sola scriptura 2. Timotheus 3, Franz Seiser

„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17 2017-02 | Franz Seiser Liebe Geschwister! Liebe Gäste! Ein herzliches Grüß Gott von meiner Seite. Wir schlie...
Author: Marcus Wetzel
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„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17 2017-02 | Franz Seiser

Liebe Geschwister! Liebe Gäste! Ein herzliches Grüß Gott von meiner Seite. Wir schließen heute die Predigtreihe der „solis“ der Reformation mit dem „sola scriptura“ ab. Wir haben die Solis der Reformation in ihrer Bedeutung sowie im Kontext zur damaligen Zeit erleben dürfen und stehen heute bei der Heiligen Schrift, der Bibel. Ein kleiner Rückblick, oder eine Zusammenfassung vorweg zur Erinnerung: In „sola fide“, also allein durch den Glauben haben wir in Römer 3, 28 erfahren dürfen: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetztes Werke, allein durch den Glauben.“ „Sola fide“ stellt fest, dass ein Mensch sich die Anerkennung Gottes nicht durch Werke verdienen kann, sondern diese allein durch seine Glaubensbeziehung zu Gott bekommt, welche allein von Gott ausgeht. In „sola gratia“, also allein durch die Gnade, lesen wir im Epheserbrief des Apostels Paulus 2, 8-10: „Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.“ Weiters dürfen wir in Römer 3, 21-28 diese bedeutendste biblische Grundlage nachlesen. In „solus Christus“, also Christus allein, ist für uns alle klar, dass allein Christus mit seinem Heilswerk die Erlösung des sündigen Menschen erwirkt. Wir lesen dazu im Ersten Brief des Apostel Paulus an Timotheus 2, 5-6: „Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde.“

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„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17 2017-02 | Franz Seiser Letzten Sonntag hörten wir von Francesco über das „soli Deo Gloria“, also allein Gott gebührt die Ehre. Das lesen wir wieder im Römer-Brief im 11. Kapitel unter Vers 36: „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“ Wir hatten die Beispiele vieler Künstler, besonders Komponisten, wie Johann Sebastian Bach oder Anton Bruckner, die jedes Werk mit dem „soli Deo Gloria“ beendeten, allein zur Ehre Gottes. Als man Anton Bruckner darauf angesprochen hatte, ob er nicht dem Kaiser seine Symphonie widmen wolle, antwortete Bruckner: „Vom Kaiser habe ich meine Gaben nicht erhalten!“ Ob jeder der vielen tausend Musiker aller Orchester dieser Welt wissen, dass die Musik von Bach und Bruckner nur zur Ehre Gottes komponiert wurde? Ich denke man hat wohl die Widmung des Komponisten „soli Deo Gloria“bei der Vervielfältigung weggelassen. Und nun wollen wir uns mit dem Wort, der Heiligen Schrift, dem „sola scriptura“ beschäftigen. Davor stellen wir uns noch die Frage, wie kommt es eigentlich zur Reformation? Was war in der damaligen Zeit der Auslöser für diese trefflichen biblischen Wahrheiten, die ja ohnehin im Wort standen. Also warum wird es notwendig diese in so einem Sturm an Auseinandersetzung wie es damals war, zu manifestieren? Die Zeit der Reformation, von der wir hier sprechen, war das ausgehende Mittelalter, also der Beginn der Renaissance. Wir schreiben das Jahr 1517, also vor genau 500 Jahren, als Martin Luther die 95 Thesen proklamierte. Dies war ja auch nicht neues, war es im Mittelalter üblich Appelationen, wie sie Johannes ‚Jan‘ HUS proklamierte, anzuschlagen.

Die Römisch-katholische Kirche, oder Alte Kirche, oder Papsttum, hatte die Bibel auf die Liste der „Verbotenen Bücher“, dem „Index Romanus“ gesetzt. Auf dieser Liste fanden sich ca. 6.000 Bücher. Erst im Jahre 1958, also erst beim zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Bibel aus dem Indesx Romaus von der Liste wieder herausgenommen.

