Spirituelle Kompetenz erwerben? Ein Praxisbericht

84_2011_4_331_335_Benke 18.05.11 14:18 Seite 331 Spirituelle Kompetenz erwerben? Ein Praxisbericht Christoph Benke / Wien Die Gründe, warum Männer u...
Author: Christel Albert
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Spirituelle Kompetenz erwerben? Ein Praxisbericht Christoph Benke / Wien

Die Gründe, warum Männer und – längst mehrheitlich – Frauen an einer staatlichen Fakultät Katholische Theologie studieren, sind vielfältig. Neben diffusen und unreflektierten Vorstellungen sind es zwei Motive, die Theologiestudierende leiten: die Suche nach weltanschaulicher Orientierung und die Vorbereitung auf einen Beruf in der Kirche. Der akademische Lehrbetrieb sichert die theologische Fachkompetenz der Studierenden. Doch wer ist im Rahmen der Ausbildung an staatlichen Fakultäten für deren spirituelle Kompetenz zuständig?1 Angehende Pastoralassistent/innen und Religionslehrer/innen können, anders als Priesteramtskandidaten und Angehörige von Orden, in Sachen spiritueller Bildung nicht einfach auf einen gegebenen strukturellen Background zurückgreifen. Zugleich zählen kirchliche Arbeitgeber zu Recht unter diversen Kompetenzen auch die spirituelle zum Anforderungsprofil von in Pastoral und Schule hauptamtlich Tätigen.

1 Beobachtungen zur studentischen Szene Um diesem Bedarf entgegenzukommen, unterhält die Erzdiözese Wien ein Zentrum für Theologiestudierende (wie es auch an anderen Fakultäten österreichischer Universitäten eingerichtet ist). Die Aufgabe des Zentrums ist die Begleitung und Ausbildung Studierender. Entsprechend den Akzentverschiebungen in der Bildungslandschaft (Stichwort »Bologna«) läuft gegenwärtig die Ausbildung der Begleitung den Rang ab. Seit 1998 fungiere ich als geistlicher Leiter dieser Dienststelle, deren Chef zugleich Ausbildungsleiter ist. Eine Pastoralassistentin sowie ein Referent für angehende Religionslehrer/innen komplettieren das Team. Im Folgenden berichte ich von Initiativen, Spiritualität in Begleitung und Ausbildung explizit einzubringen (2). Vorangestellt sind einige unsystematische und plakative Beobachtungen zur studentischen Szene (1). Schließlich nenne ich vor dem Hintergrund meiner Erfahrung mit Studierenden eine Reihe von Themen, die mitten in eine Theologie der Spiritualität hineinreichen (3). 1 Zum Sinn und Unsinn der Rede von „spiritueller Kompetenz“ vgl. C. Benke, Spirituelle Kompetenz? Ein Diskussionsbeitrag, in: GuL 83/2 (2010), 81–91. GuL 84/4 (2011) 331–335

