Soziale Inklusion und Lebenslange Bildung

Soziale Inklusion und Lebenslange Bildung Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Soziale ale Inklusion von Menschen mit mehrfachen m en Behinderung...
Author: Ernst Baumann
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Soziale Inklusion und Lebenslange Bildung Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Soziale ale Inklusion von Menschen mit mehrfachen m en Behinderungen: B Computergestützte Schreibwerkstatt als Teil Lebenslangen Lernens“ 1.03.2012 – 31.3.2015

Kristin Sonnenberg & Anneke Arlabosse

Soziale Inklusion und Lebenslange Bildung –Abschlussbericht Abschlussbericht des Forschungsprojektes: „Soziale Inklusion von Menschen mit mehrfachen Behinderungen: Computergestützte Schreibwerkstatt als Teil Lebenslangen Lernens“ Lernens

Impressum Herausgeberinnen Prof. Dr. Kristin Sonnenberg & Anneke Arlabosse, M.A. Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen Westfalen-Lippe, Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Diakonie Immanuel-Kant-Str. 18-20, 20, 44803 Bochum Kontakt: Prof. Dr. Kristin Sonnenberg, [email protected], sonnenberg@efh [email protected] Mitwirkende im Forschungsprojekt Projektteam der Ev. Fachhochschule R-W W-L Projektleiterin: Prof. Dr. Sonnenberg Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Anneke Arlabosse, M.A. Studentische Mitarbeiterinnen Kooperationspartner Blaues Kreuz Diakonieverein e.V. Werkstatt für behinderte Menschen, Ev. Stiftung Volmarstein Abbildungen und Fotos Symbole: © Daniela Franken (Deckblatt und Text:), Fotos: eigene Aufnahmen Druck: Copypoint Bochum, 1. Auflage, 2015, 45 Stück Alle Rechte auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung vorbevorb halten. Jegliche Vervielfältigung ist den Herausgeberinnen anzuzeigen und mit ihnen abzustimmen. Das dieser Publikation zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und ForFo schung unter dem Förderkennzeichen 01WS120202 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser VeröffentliVeröffentl chung liegt bei den jeweiligen Autorinnen.

Inhalt Vorwort (Gerhard Schäfer) ...................................................................................................................... 6 Vorwort (Kathrin Römisch) ...................................................................................................................... 7 Einleitung in die Broschüre (Kristin Sonnenberg, Anneke Arlabosse)..................................................... 8 Teil I: Theoretische Verortung ............................................................................................................... 10 1 Medienbildung mit Erwachsenen mit Behinderungen: Herausforderung und Chance für gelingende Teilhabe (Ingo Bosse)...................................................................................................... 10 1.1

Medienkompetenz als Schlüssel zu Teilhabe .................................................................... 10

1.2

Inklusive Medienbildung für Erwachsene mit Behinderungen ......................................... 13

1.3

Medienkompetenz in Bildung, Freizeit und Arbeitswelt ................................................... 16

1.4

Barrierefreie Teilhabe an Bildungsangeboten................................................................... 17

1.4.1

Die Gestaltung der Informationen zu den Angeboten .................................................. 18

1.4.2

Die physische Zugänglichkeit ......................................................................................... 19

1.4.3

Die barrierefreie Gestaltung der Inhalte von Veranstaltungen .................................... 20

1.5

Erfahrung mit Angeboten zur inklusiven Erwachsenenbildung mit Medien..................... 20

Literatur ......................................................................................................................................... 22 Teil II: Begleitforschung (Anneke Arlabosse & Kristin Sonnenberg) ..................................................... 25 2

Projektbeschreibung ................................................................................................................. 25 2.1 2.1.1

Die UN-BRK .................................................................................................................... 25

2.1.2

Grundverständnis .......................................................................................................... 26

2.2 3

Einführung – zur theoretischen Begründung und Einordnung des Projektes ................... 25

Das Projekt „Computergestützte Schreibwerkstatt“ ........................................................ 27

Das Forschungsdesign ............................................................................................................... 30 3.1

Zielgruppe .......................................................................................................................... 30

3.2

Forschungsfragen .............................................................................................................. 30

3.3

Überblick der durchgeführten Forschungsmethoden ....................................................... 31

3.3.1

Leitfadengestützte Experteninterviews ........................................................................ 32

3.3.2

Beobachtungen ............................................................................................................. 36

3.3.3

Gruppendiskussionen mit den Fortbildner_innen ........................................................ 37

3.3.4 Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstatt für behinderte Menschen ...................................................................................................................................... 39 3.4

Güte der Daten .................................................................................................................. 41

3.5

Aufbereitung und Auswertung der erhobenen Daten ...................................................... 43

3.6

Forschungsethik................................................................................................................. 44 3

4

Ergebnisse.................................................................................................................................. 46 4.1

Erweiterung der subjektiven Teilhabemöglichkeiten........................................................ 46

4.1.1

Lesekompetenz.............................................................................................................. 46

4.1.2

Schreibkompetenz ......................................................................................................... 47

4.1.3

Computerkompetenz .................................................................................................... 47

4.1.4

Internetkompetenz........................................................................................................ 49

4.2

Bedingungen inklusiver Lehr- Lernarrangements in der Erwachsenenbildung ................ 50

4.2.1

Ausstattung ................................................................................................................... 50

4.2.2

Persönliche Ebene der einzelnen Teilnehmer_innen .................................................... 53

4.2.3

Kursgruppe .................................................................................................................... 57

4.2.4

Unterstützung................................................................................................................ 60

4.2.5

Rolle der Fortbildner_innen .......................................................................................... 64

4.2.6

Partizipationsmöglichkeiten .......................................................................................... 67

5

Erkenntnisse und Konsequenzen .............................................................................................. 72 5.1

Reflexion des Forschungsprojekts ..................................................................................... 72

5.1.1

Methodisches Vorgehen ............................................................................................... 72

5.1.2

Projektorganisation, Zusammenarbeit zwischen den Kooperationspartnern .............. 73

5.1.3

Fachtag .......................................................................................................................... 74

5.2

Theoretische Diskussion der Ergebnisse ........................................................................... 75

5.2.1

Erweiterung subjektiver Teilhabemöglichkeiten........................................................... 75

5.2.2

Bedingungen inklusiver Lehr-Lernarrangements in der Erwachsenenbildung ............. 76

Literatur ......................................................................................................................................... 80 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................... 82 Tabellenverzeichnis ....................................................................................................................... 83 Teil III: Anhang - Symbolkarten ............................................................................................................. 84 Anhang – Erfahrungsberichte aus der Praxis ........................................................................................ 86 1.

Computerkurse (Ulla Brokemper) ......................................................................................... 86

1.1

Das Bildungsangebot im Überblick .................................................................................... 86

1.2

Reflexion des Kursverlaufes .............................................................................................. 88

1.3

Empfehlungen zur Anpassung des Bildungsangebotes ..................................................... 90

2.

Rehasport- und Entspannungskurse (Peter Staudinger) ....................................................... 92

2.1

Gruppen ............................................................................................................................. 92

2.2

Teamer............................................................................................................................... 93

2.3

Setting................................................................................................................................ 93

2.4

Material ............................................................................................................................. 94 4

2.5

Individuelle Voraussetzungen ........................................................................................... 95

2.6

Zeit ..................................................................................................................................... 97

2.7

Kommunikation ................................................................................................................. 97

2.8

Spiele, Bewegungsformen, Rituale .................................................................................... 98

Übersicht Kursinhalte ...................................................................................................................... 101 Arbeitsblätter Computerkurs .......................................................................................................... 105

5

Vorwort

Gerhard Schäfer

Vorwort (Gerhard Schäfer) „Soziale Inklusion und Lebenslange Bildung“ so der Titel der vorliegenden Veröffentlichung, in welchem die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Soziale Inklusion von Menschen mit mehrfachen Behinderungen. Computergestützte Schreibwerkstatt als Teil Lebenslangen Lernens“ vorgestellt werden. Dieses Projekt ist in Kooperation zwischen der Evangelischen Fachhochschule RheinlandWestfalen-Lippe, dem Blaues Kreuz Diakonieverein e.V. und der Evangelischen Stiftung Volmarstein durchgeführt worden. Die Leitung des Projekts hatte Frau Prof. Dr. Kristin Sonnenberg (EFH RWL) inne. Computergestützte Schreibwerkstatt – das Projekt steht im Zusammenhang mit dem Thema Inklusion. Inklusion ist ein gesellschaftspolitisches Schlüsselthema. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen hat eine neue Dynamik erzeugt. Mit dem Thema Inklusion werden Lebenslagen und Teilhaberechte von Menschen mit Behinderung neu wahrgenommen. Und es geht um die Wertschätzung von Vielfalt. Vielfalt im Miteinander, Vielfalt als Entwicklungsschritt im eigenen Leben. Inklusion setzt voraus: „Es ist normal, verschieden zu sein.“ Das ist eine schlichte Formel und zugleich eine Formel, die viele Fragen aufwirft. Wie können wir Vielfalt im Miteinander gestalten, in Partnerschaft und Familie, in Schule und Hochschule, in den Bereichen der Arbeit und des Wohnens? Es ist gut, dass es Projekte wie dieses gibt. Da werden konkrete Fragen gestellt und Antworten gesucht. Da ergeben sich wichtige Hinweise, die weiter führen auf dem langen Weg zur Inklusion. Der abschließende Fachtag fand am 15.01.2015 in der Martinskirche in Volmarstein statt. Ich habe vor einigen Jahren an einem Sonntag in dieser Kirche an einem Gottesdienst teilgenommen. Das war für mich damals sehr eindrücklich. Es war ein Mitmachgottesdienst. Auf dem Seitenaltar vor den großen, bunten Fenstern lagen Kuscheltiere. Daneben war eine Schaukel aufgehängt. Orffsche Instrumente standen bereit. Ganz unterschiedliche Menschen feierten miteinander Gottesdienst - in Rollstühlen, auf fahrbaren Betten oder auf Stühlen. Es wurde fröhlich gesungen und laut gestöhnt, Musik gemacht und gemalt. Anschließend gab es Kaffee, Tee und Kuchen. Alle waren beteiligt und erlebten und gestalteten Gemeinschaft. Man hat diese Gottesdienste damals in Volmarstein integrative Gottesdienste genannt. Sie brachten aber sehr wohl zum Ausdruck, was wir heute mit dem Wort Inklusion meinen. Ich freue mich sehr, dass Sie Interesse an dem Projekt und dessen Ergebnissen haben. Ich danke allen herzlich, die dieses Projekt möglich gemacht haben. Das Projekt wurde gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Mein Dank geht nach Bonn und Berlin sowie an die Stiftung Volmarstein und an den Blaues Kreuz Diakonieverein e.V. für die Zusammenarbeit. Danke den Frauen und Männern in der Werkstatt für behinderte Menschen der Stiftung. Danke Frau Sonnenberg und Frau Arlabosse. Danke allen, die beteiligt waren. Ich hoffe, dass Erkenntnisse, die in diesem Projekt gewonnen wurden, viele Menschen erreichen. Ich wünsche Ihnen einen spannende Lektüre, interessante Anregungen für den fachlichen Diskurs und neue Einsichten auf dem Weg zur Inklusion. Prof. Dr. Gerhard K. Schäfer Rektor der EFH RWL 6

Vorwort

Kathrin Römisch

Vorwort (Kathrin Römisch) „Google das doch mal gerade!“ - Ein Satz, der tagtäglich unzählige Male fällt, wenn irgendwo eine Frage auftaucht, sei sie noch so banal oder noch so komplex. Sobald wir etwas nicht wissen, wird als erstes das Internet befragt, in Zeiten von Smartphones sogar ohne jeglichen zeitlichen Verzug, nämlich unmittelbar und direkt in der entsprechenden Situation. Der Zugang zu Information und damit auch zu Bildung ist extrem niedrigschwellig geworden. Als Angela Merkel beim Besuch von Barack Obama den Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ ausgesprochen hatte, haben sich die (neuen) Medien mit Hohn und Spott über sie überschlagen. Für wen ist denn heute das Internet noch Neuland, fragte man sich... Was für die meisten unvorstellbar ist, ist für einen Teil unserer Gesellschaft Realität, nämlich zum Beispiel für viele Menschen mit (kognitiven und mehrfachen) Beeinträchtigungen. Menschen, die entweder aufgrund geringer Lese- und Schreibkompetenz diese Medien nicht nutzen, häufiger aber sicherlich aufgrund der Tatsache, gar nicht erst Zugang zu ihnen zu bekommen. Computer und Internet haben noch lange keinen flächendeckenden Einzug in die Lebenswelten behinderter Menschen erhalten, eher im Gegenteil bleibt der Zugang zu neuen Medien bisher wohl eher die Ausnahme, so ist das Internet für diese Menschen tatsächlich noch Neuland. Häufig greifen hier, wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, paternalistische Fürsorgestrukturen, also der Verweis auf Risiken und Gefahren, die mit der Nutzung neuer Medien einhergehen, vor denen Menschen geschützt werden müssen, außer Acht lassend welche Gefahren damit einhergehen, neue Medien nicht nutzen zu können. Menschen, die kaum Zugang zu Medien, insbesondere zum Computer resp. dem Internet haben, werden offensichtlich beträchtliche Bildungschancen verwehrt. Mit dem Vorenthalten von neuen Medien gehen nicht nur extreme Bildungsbenachteiligungen einher, auch bei den Möglichkeiten für soziale Kontakte, die heute vielfach über neue Medien passieren, bleiben Menschen mit Beeinträchtigungen (insbesondere in Institutionen) auf der Strecke und werden von der Kommunikationsgesellschaft abgehängt. Menschen mit Beeinträchtigungen brauchen also zwingend mediale Kompetenzen, um den Forderungen nach sozialer und kultureller Teilhabe gerecht zu werden. Der vorliegende Abschlussbericht möchte genau hierzu einen Beitrag leisten und Wege aufzeigen, wie die Förderung medialer Kompetenzen im Rahmen lebenslangen Lernens tatsächlich zu einer Förderung der Teilhabechancen beitragen kann und wie Bildungsangebote hierzu gestaltet sein sollten. Das zugrundliegende Forschungsprojekt hat aufgezeigt, dass Menschen mit mehrfachen Beeinträchtigungen sich sehr bewusst sind, dass Teilhabe und soziale Inklusion heutzutage viel über die neuen Medien funktioniert und erfahren einen hohen Nutzen durch die Erweiterung medialer Kompetenzen, so kann dies einerseits eine Verbesserung der Lese- und Schreibkompetenzen nach sich ziehen, andererseits insbesondere die Teilhabechancen und Mitwirkungsmöglichkeiten erheblich verbessern. Das Forschungsprojekt hat den Zahn der Zeit getroffen und die Ergebnisse werden hoffentlich dazu beitragen, die Lebenswelten von Menschen mit mehrfachen Beeinträchtigungen digitaler zu gestalten, um somit Bildungs- und Teilhabechancen zu realisieren. Prof. Dr. Kathrin Römisch Professorin für Heilpädagogik - Begleitung von Menschen mit Behinderungen im Erwachsenenalter Beauftragte für die Belange behinderter und chronisch kranker Studierender, EFH RWL, Bochum 7

Einleitung

Kristin Sonnenberg & Anneke Arlabosse

Einleitung in die Broschüre (Kristin Sonnenberg, Anneke Arlabosse) Der vorliegende Abschlussbericht trägt den Titel: Soziale Inklusion und Lebenslange Bildung – Ergebnisse des Forschungsprojektes: „Soziale Inklusion von Menschen mit Mehrfachbehinderung: Computergestützte Schreibwerkstatt als Teil Lebenslangen Lernens“. Ausgangslage für ihr Erscheinen ist zunächst der erfolgreiche Abschluss des Forschungsprojektes. Im Mittelpunkt der Veröffentlichung stehen die Ergebnisse und deren Diskussion im aktuellen fachwissenschaftlichen Diskurs. Es lässt sich feststellen, dass seit des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahre 2009 in Deutschland ein intensiver Diskurs um inklusive Bildung angestoßen wurde. Dieser findet vor allem im Bereich von Schule und Schulentwicklung statt. Der Bereich der Erwachsenenbildung ist von dieser Diskussion weitgehend ausgenommen. Mit Antragstellung Ende des Jahres 2011 war die Ausgangslage zu Forschungen im Bereich der Bildungsangebote für erwachsene Menschen Behinderungen sehr begrenzt. Ausnahmen bilden hier die Forschungen von BOSSE (2013a; 2013b)1 und ACKERMANN et al. (2012), die bereits in der Schriftenreihe „Erwachsenenbildung konkrete“ und auch in Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung, DIE, (BURTSCHER et al. 2013) einen Fokus auf den Bildungsbereich für Erwachsene setzen. „Die Nutzung neuer Medien, wie Computer und Internet, erhält auch für Menschen mit Behinderungen eine immer stärkere Bedeutung, um an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben zu können.“ (SONNENBERG, ARLABOSSE 2014). Diesem Thema widmet sich unsere Forschung. Im Mittelpunkt steht die These, dass Angebote der Medienbildung einen wesentlichen Einfluss auf die Verbesserung der Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen haben. Wir orientieren uns u.a. an Erkenntnissen von Barbara FORNEFELD (2012), die einen direkten Zusammenhang zwischen Bildungs- und Teilhabeprozessen herleitet (vgl. ebd.). Der Bildungsprozess wird beschrieben als Auseinandersetzung mit Personen und Themen in sozialen Situationen der Begegnung. Angesprochen sind hier insbesondere die soziale und kulturelle Teilhabe. Zentral hierbei ist der „Eigensinn“ der Subjekte, also die subjektive Sinndeutung Einzelner. Im Mittelpunkt der Begleitforschung stehen die Menschen, die an Bildungsangeboten teilnehmen und für die wiederum gelingende Inklusionsbedingungen relevant sind. Die Veröffentlichung ist in drei Teile gegliedert. Zunächst wird im ersten Teil der aktuelle fachtheoretische Diskurs als Rahmen und Ausgangspunkt für das in Teil II dargestellte Forschungsprojekt, welches im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht. Ingo Bosse, Junior-Professor an der TU in Dortmund stellt in seinem Artikel den aktuellen Stand der Entwicklung und die Bedeutung der Medienkompetenz für Menschen mit Behinderungen dar. Voraussetzungen für gelingende Medienbildung werden formuliert und aus der Theorie, hier insbesondere der aktuelle Diskurse zu Medienbildung und Medienkompetenz abgeleitet. Die Zusammenhänge von dem Erwerb von Medienkompetenz und der Erweiterung von Teilhabemöglichkeiten werden herausgearbeitet. Im zweiten Teil wird das Forschungsprojekt umfassend in allen Phasen dargestellt. Teil II ist gegliedert in eine einführende Verortung des Themas in den aktuellen Forschungsstand und die Theoriediskurs, eine Grundlegung der Forschungsfragen und Forschungsdesigns sowie der Darstellung und 1

Die in der Einleitung verwendeten Literaturangaben befinden sich im Literaturverzeichnis in Teil II. 8

Einleitung

Kristin Sonnenberg & Anneke Arlabosse

Interpretation der Ergebnisse. Abschließend werden Erkenntnisse und Konsequenzen aus dem Projekt aus wissenschaftlicher Sicht zusammengefasst und ein Ausblick auf zukünftige Herausforderungen gegeben. Teil III stellt den umfangreichen Anhang dar. Hier finden sich zusätzliche Materialien. So wird hier ein Einblick in die Perspektive der Fortbildner_innen durch deren Erfahrungsberichte gewährt, in denen sie das Projekt beschreiben und reflektieren und Verbesserungsvorschläge entwickeln. Ausgewählte Arbeitsblätter, die in den Kursen von den Fortbildner_innen entwickelt worden sind, gewähren einen Einblick in die durchgeführte Arbeit. Hierbei handelt es sich um Einzelreflektionen, die im Ergebnis nicht immer mit den fachwissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmen. Das dieser Publikation zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01WS120202 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den jeweiligen Autorinnen.

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Teil I: Theoretische Verortung

Ingo Bosse

Teil I: Theoretische Verortung 1 Medienbildung mit Erwachsenen mit Behinderungen: Herausforderung und Chance für gelingende Teilhabe (Ingo Bosse) Kurzfassung: Die Förderung von Medienkompetenz durch Medienbildung gewinnt bei der Gestaltung inklusiver Bildungs- wie auch Freizeitangebote zunehmend an Bedeutung. Das Kapitel setzt sich mit den Voraussetzungen für gelingende Medienbildung mit Erwachsenen mit Behinderungen auseinander. Dazu werden zunächst aktuelle Diskurse zu Medienbildung und Medienkompetenz nachgezeichnet. Im Anschluss wird ein Blick darauf geworfen, wie Konzeptionen für Medienbildungsangebote für Erwachsene mit Behinderung vor diesem Hintergrund ausgestaltet sein sollten. Welche Ansätze für eine inklusive Mediendidaktik sind vorhanden? Neben dieser theoretischen Einordnung stehen Erfahrungen und Wissensstände zu konkreten Möglichkeiten der Kompetenzerweiterung durch Medien im Fokus des Artikels. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, wie der Erwerb von Medienkompetenz Teilhabemöglichkeiten erweitern und Empowermentprozesse voranbringen kann.

1.1 Medienkompetenz als Schlüssel zu Teilhabe In den Bildungswissenschaften gibt es Themen, die eine Zeitlang intensiv diskutiert werden, die dann aber wieder in der Versenkung verschwinden. Das Thema Medienbildung kann hingegen zu den Megatrends gezählt werden. Im Informationszeitalter gehört Medienbildung zu den gesellschaftspolitischen Kernthemen. Ebenso gehört der Diskurs um individualisiertes und differenziertes Lernen zum festen Kanon der Bildungswissenschaften. In den letzten Jahren sind der damit verbundene Diskurs um gleiche Teilhabechancen und die Frage nach der Inklusion von Menschen mit Behinderung in den besonderen Fokus gerückt. Mit dem Begriff der Mediatisierung, abgeleitet aus dem englischen Terminus „mediatization“, wird ein ähnlich übergreifender Entwicklungsprozess wie Globalisierung oder Individualisierung bezeichnet. Es geht um die zunehmende Prägung von Kultur und Gesellschaft durch Medienkommunikation. In mediatisierten Handlungsfeldern und Sozialwelten haben sich die relevanten Formen gesellschaftlicher Praktiken und kultureller Sinngebung untrennbar mit Medien verschränkt (vgl. KROTZ 2011). In modernen Gesellschaften gehören Medien bereits von frühester Kindheit an zur Lebenswelt, Kinder und Jugendliche wachsen heute in sogenannten mediatisierten Welten auf. Kulturelle Sinngebung ist untrennbar mit Medien verknüpft. In der Mediengesellschaft hängen gesellschaftliche Teilhabe und beruflicher Erfolg maßgeblich von den Fähigkeiten jedes einzelnen ab, sich in, mit und durch Medien zu artikulieren. An konkreten Zahlen wird diese Entwicklung ablesbar, wenn man einen Blick auf die Medienbeschäftigung von Jugendlichen in der Freizeit wirft.

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Teil I: Theoretische Verortung

Ingo Bosse

Abb. 1.: Medienbeschäftigung in der Freizeit (Quelle: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2013, 15)

Medienkonsum prägt gesellschaftliches Orientierungs- und Deutungswissen. Medien können der Identitätsbildung und Selbstvergewisserung dienen (vgl. ROSENBERGER, EVERS 2006). Gerade das Wissen über Bevölkerungsgruppen, die nicht im Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten stehen, wird medial geprägt. Auf Menschen mit Behinderung, die trotz aller Veränderungen, die das Leitziel der Inklusion mit sich bringen, weiterhin überwiegend Sonderinstitutionen nutzen, trifft dies zu. So hat z.B. der Kinoerfolg „Rain Main“ die öffentliche Wahrnehmung von Autismus nachhaltig geprägt, obwohl die dort präsentierten Stereotype mit dem alltäglichen Leben von Menschen mit Autismusspektrumstörungen nur wenig gemein haben. Im Kontext des in dieser Dokumentation beschriebenen Projektes ist es von besonderer Relevanz, dass der Mediatisierungsprozess dazu geführt hat, dass Mediennutzung heute zur Selbstverwirklichung gehört und als unabdingbare Voraussetzung für Teilhabe an Kultur und am Arbeitsmarkt beschrieben wird (vgl. EICKELMANN 2010, 11; NIESYTO 2010, 314). Dies gilt für alle Menschen, unabhängig von individuellen Beeinträchtigungen. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass wir zugleich in einer Welt leben, in der jede Regung, jede Äußerung, jede Aktivität eines Menschen zum Gegenstand privatwirtschaftlicher und staatlicher Beobachtungs-, Kontroll- und Überwachungsnetze werden kann. Durch die Spähaktionen der amerikanischen und britischen Geheimdienste, die sich offensichtlich einen umfassenden Zugriff auf Internet- und Fernmeldedaten verschafft haben, ist dieser Sachverhalt nochmals sehr nachdrücklich ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden. Die Daten und Datenspuren, die von den Nutzern bei ihren

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Teil I: Theoretische Verortung

Ingo Bosse

Tätigkeiten in elektronischen Kommunikationsnetzen, Kommunikationsnetzen, ob nun mit Absicht oder beiläufig, produziert werden, sind längst ins Visier interessierter Akteure geraten. Gerade vor diesem Hintergrund ist es relevant, umfassende Medienkompetenz zu erlangen, um diese Prozesse kritisch einordnen zu könk nen. Wenn man Medienkompetenz als einen Schlüssel zur Teilhabe versteht, ist es zunächst notwendig, sich mit den damit verbundenen Begrifflichkeiten auseinanderzusetzen. Unter Kompetenz wird weiwe thin ein Ensemble von Kenntnissen (Wissen und Praxiserfahrung), ung), Fertigkeiten (Können) und HaltunHaltu gen (Einstellungen, Werthaltungen, normative Überzeugungen, „Moral“) verstanden (WEINERT ( 2001). Der Erwerb, wie auch die Vermittlung von Medienkompetenz als Ziel, wird über den Prozess der Medienbildung angeregt (TULOD TULODZIECKI 2010). Es geht letztlich darum, Kompetenz für MedienMedie handeln zu erwerben. KERRES differenziert dabei wie folgt: … an Wissen und kulturellen Leistungen teilhaben (Sachbezug) … die Persönlichkeit und eigene Identität entwickeln (Selbstbezug) und … an gesellschaftlicher esellschaftlicher Kommunikation partizipieren (Sozialbezug) (KERRES (KERRES 2012, 51). Medienkompetenz besteht aus den Fähigkeiten Informationen zu beziehen, analysieren, evaluieren und in unterschiedlichen Formen zu verbreiten, z.B. als geschriebene oder nicht geschriebene Nachrichten. Medienkompetenz beinhaltet somit die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es Menschen ere möglichen an der Wissensgesellschaft teilzuhaben, dazu gehört auch die kritische Mediennutzung. Von wesentlicher Bedeutung bei der Gestaltung von Bildungsangeboten ist das Bewusstsein, dass es bei dem Erwerb von Medienkompetenz nicht ausschließlich um den technischen Zugang geht. MeM dienkompetenz umfasst den Zugang, die Analyse, die Evaluation, Kommunikation und kritische RefRe lektion im Umgang mit Medien. dien. In Modellen zur Medienkompetenz, wie dem hier dargestellten nach Moser, wird der Stellenwert dieser reflexiven Medienkompetenz deutlich:

• medienadäquate Kommunikatio nsformen bedienen können

• Bedienung und Vermittlung

tech technisch

kulturell

sozial

reflexiv • Informationen sachlich einschätzen & einordnen

• verschiedene Aneignungsstrategien bedienen

Abb. 2: Dimensionen von Medienkompetenz (vgl. BAUMANN 2005, 99 f.)

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Teil I: Theoretische Verortung

Ingo Bosse

Der kompetente wie auch kritische Umgang mit digitalen Medien wird neben Lesen, Schreiben und Rechnen als neue Kulturtechnik gesehen, die insbesondere Menschen mit Behinderung neue Möglichkeiten eröffnet (vgl. RICHIGER-NÄF 2010, SFIB 2009, ZENTEL 2009).

1.2 Inklusive Medienbildung für Erwachsene mit Behinderungen Wenn die Rede von Menschen mit Behinderung ist, geht es um eine äußerst vielfältige Gruppe. Die Bundesregierung unterscheidet in ihrem Teilhabebericht zwischen Beeinträchtigung und Behinderung. Diesem Verständnis wird hier gefolgt, da es internationale Tendenzen aufgreift, Behinderung weniger defizitorientiert als medizinische Kategorie zu betrachten, sondern vielmehr als ein Zusammenspiel von biologischen, sozialen und Umweltfaktoren. Dieses Verständnis drückt sich am deutlichsten in der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Behinderung aus. Mit ihrer „Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)“ hat die WHO eine international anerkannte Grundlage geschaffen, Gesundheitszustände differenziert zu beschreiben. Die Weltgesundheitsorganisation macht deutlich, dass Behinderung keine individuelle Problemlage, sondern ein Interaktionsergebnis zwischen Individuum und Gesellschaft darstellt. Umgangssprachlicher gesagt: Der Mensch ist nicht behindert, er wird behindert. Personen erfahren erst eine Behinderung, wenn sie trotz Unterstützung bzw. Assistenz nicht gleichberechtigt teilhaben können. Das Zusammenwirken der unterschiedlichen Faktoren ist nicht statisch, sondern kontextabhängig, da niemand jederzeit und überall eine Behinderung erfährt.

Abb. 3: Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF wurde abgedruckt mit freundlicher Erlaubnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Alle Rechte liegen bei der WHO.

Das Modell der ICF zielt eindeutig nicht auf Personen, sondern auf Situationen. Wie Abbildung 3 deutlich macht, beruht das Modell auf der Wechselwirkung der Charakteristika der Personen und den jeweiligen Umweltfaktoren in spezifischen Lebenssituationen und verschiedenen Lebensbereichen. Behinderung ist nicht etwas, was eine Person hat, sondern eine Situation der Beeinträchtigung. Das Modell enthält bereits die Vorstellung von Partizipation und Teilhabe. Beide Begriffe sind eng mit dem inzwischen noch stärker in den Fokus gerückten Begriff der Inklusion verbunden. Die Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen 2006 und ihre Ratifizierung 2008 hat diesen als Verpflichtung verstandenen Prozess, die gleichberechtigte Teilhabe von Men13

Teil I: Theoretische Verortung

Ingo Bosse

schen mit Behinderung in allen gesellschaftlichen Bereichen umzusetzen, nochmals beschleunigt. Inklusion ist das erklärte Ziel. In der Präambel wird deutlich, es geht um “die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (Bundesgesetzblatt 2008, 1419ff.). Häufig wird in diesem Zusammenhang von einem Paradigmenwechsel gesprochen. Ob sich der Begriff Paradigma, wie er heute in der Heil- und Sonderpädagogik verwendet wird, mit dem Paradigmenbegriff seines Urhebers Thomas S. Kuhn (1988) deckt, ist strittig. Eindeutig ist, dass ein Perspektivenwechsel stattgefunden hat. Dabei hat sich sowohl eine Veränderung der Eigensicht der Betroffenen vollzogen, als auch ein Wandel in der Blickrichtung der Menschen, die beruflich in den entsprechenden Systemen engagiert sind. Die neuen Leitideen „Inklusion und Teilhabe“ führen zu einem Umbau der Institutionen des Rehabilitationssystems. Teilhabe ist der zentrale Schlüsselbegriff dieses Dokumentes. Er stellt in enger Verbindung mit dem Begriff der Inklusion den Verständnishintergrund der Behindertenrechtskonvention und zugleich den wichtigsten Prüfstein für ihre Umsetzung dar (vgl. WANSING 2012: 93). Teilhabe und Inklusion werden im völkerrechtlich bindenden englischen Text der Konvention als unmittelbar miteinander verbundene Zielsetzungen genannt: „full and effective participation and inclusion in society“ (UN 2006: 5). Ziel ist es, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu verbessern. Teilhabe ist zugleich ein traditioneller Kernbegriff der Erwachsenenbildung Die Heilpädagogik kann eine Funktion als Brückenbauer zwischen der Erwachsenenbildung und der Behindertenhilfe einnehmen, bisher zwei oftmals voneinander getrennte Bereiche. Wenn man unter Behinderung die jeweilige Verschiedenheit, die benachteiligt wird, versteht, ist es die Aufgabe der beiden Bereiche, individuelle Angebote zu machen, die ungleiche Chancen ausgleichen. Die Erforschung der Zusammenhänge der weiterhin vorhandenen Ungleichheitslagen ist ein Thema, welches in den letzten Jahren wachsende Aufmerksamkeit in der Ungleichheitsforschung erfährt. Erste Ergebnisse liegen für die Erforschung der Zusammenhänge zwischen digitaler Ungleichheit und sozialer Ungleichheit vor. Digitale Ungleichheit wird dabei verstanden als Synonym für Ungleichheit, die mit der Prävalenz und Nutzung digitaler Medien einhergeht. Gewinnbringend für eine theoretische Grundlegung zur Erklärung von Ungleichheitslagen in der Medienbildung ist dabei Bourdieus Unterscheidung der Kapitalsorten. Seine kulturtheoretischen und ungleichheitsbezogenen Thesen und Konzepte können die Entstehung und dauerhafte Fortschreibung von Ungleichheiten in der Medienbildung fundieren. Sie dienen der Aufklärung über Mechanismen der Herstellung von Bildungsungleichheit. Dabei stellt sich auch die Frage des Stellenwerts von Institutionen des Bildungssystems. Das folgende Schaubild verdeutlicht die Zusammenhänge im Überblick:

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Teil I: Theoretische Verortung

Ingo Bosse

Medienkompetenz

soziale Gleichheit

Kommunikatives Handeln

Lebenswelt

Abb. 4: Zusammenhänge zwischen digitaler Ungleichheit und sozialer Ungleichheit

Die Verfasser der Behindertenrechtskonvention haben sich nicht explizit auf Bourdieu bezogen. Welche Bedeutung sie Medien bei der Beseitigung von ungleichen Teilhabemöglichkeiten und für die Gestaltung von Inklusionsprozessen beimessen wird deutlich, wenn man die zahlreichen Artikel betrachtet, in denen diese konkret beschrieben werden: Artikel 8 – Bewusstseinsbildung, Artikel 9 – Zugänglichkeit, Artikel 21 – Zugang zu Information, Artikel 24 – Zugang zu Erwachsenenbildung, Artikel 29 – Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben (vgl. UN 2006). Medien wird damit eine Schlüsselfunktion für die Umsetzung der Konvention zugewiesen. Im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention auf Bundesebene wird in diesem Zusammenhang auf die besondere Bedeutung zu Wissen über Medien für die Berufschancen hingewiesen. „Der Zugang zum Wissen der Welt ist essentiell für die Sicherung der beruflichen Chancengleichheit und gesellschaftlichen Teilhabe behinderter Menschen“ (BMAS 2011, 81). Auch das Land Nordrhein-Westfalen weist in seinem länderspezifischen Aktionsplan auf die Bedeutung von Medien im Inklusionsprozess hin. „Die Chancen des technologischen Fortschritts nutzen, um Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten und umfassenden Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien zu ermöglichen.“ (MAIS 2012, 190). Damit wird deutlich, dass Medienbildung im Rahmen der Diskussion um die Partizipation und Inklusion von Menschen mit Behinderung ein äußerst relevantes gesellschaftliches und politisches Thema darstellt. Betrachtet man es aus einer ethischen Perspektive, geht es darum „wie Menschen in einer immer stärker von (digitalen) Medien geprägten Welt handlungsfähig und -mächtig werden bzw. bleiben“ (ALTMEPPEN, BÜSCH & FILIPOVIC 2013, S. 285).

