Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen (DRG) Auswirkungen auf die geriatrische Versorgung durch Spitex und Pflegeheime

Gesundheits- und Umweltdepartement Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen (DRG) Auswirkungen auf die geriatrische Versorgung durch Spitex und Pflegehe...
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Gesundheits- und Umweltdepartement

Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen (DRG) Auswirkungen auf die geriatrische Versorgung durch Spitex und Pflegeheime

Tagungsdokumentation vom 2. Juli 2010 Organisation Stadt Zürich, Gesundheits- und Umweltdepartement Stadtspital Waid Patronat Schweizerische Fachgesellschaft für Geriatrie (SFGG) Schweizerische Vereinigung für Sozialpolitik (SVSP) www.geriatrieforum.ch

10. Zürcher Geriatrieforum Waid, 2. Juli 2010 Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen (DRG). Auswirkungen auf die geriatrische Versorgung durch Spitex und Pflegeheime

Inhaltsverzeichnis

Programm......................................................................................................................2 Referentinnen und Referenten...................................................................................... 3 Tagungsbeschreibung .................................................................................................. 4 Begrüssung von Stadträtin Claudia Nielsen ................................................................. 5 Was ist eigentlich die Aufgabe von Spitälern? ..............................................................8 Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen: Grundlagen, Hoffnungen und Herausforderungen ......................................................................................................13 Auswirkungen der DRG auf die Spitalgeriatrie und das Versorgungsnetz – ein Praxisbeispiel aus Deutschland .............................................................................14 Was bedeutet die Einführung von DRG für die Spitex? ..............................................18 Entwicklung der Pflegeheime nach Einführung von DRG ...........................................21 Das Pflegeheim von morgen – ein Ort zum Wohnen oder eher eine Rehabilitationsklinik? ...................................................................................................23 Kurzvorstellung SFGG..................................................................................................27 Kurzvorstellung SVSP .................................................................................................28

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10. Zürcher Geriatrieforum Waid, 2. Juli 2010 Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen (DRG). Auswirkungen auf die geriatrische Versorgung durch Spitex und Pflegeheime

Programm

Ab 9.00

Begrüssungskaffee

9.30

Begrüssung, Einleitung Claudia Nielsen, Michael Allgäuer, Daniel Grob

10.00

Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen: Grundlagen, Hoffnungen und Herausforderungen Peter Indra

10.45

Pause

11.15

Auswirkungen der DRG auf die Spitalgeriatrie und das Versorgungsnetz. Ein Praxisbericht aus Deutschland Thorsten Nikolaus

12.00

Diskussion

12.45

Mittagessen (Stehlunch)

14.00

Was bedeutet die Einführung von DRG für die Spitex? Stéphanie Mörikofer-Zwez

14.45

Entwicklung der Pflegeheime nach der Einführung von DRG Otto Piller

15.30

Pause

16.00

Das Pflegeheim von morgen – ein Ort zum Wohnen oder eher eine Rehabilitationsklinik? Marlies Petrig

16.30

Diskussion

17.00

Abschluss der Tagung

Moderation Daniel Grob

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Referentinnen und Referenten Lic. iur. Michael Allgäuer Executive MPA Unibe, Departementssekretär des Gesundheits- und Umweltdepartements der Stadt Zürich Dr. med. Daniel Grob MHA, medizinischer Direktor des Stadtspitals Waid, Chefarzt der Klinik für Akutgeriatrie, Zürich Dr. med. Peter Indra MPH, (bis Mai 2010) Vizedirektor des Bundesamtes für Gesundheit BAG und Leiter des Direktionsbereichs Kranken- und Unfallversicherung, design. Generaldirektor SWICA Dr. Stéphanie Mörikofer-Zwez, Präsidentin des Spitex Verbands Schweiz, Kaiseraugst Dr. oec. Claudia Nielsen, Vorsteherin des Gesundheits- und Umweltdepartements der Stadt Zürich Prof. Dr. med. Thorsten Nikolaus, Chefarzt und Geschäftsführer Bethesda Geriatrische Klinik Ulm und geriatrisches Zentrum Bethesda Heidelberg, Leiter des Lenkungsausschusses Geriatrisches Zentrum Universitätsklinikum Ulm Marlies Petrig, Co-Geschäftsleiterin des Krankenheimverbands Zürcher Unterland, Bassersdorf Dr. Otto Piller, Präsident von Curaviva Schweiz, Alterswil

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Tagungsbeschreibung Das heutige Gesundheitswesen ist äusserst komplex. Viele Akteure (private und öffentliche Leistungserbringer, Kostenträger, Regulierer) und Interessengruppen sind involviert. In der Praxis besteht eine enge Verflechtung von ambulanten Diensten, Spital-Dienstleistungen und Institutionen der Langzeitbetreuung. Veränderungen an einem Ort wirken sich auf die Dienstleistungen an einem andern Ort aus, sie wirken zusammen wie kommunizierenden Röhren. Bis 2012 soll die Spitalfinanzierung auf eine neue Basis gestellt werden. Als Grundlage für die Spitalfinanzierung werden neu Fallpauschalen auf der Basis von Diagnose-bezogenen Gruppen, so genannte DRG, eingeführt. Es ist zu erwarten, dass dies, je nach Sichtweise, sowohl erwünschte wie unerwünschte Auswirkungen auf die Spitäler haben wird. Für uns stellt sich die Frage, ob die Spitäler auch mit der Fallpauschalen-Finanzierung noch willens und in der Lage sein werden, polymorbide, gebrechliche, hochbetagte Patientinnen und Patienten so zu behandeln, wie ihre gesundheitlichen Bedürfnisse es verlangen. Ein Blick über die Grenze nach Deutschland dürfte hier sehr hilfreich sein. Des Weiteren interessiert uns, wie sich die geplante Änderung der Spitalfinanzierung auf andere Institutionen der geriatrischen Versorgungskette auswirken wird. Zu denken ist vor allem an nachbehandelnde Institutionen, die im Altersbereich tätig sind, wie Spitex-Dienste sowie Alters- und Pflegeheime. Werden diese Institutionen in Zukunft vermehrt Betreuungs-, Pflege- und Rehabilitationslasten tragen müssen? Wie können sie sich auf die neue Situation vorbereiten? Genügt ein quantitativer Ausbau oder braucht es qualitative Anpassungen? Wie sieht die Versorgung durch Spitex und Pflegeheime in zehn bis zwanzig Jahren aus? Das 10. Geriatrieforum bleibt auch in dieser Jubiläumsveranstaltung seinen Prinzipien treu: Es richtet den Blick auf das Gesamtsystem und stellt die gesundheitlichen Bedürfnisse der geriatrischen Patientinnen und Patienten ins Zentrum.

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Begrüssung zum 10. Zürcher Geriatrieforum Waid am 2. Juli 2010 über Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen (DRG): Auswirkungen auf die geriatrische Versorgung durch Spitex und Pflegeheime

Stadträtin Dr. Claudia Nielsen

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich freue mich, heute das 10. Zürcher Geriatrieforum Waid zu eröffnen und heisse Sie herzlich willkommen. Diese Veranstaltung ist eine Erfolgsgeschichte: Zum zehnten Mal geht es um den Blick auf das ganze Gesundheitssystem und zwar aus der Perspektive der Geriatrie und ihren Patientinnen und Patienten. Diese Erfolgsgeschichte wird nicht zuletzt durch die Organisatorinnen und Organisatoren, durch das Waidspital als Gastgeber und durch das Patronat von der Schweizerischen Fachgesellschaft für Geriatrie und von der Schweizerischen Vereinigung für Sozialpolitik ermöglicht. Ihnen allen möchte ich herzlich danken. Die heutige Jubiläumsveranstaltung über die Auswirkungen von Fallpauschalen ist ein Teil dieser Erfolgsgeschichte: die Tagung ist nämlich komplett ausgebucht. Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und freue mich auf anregende Diskussionen unter so vielen Fachleuten des Gesundheitswesens.

