South. Pole. Miroslav Srnka

South Pol e Miroslav Srnka South Pole Miroslav Srnka A double opera in two parts (Doppeloper in zwei Teilen) Libretto von Tom Holloway In englische...
Author: Silke Dittmar
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South Pol e Miroslav Srnka

South Pole Miroslav Srnka

A double opera in two parts (Doppeloper in zwei Teilen) Libretto von Tom Holloway In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

„Die Sonne schien, da sie keine Wahl hatte, auf nichts Neues.“ Samuel Beckett

Premiere am 27. Mai 2017, 19.30 Uhr

Staatstheater Darmstadt, Großes Haus Erstaufführung der Neufassung Uraufführung am 31. Januar 2016, Nationaltheater München

Erläuterungen: = Ecklager, 5.11.1911

= Blufflager; 12.11.1911

von Day und Hooper, 24.11.1911 1.12.1911

= Schlachthauslager, 9.12.1911

11.12.1911

= Mittleres Gletscherdepot

Depot, 10.1.1912

= Rückkehr

= Südliches Barrierendepot,

= Rückkehr von Meares und Dimitri mit den Hunden, = Oberes Gletscherdepot, 22.12.1911

Atkinson, Wright, Cherry-Garrard, Keohane = Letztes Depot, 15.1.1912

Wilson, Bowers, März 1912

= Ein-Tonnen-Depot, 15.+ 16.11.1911

= Mittleres Barrierendepot, 26.11.1911

= Drei-Grad-Depot, 31.12.1911 = † Evans, 17.2.1912

= Rückkehr von = Anderthalb-Grad-

= † Oates, 17.3.1912

= † Scott,

1. Teil Erstes Telegramm Der Norweger Roald Amundsen teilt dem britischen Teamleiter Robert Falcon Scott mit, dass die Antarktis auch für ihn Ziel seiner Expedition sei. Damit ist der Wettlauf zum Südpol eröffnet. Ankunft Während die Norweger auf arktische Schlittenhunde gesetzt haben, haben sich die Briten für Ponys entschieden. Im Basislager spielen die Briten Ball; die Norweger planen eine Sauna. Winter Jedes der Teams legt sich vertraute Musik auf. Der Brite Oates ahnt, dass die Ponys den Strapazen der Antarktis nicht standhalten können. Amundsen treibt seine Leute voran und drängt schließlich zum vorzei­tigen Aufbruch. Sein Team zwingt ihn aber zur Rückkehr ins Basislager. Scott erscheint seine Frau Kathleen. Er wähnt sie auf einer Party, misstraut ihr. Ihn quält auch die Ungewissheit über Amundsens Vorhaben. Start Johansen lehnt sich gegen Amundsen auf. Scott und Amundsen träumen von einander, sie fragen sich, ob das gegnerische Team wohl schon aufgebrochen ist. Für Scott hat die Wissenschaft Vorrang, er ruft sein Team auf, Tagebuch zu führen. Oates ahnt, dass sie den Wettkampf verlieren werden. Ein Motorschlitten muss repariert werden. Amundsen erinnert sein Team an das Schreibverbot, nur er allein darf Tagebuch führen. Beide Teams ziehen los. Wettlauf Die Norweger fahren über einen spaltenreichen Gletscher, Amundsen beharrt darauf, keine Zeit zu verlieren. Die Ponys der Briten ertragen die extremen Bedingungen nur schwer. Beide Teams meinen, keinen Fortschritt verzeichnen zu können, sie stellen den Sinn dieser Expedition in Frage. Amundsen erscheint seine frühere Geliebte, die ‚Landlady‘. Sie erklärt, dass sie Chemikalien kaufen müsse. Das Töten Die Briten müssen ihre erschöpften Ponys erschießen. Die Norweger töten einige Hunde, die ihre Dienste erfüllt haben und lagern sie als Proviant für den Rückweg ein. Zu Hause Scott und Amundsen zeigen sich jeweils besessen von der Ungewissheit über den Anderen. Wieder treten Kathleen und Landlady als Vision in Erscheinung. Offenbar hat die Landlady mit den Chemikalien

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Selbstmord begangen, sie fordert Amundsen aber auf, sich dem Leben zu stellen. Kathleen hat genug von Scotts Eifersucht. Die Angst vor dem Scheitern und das Gefühl der Einsamkeit wachsen immerfort. 2. Teil Briefe Oates und Johansen verfassen Briefe an ihre Mütter, in denen sie von der am Südpol herrschenden Einsamkeit berichten. Amundsen ertappt Johansen dabei und zerreißt sogleich den Brief. Pol 1 Die Norweger erreichen den Südpol und stellen ihre Fahne auf. Amundsen plagen Zweifel, die er der Landlady anvertraut. Er hinterlässt Scott einen Brief, der an den norwegischen König gerichtet ist. Er ver­ anlasst eine sofortige Rückreise. Die Frauen Kathleen Scott und die Landlady tauschen sich über ihre Männer aus. Die Landlady erzählt, dass Amundsen einst bei ihr als Mieter gelebt habe. Sie teilen ihre Sorgen und Ängste um die Männer. Pol 2 Die Briten gelangen an den Südpol. Scott findet den Brief vor. Enttäuschung, den Wettlauf verloren zu haben, mischt sich in ihre Erschöpfung. Auch sie setzen ihre Fahne in den Schnee und machen sich auf den Rückweg.

