1. Norddeutscher QM-Fachtag – Cloppenburg, 14.2.2013

MDK-Prüfungen und Qualitätsmanagement: Kommt ein Neuanfang?

Dr. Klaus Wingenfeld Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld

„So schlimm ist es wirklich!“ „Albtraum Pflegeheim! Für die Bewohner häufig blanker Horror“ „Wehe, du wirst in Deutschland ein Pflegefall! Tausende Schwerkranke werden unzureichend behandelt und versorgt“.

Bildzeitung vom 31.08.2007

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Entwicklung der Pflegenoten: ambulant Bundesland (Auswahl)

Juni 2010

Febr. 2013

Baden-Württemberg

1,1

1,3

Bayern

2,3

1,4

Berlin

2,4

1,3

Bremen

1,6

1,5

Hamburg

2,2

1,4

Mecklenburg-Vorpommern

1,5

1,4

2,8

1,4

Niedersachsen Nordrhein-Westfalen

2,3 / 2,5

1,5

Rheinland-Pfalz

2,8

1,6

Sachsen

2,3

1,3

Schleswig-Holstein

2,5

1,4

Thüringen

1,8

1,7

Quelle: Newsletter Pflegenoten, vdek

Bundesdurchschnitt heute: 1,4

Entwicklung der Pflegenoten: stationär Bundesland (Auswahl)

Juni 2010

Febr. 2013

Baden-Württemberg

1,2

1,0

Bayern

2,3

1,3

Berlin

1,9

1,2

Bremen

1,9

1,4

Hamburg

2,4

1,3

Mecklenburg-Vorpommern

1,3

1,2

Niedersachsen

2,1

1,2

Nordrhein-Westfalen

2,1 / 2,5

1,2

Rheinland-Pfalz

2,2

1,5

Sachsen

1,8

1,1

Schleswig-Holstein

2,7

1,4

Thüringen

1,7

1,3

Quelle: Newsletter Pflegenoten, vdek

Bundesdurchschnitt heute: 1,2

2

Virtuelle Qualität statt Transparenz?

Externe Qualitätsprüfungen in der pflegerischen Versorgung

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Rückblick: Qualitätsbeurteilung in der Pflege • Vor 1995: Prüfung durch die kommunale Heimaufsicht • 1995: Einführung der Pflegeversicherung • Damit neue Prüfinstanz: Medizinische Dienste der Krankenversicherung • Neue Qualitätskriterien, definiert durch die Pflegekassen (Qualitätsprüfungsrichtlinie - QPR) • Reform 2008: Erhöhte Prüfdichte, Veröffentlichung von Prüfergebnissen

Charakter der MDK-Prüfungen (QPR) • Beurteilung von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen durch einen Sachverständigen • Vorgabe eines Prüfrasters, das die Themen bestimmt und einige Bewertungsregeln festlegt • Keine standardisierte Qualitätsbeurteilung!

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Aus: Grundlagen der MDK-Qualitätsprüfungen in der ambulanten Pflege, hrsg. vom MDS und GKV-Spitzenverband (Hervorhebungen vom Referenten)

Aus: Grundlagen der MDK-Qualitätsprüfungen in der ambulanten Pflege, hrsg. vom MDS und GKV-Spitzenverband (Hervorhebungen vom Referenten)

5

Aus: Grundlagen der MDK-Qualitätsprüfungen in der ambulanten Pflege, hrsg. vom MDS und GKV-Spitzenverband (Hervorhebungen vom Referenten)

§ 115 Abs. 1a SGB XI: Ergebnisse von Qualitätsprüfungen „Die Landesverbände der Pflegekassen stellen sicher, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden (…)“

>>> „Pflege-Transparenzvereinbarungen“

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Transparenzkriterien (stationär, Beispiele) 2.

Entspricht die Durchführung der behandlungspflegerischen Maßnahmen den ärztlichen Anordnungen?

7.

Werden erforderliche Dekubitus-Prophylaxen durchgeführt?