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Teil I: Theoretische Verortung

Ingo Bosse

1.3 Medienkompetenz in Bildung, Freizeit und Arbeitswelt In unserer Informationsgesellschaft sind Bildung, Freizeit und Arbeitswelt heute wesentlich durch Medien geprägt (vgl. SFIB 2009, 4). Bildungs- und Freizeitbedürfnisse behinderter Menschen unterscheiden sich nicht, Arbeitswelten entwickeln sich ähnlich. Dennoch sind der uneingeschränkte Zugang und die inklusive Nutzung von Angeboten immer noch nicht selbstverständlich. So öffnen inzwischen erste Volkshochschulen ihre Angebote auch für Menschen mit Behinderungen. Eine selbstverständliche Ausgestaltung aller Angebote auch für diese Zielgruppe ist aber vielerorts weiterhin Utopie. “Der Einkauf von Gütern des täglichen Bedarfs, Einzahlungen bei Post und Bank, das Lösen eines Bahnbillets, das Abrufen von Wetterprognosen und Nachrichten, die Kommunikation via E-Mail oder Messenger, der Kontakt mit Behörden usw. wird durch IKT ermöglicht oder erleichtert. Gerade Menschen mit Behinderungen kommt dabei entgegen, dass sie solche Tätigkeiten in einer vertrauten Umgebung, in frei wählbarem Tempo, unabhängig von Öffnungszeiten und mit vertrauter und individuell angepasster Hard- und Software ausführen können.“ (SFIB 2009, 4). Darüber hinaus können Medien als Hilfsmittel dienen, mit denen Barrieren überwunden werden können und die auf diese Weise eine Partizipation ermöglichen. Für einige Personen stellt die Nutzung moderner Medien überhaupt erst die Grundvoraussetzung dar, um am sozialen Leben teilhaben zu können. So können Menschen, die nur über eine eingeschränkte Verbalsprache verfügen, in ihren Teilhabemöglichkeiten deutlich eingeschränkt sein. Kommunikation ermöglicht es, überhaupt erst mit anderen in Interaktion zu treten (vgl. RICHIGER-NÄF 2010, 7f.). Für sie stellen elektronische Kommunikationsmittel ein Tor zu Welt dar – in vielen Situationen das einzige. Zur Mediennutzung von Menschen mit Behinderung werden zunehmend mehr internationale Forschungsergebnisse vorgelegt. Diese machen deutlich, dass die Mediennutzungsgewohnheiten grundsätzlich identische Muster wie die der Allgemeinbevölkerung aufweisen (vgl. GUITIÉRREZ, MARTORELL 2011, 179) und welche Bereicherung diese für Alltag und Freizeit darstellen können, z.B. bei der Ausweitung sozialer Netzwerke, für eine unabhängige Lebensführung oder für Empowermentprozesse (vgl. LI-TSANG et al. 2007). Unterschiede existieren z.B. im Fernsehkonsum, der auf Grund mangelnder Alternativen der Freizeitgestaltung bei Menschen mit geistiger Behinderung etwas höher liegt (vgl. WILKEN 1999). Es konnte zudem belegt werden, dass Menschen mit geistiger Behinderung nicht immer zugetraut wird, selbstbestimmt über ihren Medienkonsum zu entscheiden. So werden z.B. mehr Cartoons im Fernsehen gesehen, wenn Betreuungspersonen das Programm auswählen. Dies ist ein Hinweis auf die Infantilisierung der erwachsenen Fernsehzuschauer mit geistiger Behinderung (GUITIÉRREZ, MARTORELL 2011, 175). Für die Nutzung des Internets konnte nachgewiesen werden, dass Menschen mit Behinderungen diese Medien überdurchschnittlich häufig nutzen. Nutzer mit geistiger Behinderung stellen darunter aber die Gruppe mit der geringsten Nutzung dar. Gründe dafür werden unter anderem darin gesehen, dass Sprache im weitesten Sinne eine viel höhere Barriere als bisher angenommen ist und dass die wirtschaftliche Benachteiligung von Menschen mit geistiger Behinderung zu schlechteren Teilhabemöglichkeiten im Internet führt (vgl. CORNELSSEN, SCHMITZ 2008). Internationale Studienergebnisse machen deutlich, dass eine geistige Behinderung aber kein grundsätzliches Hindernis darstellt, um die Vorteile des Internets zu nutzen (vgl. GUITIÉRREZ, MARTORELL 2011, 177). „…people with learning or intellectual disabilities are even less likely to be in work than those with physical disabilities.” (Commission of the European Communities 2007, 3). Der größte Anteil von Arbeitnehmern mit geistiger Behinderung arbeitet in Deutschland weiterhin im Sonderarbeitsmarkt der Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Der Erfolg von Modellen, die Menschen mit geisti16

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ger Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt integrieren möchten, hängt auch von den Fähigkeiten des Einzelnen ab, sich in, mit und durch Medien zu artikulieren (ARP 2008, 7). Jugendliche mit geistiger Behinderung haben ohnehin schlechte Startchancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie dürfen im Hinblick auf ihre Ausbildungs- und Berufschancen nicht doppelt benachteiligt werden. Zum einen dadurch, dass sie nur schlecht oder überhaupt nicht Zugang zur betrieblichen dualen Ausbildung finden und zum anderen zusätzlich dadurch, dass ihnen moderne Ausbildungsinhalte vorenthalten werden. Mit der Untersuchung von ARP zum Einsatz von IKT in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) wurde deutlich, dass sich die Arbeitsstellen durch den Einsatz von IKT stark verändert haben. Die Kompetenzen im Umgang mit diesen Medien und Techniken bestimmen deutlich mit über den Grad der Eigenständigkeit in der Arbeit. Auch die Chancen der ganzheitlichen Förderung steigen damit deutlich. „Die materiellen Voraussetzungen müssen eine Ausstattung ermöglichen, die, zumindest weitgehend, dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Eine Grundmotivation sowie eine nicht-ablehnende Haltung gegenüber dem Medium sind sowohl für Mitarbeiter als auch für die Adressaten der Rehabilitation eine notwendige Bedingung.“ (ARP 2008, 66). Für den ersten Arbeitsmarkt, z.B. in Modellen wie „unterstützter Beschäftigung“ existieren bisher für Deutschland noch keine Untersuchungen darüber, welche Auswirkungen Medienkompetenzen auf Einstellungschancen und Berufsausübung haben. Die Annahme, dass Menschen mit geistiger Behinderung, die Kompetenzen in der Anwendung und Nutzung neuer Medien aufweisen, eine höhere Chance haben in den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden, findet sich hingegen sehr häufig und konnte für Menschen mit anderen Beeinträchtigungen auch nachgewiesen werden (vgl. HAIDER 2003). Der Erwerb von Medienkompetenz muss stets eingebunden sein in pädagogische und didaktische Fragestellungen. In der „aktiven Auseinandersetzung mit Medien liegen wesentliche Möglichkeiten, um gemeinsame Erfahrungs-, Handlungs- und Kommunikationsräume zu schaffen. Die dabei gemachten Erfahrungen und erworbenen Fertigkeiten und Kompetenzen sind geeignet, Selbstwirksamkeit, Selbstbewusstsein und Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe zu verbessern.“ (SCHNAAK, BÖHMIG 2012,21). Für die Inhaltsvermittlung bilden Beziehungen einen wichtigen Rahmen und Kontext: „In der menschlichen Kommunikation wirken sich Beziehungen bestimmend auf gelungene oder misslingende Aktionen, auf gelingendes oder gestört erscheinendes Verhaltens aus.“ (REICH 2006, 82). Sie eröffnet den Lernenden ein möglichst großes Maß an Selbstständigkeit. Bei der Gestaltung von Angeboten, ob im Bereich Bildung, Freizeit oder Arbeit, sollte neben einem fundierten Fachwissen auch immer der persönliche Bezug gewahrt bleiben. Bei Menschen mit Behinderungen geht es um Personen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen. Daher geht es immer um eine Gratwanderung, welches Gewicht einer Beeinträchtigung beigemessen wird. Durch das Mitdenken spezifischer Bedürfnisse werden zahlreiche Bedarfe berücksichtigt und Inklusion unterstützt. Grundsätzlich ist eine inklusive Mediendidaktik nutzerfreundlich. Das bedeutet, um zum kompetenten Umgang mit Medien anzuleiten, müssen Methoden und Erklärungsweisen gefunden werden, die für den jeweiligen Nutzer verständlich sind. Grundsätzlich werden eine leicht verständliche Sprache, allgemeingültige Piktogramme und eindeutiges Bildmaterial verwendet. Inklusive Mediendidaktik berücksichtigt neben der Sprachebene auch das Lernen auf auditiver, haptischer und visueller Ebene. 1.4 Barrierefreie Teilhabe an Bildungsangeboten Im Alltagsverständnis wird bei Barrierefreiheit häufig an Zugänglichkeit für Rollstuhlfahrer gedacht. Dies ist ein wichtiger Aspekt, aber das Thema Barrierefreiheit ist weitaus umfassender. Barrierefrei17

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heit betrifft das selbstständige Erreichen von Orten, an denen Medienbildung stattfindet und den Zugang zu Informationen über Veranstaltungen, die Möglichkeit barrierefreier Kommunikation und die Barrierefreiheit der Angebote selbst. Je nach Zielgruppe inklusiver Medienbildung sind dabei ganz unterschiedliche Aspekte zu beachten. Wenn ich eine Veranstaltung mit dem Rollstuhl nutzen kann, kann die gleiche Veranstaltung für gehörlose Menschen nicht zugänglich sein, weil keine Gebärdensprache und Schriftmittlung eingeplant wurde. In diesem Fall würden hörbehinderte Menschen von der Veranstaltung ausgeschlossen. Die Art der Behinderung als Kategorie kann bei der Umsetzung von Barrierefreiheit erste Anhaltspunkte liefern. Letztlich ist aber immer der individuelle Bedarf Ausschlag gebend, welchen es zu ermitteln gilt. Von Beginn an alles zu beachten stellt einen hohen Anspruch dar, der sicherlich nicht immer einlösbar ist. Wenngleich umfassende Barrierefreiheit immer das Ziel bleiben sollte, ist bereits einiges erreicht, wenn folgende drei Grundprinzipien beachtet werden: „1: Offen für alle: Sämtliche Angebote, die für Menschen zugänglich sind, die gehen können, sollen auch für Menschen, die auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind, ohne weitere Hilfe erreichbar sein. 2: Das Zwei-Sinne-Prinzip: Alle Informationen sollen durch mindestens zwei Sinne wahrnehmbar sein (sehen, hören, fühlen). So kann eine nicht ausreichend vorhandene Fähigkeit durch eine andere ausgeglichen werden. 3: KISS – „Keep it short and simple“: Halte es kurz und einfach. Informationen sollen einfach und verständlich formuliert und vermittelt werden.“ (Der Paritätische Wohlfahrtsverband Landesverband Hessen 2013, 5) In der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen findet sich das Thema Barrierefreiheit in Artikel 9, der mit Zugänglichkeit betitelt ist (Bundesgesetzblatt 2008, 1428f.). Zugänglichkeit ist dort als Grundprinzip der Konvention beschrieben. Es ist zugleich ein Grundprinzip der Gestaltung inklusiver Medienbildung – ohne Zugang ist keine Teilhabe möglich. Es geht darum, geeignete Maßnahmen zu treffen in Hinblick auf „den Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Informationen und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und –systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten bereitgestellt werden.“ (WELTI 2012, 128). Damit wird Zugänglichkeit in der Behindertenrechtskonvention sehr ähnlich definiert wie im Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG). Dieses stellt seit Mai 2002 die gesetzliche Grundlage für Barrierefreiheit in Deutschland dar. In Paragraph 4 des BGG wird die dreifache Dimension von Barrierefreiheit deutlich. Barrierefreiheit bezieht sich auch im Bereich inklusiver Medienbildung im Kern auf: 2. die Gestaltung der Informationen zu den Angeboten 3. die physische Zugänglichkeit 4. die barrierefreie Gestaltung der Inhalte von Veranstaltungen.

1.4.1 Die Gestaltung der Informationen zu den Angeboten Der Gestaltung digital bereitgestellter Informationen widmet sich die Verordnung für Barrierefreie Informationstechnik (BITV) – einer ergänzenden Verordnung des Behindertengleichstellungsgesetzes. Dort wird unter anderem das Ziel formuliert, alle „öffentlich zugänglichen Informations- und Kommunikationssysteme barrierefrei zu gestalten und insbesondere auch den Anforderungen an Leichte Sprache gerecht zu werden“ (BITV 2002). Barrierefrei sind Internetseiten, wenn sie auch von Menschen mit Behinderung ohne Hilfe genutzt werden können. Für öffentliche Angebote gelten inzwi18

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schen die in der BITV 2.0 und den WCAG 2.0 festgelegten Standards. Dazu gehört z.B. eine kontrastreiche Gestaltung sowie gut lesbare Schriftarten und –größen, barrierefreie PDFs, Audiodateien bzw. eine Vorlesefunktion, Leichte Sprache, Gebärdenvideos u.v.a.m. Für die Bewerbung einer Veranstaltung, unabhängig davon, ob Ankündigungen im Internet oder auf Papier gestaltet werden, sind Informationen darüber wichtig, ob eine Veranstaltung barrierefrei ist: Kann ein Rollstuhlfahrer problemlos den Weg zum Veranstaltungsraum erreichen? Wird ein Gebärdendolmetscher zur Verfügung gestellt? Wird mit Medien gearbeitet, die auch für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglich sind? Stehen Materialien in „Leichter Sprache“ zur Verfügung? Solche Hinweise sind bedeutsam, damit sich auch Menschen mit Behinderungen von dem Angebot angesprochen fühlen. „Hätten Sie gedacht, dass sich viele Menschen mit Behinderungen bereits im Vorfeld gegen Ihre Veranstaltung entscheiden, weil sie wichtige Informationen für ihre Zielgruppe vermissen? Kein Rollstuhlfahrer möchte sich umsonst auf den Weg machen, um sich dann einer Treppe gegenüber zu sehen oder keine Toilette nutzen zu können. Und immer extra nachfragen ist ermüdend und vermittelt kein Willkommensgefühl.“ (BKB Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit 2012, 12). Für Menschen, deren Fähigkeit Informationen aufzunehmen, z.B. auf Grund einer Sehoder Hörschädigung oder von Leseschwierigkeiten eingeschränkt sein kann, ist es wichtig, Informationen über möglichst viele Wege angeboten zu bekommen. Dazu gehören Flyer und Broschüren, Tageszeitungen, Plakatierungen, telefonische Auskunft und besonders das Internet. Für gehörlose und schwerhörige, blinde und sehbehinderte Menschen, Rollstuhlfahrer, Menschen mit seltenen und chronischen Erkrankungen, z.B. Allergien, Menschen mit kognitiven Einschränkungen, Menschen mit psychischen Erkrankungen, usw. sollte erkennbar sein, ob ihre spezifischen Bedürfnisse Berücksichtigung finden. Einen schnellen Überblick liefern Piktogramme, z.B. für Gebärdensprachdolmetschung oder Leichte Sprache. Die Barrierefreiheit von Veranstaltungen sollte im Vorfeld beworben und dabei die Angebote auch konkret benannt werden. Darüber hinaus sollten im Anmeldeformular allgemeine und individuelle Bedarfe abgefragt werden. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten kann es notwendig sein, Information in Leichter Sprache zu gestalten. Leichte Sprache ist ein aus der Praxis entstandenes Konzept, um komplexe Inhalte für Menschen mit Lernschwierigkeiten (dazu gehören auch Personen mit sogenannter geistiger Behinderung) leichter zugänglich zu machen. Texte in Leichter Sprache müssen zum schnellen und einfachen Auffinden möglichst mit dem Logo für Leichte Sprache gekennzeichnet sein, dessen Verwendung von "Inclusion Europe" geregelt ist.

1.4.2 Die physische Zugänglichkeit Zur Bewerbung einer Veranstaltung gehören auch Informationen zu einer barrierefreien An- und Abreise: Bus & Bahn, z.B. Niederflurbusse, Shuttleservice mit Fahrdiensten, Wegbegleitung vom Bahnhof, Reservierung und eine Liste mit rollstuhlgerechten Übernachtungsmöglichkeiten. Bei der Auswahl der Veranstaltungsorte sollte auf durchgängig ebenerdige und berollbare Zugänge und Eingangsbereiche, Aufzüge mit Mindestmaßen 1,10m Breite und 1,40m Länge, auf sichere und deutlich erkennbare Treppen(stufen) mit Handläufen, barrierefreie Rettungswege und –konzepte, rollstuhlgerechte Sanitäranlagen, genug Platz für Rollstühle bei Saalbestuhlung und auf allgemeinen Bewegungsflächen, z.B. am Buffet, an Stehtischen und unterfahrbaren Tischen mit Stühlen geachtet werden. Betrifft dies vor allem Teilnehmende mit körperlichen Beeinträchtigungen, so benötigen Teilnehmende mit Sinnesbeeinträchtigungen Leitsysteme und Orientierungsmöglichkeiten – taktil, 19

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optisch und akustisch, große und kontrastreiche Hinweisschilder mit Bildern sowie GebärdensprachDolmetscher und Schriftmittlung bei Vorträgen usw. 1.4.3 Die barrierefreie Gestaltung der Inhalte von Veranstaltungen Die mit der inhaltlichen Gestaltung der Angebote verbundenen Herausforderungen bewegen sich zwischen den Prinzipien „so einfach wie möglich“ und dem „Anspruch der erwachsenen Teilnehmer_innen angemessen“. Zur Vereinfachung gehört z.B. nur die absolut notwendigen Icons auf dem Desktop zu belassen und diese zu vergrößern. Die verwendeten Programme wie Paint oder Word werden bei Bedarf in ihren Funktionen stark reduziert, die Werkzeugleiste vergrößert und vereinfacht. Unabdingbar ist es, dass die Teilnehmer_innen in jeder Woche an demselben Gerät mit identischen Einstellungen arbeiten können. Leichte Sprache bezieht sich nicht nur auf Geschriebenes, sondern auch auf mündliche Informationen. Falls notwendig, sollte diese auch bei der Gestaltung der Medienbildungsangebote genutzt werden. Das bedeutet konkret, klar und langsam zu sprechen. Während des Sprechens sollte überprüft werden, ob die Teilnehmer_innen verstanden haben, was gesagt wurde. Außerdem sollte auf die Körpersprache geachtet werden. Ein Grundprinzip bei der Gestaltung von Medienbildungsangeboten für Menschen mit Lernschwierigkeiten ist es herauszufinden, was diese zu sagen haben, sie ernst zu nehmen und auch mit ihnen als Erwachsene zu sprechen, sie ausreden zu lassen, auch wenn es länger dauert oder die Sprache schwer zu verstehen ist (Inclusion Europe 2009).

1.5 Erfahrung mit Angeboten zur inklusiven Erwachsenenbildung mit Medien Medienbildung für Erwachsene mit Behinderungen stellt ein von der Forschung vernachlässigtes Thema dar. Auch „praxisfeld- und zielgruppenorientierte Konzeptualisierungen einer handlungsorientierten Medienbildung mit Menschen mit Behinderung“ (SCHLUCHTER 2010, 167) sind bisher nur selten finden. Dennoch werden in der Praxis einige qualitativ hochwertige Angebote gestaltet. Diese sind allerdings nur selten institutionell verankert. Der Projektcharakter zahlreicher Angebote führt nicht zu nachhaltigen Angeboten in der Medienbildung (siehe z.B. MICHAELIS, LIEB 2006). Vorbildliche Initiativen wie z.B. Comedison zur Schulung der Medienkompetenz richten sich an Lehrkräfte und Schüler (http://comedison.bildung-rp.de). Sozialunternehmen wie das österreichische Atempo (www.atempo.at) bieten aber auch regelmäßige Medienbildung für Erwachsene mit Behinderungen an. In Deutschland gibt es seit 2011 ein regelmäßiges Angebot des Forschungsclusters „Technology for Inclusion and Participation“ der Technischen Universität Dortmund in Zusammenarbeit mit Bethel.regional. Das Seminarangebot Medienbildung für alle richtet sich an explizit an Erwachsene mit hohem Hilfebedarf und seit dem letzten Jahr auch an Seniorinnen und Senioren. Die Computerkurse wurden als Bildungs- und Freizeitangebot konzipiert. Sie eröffnen jedem Bewohner und jeder Bewohnerin entsprechend der individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse neue Handlungsspielräume, um dadurch Selbstverwirklichung zu ermöglichen. Dafür wurde ein zielgruppenspezifisches Konzept entwickelt. Der Erwerb von Medienkompetenz wird dabei als entscheidendes Moment für Teilhabechancen in der Gesellschaft verstanden und dient zugleich der persönlichen Entwicklung. Das Konzept des Empowerments dient als Leitperspektive (vgl. SCHLUCHTER 2010, 168ff.). In den Kursen wird auf das persönliche Lernverhalten eingegangen, individuelle Lernbedürfnisse werden berücksichtigt und stets wird ein Bezug zum Alltag hergestellt. Grundlegend für die Entwicklung eines zielgruppenspezifischen Konzepts erscheint zum einen die Auseinandersetzung mit grundlegenden Prinzipien der Erwachsenbildung (vgl. THEUNISSEN 2006, MARGELISCH 2005) und zum anderen mit den besonderen Bedürfnissen der Kursteilnehmer_innen. Ausgerichtet wurde das Kurskonzept an der Methode

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der leicht zurückweisbaren Angebote (GEKELER, GRAF 2004, 173). Es geht um die Gestaltung integrativer Lernsituationen. Daran beteiligt sind idealtypisch 1. Nutzer mit Behinderung, 2. Assistenten, die wie die Nutzer Lernende sind und ihnen assistieren sowie 3. Experten als Fachleute. GRAF und GEKELER beschreiben in ihrem Konvergenzmodell die zentralen Aspekte integrativer Lernsituationen: „Die Beziehung zwischen den Beteiligten, dem Lerngegenstand und (den) Vermittlungsbzw. Bildungsprozesse(n)“ (ebd., 173). Neben dem gemeinsamen Gestalten geht es auch um das Ziel einer bewusstseinsbildenden Erfahrung im Sinne einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen Menschen mit und ohne Behinderung (ebd., 175). Zentrales Merkmal sind die vielfältigen Austauschprozesse, denen gegenseitiges Lernen inhärent ist. Für den Assistenten oder die Assistentin bedeutet dies eine besondere Situation: Lernen durch Lehren. Die Teilnehmer_innen mit Behinderung sollen unterstützt, aber nicht bevormundet werden. Medienprodukte sollten grundsätzlich nach eigenen Wünschen und Vorstellungen gestaltet werden. Ein Kernelement bildet die Methode der leicht zurückweisbaren Angebote. Die Umsetzung dieses Konzepts wurde im Rahmen medienpädagogischer Begleitforschung evaluiert. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt: In welchen Kontexten und unter welchen Bedingungen gelingt Medienarbeit mit Menschen mit hohem Hilfebedarf? Die Evaluation fand unter Nutzung unterschiedlicher Methoden der qualitativen Sozialforschung statt. Neben der teilnehmenden Beobachtung wurden ein standardisierter Fragebogen und Gruppendiskussionen eingesetzt. Des Weiteren wurden die Teilnehmer_innen mündlich und schriftlich zu den Kursen befragt. Zentrale Ergebnisse: Es wurden enorme Lernzuwächse in der Informations- und Kommunikationstechnischen Grundbildung deutlich. Auch entwickelten sich kollegiale Beziehungen zwischen Kursteilnehmer_innen und Assistenten. Als unabdingbare Gelingensbedingungen wurde herausgearbeitet: Eine ausreichende Schulung der Assistenten in der Methode der leicht zurückweisbaren Angebote und den Grundprinzipien der Erwachsenenbildung, klare Einhaltung der Rollen innerhalb der Methode, ein zeitlich ausreichender Rahmen für die Kurse, ein intensives Kennenlernen der Teilnehmer_innen vor Beginn, Zusammenarbeit mit den Wohnheimmitarbeitern. Solche Angebote machen insgesamt deutlich, dass Medienbildung das Empowerment von Erwachsenen mit Behinderung stärken kann. „Menschen wachsen nicht durch Konzentration auf ihre Probleme – im Gegenteil, dadurch wird das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sich auf selbstreflektierende Weise zu entwickeln, geschwächt.“ (WEICK u.a. 1989, 352f, zitiert nach THEUNISSEN, KULIG 2009, 532). Wenn man Empowerment als Stimme der Betroffenen und als ihr Stark- werden versteht, dann ist eindeutig, dass ein Perspektivenwechsel stattgefunden hat: Sowohl in der Eigensicht von Teilnehmer_innen an Angeboten als auch in der Blickrichtung der Menschen, die beruflich in den entsprechenden Systemen engagiert sind.

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Informationen zum Autor: Jun. Prof. Dr. Ingo Bosse Lehrgebiet körperliche und motorische Entwicklung Fakultät Rehabilitationswissenschaften, TU Dortmund Emil-Figge-Straße 50 44227 Dortmund [email protected]

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Teil II Begleitforschung

Anneke Arlabosse & Kristin Sonnenberg

Teil II: Begleitforschung (Anneke Arlabosse & Kristin Sonnenberg) 2 Projektbeschreibung 2.1 Einführung – zur theoretischen Begründung und Einordnung des Projektes Im Folgenden werden die wesentlichen theoretischen Grundlagen an denen die Entwicklung des Forschungsvorhabens sich orientiert hat kurz dargestellt. 2.1.1 Die UN-BRK Im Kontext der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) geht es im deutsch-sprachigen Diskurs vor allem um Schulentwicklungen, wenn die Rede ist von „inklusiver Bildung“. Für unser Projekt steht eine andere Zielgruppe im Mittelpunkt: Erwachsene Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Der zentrale Artikel in der Konvention zum Thema „Bildung“ ist Artikel 24. Artikel 24 – Bildung (1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel, a) die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu stärken; b) Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen; c) Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen. (…) (4) Um zur Verwirklichung dieses Rechts beizutragen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen zur Einstellung von Lehrkräften, einschließlich solcher mit Behinderungen, die in Gebärdensprache oder Brailleschrift ausgebildet sind, und zur Schulung von Fachkräften sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf allen Ebenen des Bildungswesens. Diese Schulung schließt die Schärfung des Bewusstseins für Behinderungen und die Verwendung geeigneter ergänzender und alternativer Formen, Mittel und Formate der Kommunikation sowie pädagogische Verfahren und Materialien zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ein. (5) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit Anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben. Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten sicher, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen getroffen werden.

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Teil II Begleitforschung

Anneke Arlabosse & Kristin Sonnenberg

In diesem heißt es unter anderem, dass Bildung ein lebenslanger Prozess ist und im Bildungssystem auf allen Ebenen stattfinden soll. Ein Ziel soll es sein, Menschen mit Behinderungen zur „wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen“ (Art. 24, Abs. 1c UN-BRK). Hier setzt das Forschungsprojekt mit der Frage, wie die Teilhabe an Bildungsprozessen im Kontext lebenslangen Lernens realisiert werden kann, an. Die Ausgestaltung von Bildungsprozessen und Anforderungen an Fortbildner_innen finden sich in Absatz 4. Unter dem Kriterium der pädagogischen Möglichkeiten innerhalb der Erwachsenbildung sind hier vor allem die „ergänzenden Formen, Mittel und Formate der Kommunikation sowie pädagogische Verfahren und Materialien“ (Art. 24, Abs. 4 UN-BRK) zur Unterstützung wichtig. Diese Aspekte der UN-BRK sind in die Erstellung eines Kriterienkatalogs (Item-Liste) zur Untersuchung der Fragestellung des Projektes eingeflossen. Im fünften Absatz von Artikel 24 wird noch der Hinweis gegeben, dass ein „gleichberechtigter Zugang“ (Art. 24, Abs. 5 UN-BRK) Teil der Anforderung ist. Die Erwachsenenbildung wird in Artikel 24 explizit als Bereich zur Umsetzung von Inklusion und Teilhabechancen genannt. Dennoch gibt es bislang kaum Studien und Ergebnisse zu der Gestaltung von Angeboten der inklusiven Erwachsenenbildung. LINDMEIER (2012) stellt fest, dass geltende Standards, wie sie im Bereich der inklusiven Beschulung entwickelt werden, für den Bereich der Erwachsenenbildung weiterhin fehlen und empfiehlt eine Modifikation bereits vorhandener Praktiken. Bildung und Teilhabe sind unmittelbar miteinander verknüpft und deren Realisierung ist Teil lebenslangen Lernens und hört somit nach Abschluss der Schulzeit nicht auf. Zur Realisierung von Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen gehört auch die aktive Teilnahme an Bildungsangeboten. Ein umfangreiches und vielfältiges Angebot mit Wahlmöglichkeiten und die Zugänglichkeit von Bildungsangebote für Erwachsenen stellen somit einen grundlegenden Beitrag zur Realisierung von Teilhabe und sozialer Inklusion dar. Wie müssen Kursbedingungen gestaltet sein, um den Anforderungen an ein „inklusives Setting“ zu genügen? Wie müssen Bildungsangebote aussehen, um viele Menschen einzubeziehen und ein vielfältige Lernangebote unter Berücksichtigung individueller Voraussetzungen des Lernens zu realisieren? Von Interesse sind hier insbesondere (für unser Projekt) die sogenannten „Neuen Medien“, wie beispielsweise der Umgang mit dem Computer und die Nutzung des Internets. Die Bedeutung von Angeboten der Medienbildung und ihr wesentlicher Einfluss auf die Verbesserung der Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen haben wir bereits in einem Zwischenbericht in Form eines Artikels in der Zeitschrift „Teilhabe“ hergeleitet (SONNENBERG, ARLABOSSE 2014), daher sollen hier nur noch einmal die wesentlichen Gedanken und notwendigen Voraussetzungen zum Verständnis der Ergebnisse zusammengefasst werden.

2.1.2 Grundverständnis Dem durchgeführten Projekt liegt ein Verständnis von Behinderung, wie es in der UN-BRK beschrieben wird, zugrunde. Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) macht im bio-psycho-sozialen Modell den Einfluss von Kontextfaktoren auf die Partizipationsmöglichkeit der einzelnen Menschen deutlich (vgl. DIMDI 2005). Demnach ist ein Mensch nicht per se aufgrund seiner körperlichen Gegebenheiten behindert, sondern diese entsteht „ […]aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchti-

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gungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“ (Präambel e, UN-BRK) und führt so zu einem Nachteil in der Ausübung der vollen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Da es in der Fachdiskussion kein einheitliches Bild zu der Bedeutung des Begriffs Inklusion gibt, scheint es notwendig, dies kurz darzulegen (vgl. DEDERICH 2013). Das hier verwendete Verständnis von Inklusion beruht auf der Annahme, dass eine inklusive Gemeinschaft dann entsteht, wenn jedes Mitglied als Teil der Gesellschaft anerkannt wird und die Möglichkeit hat, die eigene Teilhabe vollständig und ohne Barrieren umzusetzen und zu gestalten. Die Orientierung an Inklusion als Leitlinie zielt darauf ab, „dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen alle Bürger/-innen eines Gemeinwesens ihre selbstbestimmte Teilhabe verwirklichen können. Und das wiederum bedeutet, Zugang zu allen materiellen, sozialen und kulturellen Möglichkeiten und Prozessen einer Gesellschaft zu haben“ (FINK 2011, S.21). Um eine erschöpfende Form der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu erreichen, braucht es Möglichkeiten, Teilhabe zu lernen. SEIFERT (2010) benennt dies im Rahmen ihrer Studie zur Lebensqualität als „Teilhabe-Formel“. Diese beschreibt eine Abfolge aus der Stärkung individueller Ressourcen, der Entwicklung sozialer Netzwerke, der Erschließung von Ressourcen im Sozialraum und der Partizipation. ERHARDT und GRÜBER (2011) ergänzen diese Überlegungen mit dem Aspekt des Empowerments, also der Möglichkeit den Ablauf auch in entgegengesetzter Reihenfolge zu durchlaufen. Die Feststellung, dass Teilhabe demnach lernbar ist, greift FORNEFELD (2012) auf, mit dem Hinweis, dass Bildung und Teilhabe untrennbar miteinander verknüpft sind. „Der Mensch bildet sich in der Begegnung mit anderen und anderem, das heißt, durch soziale und kulturelle Teilhabe [Hervorhebung im Original]. […] Bildung ist die unverzichtbare Voraussetzung von Teilhabe. Und […] Teilhabe die unverzichtbare Voraussetzung von Bildung“ (ebd., S.11). Dabei wird Bildung hier als Menschenrecht verstanden, welches allen Menschen zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Lebenspanne zusteht. In unserem Projekt beschränkt sich die Betrachtung auf die Bildungssituation, die stellvertretend für die Teilhabe an Lebenssituationen steht: Das Recht auf die Teilhabe an Angeboten der Erwachsenenbildung, als einem Lebensbereich. Hier wiederum untersucht werden sollten personenbezogene Faktoren in Form individueller Voraussetzungen und den sich daraus ableitenden Unterstützungsbedarfen wie auch als Kontextfaktor die Gestaltung des Kurssettings bzw. die eingesetzten Lehrmitteln und Lernsituationen2. Nicht berücksichtigt ist eine Orientierung am Sozialraum oder auch eine Gemeinwesenorientierung, da die untersuchten Bildungsangebote im Kontext der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) im Lebensbereich „Arbeit“ integriert waren.

2.2 Das Projekt „Computergestützte Schreibwerkstatt“ Das Forschungsprojekt „Soziale Inklusion von Menschen mit Mehrfachbehinderung: Computergestützte Schreibwerkstatt als Teil Lebenslangen Lernens“ (gefördert durch das BMBF 03/12-02/15, FKZ 01WS120202) – kurz „Schreibwerkstatt“ – hatte eine Laufzeit von 3 Jahren, von März 2012 bis März 2015. Die ersten Ergebnisse wurden auf dem abschließenden Fachtag „Soziale Inklusion und Lebenslange Bildung“ am 15.01.2015 in Volmarstein vorgestellt. In der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) der Evangelischen Stiftung Volmarstein hatten während der Laufzeit Beschäftigte die Möglichkeit, ein zusätzliches Bildungsangebot wahrzunehmen. Hierbei handelte es sich zum einen um zwei Angebote zum Bereich Alphabetisierung, Computer- und Internetnutzung (kurz ‚Computerkur2

Der Index für Inklusion bzw. die einzelnen Indikatoren sind nachzulesen bei BOBAN, HINZ 2003. 27

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se‘) sowie um zwei Angebote zu den Themen Rehasport und Entspannung, welche dann im weiteren Verlauf im Rahmen unserer Forschungen untersucht wurde. Durchgeführt wurden die Kurse von Mitarbeiter_innen des Blaues Kreuz Diakonieverein e.V. in Räumlichkeiten der WfbM. Die wissenschaftliche Begleitforschung unter der Gesamtprojektleiterin Prof. Dr. Kristin Sonnenberg fand über einen Zeitraum von 3 Jahre statt. Das Projekt unterteilte sich aus Forscherinnensicht in drei unterschiedliche Phasen bestehend aus: Planung und Entwicklung, Durchführung der Erhebungen und Auswertung. Für die Beschäftigen der WfbM und die Fortbildner_innen der Kurse ergaben sich in den drei Jahren Gesamtlaufzeit 2,5 Jahre durchgängige Kurse. Die Folgende Abbildung zeigt den Verlauf des Projektes in den unterschiedlichen Phasen. 1. Jahr

Sommersemester 2012 (01.03. – 31.08.2012)

Wintersemester 2012/13 (01.09.2012 – 28.02.2013)

• • •

• • • • •

• •

Kick-Off-Veranstaltung (29.06. 2012) 1. Treffen Steuerungskreis (24.05.12) Entwicklung der Erhebungsinstrumente Pre-Test-Phase & Modifizierung Schulung Studierende

PHASE 1: Planung & Entwicklung

Erste Erhebung (T1), 4 Gruppen Supervision Interviewer & Beobachter 2. Treffen Steuerungskreis (20.11.2012) Kongressteilnahme 11/2012 Potsdam, 2/2013 Leipzig Dateneingabe T 1 und Beginn Auswertung T1

PHASE 2: Erhebung (T1)

2. Jahr

Sommersemester 2013 (01.03. – 31.08.2013)

Wintersemester 2013/14 (01.09.13 – 28.02.14)

• •

• • • • • •

• • • •

Zweite Erhebung (T2), 4 Gruppen Schulung, Supervision Interviewer & Beobachter 3. Treffen Steuerungskreis (3) Auswertung T1 Dateneingabe T , Beginn Auswertung T2 Schulung Studierende

PHASE 2: Erhebung (T2)

Dritte Erhebung (T3); 3-4 Gruppen Schulung,, Supervision Interviewer & Beobachter 4. Treffen Steuerungskreis Dateneingabe T 3 und Beginn Auswertung T3 Vorbereitung der Gesamtauswertung Tagungsteilnahme Bad Arolsen 24.9.13

PHASE 2: Erhebung (T3)

3. Jahr

Sommersemester 2014 (01.03. – 31.08.2014)

Wintersemester 2014/15 (01.09.2014 – 28.01.2015)

• • • • •

• • • • •

• •

Vierte Erhebung (T4), Abschlusserhebung Dateneingabe T 3, Auswertung T3, gesamt Steuerungskreis (5) Kongressreise München 30.1.-31.1.14 Vorbereitung Abschlussbericht & Materialien, Handbuch Vorbereitung Fachtag 2015 Schulung Studierende

PHASE 3: Auswertung & Analyse

Fortsetzung der Auswertungen Abschlussbericht Druck Handbuch (Materialien) Weitere Fachveröffentlichungen & Presse Fachtagung 15. Januar 2015

PHASE 3: Interpretation & Veröffentlichung

Abbildung 1: Forschungsdesign

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Zentrale Fragestellung und Ziel des Projektes war es, herauszufinden, welche Möglichkeiten sozialer Inklusion von erwachsenen Menschen mit mehrfachen Beeinträchtigungen sich im Kontext der Bildungsangebote ergeben: „Es soll analysiert werden, welche Faktoren sich förderlich bzw. hinderlich auf inklusives Lernen auswirken, um entsprechende Anforderungen an Kurskonzepte, Orte, Fortbildner(innen) und Teilnehmer(innen) zu formulieren“ (SONNENBERG, ARLABOSSE 2014, 65). Wir gehen erstens davon aus, dass der Zugang zu neuen Medien, also z.B. die Möglichkeit einen Computer und das Internet zu nutzen, mehr Möglichkeiten schafft an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen oder teilzuhaben. Dies kann beispielsweise der Informationsaustausch über das Schreiben von Emails sein. Hierzu gehören zum einen das Erlenen der Technik (Wissenskompetenz, Fähigkeiten) und zum anderen die Nutzung und der Zugang zum Computer. Und zweitens wollen wir herausfinden, wie ein Angebot gestaltet sein muss, damit möglichst viele Personen daran teilnehmen können. Wir sprechen von „inklusiven Bildungsangeboten“. Dennoch wurden die Angebote in einer WfbM durchgeführt, also eine Sondereinrichtung mit exklusivem Charakter. Dies beruht auf der Tatsache, dass bislang wenig Erfahrungen und Studien zum Thema inklusive Erwachsenenbildung vorliegen und ebenso wenig Bildungsangebote auf dem freien Bildungsmarkt. Daher scheint es angemessen, zunächst einen niedrigschwelligen Zugang zu gewährleisten, positive Bedingungen herauszufinden, Standards abzuleiten und diese in einem nächsten Schritt im Gemeinwesen zu erproben. Untersuchungsgegenstand waren vier unterschiedliche Bildungsangebote: Zwei computergestützte Schreibwerkstätten (mit den Themen Lesen, Schreiben, Computer Soft- und Hardware, Internetrecherche und Kommunikation) und zwei Angebote zum Thema Rehasport und Entspannung. Der Aufbau, Inhalte und Ziele der Kurse sind dargestellt in den Erfahrungsberichten der Fortbildner_innen. Im Untersuchungsfokus stand das Bildungsangebot „Computerkurs“, aus dem Bereich der elektronischen Medien. Diese stellen in der heutigen Zeit der Postmoderne einen bedeutsamen Weg der Kommunikation und Teilhabe in der Gesellschaft dar. Wie bereits an anderer Stelle erörtert, sind die mit dem Medium Computer und auch Internet verbundenen Fähigkeiten zur Gestaltung von Kommunikation und sozialen Kontakten notwendige Grundlage für eine soziale und kulturelle Teilhabe. Verbunden hiermit ist die Idee, vorhandene Ressourcen weiterzuentwickeln und neue Fähigkeiten zu erlernen, um individuelle Teilhabechancen zu verbessern. Die beiden Kurse zum Thema „Rehasport und Entspannung“ dienten als Kontrollgruppen. Sie sind in identischer Weise wissenschaftlich evaluiert worden, so dass aus allen Bildungsangeboten Ergebnisse vorliegen. Als Auftakt wurden in einer „aktuellen Stunde“, einer Informationsveranstaltung für die Beschäftigten der WfbM, von uns über die Inhalte der Bildungsangebote und Forschungsziele berichtet. Im Anschluss an die Veranstaltung war es über ca. drei Wochen möglich, sich für einen der Kurse anzumelden. Eine Besonderheit der WfbM der Evangelischen Stiftung Volmarstein ist laut Aussagen der Werkstattleitung ein hoher Anteil an sogenannten mehrfachbeeinträchtigten Beschäftigten. Die Anmeldung erfolgte unabhängig von der Art der Beeinträchtigung und wurde im Rahmen der demografischen Daten im weiteren Verlauf auch nicht erfasst. Grundlegende Bedingungen waren die „Freiwilligkeit“ der Teilnahme, die Vereinbarung regelmäßig teilzunehmen und die Bereitschaft, an den Forschungsprozessen in Form von Interviews teilzunehmen. Die Anmeldung erfolgte interessensgeleitet und unter Angabe, ob Vorkenntnisse vorliegen. Von insgesamt 190 Beschäftigten meldeten sich 46 für die beiden Computerkurse und 27 Personen für die Reha-Sport- und Entspannungsgruppe an. Es wurden vier Gruppen mit je zwölf Personen per Zufall gebildet, jeweils eine Gruppe mit Vorkenntnissen und eine ohne (vgl. SONNENBERG, ARLABOSSE 2014), „Es sind heterogene Gruppen, in Bezug auf Vor29

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kenntnisse des Lesens, Schreibens, Rechnens und des Computers, mit unterschiedlichen Lerntempi, unterschiedlichen Wünschen und Lernzielen entstanden. Für eine möglichst barrierefreie Gestaltung der Computerkurse wurden für alle Teilnehmenden jeweils ein Laptop sowie die individuell erforderlichen technischen Hilfsmittel angeschafft (z.B. Maus, Tastaturauflage, Computertisch).“ (ebd. 66)

3 Das Forschungsdesign 3.1 Zielgruppe Zielgruppe des Projektes sind die Beschäftigten der Werkstatt für behinderte Menschen der evangelischen Stiftung Volmarstein. Um die Frage nach der Erweiterung von subjektiven Teilhabemöglichkeiten durch Angebote der Erwachsenenbildung, beantworten zu können, ist es unerlässlich, die Aussagen und Meinungen der betreffenden Personen schwerpunktmäßig zu beachten. Zentral für das Forschungsdesign und grundlegende Prämisse unseres Vorgehens sind daher aktuelle Forschungserkenntnisse zur Lebensqualitätsforschung und der Einbeziehung der Nutzer_innenperspektive (vgl. SCHÄFERS 2008, SEIFERT 2010, SONNENBERG 2005, 2007; SONNENBERG, ARLABOSSE 2014). Das bedeutet, dass die Teilnehmer_innen als Expert_innen im Mittelpunkt der Forschung stehen und entsprechende Forschungsmethoden, wie das leitfadengestützte Experteninterview, eingesetzt wurden (siehe Kapitel 3.3.1).

