Soziale Marktwirtschaft und katholische Soziallehre

Beitrag für Aufsatzwettbewerb des „Fördererkreises für Bildungsarbeit des KKV e.V.“: „Soziale Marktwirtschaft und katholische Soziallehre“ Von: Clar...
Author: Cathrin Fürst
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Beitrag für Aufsatzwettbewerb des „Fördererkreises für Bildungsarbeit des KKV e.V.“:

„Soziale Marktwirtschaft und katholische Soziallehre“

Von: Clara Schneidewind Liebfrauenschule Oldenburg Jahrgang 12

Clara Schneidewind Blumenstr. 13 26121 Oldenburg Liebfrauenschule Oldenburg Auguststr. 31 26121 Oldenburg

Inhaltsverzeichnis 1.

Einleitung ......................................................................................................................... 2

2.

Katholische Soziallehre als wirtschaftswissenschaftliches Konzept ........................... 2

3.

Menschenbild und Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre ............................. 3

3.1. Menschenbild und Personalität: Übergeordnete Werte als Rahmenbedingungen für eine gerechte Wirtschaft und Gesellschaft? ....................................................................... 3 3.2. Solidarität: Sicherheit als Grundlage für ein friedliches Zusammenleben und eine erfolgreiche Wirtschaft? ......................................................................................................... 3 3.3. Subsidiarität: Selbstorganisation als ergänzende Versorgungsform für mehr Selbstständigkeit und Verantwortung des Einzelnen und eine Entlastung des Staates? ....................................................................................................................................... 3 4.

Soziale Marktwirtschaft , ein zukunftsfähiges Konzept auch in einer nicht wachsenden Wirtschaft? ......................................................................................................... 5

4.1. Sozialstaat vs. Rationalisierungsdruck ................................................................................ 5 4.2. Stabilitätsfaktoren für eine zukünftige Entwicklung ....................................................... 7 5.

Fazit ............................................................................................................................................. 8

6.

Literaturverzeichnis................................................................................................................. 9

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1. Einleitung "Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairness, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung vor der Menschenwürde des anderen, feste sittliche Normen - das alles sind Dinge, die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen. Sie sind unentbehrliche Stützen, die beide vor Entartung bewahren. Familie, Kirche, echte Gemeinschaften und Überlieferungen müssen sie damit ausstatten."

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(W. Röpke)

So formulierte Wilhelm Röpke, einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft,

das in ihr bestehende

Abhängigkeitsverhältnis zwischen Wirtschaft, Staat und Ethik. Der Sozialstaat als Sinnbild für ethische Ordnungspolitik wird heutzutage jedoch immer häufiger nicht als Stütze, sondern als Konkurrent der Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit betrachtet. Gerade in Zeiten der Globalisierung wird ein Abbau des Sozialstaates als absolut notwendige Maßnahme angesehen, um im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben. Die gesamte Grundidee der Sozialen Marktwirtschaft als „Wirtschaft um des Menschen Willen“2 wird somit in Frage gestellt. Ihre ethische Grundlage, die zu großen Teilen der katholischen Soziallehre entspringt, wird in den meisten Fällen ganz übergangen oder als nicht mehr zeitgemäß und einer pluralistischen Gesellschaft nicht angemessen verurteilt. In meinem Aufsatz möchte ich aus diesem Grund unter der Fragestellung Welche Rolle kann die Katholische Soziallehre angesichts der Herausforderungen einer globalisierten Weltwirtschaft im Diskurs über die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft einnehmen? die ethischen Hintergründe der Sozialen Marktwirtschaft darstellen und die Interpendenz zwischen Mensch, Ethik und Wirtschaft genauer beleuchten. Es soll in Ansätzen aufgezeigt werden, welche ökonomischen Effekte die Strukturprinzipien der katholischen Soziallehre haben und wie sich ihr normativer Charakter auf den Menschen und daraus resultierend auch auf die Wirtschaft auswirkt. Aus dieser Abhängigkeit heraus, zeige ich das Modell einer Postwachstumsgesellschaft auf, die dank einer von Werten der Katholischen Soziallehre geprägten Gesellschaft ihre Verwirklichung finden könnte und das Potenzial besäße auch ohne anhaltendes Wirtschaftswachstum ein friedliches und gerechtes Zusammenleben ihrer Mitglieder zu gewährleisten. 2. Katholische Soziallehre als wirtschaftswissenschaftliches Konzept Die Soziale Marktwirtschaft stellt an sich den Anspruch, dass der Markt kein „Selbstzweck“3 sei, sondern als „Austauschmechanismus“4 zum Erreichen übergeordneter Ziele fungiere und den Menschen nicht nur „funktionell als Produzenten und Konsumenten, sondern auch in seiner persönlichen Existenz sieht“5. Diese Idee der Personalität, die das Individuum in den Vordergrund treten lässt, entstammt der Katholischen Sozialllehre. Nun stellt sich die Frage, ob eine Ordnung, die den Menschen und mit ihm verbundene moralische Werte in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellt, nicht selbst eine Form der Wirtschaftsordnung darstellt, die vom Menschen als kleinsten ökonomischen Akteur ausgeht. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die sozialstaatlichen Maßnahmen, die eine „Menschlichkeit“ der Marktwirtschaft sichern sollen, immer häufiger als reiner Kostenfaktor kritisiert werden, scheint es lohnend, die Prinzipien der Katholischen Soziallehre auch wirtschafts-wissenschaftlich zu betrachten. 1

