich den Sohn des Gutsherrn behandeln, ist Ausdruck ihrer aussichtslosen wirtschaftlichen Lage. Die sozialgeschichtliche Frage nach der Lebenswirklichkeit damaliger Menschen hat in mehrfacher Hinsicht ethische Dimensionen. Zum einen hat sich gezeigt, dass sich die anti-jüdische Lesart der Parabel oft dort durchgesetzt hat, wo „das soziale Geschehen nicht ernst“ genommen wurde (L. Schottroff 2005, 30). Es ist bezeichnend, dass Jülicher, der die Realitätsnähe der Parabel verkennt, die Parabel als heilsgeschichtliche Allegorie einstufen muss, um überhaupt etwas mit der Erzählung anfangen zu können. Sobald die Parabel mit ihren zeitgeschichtlichen Echos lebendig wird, gibt es jedoch keinen Grund mehr, den Sinn einzelner Elemente zu entschlüsseln. Diese gewinnen aus sich selbst heraus Plausibilität. Ethische Konsequenzen hat die sozialgeschichtliche Arbeit noch in einem anderen Sinn. Wer den historischen Rekonstruktionen folgt, vollzieht möglicherweise einen bemerkenswerten Perspektivenwechsel. Üblicherweise liegen die Sympathien der LeserInnen beim Weinbergbesitzer, seinen Sklaven und seinem Sohn, denen so viel Gewalt zugefügt wird. Diese gängige Lesart bezeugt allein schon der traditionelle Titel der Parabel: Die bösen Winzer. Doch wer ist hier eigentlich „böse“? Die Boshaftigkeit der WinzerInnen hat ihre Ursache in ungerechten sozialen Verhältnissen. Sie handeln böse, weil sie verzweifelt sind. Gleichzeitig kommt der Weinbergbesitzer in ein moralisch fragwürdiges Licht. Auch er ist Täter und Nutzniesser eines gesellschaftlichen Systems, das Menschen an den Rande der Existenz bringt. Für Luise Schottroff ist die historische Arbeit an der Parabel „ein Akt der Solidarität mit Menschen auch über Jahrhunderte hinweg.“ (2005, 42) Sie ruft vergangenes Unrecht in Erinnerung und fordert uns auf, die gewalttätigen Ereignisse im Weinberg mit neuen Augen zu sehen.

Analyse des Bedeutungshintergrunds (Bildfeldtradition) Es gibt in der Parabel von den bösen Winzern einen Aspekt, der sich nicht ohne weiteres in die damalige Lebenswirklichkeit einordnen lässt und das ist der Racheakt des Grossgrundbesitzers gegen die PächterInnen am Ende der Erzählung. Nach Einschätzung von J. Kloppenborg sprengt der eigenmächtige Vergeltungsschlag des Besitzers den realistischen Rahmen der Erzählung, denn es gab zu dieser Zeit rechtliche Instanzen, die eine solche Art der Selbstjustiz zumindest nicht ungestraft hingenommen hätten (Kloppenborg 2006, 335ff). In der Parabel dagegen scheint der Racheakt jeden Konflikt ein für allemal zu beseitigen. Schlägt sich hier am Ende der

Erzählung nun doch die unterschwellige Verknüpfung zwischen dem Weinbergbesitzer und Gott durch? Muss die Bildebene an diesem Punkt nun endgültig verlassen werden? Was für einen Grossgrundbesitzer im Palästina des 1. Jahrhunderts unwahrscheinlich anmutet, macht möglicherweise Sinn im Hinblick auf Gott, der bekanntlich den Ungerechten den Garaus macht. Mit dieser Vermutung schlägt Kloppenborg in die Kerbe einer langen Argumentation, nach der die markinische Parabel letztlich als eine Allegorie für das Handeln Gottes verstanden werden muss. Diese Deutung ist zum Teil darauf zurück zu führen, dass Weinberge und ihre Besitzer in der jüdischen Tradition immer wieder als Bild für die Beziehung zwischen Gott und Israel auftauchen. Wichtigster Beleg für diese Bildfeldtradition ist das sogenannte Weinberglied