Solvency II: Fluch oder Segen
Vorbemerkung Versicherungen sind ein intransparentes und schützenswertes Gut Geschützt werden soll nicht das VU, sondern der VN Entscheidung über Qualität allein dem mündigen Bürger zu überlassen, ist im Versicherungssektor nicht zweckgerichtet Starke Aufsicht geboten, die Mindeststandards überwacht Solvenzaufsicht von daher zwingend erforderlich Verhältnis deutscher Versicherungsindustrie zur BaFin ist einvernehmlich Solvency II ein europäisches Projekt
Ausgangslage von Solvency II Level 1 des Solvency II-Prozesses: Rahmenrichtlinie verabschiedet und seit 06.01.2010 in Kraft MaRisk: Nationaler Vorgriff auf Säule 2 des Solvency II - Prozesses und seit 22.01.2009 in Kraft (Umsetzung der seit dem 01.01.2008 gültigen VAGNovelle) Level 2 des Solvency II-Prozesses: Ausgestaltung und Kalibrierung (Durchführungsmaßnahmen) durch EU-Kommission mit Hilfe von CEIOPS QIS5: Teil der Ausgestaltung und Kalibrierung im Jahr 2010 Level 3 des Solvency II-Prozesses: Aufsichtsleitlinien hier aktuell: Pretest der Berichtsformate von CEIOPS im Jahr 2010 Solvency II: Anwendung in Unternehmen im wesentlichen nach 2012
Schwergewichtigster Knackpunkt Ergebnisse der QIS-Studien sind in der Lebensversicherung nicht stabil und damit nicht Geschäftsmodell konform. Kleinere Änderungen der Kapitalmärkte führen zu extremen Ergebnisveränderungen. Ergebnisse signalisieren in der Lebensversicherung insgesamt eine knappe Kapitalisierung. Schwäche der Modellierung ist die hohe Volatilität, die knappe Kapitalisierung ist Folge der Zinsentwicklung der letzten Jahre und der Garantiezinsen. Die Stabilisierung der Zinsschwankungen ist über Extrapolation möglich. Das Problem langfristig niedriger Zinsen ist eine Geschäftsmodellfrage und nicht Solvency II zurechenbar. Höhere Volatilitäten erfordern auch in normalen Jahren höhere Bedeckungsquoten als in Solvency I.
Konkrete Knackpunkte Zinsstrukturkurve: Stressfaktoren im Kapitalanlagenbereich:
Extrapolation am langen Ende/Illiquiditätsprämie In QIS5 wird Kompromiss getestet. QIS5 ist eine Kompromisslösung
Solo versus Gruppe: Solo wird sich zunächst durchsetzen. Alle EUMitgliedsländer sind grundsätzlich nicht bereit, ihre eigene Versicherungskultur aufzugeben. Gruppe geht auch nur dann, wenn überall das gleiche Risikoverständnis vorherrscht und zwar von Irland über Deutschland bis nach Griechenland. Interne Modelle: Gesetzgeber und Aufseher haben gelernt und verlangen hohe Anforderungen (Use-Test etc.) In Deutschland analysieren aktiv 3 Gruppen interne Modelle. Ziel interner Modelle sollte primär sein: Einheitliche Führung und nicht Kapitaleinsparung.
Thesen
Solvency II erkennt besser Risikosituation als Solvency I Dt. Schaden-/Unfallversicherer gut kapitalisiert Lebensversicherer erkennen ihr Geschäftsmodell Prozyklität nimmt zu Ausfälle unwahrscheinlicher, aber dafür mehr Risiko beim VN oder höheres Preisniveau Ungewollte begrenzte Marktbereinigung Größere VU profitieren gegenüber kleinen und mittleren VU von Solvency II
Kompromissgetriebener Ansatz, von daher nicht optimiert nach Risikogesichtspunkten Hohe Komplexität, Beeinflussbarkeit sowie Volatilität der Ergebnisse durch einzelne Parameter schon im Standardansatz führt zu Fehlentwicklungen Überwachung und Kontrolle wird zu einer Schlüsselaufgabe mit Gefahr der reinen Dokumentations- und Geschäftsprozesskontrolle (keine Inhaltskontrolle) Geschäftsmodell der Rückversicherer wird stabilisiert Verlagerung von Geschäft - insbesondere in der Altersvorsorge - in nicht unter Solvency II fallende Lösungen (Pensionsfonds etc.)
