Texte der TeilnehmerInnen des Seminars Kreatives und Therapeutisches Schreiben 22.03. -‐24.03. 2013 Kloster Irsee Leitung: Dr. med. Silke Heimes Hospitanz: Ina Tilmann MA Kunsttherapie Medical School Hamburg
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"Sprache ist lichtend-‐verbergende Ankunft des Seins selbst." (M. Heidegger, Brief über den "Humanismus" (1946), Wegmarken, Klostermann Verlag, 2004, zitiert nach http://www.ikuts.de,[23.04.2013, 12:00])
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Inhaltsverzeichnis Eva Behrens Verliebt in Frankreich
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Andrea Benke Ein Märchen Teil und Ganzes mit allen Sinnen
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Doris Latta Zauberhafte (Ver)Wandlung Der Himmel weint goldene Tränen
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Rosemarie Müller-‐Diesch Hase, Frosch und Schlange Das kleine Schwarze
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Sandra Richter Großmutter Gretel und der Goldfisch Gedicht zur Postkarte der Insel bin ich egal
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Franziska Schulteß Der Turmgarten
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Traudl Schulteß Im Aug´ Weisat-‐Wecken Wohi
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Moritz Wigand Ich schreibe nichts. Zu einer unbestimmten Zeit
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Sibylle Zengerle-‐Hübner Bin ich einst Haus gewesen?
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Eva Behrens Verliebt in Frankreich Wir sitzen an der Seine, das Wasser schimmert im Licht. Wir sitzen auf einer Bank, wir zwei eng umschlungen. Die steinerne Brücke begrenzt das Bild. Das Laubwerk der Bäume beschützt uns. Die Nachbartische sind leergefegt. Lichtfunken auf dem Wasser. Wir haben nur Augen für uns. Haben wir das wirklich? Die Augen sind geschlossen, wir sind nur Körper gefühlt von warmen Händen, warmer Haut und warmen Lippen. Versunken und selbstvergessen ganz dem Gefühl hingegeben. Zwei junge Menschen.
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Andrea Benke Schnell in die Höhe gewachsen, in klarer, geradliniger Form. Immergrün schwingend biegsam, fest verwurzelt, unzerbrechlich.
zu Paul Klee "labiler Wegweiser", 23. März 2013
Ein Märchen Ist es nicht verwunderlich? Eines Morgens als er erwachte, wollte er, wie jeden Tag, sein fröhliches Lied der Sonne schenken, den neuen Morgen mit seiner Stimme begrüßen, sich putzen und schütteln und sich mit kräftigem Schwung federleicht in die Luft erheben, um allmählich als immer kleiner werdender Punkt in der Ferne zu verschwinden. Doch was war das? Statt zart zwitschernden Tönen kratzte sich ein quietschendes "i AAA, i AAA" aus der wunden Kehle. Sein Körper fühlte sich schwer und massig an, die Beine wollten nicht hüpfen, sondern standen wie in den Boden gerammte Pfähle.
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Alles zog nach unten in einer nie gekannten Fleischlichkeit. Das Herz schien keinen Platz zu haben und musste mit langen, dumpfen Schlägen gegen die Enge in der Brust anschlagen. "Komm, mein Eselchen! Komm! Keine Zeit zum Wundern. Es gibt viel zu tun. Dein Futter musst du dir verdienen!" drangen die Worte mit Strenge an sein Ohr. Eine harte Hand packte ihn an den Ohren und schob und zog und zerrte, so dass er das Laufen lernen musste. Was ist mir geschehen, war die unaufhörlich quälende Frage. Dem Esel wurden schwere Säcke gefüllt mit Sand und Steinen auf den Rücken geworfen, und Tag für Tag ertrug er diese Last von einer Senke den Hügel hinauf zum Schloss. Sie Säcke waren so schwer, dass die Gelenke dick und heiß wurden, der Rücken mehr und mehr nachgab und sich schmerzhaft bog. Die Suche nach einer Antwort auf seine Frage verblasste und verschwand bald ganz. Unter den Augen des Schlossherrn schleppte das Eselchen Sand und Steine Stunde um Stunde, Tag für Tag, Jahr für Jahr -‐ Baumaterial für einen Turm. Dieser Turm sollte das mächtigste und höchste Bauwerk des Landes werden, höher noch, als ein Vogel fliegen könnte. Einziges Glück für den Esel war ein allabendliches Ritual: nach Beendigung eines mühevollen Tages gestattete der Schlossherr dem Esel, sich auf den höchsten Punkt des Turmes zu stellen, wo er seinen Blick in die Landschaft verlieren konnte. Hier weitete sich sein Herz und er nahm die Schönheit der Natur in sich auf. Hier erinnerte er sich schleierhaft an ein zartes Gefühl von Freiheit. Das gab ihm Mut und schenkte ihm ein erfüllendes Glück für diesen Augenblick. Und als er dort wieder einmal stand und in die Weite schaute flogen Worte zu ihm: Allah hu agbar. Gott ist groß. Er hatte diese Worte noch nie gehört und verstand doch sofort ihre Tiefe und