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Theologiestudierende sind – wie könnte es anders sein? – Kinder ihrer Zeit. Pluralismus und damit einhergehend eine gewisse Unübersichtlichkeit kennzeichnen alles, so auch den Anweg zum Studium. Wenige haben ein klassisches Gymnasium durchlaufen, viele eine berufsbildende höhere Schule. Diversität gilt darüber hinaus für die religiös-spirituelle Herkunft. Eine hohe Zahl an Studierenden hat pfarrlichen Hintergrund, manche stoßen aus einer neuen geistlichen Bewegung dazu. Einige kommen über guten Religionsunterricht zur Theologie. Wieder andere haben Kontakt mit Orden, als Volontäre oder MAZ (Missionare auf Zeit) ein Jahr im Süden verbracht und bringen nach diesem „Noviziat“ engagiert solidarisches Verhalten ein. Manche sind auf der Suche nach weltanschaulicher Orientierung und spirituell noch ortlos. Es gibt Quereinsteiger aus den Religionswissenschaften sowie da und dort Ungetaufte. Wie „ticken“ Theologiestudierende? Meine Wahrnehmung geht über mehrere studentische Generationen. Die folgenden Einschätzungen sind natürlich subjektiv und pauschalierend: • Offenheit: Im Vergleich zu früheren Jahren ist mehr Offenheit und eine grundsätzliche Bereitschaft für vieles vorhanden. Klassische ideologische Gräben (auch kirchenpolitische) regen niemanden mehr auf. • Eine Welt: Die Globalisierung zeigt sich in gesteigerter Sensibilität für die „eine Welt“, für ökologische Fragen sowie generell für fremde Kulturen und Religionen. • Pragmatik statt Vision: Die Frage „Was ist das?“ kostet nur Zeit und ist out. Interessant ist allein „Wie geht das?“ Dementsprechend ist Ethik hoch im Kurs. „Was ist ein gutes, richtiges Leben?“ Das bewegt viele. • Vernetzung: Theologiestudierende agieren in und mit verschiedenen Netzwerken und nutzen sie für sich. • Ästhetik: Design ist wichtig, die (Selbst-)Inszenierung spielt eine große Rolle. Form schlägt Inhalt. Das ist bedeutsam für den Zugang zu Liturgie und geistlichem Leben. • Mangel an Geschichtsbewusstsein: Dem faktischen Ausfall klassischer Allgemeinbildung steht enorm viel Spezialwissen gegenüber, aber wenig Fähigkeit zur Synthese. Nur wenige Studierende denken in geschichtlichen Zusammenhängen, und das bei einigem historischen Wissen. • Zauberworte: Theologiestudierende sind fasziniert von Praxis, Interdisziplinarität, Ganzheitlichkeit und Authentizität. Interreligiosität steht hoch im Kurs, Kontemplation und Mystik haben immer noch Konjunktur. • Pluralismus: Mit Vielfalt gut umgehen zu lernen, ist anstrengend. Manche machen die Unverbindlichkeit zum Prinzip. Wieder andere stehen pluralismusmüde im Chaos der Welt.

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• Katholische Kirche: Die Verwurzelung im Christentum und in der katholischen Kirche nimmt ab. Das Erstarken des Islam lässt etliche fragen: Hat das Christentum (in Europa) Zukunft? • Sentire cum ecclesia: Liegt eine Erfahrung von Kirche vor, so ist sie einigermaßen segmentiert. Maßstab ist die eigene Gruppe. Der Sinn für das Ganze, für das Katholische, für den Leib Christi ist wenig entwickelt. • Beruf in der Kirche: Gewisse Entwicklungen der letzten Jahre (neuer Klerikalismus, Favorisierung des Diakonats, bisher wenig Entwicklungsmöglichkeiten) lassen Studierende zögern, als Laien einen Beruf in der Kirche (Pastoral, kategoriale Seelsorge) anzuzielen. Konfessioneller Religionsunterricht ist eine Perspektive. Allerdings wird dessen kirchliche Dimension zunächst oft unterschätzt. Meine Tätigkeit mit Theologiestudierenden ist zunächst Beziehungsarbeit. Im Idealfall wächst Vertrauen, das Gespräch ermöglicht. Welche Anknüpfungspunkte gibt es, Spiritualität ins Spiel zu bringen?