in Jesaja 5,1-7. In diesem Lied pflanzt jemand einen Weinberg, hegt und pflegt ihn, hofft auf gute Trauben und wird bitter enttäuscht. Der Weinberg produziert nur saure Beeren und wird daraufhin von seinem Besitzer der Zerstörung preisgegeben. Anders als in der markinischen Parabel sind im Weinberglied die allegorischen Verknüpfungen explizit (V.7). Der Weinberg ist Israel. Der Besitzer ist Gott. Es gibt allerdings eine Reihe von Indizien, die darauf schliessen lassen, dass das Weinberglied als eine Art Folie für die Parabel von den bösen Winzern diente. So wird in beiden Texten der Anbau des Weinbergs im Detail beschrieben (Jesaja 5,2), teilweise mit denselben Begriffen (Weren 1998, 7-11). In beiden Texten gibt es zudem einen drastischen Stimmungsumschwung (Milavec 1989, 91f). Auf die Erwartung der Ernte folgt Enttäuschung. Auf Enttäuschung folgt Zerstörung. In beiden Texten werden LeserInnen aufgefordert, diesen Stimmungsumschwung aktiv mitzuvollziehen. „Was wird der Besitzer des Weinbergs nun tun?“ heisst es bei Markus. Und bei Jesaja: „Aber nun will ich euch wissen lassen, was ich meinem Weinberg antun will.“ (V.5) Die deutlichen Resonanzen zwischen den beiden Texten weisen darauf hin, dass die impliziten LeserInnen der Parabel an das Weinberglied erinnert werden sollen. Doch was genau will die Erinnerung an das Bild vom Weinberg bewirken? Bilder sind nicht statisch. Sie werden im Laufe der Geschichte umgedeutet und neu akzentuiert. Sie können je nach rhetorischer Situation zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden. Anhand rabbinischer Gleichnisse hat David Stern beispielsweise gezeigt, wie vielfältig die Botschaften sein können, die durch Bilder vom Weinberg transportiert werden (Stern 1989, 59-63). Es lohnt sich daher, genau hinzuschauen und neben den Parallelen auch die Dissonanzen zwischen dem Weinberglied und der markinischen Parabel in den Blick zu nehmen. Dabei fällt auf, wie unterschiedlich das Verhältnis zwischen dem Weinberg und seinem Besitzer beschrieben wird. Das Weinberglied beginnt als Liebeslied und diese emotionale Färbung schlägt sich auch auf die Figur des Besitzers nieder. Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt folgendermassen: „Singen will ich von meinem Schatz, das Lied meines Lieblings über seinen Weinberg. Einen Weinberg hatte mein Schatz auf einer fruchtbaren Anhöhe. (2) Mein Schatz grub ihn um, entfernte seine Steine und bepflanzte ihn mit edlen Reben, baute einen Turm mitten hinein, hob eine Keltergrube aus und hoffte darauf, dass er gute Trauben trüge, aber er trug saure Beeren.“ Beim Lesen dieser Verse entsteht das Bild einer Person, die vor den Reben steht und mit Eifer ihr Wachstum mitverfolgt. Der Besitzer des Jesajatextes hängt an seinem Weinberg. Auch die Enttäuschung ist als lebendiges Gefühl beschrieben. „Was hat es noch zu tun gegeben an meinem Weinberg, das ich nicht für ihn getan habe?“ fragt sich der Besitzer (V.4). Im Vergleich zu der Intensität der Beziehung zwischen Weinberg und Besitzer sind die Untertöne der Parabel bei Markus viel nüchterner. Folgt man der sozialgeschichtlichen Analyse, hat der Besitzer lediglich