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Vögel Beim Anblick der Skua-Möwen gerät Johansen in Vorfreude auf seine Rückkehr. Einer der Briten, Evans, hat eine offene Wunde und muss versorgt werden. Er bricht zusammen. Die Norweger treffen hingegen in der „Metzgerei“, ihrem Hundefleischdepot, ein. Amundsen und Bjaaland halten ein Skirennen ab. Zusammenbruch Evans ist tot. Am Depot angelangt, müssen die Briten feststellen, dass ihr Brennstoff verdunstet ist. Die Norweger hingegen haben Essen im Überfluss und sind durch den Sieg übermütig. Der von Amundsen erwartete Sturm bleibt aus, er wird von seinen Gefühlen überwältigt. Trotz Hungersnot und Erfrierungen versuchen die Briten weiter­­ zuziehen. Wilson verteilt Morphium. Der geschwächte Oates geht hinaus in den Kältetod. Abschiede Die Norweger erreichen ihr Basislager. Amundsen verkündet, dass er Johansens Beteiligung an der Expedition aus seinem Tagebuch tilgen wird. Sie brechen auf nach Norwegen. Die drei noch lebenden Briten suchen im Zelt Schutz vor dem Sturm. Bowers erfriert. Scott denkt, versagt zu haben. Seinetwegen mussten so viele Männer ihr Leben lassen. Wilson stirbt. Kathleen erscheint noch ein letztes Mal, bevor auch Scott erfriert. Letztes Telegramm Amundsen erreicht eine Nachricht vom Tod Scotts. Er widmet ihm den Pol.

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1. Dezember 1910 Unter Back sind Stände für 15 meiner mandschurischen Ponys, das äußerste, was der Raum fassen konnte. Sieben auf der einen Seite, acht auf der anderen, die Köpfe einander zugewandt. Durch ein Loch im Schott sieht man die Reihe der Pferdeköpfe mit traurigen, geduldigen Augen emporschaukeln, jetzt die von der Steuerbordseite, dann auf der Backbordseite und dazwischen Anton, den Wärter, mit der Bewegung des Schiffes einträchtig hin und her schwanken. Die wochenlange Fahrt wird eine schlimme Probe für die armen Tiere sein und sie sehr herunterbringen. Der übrige Raum ist mit 5000 Kilo Futter dicht vollgepackt. […] Unmittelbar hinter dem Schott ist die kleine Achterluke, bei schlechtem Wetter der einzige Zugang zur Mannschaftsmesse. Dann kommt der Fock­ mast und zischen ihm und der Vorluke der Kombüse und der Kran. Hinter der Vorluke ist das Eishaus, das drei Tonnen Eis, 162 geschlachtete Hammel und drei Rinder nebst einigen Büchsen Kalbsmilch und Nieren enthält. […] Gerade hinter dem Eishaus, zu den beiden Seiten der Großluke stehen zwei ungeheure Packkisten, jede mehr als neun Kubikmeter; sie enthalten zwei Motorschlitten. Der dritte ruht quer über der Hinterdecköffnung. […] Um diese Packkisten herum, von der Kombüse nach bis an das Steuerbord, steht das Deck voll aufgestapelter Kohlensäcke, die aber bald verschwinden werden, denn die Terra Nova frisst entsetzlich viele Kohlen: wie mir gestern gemeldet wurde, acht Tonnen am Tag! Wir verließen Port Chalmers mit 462 Tonnen Kohlen, mehr als ich gehofft hatte.

Eine überaus reichhaltige Bücherei war auch an Bord. Große Mengen Bücher strömten uns von gütigen Gebern zu. Meiner Schätzung nach sind auf der Fram jetzt mindestens 3000 Bände. Zur Unterhaltung hatten wir überdies eine Menge verschiedener Spiele, von denen besonders eines im Süden in den freien Abendstunden unsere liebste Unterhaltung war. Kartenspiele hatten wir zu Dutzenden und viele davon sind schon tüchtig verbraucht. Der Phonograph mit seinen vielen Rollen war wohl unser bester Freund. An Musikinstrumenten hatten wir Klavier, Geige, Flöte, Mandoline, Mundharmonika, eine Spieldose nicht zu vergessen. Mit Noten hatten uns alle Musikalienhändler reichlich versehen, wir konnten also die Musik pflegen, so viel wir Lust hatten. Weihnachtsgeschenke strömten uns auch in Mengen zu, wir werden wohl ungefähr 500 an Bord gehabt haben. Christbäume, Christbaumschmuck und viele Weihnachtsscherze wurden von Freunden und Bekannten mitgegeben und ich kann den freundlichen Gebern versichern, dass alle ihre Geschenke mit der Zeit sehr geschätzt wurden und es noch werden. Auch mit Weinen und Spirituosen waren wir, dank der großen Weinlager in Christiania, wohl versehen. Ich persönlich halte den Alkohol, mit Maß genossen, in den Polargegenden geradezu für eine Arznei; damit meine ich natürlich, solange man sich im Winterlager aufhält. Ganz anders ist es auf den Schlittenreisen. Da muss der Alkohol verbannt werden, das wissen wir aus eigener Erfahrung.

15. Januar 1911 Als wir den Gletscher erstiegen hatten, sahen wir ein wenig rechts das alte, vom „Nimrod“ auf Shakletons Expedition im Jahre 1908 angelegte Depot. […] Nun fahren wir einen bequemen Abhang hinunter, sahen uns aber durch eine fünf Meter breite Spalte abgeschnitten, mussten also den Gletscher wieder hinauf und ein paar hundert Meter nach links gehen. Auch hier trafen wir auf eine Spalte, konnten aber ihrem Rand entlang ziehen und hatten von da ab eine glatte Fahrt ohne Hindernisse bis zur Hüttenspitze. Erst vor ihr zeigten sich Tümpel offenen Was­sers und eine langgezogene Spalte, bei deren Überschreitung ich mir sehr

Wir hatten mit der Fram in fünf Monaten 30 000 km zurückgelegt. Von Madeira aus waren wir 127 Tage lang auf offener See gewesen. Nun war der erste Teil unserer Reise vollendet. Am 14. Januar – einen Tag früher als berechnet – waren wir also bis zu der großen geheimnisvollen Natur­ erscheinung, der Eisplatte, vorgedrungen. Eine der schwierigsten Aufgaben unserer Reise war dadurch gelöst, nämlich unsere Zugtiere frisch und gesund aufs Arbeitsfeld zu bringen. In Christiansand hatten wir 97 Hunde an Bord; jetzt hatte sich ihre Zahl auf 116 vermehrt und annähernd alle konnten zu dem endgültigen Marsch nach Süden verwendet werden.