2 Begleitung und Ausbildung Begleitung: Zur Studienbegleitung zählen Veranstaltungen, die sich als Angebote verstehen: Bibel-Teilen, Taizé-Gebet, Lektürekreis Christliche Spiritualität, „Aus der Schatzkiste geistlicher Tradition“, Fußwallfahrt nach Mariazell etc. In Sachen Liturgie gibt es eine Eucharistiefeier (werk- und sonntags) sowie, konform mit dem Kirchenjahr, Rorate, Kreuzwegandacht, „Ostern intensiv“, österliches Taufgedächtnis. Geistliche Begleitung wird eher gegen Ende des Studiums gesucht. Generell gilt: Projektbezogenes, klar definiertes Engagement von Seiten Studierender funktioniert, regelmäßige Selbstverpflichtung nicht. Ausbildung: Wer Theologie studiert und damit als Laie einen Beruf in der Kirche anzielt (Pastoral, kategoriale Seelsorge, Schule), hat eine Reihe von verpflichtenden Ausbildungselementen zu durchlaufen: Pfarrpraktikum, Persönlichkeitsbildung, Kennenlernen der Ortskirche und spirituelle Bildung mit dem Ziel der spirituellen Kompetenz.2 Spirituelle Bildung ist zweistufig. Der für alle verpflichtende, mit Studierenden entworfene „Grundkurs Spiritualität“ dauert drei bis vier Tage und bearbeitet Einstiegsthemen: die persönliche Glaubensbiographie, Formen und Gestalten christlicher Spiritualität, Spiritualität aus der 2 Laut diözesan approbiertem Ausbildungsplan ist für spirituelle Kompetenz „Bereitschaft, sich in allen Lebensbereichen von Jesus Christus und seinem Evangelium prägen zu lassen; persönlicher Zugang zur Hl. Schrift; Vertrautheit mit den geistlichen und liturgischen Traditionen der Kirche; Erfahrung mit verschiedenen Gebetsformen; Fähigkeit, die eigene Glaubensüberzeugung und Gotteserfahrung zu reflektieren und darüber zu sprechen; Respekt und Ehrfurcht vor Glaubenszugängen Anderer“ gefordert; vgl. Vom Studium zum kirchlichen Beruf. Ausbildungsplan für Theologiestudierende (Erzdiözese Wien). Wien 22009, 16.

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Taufe, Einübung in gemeinsames Beten und gottesdienstliches Feiern (Taufgedächtnis, Andacht, Stundengebet, Eucharistie). Ein(e) Gastreferent/in ermutigt zur persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema »Berufung«. Die kirchliche Dimension von Spiritualität wird bewusst. Einzelphasen wechseln mit „Emmausgespräch“ und Austausch im Plenum, und auch sonst gibt es einen Methodenmix (Kreatives, Outdoor, Spielerisches). Der Kurs findet in der Nähe von Wien statt und ist von der Diözese finanziell gestützt. Im Vorfeld führe ich mit allen der höchstens vierzehn Teilnehmer/innen ein Einzelgespräch. Nach zwei bis vier Semestern folgt dem Grundkurs die so genannte vertiefende spirituelle Weiterbildung. Hier liegen zwei Varianten vor. Es besteht die Möglichkeit, in Absprache mit dem Seelsorger ein individuell zugeschnittenes Programm zu wählen (z.B. Einzelexerzitien). Wer das nicht will, belegt den „Aufbaukurs Spiritualität“. Der in Konzept und Methode dem Grundkurs verpflichtete Aufbaukurs hat Kompetenzen im Blick, die dem persönlichen Glauben, aber auch bereits der möglichen beruflichen Rolle zugeordnet sind: Spirituelle Kompetenz (Bedeutung des eigenen Glaubens an Jesus Christus, Hilfen zur persönlichen Positionierung), Pluralismuskompetenz (die Essentials des Christentums benennen, für die Begegnung mit anderen Entwürfen befähigen), berufliche Kompetenz (meine berufliche Rolle in Schule oder Pastoral spirituell in den Blick nehmen), liturgische Kompetenz (den Glauben feiern, diesen Vollzug reflektieren, Liturgie als kirchliches Handeln verstehen).3 Gespräche in der Nacharbeit zeigen, dass die intensiven Kurse in Erinnerung bleiben. Manche begreifen, dass es höchste Zeit ist, Spiritualität „zur eigenen Sache“ zu machen. Erwähnt sei, dass alle Gespräche dem Forum internum zugehören. Die Studierenden wissen, dass ich nicht der Ausbildungsleiter bin.