Unser Gesundheitswesen ist bestens eingerichtet für die Behandlung von jungen und schönen Patientinnen und Patienten. Wer mit 30 einen Unfall hat oder mit 60 einen Herzinfarkt erleidet, hat gute Chancen, vollständig geheilt ins alte Leben zurückzukehren. Dieses Wissen beruhigt und gibt uns ein Gefühl von Sicherheit, das wir nicht missen möchten. Ein bisschen unbehaglich wird uns aber beim Gedanken daran, wie es sein wird, wenn wir alt und gebrechlich sind, langsamer werden, die Welt nicht mehr richtig begreifen. Dann kann es geschehen, dass ein Sturz in der eigenen Wohnung unser ganzes Leben aus den Fugen bringt. Wie viel hilft uns dann eine Medizin, die sich zur Aufgabe gesetzt hat, kranke Menschen möglichst rasch wieder zum Funktionieren zu bringen? Ich habe bei zwei eigenständigen, gebildeten Frauen eindrücklich miterlebt, wie sie an Demenz erkrankten, die Tragweite der Diagnose erkannten und wie sich ihr Leben unwie-

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derbringlich veränderte. Sie durften eine liebevolle und kompetente Betreuung erfahren, zuerst durch ihre Angehörigen und später durch das Gesundheitspersonal. Bei diesen Frauen ging es nie darum, sie wieder gesund zu machen. Es ging um Zuwendung und darum, ihre Eigenständigkeit zu erhalten, ihre Angst und ihre Schmerzen zu lindern und ihr Leben möglichst angenehm zu gestalten. Diese Art der Betreuung erfordert andere Mittel und Fähigkeiten als das Behandeln von Krankheiten bei jüngeren Menschen. Darum bin ich froh darüber, dass die Akutgeriatrie sich als eigene Disziplin herausgebildet hat. Und natürlich bin ich stolz darauf, dass wir hier im Stadtspital Waid eines der anerkanntesten Kompetenzzentren in dieser Disziplin vorweisen können. Kürzlich beim Rundgang durch die hellen, lichtdurchfluteten Räume der Akutgeriatrie habe ich mich gefragt, ob vielleicht auch jüngere Patientinnen und Patienten stärker von dem profitieren könnten, was hier gelebt wird: Eine Medizin und Pflege, die den ganzen Menschen im Blick hat und nicht eine bestimmte Diagnose.

Als Ökonomin und in Finanzfragen erfahrene Politikerin bin ich mir natürlich darüber im Klaren, dass eine gute Gesundheitsversorgung etwas kostet. Wir leisten uns in Zürich zwei Stadtspitäler mit hervorragenden Leistungsausweisen, dazu zahlreiche Alters- und Pflegezentren, Spitexdienste und einen stadtärztlichen Dienst. Die demografische Entwicklung lässt erwarten, dass unsere Gesundheitsangebote in Zukunft noch stärker gefragt sein werden. Es versteht sich von selbst, dass wir die Leistungen stetig verbessern, weiterentwickeln und für die Zukunft sichern wollen. Damit uns das gelingt, müssen wir genau hinschauen, wo wir unsere Mittel einsetzen. Und hier spreche ich nicht vom Sparen, sondern von einer bedürfnisgerechten Weiterentwicklung und Finanzierung der Gesundheitsangebote in der Stadt Zürich.

Eine Art «Stresstest» für die Zürcher Gesundheitsversorgung kommt mit der Einführung der Fallkostenpauschalen auf uns zu. In eineinhalb Jahren werden auch die Stadtspitäler auf das neue Vergütungssystem «SwissDRG» umstellen. Ich bin davon überzeugt, dass wir für den verstärkten Wettbewerb, der dadurch ausgelöst wird, gut positioniert sind. Wir sollten jedoch Acht geben darauf, wie sich die Umstellung auf die übrigen Teile der Versorgungskette auswirken wird, also auf Spitex, Pflege- und Altersheime. Und wir werden ganz besonders die Betreuung der hochbetagten und gebrechlichen Menschen im Auge behalten müssen.

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Eindeutige Diagnosen, klare Behandlungspfade und vernetztes Denken begünstigen das Funktionieren von diagnosebezogenen Fallpauschalen. Letzteres, das vernetzte Denken, ist in der Geriatrie wohl Allgemeingut und wird täglich umgesetzt im Austausch zwischen Berufsgruppen, Institutionen und Angehörigen. Die beiden ersten Voraussetzungen, eindeutige Diagnosen und klar vorgegebene Behandlungspfade, sind in der Geriatrie nur in sehr eingeschränktem Mass gegeben. Es ist ja gerade ein Kennzeichen der Patientinnen und Patienten in der Akutgeriatrie, dass sie mehrere Krankheiten gleichzeitig haben und es oft unklar ist, welche Diagnose letztlich zum Spitaleintritt geführt hat. Es ist schwer vorauszusehen, wie die weitere gesundheitliche Entwicklung verläuft und welche Massnahmen noch notwendig sein werden. Mit anderen Worten, die Patientinnen und Patienten der Akutgeriatrie passen schlecht in das Vergütungssystem der Fallkostenpauschalen, da sie in kein fixes Schema einzuordnen sind. Sie bleiben lange im Spital, im Durchschnitt vier bis fünf Wochen, was eigentlich in unserem Gesundheitswesen, das für jüngere Patientinnen und Patienten konzipiert ist, gar nicht vorgesehen ist. Das alles bedeutet nicht, dass es unmöglich ist, auch in der Akutgeriatrie mit Fallkostenpauschalen abzurechnen. Der Mehraufwand, der bei der Betreuung von mehrfach kranken, schwachen und verwirrten Menschen entsteht, kann in den Vergütungspauschalen abgebildet werden. Damit dies auch tatsächlich geschieht, ist die Erfahrung und das Know-how unserer Spezialistinnen und Spezialisten bei der Ausgestaltung der Swiss DRG gefragt. Die geriatrische Akutversorgung in Zürich und in anderen Schweizer Städten ist wegweisend und leistet einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität im Alter. Sie tut dies zum Beispiel, indem sie den hochbetagten Patientinnen und Patienten eine gleichwertige Betreuung zukommen lässt wie den Jungen und Schönen, und dies erst noch abgestimmt auf ihre spezifischen Bedürfnisse. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dies auch mit der Einführung der Fallkostenpauschalen so bleibt. Das neue Vergütungssystem muss so ausgestaltet werden, dass es auch für die schwächsten Patientinnen und Patienten passt. Oder anders gesagt: Die Fallkostenpauschalen müssen sich an die Bedürfnisse der geriatrischen Versorgung anpassen und nicht umgekehrt.

Nun wünsche ich Ihnen eine spannende Tagung.