ein geschäftliches Interesse an seinem Weinberg. Er will ihn nicht selber bewirtschaften und baut ihn noch nicht einmal selber an. Stattdessen verlässt er den Weinberg, sobald er verpachtet ist. Enttäuscht wird er nicht vom Weinberg, sondern von den Pächtern, die ihm den Profit verweigern. Könnte es sein, dass hier ein Bild zitiert wird, um es in entscheidender Hinsicht zu untergraben? Luise Schottroff hat sich in jüngster Zeit vehement gegen die Gleichsetzung von Gott und den Machtfiguren der Gleichnisse Jesu ausgesprochen. Auch im Hinblick auf die Parabel von den bösen Winzern argumentiert sie gegen die Annahme, dass der Weinbergbesitzer mit Gott gleichzusetzen sei. Im Gegenteil: „Der Weinbergbesitzer handelt wie ein Widerpart Gottes“ (Schottroff 2005, 30). M.E. ist Schottroffs Argument zu nuancieren. Das Bild des Weinbergbesitzers lässt sich nicht eindeutig übersetzen, sondern stellt, wie einige andere Elemente der Geschichte, eine Leerstelle dar. Die Parabel von den bösen Winzern will zwar an Gott erinnern, tut dies aber auf kreative Art und Weise. LeserInnen werden aufgefordert, die Verbindung zwischen Gott und Weinbergbesitzer herzustellen, um sie wenig später zu hinterfragen. So soll Gott handeln? Die Parabel nimmt Bezug auf das traditionelle Bild von Gott als Weinbergbesitzer, nicht um seine Bedeutung allegorisch festzulegen, sondern um eine weitere Spannung auszulösen, die von den LeserInnen verarbeitet werden muss. Ähnlich ist das sogenannte Steinwort aus Psalm 118 zu behandeln, mit dem die Parabel schliesst. Auch hier wird ein alttestamentliches Echo gebraucht, nicht, um die Erzählung abschliessend zu deuten, sondern um den LeserInnen eine weitere Aufgabe zuzuschieben. Was hat es auf sich mit dem Stein, der verworfen wurde und zum Eckstein wurde? Alexander Weihs hat sich ausführlich mit der Motivgeschichte des Eckstein-Wortes befasst. In seiner Monographie Jesus und das Schicksal der Propheten beschreibt er Psalm 118 als Danklied, in dem die Errettung eines Einzelnen von der ganzen Gemeinde als Heilstat Gottes gepriesen wird. "Ein Verschmähter kommt zu Ehren," (Weihs 2003, 40) - ist die Botschaft des EcksteinWortes in seinem alttestamentlichen Kontext. Im Laufe der Zeit rief das Wort vom Stein eine bemerkenswerte Vielfalt an Deutungen hervor. In der rabbinischen Literatur wurde der Eckstein auf verschiedene Figuren der hebräischen Bibel bezogen (Weihs 2003, 42). Im Neuen Testament gibt es Belege dafür, dass das Eckstein-Wort als Metapher für die Kreuzigung und Auferstehung Jesu gebraucht wurde (Apg 4,11). Für Weihs ist dies die Bedeutung, die dem Eckstein-Wort auch im Kontext der markinischen Parabel zukommt. Mit dem verworfenen und dann doch zu Ehren gekommenen Stein - so Weihs - wird eine passionstheologische Aussage über Jesus gemacht. Dieser Deutung stehen andere gegenüber. So wurde der Stein in der neueren Literatur mit Israel (L. Schottroff 2005, 37), mit König David (Milavec 1989, 108) und auch mit Johannes dem Täufer (Stern 1989, 66ff) in Verbindung gebracht. Anstatt den Stein definitiv zu übersetzen, ist das Steinwort m.E. als lebendige Metapher zu würdigen, die je nach Kontext neue Bedeutungshorizonte eröffnen kann.

Zusammenfassende Auslegung (Deutungshorizonte) Die Parabel von den bösen Winzern stellt heutige LeserInnen vor besondere Schwierigkeiten. Nicht nur handelt es sich um eine grausame Geschichte, diese Geschichte hat zudem anti-jüdische Untertöne, die bis heute deutlich zu hören sind und nach der Shoah besonders in Deutschland Unbehagen auslösen müssen. Wie kann die Parabel mit ihrer unheilvollen Wirkungsgeschichte gedeutet werden?