Zitiert nach Palaver 2002 Rüstow, Alexander zitiert nach Köppinger 1984, S. 74 3 Müller-Armack zitiert nach Köppinger 1984, S. 71 4 Müller-Armack 1962, S. 131 5 Müller-Armack, zitiert nach Köppinger 1984, S. 72 2

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3. Menschenbild und Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre 3.1. Menschenbild und Personalität: Übergeordnete Werte als Rahmenbedingungen für eine gerechte Wirtschaft und Gesellschaft? Die katholische Soziallehre hat das Ziel eine vom Menschen ausgehende Ordnung der Gesellschaft zu definieren, die auf wesentlichen Strukturprinzipien basiert. Die ersten beiden Prinzipien, das Gemeinwohl- und das Personalitätsprinzip definieren die grundlegenden Ansichten zum Menschen und der Gesellschaft: Das Menschenbild beruht auf der Würde des Einzelnen und daraus resultierend auf seiner Veranlagung und seinem Recht zur freien Entfaltung. Charakteristikum der freien Entfaltung ist die Entscheidungsfreiheit des Individuums.6 Die Katholische Soziallehre geht von einem Leitbild des „selbstständigen und verantwortungsvollen Menschen“7 aus. Das Potential zur Erfüllung dieses Ideals trage jeder Einzelne durch seine Anlage zur freien Entfaltung in sich. Aus diesem Menschbild resultiert das Gesellschaftsbild der katholischen Soziallehre. Nach dem Gemeinwohlprinzip muss die Gesellschaft dem Individuum die Möglichkeit zur freien Entfaltung bieten8. Denn zur Verwirklichung seiner Entfaltung benötige der Einzelne Gemeinschaft, da jeder Mensch „aus seiner innersten Natur [heraus] ein gesellschaftliches Wesen“9 sei. In Abgrenzung dazu stellen das Solidaritäts- und das Subsidiaritätsprinzip Mittel zur Erreichung dieses Gemeinwohls dar. Diese Prinzipien verwirklichen sich in christlichem Handeln nach dem Gebot der Nächstenliebe und Verantwortung. 3.2. Solidarität: Sicherheit als Grundlage für ein friedliches Zusammenleben und eine erfolgreiche Wirtschaft? Solidarität gerade in Form von Sozialversicherungen ist ein grundlegendes Prinzip der katholischen Soziallehre. Zum einen ist es Voraussetzung dafür, dass der Mensch sich überhaupt frei entfalten kann10, denn im Angesicht einer omnipräsenten Existenzangst wäre diese Entfaltung stark eingeschränkt. Zum anderen ist Solidarität Ausdruck der gewünschten Einstellung des Individuums zu seinen Mitmenschen. Indem der Staat Solidarität fordert oder erzwingt, wirkt er also wertegebend und trägt somit zum Idealbild des verantwortungsbewussten Menschen bei. Die Ziele der Sozialen Marktwirtschaft betrachtend, ist die Solidarität somit ein wesentliches Element sowohl auf struktureller als auch auf normativer Ebene. Außerdem wirkt sich soziale Sicherheit positiv auf das wirtschaftliche Verhalten des Einzelnen aus. Externe Schocks und andere Faktoren, die zu Wirtschaftskrisen führen, bedeuten für den Einzelnen nicht mehr zwangsläufig eine Krise der eigenen Existenz. Das führt dazu, dass der Einzelne in der Lage ist auch risikobehaftete Investitionen, die essentiell für eine erfolgreiche Wirtschaft sind, zu tätigen11. 3.3. Subsidiarität: Selbstorganisation als ergänzende Versorgungsform für mehr Selbstständigkeit und Verantwortung des Einzelnen und eine Entlastung des Staates? Ein Ausbau der Subsidiarität wird häufig als Patentrezept für einen Ausweg aus wirtschaftlichen Missständen gesehen. 6