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nasse Füße holte. Allenthalben an den Spalten entlang, lagen Hunderte von Robben. […] Meine alte, im Februar 1902 erbaute Hütte fanden wir zu unserm Verdruss mit Schnee gefüllt. Shackleton erzählt, die Tür sei vom Wind gesprengt und er habe sich durch das Fenster einen Eingang verschafft; außer ihm haben andere Mitglieder seiner Gesellschaft sie als Obdach benutzt. Aber sie haben, als sie fortgingen, das zerbrochene Fenster offengelassen und infolgedessen war fast die ganze Hütte mit eishartem Schnee gefüllt. An einen Unterschlupf war nicht zu denken! Meares und ich konnten nur eben ein paar Schritt weit über den Schnee klettern und den Kistenstapel in der Mitte untersuchen, wobei wir etwas von der Astbestbekleidung der alten magnetischen Hütte an uns nahmen; dann mussten wir sehen, wie wir uns einen geschützten Winkel zum Kochen unseres Kakaos zurechtmachen konnten. 8. Oktober 1911 Ein Nachmittag voller Plagerei. Gegen 5 meldete das Telefon aus Nelsons Iglu, dass Clissold von einem Eisberg gefallen sei und sich den Rücken verletzt habe! Bowers hatte in drei Minuten den Schlitten bereit und glücklicherweise war Atkinson gerade da. Ich fuhr den Landweg hinaus und fand Clissold tatsächlich ohne Bewusstsein und Ponting höchst betrübt bei ihm. In diesem Augenblick näherten sich die Hütten­ spitzenponys; der Patient wurde in einen Schlafsack gesteckt und heimgefahren. Wahrscheinlich hat Clissold Ponting „Modell“ gestanden und beide sind auf dem Berge herumgeklettert. Clissold scheint bei einer seiner „Posen“ nicht festen Fuß hat fassen können; er ist erst vier Meter weit über eine gewölbte Eisfläche gerollt und dann zwei Meter tief auf einen scharfen Vorsprung in der Eiswand abgestürzt. Er muss mit dem Rücken und den Kopf aufgeschlagen sein – offenbar eine leichte Gehirnerschüt­ terung. Eine Stunde später kam er wieder zu sich und litt an großen Schmerzen; weder Atkinson noch Wilson halten es für etwas Ernstes, aber er ist noch nicht gründlich untersucht und hat auf jeden Fall einen argen Nervenschock erlitten. Ich bin sehr besorgt. Atkinson hat ihm eine Morphiumspritze gegeben und will bei dem Kranken wachen. Ein Unglück kommt selten allein. Als wir abends bei Tisch saßen, erschien

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Die nächste Aufgabe war nun, auf der Eisplatte einen günstigen Platz für unsere Ansiedelung zu finden. Mein Gedanke war, alles – die Ausrüstung und die Lebensmittel – so weit auf der Eisplatte landeinwärts zu schaffen, dass wir nicht uns zu sorgen brauchten, in den Stillen Ozean hinausgetrieben zu werden, falls einem Stück der Eisplatte einfiele, aufzugehen oder sich plötzlich loszulösen. Einen Abstand von etwa 18 km hatte ich als hinreichende Entfernung von dem Rand der Eisplatte angenommen. Am 17. Januar begannen die Zimmerleute, den Bauplatz auszugraben. Wegen der so oft besprochenen antarktischen Stürme wollten wir alle Vorsichtsmaßregeln, die überhaupt getroffen werden konnten, beobachten, damit das Haus die richtige Lage bekäme. Die Zimmerleute gruben deshalb den Bauplatz 1,20 m tief in die Eisplatte hinein. Das war keine leichte Arbeit, 1 m unter der Oberfläche standen sie auf dem blanken harten Eis und mussten von da noch tiefer hineinhauen. An diesem Abend begegnete uns etwas höchst Komisches. Wir wollten eben schlafen gehen, als wir plötzlich Pinguingeschrei vor unserem Zelt hörten. Natürlich liefen wir alle in Eile hinaus. Da – wenige Meter von unserer Türe entfernt – saß ein großer Kaiserpinguin und verbeugte sich einmal ums andere. Er machte durchaus den Eindruck, als sei er nur gekommen, uns zu begrüßen und es tat uns wirklich leid, dass wir ihm die Aufmerksamkeit so schlecht vergelten mussten; aber die Welt lohnt nun einmal nicht anders; der sich so übermäßig höflich Verbeugende endete seine Tage in der Bratpfanne. Endlich am 20. Oktober konnten wir aufbrechen. Das Wetter war in den letzten Tagen nicht sehr zuverlässig, bald windig, bald still, bald regnerisch, bald hell und klar, kurzum richtiges Aprilwetter. […] Wir waren fünf Mann, Hanssen, Wisting, Hassel, Bjaaland und ich mit vier Schlitten und je 13 Hunden. Bei der Abreise waren unsere Schlitten sehr leicht; es war ja nichts auf ihnen als unsere Ausrüstung, da ja alle Kisten auf 80° wohl­ gepackt für uns bereitstanden. So konnten wir uns selbst auf die Schlitten setzen und flott die Peitsche schwingen. […]

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Die Briten auf dem Fußmarsch mit Ponys, nun ohne Motorschlitten.