Müssen wir sie auf den Stapel der zu meidenden biblischen Texte legen - oder eröffnen sich neue Sinnhorizonte? In der neueren Gleichnisliteratur gibt es einige Ansätze, die sich ausführlich mit dem Problem des christlichen Anti-Judaismus beschäftigen. In einem Aufsatz von 1989 sucht Aaron Milavec nach Möglichkeiten, wie die Parabel nach der Shoah verantwortungsbewusst gelesen werden kann. Dabei unterscheidet er zwischen der anti-jüdischen Rezeptionsgeschichte und der ursprünglichen Bedeutung der Parabel, so wie sie vom Evangelisten Markus intendiert war. Milavecs Analyse zu Folge handelt es sich bei der Parabel um eine genuin jüdische Geschichte über die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk. Markus zitiert das altbekannte Motiv vom Weinberg Gottes, wie es aus Jesaja bekannt ist, um es auf bestimmte Art zu modifizieren und zuzuspitzen (Milavec 1989, 91). Im Gegensatz zum Jesajatext, der mit der Zerstörung des Weinbergs endet, werden in der markinischen Parabel nicht der Weinberg sondern die Pächter zerstört. Für Milavec ist dieser Unterschied ein zentraler Hinweis für die Interpretation. Die Pointe des markinischen Zitats liegt darin, dass Gott an der Integrität des Weinbergs und damit des Volkes Israel festhält. Der kritische Fokus liegt auf der jüdischen Führungselite, nicht auf dem Volk selber. Ihnen wird die Autorität über das Volk weggenommen und zwar mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft für Israel. Diese Deutung bestätigt sich laut Milavec im literarischen Kontext der Parabel, speziell in der Reaktion der Zuhörer (12,12), den Hohepriestern, Toragelehrten und Ältesten, die sich von Jesus angegriffen fühlen. Innerhalb des damaligen jüdischen Bedeutungshorizontes enthält die Parabel nach Milavecs Auffassung also zwei Botschaften: Die Kritik an der Führungselite und die Zusicherung, dass Gott zu seinem Volk hält. Auf diese Weise hofft Milavec, die antijüdische Maske zu beseitigen, die im Laufe der Zeit über die Parabel gestülpt wurde (Milavec 1989, 110f). Auch Luise Schottroffs Interpretation ist motiviert von dem Wunsch, die anti-jüdische Vereinnahmung der Parabel zu überwinden (Schottroff 2005, 27-43). Anders als Milavec liegt für sie der Schlüssel des Verstehens nicht in der Intention des Evangelisten Markus, sondern in der Sozialgeschichte. Die Parabel von den bösen Winzern wollte ihrer Ansicht nach gegen eins der dringlichsten sozialen Probleme der damaligen Zeit Einspruch erheben, nämlich gegen die Ausbeutung jüdischer Bauern durch reiche Grossgrundbesitzer. Nach dieser Auslegung waren die WinzerInnen in Wirklichkeit Opfer eines ungerechten Wirtschaftssystems, die sich nicht anders zu helfen wussten als durch Gewalt. Im Gegensatz zu Milavec will Schottroff die Pächter der Parabel nicht mit der jüdischen Elite gleichsetzen. Zwar enthält die Parabel eine Kritik an der jüdischen Führungsschicht, die den wirtschaftlichen Notstand der Menschen nicht verhindert hatte. Die eigentliche Botschaft der Parabel liegt jedoch in ihrer eschatologischen Dimension. Der beschriebene Notstand wird ins Licht des kommenden Gottes gestellt. Ausschlaggebend für diese Deutung ist das Steinwort in Vers 10-11, ein in Schottroffs Worten traditioneller „Hoffnungstext für das leidende jüdische Volk“ (Schottroff 2005, 37). Im Bild vom Stein, der verworfen wurde und dann zum Eckstein wurde, kommt die Verheissung zum Ausdruck, dass die Menschen, die sich auf Grund ihrer verzweifelten Lage nicht anders zu helfen wissen als durch Gewalt, verwandelt werden. „Es geht um Israel und seine Befreiung (V.10.11) aus dem in der Erzählung zugespitzt dargestellten Leiden an erlittener und selbst verübter Gewalt“ (Schottroff 2005, 39). Ich halte die Ansätze von Milavec und Schottroff für hilfreich, da sie den antijüdischen Untertönen der Parabel bewusst widerstehen und alternative Lesemöglichkeiten eröffnen. Jedoch möchte ich den hermeneutischen Rahmen in