vgl. Köppinger 1984, S. 68 Köppinger 1984, S. 83 8 vgl. http://www.reli4you.info , S. 2 9 „Gaudium et spes“ zitiert nach Köppinger 1984, S. 68 10 „Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden n och die Früchte derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit“ Wilhelm von Humboldt zitiert nach Habisch 2000, S. 265 11 vgl. Druwe 2000, S. 85-86 7

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Die Aufgabe des Staates lässt sich demnach wie folgt charakterisieren: Es wird ein vorsorgender Staat gefordert, der dynamische und flexible und folglich individuell gestaltbare Strukturen für die Menschen schafft und sich bei seiner Beeinflussung des individuellen Verhaltens auf gezielte Impulse konzentriert. Das hat für den Staat im Idealfall die Konsequenz einer Entlastung bei der Organisation des Sozialstaats, da seine Zielsetzung sich grundsätzlich verändert. Statt eines zentralistisch organisierten Sozialsystems, das das Ideal einer optimalen Verteilung anstrebt, wird ein Teil der Verantwortung an dezentrale Stelle abgegeben. Die Idee eines allwissenden Staates wird abgestreift und durch die eines Staates, der lediglich eine Zielrichtung vorgibt, ersetzt. Dadurch werden Prozesse dynamischer und anpassungsfähiger12. Dies hat für den Staat den positiven Effekt, dass sich der Organisationsaufwand verringert und gleichzeitig Prozesse effizienter werden, da sie sich optimal an (sich ändernde) Bedürfnisse des Einzelnen adaptieren. Für den einzelnen Menschen bedeutet dies im Rückschluss eine verbesserte Erfüllung individueller Bedürfnisse: „Es scheint, dass Bedürfnisse am besten von den Menschen verstanden und erfüllt werden, die ihnen am nächsten sind und den Bedürftigen gegenüber als Mitmenschen handeln. Störungen und Mängel im sozialen Unterstützungsstaat sind die Folge eines falschen Verständnisses von den eigentlichen Aufgaben des Staates“13. Außerdem ist das Individuum begleitend durch subsidiäre Strukturen eindeutig stärker in die Gemeinschaft eingebunden, was einerseits mit einer erhöhten Identifikation des Einzelnen mit der Kleingruppe14 verbunden ist und andererseits mit einer größeren Kontrolle des Einzelnen durch die Gruppe. Somit kann die von HerderDornreich definierte „Rationalitätenfalle“15, die in großen Gemeinschaften auftritt, nicht greifen. Nach HerderDornreichs

Auffassung

lassen

sich

die

meisten

Gruppen

durch

Kollektivgüter,

die

durch

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„Nichtausschließbarkeit“ gekennzeichnet sind, charakterisieren. Bei diesen kollektiven Gütern kann es sich um rein materielle, wie eine gemeinsam organisierte Bewässerung einiger Bauern, aber auch abstrakte Güter, wie Sicherheit und Freiheit handeln. In größeren Gruppen tritt dabei jedoch die Situation geteilter Rationalitäten auf, die einerseits eine kollektive Rationalität und andererseits eine individuelle Rationalität beinhaltet. Die kollektive Rationalität umfasst die Handlungsweise des Einzelnen, die für alle Mitglieder der Gemeinschaft, also auch das Individuum, am positivsten wäre17. Die individuelle Rationalität hingegen stellt die Handlungsweise des Einzelnen dar, die in Anbetracht der Ungewissheit über das Handeln der Anderen die meisten Vorteile und das geringste Risiko für das Individuum birgt (Gefangenendilemma18). Bei Kollektivgütern ergibt sich genau diese Problematik. Obwohl es objektiv am positivsten wäre, wenn alle Mitglieder ihren Beitrag dazu leisten, kann es für den Einzelnen durchaus positiv sein, diesen zu verweigern, da er nicht von der Nutzung des Gutes ausgeschlossen werden kann17 und außerdem die Gefahr besteht, dass andere ihren Beitrag verweigern19 und somit eine größere Last auf den Einzelnen zurückfällt. Die Problematik, dass dieses Verhalten den Beitrag der Anderen erhöht, oder sogar das Gut als solches in Gefahr bringt („suboptimale Versorgung“17), wird jedoch in dieser Kalkulation nicht mit einbezogen. Durch die Anonymität in großen Gruppen steigt sowohl die Unsicherheit über das Handeln der Anderen, außerdem wird es reizvoller