Geschäftsmodell Leben Hauptrisikotreiber sind die Garantiezinsversprechen Der Zins kann bei dem Niveau vom 31.12.2009 zwar dauerhaft erwirtschaftet werden, aber ein weiterer Zinsrückgang wäre schwer verkraftbar. Der Zinsstress erfordert in der SCR-Berechnung unter Solvency II bereits heute Kapital für einen Zinsrückgang vorzuhalten. Durationsverlängerung auf der Aktivseite angezeigt - auch oder gerade in Niedrigzinsphasen. Thematik des Auseinanderlaufens von Aufsichts- und Handelsrecht gewinnt erheblich an Bedeutung (Nach einem starken Zinsanstieg werden die Unternehmen zumindest hohe Lasten im heutigen HGB-Abschluss aufweisen). Lösbar durch Annäherung von BilMoG II an Solvency II. Noch niedrigeres Zinsniveau stellt Geschäftsmodell in Frage.
Zinsstrukturkurven nach GDVExtrapolation: Trend auch rückläufig
Zinsstrukturkurve QIS 5 QIS4 + QIS4b + QIS5 (draft) 5,5%
5,0%
4,5%
4,0%
3,5%
3,0%
2,5%
2,0%
1,5%
1,0%
0,5%
0,0%
1
11
21
GOV Alle 31.12.2008 (QIS4 b) QIS5 Draft (ohne IP)
31
41
SWAP per 31.12.2008 (QIS4b) QIS5 Draft (mit IP)
51
61
QIS4 per 31.12.2007 QIS5 Draft (mit 1/2 IP)
71
Marktbereinigung: Treiber Der teilweise unterkapitalisierte Lebensversicherungsmarkt wird zu einigen Abwicklungsgesellschaften führen, da Investoren für die Weiterentwicklung fehlen. Erste Trends dazu bereits erkennbar: BBV aG, Victoria, Delta Lloyd und Hamburger Leben. Seltene Unterkapitalisierung von kleineren und mittleren Schaden/Unfallversicherern wird durch Ausscheiden aus dem Markt/Fusion beseitigt, da der Kapitalmarkt ihnen nicht zur Verfügung steht. Mangelnde Umsetzung von Proportionalität durch Politik und Aufsicht sowie aufwendige Berichtsformate werden kleinere VU teilweise zu Fusionen zwingen - auch wenn dies ungewollt geschieht. Organisatorischer Pragmatismus von KMU birgt die Gefahr von Kapitalzuschlägen.
Vorteil der Größe Monoliner fehlen Diversifikationseffekte Systembedeutung wird zumindest in Säule 1 nicht berücksichtigt. Proportionalität ist der einzige Hinweis auf die Berücksichtigung von Größe Auch Standardansatz erfordert Verständnis des Modells und zwingt zur personellen Neuausrichtung (Aktuarielle Funktion ohne Aktuar?) Sofern HGB-Bilanzierung nicht über BilMoG II angepaßt wird, ist Solvency II eine weitere komplette Rechnungslegungsversion (IFRS-Bilanzierer können viele Werte übernehmen) Umfangreiche Berichtsformate Anmerkung: Bedeckungsquoten in Solvency I waren sinnvollerweise bei KMU‘s tendenziell höher als bei größeren Anbietern => Solvency II kompensiert diesen Effekt (risikogerecht)
Berichtsformate an die Aufsicht: Von kleineren VU Pläne kaum zu bewältigen Prinzip: Europa einheitliche Berichte (in Dateiformaten), Berichte damit auch größenordnungsunabhängig Pretest in 2010 durch CEIOPS (Grundlage: CP 58) Enorme Detailmengen (Wunschliste der Aufseher für alle Krisenfälle, Vorratshaltung) Problem der Definition der einzelnen Inhalte (Auslegungsspielräume) Eventuell zukünftig quartalsweise
Berichtsformate Own funds C3
C3M
Derivatives
CIS assets Valuation V2 basis
C1
C3C
SCR risks
C3L
V1
C3H C3N SF, PM
C2A
Inv property
Investments
Group codes
IM
S2 Balance sheet
C3O
MCR
F1
Cover sheet
C4Q
SCR
Life own funds changes
Acctg
New life business
Annual Accounts
C4A
Life liability analysis
Life technical provisions
P1
F6
Life revenue analysis
P2 Distrib-ution of profits for with-profit funds
Acctg
Re-ins risk profile
Re-ins loss profile
Facultative risks
P&L
R1
R2
R3
F8
Catastrophe
Share reinsurers
R4
R5
S2 PD1
Outgoing reins program
Non-life claims
Life-like claims from non-life
R6
P3
P4
Draft relationships between quantitative data – 6 Mar 2009
F7
Non-life premiums (future)
Non-life premiums
F9
F/P7A
P6
Life premiums and TPs
Non-life technical account
Non-life expenses
F10
F11
P7
Non-life exposures and claims
Non-life IBNR
Non-life claims outstanding
P5
P8
P9
Acctg
C2B
Non-life technical provisions
Preis und Risikotragung durch VN Risikobegrenzung kostet Geld. Die Sicherheit des regulierten Marktes bis 1994 wurde erkauft durch tendenziell höhere Preise. Wenn die Politik weniger Hilfseingriffe in die Versicherungsindustrie wünscht, so ist das Preis/Leistungsverhältnis von VU, VN und Staat neu zu regeln Folge: + Preisanhebungen + Weitergehender Risikotransfer an VU oder Ausschlüsse Hilfe der Politik im letzten Jahrzehnt für VU: 2002 §341b HGB 2003 Steuerliche Regelung von Aktiengewinnen in LV und KV 2008 Rettung HRE Hilfe der Politik im letzten Jahrzehnt für Naturkatastrophen 2002 Elbehochwasser Im extremen Katastrophenfall ist die letzte Instanz in jedem Fall der Staat. Frage ist nur nach der Häufigkeit und der Höhe staatlicher Hilfen.