11. Werden die Nachweise zur Behandlung chronischer Wunden (…) ausgewertet und die Maßnahmen ggf. angepasst? 15. Ist der Ernährungszustand angemessen im Rahmen der Einwirkungsmöglichkeiten der Einrichtung? 26. Werden erforderliche Prophylaxen gegen Stürze durchgeführt? 39. Wird das Wohlbefinden von Bewohnern mit Demenz im Pflegealltag ermittelt und dokumentiert und werden daraus Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet? (…)

Transparenzkriterien ambulant, Beispiel

Aus: Grundlagen der MDK-Qualitätsprüfungen in der ambulanten Pflege, hrsg. vom MDS und GKV-Spitzenverband (Hervorhebungen vom Referenten)

7

Qualitätskriterien, die für eine Beurteilung durch Sachverständige entwickelt wurden, werden in den PTVen benutzt, um Punktwerte und Noten zu berechnen. Das kann nicht funktionieren.

Probleme mit den Transparenzkriterien • Keine Ergebnisqualität • Keine Qualitätsunterschiede erkennbar • Ungeeignete Beurteilungsmethoden • Unklare Definitionen • Zufallsstichprobe führt zu massiven Verzerrungen • Validität fraglich: Gemessen wird überwiegend Qualität der Dokumentation, nicht Qualität der Versorgung • (…)

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Haltung zu den Transparenzkriterien • Die Pflegenden • Die Einrichtungen • Die Wissenschaftler • Die Leistungsnutzer und ihre Angehörigen

Diskussion über externe Prüfungen • Zu starke Akzentuierung von Struktur- und Prozessqualität • Zu große Bedeutung der Dokumentation • Jährliche Prüfungen? • Parallelität der Prüfungen durch MDK und Heimaufsicht • Methodisch belastbar? • Belastung für den Pflegebedürftigen • Beratungsauftrag? • Misslungene Kommunikation unter FachkollegInnen? • (…)

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Internes Qualitätsmanagement

Qualitätsmanagement und pflegerischer Kernprozess • Verselbständigungstendenz: QM als gesondertes Teilsystem, das vorrangig zur Vermeidung von Problemen mit Prüfbehörden dient • Professionalisierung des QM bei gleichzeitiger Dequalifizierung der Pflege • Gefahr: Zunehmende Kluft zwischen „Qualitätssicherung“ und Versorgungswirklichkeit • Jahrzehnte alte Probleme bleiben ungelöst

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AEDL

Problem

Ziel

Sich pflegen

Bew. erkennt nicht die Notwendigkeit der Körperpflege

Die Körperpflege ist gewährleistet. Bew. fühlt sich wohl

Ausscheidung

Kann nicht selbständig zur Bew. fühlt sich wohl und Toilette gehen wg. kognitiven sauber. Intakter Hautzustand Einbußen

Sich kleiden

Unselbständigkeit u.a. wg. kognitiven Einbußen

Sauberes äußeres Erscheinungsbild. Bew. fühlt sich wohl.

Sich beschäftigen

Bew. kann sich nicht selbständig beschäftigen

Lebensgestaltung ist auf Demenz abgestimmt.

Für Sicherheit sorgen

Kann Medikamente wg. kognitiven Einbußen nicht selbständig einnehmen

Die Medikamenteneinnahme ist gewährleistet.

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Pflegedokumentation • Hoher Aufwand bei gleichzeitig geringer Aussagekraft der Dokumentation • Bezüge zur tatsächlich geleisteten Pflege? • Dokumentation wird als „Schreibkram“ empfunden • Konsequenz: Die Pflege verfügt über kein brauchbares Planungsinstrument – trotz „sehr gut“

Ergebnisqualität

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Seit Anfang 2011:

Neuer Ansatz zur indikatorengestützten Beurteilung von Ergebnisqualität

Projekt „Entwicklung und Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe“ Im Auftrag des BMG und BMFSFJ

Versorgungsergebnisse • Veränderungen (oder Stabilisierung) der Gesundheit, des Handelns und Erlebens • Bei Einzelpersonen, Personengruppen oder Bevölkerungsgruppen • Durch (pflegerische) Unterstützung bewirkte Veränderungen

Strukturen

Prozesse

Ergebnisse

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Grundsätze • Beeinflussbar durch Einrichtung/Mitarbeiter • Bewertbarkeit • Seriöse Vergleiche zwischen Einrichtungen: Gruppenbildung • Statistischer Durchschnitt als Maßstab der Beurteilung (später vielleicht: fachliche Setzungen)