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vgl. Köppinger 1984, S. 164 Papst Johannes Paul II zitiert nach Schallenberg 2000, S. 59 14 vgl. Köppinger 1984, S. 158 15 Herder-Dornreich 1982 16 Herder-Dornreich 1982, S. 24 17 vgl. Herder-Dornreich 1982, S. 23 18 vgl. Herder-Dornreich 1982, S. 20 -21 19 vgl. Herder-Dornreich 1982, S. 33 13

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für den Einzelnen, sich vor seinem Beitrag zu drücken, da er keine Konsequenzen zu fürchten hat. In Kleingruppen hingegen, werden Trittbrettfahrer zum einen schneller aufgespürt und unter Kollektivzwang gesetzt20, andererseits erhöht sich das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gruppe, da man sich mit dieser identifizieren kann21 und nicht die Gefahr besteht, dass sich andere Mitglieder dieser Gruppe selbst vor ihrem Beitrag drücken könnten22. Daraus folgt, dass subsidiär strukturierte Gruppen den Einzelnen intensiver einbinden und seine personellen Kapazitäten somit effektiver nutzbar machen. Gleichzeitig wird das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen gestärkt. Die verstärkte Integration des Individuums erleichtert die Transferierung von Werten im Allgemeinen, weshalb auch eine Vermittlung von demokratischen Werten und Strukturen in subsidiären Gemeinschaften notwendig ist.23

Durch das verminderte Eingreifen des Staates wird außerdem die Selbstständigkeit des

Einzelnen gefördert, das Individuum wird folglich nach dem Idealbild des verantwortungsvollen und selbstständigen Menschen geformt.

4. Soziale Marktwirtschaft , ein zukunftsfähiges Konzept auch in einer nicht wachsenden Wirtschaft? Angesichts der Tatsache, dass nach den Jahren des Wirtschaftswunders, Müller-Armacks Idee eines vom wirtschaftlichen Wachstum getragenen Sozialstaats nicht mehr in ihrer vollen Tragweite greifen kann, stellt sich in der aktuellen Debatte immer häufiger die Frage, ob im Rückschluss die Ethik bei schwindendem Wachstum ihre Position im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft einbüßen darf und muss. Oder ob nicht stattdessen die Gesellschaft und ihre Institutionen so organisiert werden können, dass „sie ihre Funktionen weiterhin erfüllen, aber nicht mehr existenziell auf Wirtschaftswachstum angewiesen sind“24. Inwiefern der von einer Sozialethik geprägte Mensch eine solche Organisation, die soziale Werte wirtschaftlichen überordnet, unterstützen kann, wurde in der vorangegangen Argumentation bereits angedeutet und soll im Folgenden weiter erläutert werden. Damit einhergehend ist die Frage zu erörtern, ob nicht auch eine Ordnung denkbar ist, in der die Ethik die Wirtschaft und nicht die Wirtschaft die Ethik trägt. 4.1. Sozialstaat vs. Rationalisierungsdruck Unter den Befürwortern der Sozialen Marktwirtschaft lassen sich zwei grundlegende Meinungen über deren Zukunft unterscheiden. Die Einen befürworten ein weiteres Wachstum, das durch „Freilegung und Stärkung von Selbstständigkeit und Kreativität in der Wirtschaft“25, bzw. „Phantasie“ und „Dynamik“26 erreicht werden solle, also durch sich immer ändernde Verbraucheransprüche. Die Anderen vertreten die Ansicht, dass angesichts endlicher Ressourcen, ein Wachstum gar nicht mehr möglich sei oder eventuell sogar in der Zukunft der Verbraucherbedarf gesättigt sein könne27, also überhaupt ein „Genug“ für den menschlichen Anspruch bestehe. Wenn die wirtschaftlichen Bedürfnisse dann erfüllt seien, rückten primär andere Werte, wie Familie und Freizeit in den Vordergrund.