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Es war bei Strafe, Exkommunikation, also dem Ausschluss aus der Alten Kirche, dem Verlust des ewigen Heils, verboten im Wort Gottes zu lesen. Dies galt natürlich nicht für den Klerus, also der Priesterschaft. Hier teilen wir in den Höheren Klerus und in den Niederen Klerus. Der Höhere Klerus, das waren die Bischöfe und Äbte, die des Lesens mächtig waren. Die Bibel war ja in Latein [Vulgata], sofern man nun nicht aus der Ursprachen der Bibel rezitieren wollte. Die Vulgata war um 800 bis 900 n.C. komplett vorliegend und ab dem Buchdruck nach 1500 auch gedruckt worden. Denn das Alte Testament ist in Hebräisch und das Neue Testament in Griechisch geschrieben. Nun der Niedere Klerus war meist weder des Hebräischen, noch des Griechischen, noch des Latein kundig und so war es den Menschen meist vorenthalten, das Wort Gottes zu hören. Aber die Menschen hungerten und dürsteten nach dem Wort Gottes, zu jeder Zeit in der Geschichte. Denn es war Gottes Reden zu den Menschen, und das ist in den Menschen gelegt, dass er nach dem Sinn des Lebens sucht. Weiters waren die Marienverehrung und Heilgenverehrung, der Ablasshandel und viele Schräglagen der Alten Kirche auch schon vor Martin Luthers Zeiten den Menschen ein Gräuel. Durch den Ablasshandel wurden die ohnehin schon sozial schwächsten in der Gesellschaft ausgepresst. Der Spruch: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“, war in jeder Munde. Man hatte den Menschen gesagt, dass es deinem Kind im Fegefeuer sehr schlecht ginge und wenn du Geld zahlst, kannst du durch einen Ablass die Situation verbessern. Die Kirche brauchte dringend das Geld um den Petersdom in Rom fertigstellen zu können. Der Höhere und Niedere Klerus lebte ja vom Pfründewesen und profitierte davon. Pfründewesen bedeutet, dass jeder von seinem Vermögen, ob Kuh, Getreide, Obst oder Gemüse etc. einen Teil abgeben musste. Das wurde soweit pervertiert, dass den ohnehin schlecht gestellten Menschen noch mehr auferlegt wurde, weil die Hunde der Obrigkeit sonst Mangel gelitten hätten. So hatte man obendrein noch eine Hundesteuer eingeführt. Dass die Menschen vor Hunger starben, kümmerte den Klerus meist wenig. Aus diesen wenigen Beispielen ersehen wir welche Spannung es im Mittelalter und auch danach gegeben hatte. Das System von Macht, also Obrigkeit und Klerus, war so angelegt, dass es immer zu Lasten der Unterdrückten ging. In der vorreformatiorischen Zeit hatten wir ja viele religiöse Bewegungen, die diesen Hunger und Durst nach dem Wort Gottes stillten. Im 11. Jahrhundert wurden die „Freunde Gottes“, Gute Christen“ oder auch nur „Christen“, in Folge Katharer und Albigenser [von der Stadt Albi abgeleitet] genannt, blutig niedergeschlagen als sie eine eigene Katharerkirche begründen wollten.

