Soziale Kompetenz Woher nehmen, wenn nicht lernen

Soziale Kompetenz – Woher nehmen, wenn nicht lernen Personaler wünschen sich gefestigte Persönlichkeiten. Doch wie wird man das in Zeiten von Bachelor...
Author: Dagmar Mann
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Soziale Kompetenz – Woher nehmen, wenn nicht lernen Personaler wünschen sich gefestigte Persönlichkeiten. Doch wie wird man das in Zeiten von Bachelor und Master? Charakterbildung ist auch Aufgabe der Hochschulen. Von Christine Deutschländer-Wolff

Stuttgart. Mitarbeiter von heute sind Allround-Talente. Neben dem abgeschlossenen Studium verfügen sie über eine „selbstständige Arbeitsweise“, ein „ausgezeichnetes Kommunikationsvermögen“ sowie über „ausgeprägte Teamfähigkeit“; kurzum über hohe soziale Kompetenzen. Vor allem für diejenigen, die auf der Karriereleiter nach oben klettern wollen, werden die sogenannten soft skills zum Zünglein an der Waage. Fachlich brillant zu sein, reicht nicht. Menschliches Einfühlungsvermögen entscheidet heute über Erfolg oder Misserfolg einer Führungskraft. Einer, der sich diesen Anforderungen gewachsen fühlt, ist Johannes Kuther. Der 31jährige ist jüngstes Mitglied der Geschäftsleitung bei der Diakonie Schweinfurt. Er leitet die Bereiche Controlling, IT und Einkauf. „Jeden Tag stehe ich neuen Herausforderungen gegenüber. Ich muss Entscheidungen treffen, die Projektteams koordinieren, mich mit meinen Mitarbeitern und Kollegen abstimmen und den Vorstand informieren“, so der Jung-Manager und Vater dreier Kinder. Johannes Kuther ist nach seinem Master-Studiengang „Innovation im Mittelstand“ (I2M) an der Hochschule für angewandte Wissenschaften

Info Hier finden Sie alle Informationen zu Do it!, dem Kongress „Mission Gesellschaft“ am 25./26.04.13 in Berlin und Service Learning: www.agentur-mehrwert.de Ihre Ansprechpartnerin: Gabriele Bartsch Geschäftsführung

Würzburg-Schweinfurt direkt bei der

Tel: +0711 12 37 57 37 [email protected]  

Diakonie eingestiegen. Er habe sich

 

von seiner Hochschule gut auf die Führungsaufgaben vorbereitet gefühlt, so Kuther. „Die I2M bietet eine gute Ausbildung in Sachen Sozialkompetenz. Die Studierenden lernen ihre Stärken und Schwächen kennen, und sie bekommen Methoden an die Hand, die sich in der Praxis bewährt haben.“ Das ist nicht selbstverständlich. Die Vermittlung sozialer Kompetenzen wird von vielen Hochschulen noch stiefmütterlich behandelt. Obwohl sie laut BolognaReform den Auftrag haben, ihre Absolventen gezielt für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Das bestätigt auch der Praxis-Check 2012, der unter anderem vom Centrum für Hochschulentwicklung herausgegeben wird. Erschwerend kommt hinzu, dass der gestraffte Stundenplan den Studierenden kaum Zeit lässt, sich diese Fähigkeiten außerhalb der Uni anzueignen. Beim Pauken der Theorie fällt die Charakterbildung nicht selten genug unter den Tisch.

Das Konzept Service Learning: Lernen durch Herausforderung

Johannes Kuther hatte Glück. Oder er hat sich gut informiert. Seine Hochschule geht in Sachen Persönlichkeitsentwicklung einen besonderen Weg. Service Learning nennt sich die Methode. Das bedeutet zunächst einmal, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben. Das Vertraute hinter sich zu lassen, völlig neue Erfahrungen zu machen, und daraus zu lernen. Johannes Kuther reiste dazu nicht an den Amazonas oder nach Papua-Neuguinea, sondern fuhr mit dem Auto in den Nachbarort. Er arbeitete vier Tage im St. Josefs-Stift in Eisingen, eine Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung. Er und seine vierzehn Kommilitonen nahmen 2011 an dem Pilotprojekt „Soziales Lernen“ teil, das die Hochschule Würzburg-Schweinfurt im Rahmen des Masterstudiengangs I2M initiierte und gemeinsam mit der Agentur mehrwert durchführte. Mittlerweile ist es ein fester Bestandteil der Lehrveranstaltung „Werteorientierte Personalführung“. Jedes Sommersemester arbeiten rund 20 Studierende für einige Zeit in den verschiedenen sozialen Einrichtungen. Die meisten von ihnen kommen zum ersten Mal mit einer Welt in Berührung, die sie so nicht kennen. Sie begegnen Schwerstbehinderten, alten und kranken Menschen, aber auch schwer erziehbaren Jugendlichen. Auf einmal müssen sie alles, was sie bisher über sich zu wissen glaubten, über Bord werfen. Das ist eine Erfahrung, die nachhaltig prägt, und bisweilen auch Karrierepläne verändert.