3.2 Forschungsfragen Mit der Untersuchung der durchgeführten Bildungsangebote soll der Beantwortung von zwei Kernfragen nachgegangen werden. 1. Führt die Teilnahme an den Bildungsangeboten zu einer Erweiterung der subjektiv wahrgenommenen Teilhabemöglichkeiten und damit einhergehend zu einer Erweiterung der sozialen Inklusion? 2. Was sind förderliche und hinderliche Bedingungen für die Gestaltung inklusiver Angebote der Erwachsenenbildung? Die erste Kernfrage bezieht sich primär auf die Teilnahme an den Bildungsangeboten der Computerkurse und beruht auf der theoretischen Annahme, dass eine Erweiterung der Teilhabemöglichkeiten durch die Nutzung neuer Medien möglich ist, wie es von BOSSE (Kap.1 in diesem Heft) beschrieben wurde. Zur Operationalisierung dienen hier Kompetenzbereiche als Indikatoren. Dabei handelt es sich um jene Kompetenzen, welche für die Nutzung neuer Medien als besonders notwendig erscheinen. Dies sind: Lese-, Schreib-, Computer- und Internetkompetenz. Als Bewertungsmaßstab gilt hierbei die subjektive Einschätzung der einzelnen Teilnehmer_innen. Die zweite Kernfrage versucht, förderliche und hinderliche Kursbedingungen für die Gestaltung von Bildungsangeboten im Bereich der inklusiven Erwachsenenbildung zu ermitteln. Hierbei werden beide inhaltlichen Kursbereiche betrachtet. Für die Ermittlung von Indikatoren wurden Fragen des Index für Inklusion (vgl. Boban, Hinz 2003) für den Bereich der Erwachsenenbildung modifiziert und überprüft. Das englischsprachige Original von Tony Booth und Mel Ainscow (2000) wurde von Andreas Hinz und Ines Boban für den deutschsprachigen Raum bearbeitet und übersetzt. Dabei betonen Hinz und Boban, dass es sich hierbei nicht um ein statisch zu verwendendes Instrument handelt, sondern vielmehr um eine Materialsammlung, die Schulen dabei helfen kann, sich mit dem Thema Inklusion auseinanderzusetzen und Prozesse einzugehen. „Wir machen also ausdrücklich Mut, den Index in 30

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unterschiedlicher Weise zu nutzen und für die eigene Situation und die eigenen Bedarfe zu modifiziemodifizi ren“ (ebd., S.3). Ziel ist es, die genannten Forschungsfragen zu beantworten und daraus Handlungsempfehlungen für eine Praxis inklusiver Medienbildung abzuleiten, um in einem nächsten Schritt die Kurse in inklusiven Settings anbieten zu können.

3.3 Überblick der er durchgeführten Forschungsmethoden Das Forschungsdesign integriert quantitative und qualitative Methoden und versucht über eine MeM thodentriangulation im Design einer formativen Evaluation Erkenntnisse und Antworten auf die oben formulierten Fragestellungen en zu erlangen. Es stellt eine Untersuchung dar, in welcher Prozesse des Verlaufs bzw. Veränderungen anhand der gleichen Stichprobe nachvollzogen und abgebildet werden sollen. ollen. Mit der zweiten Erhebung werden Fragen zur Veränderung von Kompetenzen ergänzt.

Qualitative Beobachtungen der Bildungsangebote

Analyse der Kursdokumentationen

Interviews mit den Kursteilnehmer_innen

Gruppendiskussion mit den Kursleitungen

Befragung der Mitarbeiter_innen der WfbM

Abbildung 2: Forschungsdesign – Methoden

Ziele qualitativerr Sozialforschung lassen sich generell beschreiben als Rekonstruktion von sozialem Handeln bzw. Erleben ben einer Situation. Situation. In der vorliegenden Untersuchung bedeutet dies, herauszufinden, welche Bedingungen subjektiv subjekti wichtig sind für inklusives Lernen. Zielee bestehen u.a. darin, das Verstehen von sozialem Handeln, das Erfassen subjektiver Bedeutungsmuster, Beschreibungen und Rekonstruktion herauszuarbeiten. herauszuarbeiten Die Falllogik erfolgt somit induktiv aus dem Verstehen des EinzelEinze falls und aus dessen Spezifik erfolgt die Generierung fallbezogener Aussagen.. Dies ist durch die AusAu wertung der Interviewtranskripte und der verschriftlichten Beobachtungssituationen möglich. Es gilt, individuelle Bedeutungs- und Handlungsmuster zu erkennen ennen (vgl. SCHAFFER, 2009, 60). Dabei D wurden theoretische Grundlagen verwendet zur Fragebogenkonstruktion, allerdings ohne eine Theorieprüfung zu verfolgen, sondern um neue Hypothesen bilden zu können und vorhandene zu erweitern. Als qualitative Befragungsmethode gilt das teilstandardisierte Interview, welches dazu geeignet ist, ist subjektiven Sinn zu erfassen: „Im Vordergrund stehen die Erlebniswelt und die subjektiven Deutungen 31

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der Befragten.“ (SCHAFFER, 2009, 109). Sie werden angewendet, wenn noch relativ wenig über einen Untersuchungsgegenstand bekannt ist. Ein quantitativer Anteil ist integriert im Fragebogen. Dieser umfasst somit ein standardisiertes Verfahren, um zentrale Untersuchungsfragen quantitativ zu ermitteln und um in unserem Fall eine Befragung von vielen Teilnehmenden zu ermöglichen und standardisiert auszuführen, um Verfahren der deskriptiven Statistik (z.B. Häufigkeitsauszählungen) zu nutzen. Alle im Folgenden beschriebenen Methoden wurden zu je vier Messzeitpunkten im Abstand von sechs Monaten durchgeführt. Die Folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Untersuchungsmethoden und Zeitpunkte: Tabelle 1: Übersicht über die Anzahl der durchgeführten Interviews

Methode Interviews Computer 3 Computer 4 Reha 1 Reha 2

T1 (n=) 12 11 5 8

T2 (n=) 12 10 4 9

T3 (n=) 10 9 3 10

T4 (n=) 9 10 2 7

3.3.1 Leitfadengestützte Experteninterviews Unseren Forschungen liegt die Annahme zugrunde, dass die Beschäftigten der Werkstatt für behinderte Menschen als Teilnehmende der Bildungsangebote Experten für die oben formulierten Fragestellungen sind. Im Mittelpunkt steht somit die Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer. Dies entspricht dem aktuellen Paradigma der Behindertenhilfe, der Teilhabe und wird in aktuellen Studien bereits konsequent umgesetzt. Eingesetzt als Methode der qualitativen Sozialforschung geht es uns primär um die Erfassung der subjektiven Erwartungen und Wünsche, eine subjektive Beurteilung der eigenen Kompetenzerweiterung sowie eine Beurteilung der Kurse und Kursbedingungen aus Sicht der Teilnehmenden. Experteninterviews eigenen sich methodisch, da hier die Expert_innen als diejenigen bezeichnet werden, die eine „besondere, mitunter exklusive Stellung im sozialen Kontext“ (GLÄSER, LAUDEL 2010, 12) einnehmen. Genau diese Perspektive ist für unsere Untersuchung von Interesse, es geht darum die Perspektive der Expert_innen, hier der Kursteilnehmer_innen, und ihrer Deutungen der Situation, ihrer Sichtweisen und Einstellung zu erkunden. Die Rolle des Expert_innen im Forschungsprozess beschreiben seit den 1990er Jahren z.B. Meuser und Nagel (vgl. MEUSER, NAGEL, 2009). Der Fragebogen enthält sowohl offene als auch geschlossene Fragen. Die Durchführung der Befragung fand in einem Interview statt, Kommunikationssituation „face to face“ als persönliches Interview. Die Standardisierung dient zum einen dazu, möglichst viele Kursteilnehmer_innen befragen zu können. Eine Besonderheit der Interviews war es, dass jeweils zwei Personen ein Team gebildet haben. D.h. es war immer eine Person aus dem Forschungsteam, in der Regel die wissenschaftliche Mitarbeiterin, und ergänzend eine Studentin oder ein Student dabei. Die Studierenden haben im Vorfeld an einem Seminar zum fachlichen Kontext und der Forschungsmethodik teilgenommen sowie eine Schulung in der Befragungstechnik anhand des Interviewleitfadens absolviert. Die Interviews fanden im Wechsel statt. Die jeweils zweite Person war als beobachtende Person anwesend. 32

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Der Fragebogen ist unterteilt in folgende Bereiche: Tabelle 2: Themenbereiche des Fragebogens

I. Motivation & Erwartungen [nur T1] II. Bedenken [nur T1] III. Wohlbefinden und Teilhabe - Einstiegsfragen IV. Themenbereich: Bildung & Persönlichkeitsentwicklung im Kontext lebenslangen Lernens IV. 1. Teilhabe an Gesellschaft & Kultur IV. 2. Teilhabe an sozialen Beziehungen IV. 3. Teilhabe an Gesellschaft durch Bildung IV. 4. Teilhabe an Gesellschaft & Kultur – Computer IV. 5. Teilhabe an Gesellschaft & Kultur – Internet V. Themenbereich: Lern- und Lehrbedingungen – Inklusive Erwachsenenbildung V.1. Lern- und Lehrbedingungen – Unterstützung V. 2. Lern- und Lehrbedingungen – Regeln V. 3. Lern- und Lehrbedingungen – Mitbestimmung VI. Persönliche Angaben [nur in T1] VII. Abschlussfragen [nur in T4]

Die Entscheidung zu einer Skalierung mit drei Antwortmöglichkeiten wurde getroffen, da im Pretest die Auswahl und Differenzierung von vier Antwortmöglichkeiten für die Befragten sehr schwer war. Um eine vergleichbare Interviewsituation sicherzustellen, enthält der Fragebogen Gesprächsanleitungen für die Interviewer_innen. Fragen oder Wörtern, die im Vorfeld als ggfs. schwierig zu verstehen eingeschätzt wurden, sind darüber hinaus mit einheitlichen Erklärungen versehen, so dass alle Interviewpartner_innen die wortgleiche Erklärung, z.B. zu dem Begriff ‚Internet‘, erhalten konnten. Darüber hinaus sind die zentralen Leitfragen zu jedem Themenbereich farbig markiert. Dies dient dazu, dass die Interviewer_innen situativ auf die Bedingungen der Interviewpartner_innen reagieren konnten. Ist die Konzentrations- bzw. Belastungsspanne einer interviewten Person beispielsweise geringer, so sollten, wenn möglich, nur die markierten Leitfragen durchgeführt werden, um die Interviewpartner_innen nicht zu überfordern.

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Im folgenden Ausschnitt aus dem Fragebogen wird der Aufbau deutlich: Tabelle 3: Ausschnitt aus dem Fragebogen

III. Themenbereich: Wohlbefinden und Teilhabe - Einstiegsfragen Mich interessiert, wie Ihnen der Kurs gefällt. Ich habe hier drei Karten für die Antworten. (Karten in richtiger Reihenfolge hinlegen) Diese Karte bedeutet ‚Sehr gut‘, diese ‚‘Ein bisschen‘ und diese ‚Nicht so gut‘ (Beim Vorlesen der Skalierung auf die entsprechende Karte zeigen) 1.

Wie gefällt Ihnen der Kurs? (Beim Vorlesen der Antwortmöglichkeiten immer auf die entsprechende Karte zeigen)

Sehr gut Ein bisschen Nicht so gut Frage nicht gestellt

2.

Fühlen Sie sich wohl im Kurs?

Sehr wohl Ein bisschen wohl Nicht wohl Frage nicht gestellt

3.

Was gefällt Ihnen besonders? (Antworttext eintragen) Frage nicht beantwortet Frage nicht gestellt

Weitere Beispiele aus dem Fragebogen sind: •



Kennen Sie das Internet? (Viele Computer auf der ganzen Welt sind miteinander verbunden. Im Internet kann man sehr viele Sachen machen. Z.B. Bilder und Informationen finden, Musik hören, Sachen kaufen und verkaufen, E-Mails schreiben und bekommen und sehr viel mehr.) Können Sie das Internet bedienen? (Fähigkeit)

Zu Beginn der jeweiligen Interviews wurde in einem gemeinsamen Gespräch die Erlaubnis einer Tonbandaufnahme eingeholt. Darüber hinaus wurde die Anonymität der Daten beschrieben und erklärt, dass es sich um ein freiwilliges Interview handelt, welches jederzeit abgebrochen oder verkürzt werden kann. Ebenso wurde erklärt, dass es sich nicht um eine Testsituation handelt, sondern die Meinung der jeweiligen Interviewpartner_in von Interesse ist. Am Ende des Fragebogens wurde von den Interviewer_innen ein Postskript zum Interview ausgefüllt. Zur Unterstützung des Sprachverständnisses wurden für die Befragungen Bild- und Antwortkarten entwickelt. Dies war notwendig, da in der WfbM kein einheitliches bekanntes System eingesetzt wurde. Die Bilder wurden mit den Beschäftigten erprobt, um festzustellen, ob diesen der gedachte Sinn zu entnehmen ist. Für zwei Interviewteams wurden diese laminiert und in einem Karteikasten für das Interview geordnet vorbereitet.

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Die folgende Tabelle zeigt die zentralen Symbolkarten. Tabelle 4: Beispiele der Symbolkarten

Symbol

Bedeutung

Computerkurs

© Daniela Franken

Internet

© Daniela Franken

Bewegung- und Entspannungskurs („Rehakurs“)

© Daniela Franken

Freunde treffen

© Daniela Franken

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Symbol

Bedeutung

Lesen

© Daniela Franken

Schreiben

© Daniela Franken

Alle Symbolkarten wurden entworfen und gezeichnet von Daniela Franken. Weitere Symbolkarten zum Themenbereich Kultur und kulturelle Teilhabe sind im Anhang einsehbar.

3.3.2 Beobachtungen FLICK beschreibt die Methode der Beobachtung sehr treffend und detailliert: „Die Fähigkeit der Beobachtung ist neben den im Interview genutzten Fähigkeiten zu sprechen und zuzuhören, eine weitere Alltagskompetenz, die in der qualitativen Forschung methodisch systematisiert und verwendet wird.“ (FLICK 2009, 282). Er grenzt somit die Alltagsbeobachtungen, die tendenziell subjektiv sind, von der systematischen und objektiven wissenschaftlichen Beobachtung ab. Des Weiteren findet sich in dieser Beschreibung die wichtige ergänzende Funktion der Beobachtung zu den im Interview erhobenen Daten. Dies wird in der folgenden, differenzierteren Definition von ATTESLANDER noch deutlicher: „Beobachten ist das Erfassen, Festhalten und Deuten, sinnlich wahrnehmbaren Verhaltens zum Zeitpunkt seines Geschehens.“ (ATTESLANDER 1995, 87). Beobachtungen ermöglichen es, Dinge zu sehen und wahrzunehmen, die kaum oder gar nicht über Fragen und damit verbundene verbale Kommunikation erfasst werden können, wie beispielsweise Interaktionen in der Gruppe oder auch die Wirkung einer bestimmten Lernmethode auf die Kursteilnehmer_innen. Wir haben in unserem Forschungsdesign die Methode der Beobachtung aus unterschiedlichen Gründen ergänzt: Zum einen werden diejenigen integriert, die nicht an den Interviews teilnehmen können, und deren Situation hier stellvertretend betrachtet wird, zum anderen sind gerade soziale Interaktionsmuster nicht immer bewusst bzw. werden differenziert auch nicht im Fragebogen erfasst. Beispiele für Partizipation und Unterstützung der Teilnehmer_innen sind Items, die gut beobachtbar waren. Die Beobachtung stellt eine nur indirekte Datenquelle insofern dar, als dass eine dritte Person sich ein Bild über eine bestimmte Situation macht bzw. eine bestimmte Situation beschreibt. Es werden

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Phänomene aus der Außenperspektive beschrieben, in unserer Untersuchung ist der Beobachtungsgegenstand die Kurssituation und das soziale Handeln in dieser. Aus den Ergebnissen der Beobachtung können neue Aspekte einfließen, wie z.B. den Teilnehmer_innen Unbewusstes aus den sozialen Interaktionen und Informationen zu objektiven Bedingungen wie Wartezeiten, Unterstützungsangebote in Art und Häufigkeit oder Anerkennung von Arbeitsergebnissen, und so das Datenmaterial ergänzen. Kritisch einzuschätzen ist, dass eine Beobachtung nie unabhängig von der Person des Beobachters erfolgt und immer auch subjektiv einen Fokus setzt. Dieser Effekt kann durch Schulung der Beobachter, Einsatz erfahrener Beobachter, Beobachterteams und objektivierte Auswertung durch zwei Personen begrenzt werden. Um dieser Situation Rechnung zu tragen, haben wir ein Verfahren gewählt, welches versucht, den subjektiven Einfluss so weit wie möglich herauszufiltern. Die Beobachtungen haben immer in Zweierteams stattgefunden. Eine Mitarbeiterin des Forschungsteams hat alle Beobachtungen durchgeführt, jeweils ergänzt durch eine/einen studentische/n Mitarbeiter_in, die/der zuvor geschult wurde. Die Auswertung der Beobachtungsdaten hat in zwei Schritten stattgefunden. Im ersten Schritt haben die Mitglieder des Forschungsteams einzeln die Beobachtungsdaten ausgewertet und interpretiert. Der zweite Schritt stellte die Gegenüberstellung und Diskussion der gemachten Interpretationen dar. So hat jeweils eine Person, die an den Beobachtungen beteiligt war und somit über Kontextwissen verfügt, sowie eine an den Beobachtungen unbeteiligte Person die Daten analysiert. Als weitere kritische Punkte sind die Forschungsethik zu nennen und die Unmöglichkeit der Rückfrage und somit der kommunikativen Validierung, die in der qualitativen Forschung von Bedeutung ist. Wie gerade beschrieben, haben wir versucht, dem mit einer objektiven und personenunabhängigen Auswertungsstrategie zu begegnen. Es fanden insgesamt zu allen vier Messzeitpunkten Beobachtungen jeweils einer Kurssequenz von 90 Minuten statt. Die zwei Personen des Beobachterteams haben jeweils nach 10-15 min. die Rolle (passiv-aktiv) gewechselt, um die Aufmerksamkeitsspanne und Konzentration zu erhalten und Erholungszeiten zu integrieren. Die erste Beobachtung fand mit Hilfe eines stark strukturierten und systematisierten Beobachtungsbogens statt. Dies hat sich als nicht zielführend erwiesen, so dass ab der zweiten Beobachtung ein offenes Beobachtungsverfahren eingesetzt wurde. Es handelte sich um nicht teilnehmende Beobachtungen mehr oder minder diskret und mit passiven Rollen. Die Beobachter haben insofern auf die Gruppe reagiert, als dass sie vorgestellt wurden. Sie haben nicht in das Geschehen eingegriffen, d.h. auch wenn sie angesprochen worden sind, nur kurz erklärt, dass sie als Gäste heute den Kurs besuchen und nur zuschauen und sich Notizen für die Forschung machen, da sie etwas lernen wollen. Nach Abschluss der Beobachtung gab es teilweise Kommunikation mit den Kursteilnehmer_innen und Fortbildner_innen.

3.3.3 Gruppendiskussionen mit den Fortbildner_innen Die Gruppendiskussion generell wird methodisch eingesetzt, um zu untersuchen, wie sich Argumentationsmuster entwickeln, wie sie sich im Gruppenprozess verändern und was als Gruppenresultat erzielt wird. Bei FLICK findet sich eine Unterscheidung in „Gruppeninterview“ und „Gruppendiskussion“ (FLICK 2009, 249-259). FLICK greift u.a. zurück auf Merton et al. (1956), die die Rolle des Interviewers beschreiben als „Vermittler“ zwischen den Teilnehmer_innen und zur Regulierung der Dominanz in Gruppen, mit dem Ziel, alle Mitglieder zu Beiträgen zu ermuntern (vgl. FLICK 2009, 249). „Schließlich muss er in seinem Verhalten eine Balance zwischen der (direktiven) Steuerung der Gruppe 37

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und ihrer (non-direktiven) Moderation finden“ (PATTON 2002, 386 zit. in FLICK 2009, 249). In Abgrenzung zum Gruppeninterview wird bei der Methode der Gruppendiskussion ein stärkerer Fokus „auf die Stimulierung einer Diskussion und die Dynamik, die sich in ihr entwickelt, als Erkenntnisquelle gesetzt“ (ebd., 251). Als Ziele werden hier beschrieben, eine „angemessene Rekonstruktion“ von individuellen Meinungen durch die Gruppe als Mittel zu erhalten und wenn es um Probleme geht, „[…] die Gruppe in der Diskussion über die verschiedenen Wege zu seiner Lösung die beste Strategie herausfinden soll (Dreher & Dreher 1994)“ (FLICK 2009, 252). Dies bedeutet zum einen die Funktion der Gruppe als Korrektiv und zum zweiten einen Aushandlungsprozess, in dem durchaus Meinungsbildung stattfinden kann und in jedem Fall durch den Meinungsaustausch eine Transparenz und Abstimmung angeregt wird und zu einem gegenseitigen Verständnis als Team führen kann. Für unsere Untersuchung haben wir uns strukturell für acht Leitfragen entschieden, angelehnt an die Themen der Interviewleitfäden für die Teilnehmer_innen. Dies entspricht eher dem Charakter des Gruppeninterviews, welches als Phase 1 durchgeführt wurde. Wir haben uns für einen Einstieg in die Thematik in Form einer Einzelarbeit entschieden, um zunächst alle Meinungen zu „hören“. Diese Ergebnisse stellten die Grundlage für die in Phase 2 durchgeführte Gruppendiskussion dar, welche das Ziel verfolgte unterschiedlichen Meinungen und Standpunkte zu diskutieren und nach Verbesserungspotenzialen zu suchen, die – und hier hat eine direktive Steuerung stattgefunden – in eigener Verantwortung umsetzbar sein sollten. Im Kontext des Ansatzes der formativen Evaluation diente uns die Gruppendiskussion auch zur Reflexion wichtiger Themen, die in den Interviews und Beobachtungen aufgefallen sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass jeweils Themen aufgegriffen werden konnten, die 6 Monate vorher in den Interviews thematisiert wurden und quantitativ bereits ausgewertet werden konnten sowie Aktuelles aus dem entsprechenden Erhebungszeitraum (z.B. eine Bitte einzelner Teilnehmer_innen in Interviews, ein Thema zu besprechen, Auffälligkeiten die in den Beobachtungen berichtet wurden, Fragen oder Besonderheiten aus dem Postskript der Interviewer_innen oder Beobachter_innen. Des Weiteren nutzten wir die Gruppendiskussionen um zentrale Themen des Forschungsprojektes regelmäßig mit den Fortbildner_innen zu reflektieren und somit (so das Ziel/die Überlegung) eine deutlichere Verinnerlichung von einem gemeinsamen Verständnis von Inklusion, partizipativen Bedingungen und zieldifferentem Lernen zu fördern. Methodisch waren die Gruppendiskussionen in zwei Phasen aufgebaut: 1. Individuelle Beantwortung von Fragen (45-60min.) 2. Vorstellung der Ergebnisse und Diskussion über die Einschätzungen der Einzelnen (Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Auffälligkeiten, Rückfragen untereinander) (60min.) Die Moderation und Prozesssteuerung erfolgte durch die Projektleitung. Anwesend waren des Weiteren die wissenschaftliche Mitarbeitern, welche Impulse aus der aktuellen Forschung für die Diskussion setzte und neben der Moderatorin auch Rückfragen stellen konnte, sowie die studentische Mitarbeiterin, welche die Gruppendiskussion protokollierte. So waren beide Teams aus dem Forschungsverbund an diesem Tag vertreten: drei Fortbildner_innen und drei Wissenschaftlerinnen. Es wurden in der zweiten Phase nicht immer alle Kategorien diskutiert. Die Fragen waren sichtbar für 38

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alle auf Moderationskarten visualisiert und an Stellwände gepinnt, die Antwortkarten wurden dazu gehängt, und waren somit während des Diskussionsprozesses in Phase 2 für alle sichtbar. Der Verlauf der Diskussion wurde protokolliert. Die Themen der Gruppendiskussion sind der folgenden Tabelle zu entnehmen. Tabelle 5: Fragen der Gruppendiskussion

Fragestellungen 1. Kursbedingungen 2. Zusammenarbeit Fortbildner (z.B. Planung/Vorbereitung; Team; Nachbereitung Reflexion; Rollen) 3. Interaktion mit Teilnehmer_innen 4. Einbindung aller Teilnehmer_innen (besonders ohne akustische Lautsprache) [ab T2] 5. Interaktion der Teilnehmer_innen untereinander (soziale Beziehungen) 6. Mitwirkung der Teilnehmer_innen (Selbstbestimmung, Impulse, Vorschläge) 7. Wie lösen Sie den Spagat unterschiedlicher Interessen / Wünsche der TN? [ab T2] 8. Kommunikation von und Umgang mit Regeln [ab T2] Antwortstruktur Was sind aus Ihrer Sicht positive Aspekte? (positive Erfahrungen/Beispiel) Gruppen Computer: Gruppen Reha:

Was sind aus Ihrer Sicht negative Aspekte? (Erfahrungen, Beispiele, Grenzen) Gruppen Computer: Gruppen Reha:

Entwicklungsmöglichkeiten, Änderungen, Potentiale? Gruppen Computer: Gruppen Reha:

In der letzten Sitzung hatten die Fortbildner_innen zudem die Möglichkeit, über folgende Aspekte zu reflektieren und gemeinsam positive Anteile sowie negative Anteile und Verbesserungsvorschläge zu benennen: 1. Was war Ihr Anteil am Kursgelingen? 2. Was würden Sie anders machen? 3. Was haben Sie entwickelt (Material/ Methodik/ Didaktik), was den Kriterien inklusiver Kursbedingungen entspricht? 4. Wurden die Erwartungen und Ziele mit den Teilnehmer_innen abgeglichen? Konnte jeder lernen, was er oder sie lernen wollte? 5. Was sehen Sie für Anforderungen an Fortbildner? Die Ergebnisse der Gruppendiskussionen wurden im wissenschaftlichen Team reflektiert und interpretiert und sind in die Gesamtdarstellung der Ergebnisse mit eingeflossen.

3.3.4

Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstatt für behinderte Menschen Zur Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstatt wurden Fragebögen für Selbstausfüller genutzt. Diese wurden unterschiedlich ausgefüllt, d.h. teilweise alleine, teilweise von einer Gruppe von Mitarbeitenden. Ziel war es, Informationen aus der Perspektive der Mitarbeiter_innen der Werkstatt gerade mit Blick auf beobachtbare Veränderungen im Arbeitsalltag zu erhalten. Ein zweites Ziel war die Einbindung der Mitarbeiter_innen in das Projekt. Die Befragung hat 10-15 Minuten gedauert und war eingebunden in eine regelmäßig stattfindende Besprechung, so dass die ausge-

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füllten Fragebögen im Anschluss eingesammelt werden konnten und Fragen ebenfalls in der Situation beantwortet werden konnten. Einstiegsfragen im ersten Erhebungszeitraum Motivation und Erwartungen der Teilnehmer_innen 1. Welche Motivationen bzw. Motive haben Ihrer Ansicht nach die Teilnehmerinnen und Teilnehmer um an dem Angebot a) „Schreibwerkstatt“ teilzunehmen? b) „Rehasport & Entspannung“ teilzunehmen? 2. Welche Erwartungen haben Ihrer Ansicht nach die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an das Angebot: a) „Schreibwerkstatt“? b) „Rehasport & Entspannung“? Motivation und Erwartung der Werkstatt 3. Wie können Sie sich eine Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstatt vorstellen? Was möchten Sie gerne mitbekommen? (Institutionelle Möglichkeiten und Grenzen) 4. Welche Kursbedingungen sind Ihrer Meinung nach günstig, um ein erfolgreiches Lernen der Beschäftigten zu fördern? 5. Welche Kursbedingungen gehören zu einer gelungenen Durchführung der Kurse? Fragestellungen in den Erhebungszeiträumen 2-3: 1.

2. 3.

4.

Die Computerkurse und die Rehasport- und Entspannungskurse haben im Oktober 2012 begonnen. Konnten Sie Veränderungen bei einzelnen Teilnehmer_innen in Bezug auf a. soziale Kompetenzen, b. Fähigkeiten im Umgang mit dem Computer und/oder Internet sowie c. die Lese- Rechtschreibkompetenzen feststellen? Wenn ja, welche? Könnten Sie ein Beispiel nennen oder eine Situation beschreiben? 1.1. Veränderungen bei Teilnehmer_innen der Computerkurse 1.2. Veränderungen bei Teilnehmer_innen der Rehasport- und Entspannungskurse Haben diese Veränderungen Auswirkungen auf die Arbeit in der WfbM? Uns interessiert, ob und wie die Teilnehmer_innen von den Kursen berichten. Können Sie und hierzu eine Rückmeldung geben? 3.1. Berichte zu den Computerkursen 3.2. Berichte zu den Rehasport- und Entspannungskursen Haben Sie in einem der Kurse hospitiert? Wenn ja, was sind Ihre Eindrücke?

Abschlussfragen im vierten Erhebungszeitraum Fragen 1-4 unverändert 5. 6.

Warum ist es für die Beschäftigten wichtig den Computer und das Internet bedienen zu können? Wie zufrieden sind Sie mit als Mitarbeiter/ Mitarbeiterin mit der Beteiligung am Forschungsprojekt? Was hat Ihnen gut gefallen? Was hat Ihnen nicht gutgefallen?