eine bestimmte Richtung erweitern. Sowohl Milavec als auch Schottroff führen uns auf je eigene Weise in die Welt des 1. Jahrhunderts und verharren dort. Doch weder Milavec noch Schottroff beschäftigen sich ausführlich mit der Frage nach den Erfahrungen von LeserInnen in der Gegenwart. Was passiert, wenn die markinische Parabel heute gehört wird, z.B. als Schriftlesung in einem Gemeindegottesdienst? Die Parabel von den bösen Winzern, wie sie uns im Markusevangelium überliefert wurde, ist Teil kirchlicher Perikopenordnungen und hat schon allein dadurch einen institutionalisierten Sitz im Leben in unserer Zeit. Was m.E. beachtet werden muss, ist der metaphorische Prozess, in den die Parabel heutige LeserInnen (und HörerInnen) verwickeln kann. Die sprachlich-narrative Analyse hat ergeben, dass die Parabel für ihre LeserInnen einige Stolpersteine bereit hält, allen voran Vers 5b, in dem die brutale Antwort der Bauersleute auf die Pachtforderung in eine Gewaltserie ausartet. Drei Sklaven wurden misshandelt oder getötet - und viele andere ebenso. Wer sich auf dieses Erzählelement einlässt kann gar nicht anders als zu stutzen: Das darf doch nicht wahr sein! Der Gleichnistheorie Paul Ricoeurs zu Folge sind die aussergewöhnlichen Erzählelemente einer Parabel mit ein Grund, warum LeserInnen einen Transfer herstellen von der erzählten Welt hinein in die Wirklichkeit. Ricoeur vermutet, dass es Grenzerfahrungen des menschlichen Lebens sind, auf die uns die Parabeln verweisen wollen. Die Anhäufung physischer Gewalt kann LeserInnen dazu führen, sich „Erfahrungen von Katastrophe, Verzweiflung, Tod, Leid, Schuld und Hass,“ zu vergegenwärtigen, um Ricoeurs Sprache der existentiellen Philosophie zu gebrauchen (Ricoeur 1975, 128). Diese Erfahrungen sind natürlich immer situationsgebunden. Die Parabel wird sehr unterschiedliche Bilder und Erinnerungen auslösen können, je nachdem von wem und in welchem Kontext sie gelesen wird (Oldenhage 2002, 144f). Stimmt meine Analyse des Bildfeldes vom Weinberg und seinem Besitzer, so stellt die Parabel ihre RezipientInnen vor eine weitere Spannung, und zwar vor die Spannung zwischen der traditionellen Identifizierung des Weinbergbesitzers mit Gott und dem profit-gesteuerten Verhalten des Besitzers, wie er uns in der Parabel entgegen kommt. Ist das wirklich Gott, der so handelt? Je stärker LeserInnen mit den sozialgeschichtlichen Hintergründen der Parabel vertraut sind, desto stärker ist die Irritation. Ein ausbeuterischer, rachegetriebender Grossgrundbesitzer ist ein merkwürdiges Bild für Gott. Wer sich dieser Irritation stellt, vollzieht, wie oben bereits angedeutet, einen wichtigen Perspektivenwechsel. In dem Moment, in dem nicht mehr klar ist, ob hier von Gott berichtet wird, ist auch die Unterscheidung zwischen gut und böse, Recht und Unrecht nicht mehr eindeutig. Dann müssen LeserInnen die Annahme hinterfragen, dass der Gutsherr mit seinen Pachtforderungen im Recht ist. Das, was als normale Geschäftsverhandlung erschient, muss als Symptom eines ungerechten Wirtschaftssystems erkannt werden. Wenn sich dieser Perspektivenwechsel mit eigenen Gewalt- und Leiderfahrungen verbindet, können eindrückliche Deutungen für unsere Zeit entstehen. Als Beispiel sei hier die höchst aktuelle Interpretation der Parabel von Richard Q. Ford erwähnt (Ford 2003). In seinem Aufsatz „The Iraqi Conflict and a Parable of Jesus“ stellt Ford eine Verbindung her zwischen dem Verhalten des Weinbergbesitzers und dem Verhalten der AmerikanerInnen während des Irakkrieges. In beiden Fällen diagnostiziert Ford eine Unfähigkeit, geschichtliche Tatsachen zu erkennen. Der Weinbergbesitzer geht davon aus, dass es sein gutes Recht ist, seine Pacht einzufordern, während diese Forderung doch in Wirklichkeit auf einer ungerechten Gesetzgebung basiert. Er selbst bleibt für die ausgebeuteten Bauern unerreichbar. Er bleibt unberührt von der Leidensgeschichte dieser Leute, deren Familien einst das Land geraubt wurde.