Scott mit Bowers, Evans, Oates und Wilson am Südpol, 17.01.1912.

Amundsen rüstet seinen Schlitten 11auf.

Amundsen mit Bjaaland, Hanssen, Hassel und Wisting am Südpol, 14.12.1911.

plötzlich Wright ganz erhitzt mit der Nachricht, Taylor sei völlig erschöpft in der Südbucht liegengeblieben – er müsse Cognac und etwas Heißes zu trinken haben. Ich schickte sofort eine Mannschaft hinaus, aber als sie eben um die Landspitze bog, kam der Verunglückte zu Lande daher. Er war halb tot. Offenbar ist er noch wie toll auf sein Ziel losgestürmt, als ihm die Vernunft längst sagen musste, dass es Zeit zur Umkehr sei. 17. Oktober 1911 Es geht nicht alles, wie es soll! Mit den Ponys bin ich zwar zufrieden. Aber heute Abend sollten die Motorschlitten auf das Eis gebracht werden. Die Schneewehen machen die Bahn dorthin sehr uneben und der erste Motor, unser bester, überfuhr seine Kette; sie wurde wieder in Ordnung gebracht und das Ding fuhr weiter, aber gerade dicht vor dem Eis musste es einen Abhang hinunter und wieder überfuhr die Kette die Radstifte, dabei irrte sich Day unglücklicherweise und drückte, ohne es zu wollen, das Ventil ganz nieder. Die Maschine stand still, aber unter der hinteren Achse zeigte sich ein unheilverkündendes Ölgetröpfel: Das Achsen­gehäuse aus Aluminium war zerbrochen! Es wurde abgenommen und in die Hütte gebracht; vielleicht können wir es noch zurechtflicken, aber die Zeit drängt. Wir brauchen mehr Erfahrung und mehr Werkstätten. Ich bin im stillen überzeugt, dass die Motoren uns nicht viel nützen werden, aber ich muss doch zugeben, dass ihnen bisher nichts zugestoßen ist, was vermeidlich gewesen wäre. Bei etwas mehr Sorgfalt und Vorsicht würden sie großartige Bundesgenossen werden; versagen sie, so wird das natürlich niemand glauben wollen. Zu ärgerlich! 9. Dezember 1911 Abends um 8 Uhr waren die Ponys alle miteinander völlig fertig; mühsam schlichen sie noch einige hundert Meter vorwärts. Um diese Zeit befand ich mich an der Spitze des Zuges; ich schleppte einen lächerlich leicht beladenen Schlitten hinter mir her und fand dennoch das Ziehen nur allzu schwer. Wir schlugen deshalb das Lager auf, das „Schlachthauslager“, wie wir es nennen, denn wir haben alle Ponys erschossen! Die armen Tiere! Bedenkt man, was sie alles haben aushalten müssen, so haben sie Wunderbares geleistet und es wurde uns herzlich schwer,

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Wir waren eben eine kleine Anhöhe hinaufgefahren, als es plötzlich auf der anderen Seite ebenso steil eine Senkung von ungefähr 20 m abwärts ging. Ich saß mit dem Rücken nach vorne, betrachtete die zurückgelegte Strecke und freute mich über die flotte Schlittenfahrt. Plötzlich fällt der Boden neben dem Schlitten steil ab und zeigt einen gähnenden schwarzen Schlund, groß genug, um uns alle zu verschlingen. Ein paar Zoll weiter nach der einen Seite und um die Polfahrt wäre es geschehen gewesen. An dem hügeligen Gelände, das voller Kuppen war, merkten wir wohl, dass wir zu weit ostwärts gelandet waren und hielten daher mehr nach Westen. Sobald wir wieder auf sicherem Grund waren, schnallte ich mir die Skier an, band mir ein Seil um und ließ mich ziehen. Auf diese Weise wurde das Gewicht mehr verteilt. Nun hatten wir bald 37 km zurückgelegt; und sehr befriedigt von unserem ersten Tag, schlugen wir nach der langen Fahrt vergnügt das Lager auf. Meine Annahme, dass alles rascher vonstatten ginge und auch viel weniger anstrengend wäre, wenn wir nur ein einziges Zelt zu versorgen hätten, erwies sich sofort als richtig. Sooft wir anhielten, um eine Warte zu errichten, gewannen die Hunde eine Ruhepause, die ihnen höchst notwendig war, wenn sie aushalten sollten. Die erste Ware wurde auf 80° 23’ s. Br. errichtet. Im Anfang begnügten wir uns, alle 13 bis 15 km eine zu errichten. Am 30. Oktober erschossen wir den ersten Hund. Es war Hanssens Bauer, der fallen musste. Er war zu alt, um noch mitzukommen, schleppte sich nur noch mit und hinderte die anderen. Er wurde in der Warte nie­ dergelegt und war uns – oder wenigstens den Hunden – später ein großer Genuss. An demselben Tag erreichten wir den zweiten wichtigen Punkt – das Vorratslager auf 81° s. Br. Die Kistenbretter, mit denen das Lager nach rechts und links bezeichnet war, sahen wir schon aus weiter Ferne. In der Nähe des Lagers mussten wir über zwei ganz ansehnliche Spalten hin­ über, Sie waren allem Anschein nach ausgefüllt und verursachten uns auch keine Schwierigkeiten.