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Herrlichkeit. Wenn er nun jeden Abend auf den immer höher anwachsenden Turm stieg, seine müden und geschundenen Glieder reckte, rief er die Worte "Allah hu agbar" mit seinem Herzen und er fühlte, wie die Schmerzen schwanden. Nach so vielen Jahren, die nicht mehr zählbar waren, sollte der Schlossherr endlich zufrieden sein und er befahl den Esel ein letztes Mal den ausgetretenen Pfad in die Senke um Sand und Steine auf seinen gebrochenen Rücken zu laden. Der Esel konnte die Mühen längst nicht mehr spüren. Seine große Hoffnung galt seinem Abendritual auf dem Turm, das hielt ihn am Leben. Doch wenn der Turm nun fertig ist, was kommt dann? Er stieg ein letztes Mal die Stufen des Turmes hinauf und als er in die Ferne schaute und die Worte sprach, wurde die Erinnerung an eine wundersame Leichtigkeit stärker. Wie durch eine Glut im Ofen seines Inneren entfachte ein kraftvolles Feuer, das alle Traurigkeit und allen Zweifel gefräßig gierig verschlang. Und er brannte voller Freude und er fühlte, dass etwas ganz Großartiges mit ihm geschah. Eine Verwandlung! Sich ganz im Vertrauen der Transformation hingegeben, in der Sicherheit geborgen, dass alles was geschieht richtig ist, vollzog sich sein Wandel in eine Erlösung. Angekommen in seiner wahren Gestalt, mit Tränen der Dankbarkeit angefülltem Herzen, erhob sich der Zaunkönig in neu gewonnener Bewusstheit in die Lüfte, hoch hinaus, über den höchsten Punkt des Turmes aller Schmerzen hinweg, der Schönheit der Schöpfung entgegen. 23. März 2013, Kloster Irsee, Ein Märchen mit den Worten: Ofen, Turm, Schlossherr, Zaunkönig, Esel
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Teil und Ganzes mit allen Sinnen Durch das geschlossene Auge ist das pulsierende Gefäßgeflecht der Lidinnenhaut sichtbar. Es kitzelt in der Nase. Sie Sonne wärmt das Gesicht. Ich lehne an der Hauswand, angenehme Kühle steigt vom Boden her auf. Beruhigendes Ein-‐ und Ausatmen erfrischt den Brustkorb. Vögel singen, der Wind rauscht durch das trockene Laub vom Vorjahr. Dröhnen schwerer Fahrzeuge nimmt das gesamte Hören ein. Es gibt Verkehr rund herum. Ich bin auf einer Scholle. Ein kleiner Punkt an einer weißen Hauswand, im Hof einer Klosteranlage, die den Mittelpunkt einer Kreisbewegung bildet. Es sprudelt mich hoch. Ich spiralisiere. Die Landschaft wird braun-‐fadgrünlich-‐gefleckt. Flüsse durchziehen die Ebene -‐ ein pulsierendes Gefäßgeflecht. Leicht. Frei. 22. März 2013 Kloster Irsee, Garten, Achtsamkeitsübung
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Doris Latta Zauberhafte (Ver)Wandlung Es war einmal vor vielen Jahren in einer anderen Welt. Ein Kater – in die Jahre gekommen -‐, fristete sein Dasein in einem düsteren, vermoderten Keller. Er lebte ein spartanisches Leben. Ein Großteil seiner Kraft floss in den ganz alltäglichen Überlebenskampf. Als er wieder einmal so vor sich hin sinnierte, fiel ihm in der Ecke eine bislang unbemerkt gebliebene Flasche auf. Er kramte sie heraus und betrachtete sie eingehend. Im Inneren der Flasche entdeckte er etwas Lebendiges, das ihm zuwinkte. Mutig öffnete er die Flasche, und heraus rauschte mit riesigem Getöse ein Flaschengeist. „Oh je“, sagte er sich. Das war’s dann wohl! Doch weit gefehlt. Der Flaschengeist begrüßte ihn freundlich, bedankte sich für seine Befreiung und machte Anstalten, auf schnellstem Wege, diesem miesen Kellerloch zu entschweben. Plötzlich hielt er im Schweben inne. „Halt“, rief er. „Ich habe noch ein Geschenk für dich.“ Der Flaschengeist übergab dem Kater ein Paar wunderschöne, tomatenrote Stiefel aus feinstem Leder, designed von einem ultimativen italienischen Schuh-‐Modeschöpfer, um sodann den Keller durch das zerbrochene Fenster zu verlassen. Weg war er. Zurück blieb ein etwas verwirrter Kater. Er hatte sich zwar bei dem Geist höflich bedankt. Aber seien wir mal ganz ehrlich. Was soll ein ziemlich abgewrackter Kater in diesem Kellerloch mit solchen Designer-‐ Stiefeln? „Na ja, anprobieren kann ich sie ja mal“, dachte er sich. Gesagt. getan. Und siehe da. So als ‚gestiefelter Kater’ befiel ihn eine bislang unbekannte Aufregung. Sein Herz klopfte und hüpfte. Er spürte plötzlich seine Muskeln wieder. Ihm wurde plötzlich klar wie Quellwasser.