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3.4 Güte der Daten Die Gütekriterien in der qualitativen Forschung werden unterschiedlich beschrieben. In unserem Projekt haben wir uns zunächst orientiert an MAYRING (vgl. 2002, 144ff.), welcher sechs Kriterien benennt. Diese werden im Folgenden mit Blick auf das konkrete Vorhaben erläutert. Die Verfahrensdokumentation (1) muss aufgrund der jeweiligen Spezifizierung für Außenstehende nachvollziehbar sein. Dies gilt für Vorverständnis, Forschungsinstrumente, Durchführung und Auswertung der Datenerhebung. Diese ist von uns in Kapitel 3.5 transparent dargelegt. Im Rahmen der argumentativen Interpretationsabsicherung (2) müssen Interpretation und deren Begründung schlüssig und nachvollziehbar sein. Hilfreich kann es sein, das Vorverständnis (theoretische Grundlagen) zu benennen und alternative Deutungen in Betracht zu ziehen. Um die Güte der Interpretation möglichst hoch anzusetzen, haben wir bereits in der Phase der Codierung der Interviews und Beobachtungen mit zwei Wissenschaftlerinnen gearbeitet und in der Phase der Interpretation ebenfalls. Hier jeweils mit einer kontextgebundenen Person (Teilnahme an den Interviews und Beobachtungen) und einer unabhängigen Person (begrenzte Teilnahme an den Interviews im ersten Erhebungszeitraum). Die Kodierungen und Interpretationen wurden jeweils in einer Diskussion miteinander verglichen und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin untersucht. Konnte in diesem Verfahren keine gemeinsame Interpretation erzielt werden, wurde dies in der Ergebnisdarstellung deutlich gemacht und mögliche alternative Deutungen festgehalten. Die Regelgeleitetheit (3) in unserer Datenerfassung, Kodierung und Interpretation orientiert sich immer an konkreten Ablaufverfahren. Diese sind in den entsprechenden Kapiteln benannt. Der Nähe zum Gegenstand (4) wird insofern Rechnung getragen, als dass es bei dem zu erforschenden Thema um eine konkrete Bildungssituation geht, welche die Interviewten wöchentlich in ihrem Alltag erleben. Es handelt sich somit um einen Gegenstand, der ihnen bekannt ist. Bei MAYRING wird dies als „Alltagswelt der beforschten Subjekte“ (2002, 146) beschrieben, an welche angeknüpft werden soll. Der Befragungsraum war teilweise mit dem Raum des Bildungsangebots identisch. Die Befragung hat immer in den Räumlichkeiten der Werkstatt für behinderte Menschen und während der Arbeitszeit stattgefunden. Auch die Zielsetzung des qualitativen Ansatzes unserer Untersuchung setzt an einem konkreten sozialen Problem an und versucht insofern „Forschung für die Betroffenen [zu] machen“ (ebd.), um die Bedingungen des Lernens und Lehrens für die Beteiligten zu verbessern. Eine kommunikative Validierung (5) hat in unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses und in verschiedenen Formen stattgefunden. Im Vorfeld gab es zur Optimierung des Erhebungsinstrumentes „Leitfadengestütztes Interview“ einen Pre-Test. An der Entwicklung der Symbolkarten zur unterstützten Kommunikation waren Beschäftigte der Werkstatt beteiligt. Während der Interviews wurde gezielt durch eingebaute offene Fragen nach Beispielen aus der Lebenswelt der Interviewten gefragt. Eine zweite Stelle in den Interviews war zentral für ein Verständnis und eine Interpretation aus der Sicht der Befragten. Die Frage nach einer Begründung zu veränderten Kompetenzen ist im Verlauf der Erhebungen zusätzlich gestellt worden. Auf dem abschließenden Fachtag gab es zudem die Möglichkeit, über die Ergebnisse zu diskutieren. Was noch aussteht, ist eine Diskussion der Handlungsempfehlungen und konkreten Erkenntnisse aus diesem Abschlussbericht. Im Sinn einer umfassenden kommunikativen Validierung wäre es sinnvoll, die Analyseergebnisse und Interpretation noch einmal mit den Beteiligten abzusichern. Es wäre denkbar, wie MAYRING es formuliert, „aus diesem Dialog 41

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wichtige Argumente zur Relevanz der Ergebnisse [zu] gewinnen“ (ebd. 2002, 147) und somit eine Absicherung der Rekonstruktion subjektiver Bedeutungen zu ergänzen. Diese stellen ein wichtiges, aber nicht das einzige Kriterium der Analyse und Interpretation dar. Die Triangulation (6) von Datenquellen ist ein wichtiger Bestandteil des Forschungsdesigns der vorliegenden Untersuchung. Sie findet zum einen statt durch die Zusammenstellung unterschiedlicher qualitativer Forschungsmethoden und der Ergänzung und Kombination mit den standardisierten Fragen aus dem Interview und der damit verbundenen quantitativen Auswertung. Zum anderen findet die Triangulation statt in der Auswertung, durch mehrere Analysegänge und unterschiedliche Interpreten. LAMNEK benennt im Kontext zentraler Prinzipien qualitativer Forschung die „Explikation“ (2010, 23) und spricht hier die Offenheit der Interpretationsschritte an. Gemeint ist die für Dritte nachvollziehbare Darstellung der Interpretation an sich. Eine sogenannte „Intersubjektivität“ ist unserem Erachten nach ebenso wichtig und durch mindestens zwei unterschiedliche Interpreten auch erreichbar. Kritische Aspekte zur Darstellung qualitativer Daten finden sich bei FLICK (2009, 487ff.). So wird hier u.a. auf die sogenannte „selektive Plausibilisierung“ (ebd., 488) hingewiesen, welche durch eine gezielte Auswahl irreleitet. Selbstverständlich muss eine Auswahl von Ankerbeispielen stattfinden. Die Ergebnisse sollten möglichst vielfältig, differenziert und auch kritisch, im Sinne von ggf. sich widersprechenden Passagen, dargestellt werden. So dass neben der notwendigen Typisierung und Generalisierung auch Abweichungen deutlich werden. In der Ergebnisdarstellung haben wir immer darauf hingewiesen, wenn es sich um Einzelmeinungen handelt. Verallgemeinernde Zusammenfassungen sind entstanden aus den qualitativen Analyseschritten und werden durch ausgewählte Zitate veranschaulicht und somit nachvollziehbar gemacht. Wesentlich neben einem mehrdimensionalen Vorgehen (Triangulation) trägt zur Güte der Daten die subjektive Perspektive der Menschen mit mehrfachen Beeinträchtigungen bei. Folgende Überlegungen von SEIFERT (2010) unterstreicht dies: „Vor diesem Hintergrund bemisst sich die Güte der Daten in besonderer Weise daran, inwieweit bei der Gestaltung der Untersuchungsinstrumente und des Prozesses der Datenerhebung Bedingungen beachtet werden, die das Verstehen der Fragen erleichtern und Unterstützung bei der Beantwortung geben“ (ebd., 88). Dies ist bereits oben angedeutet und bei der Erstellung des Interviewleitfadens berücksichtigt, z.B. durch den Einsatz von leichter Sprache und Erläuterungen zu einzelnen Fragen. Es wurde ein Pre-Test durchgeführt und das Büro für leichte Sprache des Trägers involviert. Des Weiteren wurden unterstützende Symbole entwickelt und mit den Beschäftigten getestet. Gute Kenntnisse der Interviewer_innen über die Lebenswelt der Interviewpartner_innen sind weitere Merkmale, die zur Güte der Daten beitragen. Ein wichtiges Kriterium, die Güte der Daten in den Interviews und Beobachtungen, haben wir durch eine umfassende Schulung und ein entsprechendes Seminar für die studentischen Interviewer angestrebt. Nicht alle Teilnehmer_innen der Bildungsangebote konnten auf verbaler oder non-verbaler Ebene mit dem von uns entwickelten Erhebungsinstrument erreicht werden. Für diese Zielgruppen ist es notwendig, weitere Bestrebungen zu unternehmen, um auch ihre subjektive Perspektive mit in Untersuchungen einzubeziehen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung konnten von den zu Beginn 51 Befragten 38 Personen antworten. Da das Erkenntnisinteresse der Untersuchung sich auf die Analyse von Kursbedingungen in Gruppen richtet, stützen sich die Ergebnisse auf die Aussagen derjenigen, die erreicht werden konnten und deren Aussagen wurden verallgemeinert. 42

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3.5 Aufbereitung und Auswertung der erhobenen Daten Das Aufbereitungs- und Auswertungsverfahren gliedert sich in zwei Bereiche. Die Auswertung der statistischen Daten wurde mittels der Software SPSS durchgeführt. Für die qualitative Auswertung wird ein Verfahren gewählt, welches dem Bereich der qualitativen Inhaltsanalyse zuzuordnen ist. Laut BORTZ und DÖRING (2003) besteht hier das Ziel darin, „die manifesten und latenten Inhalte des Materials in ihrem sozialen Kontext und Bedeutungsfeld zu interpretieren, wobei vor allem die Perspektive der Akteure herausgearbeitet wird“ (S.329). Im Rahmen des vorliegenden Forschungsdesigns wurde aus der Vielzahl von qualitativen Auswertungsverfahren ein Vorgehen in Anlehnung an die Methode der inhaltlichen Strukturierung gewählt. Hierbei werden „durch theoriegeleitet entwickelte Kategorien“ (MAYRING 2008, S.89) Themen aus den gewonnen Daten herausgefiltert. Die Ableitung der Kategorien erfolgt anhand der im Fragebogen erfassten und zuvor gebildeten Indikatoren zur Beantwortung der Forschungsfragen. Um dem Material gegenüber dennoch offen zu bleiben, sieht das Vorgehen eine Ergänzung der Kategorien anhand induktiv erfasster Unterkategorien vor. Die insgesamt 131 durchgeführten Interviews wurden dafür zunächst vollständig transkribiert und mit Hilfe von MAXQDA kodiert. Dafür wurden sie einzeln, Satz für Satz betrachtet und die Aussagen der Interviewpartner_innen entsprechend den einzelnen Unterkategorien zugeordnet. Im Rahmen des induktiven Auswertungsschritts werden für jene Aussagen, die zur Beantwortung der Forschungsfragen als relevant erscheinen, die sich aber nicht den bestehenden Kategorien zuordnen lassen, Unterkategorien gebildet. Nach Abschluss der Kodierungsphase aller Interviews wurden die erfassten Textstellen in Form von paraphrasierten Tabellen zusammengefügt, um hier die inhaltliche sowie die anzahlmäßige Verteilung analysieren zu können. Die Überprüfung quantitativer Verteilungen qualitativer Aussagen dient der Einschätzung, ob es sich hierbei um Einzelmeinungen oder auf die Gruppe der Teilnehmer_innen übertragbare Aussagen handelt. Im letzten Auswertungsschritt wurden die Aussagen bezogen auf die Kernfragestellungen interpretiert und miteinander sowie mit den Ergebnissen der Beobachtungsdaten in Beziehung gesetzt. Für die transkribierten Beobachtungen wurde das gleiche Kodierungssystem und -verfahren zugrunde gelegt. Dies wird u.a. bei FLICK so beschrieben (FLICK 2009, 286). Das Verfahren lässt sich wie folgt abbilden: 1. Festlegung theoriengeleiteter Kategorien (deduktiv)

2. Zuordnung der Textstellen: kategoriengeleitete Paraphrasierung des Materials

3. Ergänzung des Kategoriensystems durch Hinweise aus dem Material (induktiv)

4. Analyse der einzelnen Kategorien, Prüfung der quantitativen und qualitativen Verteilung

5. Inbeziehungsetzung und Interpretation der erfassten Meinungen

Abbildung 3: Darstellung des Auswertungsverfahrens

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3.6 Forschungsethik Es wurden in der vorliegenden Untersuchung insbesondere die ethischen Prinzipien „freiwillige Teilnahme“ und „informierte Einwilligung“ („informed consent“) (vgl. LAMNEK 2010, 652;659; FLICK 2009 59ff.) berücksichtigt. Eng damit verknüpft sind Aspekte des Wohlergehens sowie der Wahrung der Würde und der Rechte der Teilnehmenden bzw. wie GLÄSER & LAUDEL (2010) es treffend in einer Überschrift als „Verhalten gegenüber den Untersuchten“ (ebd., 51) formulieren und sich im Weiteren auf Überlegungen von WARWICK aus dem Jahr 1982 beziehen. Die freiwillige und informierte Teilnahme bedeutet in diesem Projekt, dass die Einwilligung der Teilnehmenden zu Beginn des Projektes schriftlich eingeholt wurde. Vorab fanden zwei Informationsveranstaltungen statt, die zum einen generell über die Bildungsangebote informiert haben und zum anderen in einfacher Sprache erklärt wurde, was es bedeutet, am Forschungsprozess teilzunehmen. Diese Informationen wurden im Zuge der Anmeldung auch in schriftlicher Form weitergegeben. Ein weiterer Aspekt war die Achtung der Teilnehmenden in Bezug auf persönliche Grenzsetzungen. Es wurde deutlich zu Beginn jedes Interviews darüber informiert, dass nicht alle Fragen beantwortet werden müssen, jederzeit eine Pause gemacht werden kann und das Interview auch auf Wunsch des Probanden abgebrochen werden kann. Die Informationen, warum geforscht wird, was mit den Daten passiert und dass die Teilnahme freiwillig ist, wurden zu Beginn in den Interviews in allen vier Erhebungszeiträumen wiederholt und bei Bedarf erläutert. Das Ziel des Forschungsvorhabens wurde offengelegt. Dies gilt für die Interviews ebenso für die Beobachtungen, Gruppendiskussionen und Mitarbeiterbefragungen. Im Rahmen des Forschungsprozesses wurde Wert darauf gelegt, den Schutz des Probanden vor Schaden zu wahren. Die Möglichkeit ein Interview jederzeit abzubrechen, dient auch dem Ziel, dem Probanden nicht zu schaden, d.h. keine negativen Prozesse auszulösen und die Situation so angenehm wie möglich zu gestalten. Dies bedeutet, dass Stress und Angst nach Möglichkeit verhindert werden sollten, z.B. durch eine vertrauensvolle wertschätzende Gesprächsführung. Selbstvertrauen wurde wenn möglich durch Aufmunterung und Motivation gefördert, ohne dabei das Antwortverhalten zu beeinflussen, was sicherlich teilweise eine Gratwanderung darstellte. Hierunter ist des Weiteren zu verstehen, dass die Privatsphäre der Teilnehmenden nicht verletzt wird. Wurden während des Interviews persönliche Daten preisgegeben, wurde auf diese von den Interviewer_innen nicht eingegangen bzw. das Gespräch behutsam auf die Themen des Interviews zurückgelenkt. Interviewer_innen sind entsprechend geschult worden, d.h. die Aspekte wurden besprochen, reflektiert und als Leitorientierung schriftlich mitgegeben. In Ausnahmefällen war es möglich, dass eine dem Probanden vertraute Person anwesend war. Entsprechende mögliche Verzerrungen im Antwortverhalten des Probanden wurden hier zu Gunsten des ethischen Prinzips zugelassen und im Anschluss an das Interview von den beiden Interviewer_innen die möglichen Auswirkungen der Anwesenheit einer dritten Person reflektiert. Um Rückschlüsse auf die beteiligten Personen zu verhindern, wurden alle Daten anonymisiert und für alle Teilnehmenden zu Beginn eine Codenummer festgelegt. Es galt das folgende Schema: IP-01-A01-07. Dies wäre beispielsweise der Interviewpartner (IP) zum ersten Erhebungszeitpunkt (IP-01) aus dem ersten Computerkurs (A-01) mit der Nr. 7 (07). Eine Liste der Zuordnung der Kursteilnehmer_innen der jeweiligen Kurse mit den Nummern liegt nur der Projektleitung und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin vor. Diese sowie alle studentischen Mitarbeiterinnen wurden schriftlich zur 44

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Wahrung der Datengeheimnisse verpflichtet. Um im Rahmen des hier vorliegenden Abschlussberichts die Anonymität der Daten weiter zu sichern, wird in der Ergebnisdarstellung bei Zitaten darauf verzichtet, die entsprechende Codenummer anzugeben. Hier steht ‚I‘ jeweils für Interviewer_in und ‚IP‘ für Interviewpartner_in. Neben den ethischen Überlegungen gegenüber den beteiligten Probanden im Forschungsprozess wurden die grundlegenden wissenschaftlichen ethischen Standards für Hochschulen analog den Richtlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zur Vermeidung wissenschaftlichen Fehlverhaltens an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe berücksichtigt (EFH RWL 2015) sowie ein faires und ehrliches Verhalten gegenüber Fachkolleg_innen und Kooperationspartner_innen umgesetzt (vgl. GLÄSER, LAUDEL, 2010, 56f.).

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4 Ergebnisse Wie beschrieben liegen dem Forschungsinteresse zwei Kernfragen zugrunde. Im Folgenden werden die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung bezogen auf die Kernfragen dargestellt. 4.1 Erweiterung der subjektiven Teilhabemöglichkeiten Die erste Kernfrage versucht herauszufinden, ob sich durch die Teilnahme an den Bildungsangeboten die subjektiven Teilhabemöglichkeiten der einzelnen Teilnehmer_innen erweitern. Hierbei liegt der Interessensgewinn speziell auf der Frage der Erweiterung von Teilhabemöglichkeiten durch die Nutzung neuer Medien. Die vorab formulierte Vermutung lautet: „Die Möglichkeit der Nutzung neuer Medien (besonders des Internets) führt zu einer Erweiterung der Teilhabemöglichkeiten (und damit einhergehend der sozialen Inklusion) auf der Ebene der einzelnen Teilnehmer_innen.“ Diese Vermutung begründet sich auf die sich verändernden gesellschaftlichen Prozesse, also darauf, dass die Nutzung neuer Medien zum Beispiel im Bereich der kulturellen Teilhabe erheblichen Einfluss haben kann. Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wird die subjektive Wahrnehmung der einzelnen Teilnehmer_innen zugrunde gelegt. Als Indikatoren für einen Zuwachs von Teilhabemöglichkeiten werden vier Kompetenzbereiche zugrunde gelegt. Hierbei handelt es sich um die Bereiche der Lese- und Schreibkompetenz sowie um die Computer- und Internetkompetenz. Es wird davon ausgegangen, dass ein Zuwachs der beschriebenen Kompetenzbereiche zu einer erweiterten Nutzung neuer Medien, und damit zu einem Ausbau der Teilhabemöglichkeiten führt. Für die Überprüfung wird die Kompetenzeinschätzung anhand quantitativer Fragen ermittelt und anschließend mithilfe aufbauender qualitativer Fragen sowie dem Vergleich mit der Kontrollgruppe überprüft. Die Überprüfung dient dazu, herauszufinden, ob dieser Zuwachs tatsächlich zu einer Erweiterung führen kann und auch auf die Teilnahme an den hier durchgeführten Bildungsangeboten zurückzuführen ist.

4.1.1 Lesekompetenz Werden die beiden Computergruppen sowie die beiden Rehasportgruppen zusammengefasst, lässt sich feststellen, dass sich die Lesekompetenz der Teilnehmer_innen kaum bis nicht verändert hat. Es lassen sich in den Daten Einzelbeschreibungen positiver Kompetenzentwicklungen finden, welche aber nicht auf die Gesamtgruppe der Kursteilnehmer_innen übertragbar sind. Auch das Leseverhalten, also die Frage danach, was gelesen wird, ist grundsätzlich gleichbleibend. Hierbei gibt es keinen nennenswerten Unterschied zwischen den Computer- und Rehasportkursen. Inhaltlich lässt sich anhand der Interviews nicht einschätzen, aus welchem Grund es keine nennenswerten Unterschiede in den Einschätzungen der subjektiven Lesekompetenz gibt, obwohl dies zu Beginn der Kurse von fast einem Drittel der Computerkursteilnehmer_innen deutlich als Ziel und Grund für die Kursteilnahme genannt worden ist. Es lässt sich die Vermutung aufstellen, das dem Bereich Lesen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde oder sich das Lesenlernen für die Teilnehmer_innen als schwierige Aufgabe herausstellte. Darüber hinaus müsste an dieser Stelle hinterfragt werden, inwieweit die unterschiedlichen bereits vorhandenen Lesekompetenzen innerhalb einer Gruppe Einfluss darauf haben, dass dem Bereich der Lesekompetenz evtl. nicht ausreichend Raum gegeben wurde. Aufgrund der Ergebnisse der Interviewbefragungen und den daraus abgeleiteten Vermutungen ergibt sich die Empfehlung, dass der Bereich der Lesekompetenz im Rahmen solcher Bildungsangebote deutlicher als Lernbaustein in die Kursinhalte verankert werden sollte, um dem

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Ziel der Teilnehmer_innen, ihre jeweilige Lesekompetenz aufzubauen oder zu verbessern, gerecht zu werden. 4.1.2 Schreibkompetenz Im Rahmen der Gruppenanalysen lässt sich keine Veränderung der Schreibkompetenzen feststellen, welche auf die gesamten Kursgruppen übertragbar wäre. Es zeigt sich aber, dass in beiden Computerkursen bei der Betrachtung von Einzelfällen Teilnehmer_innen ihre subjektive Schreibkompetenz als verändert wahrnehmen. Dies sind zumeist positive Veränderungen, also eine verbesserte Schreibkompetenz. In Einzelbeschreibungen lassen sich Begründungen hierfür finden. Diese liegen in der Möglichkeit üben zu können sowie in erhaltener Unterstützung. Als Beispiele für erhaltene Unterstützung nennen drei Teilnehmer_innen der Computerkurse die Kurse, eine teilnehmende Person Unterstützung durch ein Familienmitglied. Zwei Computerkursteilnehmer_innen beschreiben eine Verschlechterung der eigenen Kompetenzen, wobei eine Person dies sehr deutlich auf die eigenen, sich verschlechternden, körperlichen Einschränkungen zurückführt, also dass aufgrund körperlicher Einschränkungen das Schreiben am Computer möglich ist, per Hand nicht. Im Rahmen der hier durchgeführten Kurse lassen sich keine allgemeinen Tendenzen über eine Veränderung der Schreibkompetenz feststellen. Es gibt jedoch eine kleine Gruppe von Einzelfällen, die eine Veränderung benennen und begründen können. Es stellt sich somit die Frage, welche hinderlichen Faktoren zu einer Erweiterung der Kompetenzen geführt haben. Bei den Teilnehmer_innen, die zu Beginn der Kurse angegeben haben, dass sie nicht schreiben können, haben sich die Kompetenzen nicht verändert. Da dies nur sehr wenige Teilnehmer_innen sind, lässt sich hieraus nicht schließen, dass die Kurse im Bereich der Schreibkompetenz vorrangig auf geringen Schreibkompetenzen aufgebaut haben. Es lässt jedoch die Fragen zu, ob hier zum einen eine intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik der Schreibkompetenz zu einem anderen Ergebnis geführt hätte und zum anderen individuelle Ziele stärker berücksichtigt hätten werden kann. Bei den Einzelfällen mit positiver Entwicklung zeigt sich, dass diese Teilnehmer_innen häufig die Möglichkeit üben zu können sowie das Erhalten von Unterstützung als Begründung für die Kompetenzerweiterung sehen. Hierdurch lässt sich untermalen, dass die Durchführung von Bildungsangeboten sinnvoll ist, um die notwendige Unterstützung zu leisten. Ein weiterer Aspekt für die Sinnhaftigkeit der Bildungsangebote ist, dass die Möglichkeit am Computer schreiben zu lernen für Menschen mit fortschreitenden körperlichen Einschränkungen zu einer Erweiterung bzw. dem Erhalt von Eigen- und Selbstständigkeit führen kann und sich somit positiv auf die Teilhabemöglichkeiten der jeweiligen Person auswirken kann. „I: Und können Sie schreiben? Also können Sie gut schreiben, ein bisschen schreiben oder nicht schreiben? IP: Ich kann gut schreiben. Allerdings nur bei Laptop oder Computer. I: Mhm. IP: Mit der Hand kann ich nicht leserlich schreiben.“

4.1.3 Computerkompetenz Die Einschätzung der eigenen Computerkenntnisse sowie der Nutzung des Computers verändert sich deutlich mit der Teilnahme am Bildungsangebot. Im Schnitt lassen sich in beiden Computerkursen positive Tendenzen, also eine messbare Erweiterung der eigenen Computerkompetenzen, feststellen.

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80 70 60 50

Computer (T1) n=21 Computer (T2) n=22

40

Computer (T3) n=19 30

Computer (T4) n=19

20 10 0 Gut

Ein bisschen

Nicht

Abbildung 4: Wie gut können Sie mit dem Computer umgehen? Ergebnisse der beiden Computerkurse zusammengefasst zu den vier Erhebungszeitpunkten (T) angegeben in %.

Diese fällt im Computerkurs 3 (ohne Vorkenntnisse) deutlicher aus als im Computerkurs 4 (mit Vorkenntnissen). Für die Begründung der verbesserten Kompetenzen lassen sich in beiden Kursen Aussagen zu erhaltener Unterstützung und der Teilnahme am Computerkurs finden. Die Computerkurse führen zu einer Erweiterung der Computerkompetenzen bei den Teilnehmer_innen der Bildungsangebote. Dies wird besonders deutlich in Computerkurs 3. Hierfür scheint das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen von Vorkenntnissen entscheidend zu sein. Durch die Begründung der Teilnehmer_innen, dass erhaltene Unterstützung und die Kursteilnahme die Hauptgründe für die positive Entwicklung sind, lässt sich bestätigen, dass ein direktes Kursangebot für diesen Personenkreis als geeignet erscheint. „I: Und wenn Sie sagen, Sie können jetzt ein bisschen mehr als vorher, woran liegt das? IP: Huu. I: Also wo haben Sie das gelernt? IP: Hier in dem äh hier in dem hier in dem Kurs.“

Ein weiterer positiver Aspekt des Angebotes ist der hergestellte Zugang zum Medium Computer und Internet. So bestätigen die statistischen Werte, dass zwar die Anzahl der Teilnehmer_innen mit Zugang zu einem eigenen Computer sich nicht wesentlich verändert hat, aber die Anzahl der Teilnehmer_innen, die keinerlei Zugang zu einem Computer hat, deutlich sinkt (von acht auf zwei Personen in beiden Kursen). Hierbei kann jedoch keine Nachhaltigkeit erreicht werden, da mit Ende der Bildungsangebote für einige Teilnehmer_innen vermutlich auch der Zugang zum Medium Computer enden wird.

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4.1.4 Internetkompetenz Anhand der statistischen Daten lässt sich ablesen, dass der Bekanntheitsgrad des Internets im Verlauf der Kurszeit zugenommen hat. Schätzen zu Beginn des Kurses acht Teilnehmer_innen der Computerkurse ein, dass sie das Internet nicht kennen, so sind es zum Ende des Kurses noch zwei Teilnehmende. Bei der Betrachtung der Verläufe von Aussagen einzelner Teilnehmer_innen über die vier Erhebungszeiträume fällt auf, dass die Einschätzung einzelner Teilnehmer_innen bezüglich der Kenntnis des Internets schwankt. Das heißt, dass eine Person zum Beispiel in T1 und T3 angegeben hat das Internet zu kennen, in T2 und T4 dann wiederum angegeben hat das Internet nicht zu kennen. Eine Begründung hierfür ist anhand der Daten nicht zu erkennen. Eine deutliche Veränderung zeigt sich auch bei der Einschätzung der eigenen Internetkompetenzen. Zu Beginn des Kurses geben knapp 55% (in dem Computerkurs ohne Vorkenntnisse sind es 90%) der Kursteilnehmer_innen an, das Internet nicht bedienen zu können. Am Ende des Kurses hat sich diese Zahl insgesamt auf 15% (in dem Computerkurs ohne Vorkenntnisse auf 33,3%) der Kursteilnehmer_innen reduziert. 70 60 50 Computer (T1) n=22

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Computer (T2) n=18 30

Computer (T3) n=18 Computer (T4) n=19

20 10 0 Sehr gut

Gut

Ein bisschen

Nein

Abbildung 5: Können Sie das Internet bedienen? Antworten der Computerkursteilnehmer_innen zusammengefasst zu den verschiedenen Erhebungszeitpunkten (T), angegeben in %.

Diese Daten lassen sich weiterhin durch die qualitative Analyse der Interviews stützen. So schätzen zehn Teilnehmer_innen ihre Kompetenzen nach einem halben Jahr besser ein als im Interview zuvor (T1-T2), von denen fünf den Computerkurs als Grund der Verbesserung benennen. „I: Vor nem halben Jahr, da haben Sie gesagt, dass Sie das Internet nicht bedienen können. Heute haben Sie gesagt, dass Sie es schon ein bisschen bedienen können. Das heißt… IP: Ja. I: …dass sich das verbessert hat. IP: Im Kurs, ja. I: Genau. Genau, und meine nächste Frage ist: Wie es dazu gekommen ist, dass Sie da schon was dazugelernt haben?

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IP: Ja, durch den Computerkurs. I: Durch den Computerkurs. Das ist doch schön.“

Auch bei den Befragungen zu späteren Erhebungszeitpunkten benennen Teilnehmer_innen immer wieder den Computerkurs als Grund für die Verbesserung der eigenen Internetkompetenzen. Darüber hinaus wird die Möglichkeit zu üben bzw. der Erhalt von Unterstützung, z.B. durch Familienmitglieder, als Begründungszusammenhang genannt. Bei der Frage nach der Wichtigkeit, den Computer und das Internet bedienen zu können, treffen die Teilnehmer_innen besonders häufig Aussagen zum Bereich der Internetnutzung. Es besteht ein hohes Bewusstsein über die Möglichkeiten der Computer- und Internetnutzung. Weiterhin sind auch Gefahren des Internets, z.B. Abofallen oder Kinderpornographie, bekannt. Aber nicht nur die private Nutzbarkeit des Internets spielt hier eine Rolle, sondern auch die gesellschaftliche Anerkennung. So kommen im Verlauf der Interviews Aussagen wie z.B. nicht mehr als „dummer Junge“ dargestellt werden zu wollen. Besonders deutlich drückt es eine Person aus: „I: Mh. Gut. Und Ihre, was denken Sie, warum ist es wichtig den Computer und das Internet bedienen zu können? IP: Ja, damit man mit den draußen mitreden kann. I: Mhm. IP: Damit man nicht am seidenen Faden hängt und sagt, man hat keine Ahnung. I: Ja. IP: Also, dass ich mit denen mithalten kann, so gut es geht.“

4.2 Bedingungen inklusiver Lehr- Lernarrangements in der Erwachsenenbildung Wie bereits beschrieben, gibt es im deutschsprachigen Raum bislang kaum Erfahrungen und Erkenntnisse zu Angeboten inklusiver Erwachsenenbildung. Im Rahmen des Forschungsprojekts liegt das Interesse der zweiten Kernfrage darin, herauszufinden, welche Bedingungen Einfluss auf die Gestaltung von (inklusiven) Bildungsangeboten in der Erwachsenenbildung haben. Zur Operationalisierung wurden in Anlehnung an den Index für Inklusion Aspekte zur Gestaltung inklusiver Lernsettings ausgewählt und für den Bereich Erwachsenenbildung modifiziert. Im Rahmen der hier durchgeführten Untersuchung lassen sich anhand der Interview- sowie der Beobachtungsergebnisse sechs Analyseebenen für den Bereich förderlicher und hinderlicher Kursbedingungen identifizieren: − Ausstattung − Persönliche Ebene der einzelnen Teilnehmer_innen − Kursgruppe − Unterstützung − Rolle der Fortbildner − Partizipationsmöglichkeiten Im Folgenden werden die Ergebnisse der einzelnen Analyseebenen mit ihren jeweiligen Unterkategorien vorgestellt. 4.2.1 Ausstattung Äußere Rahmenbedingungen haben einen großen Einfluss auf die Gestaltung von Bildungsangeboten. So stellt der Bereich der Ausstattung eine Analyseebene für die Identifikation positiver und negativer Kursbedingungen dar. Hierbei wird unterschieden in:

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Zeitliche Ausstattung Räumliche Ausstattung Technische Ausstattung

Die vier Bildungsangebote finden jeweils einmal wöchentlich mit einem Zeitumfang von 90 Minuten statt. Im Rahmen der qualitativen Daten wird hierauf von Seiten der Kursteilnehmer_innen kaum Bezug genommen. Daher entsteht der Eindruck, dass der vorliegende zeitliche Rahmen als angemessen erscheint. Einzelne Aussagen der Interviewpartner_innen benennen, dass die Kurszeit zu kurz ist. Diese Wahrnehmung kann aber, aufgrund der seltenen Nennungen, nicht auf die Gesamtheit der Kursteilnehmer_innen übertragen werden. Eine weitere teilnehmende Person erwähnt, dass die Zeit des Kurses ungünstig gewählt ist, da der Kurs mit Beginn der Frühstückspause beginnt und den Teilnehmer_innen hier somit ihre Pause fehlt. Auch hierbei handelt es sich um eine Einzelmeinung, wobei der Hinweis, grundsätzlich auf den Beginn der Kurszeiten in Abhängigkeit der Pausenzeiten zu achten, als sinnvoller Hinweis eingeschätzt werden kann. Die Argumentation der Interviewpartnerin hierzu ist, dass es für manche Teilnehmer_innen schwierig zu verstehen ist, warum sie an einem Tag in der Woche keine Frühstückspause haben. Weiterhin erscheint dieser Einwand als berechtigt, da die Vermutung nahe liegt, dass es während der Pause im Gebäude unruhiger ist. Im Hinblick auf die räumliche Ausstattung liegt hier ein deutlicher Unterschied zwischen den Räumlichkeiten der Computerkurse und der Rehasportkurse vor. Die Computerkurse finden im sogenannten „Mehrzweckraum“ statt. Hierbei handelt es sich um einen geschlossenen Raum, welcher mit Tischen und Stühlen ausgestattet ist. In diesem Raum finden während der Woche verschiedene Gruppenangebote und Besprechungen statt. Die Laptops befinden sich in einem verschlossenen Schrank innerhalb des Mehrzweckraums. Im Verlauf der Bildungsangebote ist der Raum nach Umbaumaßnahmen vom Dachgeschoss in das Erdgeschoss verlagert worden und somit für alle gut erreichbar.

Abbildung 6: Mehrzweckraum der WfbM nach Umzug ins Erdgeschoss (eigenes Foto)

Hinweise zu der räumlichen Ausstattung finden sich in den qualitativen Daten der Interviews nur wenige. Einzelne Teilnehmer_innen empfinden den Raum als zu klein, wobei sich diese Aussage nur auf den ersten Kursraum bezieht. Nach dem Raumwechsel scheint der Platz im Mehrzweckraum ausreichend zu sein. Innerhalb der Beobachtungsdaten lassen sich hierzu keine Anhaltspunkte finden. 51

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Die Rehasportkurse finden im „Speisesaal“ statt. Hier gibt es die Möglichkeit, eine Ecke des Raumes an einer Seite durch einen Vorhang vom Rest des Raumes abzutrennen. Angegliedert an den Speisesaal sind der Arbeitsbereich der Küche sowie der Durchgang zum Café im Nebengebäude der WfbM.

Abbildung 7: Bereich des Speisesaals – Rehasportkurs (eigenes Foto)

Auch hier gibt es aus Sicht der Teilnehmer_innen wenig Aussagen. Einzelne Interviewpartner_innen beschreiben den ‚Raumteil‘ als zu klein und zu unruhig. „IP: Was mich auch stört, is immer, wir sind nicht, halt, der Platz reicht nicht. Also wenn wir Übungen machen, zum Beispiel so und dann müssen wir so machen [breitet die Arme aus/macht eine Übung vor]. I: Ja. IP: Dann krieg ich grundsätzlich immer einen inne Schnauze.“

Auch wenn es sich hierbei um Einzelaussagen handelt, die nicht auf die Gesamtheit der Rehasportgruppe übertragen werden können, so ist der Hinweis, dass der Platz zu klein ist und hierdurch ein Verletzungsrisiko besteht ernst zu nehmen. Die Auswertung der Beobachtungsdaten macht eine Problematik dieser Raumsituation sehr deutlich. Hier finden sich viele Hinweise auf einen hohen Geräuschpegel durch den Arbeitsbereich der Küche, andere Gruppen innerhalb des Speisesaals (Frühstücksgruppe) sowie Menschen, die durch den Speisesaal gehen und teilweise die Rehasportgruppe ansprechen. Auch innerhalb der Gruppendiskussionen mit den Kursleitungen wird die Problematik der Raumsituation der Rehasportkurse immer wieder thematisiert. Aus diesen Ergebnissen lässt sich deutlich die Notwendigkeit ableiten, dass es für Bildungsangebote der Erwachsenenbildung einen geschlossenen Raum mit ausreichend Platz bedarf. Unter den Bereich der technischen Ausstattung werden sowohl die Computer als auch verwendete Hilfsmittel gefasst. Die Computerkurse sind ausgestattet mit jeweils einem Laptop pro Kursteilnehmer_in, so dass jede teilnehmende Person innerhalb der Bildungsangebote seinen/ihren eigenen Laptop verwenden kann. Zu Beginn der Bildungsangebote wurde überprüft, ob die Teilnehmer_innen Hilfsmittel für die Nutzung der Laptops benötigen und wenn ja, wurden diese angeschafft. In diesem Zusammenhang werden einige Rolltische angeschafft, die es den Teilnehmer_innen ermöglichen sollen, die Laptops so aufzustellen, dass jede/r Einzelne seinen/ihren Laptop gut erreichen kann. Hierdurch scheinen alle teilnehmenden Personen, unabhängig von körperlichen Einschränkungen, 52

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ihren Laptop nutzen zu können. In Einzelaussagen wird jedoch die Qualität bzw. Stabilität der Tische bemängelt. Eine weitere Person beschreibt die Nutzung von Hilfsmitteln, wie einer großen Maus und einer vergrößerten Tastaturauflage, als sehr hilfreich. Im Verlauf der Interviews zu den verschiedenen Zeitpunkten wird nicht deutlich, ob nach einer gewissen Laufzeit des Bildungsangebots die Nutzung von Hilfsmittel erneut überprüft und ggf. angepasst wird. Auch die Beobachtungsdaten geben hierüber keine eindeutigen Hinweise. In Einzelsituationen scheint eine Überprüfung des Hilfsmittelbedarfs sinnvoll, z.B. bei einer teilnehmenden Person, die sich immer wieder sehr nah an den Bildschirm beugt. Zu dem Aspekt der technischen Ausstattung der Computer wird in Einzelmeinungen deutlich, dass hier Schwierigkeiten vorliegen, wenn die Laptops Updates installieren oder „sich selbst reparieren“. Im Rahmen der Auswertung der Beobachtungsdaten zu der technischen Ausstattung der Bildungsangebote lassen sich ausschließlich Hinweise zu den Computerkursen finden. Hierbei wird deutlich, dass die technische Einstellung der Laptops als problematisch erscheint, da diese sich regelmäßig während der Kurse runterfahren, um Updates zu machen. „KL erklärt schon mal, was die TN jetzt machen sollen (9:45) und zeigt das an der Tafel an. Wörter schreiben und einzelne Buchstaben markieren. Von einzelnen TN kommt immer wieder, dass der Laptop nicht geht, einzelne Laptops machen Updates.“ (Zitat aus einer Beobachtungssequenz in T2)

Hier erscheint es angebracht, die technischen Einstellungen so vorzunehmen, dass die Aktualisierung der Computer grundsätzlich nicht während der Kurszeit stattfindet. Diese Schwierigkeit wurde im Verlauf des Projektes im Sinne der formativen Evaluation mit den Kooperationspartnern thematisiert und es wurde nach Lösungsansätzen gesucht. Der Vorschlag, die Laptops so einzustellen, dass sie erst beim regulären Runterfahren Updates machen und dann von Mitarbeiter_innen der WfbM weggeschlossen werden, wurde scheinbar von Seiten der Kursleitungen nicht umgesetzt.

4.2.2 Persönliche Ebene der einzelnen Teilnehmer_innen Als weitere Analyseebene für die Auswertung der Bedingungen für die Gestaltung inklusiver LehrLernarrangements wird die persönliche Ebene der Teilnehmer_innen angesehen. Diese haben durch ihre Vielfalt großen Einfluss auf die Umsetzung von Gruppen-Lernsettings. Auf der Grundlage theoretischer Vorüberlegungen sowie der Offenheit gegenüber dem Material lassen sich verschiedene Aspekte der persönlichen Ebene, welche hier einen merkbaren Einfluss haben, identifizieren. Hierzu zählen: → Vorbedingungen der Erwachsenenbildung → Vorhandene Lernerfahrungen der einzelnen Teilnehmer_innen → Bedenken und Erwartungen an das Bildungsangebot → Lernziele und Lernerfolge → Wünsche → Allgemeine Bedeutung neuer Medien Kernelemente der Grundprinzipien für die Erwachsenenbildung sind laut THEUNISSEN (2003, 66f.) Freiwilligkeit, Wahlmöglichkeiten sowie Selbst- und Mitbestimmung. Diese ergeben sich aus der Tatsache, dass erwachsene Menschen nicht gezwungen werden können sich weiterzubilden, und lassen sich auf den Bereich der Erwachsenenbildung für und mit Menschen mit Behinderungen übertragen. Die Vorgehensweise im vorliegenden Projekt entspricht diesen Prinzipien. Vor Beginn der Bildungsangebote hat für alle interessierten Beschäftigten der WfbM eine Infoveranstaltung stattgefunden, 53

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bei der die Bildungsangebote vorgestellt und Fragen geklärt werden konnten. Die Beschäftigten haben darüber hinaus einen Infozettel sowie einen Anmeldebogen erhalten und konnten sich freiwillig dazu entscheiden, sich für eins der beiden Angebote anzumelden. Als Vorbedingung zur Teilnahme bestanden hier einzig das Prinzip der Freiwilligkeit sowie die Bereitschaft an einem Forschungsprojekt teilzunehmen. Von ca. 190 Beschäftigten der WfbM haben sich insgesamt 73 Personen für die vier Kurse angemeldet. Aus diesen Anmeldungen wurden die Teilnehmer_innen der 48 bzw. 51 Kursplätze per Zufall gezogen. Somit wird dem Prinzip, dass sich die Gruppen natürlich und aus Interesse an einem Gegenstand zusammensetzen, Rechnung getragen. Durch das Vorhandensein von zwei thematisch unterschiedlichen Kursbereichen kann (wenn auch nur begrenzt) dem Prinzip der Wahlmöglichkeit entsprochen werden. Dies zeigt sich in den Interviews dadurch, dass Teilnehmer_innen sich positiv dazu äußern die Möglichkeit der Teilnahme zu haben. Die steigende Verbreitung neuer Medien für die Freizeitgestaltung lässt sich anhand von Studien belegen (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2013). Mit der Abfrage der Freizeitgestaltung im Rahmen der hier durchgeführten Interviews soll überprüft werden, ob die Nutzung der Medien Computer und Internet bei den Kursteilnehmer_innen von Bedeutung ist. Im Rahmen der Interviews werden die Kursteilnehmer_innen zu ihren bisherigen Lernerfahrungen befragt. Dies bezieht sich nicht ausschließlich auf Erfahrungen innerhalb von Angeboten der Erwachsenenbildung oder Formen des Lebenslangen Lernens, sondern auf die Bandbreite aller positiven und negativen Erfahrungen, die sie im Verlauf ihrer Biografie gemacht haben. Die in den Interviews beschriebenen positiven Lernerfahrungen zeigen eine Vielzahl verschiedener Erfahrungen und beziehen sich auf unterschiedliche Lernorte (z.B. Schule, Arbeit, Bildungsangebote). Die Beispiele umfassen zum einen den erreichten Wissenszuwachs, aber auch die Erfahrung von Unterstützung sowie die eigene Kraft sich gegenüber anderen Personen durchzusetzen. „I: Ok, haben Sie bereits gute Erfahrungen gemacht beim Lernen? Also z.B. in der Schule oder auf der Arbeit oder in diesem Kurs? IP: Auf der Arbeit. I: Auf der Arbeit. Da haben Sie gute Erfahrungen gemacht beim Lernen? IP: Ja. I: Was waren das für Erfahrungen? IP: Lernen, schreiben.“

Bei den negativen Lernerfahrungen zeichnet sich ein recht eindeutiges Bild ab. Die Interviewpartner_innen, welche von negativen Lernerfahrungen berichtet haben, beziehen sich primär auf den Lernort Schule und umschreiben hier vor allem zwischenmenschliche Situationen. So wird häufig von Schwierigkeiten mit Lehrenden und Mitschülern berichtet. „I: Haben Sie denn da auch schlechte Erfahrungen gemacht? Beim Lernen? IP: Natürlich nich noch mal waba wenn normal normaln Schulalter hat man mich nich inne Schule geschickt, da wolln die Lehrer mich nich habn. I: Da wollten die Lehrer Sie nicht haben? IP: Ne.“

In der Annahme, dass hier besonders die negativen Erfahrungen einprägsam sind, ist es wichtig, dass diese sich im Rahmen der hier durchgeführten Bildungsangebote nicht wiederholen. Für die Gestaltung positiver Kursbedingungen erscheint es daher als bedeutsam, dass die Teilnehmer_innen innerhalb der Kurse Anerkennung und Engagement, besonders seitens der Kursleitungen, erfahren.