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Was ist eigentlich die Aufgabe von Spitälern? Zur Einführung in das 10. Zürcher Geriatrieforum Waid am 2. Juli 2010 über Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen (DRG): Auswirkungen auf die geriatrische Versorgung durch Spitex und Pflegeheime

Dr. med. Daniel Grob

Einleitung Mit der Veränderung des Finanzierungssystems von Spitälern per 1.1.2012 (Projekt SwissDRG) sollen Fehlanreize des bisherigen Finanzierungssystems wie zu lange Spitalaufenthaltsdauern und medizinischer Aktivismus korrigiert werden. Dass damit auch die gesamten Gesundheitskosten gesenkt werden könnten, behauptet heute kaum mehr jemand: Das DRG-Pionierland USA hat die höchsten Gesundheitskosten der Welt und auch Deutschland hat seit der Einführung von DRG im Jahre 2004 die Schweiz in Sachen Gesundheitskosten überholt1. Kurzfristig dürften aber wohl Spitalleistungen und damit auch -kosten in den ambulanten Bereich resp. zu den Alters- und Pflegheimen verschoben werden. Die Kosten fallen weiterhin an, aber an einem andern Ort. Aus geriatrischer Sicht stellt sich die Frage, wie hoch der Preis dieser Leistungs- und Kostenverschiebung sein wird und wer ihn bezahlt.

Das Spital und seine sozialmedizinischen Funktionen Entledigt sich das Spital unter DRG-Finanzierung seiner historisch verankerten sozialmedizinischen Funktionen und degeneriert es unter Fallpauschalen-Finanzierung zu einer „HighTech-Fabrik“ für eindimensional kranke Menschen? Was ist überhaupt noch die Aufgabe von Spitälern ? Letztere Frage wird kaum je diskutiert, hat aber gerade im geriatrischen Bereich wesentliche Implikationen für polymorbide, gebrechliche Menschen.

Noch bis weit ins 19. Jahrhundert waren Spitäler primär sozialmedizinische Institutionen für „Hausarme“, „Almosengenössige“ und auch „Krätzige“2. Wer damals etwas auf sich hielt und

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Peters O. DRG in der Schweiz – eine Einführung. In: SGBEbulletinSSEB, Nr. 59, Sept. 2009, S. 2-6

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es vermochte, ging nicht ins Spital, sondern liess sich zu Hause behandeln. Mittlerweile, durch die rasante (technologische) Entwicklung der Medizin und die aufgebauten Sozialversicherungssysteme, werden die Dienstleistungen der Spitäler zunehmend unreflektiert auf den körperlichen Bereich und die Erbringung von technologischen Leistungen eingeschränkt (dass dies auch zu einer Sinn-Entleerung medizinischer, pflegerischer und therapeutischer Tätigkeiten mit weitreichenden Implikationen für die Nachwuchsförderung führt, sei nur am Rande vermerkt). Akutkranke Menschen brauchen aber auch Zeit, sich an ihre neue Situation zu gewöhnen, sich auseinanderzusetzen mit veränderten Zukunfts-Perspektiven und sind dankbar für ärztliche und pflegerische Begleitung in ihrer Krankheit. „High Touch“-Medizin muss weiterhin „High-Tech-Medizin“ ergänzen. Dies trifft insbesondere auch zu für Patientinnen und Patienten am Lebensende.

Die Rechtsprechung in der Schweiz war bezüglich der Definition der Funktion von Spitälern bis anhin sehr patientenfreundlich. Unsere Bundesrichter haben mehrfach festgehalten, dass ein Spitalaufenthalt nicht nur gerechtfertigt ist bei körperlichen Leiden, die einer medizinischen Intervention bedürften. Sie haben damit die sozialmedizinische Funktion von Spitälern gestützt: „ …Dabei kann eine Leistungspflicht für den Spitalaufenthalt auch dann bestehen, wenn der Krankheitszustand der versicherten Person einen solchen nicht unbedingt erforderlich macht, die med. Behandlung jedoch wegen besonderer persönlicher Lebensumstände nicht anders als im Spital durchgeführt werden kann“. (BGE 120 V 206 Erw 6a mit Hinw). „…dabei sind die Kassen für einen sachlich gerechtfertigten Heilanstaltsaufenthalt auch dann leistungspflichtig, wenn der Krankheitszustand eines Versicherten nicht unbedingt eine ärztliche Behandlung, sondern lediglich einen Aufenthalt im Spitalmilieu erfordert. Die Intensität der ärztlichen Behandlung (…) ist dabei nicht alleiniges Entscheidungskriterium (…). (BGE 115 V 48 Erw 3b/aa)“

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Fritschi RM. Das Akutspital im Wandel der Zeit. In: Carigiet E, Grob D. Der alte Mensch im Spital – Altersmedizin im Brennpunkt. Eigenverlag GUD der Stadt Zürich 2003

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Es ist zu hoffen, dass die Ökonomisierung im Gesundheitswesen unter DRG-Finanzierung diese höchst-richterliche Haltung nicht über Bord gehen lässt.

Der geriatrische Patient als besondere DRG-Herausforderung Der typische geriatrische Patient ist über 80-jährig, mehrfach krank (polymorbid), gebrechlich und leidet nicht nur an körperlichen, sondern häufig auch an psychischen Leiden, hat gleichzeitig funktionelle und soziale Defizite und kämpft häufig weniger um sein Überleben als vielmehr um seine Selbständigkeit. Es gibt damit keine geriatrische Medizin ohne Einbezug psychischer, sozialer, funktioneller und ökonomischer Parameter. Ist dies alles in einem DRG-System abzubilden? Fallkostenpauschalen-Finanzierung führt naturgemäss zu einer Überbewertung einer definierten Hauptdiagnose und der damit verbundenen eindimensionalen Behandlungsprozedur und tendiert dazu, Interaktionen zwischen mehreren Krankheiten resp. psychischen und sozialen Parametern auszublenden. (Immerhin macht die Schweiz nicht den Fehler, Eintrittsdiagnosen als Berechnungsgrundlage anzuwenden sondern Austrittsdiagnosen, womit die Spitalaufenthalte erst ex post abgerechnet werden können; dies dürfte die allzu rigide Anwendung ökonomischer Parameter am Krankenbett des einzelnen Patienten etwas ausbremsen, da das Spital theoretisch erst nach Austritt des Patienten weiss, was dieser ökonomisch gebracht hat.)

Mit Sicherheit werden unter DRG-Finanzierung aber auch die Aufenthaltsdauern im Akutspital sinken – auch in der Akutgeriatrie. Es ist ein Irrglaube zu denken, dies würden wir Spitalgeriater und –geriaterinnen schaffen durch „Effizienzsteigerung“. Ein hochbetagter, mehrfach kranker oder verunfallter Mensch wird nicht schneller gesund, nur weil die Finanzierung anders ist; bis z.B. ein gebrochener Knochen verheilt und wieder voll belastbar ist, vergehen auch heute noch, wie vor 5000 Jahren, 6-8 Wochen.

Eine durch Finanzierung erzwungene Verkürzung der Aufenthaltsdauern von geriatrischen PatientInnen bedeutet Patientenselektion und damit die Übertragung von pflegerischen, sozialarbeiterischen, rehabilitativen Leistungen in den Bereich der Spitex und der Alters- und Pflegeheime oder auf die Angehörigen. Wollen wir das? Und wenn wir dies wollen müssen, wie gestalten wir diesen Transfer aus?