Das Konzept Service Learning stammt aus den USA. Hier hat ehrenamtliches Engagement eine weitreichende Tradition. Es gehört zum guten Ton, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben. An den amerikanischen Hochschulen ist Service Learning daher fest etabliert. Besonders an Business Schools kommt das Konzept zum Einsatz, weil der Blick über den Tellerrand zeigt, wie eng wirtschaftliches Handeln und gesellschaftliches Gemeinwohl miteinander verknüpft sind. In Deutschland war es die Agentur mehrwert, die das Prinzip Service Learning in Kooperation mit sozialen Einrichtungen an die Hochschulen brachte. Im Sommersemester 2002 wurde erstmals an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Reutlingen ein solches Projekt umgesetzt. Weil es darum geht, völlig neue Erfahrungen zu machen, nannten sie es Do it! Mittlerweile haben 32 Hochschulen das Projekt realisiert. Insgesamt 1274 Studierende konnten daran teilnehmen und auf diese Weise ihre Sozialkompetenzen stärken. Credit Points gab es obendrauf. Der theoretische Ansatz von Service Learning reicht weit zurück. Schon im 18. Jahrhundert vertrat Jean-Jacques Rousseau die Auffassung, dass die Erfahrung der Belehrung vorauseile. Auch der Amerikaner John Dewey, ein weiterer wichtiger Vertreter des erfahrungsbasierten Lernens, war der Ansicht, dass nur die Konfrontation mit herausfordernden Situationen die Quelle eines jeden Lernprozesses sein könne. Vereinfacht heißt das: Wir lernen durch Herausforderungen, durch den Austausch mit Andersdenkenden. Und noch eine Komponente ist in diesem Zusammenhang wichtig: Wir lernen, indem wir unsere Erfahrungen reflektieren. Auf dieser Grundlage basiert Service Learning. Und wo könnte man nicht besser voneinander und miteinander lernen, als in einem Obdachlosenheim, einem Hospiz oder einer Behindertenwerkstatt? Also einem Ort, der den meisten von uns fremder ist, als die Ferne. Johannes Kuther hat sich auf das Abenteuer Lernen eingelassen. Er hatte zuvor noch nie mit geistig beeinträchtigten Menschen zusammengearbeitet. Im St. Josefs-Stift lernte er verschiedene Einrichtungen kennen, von der offenen bis zur geschlossenen Wohngruppe. Eine ganze Bandbreite neuer Erfahrungen durfte er machen, darunter waren auch einige sehr herausfordernde Situationen. Unterm Strich überwiegen jedoch die positiven Erlebnisse. An einen Moment erinnert sich Johannes Kuther noch genau. Ein geistig behinderter Mann, der für gewöhnlich sehr verschlossen und in sich gekehrt war, habe auf einem

gemeinsamen Spaziergang auf einmal angefangen zu lachen. „Das hat der bei einem Fremden noch nie gemacht“, wunderten sich sogar die Betreuer. Über dieses Lob freut sich Johannes Kuther noch heute. Es sind Erlebnisse wie diese, von denen die Studierenden nachhaltig profitieren. Denn dahinter verbirgt sich eine weitreichende Erkenntnis: „Auch wenn ich anfangs unsicher bin, kann ich vieles meistern.“ Solche Erfahrungen schaffen Vertrauen in die eigene Kompetenz. Natürlich werden die Teilnehmer eines Service Learning-Projekts nicht sich selbst überlassen. Die Aufenthalte in den sozialen Einrichtungen werden in Workshops intensiv vor- und nachbereitet. Vor allem die Nachbereitung, oder auch Reflexion, spielt eine entscheidende Rolle. Hier geht es darum, einen Schritt zurückzutreten und das Erlebte mit Abstand zu betrachten. Auf diese Weise werden die Erfahrungen verankert und können auf spätere Situationen im Berufsleben übertragen werden. „Ohne den Prozess der Reflexion“, sagt Kathrin Vogelbacher von mehrwert, „wäre Service Learning nur halb so wirksam.“ Auch Johannes Kuther bestätigt, dass die abschließende Arbeit in der Gruppe ihm den größten Lerneffekt verschafft habe. In gewisser Weise nutzt er das noch heute. Bewusst nimmt er sich die Zeit, um sein Verhalten als Chef immer wieder zu reflektieren und zu überprüfen.