3 Theologie der Spiritualität Was kann eine Theologie der Spiritualität für die Ausbildung Studierender leisten? Eine Theologie der Spiritualität ist Partnerin spiritueller Bildung und Ausbildung, indem sie relevante Themen auf ein akademisches Niveau hebt und wissenschaftlich behandelt. Das universitäre Fach dient der spirituellen Kompetenz der Studierenden, weil es die vernünftige Auskunftsfähigkeit (vgl. 1 Petr 3,15) christlich-kirchlicher Spiritualität im Blick hat. Dies ist geeignet, das persönliche Zeugnis zu vertiefen, zumal unter der Überschrift »Zeugnis« gar nicht selten die bloße Behauptung, die Diskursverweigerung, jede Menge Subjektivismus oder sogar antiakademische Polemik verkauft werden. Theologie der Spiritualität för3 Der „Grundkurs Spiritualität“ wurde mit dem Wintersemester 2005 begonnen und seither zehn Mal durchgeführt. 125 Studierende nahmen bis dato daran teil. Der kürzlich entwickelte Aufbaukurs fand bislang zwei Mal statt.

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dert die Unterscheidungskompetenz von Studierenden, gilt es doch, auf unübersichtlichem Terrain den Sinn für das Proprium christianum zu schärfen. Hier ist an komplexe Themen zu denken wie z.B. interreligiöses Gespräch, westliche Rezeption asiatischer Religiosität und deren Konzepte von Mystik, die jüngst geführte Monismusdebatte samt ihrer spirituellen Implikate, der theoretische Gehalt allgegenwärtiger praktischer Esoterik oder ökologische Spiritualität. Damit sind Studierende persönlich wie auch in Schule und Pastoral konfrontiert. Im Zuge eines salonfähig gewordenen „neuen“ Verständnisses von Ökumene (praktische Gesinnungsökumene mit gezielter Ausblendung von Lehrdifferenzen) ist Studierenden nicht mehr so klar, was katholische Spiritualität ausmacht. Nicht wenige haben konkrete Erfahrungen mit neopentekostalevangelikal-freikirchlichen Gemeinden und deren Spiritualitäten. Vor diesem Hintergrund sind das sakramentale Prinzip, die zugehörige Frage der Vermittlung, die Rolle von Kirche, das Sentire cum ecclesia als Materien von eminent spirituellem Gehalt aufzuweisen. Die – Studierenden weithin verschlossene – Welt der Sakralräume und Zeichen, die theologisch-spirituelle Bedeutung der Eucharistiefeier, die immer noch lebendige Ritualdiskussion: Wären solche Inhalte einer liturgischen Mystagogie nicht in Kooperation mit der Liturgiewissenschaft anzugehen und dabei durchaus auf wissenschaftlichem Niveau vermittelbar? Eine theologisch fundierte Unterscheidung der Geister entwickelt ein Gespür für die gesunde Mitte und den spirituellen Hausverstand. Wer das Eigene kennen und lieben lernt, ist dialogfähig und auf dem Weg zur Pluralismuskompetenz. Zu dem in der Bildungsdiskussion scheinbar unumgänglich gewordenen Kompetenzbegriff sei zuletzt an ein historisches Detail erinnert: Im altkirchlichen Katechumenat bezeichnete man die ernsthaften Taufbewerber als competentes.4 Vor allem diesen Kompetenten wendete die Kirche ihre pastorale Aufmerksamkeit zu. Als zur christlichen Initiation „Zugelassene“ gehörten sie bereits zur Gemeinde. Dennoch wussten sie, dass sie sich gleichsam noch im Vorhof aufhielten und den Schritt ins Eigentliche noch vor sich hatten. Der Analogieschluss möge erlaubt sein: Theologiestudierende von heute sind nicht oberflächlich Interessierte, sondern ernsthafte Anwärter und Anwärterinnen, im Rahmen der Kirche eine Sendung zu übernehmen oder irgendwo sonst in der Welt den Sauerteig des Evangeliums auszubreiten. Ähnlich den altkirchlichen competentes haben sie den Schritt ins Eigentliche noch vor sich – aber wer hat das nicht?

4 Das gilt für die lateinische Kirche ab dem 4. Jhd. Die competentes oder illuminandi hießen in Rom electi, im Osten photizomenoi; vgl. dazu B. Botte, Art. Competentes, in: RAC 3 (1957), 266–268 u. B. Kleinheyer, Sakramentliche Feiern I: Die Feiern der Eingliederung in die Kirche. Regensburg 1989 (Gottesdienst der Kirche; 7,1), 41–42 u. 64–70.

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