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Geriatrisch frührehabilitative Komplexbehandlung unter DRG Das DRG-System kann so ausgestaltet werden, dass die grössten Härten vermieden werden. Die deutschen Geriater haben dazu das Konstrukt der „geriatrischen, frührehabilitativen Komplexbehandlung“ in das DRG-System eingeführt – es wird auch in der Schweiz zum Tragen kommen. Diese CHOP-Prozedur wird einen Teil der absehbaren Probleme der Spitäler mit ihren hochbetagten Patientinnen und Patienten auffangen – zumindest, wenn sie akutgeriatrische Leistungen anbieten. Trotzdem werden akutgeriatrische Spitalleistungen und damit auch Kosten in den post-stationären Bereich verschoben werden. Wie gross dieser Leistungs- und Kostentransfer wird, ist aktuell noch nicht absehbar.

Die Klinik für Akutgeriatrie konnte dank Voraussicht und Unterstützung durch das Gesundheits- und Umweltdepartement der Stadt Zürich eine Datenbank aufbauen (Projekt AGerDat), welche es erlaubt, Veränderungen der Patientencharakteristika unter der neuen DRGFinanzierung zu erkennen und diesen dann allenfalls entgegenzusteuern. Wir werden vor DRG-Einführung zwei Jahre Vorlauf haben.

Wenn wir im geriatrischen Bereich in Zukunft kürzere Spitalaufenthaltsdauern wollen, werden wir andere Patientinnen und Patienten haben resp. vermehrte Patienten-Transfers in die Pflegeheime (und wohl auch wieder zurück in die Spitäler). Wir werden dank AGer-Dat zumindest fähig sein, diese Veränderungen zu erkennen; das wäre dann eine Grundlage um allenfalls gesundheitspolitisch korrigierend einzugreifen.

Fazit Die Akutgeriatrie in den Spitälern wird ein Garant darstellen für eine auch unter DRG gute Behandlung hochbetagter Menschen. Man darf optimistisch sein – das DRG-System könnte auch zur Qualitätsverbesserung geriatrischer Leistungen führen. Wir werden dazu aber etwas juristischen und ethischen Schutz benötigen – die rein betriebswirtschaftliche Sichtweise bedarf einer Ergänzung durch gesundheitsrechtliche und ethische Aspekte.

Änderungen in der Patientenbehandlung werden mit Sicherheit auf uns zu kommen. Dies ist soweit nicht tragisch, wenn wir es schaffen, die Behandlungsqualität über die ganze Be-

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handlungskette (vom Hausarzt über die Spitex, die Alters- und Pflegeheime) hinweg aufrechtzuerhalten. Wie dies gelingt und was dies für die Spitex und Alters- und Pflegeheime bedeutet, wird am diesjährigen, 10. Geriatrieforum thematisiert und diskutiert.

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Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen: Grundlagen, Hoffnungen und Herausforderungen Dr. med. Peter Indra

Die Präsentation dieses Referats befindet sich am Schluss der Tagungsdokumentation.

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Auswirkungen der DRG auf die Spitalgeriatrie und das Versorgungsnetz – ein Praxisbericht aus Deutschland Prof. Dr. med. Thorsten Nikolaus „Diagnosis Related Groups“ bezeichnen ein ökonomisch medizinisches Klassifikationssystem, mit dem Leistungen an Patienten anhand der Aufnahmediagnose für den einzelnen Behandlungsfall und der fallbezogenen durchgeführten Behandlungen in Fallgruppen klassifiziert werden. DRG werden in verschiedenen Ländern zur Finanzierung oder zur Abrechnung von Krankenhausbehandlungen verwendet.

Die Selbstverwaltungsorgane des deutschen Gesundheitswesens waren im Jahr 2000 durch die Politik aufgefordert, ein bereits existierendes DRG-System als Grundlage des aufzubauenden deutschen Systems auszuwählen. Die Entscheidung fiel auf das System des australischen Bundesstaates Victoria, genannt „Australian Refined Diagnosis Related Groups (AR-DRG)“. Durch Überarbeitung in jährlichen Abständen wurde eine Anpassung an die deutsche Behandlungswirklichkeit erzielt. Beauftragt hiermit ist das im Mai 2001 gegründete Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus in Siegburg (InEK gGmbH). Krankenhäuser, die ihre Kosten fallbezogen abbilden, können an der jährlichen Kostenkalkulation teilnehmen. Im Dezember 2005 entschied sich das zuständige Gremium der Schweiz zur Einführung eines DRG-Systems auf Grundlage des deutschen Modells. Durch den Prozess der Anpassung an die schweizerische Behandlungswirklichkeit sind daraus die „Swiss DRG“ entstanden. Im Folgenden werde ich kurz auf die Besonderheiten des „German DRG System“ eingehen. Das deutsche System startete im Jahr 2003 mit 664 DRGs, mittlerweile gibt es mehr als 1.150 DRGs. Bei den German DRGs handelt es sich um homogene Fallgruppen, die Erkrankungen in Kategorien abbilden. Je nach Organ, Lokalisation und Art der Erkrankung wird ihr ein bestimmter Code zugeteilt (z. B. „G“ für Verdauungsorgane).

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Definition der Hauptdiagnose Wichtig ist die Definition der Hauptdiagnose: dabei handelt es sich um die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist.

Eine Nebendiagnose ist entweder bereits bei Krankenhausaufnahme vorhanden oder entsteht während des Krankenhausaufenthaltes. Sie darf nur kodiert werden, wenn sich aus ihr eine diagnostische oder therapeutische Relevanz ergibt, oder wenn durch sie erhöhte Betreuungsmaßnahmen erforderlich sind. Durch verschiedene Nebendiagnosen werden Patienten mit gleicher Hauptdiagnose in verschiedene Komplexitätsstufen eingeteilt: die ökonomischen Schweregrade desselben Krankheitsbildes werden berücksichtigt. Je nach Schweregrad der Erkrankung (der durch Vorhandensein von Nebendiagnosen durch Ärzte dokumentiert und kodiert wird), ergibt sich ein unterschiedlich hoher Erlös für den konkreten Patientenfall.

Da das australische Fallpauschalensystem (AR-DRG) keine geriatrischen Fallgruppen enthielt, mussten diese für Deutschland neu erarbeitet werden. In einer Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie sowie der Bundesvereinigung Geriatrie wurde ein Lösungsvorschlag erarbeitet, inwieweit die Besonderheiten der geriatrischen Behandlungsleistung abgebildet werden können: es wurde die Prozedur der sog. geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung eingeführt in den amtlichen Operationen- und Prozedurenschlüssel. Definition der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung Mindestmerkmale: 1.

Behandlung durch ein geriatrisches Team unter fachärztlicher Behandlungsanleitung.

2.

Standardisiertes geriatrisches Assessment zu Beginn der Behandlung in mindestens vier Bereichen und vor der Entlassung in mindestens zwei Bereichen.

3.

Soziales Assessment zum bisherigen Status in mindestens fünf Bereichen.

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4.

Wöchentliche Teambesprechung unter Beteiligung aller Berufsgruppen mit wochenbezogener Dokumentation bisheriger Behandlungsergebnisse und weiterer Behandlungsziele.

5.

Aktivierend therapeutische Pflege durch besonders geschultes Pflegepersonal.

6.

Teamintegrierter Einsatz von mindestens zwei der folgenden vier Therapiebereiche: Physiotherapie / physikalische Therapie, Ergotherapie, Logopädie / facioorale Therapie, Psychologie / Neuropsychologie.

Es gibt drei Unterteilungen: 1. mindestens 7 Behandlungstage und 10 Therapieeinheiten (nicht erlösrelavant!) 2. mindestens 14 Behandlungstage und 20 Therapieeinheiten 3. mindestens 21 Behandlungstage und 30 Therapieeinheiten

Von den Therapieeinheiten dürfen generell max. 10 % als Gruppentherapie erfolgen. Eine Therapieeinheit hat durchschnittlich 30 Minuten zu dauern.