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sie so bald töten zu müssen. Die Hunde laufen gut trotz des schlechten Weges, aber die Hilfe, die wir brauchen, sind sie nicht; ich kann ihnen auf solchem Schnee keine schweren Lasten aufbürden. 16. Januar 1912 Das Furchtbare ist eingetreten – das Schlimmste, was uns widerfahren konnte! – […] Eine weitere halbe Stunde verging, da erblickte Bowers vor uns einen schwarzen Fleck! Ein natürliches Schnee­ gebilde war das nicht – konnte es nicht sein – das sahen wir nur zu bald! Geradewegs marschierten wir darauf los und was fanden wir? Eine schwarze, an einem Schlittenständer befestigte Fahne! In der Nähe ein verlassener Lagerplatz – Schlittengleise und Schneeschuhspuren kommend und gehend – und die deutlich erkennbaren Eindrücke von Hundepfoten – vieler Hundepfoten – das sagte alles! Die Norweger sind uns zuvorgekommen – Amundsen ist der erste am Pol! Eine furchtbare Enttäuschung! Aber nichts tut mir dabei so weh als der Anblick meiner armen, treuen Gefährten. All die Mühsal, all die Entbehrung, all die Qual – wofür? Für nichts als Träume. Morgen müssen wir zum Pol – und dann mit der äußersten Schnelligkeit, die wir unseren Kräften abpressen können, zurück! Alle Gedanken, die in uns aufstiegen, alle Worte, die fielen, alles endete mit dem einen furchtbaren: Zu spät! Und als es dann stille wird im Zelt – da brüteten wir gewiss alle über der einen finsteren Vorstellung: Mir graut vor dem Rückweg! 16. oder 17. März 1912 Die Tragödie ist in vollem Gange. Vorgestern erklärte der arme Titus (Oates) beim zweiten Frühstück, er könne nicht mehr weiter und machte uns den Vorschlag, ihn in seinem Schlafsack zurück­ zulassen. Davon konnte natürlich keine Rede sein und wir bewogen ihn, uns noch auf dem Nachmittagsmarsch zu begleiten. Es muss eine entsetz­liche Qual für ihn gewesen sein! Trotzdem taumelte er mit und wir schleppten uns noch einige Kilometer weiter. In der Nacht wurde es mit ihm schlechter und wir sahen, dass es zu Ende ging. Sollte dieses Tagebuch gefunden werden, so bitte ich um die Bekanntgaben folgender Tatsachen: Oates’

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Unter Scherzen und Lachen wurde alles zusammen gepackt und dann ging’s hinaus in den Sturm. Es war nahezu unmöglich, die Augen offenzuhalten. Der feine Schneestaub drängte sich überall hinein, ja zuweilen hatte man das Gefühl, blind zu sein. Das Zelt war gänzlich vereist und verschneit und musste beim Abschlagen mit der größten Vorsicht behandelt werden, damit es nicht in Stücke brach. Die Hunde waren nicht sehr geneigt, sich auf den Weg zu machen und es brauchte Zeit bis sie angeschirrt waren. 14 Hundeleiber, die noch übriggeblieben waren, hatten wir auf einen Haufen getürmt und Hassels Schlitten war als Merkzeichen darauf gestellt. Die übrigen Hundeleinen, einige Gletscherseile, alle unsere Steigeisen, die wir nun nicht mehr nötig zu haben glaubten, wurden hier zurückgelassen. Wir hatten ohnedem noch schwer genug zu ziehen. Zu aller­ letzt wurde noch ein abgebrochener Ski neben der Niederlage aufgepflanzt, das tat Wisting, der wohl der Ansicht war, ein Merkzeichen mehr könne auf keinen Fall schaden; und es war eine weise Vorsichtsmaßregel, wie sich später zeigen sollte. Da wurde ich plötzlich durch einen Jubelschrei, dem donnernde Hurrarufe folgten, aus meinen Träumereien gerissen. Ich wendete mich rasch den anderen zu, um den Grund dieser ungewöhnlichen Äußerungen zu entdecken und blieb wie angewurzelt sprachlos und überwältigt stehen. Alle Schlitten standen still und an dem vordersten wehte die norwegische Flagge. Sie entfaltete sich, flatterte und wehte, dass der Seidenstoff knisterte. 88° 23’ s. Br. waren überschritten wir standen weiter südwärts als je ein Mensch gewesen war. Kein einziger Augenblick auf der ganzen Fahrt hat mich so ergriffen wie dieser. Die Tränen traten mir in die Augen, ich konnte sie trotz Aufbietung aller meiner Kräfte nicht zurückhalten. Die Fahne flatterte dort und war stärker als ich und meine Willenskraft. Zum Glück war ich den anderen etwas vorausgekommen, so dass ich Zeit hatte, mich zu fassen und Herr über meine Bewegung zu werden, ehe ich sie erreichte. Gegenseitige Glückwünsche und warme Händedrücke wurden zwischen allen gewechselt; nun waren wir in treuem Zusammenhalt so weit gekommen, nun würden wir auch noch weiter – ganz hingelangen.