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„Ich muss hier raus!“ So verließ er sein selbst gewähltes Katzenasyl und begab sich seit langer Zeit einmal wieder tagsüber auf die Straße. Er streunerte nicht. Nein, er stolzierte auf dem Bürgersteig, und anders als sonst, wo er oft von unwirschen Menschen weggejagt oder gar getreten wurde, grüßten ihn die Passanten freundlich. Manche verneigten sich sogar kurz vor ihm. „Komisch“, dachte der nun gestiefelte Kater, „was so ein paar italienische Stiefel alles ausmachen?“ Während er so genüsslich vor sich hinschlenderte und sein neues Lebensgefühl mit jedem Atemzug in sich hinein sog – Ja, er fühlte sich plötzlich groß, kraftvoll und überaus interessant, da hörte er hinter sich ein Klacken: Klick-‐Klack, Klick-‐Klack, Klick-‐Klack. Dem Geräusch folgend, entdeckte er ein Paar unglaublich schöne rote, sehr edle Damen-‐Pumps. Sein Blick schweifte nach oben und er bemerkte, dass in den roten Pumps eine sehr aparte, junge Frau steckte, die ihn mit einem umwerfenden Lächeln anschaute. Der Kater begrüßte sie: „Guten Tag, du Schöne. Darf ich dich ein Stück begleiten?“ Und so schlenderten die Beiden, plötzlich ganz nah beieinander – rote Stiefel – rote Pumps tragend – durch die Stadt. Sie stellte sich als Gretel vor und erzählte ihm, dass sie eine schlechte Kindheit hatte. Auf die grotten-‐üble Stiefmutter wollte sie gar nicht weiter eingehen. Sie habe sich lange um ihren hilflosen kleinen Bruder, den Hänsel, kümmern müssen. Da war auch so eine Geschichte mit viel Lebkuchen essen und Hexe verbrennen. So richtig hat der Kater das nicht verstanden. Jedenfalls habe der scheinbar so hilflose Bruder und ihr irgendwie nicht so belastbare Vater das gesamte Familienvermögen verprasst. Nur die tollen, roten, vormals sehr teuren Pumps sind ihr geblieben. Den gestiefelten Kater rührte die Geschichte. Er bekundete sein tiefstes Mitgefühl. Beide wurden plötzlich ganz traurig. Denn auch wenn sie sich
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nur ganz kurz kannten, begann zwischen ihnen ein Gefühl zu wachsen. Man könnte es Liebe nennen. Doch wie sollte das gehen? Eine Liebe zwischen einem gestiefelten Kater und einer Menschen-‐Gretel? Schwierig! Die Beiden berieten sich ausführlich. Da kam der Kater auf die rettende Idee, den Flaschengeist um Hilfe zu bitten. Schon beim ersten Ruf tauchte der Flaschengeist auf und das Paar schilderte ihm die Hürde einer Liebe zwischen Kater und Frau. Aufmerksam zuhörend, sprach der Flaschengeist zu ihnen: „Wollt ihr vertrauen und das Ergebnis bedingungslos annehmen, eurer Liebe wegen? Dann schüttelt diese Zauberkugel 3x. Ihr werdet sehen. Und Schwups entfleuchte er in den großstädtischen Abendhimmel. Das äußerlich so ungleiche Paar erörterte die Situation ausführlich. Sie prüften sich, ob ihre Liebe zueinander wirklich so stark ist, sich auf diese Zauberei einzulassen. Und sie wagten es. Sie wollten ihre Liebe leben, wie auch immer. 1x schütteln, 2x schütteln, 3x schütteln. Plötzlich stand vor dem gestiefelten Kater eine lieblich schnurrende, geschmeidige, kleine Raubkatze. Das war die Lösung. Gretel hatte sich in eine Katze verwandelt. Endlich konnten sie sich gemeinsam – jetzt auf Augenhöhe – auf den Weg machen in ein besseres Leben. Was sie auch taten. Einige Monate später-‐. Das Katzenpaar lebte jetzt auf dem Lande bei einem netten Ehepaar, in einem netten Haus mit Vollpension und vielen Streicheleinheiten. Die roten Stiefel und die roten Pumps standen in der Vitrine. In diesem sehr komfortablen Ambiente macht Familienplanung einen Sinn. Und so bekam das Katzenpaar Nachwuchs. 5 zauberhafte schwarz-‐weiße