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„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17 2017-02 | Franz Seiser Die Kreuzzüge im Namen Jesu Christi schlachteten so viele Menschen ab, dass die Erde in Blut getränkt war. Im 12. Jahrhundert waren die „Armen von Lyon“ oder auch „Arme Jesu Christi“, wie sie sich nannten aufgestanden und hatten sich dem Wort Gottes, im Besonderen den Evangelien, aber auch einigen Lebensregeln der Heiligen Augustinus, Hieronymus, Ambrosius und Gregorius, verschrieben. Der Kaufmann Waldes aus Lyon war sehr reicht und hatte sich zwei Prieser bezahlt, die ihm aus der Bibel die Evangelien vorlasen und in seiner Sprache, dem Franko-Provenzalischen in Okzitanien, also Südrankreich, niedergeschrieben und so hatten sie die Evangelien, die sie abgeschrieben und somit vervielfältigten. In der Inquisition nannte man sie „Waldenser“ und brachte tausende auf die Scheiterhaufen, dass Europa über ein Jahrhundert in rote Glut getaucht war. In Österreich lebten damals über 80.000 Waldenser, die in der Inquisition durch den Inquisitor Petrus Zwicker auf den Scheiterkaufen kamen und meist auch nach Böhmen vertrieben wurden. Im 13. Jahrhundert hatte der Theologe John Wycliff in Oxford betont, dass allein aus Gnade der Mensch gerettet sei und nicht aus Werken. Er redete gegen die Transsubstantiationslehre der Alten Kirche. Er wurde von seiner Professur an der Universität Oxford entlassen, somit hatte er keinen Zugang zur Bibliothek und konnte nicht mehr lehren und forschen. Er wurde als kleiner Dorfpfarrer „entsorgt“, damit der den Dogmen der Römischen Kirche nicht im Wege stand. Im 14. Jahrhundert hatte sich der Theologe Johannes ‚Jan‘ HUS in Prag, der selbst Rektor der Universität war, mit den Schriften des John Wycliff auseinandergesetzt und vermerkt: „Lieber Wycliff, Gott gebe dir das himmlische Königreich“ oder „O Wycliff, nicht nur einem verdrehst du den Kopf“. Viele Studenten aus Prag hatten auch in Oxford studiert und die Schriften von John Wycliff nach Prag gebracht. Jan Hus betonte auch die Gnade und hatten den Zustand des Papsttums öffentlich kritisiert und war unter anderem auch deshalb in Ungnade gefallen. Als er zur Disputation zum Konzil nach Konstanz reiste, mit der Zusage des Königs des freien Geleits, wurde er trotzdem am 6. Juli 1415 am Scheiterhaufen als Ketzer verbrannt. Das war Auslöser für die sogenannten Hussitenkriege, die ab 1419 viele Städte in Böhmen und Österreich nieder brannten, bis sie zu Asche wurden. Es war eine schreckliche Zeit in der viele Menschen aus Glaubensgründen, wegen des Machtrausches der Päpste ihr Leben lassen mussten. Das und noch viel mehr musste wohl der Augustinermönch Martin Luther vor Augen gehabt haben. Eine Zeit des Schreckens und des Machtmissbrauchs.

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Er hatte wohl auch durch sein ‚Bekehrungserlebnis‘ einen Wink vom Himmel erhalten und begann in der Bibel zu lesen. Das war damals nicht üblich. Nun begann er aber die Bibel zu studieren und der Heilige Geist offenbarte ihm Gottes Heilsplan. Er musste erkennen, dass der Ablass, die Heiligenverehrung, Anbetung der Mutter Gottes als Mittlerin und viele ‚Traditionen‘ der Alten Kirche über dem Wort Gottes standen. Doch die Heilige Schrift zeigte ihm den Weg zum Heil. Er erkannte, dass die Dogmen, also die Lehrsätze der Alten Kirche nicht die oberste Autorität sind, sondern Gottes Wort allein und das durch den Glauben, allein durch Gnade und allein durch Jesus Christus.