Als die amerikanische Regierung sich im Frühjahr 2003 dazu entschloss trotz UNO Resolution und internationaler Proteste in den Irak einzumarschieren, waren grosse Teile der amerikanischen Bevölkerung von den guten Intentionen ihrer Regierung überzeugt. Viele Menschen erwarteten, dass die amerikanischen Soldaten und Soldatinnen im Irak mit Freude empfangen würden, weil sie ein unterdrücktes Volk von einer schrecklichen Diktatur befreiten. Ford zufolge waren diese Leute ähnlich wie der Weinbergbesitzer unfähig, die Situation richtig einzuschätzen und sich Rechenschaft zu geben über die Motive der US-Regierung. Sie waren Welten getrennt von den betroffenen Menschen im Irak und deren Erfahrungen mit der Gewalt des westlichen Imperialismus. Wie der Weinbergbesitzer glaubten sie an ihre eigene Güte und aus dieser Fehleinschätzung heraus liessen sie ihre Söhne und Töchter in den Krieg ziehen. Das Resultat ist - wie in der Parabel - eine Gewaltkette, die nicht abreisst. Die Parabel beleuchtet die Blindheit derer, die fest daran glauben, im Recht zu sein, obwohl sie sich in Wirklichkeit in geschichtlich gewachsenen Strukturen der Ungerechtigkeit befinden. Die metaphorische Verbindung zwischen der markinischen Geschichte und der USamerikanischen Politik hat natürlich Grenzen. Wie in jeder lebendigen Metapher schwingt neben dem "ist gleich" ein "ist nicht gleich" mit. Resonanzen stehen neben Dissonanzen. So kann selbstverständlich gefragt werden, ob der lügnerische Raubüberfall des Präsidenten Bush mit dem Racheakt des Weinbergbesitzers wirklich zu vergleichen ist. Es kann eingewendet werden, dass der zweite schliesslich einen existentiellen Grund zur Selbstwehr hatte. Doch genau durch solche Fragen kann die Parabel von den bösen Winzern zu einer aufwühlenden Geschichte für unsere Zeit werden, zu einer nachdenklichen Anti-Kriegs-Erzählung, die uns Wege eröffnet, menschliches Handeln im 21. Jahrhundert zu verstehen und zu hinterfragen.

Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Parabel von den bösen Winzern ist uns in vier verschiedenen Versionen überliefert. Aus der Fülle des Materials, das uns in den Parallelüberlieferungen bei Matthäus, Lukas und im Thomasevangelium entgegen kommt, sollen im Folgenden lediglich zwei Beobachtungen hervorgestrichen werden, die für die Wirkungsgeschichte der Parabel von besonderer Bedeutung sind. Die matthäische Fassung der Parabel (21,33-46) enthält neben einzelnen Variationen im Erzählverlauf ein bemerkenswertes Deutungsangebot, das bei Markus fehlt. Jesu Rede endet bei Matthäus nämlich nicht mit dem Schriftzitat aus Psalm 118 sondern geht weiter: „Deshalb sage ich euch: Das Gottesreich wird von euch weggenommen werden und einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringt“ (V.43). Mit diesem Satz wird Jesus eine ganz bestimmte Interpretation der Parabel in den Mund gelegt. Demnach liegt die Pointe der Erzählung im Entschluss des Gutsherrn, seinen Weinberg an andere Leute zu vergeben. Anders als bei Markus, wird dieser Zug inhaltlich gefüllt. Es ist von einem „anderen Volk“ die Rede. Hier findet die Vorstellung der Verwerfung Israels und der Erwählung der Kirche als das neue Gottesvolk seinen biblischen Anhaltspunkt. Der matthäische Zusatz ist mit verantwortlich dafür, dass die Parabel im Laufe der Zeit in unterschiedlichen Variationen als Polemik gegen das Judentum verstanden wurde. J. Kloppenborg zeigt, wie sich diese Deutung im Laufe der ersten Jahrhunderte n.Chr. langsam durchsetzte (Kloppenborg 2006, 22-25). Bereits Ende des 2. Jahrhunderts identifizierte Irenaeus die Sklaven mit Gottes Propheten und die Tötung des Sohnes mit der Kreuzigung Jesu. Nach der Konstantinischen Wende bekam die

Auslegung der Parabel eine triumphalistische Färbung und wurde von Eusebius als Sieg des Christentums über andere Religionen verstanden. Im späten 4. Jahrhundert wurde die Parabel von Erzbischof Chryostomus in ihren Einzelheiten als heilsgeschichtliche Allegorie ausgemalt. Der Rachezug des Gutsherrn wird dabei zur Strafe Gottes gegen die Juden, die Christus ans Kreuz schlugen (Milavec 1989, 83). Eine völlig andere Spur der Auslegung ist im Thomasevangelium angelegt. Im Gegensatz zu Matthäus, der die Parabel durch ein zusätzliches Deutewort verlängert, fehlt bei Thomas der Schluss der Erzählung: „Ein (Wucherer / gütiger Mensch) besass einen Weinberg. Er gab ihn Bauern, damit sie ihn bearbeiteten (und) er von ihnen seine Frucht bekomme. Er schickte seinen Sklaven, auf dass die Bauern ihm die Frucht des Weinbergs gäben. Sie packten seinen Sklaven. Sie schlugen ihn, fast hätten sie ihn getötet. Der Sklave ging zurück, er sagte es seinem Herrn. Sein Herr sagte. ‚Vielleicht haben nicht erkannt.‘ Er schickte einen anderen Sklaven, die Bauern schlugen den anderen. Dann schickte der Herr seinen Sohn, er sagte: ‚Vielleicht werden sie Achtung vor meinem Sohn haben.‘ Jene Bauern, weil sie wissen, dass er der Erbe des Weinbergs ist, sie ergriffen ihn, sie töteten ihn. Wer Ohren hat, soll hören.“ (Petersen 1999, 199-200). Nachdem diese Parallele durch die Nag Hammadi Funde zugänglich wurde, zog sie die Aufmerksamkeit einiger ExegetInnen auf sich, die hier den ursprünglichen Wortlaut der jesuanischen Parabel vermuteten. Zum einen erscheint der Handlungsablauf im Thomasevangelium weitaus plausibler zu sein als bei Markus oder Matthäus. Es gibt keinen Massenmord und die Entscheidung des Weinbergbesitzers, seinen Sohn zu schicken, scheint einleuchtend. Zum anderen eröffnet das Fehlen des Vergeltungsschlages die Möglichkeit, die Parabel so zu