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Katzen-‐Babys. Eines reizender als das Andere. Doch da war etwas ganz Merkwürdiges: Alle 5 Katzen-‐Babys hatten rote Pfötchen!!! Die Katzen-‐Eltern betrachteten häufig geheimnisvoll lächelnd ihre rotpfötigen Kinder. Manchmal lagen alle zusammen in der Sonne und träumten von superleckeren Mäusen mit roten Schuhen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann träumen sie noch heute. Sonnabend, 23.3.13 Ein Märchen aus den Begriffen: Gestiefelter Kater, Flaschengeist, Gretel, Keller, Straße Der Himmel weint goldene Tränen in grüngesichtige Strukturen. Wie kann ein Grün seiner naturgemäßen Bestimmung entsagen? Sonnabend, 23.3.13
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Rosemarie Müller-‐Diesch Hase, Frosch und Schlange In einem großen, weiten Wald voll Moos und alten Bäumen lebte einmal ein kleiner Hase unter dem Moos in seinem Bau. Wenn es regnete, machte er es sich in seiner kleinen Hasenstube gemütlich, schien die Sonne, hoppelte er durch den Wald, suchte auf den Lichtungen nach Nahrung und Begegnungen mit anderen Tieren. An einem sonnigen Frühlingsmorgen gelangte er an einen tiefen See mit wogendem Schilf, grünen Wasserpflanzen und blühenden gelben Mummelblumen. Auf einem Seerosenblatt sah er ein grünes Tier mit großen Augen und langen Beinen sitzen, das er bisher noch nie gesehen hatte. „Wer bist denn du?“, fragte der kleine Hase. „Ich bin der Frosch Platsch-‐Batsch und wie ist dein Name?“ fragte der Frosch. „Ich bin der Hase Langohr und suche Gesellschaft“ antwortete der Hase. „Dann komm zu mir auf das Seerosenblatt, da können wir uns unterhalten“, entgegnete der Frosch. Das war aber dem Hasen nicht geheuer: „Ich kann nicht schwimmen. Komm du zu mir an Land!“ Da erzählte ihm der Frosch von der Schlange, die unter dem Laub und einem Stein am sonnigsten Platz des Ufers hauste und wie sehr er sich davor fürchtete, von der Schlange gefressen zu werden. „Ach komm“, sprach der kleine Hase, „so ist das doch kein Leben, wenn man ständig nur in Furcht lebt. Komm mit mir. Wir werden die Schlange besuchen. Wenn wir keine Angst vor ihr haben, wird sie auch keine Macht über uns erlangen.“
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Der Frosch, dem es schon lange auf seinem Seerosenblatt sehr langweilig war, ließ sich überreden, sprang ins Wasser und schwamm hinüber zum Hasen. Vorsichtig hoppelten und hüpften sie zur Behausung der Schlange. Weil ja nun aber Hoppeln und Hüpfen nicht so ganz geräuschlos gelingen konnten, war die Schlange davon bereits aus ihrem Schlaf erwacht und schaute beide mit ihren grün funkelnden Augen an. Frosch und Hase wurde es nun sehr mulmig zumute. Sie bekamen es doch mit der Angst zu tun. „Willst Du uns fressen?“ fragte der Hase die Schlange.
„Hmm -‐ “, antwortete die Schlange, „da wäre ich ja wohl für eine Weile satt. – Doch will ich euch eine Chance geben: Ich stelle euch eine Frage. Wenn ihr sie richtig beantwortet, schenke ich euch euer Leben. Wisst ihr die richtige Antwort nicht, fresse ich euch!“ Die Schlange fragte: „Was ist am Morgen groß, am Mittag klein, am Abend wieder groß?“ Hase und Frosch beratschlagten. Der Hase nach seinen Gewohnheiten meinte, es würde sich so mit dem Appetit verhalten. Der Frosch entgegnete, dass er immer hungrig sei, darum könnte die Antwort nicht gelten. Dann fiel beiden zugleich ein, dass die Sonne am Morgen groß über dem Horizont erscheint, mittags im Zenit viel kleiner aussieht, um am Abend leuchtend als riesiger Feuerball hinter dem Horizont zu versinken. Wie aus einem Munde antworteten sie: „Es ist die Sonne.“ – Die Schlange erstarrte. „Das ist richtig – ja, da lasse ich euch das Leben“.