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letzte Gedanken galten seiner Mutter; unmittelbar vorher sprach er stolz davon, dass sein Regiment sich über den Mut freuen werde, mit dem er dem Tod entgegengehe. Wir drei können seine Tapferkeit bezeugen. Wochenlang hat er unaussprechliche Schmerzen klaglos ertragen und war tätig und hilfsbereit bis zum letzten Augenblick. Bis zum Schluss hat er die Hoffnung nicht aufgegeben – nicht aufgeben wollen. Er war eine tapfere Seele und dies war sein Ende: Er schlief die vorletzte Nacht; aber er erwachte doch am Morgen – gestern! Draußen tobte ein Orkan. „Ich will einmal hinausgehen“, sagte er, „und bleibe vielleicht eine Weile draußen“. Dann ging er in den Orkan hinaus – und wir haben ihn nicht wieder gesehen. Ich möchte hier aussprechen, dass wir unsern beiden erkrankten Kameraden bis an ihr Ende treu beigestanden haben. Als Edgar Evans todkrank war, wir absolut nichts mehr zu essen hatten und er ohne Bewusstsein da lag, schien die Sicherheit der andern sein Zurücklassen zu erfordern; aber die Vorsehung hat ihn gnädig gerade in jenem kritischen Augenblick hin­ gerafft. Er starb eines natürlichen Todes, und wir verließen ihn erst zwei Stunden, nachdem er gestorben war. 23. März 1912 Der Orkan wütet immerfort – Wilson und Bowers konnten sich nicht hinauswagen – morgen ist die letzte Möglichkeit – kein Brennstoff mehr und nur noch auf einen, höchstens zwei Tage Nahrung – das Ende ist nahe. Wir haben beschlossen, eines natürlichen Todes zu sterben – wir wollen mit unsern Sachen oder auch ohne sie zum Depot marschieren und auf unserer Spur zusammenbrechen.

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Nun rückten wir mit jedem Schritt, den wir in südlicher Richtung machten, dem Ziel näher. Wir konnten mit ziemlicher Sicherheit feststellen, dass wir am Morgen oder Nachmittag des 15. Dezember dort sein würden. Das war allen so natürlich, dass sich unsere Gespräche meistens um diesen Zeitpunkt drehten. Keiner von uns wollte zugeben, dass wir nervös seien, aber ich glaube doch, dass jeder in seinem Innern ein ganz klein wenig aufgeregt war. Was würden wir am Pol zu sehen bekommen? Eine endlose große Ebene oder, die kein menschliches Auge je geschaut, kein menschlicher Fuß je betreten hatte?

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Außer diesem Brief an den König legte ich noch einen kurzen Brief an Scott bei, der, wie ich annahm, der erste sein würde, der das Zelt fände. An Gegenständen hinterließen wir dort einen Sextanten mit Glashorizont, ein Hypsometerfutteral, drei Fußsäcke aus Rentierfell, einige Kamiken und Fausthandschuhe. Als dies alles ins Zelt hineingelegt war, ging einer nach dem anderen noch einmal hinein, um seinen Namen auf ein Schild zu schreiben, das an der Zeltstange befestigt war. Bei einer Gelegenheit empfingen wir auch schon die Glückwünsche unserer zurückgebliebenen Gefährten zur vollendeten Fahrt, denn auf ein paar gelben Leinwandlappen, die unter Pardunen ans Zelt genäht waren, stand: „Viel Glück auf die Reise und willkommen auf 90°!“

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Wochenlang hatten die Gefährten in der Hütte gewartet. Zuerst vertrauens­ voll, dann leise besorgt, mit steigender Unruhe schließlich. Zwei Mal waren Expeditionen zur Hilfe entgegengesandt worden, doch das Wetter peitschte sie zurück. Den ganzen langen Winter verweilen die Führer­ losen zwecklos in der Hütte, der Schatten der Katastrophe fällt schwarz in ihr Herz. In diesen Monaten ist das Schicksal und die Tat Kapitän Robert Scotts in Schnee und Schweigen verschlossen. Das Eis hält sie im gläsernen Sarg versiegelt; erst am 29. Oktober, im Polarfrühling, bricht eine Expe­ dition auf, um wenigstens die Leichen der Helden und ihre Botschaft zu finden. Und am 12. November erreichen sie das Zelt; sie finden die Leichen der Helden erfroren in den Schlafsäcken, Scott, der noch im Tode Wilson brüderlich umschlingt, sie finden die Briefe, die Dokumente und schichten den tragischen Helden ein Grab. Ein schlichtes schwarzes Kreuz über einem Schneehügel ragt nun einsam in die weiße Welt, die unter sich das Zeugnis jener heroischen Leistung der Menschheit für immer verbirgt. Aber nein! Eine Auferstehung geschieht ihren Taten, unerwartet und wunderbar: herrliches Wunder unserer neuzeitlichen technischen Welt! Die Freunde bringen die Platten und Filme nach Hause, im chemischen Bad befreien sie die Bilder, noch einmal sieht man Scott und seine Gefährten auf seiner Wanderschaft und die Landschaft des Pols, die außer ihn nur jener andere, Amundsen, gesehen. Auf elektrischem Draht springt die Bot­­schaft seiner Worte und Briefe in die aufstaunende Welt. […] Denn nur Ehrgeiz entzündet sich am Zufall des Erfolges und leichten Gelingens, nichts aber erhebt dermaßen herrlich das Herz als der Untergang eines Menschen im Kampf gegen die unbesiegbare Übermacht des Geschickes, diese all-­ zeit großartigste aller Tragödien, die manchmal ein Dichter und tausendmal das Leben gestaltet. Stefan Zweig aus: „Sternstunden der Menscheit“

Michael Pegher

Gunnar Frietsch, Jonathan Beyer, David Pichlmaier, John Carpenter, Tomas Möwes

Andreas Karasiak, David Zimmer, Erik Biegel, Minseok Kim, Michael Pegher

Zusammen allein

Dirigent Johannes Harneit im Gespräch mit Dramaturgin Catharina von Bülow Catharina von Bülow (CvB): South Pole ist als Doppeloper betitelt.

Wie ist diese angelegt?

Johannes Harneit (JH): Das ist tatsächlich eine neue Form der Oper,

KS Katrin Gerstenberger

denn meistens sind beide Teams, die Briten und die Norweger, gleichzeitig anwesend. Was Miroslav Srnka hier komponiert, sind wechselnde akustische Kameraperspektiven, die uns durch den Einsatz des Orchesters eine musikalische Nahaufnahme der Teams ermöglicht. Wenn das Orchester extrem leise spielt, können sich die Sänger in normaler Lautstärke unterhalten und man darf ihnen dabei zuhören. Das sind die Großaufnahmen, in denen er dann in die Teams hineinzoomt.