Bereiche der Ergebnisqualität 1. Erhalt und Förderung von Selbständigkeit 2. Schutz vor gesundheitlichen Schädigungen und Belastungen 3. Unterstützung bei spezifischen Bedarfslagen 4. Wohnen und hauswirtschaftliche Versorgung* 5. Tagesgestaltung und soziale Beziehungen* Außerdem: Zusammenarbeit mit Angehörigen*

*Größtenteils erfasst über Befragungen der Bewohner und Angehörigen

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Indikatoren Bereiche 1-3 • Selbständigkeit im Bereich Mobilität * • Selbständigkeit bei Alltagsverrichtungen * • Selbständigkeit bei der Gestaltung des Alltagslebens & sozialer Kontakte • Dekubitusentstehung * • Unbeabsichtigter Gewichtsverlust * • Stürze mit gravierenden Folgen * • Integrationsgespräch • Gurtfixierungen • Herausforderndes Verhalten (Einschätzung) • Schmerz (Einschätzung) * Zwei Indikatoren wg. Gruppenunterteilungen

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Erhalt oder Verbesserung der Mobilität (Vorläufige Ergebnisse aus einem aktuellen NRW-Projekt)

Anteil der Bewohner, deren Mobilität sich innerhalb von sechs Monaten nicht verschlechtert bzw. verbessert hat

Unter kognitiv nicht oder gering beeinträchtigten Bewohnern:

67,5% (66%)*

Unter kognitiv erheblich oder schwer beeinträchtigten Bewohnern:

38,6% (40%)*

*Vergleichszahlen aus dem BMG-Projekt

Mobilitätserhalt bei kognitiv erheblich/schwer beeinträchtigten Bewohnern Anteil Bewohner

100 80 60 40 20 0 Einrichtungen

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Dekubitusentstehung (6 Monate) (Vorläufige Ergebnisse aus einem aktuellen NRW-Projekt) In der Einrichtung erworbener Dekubitus (Grad 2 - 4) Bewohner mit geringem Risiko

1,8%

In der Einrichtung erworbener Dekubitus (Grad 2 - 4) Bewohner mit hohem Risiko

11,3%

Nebenergebnis: Erkenntnisse zur Risikoeinschätzung

Dekubitusentstehung bei hohem Risiko: Einzelergebnisse der Einrichtungen Anteil Bewohner

50 40 30 20 10 0 Einrichtungen

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Gurtfixierungen in den letzten vier Wochen

Gurtfixierungen bei Bewohnern mit erheblichen oder schweren kognitiven Einbußen

7,2%

Gurtfixierungen: Einzelergebnisse der Einrichtungen Anteil Bewohner

40 30 20 10 0 Einrichtungen

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Außerdem: Bewohnerbefragung Angehörigenbefragung Aktivitätenerfassung

Ergebnisqualität: Vorteile aus fachlicher Sicht • Bessere Bewertungen sind nur durch eine Verbesserung der Bewohnersituation erreichbar, nicht durch Verbesserungen der Dokumentation • Positive Anreize für eine wirksame Qualitätsentwicklung • Das interne Qualitätsmanagement wird gestärkt • Wirkliche Transparenz von Qualität nach innen und außen

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Instrumentarium & Empfehlung: Neue Verzahnung von internem Qualitätsmanagement und externen Prüfungen

Konzeptionelle Überlegungen • Eine indikatorengestützte Beurteilung von Ergebnisqualität für Personengruppen setzt die Einbeziehung aller Bewohner voraus (bis auf definierte Ausnahmen). • Deshalb: Datenerfassung im Rahmen des internen Qualitätsmanagements. • Aber: Reine Selbstevaluation wäre nicht zu befürworten, wenn die Beurteilung eine Außenwirkung haben soll. • Neues Zusammenspiel zwischen internem Qualitätsmanagement und externen Prüfungen

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Um Ergebnisqualität mit Maßzahlen darzustellen, kann man nicht mit Stichproben operieren. Beispiel: Inwieweit kann man mit einer Zufallsstichprobe den Anteil von vier Bewohnern mit Dekubitus unter insgesamt 80 Bewohnern (5%) ermitteln? 10%-Stichprobe (n=8)

20%-Stichprobe (n=16)