Die Dogmen stehen in der Alten Kirche über dem Wort Gottes. Und wenn wir uns nur 5 von 245 Dogmen der Römischen Kirche vor Augen halten, so ersehen wir auch weiter die Bedeutung der Reformation: 1) 1215 im 4. Laterankonzil wurde die Transsubstantiationslehre dogmatisiert. Also es wurde die echte Verwandlung der Hostie in den Leib Jesu festgeschrieben. 2) 1545 im Trienter Konzil wurde die Ablehnung Roms gegenüber der gesamten Reformation beschlossen. Weiters die Lehre der Kirche immer weniger von der Schrift und immer stärker von der Tradition her, begründet. 3) 1854 erklärte Papst Pius IX. die unbefleckte Empfängnis der Maria zu einem zu glaubendes Dogma der Kirche. Diese Entscheidung wurde vom Papst allein getroffen, ohne einer Befragung eines Konzils. 4) 1870 definierte das erste Vatikanische Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes als Dogma. 5) 1950 definierte Papst Pius XII. dass Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes leiblich in den Himmel aufgenommen worden sei. Und immer wieder kam den Menschen beim betrachten der Geschehnisse Apostelgeschichte 5, 29 ins Bewusstsein, wo es heißt: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Sola, sola, sola! Für Luther wurde immer deutlicher: Gott spricht durch die Worte der Bibel zu uns. Sie allein ist deshalb der Maßstab für alle Fragen des Glaubens – nicht die Traditionen und Entscheidungen der Kirche. Denn Päpste, Konzilien und Kirchenlehrer können irren. Wer aber legt die Bibel richtig aus? Für Luther war es die Bibel selbst: Ihre Botschaft ist zuverlässig und klar – sie legt sich daher selbst aus.

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„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17 2017-02 | Franz Seiser „sola scriptura“ allein durch die Heilige Schrift! Christus war für Luther der Mittelpunkt der Heiligen Schrift. Die Bibel verkündigt die frohe Botschaft: Wer an Christus glaubt, hat das ewige Leben. Er allein ist der Vermittler zwischen Gott und Menschen. Und: Man muss sich die Gnade Gottes nicht verdienen. Sie wird jedem geschenkt, der Christus vertraut. Wer von diesem vertrauenden Glauben erfüllt ist, tut von sich aus Gutes – ohne Zwang, ohne Berechnung und ohne Furcht. Luthers Bibelübersetzung begann in Eisenach: Auf der Wartburg entstand in nur elf Wochen das „September-Testament“ – eine Übertragung des Neuen Testaments, die im September 1522 zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Luthers Werk war ein Riesenerfolg: Schon drei Monate später folgte die zweite Auflage, das „Dezember-Testament“. Die vollständig übersetzte Bibel erschien erstmals im Jahr 1534. Luther übersetzte die Bibel nicht ins Deutsche. Denn ‚das Deutsche‘, eine einheitliche deutsche Sprache, gab es damals noch nicht. Luther verwendete deshalb die sächsische Kanzleisprache. Seine Bibelübersetzung war so erfolgreich, dass Luthers Bibelsprache weite Verbreitung fand – auch dort, wo man andere Dialekte sprach. Die Lutherbibel spielte deshalb eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache. Luther wollte, dass die Bibel verstanden wird. Jeder sollte Gottes Wort selbständig lesen können. Luther forderte deshalb: Man muss „dem Volk aufs Maul schauen“, um treffende Begriffe zu finden. Das bedeutete aber nicht, dass Luther Alltagssprache verwendete: Er schuf eine gehobene Sprache, die im Gottesdienst verwendet werden konnte – und trotzdem verständlich war. Wenn wir uns allein am Beispiel des hebräischen Wortes Schalom ansehen, wie eine Wortbedeutung mehrdeutig ist, dann wird einem bewusst, wie präzise Luther mit seinem Team gearbeitet hatten: Das Wort Schalom, hier in der masoretischen Schreibweise ca. 800 n.C. entstanden (Selbstlaute hinzugefügt) Familie Ben Ascher. Schalom bedeutet: Gedeihen, Unversehrtheit, Wohlergehen, Frieden, Freundlichkeit, Heil, „Friede sei mit dir“, „Mögest Du gedeihen haben.“ Also welches Wort wird nun im deutschen verwendet? Was wird im Kontext ausgesagt? „Wir wissen gar nicht, was wir Luther und der Reformation im Allgemeinen alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit.“ sagte Johann Wolfgang von Goethe. Wie teuer war eine Bibel? Wenn wir den Gegenwert in Rindfleisch bewerten: 1456 musste man 14 Rinder verkaufen um eine Bibel zu erwerben. 1534 waren 2 ¹/² Rinder notwendig um eine Bibel zu erwerben.