CvB: Wie sind die beiden Teams parallelisiert? JH: Meiner eigenen Ansicht nach funktioniert das Stück wie eine Art

Reim. In Goethes „Faust II“ zum Beispiel ist es faszinierend, wie der Reim Gedanken zusammen zu führen vermag. Bei Srnka könnte man sagen, dass die Teams wie die beiden Endsilben eines Reimes verwandt sind: Während die Briten Ball spielen, bauen sich die Norweger eine Sauna. Diese Szenen werden einander gegenüber gestellt, ähneln sich aber nur scheinbar, tatsächlich unterscheiden sie sich aber sehr stark. An dieser Stelle be­ komme ich Lust, die Expeditionen miteinander zu vergleichen. Ganz allmählich kristallisiert sich heraus, dass gerade das Team der Norweger natürlich mit den Temperaturen viel vertrauter war und die richtigen Grund­ entscheidungen traf – obwohl auch sie zu Beginn einige Fehler machten – während die Engländer, und das ist besonders spannend für unsere Zivilisation, als das eigentlich modernere Volk auftreten.

Aki Hashimoto

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CvB: Wie ist die Oper kompositorisch aufgebaut? JH: Srnka nutzt das Prinzip der Doppeloper, um zwei Teams ineinander

zu flechten wie bei einem Duett. Man kann ein Duett komponieren, in dem beide gleichzeitig oder dialogisch singen. Nun gibt es noch weitere Kombinationen, wenn das Orchester dazu kommt. Ähnlich wie im „Faust“, wo es auch viele Halb- und Falschreime gibt, haben dies auch bei „South Pole“ Srnka und Holloway genutzt, um auch in scheinbar gereimte Situationen zu erzeugen. Im Grunde läuft es aber immer mehr aus­einander, die Parallelen entfernen sich. Dadurch erhalten wir eine Dop­pelperspektive auf die Expeditionsunternehmung, die eine absolute Sinnlosigkeit enthält, sich an einen durch Messungen definierten Punkt zu begeben. In diesem Sinne zeigt sich eine Auseinandersetzung über die Flagge, die die Norweger dort hingesetzt haben. Wiederum die Briten, die zweiten, hatten klarzu­ stellen, dass die ersten schon da waren. Darin steckt wohl eine sportliche Ehre, eine Konkurrenz und zugleich der Versuch, die Natur zu beherrschen. Musikalisch haben Srnka und Holloway hierfür das Reimprinzip überdehnt und die Teams nun nacheinander auftreten lassen. Erst all­ mählich fokussiert sich die Szene, wieder auf beide gerichtet, wie sie auf dem Rückweg den Gefahren eines Sturmes ausgesetzt sind. In der Not und Entbehrung haben sie sich nun einander wieder angenähert. Das ist ähnlich neu wie die Simultanszenen in Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“, in denen die Szenen in einander geschnitten sind. Diese Art von Komplexität fordert nun wieder szenische Komplexität. In der Doppeloper werden die Figuren unterschiedlich hervorgehoben: Mal hat einer eine Soloarie, dann streiten sich zwei, während ein dritter zu schlichten versucht. All diese inneren Vorgänge werden immer weiter aufgedeckt.

CvB: Inwiefern steht das Werk noch in kompositorischen Traditions-

techniken und was ist das Innovative daran?

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JH: Das Stück steht in zwei sich widersprechenden Traditionen und das

macht es so besonders spannend. Einerseits steht das Stück in einer harmonischen Tradition. Die Töne, die erklingen, sind also nicht zufällig, und nicht chromatisch, sondern diatonisch angelegt. (Für alle NichtMusiker: vergleichbar mit einer Tonleiter auf den weißen Tasten des Klaviers) Nur schickt Srnka diese Diatonik durch den Quintenzirkel hindurch, so dass sie auf alle möglichen chromatischen Stufen erklingt. Aber die Musik selber ist eigentlich eine leuchtende, nahezu archaische, auf die Expeditionszeit zurückweisende Musik. Das ist der retrospektive Aspekt. Gleichzeitig gibt es einen Avantgardistischen, der dem scheinbar widerspricht: Für die rhythmische Ausführung hat der Komponist sich Zeichen überlegt, die den einzelnen Ton zu einem unvorhersehbaren Ereignis machen: Srnka kommt aus dem Nichts, erreicht kurz eine Präsenz und geht wieder zurück in das Nichts. Er spricht auch vom Orchester als einer Naturkraft. Vergleichbar ist dies mit dem späten John Cage, mit seinen sogenannten „Number Pieces“, in denen es „time brackets“ gibt, also Zeitklammern, in denen ein Musiker innerhalb einer Minute die freie Wahl hat, wann er seinen Ton spielen würde. Die einer anderen Orchestermitglieder wissen also nicht, wann dieser Ton kommt. Dadurch bleibt man auf sich gestellt und dennoch in der selben Umgebung – man ist zusammen allein. Das verknüpft Srnka hier in einer sehr geschickten Notation mit strengerem Spiel. Orchester und Dirigent müssen also üben, eine saubere Harmonik herzu­ stellen, ohne genau zu wissen, wie lange diese Säule hält, weil einzelne sich bereits abgelöst haben und andere noch gar nicht da sind. Dies sind sehr schöne Spannungs­verhältnisse, in denen das Werk sich kompositorisch bewegt.