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Inwiefern die Teilnehmer_innen sich bezüglich der erfahrenen Zuwendung und Unterstützung äußern, ist innerhalb der Analyseebenen „Fortbildner“ und „Unterstützung“ erfasst. Hier gilt es anschließend an die Betrachtung der einzelnen Analyseebenen die entsprechenden Querverbindungen zu ziehen. Der Einfluss negativ gemachter Lernerfahrungen spiegelt sich auch in den Ergebnissen zu den Bedenken der Teilnehmer_innen wider. Zu Beginn der Bildungsangebote wurden die Teilnehmer_innen befragt, was sie in den Kursen nicht erleben möchten. Die am häufigsten benannten Bedenken bezüglich der Kurse ist die Sorge davor, ausgelacht oder nicht ernstgenommen zu werden. Die zweithäufigste Nennung liegt bei den Bedenken darin, dass es Streit in der Gruppe geben könnte. Das bedeutet, dass der Gestaltung der zwischenmenschlichen Ebene innerhalb der Kurssituationen eine hohe Priorität eingeräumt wird. Als Einzelnennungen gibt es darüber hinaus die Sorge davor, Fehler am Computer zu machen oder einen Unfall zu haben. Zum Abschluss der Befragungsphase, also im vierten Erhebungszeitraum, werden die Teilnehmer_innen abschließend dazu befragt, ob ihre Bedenken eingetreten sind. Dazu werden die jeweiligen Nennungen aus der ersten Befragung den Fragebögen für die vierte Erhebung zugeordnet. Als sehr positives Ergebnis lässt sich festhalten, dass von 13 Interviewpartner_innen, welche diese Frage beantworten konnten, nur eine Person berichtete hat, dass die Bedenken eingetreten sind, eine zweite Person hat hierzu geantwortet, dass die Bedenken ein bisschen eingetreten sind. Die Mehrheit hat angegeben, dass ihre Bedenken innerhalb der Kurse nicht eingetreten sind. „I: Dann haben wir Sie auch gefragt, was Sie für Bedenken haben. Und Sie haben gesagt, Sie möchten nicht, dass jemand ausgelacht wird, wenn er etwas nicht kann. IP: Das stimmt, ja. I: Sind diese Bedenken eingetreten? Also wurde jemand ausgelacht, wenn er etwas nicht konnte? IP: Nein.“

Auch die Erwartungen der Teilnehmer_innen werden zu Beginn des Kurses erfasst. Hier zeigt sich, dass diese sich vorrangig auf die Erweiterung der eigenen Kompetenzen beziehen. So nennen 15 von 17 Personen der Computerkurse die Verbesserung ihrer Fähigkeiten im Bereich der LeseRechtschreibkompetenz, der Computer- und/oder der Internetkenntnisse. In den Rehasportkursen haben deutlich weniger Teilnehmer_innen die Frage beantwortet, die meisten Nennungen beziehen sich auf den Bereich von praktischen Sportübungen. Bei der Analyse der allgemeinen inhaltlichen Gestaltung zeigt sich, dass die Teilnehmer_innen mit den Kernthemen bzw. Kernelementen der Kurse durchaus zufrieden sind. Bei den Computerkursen gibt es viele positive Äußerungen zu den Bereichen Sprache lernen (Kulturtechniken) und dem Medium Computer. Auch die Möglichkeit die Nutzung des Mediums Internet zu lernen, stößt auf großes Interesse. I: Was gefällt Ihnen besonders gut an dem Computerkurs? IP: Das man´s lernt mitm Computer umzugehen. I: Mhm. IP: Für mich bringt´s ja auch schon was alleine was auch wegen der Rechtschreibung schon alleine. I: Mhm. IP: Da wird dann noch n bisschen nebenbei aufgefrischt. Also für mich jetzt. I: Ja. Noch was, was Ihnen besonders gut gefällt? IP: Ja, dass man die Möglichkeit hat, das überhaupt zu machen.“ 55

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Als Negativbeschreibungen lassen sich hauptsächlich Einzelaussagen finden, die sich beispielsweise darauf beziehen, dass der Internetzugang nicht funktioniert oder dass die Kursinhalte nicht den Kurserwartungen entsprechen. „IP: Ich hab mir das ganz anders vorgestellt irgendwie. I: Mhm. Was haben Sie sich anders vorgestellt? IP: Das man sich jetzt ein bisschen mehr um den Laptop an, n bisschen einsetzt und mehr Internet. I: Ja. IP: Wir ham jetzt mehr ähm, mit der Geschichte gemacht. I: Ja. IP: Das wär jetzt für mich ähm in zwei Wochen. I: Ja. IP: Ja. I: Sie haben ne Geschichte geschrieben in der Gruppe, ne? IP: Genau. I: Ok. Und das hat Ihnen gefallen oder nicht so gut? IP: Nicht so gut. I: Nicht so gut. Mhm. Sie würden lieber was anderes machen? IP: Ja so, mehr ins Internet gehen, wie das alles so funktioniert.“

Die Teilnehmer_innen der Rehasportkurse äußern sich primär positiv gegenüber den Übungen sowie der Abwechslung von Übungen innerhalb der Kurseinheiten. Kritisch wird hierbei die Zeitspanne der Eingangsrunde beschrieben, in der keine Übungen stattfinden. In Anlehnung an die im Index für Inklusion formulierten Fragen werden in den Interviewbefragungen die jeweiligen Lernziele und Lernerfolge erfasst. Dies dient der Überprüfung, ob neben dem Prinzip der Freiwilligkeit, Wahlmöglichkeiten sowie Selbst- und Mitbestimmung, ein weiterer Grundsatz der Erwachsenenbildung, die Subjektzentrierung und Individualisierung, innerhalb der Bildungsangebote umgesetzt wird (vgl. THEUNISSEN 2003, S.68f.). Hierbei „kommt es darauf an, innerhalb einer heterogenen Lerngruppe dem Lernbedarf und den Entwicklungsmöglichkeiten eines jeden Teilnehmers gerecht zu werden“ (ebd., S.68). Um zu überprüfen, inwiefern sich die Kursinhalte an individuellen Wünschen, Vorstellungen und Vorerfahrungen orientieren und eine Form zieldifferenter Kursgestaltung umgesetzt wird, werden die Teilnehmer_innen im Rahmen der Interviews zu bereits eingetretenen Lernerfolgen und Lernzielen für den weiteren Kurs befragt. Ein Abgleich der Lernwünsche mit den ein halbes Jahr später genannten Lernerfolgen kann hier Aufschluss darüber geben, ob sich die Kursinhalte an den einzelnen Teilnehmer_innen orientieren oder alle Personen das Gleiche lernen. Bei der Analyse der Lernziele und Lernerfolge fällt auf, dass es zu Beginn der Kurse eine Fülle einzelner Lernziele seitens der Teilnehmer_innen gibt. Diese Summe sehr unterschiedlicher Ziele lässt im Verlauf des Kurses nach. Dementgegen steht die Zunahme der benannten Lernerfolge im Zeitverlauf der Kurse. Hieraus lässt sich der Vermutung ableiten, dass die Teilnehmer_innen mit zunehmendem Kursverlauf ihre Ziele erreichen und sich daher das anzahlmäßige Verhältnis von Lernzielen und – erfolgen verändert. Eine genauere Analyse der Verläufe im Hinblick auf Einzelpersonen erschwert eine allgemeine Aussage hierzu, da sich die Datenbasis weiter verkleinert. Es wurde versucht, bezogen auf jeden einzelnen Fall, zu untersuchen, ob sich die genannten Lernziele im nächsten Erhe-

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bungsblock im Bereich der Lernerfolge wiederfinden. Hierzu müssen die Interviews von einer Person jeweils für beide Erhebungszeiträume vorliegen. Die eingetretenen Lernerfolge werden in drei Abstufungen hinsichtlich der zuvor genannten Ziele einsortiert: 1. Ziel erreicht, 2. Ziel teilweise erreicht, 3. Ziel nicht erreicht, dafür etwas anderes gelernt. Bei der Betrachtung der Daten ergibt sich hierzu, dass es schwierig scheint, ein Bildungsangebot zu gestalten, welches allen Teilnehmer_innen ermöglicht, an ihren persönlichen Lernzielen zu arbeiten. Mit deutlichem Abstand werden die Ziele teilweise erreicht, das heißt, dass einzelne Komponenten des Lernziels erreicht wurden. Ein Beispiel hierzu ist, dass eine Person in Erhebungszeitraum 3 das Ziel benennt die Facebook-Anmeldung kennenzulernen sowie zu lernen E-Mails zu schreiben, in Erhebungszeitraum 4 wird von der gleichen Person benannt, dass sie gelernt hat, eine Geschichte zu schreiben, eine Tabelle zu erstellen und einen E-Mail-Account anzulegen. Das bedeutet, dass das Ziel im Umgang mit E-Mails erreicht werden konnte, die Anmeldung bei Facebook kennenzulernen jedoch nicht.

4.2.3 Kursgruppe Im Rahmen der hier durchgeführten Untersuchung wird der Bereich „Gruppe“ als eine Analyseebene für die Auswertung der gewonnen Daten hinsichtlich der Fragestellung nach förderlichen und hinderlichen Kursbedingungen gewählt. Grundlage sind die aus dem Index für Inklusion, modifizierten Hinweise zur Gestaltung inklusiven Unterrichts sowie die aus dem Material induktiv gewonnenen Themenschwerpunkte. Als relevante Unterkategorien für diese Analyseebene erweisen sich die Gruppenatmosphäre, die Gruppenkonstellation sowie der Bereich von Regeln und der Umgang mit Regeln. Die Gruppenatmosphäre kann Einfluss auf gelingende Kursdurchführung haben. In der Dimension C1 (Lernarrangements organisieren) des Index für Inklusion lassen sich Fragen nach der Gruppenatmosphäre finden. In den untersuchten Bildungsangeboten wird diese von Seiten der Teilnehmer_innen primär als positiv beschrieben. Es finden sich in den qualitativen Daten jeweils zu einem Computerkurs (C3) als auch zu einem Rehasportkurs (R2) Beispiele, welche diese Aussage zulassen. So wird Bezug genommen auf die entspannte Atmosphäre, die lockere Art oder dass es in der Gruppe Spaß macht und lustig ist. Zu den beiden anderen Kursen (C4 und R1) lassen sich keine Beispiele finden. Dies bedeutet aber nicht, dass die Gruppenatmosphäre hier als negativ wahrgenommen wird, da es auch keine Negativ-Beispiele in den Daten gibt. Die Auswertung der qualitativen Beobachtungsdaten unterstreicht diese Einschätzung. Insgesamt herrscht nach Analyse der Beobachtungsdaten in allen Kursen eine angenehme und eher ruhige Arbeitsatmosphäre. Die Teilnehmer_innen scheinen mehrheitlich zuzuhören und ruhig zu arbeiten. Die in den Interviews beschriebene lockere und entspannte Atmosphäre lässt sich auch anhand der Beobachtungsprotokolle belegen. „TN6 freut sich scheinbar, dass er TN8 getroffen hat (lächelt, Hände in die Luft): TN3 scheint das Spiel zu beobachten. KL baut eine neue Kegelübung auf (Becher werden gestapelt). TN8 schafft es den Stapel umzukegeln, TN5+6 klatschen und machen Laute (scheint Freude).“ (Zitat aus einer Beobachtungssequenz in T3)

Eher selten wird eine unruhige Arbeitssituation protokolliert. Einzelne Teilnehmer_innen machen bei Übungen nicht mit (dies war häufiger in den Rehasportkursen zu beobachten), das scheint akzeptiert zu werden.

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Darüber hinaus war zu beobachten, dass in Einzelsituationen Teilnehmer_innen selbst um Ruhe bitten, wenn es ihnen zu laut war. Dies lässt einen offenen Umgang mit Kritik im Sinne von konstruktiven Rückmeldungen vermuten. Ein weiterer Bereich der Gruppenatmosphäre ist die Form der Kommunikation innerhalb der Kurseinheiten. Die Auswertung der Beobachtungsdaten ergibt hierzu, dass die Kommunikation unter den Teilnehmer_innen mit Verlauf der Kurse steigt. Zu Beginn der Bildungsangebote werden kaum Kommunikationssequenzen beobachtet, dies steigt anzahlmäßig mit dem zeitlichen Verlauf an. Dabei sind sowohl positive Formen (Seitengespräche, Aufmerksamkeit, inhaltliche Gespräche) als auch negative Formen (verärgerte Reaktionen aufeinander) zu beobachten. Dabei nutzen die Teilnehmer_innen verschiedene Kommunikationswege. Einige Personen kommunizieren nicht verbalsprachlich und verwenden Gebärden, Geräusche, Gesten oder Berührungen, um sich zu verständigen. „KL fragt, wo es denn im Raum Zeilen, Spalten und Zellen gebe. TN4 zeigt auf etwas, KLs versuchen zu erfragen, was TN4 meint. Einige TN raten mit. TN4 hat Streifen auf dem Pullover und deutet darauf. TN4+7 lächeln, weil sie laut Angaben der Anderen Spalten auf ihren Pullovern haben. TN4+7 sprechen nicht, bekommen von anderen TN Aufmerksamkeit und deuten auf ihre Pullover. KL und TN4 stehen im ständigen Blickkontakt und lächeln sich an.“ (Zitat aus einer Beobachtungssequenz in T3, Computerkurs)

Die nonverbale Kommunikation untereinander scheint im Gruppengefüge grundsätzlich zu funktionieren. Die Kursleitungen versuchen darauf zu achten und einzugehen. Dennoch werden immer wieder Situationen beobachtet, in denen keine Reaktion auf nonverbale Kommunikation erfolgt (auf diesen Punkt wird im Rahmen der Analyseebene der Fortbildner weiter eingegangen). Neben der Grundatmosphäre innerhalb der Kursgruppen spielt auch die Gruppenkonstellation eine wichtige Rolle hinsichtlich einer gelingenden Gestaltung inklusiver Lehr-Lernangebote. Diese scheint sich hier eher als problematisch auszuwirken. Die Bildungsangebote sind konzipiert für jeweils zwölf Teilnehmer_innen und zwei Kursleitungen, somit liegt ein Personalschlüssel von ca. 1:6 vor. In den Rehasportkursen wurden zu Beginn der Kurse insgesamt drei Teilnehmer_innen mehr aufgenommen, so dass hier in der Anfangsphase ein Personalschlüssel zwischen 1:6 und 1:7 vorlag. Im Verlauf der Bildungsangebote hat sich die Anzahl der Teilnehmer_innen unterschiedlich entwickelt. Es gibt in allen Kursen verschiedentlich begründete Kursabbrüche. Das Spektrum der Abbrüche reicht von der Unterforderung der Teilnehmer_innen bis hin zur Rente oder dem Versterben teilnehmender Personen. In den qualitativen Befragungsdaten lassen sich einzelne Aussagen über eine positiv bewertete Gruppenkonstellation finden, dem entgegen stehen jedoch eine Reihe von Aussagen, die den Schluss zulassen, dass die Gruppen zu viele Teilnehmer_innen haben und sich dies daher negativ ausgewirkt hat. Beispiele hierfür sind Aussagen darüber, dass die Gruppen zu groß sind, dass die Heterogenität der Gruppenmitglieder, und damit verbunden der unterschiedliche Hilfebedarf und Lernstand, zu Schwierigkeiten führt sowie negativ wahrgenommene Lautstärke und Unruhe innerhalb der Gruppen. Außerdem beschreiben einzelne Interviewpartner_innen, das sich einzelne Kursteilnehmer_innen nicht angemessen verhalten, z.B. Andere anfassen oder hänseln. Letztgenannte Äußerungen sind jedoch deutlich als Einzelmeinungen zu verstehen und nicht allgemein auf die gesamte Kurssituation übertragbar, dennoch können sie in Einzelfällen das eher negative Gefühle zur Gruppenkonstellation verstärken und sollen daher nicht unbeachtet bleiben. In den Daten der qualitativen Beobachtungen lassen sich keine kritischen Anhaltspunkte zur Gruppenkonstellation identifizieren.

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Ein weiterer wichtiger Aspekt der Analyseebene „Gruppe“ ist die Frage nach Regeln sowie dem Umgang mit Regeln. Der Index für Inklusion bietet hierzu verschiedene Aspekte, welche für die inklusive Gestaltung von Unterrichtseinheiten relevant sein können. Für die Analyse der hier durchgeführten Bildungsangebote werden die Teilnehmer_innen im Rahmen der Interviews gezielt nach Regeln im Kurs gefragt. Darüber hinaus ist von Interesse, wie sie selbst diese Regeln bewerten sowie die Begründung ihrer Bewertungen. Die Auswertung der statistischen Daten zeigt, dass in den Computerkursen im Verlauf des ersten Jahres Kursregeln nicht bzw. nicht allen Teilnehmer_innen bekannt sind. Gut ein Drittel der Interviewpartner_innen bejaht die Frage nach vorhandenen Regeln im ersten und zweiten Erhebungsblock, zwei Dritteln der Computerkursteilnehmer_innen sind Regeln innerhalb des Kurses nicht bekannt. Im Verlauf des zweiten Jahres verändern sich die Daten hierzu deutlich. Im dritten Erhebungsblock benennen fast Dreiviertel der Teilnehmer_innen das Vorhandensein von Kursregeln, diese Anzahl steigt zum vierten Erhebungsblock erneut an. In den Rehasportkursen lassen die Daten keine eindeutige Aussage zu. Hier zeigt sich ein inkonsistentes Antwortverhältnis. Im Sinne der formativen Evaluation wird im zweiten Erhebungszeitraum die Frage nach der Kommunikation von und dem Umgang mit Regeln mit den Fortbildner_innen diskutiert. Auch hier zeigt sich ein nicht ganz einheitliches Bild. Die Meinungen variieren von der Einschätzung, dass es keine Regelverstöße innerhalb der Kurse gibt, bis hin zu vorhandenen Regelverstößen, die bislang aber eher toleriert werden. Hierbei zeigt sich, dass die Gruppe der Kursleitungen der Einschätzung ist, dass es im Rahmen der Erwachsenenbildung keiner Regeln bedarf, da es sich nicht um ein Klassensetting im Sinne von Schulunterricht handelt. Darüber hinaus besteht die Befürchtung, dass bei einzelnen Teilnehmer_innen Kursregeln zu Einschränkungen führen könnten, welche Einfluss auf das Gruppenverhalten haben, z.B. könnten Autoaggressionen zunehmen. Entgegen dieser Position steht die Einschätzung der Kursleiter_innen, dass besonders in den Computerkursen die inhaltliche Arbeit zum Thema nur dann erfolgreich sein kann, wenn sich die Teilnehmer_innen auf die Regeln und den Kontext einlassen. Im Verlauf der Diskussion wird angeregt, dass Regeln nur dann eingehalten werden können, wenn diese auch bekannt und transparent sind. Das bedeutet, dass wenn die Kursleiter_innen die Einhaltung von Regeln wünschen und erwarten, diese auch den Teilnehmer_innen bekannt sein müssen. Im Rahmen der Entwicklung inklusiver Lernsettings bietet es sich hierbei an, diese mit den Kursteilnehmer_innen zu besprechen und gemeinsam zu entwickeln, um so eine gemeinsame und gleichberechtigte Basis zu schaffen. Dies würde den im Index für Inklusion angelegten Fragen entsprechen. Die qualitativen Daten zeigen, dass dies im Anschluss an den zweiten Erhebungsblock, mindestens in den Computerkursen, stattgefunden hat. Die Anzahl der Teilnehmer_innen, welchen Gruppenregeln bekannt sind, steigt deutlich. Außerdem berichten sie in den Interviews von einem gemeinsam erstellten Regelkatalog. Die Bewertung der bekannten Regeln ist zumeist positiv. Die Teilnehmer_innen scheinen sich mit den Regeln auszukennen und diese als hilfreich wahrzunehmen. Hierbei werden folgende Regeln besonders häufig genannt: 1. Pünktlichkeit 2. Im Kurs nicht essen oder trinken (außer Wasser) 3. Andere Teilnehmer_innen aussprechen lassen 4. Bei Nichterscheinen abmelden 5. Sich gegenseitig helfen 6. Machen was die Kursleitungen sagen Die Bedeutung und positive Bewertung der Regeln seitens der Teilnehmer_innen zeigen sich z.B. in folgenden Interviewpassagen: 59

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„I: Gibt es Regeln im Kurs? IP: Joa, dass der eine oder der andere nicht dazwischen quatscht. Dass wir nacheinander dran kommen. Also, dass wir aufzeigen müssen. Das find ich schon gut. I: Mh. IP: Am Anfang war das noch so‘ n Durcheinander. Aber jetzt geht’s. Jetzt hat man sich so aneinander gewöhnt. Dann geht das. I: Also hab ich Sie richtig, von Sie äh, dass Sie die Regeln gut finden? IP: Ich find schon gut. I: Sehr gut? Und warum? IP: Ja, weil dann kommt jeder mal dran. Und sonst kommt nur, kommen nur Vereinzelte dran. Aber so kommt jeder mal der Reihe durch dran.“ „I: Oh das sind aber auch schon einige, die Ihnen eingefallen sind. Und wie finden Sie die Regeln? Finden Sie die sehr gut, ein bisschen gut oder nicht so gut? IP: Ich find die sehr gut. I: Mhm. Warum finden Sie die sehr gut? IP: Weil die, weil das aufeinander Rumhacken mittlerweile nachgelassen hat. I: Mh. War das … IP: Find ich. I: War das ne Zeitlang schlimmer? IP: Ja, das war, Zeit lang war das schlimm, ja.“

Auch die Kursleitungen berichten in der Gruppendiskussion im dritten und vierten Erhebungsblock, dass sich der Umgang mit Kursregeln verändert hat und sich die Teilnehmer_innen weitestgehend an die abgesprochenen Regeln halten sowie untereinander auf die Einhaltung der Regeln achten. Es lässt sich somit aus den Daten der Interviews, quantitativ sowie qualitativ, und aus den Ergebnissen der Gruppendiskussionen eine positive Veränderung der Kurssituation, bezogen auf das Vorhandensein und die Bewertung von Regeln, festhalten. Im Rahmen der Auswertung der Beobachtungsdaten lassen sich primär Anhaltspunkte zum Umgang mit Regeln innerhalb der Kurse finden. Nach den Aussagen der Teilnehmer_innen in den Interviews sind die Hauptregeln im Verlauf der Auswertung bekannt. Anhand dieser lassen sich die Beobachtungssequenzen überprüfen und auswerten. Hierbei zeigt sich, dass besonders die Regeln des Abmeldens und der Pünktlichkeit bei den Teilnehmer_innen sehr verinnerlicht sind und hier wenig ‚Regelverstöße‘ beobachtet wurden. Der Umgang der Kursleitungen bei Nichteinhaltung der Regeln ist als konstruktiv zu beschreiben, z.B. wird als Reaktion auf Verspätungen beobachtet, dass die Kursleitungen betonen, dass es schön ist, dass die Person noch gekommen ist. Es werden keine Ermahnungen oder Sanktionen ausgesprochen. Die Einhaltung der Regeln seitens der Teilnehmer_innen ist (nach Erstellung des Regelkatalogs) als positiv einzuschätzen. Demgegenüber steht der Umgang mit Regeln seitens der Kursleitungen. Hier wurde in mehreren Situationen beobachtet, dass diese selbst sich nicht an die gemeinsam erstellten Regeln halten, besonders die Absprache, dass während des Kurses nicht gegessen und getrunken wird. Dies ergibt ein Ungleichgewicht, welches im Rahmen von Angeboten der Erwachsenenbildung nicht angemessen erscheint.

4.2.4 Unterstützung Im Zusammenhang mit der Untersuchung der inklusiven Lehr-Lernarrangements bzw. der Identifikation förderlicher und hinderlicher Kursbedingungen bietet der Bereich der Unterstützung eine weitere Analyseebene. Hierbei ist von Interesse, wie der allgemeine Umgang mit vorhandenen Unterstützungsbedarfen ist, inwiefern die Teilnehmer_innen Unterstützung seitens der Kursleitungen

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und/oder der anderen Teilnehmer_innen erhalten sowie ob und wenn ja, welche Unterstützung fehlt. Der Index für Inklusion bietet hier einige Fragen als Impulse für die Betrachtung dieser Ebene. Vielen der Kursteilnehmer_innen ist ihr eigener Unterstützungsbedarf bewusst. Teilweise wird dieser auch als Grund für die Kursanmeldung benannt. „I:Brauchst du Unterstützung im Kurs? Ja, manchmal oder nein? IP: [lacht] Dafür hab i mich doch anbemeldet.“

Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Kursbereichen. Die Teilnehmer_innen der Computerkurse benennen im Bereich der quantitativen Daten sehr deutlich den bestehen Unterstützungsbedarf und dieser nimmt über den zeitlichen Verlauf der Kurse weiter zu. Die Interviewpartner_innen der Rehasportkurse benennen ebenfalls bestehenden Unterstützungsbedarf, dieser ist im Vergleich zu den Computerkursen jedoch geringer und nimmt im zeitlichen Verlauf der Bildungsangebote tendenziell ab. 100 90 80

Computerkurse, Teilnehmer_innen die regelmäßig oder manchmal Unterstützung brauchen (T1 n=17, T2 n=20, T3 n=18, T4 n=18)

70 60 50

Rehasportkurse, Teilnehmer_innen die regelmäßig oder manchmal Unterstützung brauchen (T1 n=7, T2 n=5, T3 n=3, T4 n=3)

40 30 20 10 0 T1

T2

T3

T4

Abbildung 8: Brauchen Sie Unterstützung im Kurs? Angaben der Teilnehmer_innen zu den verschiedenen Erhebungszeitpunkten, angegeben in %.

Dieses Ergebnis erscheint daher relevant, da aus den Beschreibungen der Kursleitungen hervorgeht, dass die Teilnehmer_innen der Rehasportkurse signifikant stärker beeinträchtigt sind als die Teilnehmer_innen der Computerkurse, sowohl auf der körperlichen, als auch auf der kognitiv-, kommunikativen Ebene. 3 Das Ausmaß des Unterstützungsbedarfs ist somit nicht ausschließlich von der Form und Ausprägung der Beeinträchtigung abhängig, sondern in besonderem Maße auch vom Lerngegenstand und den ggf. vorhandenen Vorkenntnissen oder Erfahrungen mit ähnlichen Lerngegenständen. Der deutliche Anstieg des Unterstützungsbedarfs der Computerkursteilnehmer_innen lässt sich durch die Vermutung erklären, dass mit zunehmendem Kursverlauf die Komplexität der Kursinhalte ansteigt und somit auch der Unterstützungsbedarf wächst. Im Vergleich hierzu erscheint bei den 3

Als Grundlage dienen hier ausschließlich Beschreibungen der Kursleitungen sowie der leitenden Angestellten der WfbM. Es hat im Rahmen des durchgeführten Projekts keine Phase diagnostischer Prozesse stattgefunden. 61

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Rehasportkursteilnehmer_innen eine Routine in der Durchführung verschiedener Übungen einzusetzen, so dass hier der Notwendigkeit der Unterstützung sinkt. In Bezug auf die Frage nach der gegenseitigen Unterstützung unter den Teilnehmer_innen geben viele Interviewpartner_innen an, dass sie sich regelmäßig oder manchmal gegenseitig helfen. Hierbei zeigt die Auswertung der Daten, dass innerhalb der Computerkurse im zeitlichen Verlauf der Kurse ein Anstieg gegenseitiger Unterstützung festzustellen ist. Es lässt sich eine sukzessive Steigerung von anfangs gut 70% auf nahezu 90% (Zusammenfassung der Antwortmöglichkeiten ‚Ja‘ und ‚Manchmal‘) zum letzten Erhebungszeitraum ausmachen. Werden diese Antworten noch differenziert nach den Angaben zu regelmäßiger oder teilweise stattfindender gegenseitiger Unterstützung, so ergibt sich auch hier, dass die Anzahl der Computerkursteilnehmer_innen, welche die Frage „Helfen Sie sich untereinander?“ (Antwortmöglichkeiten: Ja; Manchmal; Nein) mit ‚Ja‘ beantworten, über den zeitlichen Verlauf steigt, die Teilnehmer_innen, die ‚Manchmal‘ antworten sinkt. Die Schwankungen in den Angaben der Rehasportteilnehmer_innen lassen hier keine zuverlässige Aussage zu einer Tendenz zu. 100 90 Ja

80 70

Manchmal

60 50

Nein

40 30

Antworten zusammengefasst Ja und Manchmal

20 10 0 T1 (n=22)

T2 (n=22)

T3 (n=18)

T4 (n=19)

Abbildung 9: Helfen Sie sich untereinander? Antworten der Computerkursteilnehmer_innen angegeben in %

Die Auswertung der qualitativen Daten hingegen spiegelt an dieser Stelle ein nicht ganz so klares Bild. Zwar geben viele Teilnehmer_innen an, dass sie sich gegenseitig unterstützen, den inhaltlichen Aussagen nach sind hierunter aber auch jene Teilnehmer_innen, die sich prinzipiell gegenseitig helfen würden. Dies ist in der praktischen Durchsetzung scheinbar nicht immer möglich. Einzelne Teilnehmer_innen geben darüber hinaus den Wunsch nach mehr gegenseitiger Unterstützung an, so dass hier die Zahlen, wenn die inhaltliche Bedeutung hinzugezogen wird, ein bisschen relativiert werden müssten. Dennoch scheint die Bereitschaft, sich untereinander zu unterstützen, sehr hoch und wird im Rahmen der vorliegenden Möglichkeiten umgesetzt. „I: Helfen Sie sich untereinander? Also wenn Sie ne Frage haben, können Sie Ihren Nachbarn oder Ihre Nachbarin fragen? IP: Ja doch eigentlich auch. Soweit wie das schon funktionier, eigentlich ja.“

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Im Rahmen der durchgeführten Beobachtungen lassen sich wenige Beobachtungssequenzen finden, in denen sich die Teilnehmer_innen gegenseitig unterstützen und werden im Rahmen dieser Auswertung daher als Einzelsituationen bewertet. Eine weitere Fragestellung bezüglich der Analyseebene Unterstützung ist, ob die Kursleitungen Unterstützung leisten und ob den Teilnehmer_innen Unterstützung fehlt. Hierbei zeigen die quantitativen Daten deutliche Aussagen, dass die Kursleitungen regelmäßig oder manchmal Unterstützung bieten. Bei den Computerkursteilnehmer_innen schwankt der Wert hierzu zu allen Erhebungszeitpunkten zwischen 90% und 95%. Bei den Rehasportteilnehmer_innen liegt die Schwankung der Antworten zwischen 61% und 100%. Bezüglich der Frage, ob und wenn ja welche Unterstützung in den Bildungsangeboten fehlt, geben über den zeitlichen Verlauf der Kurse 37%-63% der Computerkursteilnehmer_innen an, dass ihnen regelmäßig oder manchmal Unterstützung fehlt. Die Teilnehmer_innen der Rehasportkurse benennen deutlich weniger fehlende Unterstützung. Inhaltlich bezieht sich die fehlende Unterstützung vor allem auf die Bereiche Lesen und Schreiben sowie Computernutzung. Darüber hinaus gibt es einzelne Aussagen zu spezifischen Unterstützungswünschen. In den Daten der qualitativen Auswertung wird besonders deutlich, dass die Anzahl der Kursleitungen nicht ausreicht, um den Unterstützungsbedarf der Kursteilnehmer_innen zu decken. „I: Fehlt Ihnen Unterstützung in dem Kurs? IP: Ja, so wie vorige Woche. I: Mhm. IP: Wo [Name Kursleitung] krank war. I: Da fehlt, da wenn nur einer da ist fehlt dann die Unterstützung. IP: Ja. I: Mhm. Ist das oft, dass Ihnen Unterstützung fehlt? Also soll ich ja ankreuzen oder soll ich manchmal ankreuzen? IP: Manchmal. I: Manchmal. Und welche Unterstützung fehlt Ihnen dann? IP: Ja dann so, dass ich die Sätze, in in Computer. Oder beim Schreiben. Der schreibt ja manchmal hoch und manchmal runter ne. I: Mhm. IP: Und dann krieg ich das nicht inne Reihe. I: Ok. IP: Da stimmt dann was im System wieder nicht.“ „I: Ja. Und welche Unterstützung fehlt Ihnen da? IP: Wie man zum Beispiel äh im Internet reinkomm und schreibe weiß ich. I: Mhm. IP: Zum Beispiel ähm, wie ich an E-Mails rankomme. I: Mhm. IP: Und so. Das is das. I: Und was für Unterstützung würden Sie sich da wünschen? IP: Das ich, es, schwierig, aber die Unterstützung is jetzt jemand habe, der sich sehr gut aukennt. Weil alleine komm ich nicht klar. I: Ja, ok. IP: Und wir sind ganz viele. I: Ja. IP: Und ähm ab und zu muss ich auch warten. Und das mich also traurig, wenn ich es nicht gut machen kann. I: Mhm. IP: [unverständlich] wollt ich das halt so machen, wie das auch verlangt wird.

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I: Ja, ok. Also Sie bräuchten einfach, würden sich wünschen, dass da jemand ist, der da noch mehr Zeit für Sie hat? IP: Genau ja. I: Um Sie zu unterstützen? IP: Ja. I: Ok. Mhm. IP: Wir sind jetzt glaub ich sieben oder acht Leute. I: Ja. IP: Und die, ich weiß nicht wie die mit Nachnamen heißt, die [Kursleitung] ist die alleine… I: Ja. IP: Is schon bisschen schwierig, das alles zu I: Ja. IP: auf die Reihe zu kriegen.“

Die Auswertung der Beobachtungsdaten ergibt hierzu, dass die Kursleitungen durchgehend Unterstützung anbieten bzw. im Kurs herum gehen und den einzelnen Teilnehmer_innen nach Bedarf helfen. „TN1 setzt Übung mit Händen als einziger Teilnehmer nicht um, wird daraufhin von KL aufgesucht, Übungen werden mit Führung/ Hilfe von KL umgesetzt, wird daraufhin verbal gelobt, TN1 lächelt, KL geht zurück auf seinen Platz.“ (Zitat aus einer Beobachtungssequenz in T4)

Insgesamt entsteht jedoch der Eindruck, dass die angebotene Unterstützung nicht ausreichend ist. Einige Teilnehmer_innen müssen warten und können in der Zeit nicht weiterarbeiten. Darüber hinaus wird teilweise beobachtet, dass Teilnehmer_innen ohne verbalsprachliche Kommunikationsform übersehen werden und demnach länger auf Unterstützung warten müssen. „KL ist bemüht, auf non-verbale Kommunikation einzugehen, indem sie diese Teilnehmer_innen vereinzelt anspricht. TN3, 4, 5 bleiben trotzdem ohne Aktion und Hilfe. Richtig am Arbeiten sind jeweils nur 2-3 TNs, nämlich die, die gerade Hilfe bekommen oder hatten. TN3 bekommt überwiegende Zeit keine Hilfe. Die, die rufen, bekommen eher Hilfe, als die die herumblicken oder aufzeigen.“ (Zitat aus einer Beobachtungssequenz in T3)

Die Beobachtungen unterstreichen somit die Ergebnisse der Interviews, dass die Gruppen zu groß sind bzw. zwei Kursleiter_innen nicht ausreichen. Bei der Auswertung der Analyseebene Unterstützung wird somit insgesamt deutlich, dass zum einen die hier durchgeführte Konstellation von zwei Fortbildnern und zwölf Teilnehmer_innen keine ausreichende Unterstützungssituation ermöglicht und dass für die Gestaltung inklusiver Angebote der Erwachsenenbildung der Unterstützungsbedarf nicht primär von einer vorliegenden Beeinträchtigung abhängig ist, sondern vom jeweiligen Lerngegenstand. Je komplexer das inhaltliche Thema des Angebots, desto höher ist der entsprechende Unterstützungsbedarf. Dies gilt es bei der konzeptionellen und inhaltlichen Planung und Durchführung inklusiver Angebote zu berücksichtigen.