1. Stichprobe:

0/8 =

0%

1. Stichprobe:

1/16 = 6,3%

2. Stichprobe:

1/8 = 12,5%

2. Stichprobe:

0/16 =

0%

3. Stichprobe:

0/8 =

0%

3. Stichprobe:

0/16 =

0%

4. Stichprobe:

1/8 = 12,5%

4. Stichprobe:

0/16 =

0%

5. Stichprobe:

0/8 =

5. Stichprobe:

1/16 = 6,3%

0%

Vorschlag Arbeitsteilung QM – externe Prüfungen Internes QM • Regelmäßige Datenerfassungen mit vorgegebenen Instrumenten (alle 6 Monate)

Externe Prüfungen • Stichprobenartige Kontrolle der Richtigkeit der erfassten Daten und Einschätzungen

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Bogen zur Indikatorenerfassung – Auszug

Bogen zur Indikatorenerfassung – Auszug

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X X X X X

2011 Gemeinsame Erklärung des „Steuerungskreises“ des Projekts Absichtsbekundung: Fragen den Umsetzung bearbeiten

Ruhephase des Steuerungskreises Lebhafte Diskussion um Transparenzvereinbarungen Gespräche zwischen Trägervertretungen/Fachverbänden und GKV-Spitzenverband

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2012

Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz

Ergänzung zu § 113 SGB XI, wonach die zukünftigen Maßstäbe und Grundsätze zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität auch umfassen sollen: „Anforderungen (…) an ein indikatorengestütztes Verfahren zur vergleichenden Messung und Darstellung von Ergebnisqualität im stationären Bereich, das auf der Grundlage einer strukturierten Datenerhebung im Rahmen des internen Qualitätsmanagements eine Qualitätsberichterstattung und die externe Qualitätsprüfung ermöglicht“.

Inzwischen:

EQMS – Ergebnisorientiertes Qualitätsmodell Münster (DiCV Münster) EQisA – Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe (DiCV Köln) • Zusammen: 78 Einrichtungen mit ca. 7.500 Bewohnern • Nutzung eines Ausschnitts der Indikatoren oder des ganzen Pakets; mit Begleitung des IPW • Projektbegleitende Gremien unter Einbeziehung der MDK • Besonderheit EQisA: Dreimalige externe Plausibilitätsprüfung • Fortsetzung ist geplant, reges Interesse der Einrichtungen

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FAQ – häufig gestellte Fragen • Können die Pflegenden das? • Was ist mit der Bewohnerbefragung? • Müssen Strukturen und Prozesse weiterhin geprüft werden? • Wieso werden Selbstverwirklichung und Sinnfindung nicht mit einer Kennzahl bewertet (z.B. Sinnfindung = 18,3)? • Was ist mit der Risikoadjustierung? • Besteht die Gefahr, dass hochaltrige Menschen entgegen ihrer Bedürfnisse zur Verbesserung der Mobilität gedrängt werden? • Funktioniert die Beurteilung auch in anderen Versorgungsbereichen?

Ambulante Pflege • Auftrag? • Einfluss der Angehörigen? • Häufigkeit des Pflegeeinsatzes? • SGB XI: Nur Hilfen bei Alltagsverrichtungen? • Verschränkung SGB XI und SGB V im praktischen Handeln • Bessere Bedingungen für die Beurteilung durch Klienten • …

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„Erfolg“: Sicht der Pflegenden (Erhebung in Kooperation mit dem Paritätischen NRW) • Erfolgskriterium ist häufig der Prozess: Erforderliche Pflege kann durchgeführt werden (scheitert nicht) • Hoher Stellenwert von Kommunikation und Wohlbefinden • Manchmal Tendenz zu Allgemeinplätzen analog zu Pflegezielen • Ergebnisqualität wird vor allem in folgenden Bereichen benannt: - Emotionale Situation des Klienten, Wohlbefinden - Selbständigkeit und Motivation - Intakte Haut und Mobilität - Umgang mit Medikamenten

Fazit: Ein Anfang und notwendiger Übergang • Rationeller Umgang mit versorgungsrelevanter Information • Entbürokratisierung: Verzicht auf inhaltsleere und dysfunktionale Anforderungen • Neue Instrumente • Weiterentwicklung des internen Qualitätsmanagements • Weiterentwicklung externer Prüfungen • Weiterentwicklung der individuellen Pflege

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Pflegeprozess Einschätzung

Ergebnisse prüfen

Durchführung

Zielformulierung

Planung

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

www.uni-bielefeld.de/IPW

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