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Vor den staunenden Augen des Hasen und des Frosches legte sie ihre alte Haut ab. Darunter kam es golden zum Vorschein und auf ihrer Stirn leuchtete ein funkelnder Diamant. Die Schlange sprach:“ Durch euren Mut habt ihr mich erlöst, ich konnte zu einer Schlange der Weisheit werden. Nun muss ich keine Tiere mehr auffressen. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heut. 23. März 2013
Das kleine Schwarze Nachtblau bekleideter Stern Sehnt sich nach Amöbentanz Farbenteppich schwebt Sonne dringt durchs Nebelgrau Das Schwarz tanzt dem Grau eins vor 12. April 2013
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Sandra Richter Großmutter Gretel und der Goldfisch Es war wieder einmal ein regnerischer Tag als sich Gretel auf den Weg zur alten Mühle machte. Das Restaurant lag abseits des Dorfes und deshalb ideal für Männer, die sich Tag und Nacht nach nackten Frauen im roten Licht sehnten. Mit einem Kopftuch und Arthrose in den O-‐ Beinen ging Gretel die kilometerlange Mühlenstrasse hinaus, das zweite Mal in ihrem Leben. Zuhause hatte sie im Dunkeln nur ein Wispern gehört, das allmählich lauter wurde und sich schließlich wie ein Ruf anhörte: Kuruschu, kuruschu... Die Beine schmerzten und die Schatten wuchsen während Gretel an der alten Mühle vorbei in den Wald humpelte. Die Sterne funkelten als Gretel vor dem Tümpel stand, vor Erschöpfung zusammenbrach und im Matsch liegen blieb. Kuruschu hallte es durch den Wald und ein Fisch groß wie eine Kugel, mit Zähnen wie ein Wolf und glänzenden Schuppen aus Gold sprang hoch aus dem dreckigen Wasserloch und blieb neben Gretel liegen. Gretel und der Goldfisch schauten sich in die Augen. Der Goldfisch fragte: „Großmutter, wo warst du, wo warst du so lange?“ Gretel presste die Lippen zusammen und wartete bis die Träne in den Dreck tropfte. Erst dann antwortete sie: „Du dummes Mädchen, Großvater wollte dich fressen. Im Turm warst du sicher.“ „Ich war so allein und habe die Steine gezählt. Bis Tomy kam und mich küsste“, sagte der Goldfisch. „Und ich war es, die ihm den Schlüssel gab“, wimmerte Gretel.
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„Er sperrte mich ein, Großmutter. Wenn ich aus dem Fenster schaute, zog er an meinen Haaren, bis sie alle auf dem Boden lagen. Wenn ich mich fürchtete, schlug er mir mit der Schaufel auf den Rücken. Wenn ich Fragen stellte, riss er mir meine Kleider vom Körper“. Gretel vergrub ihr Gesicht im Schlamm und wollte nicht mehr atmen. „Ach Großmutter, schau mich doch an, alles ist gut. Mit den Jahren wurde ich aalglatt, stumm wie ein Fisch und deine Zauberworte "Kuruschu, kuruschu, kuruschu" haben aus mir einen Goldfisch mit Wolfszähnen gemacht.“
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Gedicht zur Postkarte Es dreht sich alles um dich dich halte ich in meinen Armen Arme hoch, das Bein hoch, die Nase hoch hoch hinaus in die Welt die Welt steht uns offen, lass uns gehen gehen weg, packen die Koffer und raus raus mit uns während die Musik Musik uns in die Irre führt führt uns die Liebe nach Amerika Amerika ist fett und weit weg weg von hier und da und dort und da da war ich mal mit dir dir hat es nicht gefallen, Darling Darling, lass mich los und lass sein sein und nicht dein sein sein und frei sein und alles dreht sich sich um dich, um mich, um nichts nichts dreht es es dreht sich alles.