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vgl. Herder-Dornreich, S. 29-31 vgl. Herder-Dornreich, S. 32-33 22 vgl. Herder-Dornreich, S. 29 23 vgl. Köppinger, S. 158 24 Seidl; Zahrnt 2010, S. 17 25 Köppinger 1984, S. 88 26 Schlecht 1983, S. 39 27 vgl. Schlecht 1983, S. 37 21

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Im Folgenden soll hauptsächlich die Alternative einer Postwachstumsgesellschaft beleuchtet werden, die von einer Gesellschaft ausgeht, die auf Dauer ihr BIP senkt, ohne dabei jedoch ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Markt zu verlieren. Es handelt sich vielmehr um eine fortschreitende Spezialisierung und auch Beschränkung auf bestimmte Bereiche28. Wie bereits angeklungen war, sind die aus der katholischen Soziallehre entsprungenen Strukturprinzipien wirtschaftlich gesehen durchaus förderlich und als reine Organisationsformen nicht zwangsläufig ineffektiv. Es wurde jedoch auch immer wieder der wertebildende Aspekt dieser Maßnahmen angesprochen, der dem Menschen dem Idealbild eines verantwortungsvollen und selbstständigen Menschen immer näher bringt. Es gilt demzufolge zu untersuchen, welche Auswirkungen dieses Idealbild auf den Menschen als wirtschaftlichen Akteur hat. Schon Müller-Armack stellte fest: „Die hierfür (für die marktwirtschaftliche Ordnung) geltenden Spielregeln werden umso vollkommener wirksam, je mehr die Menschen, die in dieser Ordnung leben, neben ihren wirtschaftlichen und technischen Kenntnissen Eigenschaften pflegen, die auch das Leben jenseits des Marktes verlangt und die sie von dort in das Wirtschaftsleben hineintragen müssen“29. Werte, die also in Familie oder Kleingruppe gelten - ebendiese, die die katholische Soziallehre fordert - werden von Müller-Armack als wirtschaftlich positiv empfunden. Um den Sachverhalt auf die „Rationalitätenfalle“ zu übertragen, würde ohne Verantwortungsbewusstsein und Eigeninitiative die individuelle Rationalität überwiegen. In allen Bereichen, in denen es möglich wäre, Arbeitsaufwand ohne Lohneinbußen zu minimieren würde dies passieren, die Produktivität würde folglich zurückgehen. Gleichzeitig würde die Beanspruchung des Sozialstaats zunehmen30, da Zwangsabgaben es dem Individuum rational erscheinen lassen, in Relation zu diesen Abgaben möglichst viel zu konsumieren31. Auf der darüber liegenden Ebene würde das Marktgeschehen durch unlauteren Wettbewerb30 eingeschränkt und seine Effektivität somit einbüßen. Ethik nach dem Vorbild der katholischen Soziallehre ist also für das Funktionieren bzw. die Konkurrenzfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft unabdingbar. Nach dieser Feststellung sollen nun die Charakteristika des Postwachstums erläutert werden. Wie bereits erwähnt ist Konkurrenzfähigkeit durch Effektivität ebenfalls Element des Postwachstums. Der essentielle Unterschied liegt vielmehr in der Gesellschafts- als in der Wirtschaftsstruktur. Im Postwachstum wird die Idee verfolgt, die benötigte Arbeitskraft unter der gesamten Bevölkerung aufzuteilen, um auf diese Weise eine gerechte Verteilung zu gewährleisten, die die Existenzgrundlage jedes Einzelnen sichert32. Das Fundament ist folglich immer noch eine Wirtschaft, die ein „Genug“ für alle Gesellschaftsmitglieder sichert. Dieses „Genug“ setzt sich laut Mathias Möhring-Hesse jedoch nicht nur aus bedürfnisorientierten „Anteile[n] am Volkseinkommen“33 zusammen, sondern auch aus „Voraussetzungen gleichberechtigter Beteiligung“. Ausgehend von dieser Grundlage liegt die größte Herausforderung bei der Realisierung einer Postwachstumsgesellschaft in der Gesinnung der Menschen. Bei einer „Verabsolutierung wirtschaftlicher Werte“34 scheint dieser Wandel beinahe unmöglich herbeizuführen zu sein. Frei nach dem Prinzip von HerderDornreichs „Rationalitätenfalle“ ist der Einzelne in seiner individuellen Rationalität gefangen, die ihn zwingt