A Winning-Team: Studierende, Hochschulen und soziale Einrichtungen

Beispiele und Ideen für Service Learning-Projekte gibt es genügend. Entscheidend dabei ist, welche Kompetenzen gefördert werden sollen. Wenn beispielsweise ein Architekturstudent ein Wohnhaus für Demenzkranke entwirft, stehen die Fach- und Methodenkompetenzen im Mittelpunkt (fachspezifischer Ansatz). Arbeitet eine BWL-Studentin in einem Heim für Obdachlose, geht es darum, Personal- und Sozialkompetenzen zu schulen (fachübergreifender Ansatz). Die von der Agentur mehrwert durchgeführten Do it!-Projekte, sind in den meisten Fällen fachübergreifend. Auch bei Johannes Kuther ging es nicht um den fachlichen Bezug zu seinem Studium, sondern darum, sich als Mensch weiterzuentwickeln. Studien zeigen, dass die Rechnung aufgeht – für alle Beteiligten. Das soziale Engagement stärkt das Selbstwertgefühl der Studierenden und schult – je nach Ansatz – Fach-, Methoden- oder Sozialkompetenzen. Es schärft den Blick für

gesellschaftspolitische Probleme, baut Vorurteile ab und schafft Verständnis für andere. Soziale Einrichtungen profitieren von dem fachlichen Know-how der Studierenden, oder von deren ganz pragmatischer Unterstützung im Alltag. Die hauptamtlichen Mitarbeiter fühlen sich entlastet, und die betreuten Menschen freuen sich, dass jemand voll und ganz für sie da ist. Auch für die Hochschulen liegen die Vorteile klar auf der Hand. Gerade kleine Hochschulen können im Zeitalter der Rankings durch ein interessantes Profil in puncto Berufsqualifizierung und Persönlichkeitsentwicklung auffallen. Denn auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, ist vielleicht in Zukunft das größte Potenzial junger Menschen. „In unserer schnelllebigen Zeit ist es wichtig, den Studierenden nicht nur ein Bewusstsein für Veränderung zu vermitteln, sondern auch die Fähigkeit mit Veränderungen umzugehen.“, so Frau Prof. Dr.-Ing. Christine Wegerich von der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, die das Projekt „Soziales Lernen“ initiiert hat. Soziales Engagement an Hochschulen kann jedoch weit über die angebotsorientierte Haltung hinausgehen. Dahinter steckt ein völlig neues Selbstverständnis. Die Hochschule der Zukunft versorgt die Gesellschaft nicht nur mit Wissen, sondern gestaltet sie aktiv mit. Sie bringt Studierende, Unternehmen und soziale Einrichtungen zusammen, und greift damit neue Lernund Themenfelder auf. Damit wird sie nicht nur dem Arbeitsmarkt gerecht, sondern auch der Gesellschaft. Während in vielen Ländern gesellschaftliches Engagement an Hochschulen selbstverständlich ist, stecken wir in Deutschland diesbezüglich noch in den Kinderschuhen. Aber es gibt vielversprechende Ansätze. An dem Förderprogramm „Mehr als Forschung und Lehre“ des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft und der Stiftung Mercator haben sich über 80 Hochschulen beteiligt. Auf dem Fachkongress „Mission Gesellschaft“ vom 25. – 26. April in Berlin werden die Ergebnisse und Erfahrungen vorgestellt. Auch die Agentur mehrwert präsentiert das von der Robert Bosch Stiftung geförderte Programm Do it!.

Service Learning, so wie es Johannes Kuther praktiziert hat, ist nur eine Form, wie gesellschaftliches Engagement an Hochschulen aussehen kann. Es zeigt aber deutlich, wohin die Reise geht. Der gelernte Industriekaufmann und Wirtschaftsingenieur würde heute nicht bei der Diakonie arbeiten, wenn er während seines Masters nicht mit sozialen Einrichtungen in Berührung gekommen wäre. Er konnte auf diese Weise nicht nur seine soft skills weiterentwickeln, er hat auch eine völlig neue Perspektive für seine Karriere gefunden. Und noch einen Vorteil kann er für sich verbuchen: Seit Johannes Kuther für die Diakonie Schweinfurt arbeitet, muss er sich die Sinnfrage nicht mehr stellen.