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„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17 2017-02 | Franz Seiser

1713 bekam ich für ein Rind bereits 36 Bibeln 2017 bekomme ich für eine Kuh bereits zwischen 80 und 150 Bibeln, je nach Ausführung. Was für ein Segen! Ich stelle das „sola scriptura“ unter den Vers 105 des 119. Psalms: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“ 1) Die Heiligen Schriften zeigen den Weg zum Heil: In 2. Timotheus 3,14–17 schreibt Paulus seinem jungen Mitarbeiter, warum er von der Heiligen Schrift, die er schon als ein kleines Kind kennen lernte, völlig überzeugt sein soll: „Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du völlig überzeugt bist, da du weißt, von wem du es gelernt hast, und weil du von klein auf die heiligen Schriften kennst, die Kraft haben, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Jesus Christus ist“ (2 Tim 3,14– 15). Das zentrale Thema des Wortes Gottes ist also die Errettung des Menschen. Paulus verquickt die Bedeutung der Bibel völlig mit der Errettung. Und dennoch ist es nicht das Wort Gottes, das uns errettet, sondern allein Jesus Christus. Die Bibel – und nur die Bibel – macht uns weise zur Errettung, die in Jesus Christus ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn was wüssten wir von Jesus Christus und von seinem Werk der Erlösung, wenn Gott es uns nicht offenbart und sogar schriftlich in die Hand gegeben hätte? Die Worte der Bibel sind also notwendig, um errettet zu werden. Ist demnach die Bibel ein magisches Buch? Macht der Besitz der Bibel aus Feinden Gottes – Kinder Gottes? Nein, Paulus sagt ganz klar, was uns errettet: nämlich der Glaube, der in Jesus Christus ist. Glauben heißt Vertrauen. Wer darauf vertraut, dass Jesus für seine Sünden am Kreuz gestorben ist, und von daher um Vergebung seiner Schuld bittet, wird vor der ewigen Verdammnis gerettet werden. Wozu dann aber noch die Bibel? Paulus sagt zwar, dass uns der Glaube an Jesus errettet, aber dass die Bibel uns „weise“ für diesen Glauben macht. Wir wissen nämlich nur aus der Bibel, was Gott für uns getan hat, und dass er uns retten will. Ohne das, was Gott uns in der Bibel sagt, können wir nicht gerettet werden, obwohl die Rettung selbst durch Gottes Tat geschah und nicht durch einen Bericht davon. Das ist also die Aufgabe der Bibel, die Menschen von der göttlichen Wahrheit zu überzeugen, dass jeder Mensch ein Sünder vor Gott ist und es nur eine Rettung gibt.

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„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17 2017-02 | Franz Seiser