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Müller-Armack zitiert nach Schlecht 1983, S. 14 vgl. Köppinger 1984, S. 75 vgl. Herder-Dornreich 1983, S. 48-50 32 vgl. Reuter 2010 33 Möhring-Hesse 2010, S. 125 34 Köppinger 1984, S. 203 30 31

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seinen Arbeitsaufwand zu maximieren, obwohl ein stabilisierter Zustand der allgemeinen Geschäftstätigkeit allen Mitgliedern der Gesellschaft sowohl ein gerechtes und befriedigendes Einkommen, als auch genügend Freizeit und Lebensqualität sichern würde. Das Gemeingut „Gerechtigkeit“ fällt der Rationalitätenfalle zum Opfer. An dieser Stelle könnte die Idee der katholischen Soziallehre anknüpfen. Der verantwortungsbewusste und von Werten der Gemeinschaft geprägte Mensch verfolgt (eventuell sogar unbewusst) die kollektive Rationalität und überwindet somit die Rationalitätenfalle. Er findet seine Selbstverwirklichung in gesellschaftlichen und nicht rein wirtschaftlichen Werten. 35. Der Mensch nach dem Leitbild der katholischen Soziallehre ist also ein Mensch, der sich auch in eine Ordnung nach dem Vorbild des Postwachstums einfügen kann. Er findet seinen Sinn in der Gemeinschaft und hilft somit die gesamte Gesellschaft voranzubringen. 4.2. Stabilitätsfaktoren für eine zukünftige Entwicklung Nachdem weiter oben gezeigt wurde, dass der Sozialstaat nicht partout die Effektivierung der Wirtschaft hemmt, stellt sich nun die Frage unter welchen Bedingungen der Sozialstaat wirtschaftlich in einer Postwachstumsgesellschaft am effektivsten ist, also die Frage der Maßnahmen und des Umfangs. Die Grundannahme, von der häufig ausgegangen wird, ist, dass wirtschaftliche Effizienz und Umverteilung im Rahmen des Sozialstaates gegeneinander arbeiten36 und folglich das richtige Gleichgewicht gefunden werden muss. Als eine Bestätigung dieser These wird oftmals der Anstieg der Arbeitslosigkeit seit den 70er Jahren angeführt37, der als Versagen im internationalen Wettbewerb interpretiert wird. Der internationale Wettbewerb würde den Sozialstaat folglich auf ein optimales Maß zurechtstutzen. Jedoch stellt sich nicht die Frage danach, ob durch eine Rücksteuerung des Sozialstaates, nicht gerade die falschen Bereiche getroffen werden könnten. Um zu gewährleisten, dass die richtigen Maßnahmen und ausschließlich diese gepflegt werden, fordert HerderDornreich eine „aufgeklärte Subsidiarität“38. Ausgehend von der Idee, dass gerade im Sozialsystem, in dem zahlreiche Kollektivgüter vorhanden sind und somit zahlreiche Rationalitätenfallen bestehen, plädiert HerderDornreich für deren „Entschärfung“. Die bereits im letzten Abschnitt angedeutete Problematik der „Nachfrageexpansion“39 (vgl. Abb. 2) sieht Herder-Dornreich insbesondere durch eine Entkopplung der Bereitstellung des Angebots von der Aufbringung der dazu nötigen Finanzmittel40. Während die Leistungen des Sozialstaates als Kollektivgut behandelt werden, findet die Finanzierung der Beiträge auf subsidiärer Ebene, also bei den Individuen und Familien statt. Um unnötige Leistungen - sogenannter „social slack“41 -, die das Versorgungsniveau bei ihrem Abbau nicht senken, zu beseitigen, sei es demzufolge notwendig, Angebot und Finanzierung wieder stärker zu synchronisieren. Dies solle in Form von Selbstverwaltungen geschehen42. Dieses Vorgehen hätte zwei entscheidende Vorteile, zum einen, dass das richtige Maß an Sozialstaat gewährleistet wäre, zum anderen, dass auch die richtigen Maßnahmen gesichert wären.