Die Auswirkungen der DRG-Einführung auf das deutsche Krankenhauswesen sind enorm. Seither sank die Zahl der Krankenhäuser um etwa 10 %, die der aufgestellten Betten um 20 %, und die Verweildauer ging um 40 % zurück. Dies betrifft auch die Geriatrie. So konnte in unserer Klinik ein Verweildauerrückgang von 28 Tagen auf 17 Tage festgestellt werden mit weiter sinkender Tendenz. Die Entlassplanung nimmt daher einen sehr breiten Raum ein und wird im Grunde bereits bei Aufnahme der Behandlung mit einbezogen in den Diagnostikund Therapieplan. Eine Verkürzung der Verweildauer ist im System immanent, da für jede DRG eine mittlere Verweildauer angegeben ist, für die das durchschnittliche Krankenhaus kostendeckend arbeiten kann. Bei Optimierung der Abläufe im Krankenhaus und Entlassung vor der mittleren Verweildauer spart sich das Krankenhaus Behandlungstage bei gleichem Erlös. Umgekehrt bekommt das Krankenhaus keinen Mehrerlös, wenn die Behandlung länger als die mittlere Verweildauer nötig ist. Für jede DRG wird eine mittlere Verweildauer sowie eine untere oder obere Grenzverweildauer angegeben. Die untere Grenzverweildauer hat den Sinn, dass Patienten nicht aus ökonomischen Gründen so früh entlassen werden, dass sie noch in einem instabilen klinischen Zustand sind. Die obere Grenzverweildauer weist in der Regel einen deutlichen Abstand zur mittleren Verweildauer auf. In diesem Zeit-

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raum bekommt das Krankenhaus für den Behandlungsfall keinerlei zusätzliche Erlöse. Erst, wenn die obere Grenzverweildauer überschritten ist, erhält das Krankenhaus einen entsprechenden Zuschlag für die Tage, die oberhalb der oberen Grenzverweildauer liegen. Die stationäre Behandlungsbedürftigkeit muss in diesen Fällen jedoch sehr exakt dokumentiert werden, da diese Fälle regelhaft durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen kontrolliert werden. Dies ist auch bei den frührehabilitativen Komplexbehandlungen zu beachten, da eine Grundvoraussetzung für die Vergütung die Erbringung von insgesamt 20 Behandlungseinheiten von mindestens einer halben Stunde ist (Ergotherapie, Physiotherapie und/oder Logopädie). Werden bei insgesamt 20 Behandlungseinheiten jedoch zwei durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen als nicht notwendig erachtet, entfällt die gesamte Abrechnung der Komplexpauschale mit entsprechenden drastischen finanziellen Einbußen. Bestimmte Verschlüsselungsvorgaben haben auch direkten Einfluss auf die Behandlung.

Häufige Abkürzungen: MDC = Hauptdiagnose, Orientierung an Organsystemen CC = Komorbidität / Komplikation CCL = Komorbiditäts- und Komplikationsstufe (Schweregrade I – IV) PCCL = Patientenbezogene klinische Komplexitätsstufe CM = Summe aller Relativgewichte CMI = Casemix/Anzahl der Fälle CW = Cost-Weight (Kostengewicht einer DRG – durchschnittliche ökonomische Fallschwere) Baserate = Basisfallwert (bisher nur landes- nicht bundesweit einheitlich)

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Was bedeutet die Einführung von DRG für die Spitex? Dr. Stéphanie Mörikofer-Zwez

Die flächendeckende Einführung von Fallpauschalen (DRG) kann sich grundsätzlich auf zwei Ebenen auswirken: einerseits auf der Ebene der Dienstleistungen (Pflege, Hauswirtschaft, Betreuung) und andererseits auf der organisatorische Ebene (Organisationsformen und grössen, Vernetzung mit Dritten). Die ambulanten Pflegeleistungen (somatische und psychiatrische; Behandlungs- und Grundpflege) sind in Art. 7 Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) abschliessend umschrieben. Diese Umschreibungen der Behandlungs- und der Grundpflege decken, wie eine Gruppe von Fachpersonen kürzlich festgestellt hat, auch die palliative Pflege ab. Pflege im Nachgang zu Spitalaufenthalten wird durch Spitex auch heute schon geleistet. Aus pflegerischer Sicht wird sich daher ab 2012 wahrscheinlich nichts Grundsätzliches ändern. Der nötige Ausbau von spezialisierten Spitexleistungen (z.B. Palliativpflege, ambulante psychiatrische Pflege) ist keine Folge des DRG-Systems sondern muss auch unabhängig von der Einführung der Fallpauschalen erfolgen. Falls die Spitalaufenthalte wirklich kürzer werden, können sich jedoch die Intensität der Pflege und der Zeitbedarf ändern. Eine zeitliche Verfügbarkeit von Spitex während 24 Stunden an 7 Tagen wird unabdingbar sein. Allerdings muss dieses Angebot auch unabhängig von der Akut- und Übergangspflege entwickelt werden. Ein Problem sind die zeitliche Begrenzung der ambulanten Pflegeleistungen (60 Stunden pro 3 Monate; maximal 14 Tage Akut- und Übergangspflege) und die Folgen für die Finanzierung. Inwieweit die neuen Finanzierungsgrundsätze für die Akut- und Übergangspflege zu einem verstärkten Engagement der kommerziellen Spitex führen werden, ist gegenwärtig noch nicht konkret abschätzbar. Bei den hauswirtschaftlichen Leistungen und bei der Betreuung ist unter dem Regime der DRG eher mit einer Zunahme des Bedarfs zu rechnen, insbesondere für Alleinstehende. Weil nur gewisse Zusatzversicherungen die hauswirtschaftlichen Leistungen ganz oder teilweise übernehmen, kann die Finanzierung für wirtschaftlich schwächere Patientinnen und Patienten zu einem Problem werden. Zu beachten ist, dass ambulante Pflege im Nachgang

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zu Spitalaufenthalten, analog der Langzeitpflege, auf einem intakten sozialen Netz der Pflegebedürftigen aufbaut. Das Erfordernis der grösseren zeitlichen Verfügbarkeit und die zunehmende Spezialisierung der erbrachten Leistungen haben Folgen für die Organisation von Spitex. Kleine Spitexorganisationen stossen mit den neuen Anforderungen rasch an ihre Grenzen. Fusionen zu grösseren Einheiten oder mindestens eine intensive regionale Zusammenarbeit sind unabdingbar. Dieser Trend zeichnet sich bereits seit längerer Zeit ab: Die Zahl der Organisationen hat seit 1998 um rund ein Drittel abgenommen. Die flächendeckende Einführung der Fallpauschalen bedingt eine intensivere Vernetzung von Spitex, Spitälern und Hausärzten. Die Übergabe der Patientinnen und Patienten aus dem Spital an die nachbetreuenden Leistungserbringer (Spitex, Hausarzt) muss rasch erfolgen können und bedingt deshalb formalisierte Abläufe insbesondere für die nötigen medizinischen und pflegerischen Informationen. Entsprechende Vorbereitungen sind in vielen Kantonen im Gang. Mit Startproblemen ist zu rechnen. In der Spitex-Strategie 2015 des Spitex Verbandes Schweiz wurde 2008 ein zentrales Ziel wie folgt formuliert: Die Hilfe und Pflege zu Hause ist ganzheitlich sowie bedarfsgerecht und deckt alle Leistungen ab, die nicht zwingend stationär erbracht werden müssen. Die vorhersehbaren Auswirkungen der DRG für die ambulante Pflege geben diesem Ziel eine besondere Aktualität. In welchem Ausmass die Einführung der DRG zu einer Intensivierung der ambulanten Pflegeleistungen im Nachgang zu Spitalaufenthalten führen wird, ist gegenwärtig schwer abschätzbar. Sicher ist jedoch, dass auch in Zukunft die Haupttätigkeit von Spitex im Bereich der Pflege von Betagten liegen wird. 2008 wurden 75% der hauswirtschaftlichen und 85% der pflegerischen Leistungen für Personen über 64 Jahren erbracht. Daran dürfte sich auch im Zeitalter der DRG nichts Grundlegendes ändern, auch wenn sich die Prozentzahlen leicht verschieben können. Die Herausforderungen, die sich insbesondere aus der demographischen Entwicklung sowie aus den immer späteren Heimeintritten ergeben, sind: 