Was Paulus hier über die Schrift sagt, ist nach zwei Seiten hin abzugrenzen. Einerseits ist der Gedanke zu verwerfen, die Schrift selbst schaffe das Heil. Andererseits ist der Gedanke zu verwerfen, das Heil sei von der Schrift unabhängig. Vielmehr wäre uns das von Christus geschaffene Heil ohne die Offenbarung nicht zugänglich. 2) Ist aber damit die Aufgabe der Bibel erfüllt? Für viele ist die Bibel göttliche Offenbarung, solange sie vom Heil spricht. Alles, was darüber hinausgeht, ist dagegen menschliches Beiwerk. Aber was sagt die Bibel selbst dazu? Lesen wir die Fortsetzung der Verse bei Paulus: „Die ganze [oder: alle] Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung [oder: Erziehung], zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen ist, zu jedem guten Werk völlig ausgebildet“ (2 Tim 3,16–17). Mit der Errettung durch den Glauben, den man aus der Bibel gelernt hat, fängt also die Bedeutung der Bibel erst an. Nicht nur das, was uns über das Heil gesagt wird, ist wichtig, sondern „jede Schrift“ ist von Gott eingegeben. Hier muss auf den griechischen Grundtext eingegangen werden. Aber im Griechischen stehen die beiden Aussagen gleichwertig nebeneinander: Die Bibel ist 1. von Gott eingegeben und 2. nützlich für die aufgeführten Dinge. Wenn die Bibel von Gott eingegeben, wörtlich „geistdurchhaucht“ ist, dann heißt das, dass in der Bibel das menschliche Wort, etwa des Paulus, und das göttliche Wort eine untrennbare Einheit eingegangen sind. Die Bibel ist nicht von Gott diktiert. Gott hat die Persönlichkeit der Schreiber nicht ausgeschaltet, sondern erst richtig eingeschaltet. Vom Koran oder vom Buch Mormon wird behauptet, Gott selbst oder ein Engel habe sie ursprünglich diktiert oder geschrieben. Daher, weil der Mensch unbeteiligt war, sollen sie von Gott stammen. Aber nur der Teufel arbeitet mit Zwang. Der Gott der Bibel hat die Schreiber der Bibel nicht gezwungen. Vielmehr haben Menschen in ihrem Stil, mit ihrer Erfahrung und in ihrer historischen Situation geredet und geschrieben, doch Gottes Geist hat es zugleich gebraucht, um Gottes Wort niederzulegen. Dass Menschen die Bibel geschrieben haben, ist für den Glauben sehr wichtig. Aber Gott hat gleichzeitig darüber gewacht, dass sie seinen Willen niederschrieben. So ist jede Schrift von Gott durchhaucht.

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Was ist nun der Sinn und der Nutzen der Bibel? Paulus nennt vier Dinge. 1. Die Bibel ist nützlich zur Lehre Aus der Bibel erfahren wir also, wie Gott die Dinge sieht. Wir werden durch sie zu Schülern. Dies steht mit dem Missionsbefehl in Einklang, nach dem wir alle Menschen zu „Schülern“ (meist mit „Jüngern“ oder „Nachfolgern“ wiedergegeben) machen sollen und diese Jünger „alles lehren“ sollen, „was ich euch befohlen habe“ (Mt 28,18–20). Wenn Gott etwas in der Bibel nicht lehrt, wissen wir nicht, wie er dazu steht. Wenn er aber etwas lehrt, ist das die vertrauenswürdige, universal gültige Wahrheit in menschlichem Gewand. Was die Bibel über die Schöpfung oder das Volk Israel lehrt, was sie an Angaben über die Geschichte oder den Menschen macht, welche ethischen Werte und Grenzen sie uns gibt, all das ist wichtig für uns. Vieles davon mag uns im Moment persönlich nicht unmittelbar betreffen, wie das Lehre oft so an sich hat, und dennoch ist es wichtig, es zu lernen. 2. Die Bibel ist nützlich zur Überführung Aber Lehre ist nicht genug, um dem Sinn der Bibel gerecht zu werden. Gott möchte durch sein Wort nicht einfach Richtigkeiten in den Raum stellen, sondern er möchte unser Leben prägen und verändern. Anhand der Bibel können wir prüfen, ob wir nach dieser Lehre leben. Die Bibel korrigiert unser falsches Denken und Handeln, sie überführt uns also. Nicht umsonst nennt sich die Bibel selbst einen „Spiegel“. Wie gefährlich es ist, nur die Lehre der Bibel zu kennen und nicht die eigenen Fehler dabei zu entdecken, beschreibt Jakobus, da solche Menschen sich selbst betrügen (Jak 1,22–25): "Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst. Denn wenn jemand ein Hörer des Worts ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Menschen, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut; denn nachdem er sich beschaut hat, geht er davon und vergisst von Stund an, wie er aussah. Wer aber sich vertieft in das vollkommene Gesetz der Freiheit und dabei beharrt und ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter, der wird selig sein in seinem Tun.“ 3. Die Bibel ist nützlich zur Zurechtbringung Aber auch die Aufdeckung von Schuld, die Feststellung von Abweichungen von der biblischen Lehre allein, wird dem Sinn der Bibel noch nicht gerecht und kann eine rein theoretische Übung bleiben. Wie schrecklich wäre es, wenn die biblische Lehre unsere Fehler aufdecken würde, ohne weitere Hilfe anzubieten. Aber Gott deckt unsere Schuld nicht auf, um uns bloßzustellen, oder auch nur,