35 Diese Idee der Sinnfindung in Werten vertritt beispielsweise auch der Neurologe und Psychiater Viktor Frankl, der der Auffassung ist, dass das „personale Gewissen“, das durch Werte und Traditionen geprägt werde, als Sinnspender fungiere: „Denn nur das Gewissen befähige den Menschen den einmaligen und einzigartigen Sinn der Situationen seines Lebens zu erkennen“, Frankl nach Köppinger 1984, S. 49 36 vgl. Fuest 2000, S. 64 37 vgl. Abelshauser 2006, S. 194 38 Herder-Dornreich 1982, S. 105. „Aufgeklärte Subsidiarität“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf eine Organisation in Kleingruppen, in der sich die einzelnen Akteure nationaler Finanzierungs- und Umverteilungsprozesse und ihrer Stellung in diesem Gefüge bewusst sind. 39 Herder-Dornreich 1982, S. 48 40 vgl. Herder-Dornreich 1982, S. 107 41 Herder-Dornreich 1982, S. 103 42 vgl. Herder-Dornreich 1982, S. 106 f

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In Bezug auf die gesamtwirtschaftliche und –gesellschaftliche Situation, die sich laut Herder-Dornreich aus „Rationalitätenfallenketten“43

zusammensetzt,

also

ineinander

verzahnte

Prozesse

unterschiedlicher

Rationalitätenfallen, stellt sich – nicht nur beziehend auf den Sozialstaat – immer wieder die Frage nach Überwindungsstrategien. Ursache für Rationalitätenfallen ist häufig eine mangelnde „Merklichkeit“44 kollektiver Leistungen für das Individuum. Überträgt man diese Idee auf das Kollektivgut „Wirtschaftliche Effizienz durch ‚Investition in Menschen‘45“, so wird deutlich, dass die Merklichkeit dieses Guts in Relation zur Merklichkeit der Leistungen die der Einzelne dazu beitragen muss, in unserer Gesellschaft sehr gering ist. Das bezieht sich einerseits auf Sozialabgaben der Steuerzahler, anderseits auf nachhaltige Investitionen von Unternehmen in „Humankapital“46. Die Zufriedenheit mit einem eigentlich effizienten System schwindet, was wiederum negative psychologische Folgen auf den Menschen und Konsumenten hat. Nach dem Ziel einer „Verstetigung und Berechenbarkeit“47 zur Mehrung wirtschaftlicher Effizienz ist es also im Eigeninteresse des Staates, die Merklichkeit der positiven Effekte durch Solidarität und Subsidiarität zu erhöhen und somit auch die Tendenz der Menschen und Unternehmen solche Entwicklungen mitzutragen, zu steigern.48 Gleichzeitig ist durch eine subsidiär organisierte Gesellschaft auf dem Wertefundament der katholischen Soziallehre auch der Mensch als Stabilitätsfaktor gesichert. Ein Mensch, der auch in einer sich transformierenden Gesellschaft Bedürfnisbefriedigung und Sinn findet, ist wohl der wichtigste Baustein für das Fortbestehen einer gesicherten Demokratie – und bedeutender als ökonomisches Wachstum.

5. Fazit Die Arbeit zeigt auf theoretischer Ebene, dass die katholische Soziallehre eine Wirtschafts- und Wertordnung definiert, bei der Struktur und Werteprägung des Menschen einander ergänzen und beeinflussen. Es werden Prinzipien beschrieben, die sowohl einen strukturellen, als auch einen wertebildenden Aspekt vereinigen. Die rein strukturelle Facette basiert dabei auf dem Prinzip einer „Investition in Menschen“49, die den Einzelnen effektiv in eine Gemeinschaft einbindet und gleichzeitig durch grundlegende Absicherung eine für eine effektive Wirtschaft unabdingbare Handlungssouveränität des Individuums gewährleistet. Der normative Aspekt hingegen hat eine Prägung des Menschen nach ethischen Vorstellungen zum Ziel, die den wirtschaftlichen Prozess durch eine innere Regulierung mittels eines verantwortungsbewussten Menschen erst funktionsfähig macht. Des Weiteren beeinflusst das Wertebewusstsein den Menschen insofern, dass er die Rahmenbedingungen für eine freie Entfaltung seiner Mitmenschen schafft und gleichzeitig das ethische Wertefundament sinnspendend auf das Individuum wirkt. Der selbstständige und verantwortungsbewusste Mensch nach dem Vorbild der katholischen Soziallehre ist in der Lage im Sinne einer kollektiven Rationalität nach dem Gemeinwohl zu handeln und somit den Grundstein für eine gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Richtung einer Postwachstumsgesellschaft zu legen, die von einem inneren Wertebewusstsein getragen wird.