CvB: Welche Effekte stellt Miroslav Srnka in dieser Atmosphäre her? JH: Einige Effekte sind instrumental erzeugt, wie Kälte oder Wahnvorstel-

lungen von Insekten, die einen plötzlich stören, erzeugt durch die Streicher. Es gibt zum Beispiel ein Möwenschrei-Glissando, ausgeführt durch die

I N TE R V i e w

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Minseok Kim, David Zimmer, Michael Pegher, Andreas Karasiak

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Celli. Schneestürme sind auch komponiert. Auch hier arbeitet er wieder sehr stark mit der Rhythmik. Ähnlich wie sein Landsmann Janáček, der beispielsweise in „Jenufa“ die Windmühlen durch das Xylophon erzeugt – eine unablässige treibende Energie. Dies überträgt Srnka auf das gesamte Orchester. Er belebt die Bühne, die Teams laufen und laufen durch den Schnee, kommen aber nirgends an – so scheinen sie doch im Stillstand. Solche Phänomene sind sehr häufig komponiert, indem er dem Orchester unglaublich virtuose Passagen abverlangt. Es gibt unspielbare Stellen, die doch sehr präzise umgesetzt werden müssen. Dies ergibt nun Nebeloder Sturmeffekte, die sehr deskriptiv die Szene bebildern. Wenn die Ponys erschossen werden, hört man wie die Seiten der Kontrabässe aufs Griffbrett knallen, die Schüsse kommen also von den Streichern, nicht vom Schlagwerk. Der Komponist denkt das Orchester nicht als einen TuttiApparat, sondern behandelt jedes einzelne Instrument solistisch.

Jonathan Beyer, David Pichlmaier

Und Herr Fogg schloss in aller Seelenruhe die Türe. So hatte also Phileas Fogg seine Wette gewonnen, denn er hatte die Reise um die Erde in achtzig Tagen gemacht! Zu diesem Zweck hatte er alle Arten von Transport­ mitteln gebraucht, Packetboote, Eisenbahnen, Wagen, Yachte, Handelsfahrzeuge, Schlitten, Elefanten. Der exzentrische Gentleman hatte dabei seine Kaltblütigkeit und Pünktlichkeit in erstaunlichem Grade aufge­ boten. Dann aber, was hatte er dabei gewonnen? Was hatte ihm die Reise ein­getragen? Nichts, sagt man wohl? Nichts, ich gebe es zu, außer eine liebenswürdige, reizvolle Frau, die – so unwahrscheinlich dies vorkommen mag – ihn zum glücklichsten Menschen machte! Wahrlich, würde man nicht die Reise um die Erde auch um ein geringeres Ziel vornehmen? Jules Verne aus: „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“

Michael Pegher, David Zimmer, Minseok Kim

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Miroslav Srnka South Pole – Darmstädter Originalbesetzung von 2017 Musikalische Leitung Johannes Harneit Inszenierung Karsten Wiegand Co-Regie Dirk Schmeding Bühne und Kostüme Bärbl Hohmann und Karsten Wiegand Video Roman Kuskowski Licht Nico Göckel Mit: Robert Falcon Scott Michael Pegher Kathleen Scott KS Katrin Gerstenberger Lawrence Oates Andreas Karasiak Edward ‚Uncle Bill‘ Wilson Erik Biegel Edgar Evans Minseok Kim Henry ‚Birdie‘ Bowers David Zimmer Roald

Amundsen David Pichlmaier Landlady Aki Hashimoto Hjalmar Johansen

Jonathan Beyer Oscar Wisting John Carpenter Helmer Hanssen Gunnar Frietsch Olav Bjaaland Tomas Möwes | Das Staatsorchester Darmstadt Text- und Bildnachweise

Robert F. Scott: Tragödie am Südpol. Scotts Tagebücher 1910–1912, München 2001 | Roald Amundsen: Wettlauf zum Südpol. Die norwegische Expedition 1910–1912, München 2001 | Stefan Zweig: Sternstunden der Menschheit, Frankfurt a. M. 1983 | Das Interview mit Johannes Harneit entstand für dieses Programmheft | Jules Verne: Reise um die Erde in 80 Tagen, Hamburg 2013 | Dylan Thomas: Collected Poems 1934–1953, London 2000 | | Originalfotos Robert F. Scott: Tragödie am Südpol. Scotts Tagebücher 1910–1912, München 2001 | Roald Amundsen: Wettlauf zum Südpol. Die norwegische Expedition 1910–1912, München 2001 | | Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden um Nachricht gebeten.

Impressum

Spielzeit 2016 |17, Programmheft Nr. 36 | Herausgeber: Staatstheater Darmstadt Georg-Büchner-Platz 1, 64283 Darmstadt, Telefon 06151 . 2811-1 www.staatstheater-darmstadt.de | Intendant: Karsten Wiegand Geschäftsführender Direktor: Jürgen Pelz

Do not go gentle into that good night Do not go gentle into that good night, Old age should burn and rave at close of day; Rage, rage against the dying of the light. Though wise men at their end know dark is right, Because their words had forked no lightning they Do not go gentle into that good night. Good men, the last wave by, crying how bright Their frail deeds might have danced in a green bay, Rage, rage against the dying of the light. Wild men who caught and sang the sun in flight, And learn, too late, they grieved it on its way, Do not go gentle into that good night. Grave men, near death, who see with blinding sight Blind eyes could blaze like meteors and be gay, Rage, rage against the dying of the light. And you, my father, there on the sad height, Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray. Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. Dylan Thomas

Redaktion: Catharina von Bülow | Fotos: Martin Sigmund Gestalterisches Konzept: sweetwater | holst, Darmstadt

Ausführung: Hélène Beck | Herstellung: Dinges & Frick GmbH, Wiesbaden

Dylan Thomas schrieb dieses Gedicht für seinen Vater, der in einem tiefen Winter verstarb.