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der Insel bin ich egal keinen Spalt lässt mir die rote Erde schwarze Steine zählen bis der Sand in meine Augen kriecht
Ferien auf Fuerteventura, März 2013
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Franziska Schulteß Der Turmgarten Es lebte einst eine Zauberin in einem Turm, dunkel und grau, mit Zinnen bewaffnet, ohne eine Tür und mit nur einem einzigen Fenster. Das Fenster lag so hoch oben, dass nur die Vögel hineinsehen konnten. Eines Tages kam eine Frau zum Turm. In den Armen trug sie ein Bündel. Zauberin, rief sie, komm ans Fenster. Die Zauberin steckte den Kopf aus der Fensteröffnung und die Frau legte ihr Bündel zu Füßen des Turmes. Nimm meine Tochter als deine Schülerin, sagte sie, ich bin zu arm und kann sie nicht aufziehen. Ist gut, sagte die Zauberin, und mit einem Wink ihrer Hand hatte sie das Bündel zu sich nach oben in den Turm geholt. Es vergingen die Jahre und das Adoptivkind wurde eine gute Schülerin. Besonders gut war sie darin, Dinge wachsen zu lassen. Sie hatte einen Garten oben im Turm, mit Margeriten und Schlüsselblumen. Wenn ihr langweilig wurde, ließ sie ihr Haar wachsen und flocht Knoten, Zöpfe und Schlingen daraus. Mädchen, sagte die Zauberin eines Tages. Du bist nun bereit, mir zur Hand zu gehen. Für meine Zauberei brauche ich Gold, denn das schmelze ich in einem Kupferkessel und trinke es, um stark zu bleiben. So hielt sie das Mädchen an, ihr langes Haar zum Fenster hinaushängen zu lassen, dass es in der Sonne glänzte wie gesponnenes Gold. Dann musste das Mädchen um Hilfe rufen, solange, bis ein Prinz oder ein Schlossherr es hörten, die auf der nahen Handelsstraße dahin ritten. Kamen diese auf ihren Rössern heran, um zu sehen, wer da um Hilfe flehte, rief das Mädchen vom Turm: Herr Bräutigam, klettern sie an meinen Haaren hinauf! Wie soll das gehen, sagten die Männer. Wir sind zu schwer, dein Haar zu leicht. Legt Schmuck und Rüstung ab, erwiderte das Mädchen, und
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es wird gehen. Kaum hatten aber die Männer ihre Sachen abgelegt, kam die Zauberin aus dem Gebüsch gesprungen und nahm den Goldschmuck an sich. Die Prinzen verzauberte sie in Margeriten, die Schlossherren in Schlüsselblumen und pflanzte sie in den Garten des Mädchens oben im Turm. Das Mädchen gehorchte der Zauberin, gern tat sie es jedoch nicht. Die Margeriten und Schlüsselblumen wucherten bereits an allen Wänden des Turmzimmers, bedeckten den Boden und ließen kaum eine Lücke, um sich zum schlafen zu legen. Ich brauche mehr Platz, sagte sich das Mädchen. Von da an ließ sie den Turm jeden Tag ein Stückchen wachsen. Die Zauberin merkte lange nichts davon, erst als die Vögel nicht mehr zum Fenster hineinsahen, begann sie sich zu wundern. Tatsächlich war der Turm bis über die Wolken hinaufgewachsen, wo die Vögel nicht mehr flogen. Mädchen, was hast du getan, sagte die Zauberin. Sie war erschrocken, denn über den Wolken begann das Reich der Sonne, und die war eine noch mächtigere Zauberin als sie selbst. Na und, sagte das Mädchen. Hier oben ist es schön, das Licht der Sonne ist golden. Unser Turm muss kein Räuberhaus mehr sein. Leg Waffen und Zauber ab und es wird gehen. Niemals, rief da die Zauberin. Sie stürzte sich aus dem Turmfenster und fiel hinab, immer hinab, bis der Westwind sie erfasste und aufs Meer hinaus trug. Das Mädchen aber pflückte alle Margeriten und Schlüsselblumen und warf sie aus dem Fenster in die Luft, wo sie zu Wolken und Sonnenstrahlen wurden.