4.2.5 Rolle der Fortbildner_innen Auch für die Auswertungsebene der Rolle der Fortbildner_innen bietet der Index für Inklusion einige Fragen als Hinweise zur Interpretation förderlicher und hinderlicher Kursbedingungen. Für die hier durchgeführten Angebote lassen sich diese in die Bereiche ‚Teilnehmer_innen als Subjekt des Lernens‘ sowie ‚Methodik/ Didaktik‘ unterteilen. Für die Operationalisierung des Bereichs ‚Teilnehmer_innen als Subjekt des Lernens‘ werden die Indikatoren der Zuwendung, Lob und Anerkennung, Klärung von Einzelfragen, die Berücksichtigung der 64

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individuellen Voraussetzungen der einzelnen Teilnehmer_innen sowie induktiv ermittelte Hinweise angesetzt. Hierbei ergibt sich aus den Interviews, dass die Teilnehmer_innen mehrheitlich wahrnehmen, das die Kursleitungen darauf achten, dass sich jede Person beteiligen kann und sie Zuwendung seitens der Kursleitungen durch Unterstützung erfahren. „I: Was gefällt Ihnen besonders gut? IP: Ähm, dass wenn wir Fragen haben, dass wir, dass die das so erklären und … I: Mhm. IP: …dass wir keine Angst haben brauchen, so.“

In Einzelfällen wird berichtet, dass die Teilnehmer_innen sich mehr individuelle Aufmerksamkeit wünschen. „IP: Also, das m, das mehr auf mich eingegangen wird. Also, wenn ich sage das reicht, dann halt so.“ Dies gilt aufgrund der verhältnismäßig geringen Nennungen aber nicht für die gesamten Kursgruppen. Im Rahmen der Beobachtungen lässt sich sehr deutlich feststellen, dass die Kursleitungen in allen Kursen und zu allen Zeitpunkten die Teilnehmer_innen häufig loben und positive Rückmeldungen geben. In der Mehrheit der beobachteten Sequenzen ist die Zuwendung der Fortbildner_innen gegenüber den teilnehmenden Personen sehr positiv, wertschätzend und motivierend. Teilnehmer_innen, die bei den Übungen nicht mitmachen, werden direkt angesprochen und motiviert. Wie bereits in der Analyseebene ‚Unterstützung‘ thematisiert, gibt es auch hier in den Beobachtungssequenzen einzelne Beispiele, die zeigen, dass manche Teilnehmer_innen übersehen werden. „KL entdeckt TN4, der immer noch ohne Aktion vorm PC sitzt und sagt ‚Uhh, dich hab ich ja gar nicht gesehen!‘ und weiter ‚Bist aber auf einem guten Weg!‘ Sie bleibt kurz an seiner Seite und drückt ein paar Tasten bis ins Internet“ (Zitat aus einer Beobachtungssequenz in T3)

Dies könnte dem Personalverhältnis geschuldet sein. Für den Bereich der Methodik/Didaktik liefern im Rahmen der Auswertungen Aussagen zu den methodischen Vorgehensweisen der Fortbildner_innen, zur Verständlichkeit der Sprache, zu Verbesserungsvorschlägen seitens der Teilnehmer_innen, zum Arbeitstempo sowie induktiv gewonnenen Aspekten Hinweise für die Gestaltung inklusiver Angebote der Erwachsenenbildung. Die Analyse der qualitativen Interviewanteile ergibt hierzu, dass die Teilnehmer_innen ein individuelles Arbeitstempo als positiv erleben. „I: Was gefällt Ihnen besonders gut an dem Kurs? IP: Mh, dass wir so arbeiten könne, wie mhmmm, so schnell wie können. Dass jeder so arbeiten kann, wie weit er kommt.“

Als ungünstige Bedingung wird wahrgenommen, dass Erklärungen teilweise zu schwierig sind und Wiederholungen der Inhalte fehlen. Für einige Teilnehmer_innen entstehen Situationen der Unterforderung, für andere der Überforderung. So beschreibt ein Teilnehmer, dass sie aufgefordert wurden, für die nächste Einheit des Computerkurses einen Text mitzubringen, den sie gerne verstehen möchten. Der Teilnehmer hat eine Bedienungsanleitung mitgebracht, die er gerne verstehen möchte. Dies war für die gesamte Kursgruppe aber zu komplex, so dass er gebeten wurde, in der folgenden Woche einen leichteren Text mitzubringen. Eine andere teilnehmende Person hingegen beschreibt, dass sie sich von den Kursleitungen zu stark gefordert fühlt.

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Im Rahmen der Beobachtungen konnte zu dem Aspekt der methodisch/didaktischen Gestaltung der Bildungsangebote festgestellt werden, dass die Kursleitungen grundsätzlich auf die Teilnehmer_innen eingehen, wenn Aufgaben oder Arbeitsschritte nicht klar sind. Sie geben in der Regel Rückmeldungen und betonen die richtigen Antworten bzw. motivieren zur und begleiten die Korrektur von Fehlern. In Einzelfällen bleibt die gewünschte Rückmeldung jedoch aus. Darüber hinaus wird nicht ausreichend überprüft, ob die Gesamtgruppe der Teilnehmer_innen die Aufgabe verstanden hat. „KL fragt nach Spalten auf dem Zettel [Arbeitsblatt] TN2 gibt die richtige Antwort. Es bleibt unklar, ob die anderen überhaupt zuhören. Weiterhin ist unklar, ob TN die Frage von KL verstehen oder einfach nicht zuhören. TN3 spricht mit KL, alle anderen schauen woanders hin.“ (Zitat aus einer Beobachtungssequenz in T3)

Insgesamt wirken die Beobachtungssequenzen didaktisch nach gemeinsamen Kursaufgaben. Es gibt wenige nach Lernstand differenzierte Aufgaben. Hierdurch entsteht die Situation, dass Teilnehmer_innen, die schon fertig, sind auf die anderen Teilnehmer_innen warten müssen, was die Entstehung der berichteten Unter- und Überforderung erklären könnte. „TN1 ist auch mit dem zweiten Auftrag fertig und KL überlegt, was er noch machen könnte.[…]KL sucht nach einer Aufgabe für TN1. Dieser ist mit allem schon fertig, die anderen TN brauchen noch etwas Zeit.“ (Zitat aus Beobachtungssequenzen in T4)

Themen und Erzählungen der Teilnehmer_innen werden von den Kursleitungen aufgegriffen und wenn möglich in den Kursinhalt eingebaut. Dies zeigt sich besonders in den Rehasportkursen. Hier findet häufig ein Transfer von Erzählungen in Übungen statt und bietet so einen alltagsnahen Bezug. Zum Beispiel berichtet eine teilnehmende Person, dass sie schwimmen war. Gemeinsam wurde überlegt, wie die Bewegungsabläufe beim Schwimmen sind und daraus eine Übung gemacht. Die Beobachtungen zeigen auch, dass die inhaltliche Organisation der Bildungsangebote in der Verantwortung jeweils einer Kursleitung liegt. Die zweite Kursleitung ist während des Angebots unterstützend tätig. Das hat die Konsequenz, dass die beiden Kursleitungen sich teilweise zunächst austauschen müssen, was inhaltlich geplant ist bzw. die unterstützende Person sich inhaltlich zunächst orientieren muss. Dies scheint vor allem innerhalb der Computerkurse einen negativen Einfluss zu haben, da hier auch der Unterstützungsbedarf der Teilnehmer_innen höher ist. Zu der Anzahl der Kursleitungen in den jeweiligen Angeboten macht die Auswertung der Interviews sehr deutlich, dass diese als zu gering einzuschätzen ist. Konzeptionell sind die Kurse mit jeweils zwei Kursleitungen geplant. Hierzu geben die Teilnehmer_innen (besonders der Computerkurse) deutlich den Hinweis, dass das bei einer Anzahl von ca. 10-12 Teilnehmer_innen ein zu geringer Personalschlüssel ist und die vorhandenen Kursleitungen dementsprechend nicht ausreichend unterstützen können. „I: Mhm. Und helfen Ihnen die Kursleiter, wenn Sie nicht weiterkommen? IP: Ja die ham, die sind ja nur zu zweit. I: Ja. IP: Also bisschen problematisch. Aber eigentlich helfen die schon, ja. I: Ja, ja. Soll ich dann ja ankreuzen oder manchmal? IP: Ja. Weil, weil die können ja auch nichts dafür, dass sie nur zu zweit sind. I: Mh, ja das stimmt. Fehlt Ihnen Unterstützung im Kurs? IP: Nee, aber wäre schon schön, wenn ein Dritter dazu kommen würde. Der würde vielleicht mehr entlasten können.“

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Darüber hinaus liefern die Interviews auch einige Hinweise, dass phasenweise nur eine Kursleitung vor Ort war. Dies verschärft die Problematik weiter. „IP: Ja, äh, die Kurs äh die Kursteilnehmer sind sehr äh sehr nett. Nur ähm wat ähm was mir in letzter Zeit sehr ähm sehr oft auffällt ist, dass [Name der Kursleitung] ähm nicht dabei ist. Dass [Name der Kursleitung] meistens … I: [Name der Kursleitung]? IP: ähm [Name der Kursleitung] meistens alleine hier ist Und das ähm find ich ähm bisschen viel für eine Per äh Person alleine. I: Mh, ja. IP: Selbst ich br äh brauche bei äh bei meinem ähm, ich brauche bei me bei mein Computer, den ich zur Zeit bediene ähm sehr viel ähm Hilfe. I: Mhm. IP: Und da äh [Name der Kursleitung] versucht ja schon alles. Aber ähm das geht nun mal nicht anders.“

4.2.6 Partizipationsmöglichkeiten Im Sinne des Prinzips der Freiwilligkeit, Wahlmöglichkeiten sowie Selbst- und Mitbestimmung im Bereich der Erwachsenenbildung wird ein weiteres Analysefeld auf der Ebene der Partizipation festgemacht (vgl. THEUNISSEN, 2003, S.66f.). Für die Unterteilung dieser Ebene bietet der Index für Inklusion einige Fragen als zu beachtende Hinweise (vgl. BOBAN; HINZ 2003). Diese werden bei der Erarbeitung der Kategorien für die Identifikation der Partizipationsmöglichkeiten einbezogen. Als Fragestellungen an die Analyseebene der Partizipation lassen sich ausmachen: → Welcher „Grad an Mitbestimmung“ wird innerhalb der Bildungsangebote praktiziert? → Haben die Teilnehmer_innen der Bildungsangebote eigene Ideen und Wünsche, die sie in die Gestaltung der Bildungsangebote einbringen (können)? → Haben die Bildungsangebote Einfluss auf die Möglichkeit der gesellschaftlichen Partizipation? Bei der Frage nach dem „Grad der Mitbestimmung“ geht es darum, zu erfassen wie die allgemeine Praxis innerhalb der Bildungsangebote aussieht. Es gilt zu untersuchen, ob die Teilnehmer_innen die Möglichkeit haben selbst zu entscheiden, was sie in dem Kurs machen und lernen möchten oder dies von den Fortbildner_innen vorgegeben wird. Die statistischen Daten zu den Computerkursen zeigen, dass es hier kein ganz einheitliches Bild gibt. Einige Teilnehmer_innen nehmen wahr, dass sie sich aussuchen können, was sie im Kurs lernen, andere nehmen wahr, dass sie das manchmal aussuchen können und eine letzte Gruppe empfindet keine Wahlmöglichkeit. Dabei sind die Aussagen über den Verlauf der Kurse recht gleichbleibend, mit einer Tendenz zur steigenden Wahlmöglichkeit zum letzten Erhebungszeitraum.

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20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0

Ja Manchmal Nein

T1 (n=17)

T2 (n=20)

T3 (n=18)

T4 (n=18)

Abbildung 10: Können Sie sich aussuchen, aussuchen was Sie im Kurs lernen? Anzahl der Antworten der Computerkursteilnehmer_innen zu den verschiedenen Erhebungszeitpunkten, Erhebungszeitpunkten, angegeben in Anzahl der Nennungen.

Auch bei den Teilnehmer_innen der Rehasportkurse sind alle Positionen vertreten, hier schwanken die Zahlen, so dass keine zuverlässige Tendenz eingeschätzt werden kann. Deutlich wird nur, dass über den gesamten en Zeitraum der Bildungsangebote jeweils alle Antwortmöglichkeiten vertreten sind. Ob und wenn ja, in welcher Form, die Wahrnehmung der Wahlmöglichkeiten in Zusammenhang mit der persönlichen Institutionsbiografie oder der Form der Beeinträchtigung zusammenhängt, zusammen kann aufgrund der vorliegenden Daten nicht beantwortet werden. Einen weiteren Hinweis zum „Grad der Mitbestimmung“ kann die Frage geben, ob die Kursleiter sas gen, was im Bildungsangebot gemacht wird. Hierbei sind die quantitativen Daten sehr eindeutig. eindeuti In den Computerkursen beantworten die Interviewpartner_innen diese Frage überwiegend mit ‚Ja‘. Hierbei schwanken die Zahlen über den Verlauf der vier Erhebungszeitpunkte zwischen 74% und 100%. Innerhalb der Rehasportkurse scheint sich die Wahrnehmung hierzu hierzu im Verlauf der Kurse ein bisschen zu verändern.

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Ja Manchmal Nein

Abbildung 11:: Sagen die Kursleiter, was Sie im Kurs machen? Antworten der Teilnehmer_innen _innen unterteilt nach ComputerComputer und Rehasportkursen zu den vier Erhebungszeitpunkten, angegeben in Anzahl der Nennungen.

Auch in den qualitativen Daten finden sich die verschiedenen Positionen zu der Wahrnehmung vorvo handener Wahlmöglichkeiten wieder. „I:: Können Sie sich aussuchen, aussuchen was Sie im Kurs lernen? IP: Äh,, ich würde sagen nein. Ich muss machen, was hier äh, was die Leitung, was die LeiLe tung sag ich jetzt mal, hier uns erklärt. Was Besonderes, würd ich sagen nicht. Wir treftre fen uns einmal die Woche und das, das was sie mit uns vor hat, wird gemacht und gut is.“ „IP: Also wir kriegen mehrere mehrere Vorschläge und einen davon können wa uns aussuchen. I: Ok. Und wer macht die Vorschläge? IP: Die macht die ähm [Namen der Kursleitungen]. I: Also die Kursleitungen machen die Vorschläge, machen mehrere Vorschläge und Sie können sich dann aussuchen, was Sie S machen wollen? IP: Ja.“

Andere Teilnehmer_innen berichten an dieser Stelle, dass sie selbst Vorschläge machen und diese aufgegriffen werden. Für die Einordnung des „Grads der Mitbestimmung“ müsste müsste hier unterschieden werden zwischen ‚vorgegebene Wahlmöglichkeiten Wahlmöglichkeiten erhalten‘ und ‚eigene Vorschläge umsetzen könkö nen‘. Dies lässt sich anhand der quantitativen Daten nicht erkennen, da die subjektiv inhaltliche BeB deutung der Antworten ‚Ja‘ und ‚Manchmal‘ hier im Gespräch nicht weiter differenziert werden. Aus den n qualitativ untersuchten Textstellen lässt sich jedoch die These aufstellen, dass es beide Formen der Mitbestimmung gibt, die Variante aus vorgegebenen Wahlmöglichkeiten auszuwählen aber deutdeu lich häufiger gemeint ist. Im Rahmen der Beobachtungen lässt sich sich für die Rehasportkurse feststellen, dass die TeilnehTeilne mer_innen bei der inhaltlichen Gestaltung der einzelnen Übungen einbezogen werden, indem sie sich neue Bewegungen für die Übungen ausdenken sollen. Die Grundübung wird hierbei vorgegeben. In den Computerkursen terkursen wurde eine Form der inhaltlichen Mitgestaltung in den beobachteten SeS

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quenzen nicht bzw. nur in einzelnen Situationen wahrgenommen. Insgesamt scheinen die Inhalte somit stark von den Kursleitungen vorgegeben und vorstrukturiert zu sein. Dies ist grundsätzlich kein überraschendes Ergebnis, so scheint die Vorgehensweise, Wahlmöglichkeiten vorzugeben, nicht konträr zu der üblichen Praxis im Bereich der Bildungsangebote für erwachsene Menschen. Im Hinblick auf die Umsetzung der Partizipationsmöglichkeiten sowie die Subjektorientierung, also z.B. dem jeweiligen Lernstand angepasste Wahlmöglichkeiten, müsste dieses Ergebnis jedoch kritisch diskutiert werden. Zur Analyseebene der Partizipation werden die Teilnehmer_innen im Rahmen der Interviews u.a. auch dazu befragt, ob sie die Möglichkeit haben, eigene Vorschläge für die Kursgestaltung zu machen und wenn ja, welche Vorschläge sie machen. Die Analyse der statistischen Daten ergibt hierzu, dass die Inanspruchnahme, eigene Vorschläge zu machen, bei den Computerkursteilnehmer_innen im Verlauf der Kurszeit ansteigt, bei den Rehasportteilnehmer_innen ist die Anzahl der Personen, die regelmäßig oder manchmal eigene Vorschläge einbringen, gleichbleibend. Die qualitativen Ergebnisse zeigen, dass jene Teilnehmer_innen, die Vorschläge machen, sehr differenzierte Ideen zu Lerngegenständen innerhalb der Angebote haben. Diese lassen sich grob einteilen in die Bereiche Kulturtechniken, Computerkenntnisse, Internetkenntnisse, spezifische Sportübungen sowie eine Gruppe mit sonstigen Vorschlägen. Werden diese Vorschläge aufgegriffen und in die inhaltliche Gestaltung der Angebote aufgenommen, so kann davon ausgegangen werden, dass dem Prinzip der Mitbestimmung entsprochen wird. 80 70

Teilnehmer_innen Computerkurse, die regelmäßig oder manchmal eigene Vorschläge einbringen (T1 n=5, T2 n=10, T3 n=10, T4 n=13)

60 50 40

Teilnehmer_innen Rehasportkurse, die regelmäßig oder manchmal eigene Vorschläge einbringen (T1 n=6, T2 n=6, T3 n=5, T4 n=4)

30 20 10 0 T1

T2

T3

T4

Abbildung 12: Machen Sie selbst Vorschläge, was Sie im Kurs lernen möchten? Antworten der Kursteilnehmer_innen, über den Verlauf der vier Erhebungszeitpunkte, angegeben in Prozent

Im Rahmen des vorliegenden Forschungsprojektes ist aber nicht nur von Interesse, ob die Kursteilnehmer_innen innerhalb der Bildungsangebote eine Form der Selbst- und Mitbestimmung erfahren, sondern ob sich die Durchführung der hier angebotenen Kurse auf der Ebene der gesellschaftlichen Partizipation, in Form verbesserter Teilhabemöglichkeiten bzw. erweiterter sozialer Inklusion, niederschlagen können. Da die Grundannahme ist, dass die Möglichkeit der Nutzung neuer Medien einen Einfluss auf die Gestaltung sozialer Inklusionsprozesse hat, wird hier besonderes Augenmerk auf den Zusammenhang zwischen und die Bedeutung der Nutzung neuer Medien, wie Computer und Internet, und dem subjektiven Gefühl gesellschaftlicher Partizipation gelegt.

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Um hierzu Anhaltspunkte zu erhalten, werden die Teilnehmer_innen im Abschlussinterview dazu befragt, welche Bedeutung die Nutzung von Computer und Internet hat. Hierbei wird sehr deutlich, dass den Teilnehmer_innen sehr bewusst ist, welche Möglichkeiten besonders das Internet bietet, aber auch welche Gefahren bestehen. So beschreiben einige Teilnehmer_innen verschiedene Nutzungsmöglichkeiten, wie die Möglichkeit mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben, auch international, dass es in bestimmten Fällen nur noch über das Internet möglich ist, Sachen zu kaufen, z.B. spezielle Autoteile, die Chance der Informationenbeschaffung oder den Wunsch gesellschaftlich zu partizipieren, hier mit dem Beispiel eines Fanclubs, der ausschließlich übers Internet stattfindet. Auf der anderen Seite sind problematische Bereiche des Internets präsent, z.B. die Gefahr der Abofallen und dass das Internet auch missbräuchlich verwendet wird, z.B. für die Weitergabe kinderpornografischer Bilder. Dies führt in Einzelfällen zu der Entscheidung, das Internet nicht nutzen zu wollen. Was sehr deutlich wird ist, dass bei den Teilnehmer_innen hier eine sehr realistische und differenzierte Auseinandersetzung mit der Thematik neuer Medien stattgefunden hat. Die Interviewpartner_innen nennen neben diesen ganz konkreten Beispielen aber auch allgemeine Aussagen, warum die Nutzung neuer Medien für sie von Bedeutung ist. „IP: Aber ich möchte gerne ä ähm meine Gedanken ä so manchmal ä so aufschreiben, weil ich ja schon schon viel erlebt I:Mhm. IP: Dann lohnt sich das. I: Ja. […] I: Und was möchten Sie im Kurs als nächstes lernen? IP: Äh, das ich ähm mir als nimmer dummer Junge dargestellt werden kann. I: Mhm. IP: Zum Beispiel gewisse doof äh.“ „I: Mhm. Warum ist es wichtig, den Computer und das Internet bedienen zu können? IP: Ja, damit man mit den draußen mitreden kann. I: Mhm. IP: Damit man nicht am seidenen Faden hängt und sagt, man hat keine Ahnung. I: Ja. IP: Also, dass ich mit denen mithalten kann, so gut es geht.“

Dennoch berichten einige Teilnehmer_innen, dass sie Computer und Internet nicht nutzen dürfen. In diesem Fall würde sich die Ausgrenzung einer bereits marginalisierten Personengruppe weiter verschärfen.

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5 Erkenntnisse und Konsequenzen Im Folgenden soll abschließend noch ein kritischer Blick auf das Gesamtprojekt gelegt werden. Hierzu werden zum einen das durchgeführte Projekt mit seinen verschiedenen Ebenen und zum anderen die Ergebnisse der Auswertung reflektiert. 5.1 Reflexion des Forschungsprojekts Für die Reflektion des Gesamtprojekts werden zum einen die Ebene der Forschungsmethoden und zum anderen die Zusammenarbeit und Organisation zwischen den Kooperationspartnern sowie die Durchführung des abschließenden Fachtages unterschieden. 5.1.1 Methodisches Vorgehen Für den Bereich der Forschungsmethoden lassen sich hier die einzelnen methodischen Vorgehensweisen kritisch reflektieren. Die Forschungsmethode des leitfadengestützten Interviews hat im Rahmen dieser Untersuchung den Kern des methodischen Vorgehens und der Auswertung dargestellt. Das Projekt hat bestätigt, was in der fachwissenschaftlichen Literatur bereits als gegeben angesehen wird, in der Praxis jedoch nicht immer geglaubt wird, Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen können herausgefordert werden im Sinn von Zutrauen und Zumuten. Dies zeigen die differenzierten Antworten der Teilnehmer_innen. Der Versuch, ein Erhebungsinstrument zu entwickeln, mit dem möglichst viele der Teilnehmer_innen befragt werden können, ist weitestgehend gelungen. Mithilfe der sprachlichen Formulierungen, der Kombination aus offenen und geschlossenen Fragen sowie der unterstützenden Symbol- und Antwortkarten konnte erreicht werden, dass viele der Teilnehmer_innen an den Interviews teilnehmen konnten. Darüber hinaus wurde darauf geachtet, die beschriebenen ethischen Prinzipien einzuhalten und so die Freiwilligkeit der Teilnahme, den Schutz der Probanden sowie die Anonymität der Daten zu wahren. An dieser Stelle muss kritisch reflektiert werden, ob der Einsatz geschulter Studierender im Rahmen der Datenerhebung evtl. zu Momenten der Unsicherheit bei den Teilnehmer_innen geführt haben könnte. Aus den Rückmeldungen zum Forschungsprozess seitens der Interviewpartner_innen ist dies nicht zu erkennen. Hier wurde teilweise die Länge der Befragung kritisiert, aber auch betont, dass es gut ist, dass die Teilnehmer_innen selbst befragt werden und ihre Meinung daher wichtig ist. Bei der Entwicklung des Fragebogens wurden aufgrund der Erfahrungen von Forschungsprojekten im Kontext von Menschen mit geistiger Behinderung die Fragen zur quantitativen Auswertung mit einer Dreier-Skalierung versehen. Bei einer erneuten Durchführung der hier beschriebenen Untersuchung sollte im Sinne der Auswertbarkeit der Daten dies durch eine Vierer-Skalierung ersetzt werden. Im Verlauf der Interviews ist deutlich geworden, dass die Teilnehmer_innen, die mit dem beschriebenen Instrument erreicht werden konnten, die Fragen durchaus auf einer komplexeren Skalierung hätten beantworten können. Als kritisch ist einzuschätzen, dass die Teilnehmer_innen der Rehasportkurse als Kontrollgruppe jeweils auch zu den Teilhabemöglichkeiten durch Medienkompetenz befragt wurden. Im Forschungsdesign wurde dies angelegt, um eine Überprüfungsmöglichkeit zu haben, ob sich eine Kompetenzund Teilhabeerweiterung durch die Teilnahme am Computerkurs begründen lassen, oder ob ggfs. die Teilnahme an einem Bildungsangebot durch externe Fortbildner schon einen wesentlichen Einfluss

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auf die subjektive Wahrnehmung hat. Die Befragung zu der Nutzung von Computer und Internet konnte von den Interviewpartner_innen der Rehasportkurse nicht immer als sinngebend nachvollzogen werden. Die durchgeführten Beobachtungen lassen sich dahingehend reflektieren, dass diese Methode grundsätzlich stark durch die Personen der Beobachtenden geprägt ist und Einfluss auf die zu beobachtende Gruppe hat. Dies hat sich auch in dieser Untersuchung gezeigt. Mit zunehmendem Projektverlauf hatten sich die Kursteilnehmer_innen an die Situation der Beobachtungen gewöhnt und vermutlich weniger davon beeinflussen lassen, zumal mindestens eine der Beobachter_innen allen Teilnehmer_innen bekannt war. Nicht ausreichend war die vermutete Wirkung der Gruppendiskussionen mit den Fortbilder_innen. Erfolgreich war diese Methode insofern, als das beispielsweise das Thema „Regeln“ im Sinne der formativen Evaluation Eingang gefunden hat und die Auseinandersetzung damit Prozesse der Veränderung angeregt hat. Nicht erfolgreich waren die stattfindenden Diskussion und der Austausch, um zu einem gemeinsamen Verständnis von Inklusion und inklusiver Didaktik zu finden. Hier ist zu empfehlen, vorab einen Workshop mit den Fortbildnerinnen und Fortbildern zu relevanten Themenbereichen durchzuführen. Im Rahmen dieses Projekts wären das zum Beispiel die notwendige Haltung, methodische Vorgehensweisen wie leicht zurückweisbaren Angebote (GEKELER, GRAF 2004) sowie das pädagogische Grundverständnis von Inklusion, inklusiven Bildungsangeboten und zieldifferenter Didaktik. Eine weitere Möglichkeit wäre, in einer ersten Phase gemeinsam ein Curriculum sowie einen Leitfaden zur didaktischen Gestaltung der Bildungsangebote zu entwickeln und diese im Rahmen der Untersuchung zu evaluieren. Die Befragung der Mitarbeiter_innen der WfbM hat zu keinem Erkenntnisgewinn geführt. Zunächst wurde eine Befragung aller Mitarbeiter_innen zu allgemeinen Themen das Projekt betreffend durchgeführt. Da diese keine relevanten Ergebnisse hervorbringen konnte, wurde in einem zweiten Durchlauf versucht, über einzelne Mitarbeiter_innen konkrete Informationen zu einigen Kursteilnehmer_innen zu erlangen, um diese im Rahmen von Einzelfallanalysen auswerten zu können. Auch hierbei konnten keine gewinnbringenden Daten erhoben werden. Bei einer erneuten Durchführung müsste an dieser Stelle das methodische Vorgehen deutlich verändert werden. Evtl. könnte die Durchführung von Einzelinterviews hier mehr Aufschluss geben. Auch der Versuch der Überprüfung der gewonnen Daten anhand von Dokumenten seitens der Kursleiter_innen hat nicht den erwünschten Erfolg gehabt. Ziel der Dokumente war, die subjektive Wahrnehmung der Teilnehmer_innen mit möglichst objektiven Daten abzugleichen. Hierbei hat sich gezeigt, dass sich zum einen die gewählten Dokumentationsvorlagen für eine methodische Analyse schwer eigneten, zum anderen entsprachen die Ausführungen der Dokumentationen seitens der Fortbildner_innen nicht den Maßstäben wissenschaftlicher Auswertungsprozesse.

5.1.2 Projektorganisation, Zusammenarbeit zwischen den Kooperationspartnern Drei sehr unterschiedliche Organisationskulturen sind, vertreten durch die drei Projektpartner, in dem Verbundprojekt zusammengekommen. Dies stellte gerade zu Beginn eine Herausforderung bezüglich der Kommunikation und der Zusammenarbeit dar. Im Verlauf des Projektes konnten Kompromisse geschlossen werden. Die Priorisierung des Stellenwertes des Projektes gemessen an Reakti73

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onszeit, Verlässlichkeit und interner Reflexionsprozesse war sehr unterschiedlich und wurde regelhaft und systematisch vor allem in der wissenschaftlichen Begleitung durchgeführt. Eine Verbesserung dieser Situation könnte durch eine stärkere Einbindung der Mitarbeiter_innen der Organisation (hier die WfbM) zu Beginn in Form eines oder zwei halber Tage zu Beginn des Projekts erreicht werden. Der gemeinsame Kick-Off und der Einbezug in die Anmelde- und Infophase für die Beschäftigten war nicht ausreichend, um das Gefühl der „Eindringlinge“ und einem „Misstrauen“ gegenüber Forschung und auch den neuen Bildungsangeboten abzubauen. Beteiligung und Einbeziehung über eine Befragung (alle 6 Monate), regelmäßige persönliche Informationen (zu Beginn, Ende und bei Bedarf – Zwischenergebnisse) und gedruckte Informationen (Infobrief für Mitarbeiter_innen und Beschäftige, alle 6 Monate) war nicht ausreichend.

5.1.3 Fachtag Zum Abschluss des Forschungsprojekts hat am 15.01.2015 ein Fachtag mit dem Titel „Soziale Inklusion und Lebenslange Bildung“ stattgefunden. Dieser wurde von Seiten der wissenschaftlichen Begleitung geplant und vorbereitet. Im Rahmen von Kooperationstreffen mit den Kooperationspartnern wurde das geplante Programm besprochen und verabschiedet. Als Ort wurde die Martinskirche auf dem Gelände der evangelischen Stiftung Volmarstein gewählt, da diese barrierefrei zugänglich ist und durch die räumliche Nähe zur WfbM für alle Kursteilnehmer_innen die Möglichkeit bestand am Fachtag teilzunehmen. Der Fachtag war eine ganztägige Veranstaltung. Am Vormittag hat nach einleitenden Grußworten Jun.-Prof. Dr. Ingo Bosse einen Vortrag zur theoretischen Verortung der medialen Bildung gehalten. Anschließend haben Frau Prof. Dr. Kristin Sonnenberg und Anneke Arlabosse das Projekt und die ersten Ergebnisse vorgestellt. Bei diesen theoretischen Vorträgen wurde auf eine verständliche Sprache geachtet, so dass sich im Rahmen der anschließenden Diskussions- und Fragerunde auch einige der Kursteilnehmer_innen beteiligt haben. Nach einer Mittagspause, in der die EFH-Band ‚Kapelle‘ gespielt hat, hatten die Kursteilnehmer_innen die Möglichkeit ihre Sichtweise zum Projekt darzustellen. Dies wurde eingeleitet durch einen ca. zehnminütigen Film von und mit den Teilnehmer_innen der Computerkurse. Im Rahmen der Vorbereitung des Fachtags haben zwei Informationstreffen zwischen der wissenschaftlichen Begleitung und den Kursteilnehmer_innen stattgefunden. Hier wurde gefragt, ob diese ein Interesse haben, sich am Programm des Fachtags zu beteiligen. Einige haben das Medium Film gewählt und überlegt, was sie im Film zeigen und sagen möchten. Darüber hinaus gab es weitere Beteiligungen der Teilnehmer_innen am Fachtag. Zum einen haben zwei Computerkursteilnehmer einen kurzen Vortrag gehalten und hierzu eine Powerpoint-Präsentation erstellt und zum anderen hat eine Gruppe der Teilnehmer_innen aus dem Computerkurs mit Vorkenntnissen zusammen mit der Kursleiterin eine Geschichte vorgelesen, die sie im Rahmen des Kurses gemeinsam geschrieben haben (siehe Anhang). Der Fachtag wurde mit der offiziellen Urkundenübergabe zur Teilnahme an den Bildungsangeboten beendet. Für die Teilnahme an dem Forschungsprojekt haben alle Teilnehmer_innen als Dank und zur Erinnerung eine Tasse mit den beiden Kurssymbolen und dem Titel des Fachtages erhalten. Das Publikum des Fachtages bestand aus einer Gruppe von Teilnehmer_innen, Beschäftigten und Mitarbeiter_innen der WfbM, Fachkräften aus Einrichtungen sowie Studierenden und wissenschaftlicher Vertreter_innen. 74

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Die Rückmeldungen zum Fachtag waren aus allen Personengruppen durchweg positiv. So wurde Bezug genommen auf die gute Stimmung und die inklusive Gestaltung der Veranstaltung. Die Vermittlung von theoretischen Impulsen und Forschungsergebnissen in verständlicher Sprache sowie die hohe Beteiligung der Kursteilnehmer_innen an der Gestaltung des Fachtages sind als besondere Merkmale dieser Veranstaltung zu sehen.

5.2 Theoretische Diskussion der Ergebnisse Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung in Zusammenhang mit den beschriebenen theoretischen Vorüberlegungen diskutiert und reflektiert sowie entsprechende Handlungsempfehlungen abgeleitet. Hierbei wird weiterhin nach den Kernfragen des Untersuchungsdesigns differenziert. 5.2.1 Erweiterung subjektiver Teilhabemöglichkeiten BOSSE hat einleitend festgestellt, dass die gesellschaftliche Entwicklung hin zu einer Mediengesellschaft starken Einfluss auf die Umsetzung von Teilhabemöglichkeiten und Ausgrenzungsprozessen hat. Die zunehmende Mediatisierung macht die steigende Relevanz nach Angeboten der Medienbildung und –kompetenz deutlich. Im Kontext von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung verschärft sich diese Notwendigkeit, da sie eine Personengruppe darstellen, für die ein vorhandener Zugang bislang nicht selbstverständlich ist. Die Verankerung der Bedeutung des Zugangs zu Medien lässt sich in der UN-Behindertenrechtskonvention in mehreren Artikeln finden. BOSSE kommt daher zu dem Schluss, dass „Medienbildung im Rahmen der Diskussion um die Partizipation und Inklusion von Menschen mit Behinderung ein äußerst relevantes gesellschaftliches und politisches Thema darstellt“ (ebd., Kap. 1 in diesem Heft). Die Kernergebnisse der hier durchgeführten Untersuchung zu den Bereichen der subjektiven Kompetenz- und Teilhabeerweiterung zeigen, dass eine Erweiterung der individuellen Teilhabemöglichkeiten der einzelnen Teilnehmer_innen durch das Bildungsangebot der Computerkurse zumindest teilweise erreicht werden konnte. Im Bereich der Lese- und Schreibkompetenz lässt sich objektiv keine Erweiterung der Kompetenzen feststellen. In Einzelfällen konnte jedoch eine Erweiterung der subjektiv wahrgenommenen Kompetenzen erreicht werden. Darüber hinaus zeigt die Betrachtung dieser Einzelaussagen, besonders im Bereich des Schreibens am Computer, dass diese nicht nur Einfluss auf die zuvor angenommenen (neuen) Teilhabemöglichkeiten haben kann, sondern auch auf den Bereich des Erhalts von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung durch die Kompensation körperlicher Einschränkungen. Ein Bildungsangebot zur Schaffung und Erweiterung der Lese- und Schreibkompetenz scheint daher sinnvoll, wobei hier die Empfehlung ist, diese inhaltlich stärker zu verankern und z.B. im Sinne von Lernbausteinen mehr Aufmerksamkeit zu geben. Zu den Kompetenzbereichen der Computer- und Internetkompetenz zeigt die hier durchgeführte Untersuchung bei den Teilnehmer_innen der Computerkurse deutliche Kompetenzsteigerungen, welche sich anhand der qualitativen Ergebnisse auf die Teilnahme an den untersuchten Bildungsangeboten zurückführen lassen. Die Umsetzung von Angeboten zur Medienbildung und -nutzung scheint daher sinnvoll und notwendig, da so neue Teilhabemöglichkeiten entstehen bzw. bestehende erweitert werden können. Darüber hinaus müsste jedoch ein Weg gefunden werden, den Zugang zu neuen Medien langfristig sicherzustellen.