Bessere zeitliche Verfügbarkeit der Spitexleistungen (24 h/7 Tage).

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Anspruchsvollere Pflegesituationen, insbesondere auch durch die Zunahme von Demenzpflegefällen.



Bessere Unterstützung, Beratung und Entlastung von pflegenden Angehörigen.



Ausbau von Spezialdienstleistungen (z.B. Palliative Care, ambulante Psychiatriepflege, geriatrische Prävention).



Mehr Personal, das in erster Linie durch die Spitexorganisationen selber ausgebildet werden muss.



Aufrechterhaltung der sozialen Leistungen von Spitex auch unter verstärktem Kostendruck.



Einbezug des Potentials von e-Health.

Diese Herausforderungen sind in vielen Teilen vergleichbar mit den Anforderungen, welche sich aus der Einführung der Fallpauschalen ergeben. Spitex wird in Zukunft sowohl in der Betreuung von Betagten als auch in der Betreuung von Spitalentlassenen und Behinderten eine wachsende Rolle spielen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns auch der Grenzen von Spitex bewusst werden: 

Die Krankenversicherung beteiligt sich gemäss KLV an 60 Spitex-Pflegestunden pro Quartal. In Spezialfällen sind höhere Stundenzahlen möglich.



Ohne soziales Netz und pflegende Angehörige funktioniert Spitex im Pflegefall nur für kurze Phasen.



Aufwendige Pflege kann im Pflegeheim wirtschaftlicher sein als zu Hause (Studie in Arbeit).



Überforderungen in der ambulanten Pflege (Angehörige und/oder Pflegepersonal) können eine stationäre Pflege nötig machen.

Die ambulante Pflege steht in den kommenden Jahren insgesamt vor grossen Herausforderungen. Die Konsequenzen der Einführung der DRG sind ein Teil davon. Der Spitex Verband Schweiz hat Strategien entwickelt, wie diese Entwicklungen bewältigt werden können und wird sich am Spitex-Kongress vom 9./10. September 2010 erneut damit auseinandersetzen.

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Entwicklung der Pflegeheime nach Einführung von DRG Dr. Otto Piller

Um es mit Blick auf das Tagesthema vorweg zu nehmen: die Einführung der Fallpauschalen (DRG) wird weit weniger Auswirkungen auf die Pflegeheime haben als die soziodemographische Entwicklung.

Die Zahl von älteren Menschen, die in einem Pflegeheim leben, hat sich in den letzten 40 Jahren mehr als verdoppelt. Heute sind es ca. 100 000 Personen. Vergrössert hat sich dabei aber nur die Zahl der über 80-Jährigen, während der prozentuale Anteil der jüngeren Seniorinnen und Senioren stetig sinkt.

Wir rechnen heute mit folgender Entwicklung bis ins Jahr 2050: Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt nicht nur weiter an, immer mehr Menschen erreichen auch ein sehr hohes Lebensalter. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer wird sich bis ins Jahr 2050 von heute 76,5 Jahren auf 79,5 bis 85,5 Jahre erhöhen; bei den Frauen von 82,5 Jahren auf 85 bis 90 Jahre. Im Jahre 2050 dürften 8,5% der schweizerischen Wohnbevölkerung 80-jährig und älter sein. Ihr Anteil wird sich damit mehr als verdoppeln. Die Zahl der 90-jährigen und älteren Menschen wird bis ca. 2050 von heute 46 000 auf zwischen 110 000 und 146 000 ansteigen. Rund ¾ davon werden Frauen sein.

Mit Blick auf diese an sich sehr erfreulichen Entwicklung wird immer wieder vor den zu erwartenden grossen Mehrkosten in der stationären Pflege gewarnt, die zu massiven Kostenschüben im Gesundheitswesen führen könnten. Vertiefte Untersuchungen zeigen aber, dass dies nicht der Fall sein wird. Dank gut ausgebauter Spitex, dem Mahlzeitendienst, einem vermehrten Angebot von Alterswohnungen usw., aber auch die altersgerechte Ernährung, die Bewegungs- und Sportangebote für unsere Seniorinnen und Senioren führen dazu, dass die alten Menschen, wenn überhaupt, immer später in ein Pflegeheim eintreten und erst dann, wenn sie sehr viel an Pflegeleistungen benötigen. Diese Entwicklung führt dazu, dass

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der Bedarf an stationären Pflegeplätzen prozentual zur Zahl der Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz stark sinken wird. Allgemein kann angenommen werden, dass bis ins Jahr 2050 das Angebot nur um ca. 20 % erhöht werden muss. Allerdings werden viele der künftigen Heimbewohnerinnen und Heimbewohner an Demenz leiden und entsprechend müssen die Pflegeleistungen in den Heimen den gestiegenen Anforderungen angepasst werden, bis hin zur Palliativpflege zur Begleitung in den Tod.

Dazu kommen die Auswirkungen der Einführung der Fallpauschalen. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Einführung frühzeitigere Austritte aus den Spitälern zur Folge hat. Dies ist ja mit ein Ziel, das mit der Einführung der Fallpauschalen anvisiert wird. Spitalpatienten brauchen also vermehrt eine Übergangspflege im Anschluss an den Spitalaufenthalt. Diese Übergangspflege wird mehrheitlich wohl ambulant zuhause von der Spitex erbracht. Aber auch Pflegeheimen erwachsen mit der stationären Übergangspflege neue Aufgaben. Die Entwicklung wird sicher dazu führen, dass Versorgungsregionen gebildet werden und dass pro Region nur wenige Pflegeheime sich für diese Übergangspflege einrichten. Es wird sich hier um Patienten handeln, die z.B. an Beatmungsgeräten etc. angeschlossen werden müssen. Weiter wird es auch so sein, dass schwerstkranke Menschen, die dem Tode nahe, sehr nahe stehen, künftig die letzten Wochen und Tage nicht mehr im Spital sondern in einer spezialisierten Abteilung eines Pflegeheimes verbringen. Deshalb wird die Palliativpflege in Pflegeheimen einen hohen Stellenwert erhalten.