interpretieren, dass sie sich besser in ein bestimmtes Bild des historischen Jesus fügt. J.D. Crossan ist bekannt für seine These, dass Jesus gerne die konventionellen Vorstellungen seiner ZeitgenossInnen auf den Kopf stellte. Auf der Basis der kürzeren Fassung bei Thomas interpretiert Crossan die Parabel als schockierende Geschichte über einen erfolgreichen Mord (Crossan 1973, 96). Ähnlich argumentieren T. Schramm und K. Löwenstein in ihrem Buch Unmoralische Helden, wobei sie der Parabel eine didaktische Botschaft abgewinnen können: „Die Pächter ... sind in einem Punkte vorbildlich - sie erfassen die Bedeutsamkeit der Situation, sie sehen ihre Chance und reagieren entschlossen: Sie bringen das Erbe an sich“ (Schramm /Löwenstein 1986, 36). Gegen diese Interpretation kann eingewendet werden, dass der Text des Thomasevangeliums keinen Hinweis darauf gibt, ob die WinzerInnen das Erbe wirklich an sich brachten, ob der Mord des Sohnes also in diesem Sinne "erfolgreich" endete oder nicht. Der Schluss bleibt vielmehr offen. Bemerkenswert scheint mir allerdings folgendes: Für Schramm und Löwenstein ist die Version des Thomasevangeliums u.a. deswegen zu bevorzugen, weil sie eine Deutung ermöglicht, die sich von der anti-jüdischen Lesart absetzt. Der Handlungsablauf ist in sich so schlüssig, dass keine Versuchung besteht, allegorische Verbindungen zwischen Sklaven und Propheten oder zwischen dem Sohn und Christus herzustellen. Zudem fehlt mit dem Racheakt des Weinbergbesitzers jeder Grund, die Pointe der Parabel in der Strafe Gottes gegen Israel zu finden. „Die Rekonstruktion des ursprünglichen Wortlauts befreit das Gleichnis auch von seinen antijudaistischen Zügen“ (Schramm /Löwenstein 1986, 35). Die Auslegungen von Crossan, Schramm und Löwenstein sind m.E. wertvolle Bestandteile des Deutungshorizontes, weil sie kreative Wege aufzeigen, mit einem der schwierigsten Texte der christlichen Tradition umzugehen. Die Parabel von den

bösen Winzern ist in Luise Schotttroffs Worten eine Horrorgeschichte und auf Grund ihrer anti-jüdischen Wirkungsgeschichte ein gefährlicher Text. Solange uns die Parabel jedoch dazu veranlasst, mit dem Erbe des Anti-Judaismus zu ringen und historische sowie gegenwärtige Gewalterfahrungen zu reflektieren, bleibt sie ein wichtiger Teil der Jesusüberlieferung.

Literatur zum Weiterlesen • • • • • • • • •

R. Q. Ford, The Iraqi Conflict and a Parable of Jesus, Constellation (Fall 2003): http://www.tcpc.org/resources/constellation. M. Hengel, Das Gleichnis von den Weingärtnern. Mc 12,1-12 im Lichte der Zenonpapyri und der rabbinischen Gleichnisse, ZNW 59 (1968), 1-39. J.S. Kloppenborg, The Tenants in the Vineyard, WUNT 195, Tübingen 2006. K. Löwenstein / T. Schramm, Unmoralische Helden. Anstössige Gleichnisse Jesu, Göttingen 1986, 22-42. Milavec, A Fresh Analysis of the Parable of the Wicked Husbandmen in the Light of Jewish-Christian Dialogue, in: C. Thoma / M. Wyschogrod (Hgg.), Parable and Story in Judaism and Christianity, New York 1989, 81-117. T. Oldenhage, How to Read a Tainted Text. The Wicked Husbandmen in a PostHolocaust Context, in: A.K.M. Adam (Hg.) Postmodern Interpretations of the Bible, St. Louis 2001, 165-176. L. Schottroff, Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2005, 27-43. W. Schottroff, Gerechtigkeit lernen. Beiträge zur biblischen Sozialgeschichte, Gütersloh 1999, 165-204. D. Stern, Jesus‘ Parables from the Perspective of Rabbinic Literature: The Example of the Wicked Husbandmen, in: C. Thoma / M. Wyschogrod (Hgg.), Parable and Story in Judaism and Christianity, New York 1989, 42-80.

Tania Oldenhage