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Neben dem technischen Zugang als einer Dimension von Medienkompetenz (BAUMANN, 2005), die in diesem Projekt nicht nachhaltig sichergestellt werden konnte, haben die Interviews mit den Kursteilnehmer_innen gezeigt, dass sie sich realistisch mit dem Bereich der reflexiven Ebene von Medienkompetenz auseinandergesetzt haben. 5.2.2 Bedingungen inklusiver Lehr-Lernarrangements in der Erwachsenenbildung Zugänglichkeit ist nicht nur im Bereich des Zugangs zu neuen Medien relevant, sondern auch grundsätzlich bezogen auf den Zugang zu Angeboten der Erwachsenenbildung. Laut LINDMEIER (2012) ist dies eins von vier Strukturelementen (Zugänglichkeit, Verfügbarkeit, Annehmbarkeit, Adaptierbarkeit), welche für die Gestaltung eines Systems inklusiver Erwachsenenbildung notwendig sind. Darüber hinaus stellt LINDMEIER (ebd.) fest, dass die Notwendigkeit einer Modifikation bestehender Standards aus dem Bereich inklusiver Schulbildung für die Erwachsenenbildung weiterhin aussteht. Im Sinne dieser Modifikation wurden im vorliegenden Projekt Bedingungen in Anlehnung an den Index für Inklusion untersucht. Die im Ergebnisteil beschriebenen sechs Analyseebenen zu förderlichen und hinderlichen Kursbedingungen werden im Folgenden in drei Themenbereichen diskutiert. Hierzu zählen das Setting Bildungsangebot allgemein, die konzeptionelle Gestaltung von Angeboten der Erwachsenenbildung sowie der Bereich der methodisch/ didaktischen Ausführungen. Auf der Ebene des Settings Bildungsangebot konnte im durchgeführten Projekt ein niedrigschwelliges Angebot für die Beschäftigten der WfbM der evangelischen Stiftung Volmarstein realisiert werden. Als Vorbedingungen wurden ausschließlich die Freiwilligkeit und die Bereitschaft an einem Forschungsprojekt teilzunehmen formuliert. So konnte der Zugang zu den Bildungsangeboten für alle Interessierten grundsätzlich sichergestellt werden, wobei eine Auswahl der Teilnehmer_innen aufgrund der begrenzten Plätze nicht allen Interessierten auch die Teilnahme ermöglichte. Durch den Nachweis der subjektiven Kompetenzerweiterung, aber auch aufgrund der hohen Zufriedenheit der Teilnehmer_innen in allen Kursen zeigt sich, dass grundsätzlich die Durchführung von Bildungsangeboten im Rahmen von Kursgruppen sinnvoll und geeignet ist, um Kompetenzen für eine erweiterte Teilhabe zu erzielen. Darüber hinaus kann so das Recht auf Bildung im Bereich des Lebenslangen Lernens (Art. 24 Bildung, UN-BRK) umgesetzt werden. Für den Bereich der konzeptionellen Gestaltung von Angeboten der Erwachsenenbildung spielt die Wahl des Lernorts eine wichtige Rolle. Als Lernorte sind alle Standorte denkbar, an denen Angebote zur Erwachsenenbildung stattfinden. Klassischerweise ist dies ein dritter Ort und nicht der Wohnoder Arbeitsort. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde dennoch ein exklusiver Ort gewählt und die Kurse ausschließlich für Beschäftigte der WfbM angeboten. Dies ist zum einen begründbar mit dem zuvor erwähnten Kriterium der Zugänglichkeit, vor allem aber mit der Tatsache, dass kaum Erfahrungen „inklusiver“ Angebote der Erwachsenenbildung vorliegen. Um zunächst Kursbedingungen zu ermitteln, die relevant sind, wurde daher der Lernort im Kontext der Arbeitsstelle gewählt, um Sicherheit zu vermitteln und einen experimentellen Charakter des geschützten Ausprobierens in einer peer-group und in vertrauter Umgebung zu ermöglichen (vgl. BOSSE 2013a, 24). Im Sinne inklusiver Erwachsenenbildung müsste bei einer Fortsetzung der hier angebotenen Kurse mit den Erkenntnissen zu Rahmenbedingungen, Kurskonzepten und Anforderungen an Fortbildner_innen in einem nächsten Schritt ein Lernort außerhalb exklusiver Einrichtungen gewählt werden. Dies könnte z.B. im Gemeinwesen, bei Bildungsträgern oder Freizeit- und Begegnungsstätten der 76

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Behindertenhilfe (geöffnet für alle) stattfinden. Hierbei sind die Strukturelemente wie LINDMEIER (2012) sie benennt, zu beachten. Darüber hinaus sollte im Vorfeld die Frage der Ausstattung geklärt werden. Die Raumsituation im vorliegenden Projekt war sehr unterschiedlich und hat den Bedarf nach einem geschlossenen Raum mit ausreichend Platz sehr deutlich gemacht. Bei Angeboten zur Medienbildung gilt es des Weiteren, die technische Ausstattung sicherzustellen. Jede teilnehmende Person sollte einen eigenen Computer bzw. immer den gleichen Computer zur Verfügung haben, damit hier die Einstellungen personenbezogen erfolgen können. Außerdem hat sich deutlich gezeigt, dass die technische Einstellung der Geräte dringend vorab erfolgen muss und so umgesetzt wird, dass es nicht zu Beeinträchtigungen während der Kurseinheiten kommt. Für die Planung inhaltlicher Schwerpunkte zeigen die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung, dass eine Organisation der Inhalte in Form von Lernbausteinen als sinnvoll erscheint. So könnte sichergestellt werden, dass alle Themenbereiche ausreichend beachtet werden und die Motivation der Teilnehmer_innen für die Teilnahme am Bildungsangebot ernst genommen wird. Für den Bereich der methodisch-didaktischen Gestaltung von Angeboten der inklusiven Erwachsenenbildung ist ein Kernaspekt, dass, je nach inhaltlichem Schwerpunkt, eine lernstands- und zieldifferenzierte Inhaltsvermittlung unabdingbar ist. Die Interviews der durchgeführten Untersuchung haben gezeigt, dass wenn die Teilnehmer_innen der Computerkurse die Möglichkeit hatten im Rahmen ihres individuellen Lerntempos zu arbeiten, sie eine hohe Zufriedenheit bezüglich der Kurseinheiten und der Lernerfolge hatten. Gerade im Rahmen der Beobachtungen wurde festgestellt, dass es selten Einheiten differenzierter Arbeitsphasen gab. Für die Lerninhalte im Rahmen der Rehasportkurse hatte dies eine deutlich geringere Bedeutung. Die Diskussion um zieldifferente Unterrichtsgestaltung wird auch im Rahmen des Diskurses um inklusiven Unterricht im Schulsystem geführt. Fortbildner_innen der Erwachsenenbildung sollten sich hiermit auseinandersetzen und Methoden der Zieldifferenzierung wählen. Hierbei wäre eine regelmäßige Abfrage der Lernziele wünschenswert. Die Teilnehmer_innen haben sich sehr bewusst für die Teilnahme an einem der Bildungsangebote angemeldet und hatten gerade zu Beginn sehr klare und vielfältige Lernziele. Mit dem Verständnis von Behinderung, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt, aber ebenfalls mit Bezug auf das Verständnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dargelegt in der Klassifikation „International Classification of Functioning, Disability and Health“ 4 (ICF) ist eine, in der deutlich wird, dass Kontext- und Umgebungsfaktoren eine wichtige Rolle spielen (vgl. DIMDI 2005). D.h. eine Person wird in einer bestimmten Situation beeinträchtigt. Diese Situation gilt es so zu verändern, dass eine Teilhabe möglich wird. Die vorliegenden Ergebnisse haben gezeigt, dass es vor allem Lerngegenstand und nicht die Art von Behinderung bzw. Beeinträchtigung ist, die das Maß an notwendiger Unterstützung beeinflusst. Somit ergibt sich folgende Forderung an die Gestaltung inklusiver Lernkontexte sehr deutlich: Personenbezogene Faktoren müssen dahingehend einfließen, dass individuell angepasste Hilfsmittel zu Kursbeginn zur Verfügung stehen bzw. im Verlauf des Kurses diese überprüft und angepasst wird. Das unterstützende und förderliche Vorgehen innerhalb der Kurse muss sich jedoch dem Lerngegenstand anpassen. Dies sollte zum einen Einfluss auf die Anzahl

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der Fortbildner_innen bzw. die Gruppengröße haben, aber auch auf die innere Differenzierung von Lerninhalten. Methodisch erscheint es weiterhin als sinnvoll, biographische Lernerfahrungen abzufragen, um besonders die negativen Lernerfahrungen nicht zu wiederholen. Die Teilnehmer_innen der Bildungsangebote haben diesbezüglich besonders von Schwierigkeiten auf der zwischenmenschlichen Ebene gesprochen und hatten auch hier ihre Bedenken und Sorgen im Vorfeld der Kurse. Die sehr bestätigende und motivierende Art der Fortbildner_innen konnte hier entgegenwirken und den Kursteilnehmer_innen ein Gefühl von Sicherheit und Respekt vermitteln. Ein weiterer Aspekt ist das Einführen und Entwickeln gemeinsamer Regeln. Die Annahme, dass es bei Angeboten der Erwachsenenbildung keinen Bedarf für die Umsetzung von Regeln gibt, hat sich als nicht stimmig erwiesen. Die Fortbildner_innen haben Regelverstöße wahrgenommen, zu Regeln, die den Teilnehmer_innen nicht bekannt waren. Dies hat zu Unsicherheiten auf beiden Seiten geführt. Besonders die Interviewpartner_innen haben die Einführung gemeinsamer Kursregeln als sehr positiv erlebt und bewertet. Hierbei muss im Sinne der Gleichwertigkeit aller Kursakteure aber auf die Einhaltung von allen Personen geachtet werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Absprachen für Teilnehmer_innen gelten, für Fortbildner_innen aber nicht. Für die Qualifizierung der Fortbildner_innen im Vorfeld der Bildungsangebote erscheint es aus den hier gemachten Erfahrungen wichtig zu sein, dass das Vorhandensein von drei Kompetenzbereichen besonders relevant ist: • Methodenkompetenz (bezogen auf inklusive Kursgestaltung), • Fachkompetenz (bezogen auf die jeweiligen Kursinhalte) sowie • Erfahrungen mit verschiedenen Personengruppen (hier Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung). Wird von Teilhabe an und durch Bildung gesprochen, so ist der Aspekt der Partizipation ein wichtiges Thema. Die Möglichkeit, Lerninhalte mitzubestimmen hat neben der Chance, die Interessen der einzelnen Teilnehmer_innen aufzugreifen, eine weitere wichtige Funktion: Es kann Teilhabe erlernt und ausprobiert werden. Laut SEIFERT (2010) ist es möglich Teilhabe zu lernen. Hierzu hat sie die Teilhabe-Formel beschrieben, welche von ERHARDT und GRÜBER (2011) mit dem Aspekt des Empowerments ergänzt wurde. Besonders Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, die sich schon lange in institutionellen Zusammenhängen aufhalten, können so lernen, ihre eigenen Wünsche zu entwickeln und zu artikulieren. Im Rahmen der angebotenen Bildungsangebote zur Nutzung neuer Medien hat sich darüber hinaus deutlich gezeigt, dass diese nicht nur das Recht auf Lebenslanges Lernen und Erwachsenenbildung, und damit auf Teilhabe am Bereich Bildung erfüllen, sondern enormen Einfluss auf die soziale Inklusion der einzelnen Personen haben kann. Die Feststellung und das Bewusstsein der Teilnehmer_innen, welche Möglichkeiten ihnen die Nutzung der Medien Computer und Internet bietet, macht dies besonders unmissverständlich klar. Darüber hinaus konnte eine reflexiver Umgang mit den Medien und das Bewusstsein über Schwierigkeiten und Gefahren festgestellt werden. Dies entspricht mehrheitlich den theoretischen Vorüberlegungen von BOSSE (Kap. 1 in diesem Heft). Hier

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besteht weiterhin die Notwendigkeit, einen langfristigen Zugang herzustellen. Sonst droht einer bereits marginalisierten Personengruppe eine weitere Ebene der Ungleichheit, die digitale Ungleichheit. Realisierung von gesellschaftlicher Teilhabe, hier insbesondere Sinngebung durch kulturelle Teilhabe und damit verbunden die grundlegende Fähigkeit, sich durch Medien zu artikulieren, unterstreicht die Bedeutung der Modifizierung und Weiterentwicklung von Angeboten der Erwachsenenbildung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Das Projekt hat einige Schwierigkeiten bzw. Anforderungen an Fortbildner_innen aufgezeigt und Ansprüche an die Methodik und Didaktik von Angeboten der Erwachsenenbildung herausgefunden, deren Umsetzung notwendig ist, um individuelle und differenzierte Lernangebote innerhalb eines Kurses zu realisieren und heterogenen Gruppen gerecht zu werden. Die Kunst wird es sein, ein gemeinsames Thema und Interessensgebiet so aufzubereiten, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Ressourcen und Fähigkeiten des Lernens und der Verständigung an Prozessen lebenslanger Bildung teilnehmen können.

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Teil II Literatur

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Literatur ACKERMANN, Karl-Ernst; BURTSCHER, Reinhard; DITSCHEK, Eduard Jan; SCHLUMMER, Werner (2012): Inklusive Erwachsenenbildung. Kooperationen zwischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung und der Behindertenhilfe. Edition Schräge Reihe der GEB, Eigenverlag: Berlin. ATTESLANDER, Peter (2000): Methoden empirischer Sozialforschung. 9. Auflage, Berlin, New York. BAUMANN, Thomas (2005): Medienpädagogik, Internet und eLearning. Entwurf eines integrativen medienpädagogischen Programms. Zürich: Verlag Pestalozzianum. BOBAN, Ines; HINZ, Andreas (2003) (Hg.): Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in einer Schule der Vielfalt entwickeln. Entwickelt von Tony BOOTH und Mel AINSCOW. Online: http://www.eenet.org.uk/resources/docs/Index%20German.pdf (abgerufen am 23.03.2015) BOBAN, Ines; HINZ, Andreas (2013) (Hg.): Inklusionspädagogik. Index für Inklusion. Online: http://www.inklusionspaedagogik.de (abgerufen am 23.03.2015) BORTZ, Jürgen & DÖRING, Nicola (2003): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Berlin. Springer. BOSSE, Ingo (2012): Anschluss statt Ausschluss! Computerkurse für Menschen mit hohem Hilfebedarf. In: Frey, Hermann; Wertgen, Alexander (Hg.): Pädagogik bei Krankheit konkret. Beiträge zur Praxis des Unterrichts an Schulen für Kranke. Lengerich: Pabst Science Publishers, 223–237. BOSSE, Ingo (2013a): Computerkurse für Erwachsene – ein theoretisch fundierter Praxisbericht. In: Erwachsenenbildung und Behinderung (HG): Lernen am Computer. Chancen und Grenzen für Menschen mit Behinderung 24 (1), 18–25. BOSSE, Ingo (2013b): Keine Bildung ohne Medien! Perspektiven der Geistigbehindertenpädagogik. In: Teilhabe. Die Fachzeitschrift der Lebenshilfe 52 (1), 26–32. BURTSCHER, Reinhardt; et al. (Hg.) (2013): Zugänge zu Inklusion. Erwachsenenbildung, Behindertenpädagogik und Soziologie im Dialog. Bielefeld: Berthelsmann Verlag. CORNELSEN, Iris; SCHMITZ, Christian (2008): Chancen und Risiken des Internets der Zukunft aus Sicht von Menschen mit Behinderungen. Online: http://www.einfach-fuer-alle.de/studie (abgerufen am 23.03.2015). DIMDI (Hg.) (2005): Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. http://www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/downloadcenter/icf/endfassung/icf_endfassung2005-10-01.pdf (abgerufen am 10.03.2015) EFH-RWL, Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe (2015): zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zur Vermeidung wissenschaftlichen Fehlverhaltens an der Evangelischen Fachhochschule Rheinlanz.B.d-Westfalen-Lippe. Veröffentlicht am 28.01.2015 in den Amtlichen Bekanntmachungen 2015 Nr.4 der Hochschule. ERHARDT, Klaudia; GRÜBER, Katrin (2011): Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung am Leben in der Kommune. Freiburg im Breisgau. Lambertus. FLICK, Uwe (2009): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 2. Auflage. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg. FORNEFELD, Barbara (2012): Bildung und soziale Teilhabe ohne Grenzen? http://www.bebev.de/inhalt/materialien-zur-fachtagung-was-darfs-sein-schule-im-wandel/ (abgerufen am 20.03.2015). GLÄSER, Jochen; LAUDEL, Grit (2010): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. 4. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. LAMNEK, Siegfried (2010): Qualitative Sozialforschung. 5. Auflage. Beltz Verlag; Weinheim, Basel.

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Teil II Literatur

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LINDMEIER, Christian (2012): Inklusive Erwachsenenbildung als Menschenrecht. In: ACKERMANN, Karl-Ernst; et al. (Hg.). Herausgegeben in der „Schrägen Reihe“ der Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung e.V. (GEB)Band 10: Inklusive Erwachsenenbildung. Kooperationen zwischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung und der Behindertenhilfe. Berlin. Eigenverlag GEB, 43–67. MAYRING, Philipp (2002): Einführung in die qualitative Sozialforschung. 5. Auflage. Belz Verlag, Weinheim und Basel. MAYRING, Philipp (2008): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Belz Verlag, Weinheim und Basel. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2013): JIM-Studie 2013. Jugend-, Information, (Multi-) Media. http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf13/JIMStudie2013.pdf (abgerufen am 10.03.2015). MEUSER, Michael; NAGEL, Ulrike (2009): Experteninterviews und der Wandel der Wissensproduktion. In: Bogner, Alexander; Littig, Beate; Menz, Wolfgang: Experteninterviews. 3. Grundlegend überarbeitete Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 35-60. SCHÄFERS, Markus (2008): Lebensqualität aus Nutzersicht. Wie Menschen mit geistiger Behinderung ihre Lebenssituation beurteilen. Wiesbaden. Verlag für Sozialwissenschaften. SCHAFFER, Hanne (2009): Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit. Eine Einführung. Freiburg. SEIFERT, Monika (2012): Teilhabe für alle?! Strategien zur Stärkung der Teilhabechancen von Menschen mit schwerer Beeinträchtigung. Online abrufbar unter: http://www.diakoniewerk.at/de/martinstift-symposion-2012-downloads/ (abgerufen am 05.03.2015) SEIFERT, Monika (2010): Kundenstudie. Bedarf an Dienstleistungen zur Unterstützung des Wohnens von Menschen mit Behinderungen. Abschlussbericht. Rhombos-Verlag, Berlin. SEIFERT, Monika; FORNEFELD, Barbara; KOENIG, Pamela (2001): Zielperspektive Lebensqualität. Eine Studie zur Lebenssituation von Menschen mit schweren Behinderungen im Heim. Bielefeld: BethelVerlag. SONNENBERG, Kristin (2005): Beteiligung statt Ausgrenzung – Zur Methodik der Befragung von Menschen mit Behinderungen. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, Nr. 6/2005; 45–53. SONNENBERG, Kristin (2007): Wohnen und geistige Behinderung. Zufriedenheit und Selbstbestimmung in Wohneinrichtungen. Diplomica Verlag: Hamburg. SONNENBERG, Kristin; ARLABOSSE, Anneke (2014): Mediale Kompetenz als Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe – Lebenslage Bildung für erwachsene Menschen mit Behinderungen. In: Teilhabe, 2/2014, 53. Jahrgang, S. 63-68. THEUNISSEN, Georg (2003): Erwachsenenbildung und Behinderung. Impulse für die Arbeit mit Menschen, die als lern- oder geistig behindert gelten. Klinkhardt. UNITED NATIONS (2006): Die UN-Behindertenrechtskonvention. In: Behindertenbeauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen Hg.), Bonn, 2010, 3–37. URL: http://www.behindertenbeauftragter.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Broschuere_UNKonventio n_KK.pdf;jsessionid=391B3B45F94314BF3074B031A69CB7BB.2_cid345?__blob=publicationFile (abgerufen am 6.1.2014)

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Teil II Abbildungsverzeichnis

Anneke Arlabosse & Kristin Sonnenberg

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Forschungsdesign Abbildung 2: Forschungsdesign – Methoden Abbildung 3: Darstellung des Auswertungsverfahrens Abbildung 4: Wie gut können Sie mit dem Computer umgehen? Abbildung 5: Können Sie das Internet bedienen? Abbildung 6: Mehrzweckraum der WfbM nach Umzug ins Erdgeschoss. Abbildung 7: Bereich des Speisesaals - Rehasportkurs Abbildung 8: Brauchen Sie Unterstützung im Kurs? Abbildung 9: Helfen Sie sich untereinander? Abbildung 10: Können Sie sich aussuchen, was Sie im Kurs lernen? Abbildung 11: Sagen die Kursleiter, was Sie im Kurs machen? Abbildung 12: Machen Sie selbst Vorschläge, was Sie im Kurs lernen möchten? Abbildung 13: Förderbedarfsbogen (IST-Stand) Abbildung 14: Entwicklungsdokumentationsbogen „Bewegung und Entspannung“

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Teil II Tabellenverzeichnis

Anneke Arlabosse & Kristin Sonnenberg

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Übersicht über die Anzahl der durchgeführten Interviews .................................................. 32 Tabelle 2: Themenbereiche des Fragebogens ....................................................................................... 33 Tabelle 3: Ausschnitt aus dem Fragebogen........................................................................................... 34 Tabelle 4: Beispiele der Symbolkarten .................................................................................................. 35 Tabelle 5: Fragen der Gruppendiskussion ............................................................................................. 39

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Teil III Anhang – Symbolkarten

Teil III: Anhang - Symbolkarten Die Symbolkarten wurden entwickelt von Daniela Franken, ehemalige Studentin des BA Soziale Arbeit der EFH RWL in Bochum in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Projektteam. Es wird eine Auswahl der verwenden Symbole aus dem Kulturcluster der Interviews vorgestellt:

.

Fernsehen – Ins Theater gehen

Ins Kino gehen Schreiben – Lesen Freunde treffen

© Daniela Franken

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Teil III Anhang – Symbolkarten

7.

Musik hören – Musik machen Kunst anschauen - Kunst machen Fan sein – Sport machen Computer spielen

© Daniela Franken

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Teil III Anhang – Erfahrungsbericht 1

Ulla Brokemper

Anhang – Erfahrungsberichte aus der Praxis 1. Computerkurse (Ulla Brokemper) Zunächst erfolgt eine Darstellung des Bildungsangebotes im Überblick. Im Anschluss werden die Erfahrungen mit dem Angebot in Form eines Praxisberichtes reflektiert und schließlich Empfehlungen für die weitere Praxis formuliert.

1.1 Das Bildungsangebot im Überblick In einem Steckbrief soll zunächst das Bildungsangebot dargestellt werden. Titel des Bildungsangebotes: Computergestützte Schreibwerkstatt für Menschen mit Mehrfachbehinderung Unterrichtsstandort: Ein „Mehrzweckraum“ innerhalb der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) der evangelischen Stiftung Volmarstein Zielgruppe: Beschäftigte der WfbM mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen Personal: Zwei Kursleiter_innen: eine Sonder- und Diplompädagogin, 53 und ein Motopäde, staatl. anerkannter Tennislehrer, 51 Profil der leitenden Fortbildnerin: • Sonderpädagogin mit den Förderschwerpunkten „Lernen“ und „emotionale und soziale Entwicklung“ • Diplompädagogin mit den Schwerpunkten „außerschulische Erwachsenen- und Jugendbildung“ und „Psychologie“ • Seit 2008: Integrationskursdozentin in den Bereichen „Alphabetisierung“ und „Deutsch als Zweitsprache (DaZ)“ für erwachsene Migrantinnen und Migranten Ziele des Kursangebotes: Mit dem Kursangebot sollten die Teilnehmer_innen (TN): • in den elementaren Kulturtechniken Lesen und Schreiben gefördert werden. Dabei sollte ihnen der Laptop das Schreiben erleichtern bzw. überhaupt erst ermöglichen (Computer als Medium). • gleichzeitig Wissen und Fertigkeiten im Umgang mit Computer und Internet erlangen (Computer als Lerngegenstand). • darüber hinaus für ihr Wohlbefinden und ihre sozialen und personalen Kompetenzen (u.a. Selbstwert und Selbständigkeit) von dem Angebot profitieren. • ihre Chancen auf berufliche und soziale Inklusion erhöhen. Durchführungszeitraum und zeitliche Struktur: Die Durchführung des Bildungsangebotes erfolgte im Zeitraum Oktober 2011 bis Februar 2015. 86

Teil III Anhang – Erfahrungsbericht 1

Ulla Brokemper

In diesem Zeitraum hatten die TN wöchentlich 1,5 Stunden Kursunterricht, was zwei Unterrichtseinheiten entspricht. Für diese Zeit waren sie von ihrer Arbeit in den verschiedenen Bereichen der Werkstatt freigestellt. Nach dem Unterricht kehrten sie an ihre Arbeitsplätze zurück. Räumliche und technische Ausstattung:  zentraler Stromanschluss (in Raummitte von der Decke hängend)  Verlängerungskabel und Steckerleisten für die Verbindung mit dem zentralen Stromanschluss  rollbares Whiteboard und Whiteboardstifte  jeweils ein Laptop der Marke HP (635) für jeden TN, bespielt mit dem Betriebssystem Windows 2007 Home Premium  für alle TN im Rollstuhl ein rollbarer und individuell einstellbarer Computertisch  ein Drucker  bei Bedarf Tastaturaufsätze (Fingerführraster) und Spezialmäuse Die Laptops wurden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen den Kursterminen nicht in ihr privates Umfeld mitgenommen. Kursangebot: Ursprüngliche Planung: 2 Gruppen eingeteilt nach Erfahrungen und Computerkenntnissen à 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, altersübergreifend:  Gruppe 1: für Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die die Grundfertigkeiten des Lesens und Schreibens noch nicht erlernt haben oder erlernen konnten  Gruppe 2: für Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die die Grundfertigkeiten des Lesens und Schreibens erlernt haben, aber nicht sicher anwenden können Tatsächliche Gruppenzusammensetzung: Da die Teilnahme an und Zuordnung zu den zwei Gruppen freiwillig und nach Selbsteinschätzung der Teilnehmer_innen erfolgt ist, sind in beiden Fällen sehr heterogen besetzte Gruppen entstanden, in Bezug auf Erfahrungen mit dem Lerngegenstand und den Unterstützungsbedarf:  Gruppe 1: 12 TN im Alter zwischen 22 und 65 Jahren, 10 Männer und 3 Frauen, 3 TN ohne aktiven Einsatz von Lautsprache  Gruppe 2: 12 TN im Alter zwischen 23 und 53 Jahren, 6 Männer und 4 Frauen; im Schnitt deutlich jünger als die erste Gruppe, mehrheitlich junge Erwachsene Die Kursleiter waren über den Unterstützungsbedarf der TN vor Kursbeginn nicht informiert. Eingesetzte Arbeitsmittel und Medien:  Legebuchstaben  Plakat mit Anlauttabelle  Schnellhefter für jeden TN für Arbeitsblätter, Lesetexte und Arbeitsergebnisse  Klebestreifen und Adressanhänger zur Beschriftung der Laptops  Lernsoftware (s. Anhang)  DVDs  USB-Sticks Gestaltung der Kursstunden:  Ankommen der TN, z.T. selbständig. Die TN mit hohem Unterstützungsbedarf werden von Mitarbeiter_innen der Werkstatt zum Kursraum gebracht.

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Teil III Anhang – Erfahrungsbericht 1        

Ulla Brokemper

Umgestaltung des Mehrzweckraumes, so dass alle TN eine gute Arbeitsposition und Sicht erhalten Begrüßung der TN, Erfassung der Anwesenheit „Befindlichkeitsrunde“, teilweise mithilfe einer an die Tafel gemalten Skala für das Wohlbefinden Vorstellung der geplanten Lernaktivitäten Einigung auf 1 bis 2 Aktivitäten, ggf. nach Gesichtspunkten der Binnendifferenzierung Verteilung des benötigten Materials Verteilung der Laptops und Hilfsmittel und Unterstützung bei Anschluss und Anpassung der Hilfsmittel Arbeit an der Aufgabe, wobei die TN - soweit mit dem Personalschlüssel möglich - jederzeit auf Anfrage individuelle Unterstützung erhalten

1.2 Reflexion des Kursverlaufes Im Folgenden wird der Kursverlauf unter drei Gesichtspunkten reflektiert: • äußere Rahmenbedingungen, technische Unterstützung und Software • Entwicklung der Teilnahme • Entwicklung der Teilnehmer_innen des Bildungsangebotes Rahmenbedingungen und technische Unterstützung und Software Da es sowohl bei den TN, als auch in den äußeren Bedingungen öfter zu unvorhergesehenen Veränderungen kam, wurde es grundsätzlich notwendig, auf kurzfristige Planungen umzustellen. So haben z.B. die Laptops nicht immer sicher bzw. punktgenau funktioniert, es war nicht immer eine Internetverbindung herzustellen oder Teilnehmer waren erkrankt oder an ihrem Arbeitsplatz nicht abkömmlich. Auch die vorgesehene Lernsoftware zur Förderung der Selbständigkeit der TN hat sich als nicht gut geeignet erwiesen. Das Hochladen und Bedienen der Programme war so unterstützungsintensiv, dass es von zwei Lehrkräften nicht zufriedenstellend betreut werden konnte. Entwicklung der Teilnahme Gemessen an der Gesamtdauer der Durchführung von drei Jahren, ist die Teilnahme grundsätzlich als sehr konstant zu bezeichnen. Es kam in der gesamten Zeit zu nur vier Abbrüchen. Dieser Verlauf lässt sicherlich den Schluss zu, dass das vorliegende Bildungsangebot grundsätzlich auf großes Interesse gestoßen ist und die TN sich in den Kursstunden wohl gefühlt haben. Fehlen oder Zu-spät-Kommen waren zum großen Teil auf äußere Faktoren wie unpünktliche Transportmittel, misslungene Kommunikation innerhalb der Einrichtung sowie auf die Tatsache, dass bestimmte TN zeitweise im Arbeitsprozess nicht fehlen konnten, zurückzuführen. So kam es z.B. mehrfach vor, dass die in der Küche arbeitenden TN aufgrund von personellen Engpässen oder Auftragsspitzen nicht zum Kurs kommen konnten oder frühzeitig wieder gehen mussten. Selbstverständlich spielten auch Art und Grad der Beeinträchtigung der TN bei der Kontinuität der Teilnahme eine Rolle. Einige TN haben z.B. aufgrund von medizinischen Behandlungen im Krankenhaus längere Zeit nicht an dem Kurs teilnehmen können. Auch Über- und Unterforderung waren möglicherweise Gründe für unregelmäßige Teilnahme. 88

Teil III Anhang – Erfahrungsbericht 1

Ulla Brokemper

Einschätzung der Entwicklung der Teilnehmer_innen der Bildungsangebote Alle TN zeigten sich ganz offensichtlich glücklich darüber und stolz darauf, durch das Bildungsangebot Zugang zu einem gesellschaftlich so wichtigen und hochbewerteten Medium wie dem Computer bekommen zu haben, so dass die Teilnahme an sich bereits einen Gewinn für ihr Selbstwertgefühl mit sich gebracht hat. Die intensive Beschäftigung mit dem Computer hat auch dazu geführt, dass Einige sich privat Computer angeschafft bzw. von ihren Angehörigen geschenkt bekommen haben, wovon sie jeweils sehr stolz im Kurs berichteten. Bei den ersten Versuchen der Nutzung des PCs als soziales Medium, konkret bei der Einrichtung eines E-Mail Accounts, dem Schreiben und Lesen von E-Mails und dem Chatten in einem Forum, gelangten die meisten TN an die Grenzen ihrer Lese-und Schreibfertigkeiten. Hier zeigte sich, wie stark die Nutzung des Computers als soziales Medium an gut ausgebildete schriftsprachliche Kompetenzen gebunden ist. Grundsätzlich hat die Beschäftigung mit dem PC allen TN viel Geduld und eine hohe Frustrationstoleranz abverlangt, die sie aber auch lange aufgebracht haben. Erst im dritten Kursjahr zeigten einige TN eine gewisse Müdigkeit gegenüber „der Tücke des Objekts“ (dem PC) und ließen sich wieder bereitwilliger auf rein sprachliche Aufgaben ein. Diese Reaktionen hatten allerdings sicherlich auch viel mit äußeren Bedingungen wie der suboptimalen technischen Ausstattung (z.B. bessere Anpassung der Laptops und Programme, weitere Hilfsmittel), der Zusammensetzung der Gruppen, dem zu niedrigen Personalschlüssel sowie räumlichen (z.B. Raumausstattung) und organisatorischen (z.B. Zeiten und Absprachen, zwei Kurse ohne Pausenzeit hintereinander) Gegebenheiten zu tun. Bei der Abfrage des Befindens jeweils zu Beginn der Kursstunden gaben die meisten TN an, sich sehr wohl zu fühlen. Teilweise nannten sie sogar Werte jenseits der vorgegebenen Skala, um zu zeigen wie gern sie dabei waren. Da kein TN unabhängig von Unterstützung war, sei es bei Leseanforderungen, sei es bei der Handhabung des Computers, die ihnen oft große Anstrengung und Aufmerksamkeit abverlangte, gab es leider wenig Kapazitäten und Gelegenheiten für soziale Lernprozesse, gegenseitige Aufmerksamkeit und Unterstützung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die TN auf jeden Fall für ihr Selbstwertgefühl und ihr Wohlbefinden von dem Bildungsangebot profitiert haben. Außerdem sind sie mit Sicherheit für eine weitergehende Beschäftigung mit der Nutzung des PC motiviert und in Ansätzen befähigt worden. Auch dürften sie ihre anfangs große Scheu und ihren übergroßen Respekt vor dem Medium - große Angst, etwas falsch/kaputt zu machen und die Kontrolle über das Mediums zu verlieren - verloren haben.

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Ulla Brokemper

1.3 Empfehlungen zur Anpassung des Bildungsangebotes Aus den oben beschriebenen Erfahrungen lassen sich folgende Empfehlungen für die weitere Praxis zusammenstellen: Die Gruppengröße Es lässt sich festhalten, dass mit zwei Fortbilder_innen in kleineren Gruppen gearbeitet werden sollte, vor allem im Falle von TN mit geringen Vorkenntnissen. Für ideal wird eine Gruppengröße von maximal 6 bis 8 TN bei TN mit Grundkenntnissen und von 4 bei TN ohne oder mit wenigen Grundkenntnissen gehalten. Bei einer Gruppe von 4-8 Personen sollten 2 Fortbildner_innen vorhanden sein. Zusammensetzung der Gruppen: Aufgrund sehr unterschiedlicher Vorkenntnisse die festgestellt wurden, scheint eine Genauere Beschreibung notwendiger Vorkenntnisse in der Ausschreibung des Kurses notwendig zu sein. Da es bei dem vorliegenden Forschungsprojekt darum ging, herauszufinden, unter welchen strukturellen, personalen und inhaltlichen Voraussetzungen ein Angebot der Grundbildung für TN mit Beeinträchtigungen erfolgreich ist, sollten die Bedingungen so „inklusiv“ wie möglich sein, vergleichbar der Situation bei der Anmeldung zu einem Kurs bei einem allgemeinen öffentlichen Bildungsträger. Aus dieser Intention ergab sich die Notwendigkeit, auf die Zusammensetzung der Gruppen keinen Einfluss zu nehmen, was dazu geführt hat, dass beide Niveaugruppen aufgrund der Selbsteinschätzung der Teilnehmer_innen extrem heterogen zusammengesetzt waren. Es wäre darüber nachzudenken, wie das abgemildert werden könnte. In Angeboten der Erwachsenenbildung, z.B. im Bereich der Sprachen findet ein Einstufungstest statt, in anderen Angeboten wie beispielsweise einem Kochkurs jedoch nicht, auch Computerkurse werden in der Regel für Anfänger oder Fortgeschrittene ausgeschrieben, mit einer Beschreibung, welche Kenntnisse vorausgesetzt werden, so dass eine genauere Beschreibung der Voraussetzungen und Vorkenntnisse möglicherweise zu einer genaueren Selbsteinschätzung der potentiellen Teilnehmer/Interessierten führt. Arbeit mit Förderplänen Wünsche und Lernziele sollten zu Beginn des Kurses miteinander besprochen und erfasst werden, so dass Wege der Realisierung überprüft und ggf. verändert werden können. Diese wollten regelmäßig überprüft werden zur Rückversicherung und Weiterentwicklung. Heterogene Gruppen wie die Zielgruppen dieses Bildungsangebotes mit z.T. schwer zu ermittelnden Lernvoraussetzungen und einer breiten Vielfalt an Interessen stellen weiterhin eine große Herausforderung für die Fortbildner_innen dar. Erprobung alternativer Zeiten und Kursformate Das erprobte Format war eine Kurseinheit über 90 Minuten, einmal wöchentlich. Wir empfehlen einen kürzeren Gesamtzeitraum bei höherer Frequenz der Kurseinheiten, z.B. 2 Kurseinheiten pro Woche, was die Übungsintensität erhöhen würde. Empfehlungen im Hinblick auf technische Voraussetzungen  Regelmäßige Wartung der Laptops  Optimale Vorbereitung und fortlaufende Anpassung der Computer: • In die Windows Betriebssystemfamilie sind vielfältige Optionen und Funktionen für die barrierefreie Bedienung des Computers integriert. So ist z.B. in das Betriebssystem „Windows 7“, mit dem die verwendeten Laptops versehen waren, ein sog. „Center für erleichterte Bedienung“ integriert, über das u.a. folgende Optimierungen vorgenommen

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Ulla Brokemper

werden konnten: der Geschwindigkeit der Tastatur, der Kontraste, der Textgröße und der Mauszeigereinstellungen • An den Unterstützungsbedarf angepasste Hilfsmittel u.a. zur Steuerung der Computer: - Programme zur Augen- und Sprachsteuerung - Spracherkennungsprogramme - Fingerführraster für die Tastaturen (lagen vor) - Hilfen zur Cursorsteuerung/Mausersatz (lagen vor) • Einfache und einheitliche Lernsoftware mit Mehrplatzlizenzen, die bereits vorinstalliert ist • Bevorzugte Verwendung von Funkmäusen (reduziert den „Kabelsalat“) • Regelmäßige Wartung und Aktualisierung der Computer • Lehrercomputer mit Beamer, um die TN zentral anleiten zu können

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Peter Staudinger

2. Rehasport- und Entspannungskurse (Peter Staudinger) Die folgenden Ausführungen bilden den Schlussbericht des Forschungsprojektes "Soziale Inklusion von Menschen mit Mehrfachbehinderung: Computergestützte Schreibwerkstatt als Teil Lebenslangen Lernens" für die hier die Vergleichsgruppen I und II des Bewegungsanteils im Beobachtungszeitraum von März 2012 bis November 2014 von Peter Staudinger (11/2014). Der Bericht ist in folgende Abschnitte unterteilt: • Gruppen • Teamer • Setting • Ausstattung • Individuelle Bedingungen • Zeit • Kommunikation/Intern-Extern • Spiele und Bewegungsformen

2.1 Gruppen Allgemeine Beschreibung Beide Gruppen waren sehr heterogen. Sie setzten sich zusammen aus „Fußgängern“ und Rollstuhlfahrern beider Geschlechter. Ihre Behinderungen waren sehr unterschiedlich, in vielen Fällen lag eine Mehrfachbehinderung vor. Die Teilnehmer_innen (TN) kamen aus verschiedenen Arbeitsbereichen der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Die Gruppen kamen an zwei unterschiedlichen Tagen in der Woche zu einer Bewegungseinheit von je 90 Minuten zusammen. Ein kleiner Teil der TN wurde durch bezugsbetreuende Mitarbeiter_innen der WfbM begleitet. Der größere Teil der TN schaffte es autonom die Gruppe aufzusuchen. Die TN wurden nach Beendigung der Bewegungseinheit durch die Teamer in ihre Gruppen gebracht. Sporadisch kam es zu spontanen Rückzügen der TN, die dann die Gruppe während der Einheit vorzeitig verließen. Eine kurzfristige Nicht-Teilnahme war durch Krankheit oder Urlaub begründet. Gruppe 1, 12 Teilnehmer_innen (7 weibl./5 männl.), Montagvormittag, 9.30 – 11.00 Uhr. Gruppe 2, 14 Teilnehmer_innen (6 männl./8 weibl.), Donnerstagvormittag, 10.00 – 11.30 Uhr. Ziele Ziel der Kurse war, dass alle Kursteilnehmer_innen sich im Rahmen ihrer Fähig- und Fertigkeiten weiterentwickeln. Die Kursteilnehmer_innen sollen selbstbestimmt • Gruppenangebote formulieren und einfordern • Regeln einhalten • Pünktlichkeit trainieren • Übungen ritualisieren • Bewegungsausführungen wiederholen • Entspannung suchen • Sozialkompetenz erlangen • Umgang mit Materialien erlernen • taktile Reize wahrnehmen • visuelle Reize Wahrnehmen • Körperregionen kennenlernen • Körperteile benennen und berühren

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Peter Staudinger

Zu Beginn der Bewegungseinheiten (im ersten Jahr) waren das Interesse und die Neugier der Kursteilnehmer_innen sehr ausgeprägt. Die Teilnahme war sehr regelmäßig. Es gab unterschiedliche Erwartungen und Wünsche. Jeder TN beschrieb individuell ihre/seine Motivation der Teilnahme. Die Gruppengröße änderte sich im Laufe des Projektes durch diverse äußere Einflüsse. Gründe für das vorzeitige Ausscheiden von Teilnehmern/Innen waren: • innerbetriebliche Störgrößen • Antriebslosigkeit • lange Krankheit (mind. 3 Monate) • Tod „Innerbetriebliche Störgrößen“ sind z.B. Situationen, in denen Teilnehmer_innen zu physiotherapeutische Einheiten geschickt wurden, Arzttermine gemacht wurden, aufkommende Mehrarbeit kompensiert werden musste und schlicht vergessen wurde Teilnehmer_innen zum Kurs zu schicken oder Ausflüge während der Kurszeit mit Teilnehmenden unternommen wurden. Fazit: Um effektiver arbeiten zu können, sollte bei gleicher Gruppenstärke ein weiterer Teamer hinzugezogen werden. Ansonsten wäre eine kleinere Gruppengröße praktikabler.