Kompromiss QIS5 sieht kein Spread- und Konzentrationsrisiko bei EWR-Staaten Folge: Anlage ausschließlich in griechischen Staatsanleihen ist nach Solvency II risikolos Solvency II unterstellt kein Ausfall eines Euro-Staates, sondern gegenseitige Hilfe
Kurzzeitgedächtnis
Zitat aus dem Gesetzesentwurf des WFStG vom 03.05.2010: Es werden keine Informationspflichten für Unternehmen eingeführt, vereinfacht oder abgeschafft.
Komplexität und Beeinflußbarkeit Durch die Veränderung schon kleinerer Eingabeparameter kann das Ergebnis grundlegend verändert werden: Beispiele: Verrentungswahrscheinlichkeit von Renten im Cash-Flow-Modell Frage hier: Wer nimmt die Eingabe ab? Chance ist wenigstens Teilberechnungen für die Bilanz über BilMoG II über den Wirtschaftsprüfer zu überprüfen. Ansonsten gilt im Standardansatz primär Selbstkontrolle. Hier muss zumindest gefragt werden: Reicht dies?
Rückversicherung Zinsgarantierisikoübernahme mögliches neues Geschäftsmodell für Rückversicherer Explizite Berücksichtigung auch der nicht proportionalen Rückversicherung Aussage gilt insbesondere für Man-Made-, CAT- und Prämienrisiko Geschäftsmodell der Rückversicherer wird durch Solvency II zumindest gefestigt. Nicht proportionale Rückversicherung gewinnt dabei an Bedeutung. Nur gute Kapitalisierung der deutschen Schaden- und Unfallversicherer kann das weitere Wachstum von E+S Rück verhindern.
Rückversicherung: Ausfall Anteil am Gesamt SCR sehr gering Folge: Konzentration und Rating des Rückversicherers faktisch bedeutungslos Zeit- und Know-How-Aufwand für die Berechnung des Ausfallrisikos in QIS4b (QIS5) entspricht nicht der Verhältnismäßigkeit
Verlagerung Hohe Sicherheitsansprüche bergen die Gefahr, durch die Verlagerung in nicht oder weniger beaufsichtigte Lösungen auszuweichen u.a. Pensionskassen und -fonds von Solvency II zunächst befreit Basel II sieht teilweise geringere Solvenzanforderungen beim Kreditrisiko als QIS5 (Entwurf) , insbesondere Pfandbriefe
Zielverfehlungen: HUK-Renten und Unfall in Kranken HUK-Renten sollen in Solvency II wie Lebensversicherungen behandelt werden. Hierbei wird vernachlässigt die fehlende Ausgleichsfähigkeit von Einzelvorgängen in der Regel anzahlmäßig kleiner Bestände. Erforderliche Parameter können kaum mit aktuariellen Verfahren bestimmt werden. Solvency II sieht die Unfallsparte unter Gesundheit / Kranken vor - Höheres Know-how - Größere Komplexität
Umsetzung Ausbildung der Aufseher und derzeitige Diskussion lassen Gefahr bestehen zu glauben: Stärkere Risikosteuerung könne durch Ablaufkontrolle statt korrekter Modelle erreicht werden. Basel II zeigt ähnlichen Trend
Die Hoffnung stirbt zuletzt:
Im Solvency II-Prozess ist es wie auf hoher See: Sichere Fahrt ohne klare Sicht
Uwe Ludka Itzehoer Versicherungen www.itzehoer.de