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um unsere Vergangenheit zu bewältigen. Vielmehr möchte er uns helfen, retten, zurechtbringen und uns eine bessere Zukunft ermöglichen. So zeigt uns die Bibel den Weg, wie wir über Buße und Umkehr auf den guten und richtigen, der Lehre entsprechenden Weg zurückkehren können. Die Bibel bietet uns also nicht nur das Gesetz, also das „So solltest du sein!“, sondern auch das Evangelium, nämlich: „Durch Vergebung und Vertrauen auf Gott kannst du so sein“. 4. Die Bibel ist nützlich zur Unterweisung in der Gerechtigkeit „Damit der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig zugerüstet“ (2. Timotheus 3,17). Selbst wenn die Bibel durch ihre Lehre unsere Schuld aufdecken würde und wir zurechtkämen, wäre das immer noch nicht alles. Gott möchte nicht nur, dass wir ständig aus unseren Fehlern lernen. Er möchte, dass wir im Vertrauen auf ihn die Fehler erst gar nicht begehen. Dazu will uns die Bibel erziehen. Die Bibel warnt und tröstet. Das Wort „Unterweisung“ heißt eigentlich „Erziehung“. Erziehung bildet den Menschen nach Gottes Gedanken aus. Jeder hat die Möglichkeit, durch die Bibel eine lebens-längliche Ausbildung durch Gott persönlich zu erhalten und ein geistlicher „Erwachsener“ zu werden, der „durch Gebrauch geübte Sinne hat“ (Hebr 5,14). Was für eine herrliche Angelegenheit. Doch wie viele lassen sich das entgehen. Vergleichen wir die Bibel einmal mit einem Autoatlas, so sehr dieser Vergleich wie alle Vergleiche hinkt und nur einen Aspekt beleuchten kann. Die erste Funktion eines Autoatlasses ist es, recht zu haben. Er zeichnet einfach korrekt auf, welche Wege es von A nach B gibt. Aber was nützt mir das, wenn ich längst falsch gefahren bin – denn oft schlagen wir den Atlas erst auf, wenn wir merken, dass wir irgendwie völlig falsch gefahren sind. Doch wenn ich nun festgestellt habe, dass ich nicht von A nach B, sondern in eine ganz falsche Richtung unterwegs bin, zeigt mir der Autoatlas den besten Weg zu meinem ursprünglichen Ziel. Doch wer wirklich weise ist, konsultiert das nächste Mal den Autoatlas zuerst. Aus Schaden klug geworden fährt er gleich den richtigen Weg. Denn dafür ist der Autoatlas eigentlich da. So sehr er Verirrten hilft und Umwege aufklärt: Gekauft hat man ihn schließlich nicht, um Umwege zu fahren, sondern um sie zu vermeiden.

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So will uns auch die Bibel den richtigen Weg lehren, den falschen Weg aufdecken, den kürzesten Weg zurück zum eigentlichen Ziel zeigen, aber in letzter Konsequenz beibringen, lieber gleich von Anfang an den vertrauenswürdigen Weg Gottes einzuschlagen. Das wünsche ich Euch, von ganzem Herzen, dass Euch die Bibel das Licht am Wege Eures Lebens werde und bleibe, wie der Eingangsvers 105 aus dem Psalm 119 sagt: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“ Amen.

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