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Herder-Dornreich 1982, S. 78 Herder-Dornreich 1982, S. 75 45 Habisch 2000, S. 284 46 Habisch 2000, S. 280 47 Köppinger 1984, S. 91 48 vgl. Habisch 2000, S. 280 49 Habisch 2000, S. 284 44

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6. Literaturverzeichnis Literatur: Abelshauser, Werner (2006) Der „Rheinische Kapitalismus“ im Kampf der Wirtschaftskulturen. In: Berghahn, Volker R.; Vitols, Sigurt (2006) Gibt es einen deutschen Kapitalismus?, Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2006, S. 186-199 Druwe, Ulrich (2000) Die falsche Debatte – Positive Folgen des Steuerwettbewerbs für die Sozialpolitik. In: Aufderheide, Detlef; Dabrowski, Martin (2000): Internationaler Wettbewerb – nationale Sozialpolitik? Duncker&Humblot GmbH, Berlin 2000, S. 83-88 Fuest, Clemes (2000) Wird der Sozialstaat ein Opfer des Steuerwettbewerbs? In: Aufderheide, Detlef; Dabrowski, Martin (2000): Internationaler Wettbewerb – nationale Sozialpolitik? Duncker&Humblot GmbH, Berlin 2000, S. 63-82 Habisch, André (2000) ‚In Menschen investieren‘ als Leitbild globalisierungsfähiger Sozialpolitik. In: Aufderheide, Detlef; Dabrowski, Martin (2000) Internationaler Wettbewerb – nationale Sozialpolitik? Duncker&Humblot GmbH, Berlin 2000, S. 265-286 Herder-Dorneich, Philipp (1982) Der Sozialstaat in der Rationalitätenfalle – Grundfragen der sozialen Steuerung, Verlag W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart 1982 Köppinger, Peter Hubert (1984) Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft – Ordnungspolitik aus Sicht christlicher Soziallehre, CDA Verlagsgesellschaft mbH, Königwinter 1984 Möhring-Hesse, Matthias (2010) Warum die Verteilung Gerechtigkeit, nicht aber Wachstum braucht. In: Seidl, Irmi; Zahrnt, Angelika (Hrsg.): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft., Metropolis-Verlag, Marburg 2010, S. 117 – 127 Müller-Armack, Alfred (1962) Das Gesellschaftspolitische Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft. In: Tuchtfeldt, Egon (Hrsg.): Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Studien und Konzepte zur Sozialen Marktwirtschaft und zur Europäischen Integration. Paul Haupt Bern, Freiburg im Breisgau 1976, S. 293-315 Reuter, Norbert (2010) Der Arbeitsmarkt im Spannungsfeld von Wachstum, Ökologie und Verteilung. In: Seidl, Irmi; Zahrnt, Angelika (Hrsg.): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft., Metropolis-Verlag, Marburg 2010, S. 85-102 Schallenberg, Peter (2000) Menschenbild und Sozialstaat. In: Aufderheide, Detlef; Dabrowski, Martin (2000) Internationaler Wettbewerb – nationale Sozialpolitik? Duncker&Humblot GmbH, Berlin 2000, S.53-61 Schlecht, Otto (1983) Ethische Betrachtungen zur Sozialen Marktwirtschaft, J.C.B. Mohr(Paul Siebeck), Tübingen 1983 Seidl, Irmi; Zahrnt, Angelika (2010) Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft, Metropolis-Verlag, Marburg 2010 Internetquellen:

Reli4you: http://www.reli4you.info/cms3/fileadmin/bhs4/s42-43.pdf (zuletzt abgerufen: 22. 5. 2011)

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