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Das Pflegeheim von morgen – ein Ort zum Wohnen oder eher eine Rehabilitationsklinik? Marlies Petrig

Die grossen Herausforderungen der Pflegezentren liegen wohl in der Tatsache begründet, dass sie wie alle anderen Akteure im Gesundheitswesen, sehr viele Veränderungen gleichzeitig zu gestalten haben. Die DRG sind in der Auflistung dieser wohl sehr prominent vertreten. Gleichzeitig rüttelt jedoch die neue Pflegefinanzierung resp. das Pflegegesetz, welches für die Sicherstellung der Versorgung mit Pflegeleistungen verantwortlich ist, auf. Längerfristig gesehen, sind jedoch die knappen Personalressourcen der Stolperstein oder „Mount Everest“, der auf uns wartet, und nicht die Einführung der DRG.

Im Bereich der Pflege und Betreuung wird in der Schweiz nur die Hälfte des benötigten Nachwuchses ausgebildet. Wir sind in hohem Masse auf den Einsatz von ausländischem Fachpersonal angewiesen. Der Rekrutierung von Personal aus dem Ausland sind in mehrfacher Hinsicht Grenzen gesetzt. Abgesehen von der Schwierigkeit, in anderen Ländern Personal für den Schweizer Markt zu gewinnen, ist diese Lösung nicht nachhaltig und ethisch fragwürdig, da sich in den letzten Jahren weltweit ein Mangel an Fachpersonal abzeichnete. Im Bericht und Antrag des Regierungsrates an den Kantonsrat zum dringlichen Postulat betreffend „Schaffung Lehrstellen für Fachangestellte Gesundheit“ heisst es beispielsweise: „auf den Kanton Zürich umgelegt, entspräche dies einem rein rechnerischen Fehlen von rund 350 Fachpersonen der Sekundarstufe II und rund 415 der Tertiärstufe, was rund 5% des Personalbestandes wären….“ Auf den ersten Blick mag das noch nicht so dramatisch aussehen – wir sollten uns jedoch nicht davon blenden lassen.

Die Einführung der DRG wird zweifellos einen namhaften Einfluss auf die Pflegezentren haben. Jedoch nicht nur auf diese, sondern auch auf andere Nachsorger wie beispielsweise die Spitex, Hausärzte/-ärztinnen und Familien. Es darf jedoch auch nicht unterschätzt werden, in welchem Umbruch sich das Gesundheitswesen im Allgemeinen befindet. So hat sich beispielsweise die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in den Spitälern der Schweiz in den letzten 25 Jahren praktisch halbiert. Die Verkürzung der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer

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hat dazu beigetragen, dass sich der Behandlungsprozess zwischen Ein- und Austritt komprimiert hat und sich heute kompakt darstellt. Dieses Phänomen wird von Maramba et. al. (2004) wie folgt beschrieben: „Consequently, the time available to a healthcare team to adequately prepare patients for discharge has virtually evaporated“.

Die Erfahrungen in Deutschland werden diesseits des Rheins akribisch mitverfolgt. In der WirtschaftsWoche erschien 2008 ein Beitrag, wonach das deutsche Abrechnungssystem, auch wenn es weiterhin als umstritten gilt, zum Exportschlager geworden sei. So erstaunt es nicht, dass kleine Pilgerströme nach Deutschland eingesetzt haben, um von den dortigen Erfahrungen zu profitieren. Es soll jedoch an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass Deutschland und die Schweiz sich in wesentlichen Punkten, zum Beispiel durch ihr Pflegesystem, unterscheiden. In Deutschland dominiert das familienbasierte Pflegesystem: die Verantwortung für die Pflege der älteren Menschen liegt vorwiegend bei den Angehörigen. In der Schweiz wird eher von einem servicebasierten Pflegesystem ausgegangen: die geringen gesetzlichen Verpflichtungen der Kinder gegenüber ihren Eltern werden durch ein umfassendes Pflegeangebot ergänzt.

Bernard Braun von der Universität Bremen (2009) stellt die provokative Frage, ob ein Teil der aktuellen Probleme unter DRG-Bedingungen in Deutschland auch auf bisherige Unterlassungen von Krankenhäusern beruhen könnte. Leidet das schweizerische Gesundheitssystem nicht auch an einem gewissen Reformstau? Gibt es nicht Prozessoptimierungen, wie z. B. das frühzeitige Angehen der Austrittsplanung in Akutspitälern, welche schon seit längerer Zeit erkannt sind und jetzt mit der Einführung der DRG sozusagen „akut“ werden? DRG und andere Einflüsse auseinander zu halten dürfte schwierig werden. Die Auswirkungen der Einführung der DRG und des sich ansonsten abzeichnenden Umbruchs auf die Pflegezentren sind vielfältig:

Es wird ein gewisser Transfer von Aufgaben in die Nachsorge statt finden. Die Pflegezentren haben vermehrt medizinisch-technische Aufgaben, mehr Assessment- und Beratungsdienstleistungen zu erbringen, da während der oftmals kurzen Spitalaufenthaltsdauer die Einschätzung der Pflege- und Wohnsituation nicht abgeschlossen werden kann. Es wird zu mehr Überweisungen aus den Akutspitälern in Pflegezentren kommen, welche verbunden

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sind mit einer höheren Fallkomplexität. Diese Tatsache fordert ein höheres Kompetenzniveau des Personals. Es werden mehr Aufgaben im therapeutischen Bereich, in der geriatrischen Rehabilitation, in der Beratung, bei Palliative Care, End of life Care und der verstärkten Überwachung von weniger rekonvaleszierten Personen auf die Pflegezentren zukommen. Den grösseren Pflegezentren wird dabei, spitz formuliert, die Aufgabe eines „Spital light“ zugesprochen.

Dem gleichwertigen Nebeneinander von verstärkter klinischer Ausrichtung für die Kurzzeitgäste und des Wohnens für die Langzeitbewohner/-innen ist eine grössere Bedeutung beizumessen. Diese Tatsache spricht eher für die Bildung von spezialisierten Organisationseinheiten, welche sich differenziert auf ihren spezifischen Schwerpunkt einstellen können. Ferner sind Mitarbeitende im Gesundheitsbereich offensiv auf die sich verändernden Aufgaben vorzubereiten. Dabei kann ein angemessener Skill-, Grade- und Generationenmix in den Teams die Bewältigung der bevorstehenden Herausforderungen unterstützen.

Die höhere Anzahl von Ein- und Austritten fordert ein standardisiertes Vorgehen, insbesondere zwischen den involvierten Professionen wie der Pflege, dem ärztlichen Bereich und den therapeutischen Berufen. Der vermutlich frühe Verlegungszeitpunkt aus den Spitälern verlangt von beiden Seiten, diesen Moment äusserst sorgfältig zu planen und den Übertrittszeitpunkt neu auszuhandeln. Dieser kann aufgrund der aktuellen Veränderungen nicht mehr einfach als gegeben vorausgesetzt werden.

Besondere Aufmerksamkeit sollen Mehrfacherkrankte erhalten, da diese gemäss den Erfahrungen in Deutschland am ehesten negativ betroffen sind. Dies deckt sich mit einer Studie zu „Care Coordination“ der OECD, die zum Schluss kommt, chronisch Kranke und ältere Personen seien die am stärksten Gefährdeten bei einer schwachen oder inadäquaten Behandlungskoordination (vgl. OECD 2007). Pflegezentren werden gefordert sein, ein diversifiziertes Angebot anzubieten, welches auf die anderen stationären und ambulanten Institutionen im Einzugsgebiet abgestimmt ist.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass dem Pflegezentrum zunehmend eine kompensatorische Funktion zukommen wird, welche traditionell vom Spital wahrgenommen

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wurde. Für Pflegezentren ist eine wirksame interne Kooperationskultur Voraussetzung, damit sie sich auch in Zukunft als starke Leistungserbringer positionieren können.