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Traudl Schulteß Im Aug´ Der rote Ball Das blaue Kleid Beschwingt die Nacht. Zur Farbpostkarte von Joan Miro Weisat-‐Wecken Im Dorf ging man weisen, dem Neugeborenen ein Geschenk bringen. Ward einem großen Bauern der ersehnte Hoferbe geboren, wurde ein zwölf Meter langer Hefe-‐Wecken gebacken, mit Buchsbaum geschmückt und auf zwei Wagen den stolzen Eltern vorgefahren. Dann gab es für alle Schnaps. Wenn es ein Mäderl geworden war, malten die Dorfleut´ ein Schild an die Straße: "Zur Bix´n-‐Macherei" und an die Zaunpfähle der frisch gebackenen Eltern wurden leere Blechbüchsen gesteckt. Die "Bix´n" hieß man das weibliche Genitale und eine Hure. Den Schnaps gab es da auch. Ich war eine Bix´n. Mein Onkel sagte: du bist ja so ein Wildhas´, aus dir wird nie eine Frau, und er musste es wissen, denn er war Jäger. Als Wildhase büchste ich gerne aus, in den Wald, bis ich den Weg verloren und mich selber wiedergefunden hatte. Die Kirchturmuhr wies mir den Weg zurück und eine Kinderhandvoll Schlüsselblumen am Küchenfenster kündete noch
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eine Weile von meinem Ausflug. Meine Mutter hat sich gefreut, aber was war das schon gegen all die Büchsereien. Am Samstag kam die Liesl mit dem Handwagen und klingelte auf der Dorfstraße. Ich wurde geschickt, Zeilenbrot und frische Brezeln zu holen, kleine, verschlungene Weisatwecken. Dann hatte ich auch dieses Strahlen. Zur Schwarz-‐Weiß-‐Postkarte "Der kleine Pariser" Wohi Hoipara, bläda. aowedachen auffaziang zuarezwutzen donabiang umegrantl fiarafliang eineboussn hintreschmeissn onebatzn außebeissn und -‐ hergem oiwei sche hergem.
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Moritz Wigand Ich schreibe nichts. Ein Vogelgeräusch fällt in die Leere wie ein Stein in einen trockenen Brunnen. Der Wind umgibt ein Vakuum. Die Füße stehen auf einer Beschleunigung. Das Universum dreht sich, sagen die Gelehrten. Steine liegen in Wellen, Farben verblassen. Rechts steht ein Bäumchen. Ganz wie ein kleiner schwarzer Mensch. Zu einer unbestimmten Zeit lag eine Prinzessin. Die Prinzessin lag – und das dürfte an dieser Stelle nicht weiter verwundern – auf einer Erbse. Es gibt – und hier können wir Mendel befragen – runde und runzlige Erbsen, und die Erbse der Prinzessin, aber das sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, war eine vom runzligen Typ. Zwischen der Prinzessin und der Erbse, es war eine runzlige, lagen sieben Matratzen: Kaltschaum-‐, Federkern-‐, Stroh-‐, Luft-‐, Wasser-‐, Feuer-‐ und Erdmatratze. Die Erbse, die runzlige, auf der die Prinzessin lag, nicht direkt, sondern mit sieben verschiedenartigen Matratzen dazwischen lag in einem Stall. Im Stall, damit man ihn sich vorstellen kann, standen Ochs und Esel, das Jesuskind war gerade im Urlaub, weil es Sommer war; es wurde frühestens im November zurückerwartet. Der Stall mit Prinzessin, Erbse, Matratzen, Ochs und Esel lag in einem Dorf, einem Dorf, das es gar nicht mehr gibt, einem Dorf mit Brunnen und Mühle und Bauern und Linde und
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Schankhof und Kutsche, kurzum ein so dörfliches Dorf, dass man es kaum aushalten mag. Weil dieses dörfliche Dorf nicht auszuhalten war mit Brunnen und Mühle und Prinzessin im Stall, war Rumpelstilzchen in den Wald gezogen. Es war ein schöner Wald, alles was Recht ist, und Rumpelstilzchen hatte sich ganz gut eingerichtet, man kennt das, auf einer Lichtung mit einem Knusperhäuschen, vor dem es sich zu sitzen und eine Pfeife zu schmauchen lohnte. Und doch schmeckte Rumpelstilzchen auf seiner Bank vor seinem Knusperhaus auf seiner Lichtung die geschmauchte Pfeife bitter. Rumpelstilzchen hatte den durchaus nachvollziehbaren Plan gehabt, man kann nicht sagen, dass Rumpelstilzchen ein Wesen von großen Ansprüchen war, jedenfalls den Plan gehabt, aus seinen sieben Erbsen sich am Abend einen Erbsbrei zu kochen. Es waren sieben Erbsen, auch dies sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt und jeder weiß, dass Mendel – obwohl Mönch – geschummelt hat, von denen drei runzlig und vier rund waren. Als Rumpelstilzchen aber sein Kästchen mit den sieben Erbsen geöffnet hatte, ein Kästchen