2.2 Teamer Wir arbeiteten mit zwei Teamern pro Einheit. Im Vorfeld musste geklärt werden, welche Aufgaben sie innerhalb des Settings hatten. Die Rollenverteilung machte es den Teilnehmer_innen einfacher zu erkennen, wer wann mit seiner Aufgabe begann. Die Teamer kommunizierten dabei untereinander durch Gestik, Mimik oder verbalisierten laut und verständlich. Sie sollten die Fähigkeit besitzen, sich den "Ball zuzuspielen". Die Zusammenarbeit und der reibungslose Ablauf einer Bewegungseinheit spiegelte Verlässlichkeit wieder und baute Vertrauen auf. Eine gute Voraussetzung ist es, Vorerfahrungen im Umgang und der Arbeit mit Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen mitzubringen. Der Teamer sollte einfühlsam, empathisch, aber auch kritikund durchsetzungsfähig sein. Situationen, die sich anbahnen muss er erkennen, deuten und leiten können. Fazit: Um sich besser auf die Gruppe einstellen zu können, wäre eine Hospitation in der Werkstatt im Vorfeld zu empfehlen. Auch wären Vorinformationen (Alter, Art der Behinderung …) über die Teilnehmer_innen hilfreich.

2.3 Setting Die Bewegungseinheiten fanden in der Regel im großen Speisesaal der Werkstatt statt. Hier mussten zu allererst Bedingungen geschaffen werden, die ein (bedingt) störungsfreies Arbeiten zuließen. Es stand eine Fläche von ca. 6 x 3 Metern zur Verfügung, die zum Speisesaal gehörte und durch einen Vorhang abgetrennt wurde, der zu einer Seite des Raumes als Sichtschutz diente. Eine weitere Sichtbegrenzung war eine Außenwand, die zu innerbetrieblichen Kinoveranstaltungen ge93

Teil III Anhang – Erfahrungsbericht 2

Peter Staudinger

nutzt wurde. Eine Fensterfront und ein Eingangsbereich zum Speisesaal mit Blick zur Küche bildeten die anderen beiden Seitenwände. Esstische, die zum Teil mit Bechern, Flaschen, Servietten und Spuckschutzbekleidung belegt waren, mussten so zurechtgerückt werden, dass eine Sitz-Kreisform für die TN gewährleistet werden konnte. Eine andere äußere Form des Settings fand daher nur selten statt. Ein Umbau wurde nötig, wenn innerhalb einer Bewegungseinheit Tische als Hilfsmittel genutzt wurden. Arbeitsmaterialien, die zum Einsatz kamen, wurden durch den Teamer mitgebracht. Die Sitzungen, konnten zum Teil nicht störungsfrei durchgeführt werden, da visuelle und auditive Ablenkungen aufgrund des Eintretens in den Speisesaal durch Mitarbeiter_innen, Beschäftigte sowie Küchenpersonal die Durchführung der Stunden erheblich erschwerten. Der Speisesaal wurde während der Einheiten weiterhin als Pausenort durch Werkstattmitarbeiter_innen genutzt. Auch hier entstand eine nicht unerhebliche Unruhe, die sich störend auf den Ablauf der Bewegungseinheit auswirkte. Die Tatsache, dass in unmittelbarer Nähe das Küchenpersonal Vorbereitungen für den Mittagstisch traf, wirkte sich zudem ungünstig auf die Konzentration der Gruppenmitglieder aus. Fazit: Um in einer entspannten, ruhigen, konzentrierten Atmosphäre arbeiten zu können, bedarf es einer in sich geschlossenen Räumlichkeit, so dass die Teilnehmer_innen nicht durch äußere Störgrößen und visuellen sowie auditiven Ablenkungen beeinflusst werden. Empfehlung: • reizarme Umgebung • minimale Ausstattung (Stühle/Tische) • adäquate Raumgröße (angelehnt an die gegebene Gruppenkonstellation) • keine Störungen durch Dritte (Unbeteiligte) • barrierefreie Erreichbarkeit

2.4 Material Um eine ausgewogene und doch fordernde Bewegungseinheit konzipieren zu können, wurden Arbeitsmaterialien benötigt, die alle Teilnehmer_innen bedienen konnten. Hierfür eigneten sich insbesondere Materialien, die gut greifbar und adaptiert an die motorischen Voraussetzungen der Teilnehmenden waren. Hierzu gehörten runde Formen mit einer möglichst rauen Oberflächenstruktur, wie Tennisbälle, genoppte Massage-Bälle, weiche Gummibälle, abgespielte Fußbälle, Luftballons, Kunststoffbecher. Zur Förderung und Mobilisation der Mundmotorik wurden Trinkhalme und Servietten eingesetzt. Hierzu mussten von Seiten der Teamer für einzelne Teilnehmer_innen Verlängerungen durch das Zusammenstecken der Halme konstruiert werden. Stühle wurden ebenfalls in einen Bewegungsprozess eingebunden. Als erweiterten Materialfundus wurden die eigenen Rollstühle oder Gehhilfen verwendet. Zur Förderung der auditiven Wahrnehmung sowie zur Rhythmusschulung, wurden Abspielgeräte und Lautsprecher eingesetzt. Zur Entspannung wurden kleine Geschichten vorgelesen. Diese waren stark bebildert, sodass einige Teilnehmer_innen sinnentnehmend "mitlesen" konnten. Die Visualisierung erleichterte das Verstehen.

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Peter Staudinger

2.5 Individuelle Voraussetzungen Um die individuellen Voraussetzungen jedes TN beurteilen zu können, entwickelten wir einen Beurteilungsbogen, der Aufschluss über den IST-Zustand gab.

Abbildung 13: Förderbedarfsbogen (IST-Stand)

Darauf aufbauend wurde ein Beobachtungsbogen entwickelt, in dem wir den Fortschritt sowie einen Rückschritt und eine eventuelle Stagnation skizzierten.

Abbildung 14: Entwicklungsdokumentationsbogen „Bewegung und Entspannung“

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Peter Staudinger

Beobachtet und beurteilt wurden je nach der individuellen Tagesbefindlichkeit: Unter den Oberbegriff Emotionalität : • Ausgeglichenheit: Es war zu beobachten, dass einige Teilnehmer_innen ausgeglichener eine Bewegungseinheit verließen. • Gefühlsoffenheit/Ansprechbarkeit: Es war zu beobachten, dass alle Teilnehmer_innen gefühlsoffen und ansprechbar waren. • Empathiefähigkeit: Zum Ende der Beobachtungsphase war festzustellen, dass einige Teilnehmer_innen ihre Empathiefähigkeit ausbauen konnten. • Selbstwert: Es war zu beobachten, dass alle Teilnehmer_innen deutlich an Selbstwert gewannen. Diese Beobachtung lässt sich damit belegen, dass Teilnehmer_innen selbstbewusster auftraten. Sie bestimmten und forderten Vorgehensweisen und Abläufe von Übungen. Wenn der Teamer diese missachtete, wurde er darauf hingewiesen wie es zu funktionieren hatte. Rituale mussten in der Abfolge stimmen und durchgeführt werden. Ansonsten wurde "protestiert" oder der Verlauf einer Übung unterbrochen. TN, die zu Beginn des Projektes sehr zurückhaltend und defensiv agierten, muteten sich zum Ende Widerspruch zu. Unter dem Oberbegriff Soziabilität: • Teamfähigkeit: Im Laufe des Beobachtungszeitraums steigerte sich die Teamfähigkeit, was nicht zuletzt durch kooperative Spiele gefördert wurde. • Regelverständnis: Nicht alle Teilnehmer schafften es, Regeln zu verstehen und sich daran zu halten. Ein anderer Teil schaffte es. • Aufgeschlossenheit/Kontaktfähig: Es war zu beobachten, dass nicht alle Teilnehmer_innen kontaktoffen waren. Eine Aufgeschlossenheit gegenüber Unbekanntem war nur bei wenigen Teilnehmer_innen zu erkennen. Teilnehmer_innen verhielten sich bei direkten und indirekten kontaktorientierten Spielen zurückhaltend bis hin zu Verweigerung. Ein gegenseitiges Berühren oder in die Augen schauen war nicht bei allen Teilnehmer_innen möglich. Dies änderte sich zusehends mit der Anzahl der Teilnehmer_innen. Je kleiner die Gruppe wurde, desto kontaktfreudiger wurde es in der Gruppe. Projektteilnehmer_innen, die sich aus den Werkstattgruppen kannten, waren ihren Kollegen_innen offener zugetan. Häufig wurde Zuneigung durch Küssen oder Berührung im Stuhlkreis beobachtet. • Konfliktfähig: Es war zu beobachten, dass alle Teilnehmer_innen verschiedene Erfahrungen mit Konflikten hatten und aus diesem Grunde auch unterschiedlich mit Konflikten umgingen. Unter dem Oberbegriff Lern- und Arbeitsverhalten: • Motivation/Lernfreude: Alle Teilnehmer_innen waren zu Beginn des Untersuchungszeitraums stark motiviert. Dies ließ im Laufe der Zeit bei einigen Teilnehmern_innen nach.

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Peter Staudinger

Etwas Neues zu erlernen und dieses dann erfolgreich anzuwenden, trieb einen Teil der Gruppe an. Der Erfolg spiegelt sich im Selbstwert wieder. Aufmerksamkeit/Konzentrationsfähigkeit: Wie schon unter Punkt 3. beschrieben, fiel es allen Teilnehmern_innen schwer, sich unter den gegebenen Voraussetzungen (Raumsituation) zu konzentrieren. Selbständigkeit/Eigenverantwortlichkeit: Im Beobachtungszeitraum verselbständigten sich durch immer wiederkehrende Rituale und häufige Wiederholungen viele Abläufe, Spiele, Auf- und Abbau des Settings, Begleitung der Gruppenmitglieder untereinander in ihre Gruppen. Einige Teilnehmer_innen halfen eigenverantwortlich. Planungsfähigkeit, Sorgfältigkeit, Auffassungsgabe, Arbeitstempo: Die oben stehenden Items sind miteinander verknüpft und sehr individuell zu betrachten. Die Teilnehmer_innen besaßen diese Kompetenzen unterschiedlich stark ausgeprägt. Festzustellen ist, dass ein kleiner Teil dieser Kompetenzen bei allen Teilnehmern_innen individuell gefördert wurde.

2.6 Zeit Zeit spielte eine wichtige Rolle im Kontext der Bewegungseinheiten. Dabei war nicht der Wochentag ausschlaggebend, sondern die Uhrzeit. Einige Teilnehmer_innen waren im produktiven Arbeitsprozess der Werkstatt. Arbeitszeiten, Pausenzeiten, Freizeiten, Wochenenden waren bei den Teilnehmern_innen feste Größen, die sie verinnerlicht hatten. Ein pünktlicher Beginn einer Bewegungseinheit war in der Regel nicht möglich, da einige Teilnehmer_innen z.B. um 9.30 Uhr ihrem täglichen Toilettengang nachgehen mussten. Die Frühstückspause lag parallel zur Bewegungseinheit, sodass erst mit einigen Teilnehmern_innen nach dem Frühstück gerechnet werden konnte. Es kam zu Überschneidungen der Pausenzeiten der Beschäftigten, sodass Teilnehmer_innen die Gruppe überpünktlich oder sogar vor dem offiziellen Ende verließen. Fazit: Die Bewegungseinheit sollte so gelegt werden, dass gewährleistet ist, dass kein zusätzlicher Stress für die Teilnehmer_innen verursacht wird (Zeitdruck, Pausenzeiten, Aufschub von Grundbedürfnissen…). Parallelveranstaltungen müssen im Sinne der Teilnehmer_innen besser koordiniert werden.

2.7 Kommunikation Gruppenintern: Innerhalb der Bewegungsgruppen fanden wir im Laufe der Zeit eine adäquate Kommunikationsform, mit der alle Teilnehmer_innen umgehen konnten. Aufgrund der unterschiedlichsten Fähigkeiten zu kommunizieren, kam es am Anfang zu Missverständnissen, die aber schnell ausgeräumt wurden. Mimik und Gestik spielten bei den Teilnehmer_innen, die sich nicht verbal mitteilen konnten, eine übergeordnete Rolle. Empfindungen wie Wohlfühlen, Missstimmung, Unwohl sein, Freude und Ärger wurden über diese Art kommuniziert. Die Teilnehmer_innen konnten untereinander sehr gut kommunizieren. Sie respektierten sich, halfen einander und tauschten sich aus. Kritik wurde deutlich geäußert. Meinungsverschiedenheiten wurden dabei lebhaft „diskutiert“.

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Teil III Anhang – Erfahrungsbericht 2

Peter Staudinger

Fazit: Die verbale wie nonverbale Kommunikation muss für alle Beteiligten klar deutbar sein. Mimik, Gestik, Laute, Bewegungen gilt es seitens der Teamer als auch auf der Seite der Teilnehmer_innen zu „dechiffrieren“. Hierbei kann die Mithilfe der Teilnehmer_innen, die dann "übersetzen", von Bedeutung sein. Gruppenextern: Der externe Austausch fand in einem geringen Umfang statt. Abmeldungen von Teilnehmern_innen für eine Bewegungseinheit wurden durch die zuständigen Mitarbeiter der Werkstatt nur sporadisch durchgeführt. Ein Austausch über z.B. tagesformabhängige Befindlichkeiten der Teilnehmer_Innen fand in der Regel nur dann statt, wenn der Teamer in den Gruppen nachfragte, oder eine außergewöhnliche Situation (wie z.B. medizinische Anwendung, Ausflüge, Arztbesuche, Glatteis, Urlaub) eingetroffen war, und der Teamer durch das Werkstattpersonal informiert wurde. Fazit: Ein regelmäßiger, informativer Austausch unter allen Beteiligten ist wichtig. Im Vorfeld sollte festgehalten werden, wer wem welche Informationen zukommen lässt. Transparenz gewährleistet für alle Beteiligten eine hilfreiche Zusammenarbeit.

2.8 Spiele, Bewegungsformen, Rituale Zu Beginn des Projekts beschränkten wir uns auf eine einfache Sitzkreisform mit Bewegungsinhalten die jede/r Teilnehmer_in nachvollziehen konnte. Der Schwerpunkt lag auf der Kraftentfaltung und Mobilisation der unteren und oberen Extremitäten. Motivationsunterstützend setzten wir den TN bekannte Schlagermusik ein. Die aufgeführten Spiele wurden in jeder Bewegungseinheit wiederholt, zum Teil auch ritualisiert. Spiele mit dem Tennisball: - Rollen auf und am Körper - stelle einen Fuß auf den Tennisball und rolle ihn vor und zurück - Schraube den Ball in eine Fassung unter der Decke. Dabei musst du dich strecken. - Körperteile antippen und benennen (Finger, Knie, Füße, Unterschenkel, usw.) - Kraftentwicklung durch Einklemmen des Balles zwischen • Knien • Händen • Ober-/Unterarm • Kniekehle • unter das Kinn • Achselhöhle • Schulter/Ohr Kegelspiel am Tisch: Die vorhandenen Tische werden so zusammengestellt, dass die Teilnehmer_innen drum herum sitzen können. Es werden Trinkbecher zu einer Pyramide gestapelt. Die Teilnehmer_innen haben die Aufgabe, mit einem Tennisball die Pyramide abzuräumen.

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Teil III Anhang – Erfahrungsbericht 2

Peter Staudinger

Hütchenspiel am Tisch: Die Teilnehmer_innen haben die Aufgabe den Tennisball, welcher auf dem Tisch personenbezogen zugerollt wird, mit einem Trinkbecher zu fangen. Zuvor müssen sie aber mit dem Fänger kommunizieren. Fang den Ball am Tisch: Wie oben, jedoch soll der Ball über die Tischkannte rollen. Lass den Ball kreisen:  um deinen Körper kreisen  um deinen Kopf kreisen  um deine Hände kreisen  um deinen Stuhl kreisen Gib den Ball durch:  unter deinen Beinen  forme eine acht durch deine Beine  unter deinem Stuhl durch Berühre mit dem Tennisball den linken und rechten Fuß deiner Gruppe, dafür musst du dich zu ihnen bewegen. Oder die Gruppe bewegt sich zum Ball Führenden. Zum Teil müssen diese Spiele, aufgrund von Kraft- und Hebelkomponenten mit einem größeren Ball umgesetzt werden. Mobilisierung der Mundmotorik: - Mit Hilfe von Trinkhalmen sollen die Teilnehmer/innen eine Serviette/Wattebäuschchen über den Tisch pusten. (Jeder hat eine Serviette/ Wattebäuschchen) - Wie oben, jedoch pusten alle Teilnehmer/innen gegen die Serviette. Wo fällt sie runter? (Kreisform mit einer Serviette in der Mitte) Mobilisierung der Gesichtsmuskeln: - rümpfe deine Nase - mache einen Kussmund - kräusele deine Stirn - weite deine Augen - schiebe deine Augenbrauen hoch/runter - ziehe deine Wangen hoch - kneife ein Auge zu (links/rechts) Spiele mit dem Fußball: - gib den Ball an deinen Sitznachbarn weiter - wirf den Ball 1x; 2x; 3x; ......... vor dir hoch und gib ihn dann weiter - wie oben jedoch in Kombination mit Zusatzaufgaben - stelle erst deinen linken, dann den rechten Fuß auf den Fußball - stelle beide Füße auf den Fußball - wirf den Ball zu einem/r Teilnehmer/in und kommuniziere es vorher 99

Teil III Anhang – Erfahrungsbericht 2

Peter Staudinger

Auditive Spiele: - Welches Geräusch erkennst du?  Es werden entweder mitgebrachte oder die sich vor Ort befindenden Alltagsgegenstände genutzt. Der Gegenstand wird geklopft, fallen gelassen, gerollt, gezogen, geschoben ....  Wer erkennt das Geräusch und kann diesen Gegenstand benennen? Hierbei sitzen die Teilnehmer/innen rücklings zueinander. -

Auditiv digitalisierte Alltagsgeräusche:  Hierzu wird ein digitalisiertes Alltagsgeräusch abgespielt. Die Teilnehmer/innen sollen es erkennen und zuordnen.

Literaturempfehlungen: Alltagsgeräusche als Orientierungshilfe Audio-CD – Audiobook, 1997 von Carola Preuss (Autor), Klaus Ruhe (Autor) Soundtrack-Spiel: Geräusche hören - erkennen - imitieren Audio-CD – Audiobook, Juli 2003 von Klaus Ruge (Autor), Carola Preuss (Autor)

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Teil III Anhang – Übersicht Kursinhalte

Übersicht Kursinhalte Übersicht Kursinhalt Förderschwerpunkt Computer und Internet: Wissen und Fertigkeiten Ziele/Inhalte

Aktivitäten/Medien

Computer starten und herunterfahren können Hard- und Software kennen und unterscheiden

anhand von mitgebrachten Beispielen, Abbildungen und Arbeitsblättern (s. Anhang: Arbeitsblätter)

den Computer individualisieren

TN legen Desktophintergrund fest, z. T. mit auf USB-Stick mitgebrachten Fotos Sie installieren die Miniprogramme Zeit/Datum/ Wetter

Einstellungen optimieren/ anpassen

TN aktivieren in „Systemsteuerung“ unter „erleichterte Bedienung“ nach Wunsch u. Bedarf folgende Optionen: Kontrast, Textgröße, Mauszeigeroptionen, AnschlagVerzögerung, Einrastfunktion Außerdem deaktivieren sie den Touchpad und legen Google als Suchmaschine fest.

bestimmte Programme starten können

Word, Internet-Explorer, vorinstallierte Miniprogramme, Lernsoftware, Downloads, u.a. von Online-Computerspiel „Winterfest“ (s. Anhang: Linkliste)

Einzelwörter, Sätze und Texte (ab-)schreiben und bearbeiten

TN wenden folgende Funktionen an: markieren, löschen, ausschneiden/kopieren, einfügen

Formatierungen anwenden

Abschreiben von formatierten Textvorlagen (s. Anhang: Arbeitsblätter)

Dokumente speichern, wiederfinden und öffnen

im Anschluss an selbst geschriebene Listen und Texte

eine Tabelle in Word anlegen und beschriften

Erklärungen und Übungen zum Aufbau einer Tabelle: Zeile, Spalte, Zelle (s. Anhang: Arbeitsblätter), siehe auch „Schreiben“

Bilder suchen und importieren

nach Wahl u. Interesse, z.B. Katzenbabys, LieblingsFußballmannschaft

Programme, Texte u. Spiele

Adobe Reader, kostenloses Online-Lernspiel „Winterfest“ 101

Teil III Anhang – Übersicht Kursinhalte herunterladen

(s. Anhang: Linkliste)

gezielte Suche im Netz, Suchmaschinen bedienen

Stichwörter überlegen und eingeben, „Wikipedia“ als „Online-Lexikon“ nutzen

Soziale Netzwerke kennen, Gefahren und Sicherheit im Netz

Unterrichtsgespräch und Lesen von Texten aus „Schülerheft Internet“ (s. Anlagen: Linkliste)

ein E-Mail-Konto anlegen

Erklärungen zum Unterschied Post/E-Mail und zum Aufbau von E-Mail-Adressen und Passwörtern TN bestellen einen eigenen E-Mail-Account, schreiben und empfangen E-Mails

Teilnahme an einem Chat

TN chatten als Gäste in dem Forum „Handitreff“, einem Forum für Menschen mit und ohne Behinderung (s. Anhang: Linkliste)

Online bestellen

TN bestellen exemplarisch bei „Zalando“ (ohne Abschicken)

Soziale Netzwerke kennen

TN lesen Ausdrucke aus Heft „Internet“ (s. Anhang)

Externe Datenträger verwenden

TN geben sich gegenseitig Daten mit USB-Stick weiter, u. a. von KL erstelle Abschreibvorlage des „Tatort“

Formatvorlagen nutzen

TN drucken sich gegenseitig Geschenkgutscheine aus

Web-Cam nutzen

TN besuchen den Dortmunder Weihnachtsmarkt per Web-Cam

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Teil III Anhang – Übersicht Kursinhalte

Übersicht Kursinhalte - Förderschwerpunkt Lesen Ziele/Inhalte

Aktivitäten/Materialien

Grapheme und Laute richtig zuordnen

Lautieren statt Buchstabieren Buchstabe (Anlaut) u. Bild kombinieren: Legespiel „Das ABC“, InnovakidsGmbH, Stuttgart

Lautsynthese auf Silbenebene

Silbenteppich, Silben-Bingo (s. Anhang: Arbeitsblätter) TN legen Silben zu Wortganzen zusammen

Lautsynthese auf Ebene bekannter Wörter

Wörter auf- und abbauen: „Wer erkennt das Wort (z.B. Vornamen der TN) zuerst?“

Wort-Bild-Zuordnung

Word-Bild-Memory-Spiele zu verschiedenen Themen (s. Anhang: Arbeitsblätter)

Zusammengesetzte Wörter aufbauend erlesen

„XXL-Wörter“ (s. Anhang: Arbeitsblätter)

Lautanalyse

TN bestimmen mittels Klatschen Anzahl der Silben Wort-Bild-Zuordnung und Bestimmung der Position eines best. Lautes (s. Anhang: Arbeitsblätter)

Sinnentnehmendes Lesen kleiner Texte

Autorenportraits auf Homepage der Initiative „Ohrenkuss“ von und für Menschen mit Down-Syndrom, Ausdrucke aus dem Heft „Internet“ (s. Anhang: Linkliste), Portraits von Sportlern der Paralympics

Hörspiel hören und begleitend (vor-)lesen

Hörspiel „Mit einem blauen Auge“ über einen jungen Boxer, der funktionaler Analphabet ist. KT fragt grundsätzlich nach Bereitschaft der TN oder bittet um Ablösung, wenn sie selber vorliest.

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Teil III Anhang – Übersicht Kursinhalte

Übersicht Kursinhalte - Förderschwerpunkt Schreiben Die Aufgaben in diesem Schwerpunkt sind aufgrund der Behinderungen der TN (fast) ausschließlich am Laptop ausgeführt worden. So bestand vor allem in diesem Bereich eine produktive Verbindung des sprachlichen Förderbereichs mit der Förderung der Kompetenzen am Computer. Ziele/Inhalte

Aktivitäten/Medien

Buchstaben-/Laut- und Silbendiktat

TN schreiben die gehörten Buchstaben/Laute mit dem Laptop

Schreiben und Gestalten des eigenen Namens

TN gestalten Etiketten für die Laptoptaschen

Abschreiben von Word- und Textvorlagen

TN schreiben einen Text mit zahlreichen Formatierungen originalgetreu ab (Quellen für Textvorlagen: s. Anhang)

Beschriften von in Word erstellten Tabellen

TN fertigen eine Tabelle mit ihren Namen und Geburtstagen an TN beschriften Tabelle mit Silben („Silbenteppiche“) und spielen mit diesen Vorlagen „Bingo“ („Silbenbingo“)

Wortschatzarbeit

TN fertigen thematische Listen an, z.B. mit Computerwörtern, und versehen diese mit Aufzählungszeichen

Kreatives Schreiben

TN entwickeln aus Impulswörtern eine Geschichte (s. Anhang: Extra: „Unser Tatort“) TN importieren aus dem Internet Bilder zu einem bestimmten Wunschthema und beschriften diese, sodass ein informatives und ansprechendes Dokument entsteht

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Teil III Anhang – Arbeitsblätter

Arbeitsblätter Computerkurs Übersicht der Arbeitsblätter (Auswahl) • Unser Tatort • Unsere Gruppenregeln Quellenangaben zu entnommenen Arbeitsblättern: • www.cornelsen.de: Cornelsen Erwachsenenbildung > DaF/DaZ > Alphabetisierung > Alpha plus > Downloads: u.a. Anlauttabelle • Inge Knechtel, Mo.sa.ik Der Alphabetisierungskurs, Cornelsen Verlag, Berlin 2008, darin: u.a. XXL-Wörter, Legen und lesen, Laute verschmelzen • Bernd Jockweg, Werkstattunterricht Computer und Co., SCHUBI Lernmedien AG, Schaffhausen (CH) 2008, darin: -

• • •

„Computer als Schreibmaschine“ „Merkwürdige Wörter“ „Computerwörter“ „ Lesen, malen und schreiben“ „ Das Wetter im Internet“ „Suchen im Internet“

www.lehrerfreund.de: u.a. Übung zum Bedienen von Microsoft Word Lada Bormotov, Vecih Yasanar, Alphaplus, Aufbaukurs Deutsch als Zweitsprache, darin: Lehrbuchseite mit exemplarischem Online-Bestellformular www.graf-gutfreund.at: u.a. Wort-Bild-Memory-Vorlagen, Laute hören

Lernsoftware: • L. Dummer-Smoch, R. Hackethal, Der neue Karolus, Lernsoftware Deutsch zum Lesen- und Schreibenlernen (kompatibel zum Kieler Leseaufbau und Kieler Rechtschreibaufbau), Version 6.0., Veris • Schülerhilfe, Deutsch 6. Klasse, genehmigte Sonderausgabe für tandem.Verlag, multimedia line Linkliste: • www.ohrenkuss.de: Zeitungsprojekt von Menschen mit Down-Syndrom • www.ich-will-lernen.de: Lernportal des Deutschen Volkshochschul-Verbandes • www.alphabetisierung.de: Hörspiel „Mit einem blauen Auge“ und Themenheft „Internet“ für junge Erwachsene und Bildungsanbieter • www.lernspiel-winterfest.de: Computerlernspiel für funktionale Analphabeten, Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) • http://handitreff.jimdo.com : Homepage mit Chat und Forum für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige und Freunde sowie Menschen, die mit Behinderten arbeiten und Interessierte Literaturempfehlungen: • „Lesen-schreiben-miteinander reden“ und „Schreiben und informieren am Computer“, Handreichungen des Brandenburgischen Volkshochschulverbandes e.V. zur Umsetzung verschiedener Grundbildungsmodule: Sammlung von Unterrichtsskizzen und Arbeitsblättern, Potsdam 2008 • Leitfaden computergestützter Basisunterricht für Frauen, Hrsg.: In Bewegung. Netzwerk und Alphabetisierung in Österreich, Salzburg 2007 • Kolberg, Michael, 100 tolle Sachen, die Sie mit dem Internet machen, 2007, ISBN: 987-3827243348 • Hanke, Johann-Christian, Internet für Einsteiger, 2009, ISBN: 978-87-90785-95105

Teil III Anhang – Arbeitsblätter Unser Tatort – Konzeption Projekt innerhalb des Bildungsangebotes „Computergestützte Schreibwerkstatt für Menschen mit Mehrfachbehinderungen Bildungsbereich: Kreatives Schreiben Ziel des Projekts: Die Teilnehmer entwickeln gemeinsam eine Geschichte (Krimi), die sie mit dem Laptop verschriftlichen und gestalten. Vorgehen: Am Anfang des Schreibprozesses zogen die TN reihum Einzelwörter aus einem für Krimis gut geeigneten Wortschatz als Impulswörter. (Quelle: s. unten) Feinlernziele in der Reihenfolge der Unterrichtseinheiten: • • • •

Mündlich ein Einzelwort in einen sinnvollen und phantasievollen Satz einbetten Die Einzelsätze so ordnen und verbinden, dass ein logischer und zugleich Spannung erweckender Aufbau entsteht Kleine stilistische Veränderungen vornehmen, z.B. Wiederholungen vermeiden und abwechslungsreiche Satzanfänge wählen Sich bewusst machen, dass Geschichten unterschiedlich enden können, z.B. witzig oder lehrreich oder überraschend, sich für eine Art von Schluss entscheiden und diesen formulieren

Diese Lernziele sind implizit mit folgenden Lernzielen im Lernbereich „Umgang mit dem Computer“ verknüpft: • • • •

Die entstandenen Sätze mit dem Laptop richtig von einer Vorlage (Tafel) abschreiben Das entstehende Dokument benennen, fortlaufend speichern und immer wieder direkt aufrufen können Textstellen markieren, löschen und überschreiben oder ausschneiden und einfügen können Den fertigen Text ansprechend gestalten, indem die Teilnehmer die im Word-Programm enthaltenen Gestaltungsmöglichkeiten wie Schriftart, Importieren von Bildern und dergl. nutzen

Quelle für die Impulswörter: Spiel „THINK. TRAINING FÜR DEN KOPF. Kids. MEMO-KRIMI. Der spannende Erzählspaß für schlaue Detektive“, Ravensburger Spieleverlag

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Teil III Anhang – Arbeitsblätter Unser Tatort – Geschichte

Unser Tatort Verfasst von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Computerkurses 2, 2014, in Volmarstein Er hatte eine dicke Beule am Kopf. Ein Auto hatte ihn angefahren. Es war über einen dicken Stein gefahren. Der Autofahrer hatte eine ganze Flasche Schnaps getrunken und einen Sarg im Auto. Er trug am ganzen Körper Schmuck. In dem Sarg war kein Toter, sondern ein Goldschatz. Die Autotür hatte auch eine Beule. Das alles geschah in einem Tunnel. Ein Zeuge hatte den Unfall gesehen. Der Autofahrer springt aus dem Auto und schreit den Mann an: „Du scheiß Krüppel, was machst du überhaupt als Rollifahrer auf der Autobahn!“ „Das ist aber nicht nett, dass sie mich so anmachen, immerhin haben sie mich angefahren!“ sagte der Rollifahrer aufgeregt. „Sie können froh sein, dass mir nichts Schlimmeres passiert ist!“ Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf. Einer der Polizisten sieht eine leere Schnapsflasche auf dem Beifahrersitz liegen. Er hebt sie hoch und fragt: „Haben Sie die ausgetrunken?“ Er fragt, ob der Fahrer mit einem Alkoholtest einverstanden ist. Der andere Polizist hat unterdessen den Sarg im Auto entdeckt und will wissen: „Was ist da drin?“ Der angetrunkene Autofahrer brüllt: „Muss ich darauf antworten, natürlich ein Leichnam!“ „Das werden wir ja sehen!“, sagt der Polizist und öffnet den Sarg. „Von wegen ein Leichnam! Das ist ja reines Gold! Woher haben sie das denn?“ „Es soll auch Kunden geben, die kein Bargeld haben. Ich bin nämlich Bestatter!“ „Wollen sie mich verarschen!“, sagt der Polizist. „Da gab es doch vor Kurzem einen Einbruch in einem Schmuckladen. Das können sie nicht abstreiten. Sie sind festgenommen!“ „Scheiße, erwischt!“, sagte der Fahrer resigniert und ließ sich widerstandslos festnehmen.

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Teil III Anhang – Arbeitsblätter

Unsere Gruppenregeln Diese Gruppenregeln haben wir in unserem Gespräch am 6. September vereinbart. Lies die Regeln und ordne sie so, wie es für dich am stimmigsten ist, indem du sie von 1 bis 9 nummerierst: Die Regel, die du am wichtigsten findest, bekommt sie Nummer 1 usw. Danach schreibe alle Regeln noch einmal ab und gestalte deinen Regelkatalog ein bisschen. …

Wir arbeiten alle an derselben Aufgabe, außer bei Einzel- und Kleingruppenarbeit.



Wir tolerieren andere Meinungen.



Wir bringen zum Schutz der Laptops kein Essen und Trinken mit in den Kursraum.



Wir hören auf das, was die Kursleiter sagen.



Jeweils 2 von uns helfen am Anfang beim Verteilen und Anschließen der Laptops und am Ende beim Abbauen und Aufräumen. Diese 2 werden von Mal zu Mal bestimmt.



Wir hören uns gegenseitig zu.



Wir helfen uns gegenseitig, wo wir können.



Damit wir gemeinsam anfangen können, wollen wir alle pünktlich zum Kurs kommen.



Wir verpflichten uns, niemanden zu beleidigen und uns über niemanden lustig zu machen.

Mit meiner Unterschrift verpflichte ich mich, diese Regeln zu beachten. ___________________________ (Ort und Datum)

______________________________ (Unterschrift)

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