Quellenverweis siehe: Petrig, Marlies (2010): Wie weiter? Pflegezentren im Umbruch. Die Reduktion der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer im Akutspital und deren Auswirkung auf Pflegezentren.

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Kurzvorstellung SFGG Die Schweizerische Fachgesellschaft für Geriatrie SFGG versteht sich als Vereinigung der in der Schweiz tätigen Fachärztinnen und -ärzte für Allgemeinmedizin und Innerer Medizin mit abgeschlossener oder laufender Schwerpunktweiterbildung in Geriatrie (Altersmedizin) und weiterer geriatrisch interessierter Ärztinnen und Ärzte. Sie ist eine Schwestergesellschaft der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie SGG-SSG. Die SFGG hat zum Zweck ein Ort der Begegnung und ein Diskussionsforum für Geriater/Geriaterinnen und die anderen in der Schweiz im Bereiche der Geriatrie tätigen Ärztinnen und Ärzte zu sein; die Aufgaben im Bereich der Weiterbildungs- und der Fortbildungsordnung der Schweizerischen Ärztegesellschaft FMH für das Schwerpunktgebiet Geriatrie in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin SGAM und der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin SGIM wahrzunehmen; sich für eine qualitativ hochstehende Geriatrie einzusetzen und zur Sicherung deren Qualität beizutragen; die Zusammenarbeit mit den anderen Berufen und Personenkreisen, die sich mit den körperlichen, psychischen und sozialen Vorgängen im Laufe des Alterns befassen, zu pflegen; die Forschung und Entwicklung im Gebiete der Geriatrie anzuregen und zu unterstützen, und den akademischen Nachwuchs zu fördern; die Erkenntnisse in der Geriatrie und Gerontologie der Ärzteschaft zugänglich zu machen; das Verständnis für die Geriatrie und die Gerontologie bei allen Partnern im Gesundheitswesen und in der Öffentlichkeit zu fördern; für die beruflichen Interessen ihrer Mitglieder unter Berücksichtigung der Anliegen der ganzen Ärzteschaft einzutreten; sich als ein aktiver und anerkannter Partner der ihr verwandten nationalen und internationalen Organisationen zu betätigen. Präsident der SFGG ist zurzeit PD Dr. Gilbert Zulian, Genf. Die Geschäftsstelle der SFGG befindet sich an der Schwanengasse 14 in Bern. www.sfgg.ch

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Kurzvorstellung SVSP In den über 80 Jahren ihres Bestehens hat die SVSP Anstösse zur Entwicklung der Sozialpolitik gegeben, sie begleitet, gefördert, kritisiert und sich dabei selbst gewandelt. Die Konstanten in diesem Wandel können mit fünf Stichwörtern charakterisiert werden:

1. Das Diskussionsforum für die Sozialpolitik In der Vorkriegsphase, als Sozialpolitik vor allem eine Angelegenheit der Sozialpartner war, war die SVSP die Plattform auf der die Vorstellungen und Argumente in einer sachlichen Atmosphäre diskutiert werden konnten, vor dem Kampf auf der politischen Bühne. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm sich der Bund des Auf- und Ausbaus der Sozialversicherungen an, und die SVSP bot sich als Forum der Diskussion zwischen ihm und den Sozialpartnern an. Seit etwa 1980, als die Entwicklung der Sozialpolitik zu stagnieren begann, und erst recht in den neunziger Jahren angesichts der von verschiedenen Seiten proklamierten Krise des Sozialstaates tritt die SVSP mit Tagungen und Publikationen auf und versucht, die verschiedenen Kräfte der Sozialpolitik mit Impulsen und Ideen von ihren vorwiegend defensiven Standpunkten weg an einen Ort zu bewegen, an dem gemeinsam Lösungen für die schwierigen Probleme gefunden werden können. 2. Gesamtschau der Sozialpolitik Die SVSP hat die Sozialpolitik immer als Ganzes gesehen. Diese Optik hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, denn es zeigt sich, dass die bisherige Praxis der Segmentierung der sozialen Sicherheit keine tragfähigen Lösungen für die absehbaren sozialen Probleme mehr anbieten kann. Es geht darum, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen sozialen Risiken zu erkennen, zu einer Gesamtschau der Sozialversicherungszweige zu kommen und diese in die Suche nach Lösungen einzubeziehen. Das bedeutet auch, dass Zuständigkeitsgrenzen überschritten werden müssen, da noch auf absehbare Zeit die sozialen Risiken (z.B. Alter, Gesundheit, Existenzsicherung, Arbeit) sowohl rechtlich (ARVG, ALVG, Sozialhilfe usw.) und verwaltungsmässig (BSV, seco, Departemente der Kantone, Gemeinderessorts usw.) wie auch auf der Seite der Interessenvertreter von unterschiedlichen Strukturen wahrgenommen werden.

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3. Verknüpfung von Theorie und Praxis Die SVSP hat sich immer als Katalysator verstanden und den Dialog zwischen Politik, Verwaltung, Öffentlichkeit und Wissenschaft verstärkt, weil sie der Überzeugung war und ist, dass nur gemeinsame Anstrengungen zu tragfähigen Lösungen führen. Ein Problem, das angeprangert werden muss, ist die vor allem in der Deutschschweiz sehr schwache Basis der Sozialpolitik-Wissenschaft: Es fehlt nach wie vor ein universitäres Institut, das sich kontinuierlich mit Sozialpolitik befassen würde Nationale Forschungsprogramme sind dafür kein Ersatz.

4. Vorausdenken Was schon im Zweckartikel angelegt ist, hat die Arbeit der SVSP auch in der näheren Vergangenheit geprägt: 2002 diskutierte die Vereinigung beispielsweise Wege für Working Poor aus der Sozialhilfe. 2003 hiess ein Tagungsthema „Assistenzdienste in der Praxis“, 2005 befassten wir uns mit dem Thema Städte. „Soziale Stadt – gesunde Stadt: eine Zwischenbilanz“ lautete der Titel dieser Veranstaltung. 2006 und feierte die Vereinigung ihr 80-jähriges Bestehen mit einer Veranstaltung im Berner Kornhaus, für welche der USWirtschaftshistoriker Peter Lindert als Referenten gewonnen werden konnte. 2007 diskutierte die SVSP Ideen rund um den Themenkreis Flexicurity und bedingungsloses Grundeinkommen. 5. Gesamtschweizerisch Von Anfang an hat sich die SVSP als gesamtschweizerische Organisation verstanden und sich bemüht, die zum Teil unterschiedlichen sozialpolitischen Grundpositionen zur Geltung kommen zu. lassen. Die letzten drei Präsidenten waren ein italienisch Bündner, ein Romand und ein Deutschschweizer. Trotz ihres Alters ist die SVSP hochaktuell. Sie stellt ein Forum für die unvoreingenommene Diskussion sozialpolitischer Fragen zur Verfügung, erarbeitet Unterlagen für die Behandlung wichtiger sozialpolitischer Probleme und informiert die Öffentlichkeit auf unabhängige Weise mittels Tagungen oder Publikationen zu laufenden oder bevorstehenden Entscheidungsprozessen im Bereich der Sozialpolitik.

Schweizerische Vereinigung für Sozialpolitik (SVSP) Monbijoustrasse 22 Postfach 3000 Bern 14 Tel. 031 326 19 20, Fax 031 326 19 10 www.svsp.ch

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