aus Menschenbein, soviel Geschmacklosigkeit muss sein, fanden sich nur sechs Erbsen, vier runde und zwei runzlige. Nur zur Erinnerung: es hätten drei runzlige sein müssen, MÜSSEN. Rumpelstilzchen war schon jetzt kurz davor, ein Bein in den Boden zu stampfen und sich am anderen entzwei zu reißen, aber dieser Teil kommt erst später. Nach der bitteren Pfeife ging Rumpelstilzchen also, im Grunde genommen ein recht anspruchsloses Wesen, ins Dorf und fragte das erste alte Mütterlein, das ihm über den Weg lief, auf ähnliche Weise runzlig wie eine Erbse es manchmal ist, es sei denn, sie ist vom runden Typ, ob denn das alte Mütterlein wohl wisse, wo seine fehlende Erbse sich befinde. Das alte Mütterlein wusste sehr wohl, wo die Erbse sich befand, denn es war die Mutter der Prinzessin, jener Prinzessin, die im Dorf im Stall auf sieben gestapelten Matratzen lag, unter denen sich, es wurde darauf hingewiesen,
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die Erbse befand. Nun könnte jemand einwenden, es sei noch nicht bewiesen, dass jene Erbse unter den vielen Matratzen unter der Prinzessen nun mit jener von Rumpelstilzchen gesuchten Erbse übereinstimme. Dem Autor bleibt also wenig Wahl, als die Gesamtmenge der Erbsen im Universum auf sieben zu beschränken, vier runde und drei runzlige, damit es stimmt, dann hat’s auch Mendel schwerer beim Schummeln. Das alte Mütterlein wusste nun, dass ihre Tochter sehr unbequem auf dieser Erbse lag, dass die Prinzessin sich dieses Schicksal jedoch erwählt hatte, um Buße zu tun für den Diebstahl, den sie an Rumpelstilzchen begangen hatte. Die Büßenden aber sollst Du nicht stören, merk Dir das! Also sagte das alte Mütterlein in liebenswürdigem Ton zu Rumpelstilzchen: „Die Erbse kriegst Du nicht mehr, es wäre also an der Zeit.“ Fast war das Rumpelstilzchen erleichtert, seine Bestimmung zu erfüllen in diesem überschaubaren und wohl geregelten Universum mit Dorf und Stall mit Prinzessin und Mütterlein und sieben Erbsen, nicht mehr und nicht weniger. Rumpelstilzchen rammte also einen Fuß in die Erde und der Rest ist Geschichte. Zu den anderen aber ist zu sagen, dass sie, obschon alt im Falle des Mütterleins, weiter leben unter der Voraussetzung, dass nicht zwischenzeitlich der Tod eingetreten ist.
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Sibylle Zengerle-‐Hübner Bin ich einst Haus gewesen? Bin ich einst Haus gewesen? Wenn ja, so war es viele Jahre federleicht, aus Luft gebaut und flatternd auf der Suche nach dem Ort, der Heimat ist. Hinein geworfen in die Zeit fand es Verankerung auf einem Grund, der steinig war und, über Jahre festgetreten, dem Auf-‐ und Ausbau widerstand. Beschwerlich ausgehoben mit zwei linken Händen. fand sich nach langem Graben Halt, da, wo es, klamm und feucht, im Dunkeln unergründlich wird. Das Fundament wuchs langsam, brauchte Helfer, Zuspruch und Geduld, bis es auch Schicksalhaftes trug. Zwischen dem dicken Mauerwerk erwuchs ein lichter Lebensraum,
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nicht üppig, aber groß genug für Zwei, dann Drei. Die bilderreichen Wände lauschten, willkommnen Gästen freundlich zugeneigt. Balkongelächter drängte sich, an Sommertagen Freiheit atmend vermischt mit Blütenduft, hinaus ins hügelige Grün, wo es dem Morgenrot entgegen schlief. Der Garten, Nahrungsquell für Lebewesen aller Art, blieb wild und unbezäunt. Von einem Wanderweg begrenzt, war er ein Schutz-‐ und Zwischenraum. Unter dem Dach roch’s heimelig. Im Regenprasseln gingen die Seelen träumend auf die Reise nach Weisheit suchend in der Menschen Schattenreich. Der Keller, Arbeits-‐ und Ideenschmiede, war übersichtlich eingerichtet. So manche Worte, Bilder, Töne fanden darin den rechten Platz.
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Auch wenn der Kinder lautes Spiel und Lachen so viele Alltagsfragen neu belebte und beschränkte, kehrte des Abends Ruhe ein. Die Jahre gingen lautlos, mit Aufs und Abs gefüllt, dahin. Die Jungen zogen ohne Zögern aus, das Alter und die Leere kehrten schweigend ein. Es wurde Zeit, sich frei und flatternd auf den Weg zu machen, dorthin wo einst die Heimat war, aus Luft gebaut, im Blau des Himmels federleicht.
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